Methoden der Sozialwissenschaften

Hans Peter Henecka

Inhalt

1. Allgemeine Aspekte
2. Forschungslogik empirischer Untersuchungen
2.1 Entdeckungszusammenhang
2.2 Begründungszusammenhang
2.3 Verwertungs- und Wirkungszusammenhang
3. Forschungsmethoden
3.1 Die Beobachtung
3.2 Die Befragung/das Interview
3.3 Das Experiment
3.4 Die Aktionsforschung (action research)
3.5 Die Inhaltsanalyse (content analysis)
3.6 Die Soziometrie
3.7 Die biographische Methode
3.8 Die Sekundäranalyse
3.9 Die Panel-Untersuchung/das Survey
4. Methodenprobleme
4.1 Datenerhebungsartefakte
4.2 Datenauswertungsartefakte
5. Literatur

Abbildungen:

Abb. 1: Forschungslogischer Ablauf empirischer Untersuchungen"

1. Allgemeine Aspekte

Die Vorläufer heutiger sozialwissenschaftlicher Methoden lassen sich wissenschaftsgeschichtlich bis auf die sozialstatistischen Verfahren im 17. und 18. Jahrhundert zurückverfolgen, wo man mittels der damals üblichen "Politischen Arithmetik" versuchte, soziale Gesetzmäßigkeiten in den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen "Massenerscheinungen" zu entdecken. Im 19. Jahrhundert wurde dann - insbesondere angeregt durch die groß angelegten Untersuchungen von Le Play in Frankreich und Booth in England - die Methode der Enquete entwickelt, um die durch den Frühindustrialismus entstandenen Lebensbedingungen der Arbeiterfamilien zu erfassen und mit ausführlichem Zahlenmaterial darzustellen. In Deutschland führte erst ab 1908 der "Verein für Socialpolitik" systematische Erhebungen über "Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft" durch. Parallel dazu wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Enquete zur sozialen Übersichtsstudie (Survey-Methode) weiterentwickelt, die ab den 20er Jahren besonders in den USA im Rahmen von Gemeindeuntersuchungen methodisch verfeinert wurde.

Während in Nordamerika die empirische Sozialforschung in der Folgezeit institutionalisiert und laufend ausgeweitet wurde, dominierten in den deutschen Sozialwissenschaften bis in die Weimarer Zeit hinein theoretische und sozialhistorische Analysen. Erste Ansätze einer sich entwickelnden empirischen Sozialforschung erhielten dann durch die nationalsozialistische Herrschaft einen empfindlichen Rückschlag. Wenn deshalb mangels entsprechender Forschungstraditionen die Sozialforschung in Nachkriegsdeutschland sich anfangs eher an historisch bezogenen Einzelfallanalysen bzw. an qualitativen Verfahren der Datenerhebung und -analyse orientierte, wurde die Entwicklung quantitativer empirischer Verfahren bald schon vorangetrieben durch eine tendenzielle Planungsgläubigkeit der politischen Praxis und entsprechend zunehmendem Bedarf an gesicherten Daten zur Meinungsforschung. In den letzten Jahrzehnten ist es dann der deutschen Sozialforschung gelungen, durch ihre universitäre Verankerung bzw. durch Schaffung universitätsnaher Forschungszentren sowie durch die Gründung von auf kommerzieller Basis arbeitenden Markt- und Meinungsforschungsinstituten an den elaborierten Standard der in den USA entwickelten empirischen Methoden Anschluss zu finden. Zugang, Auswertung und Nutzung sozialwissenschaftlicher Daten ist jetzt auch hierzulande raschen forschungstechnischen Veränderungen und Weiterentwicklungen unterworfen.

Eines der Hauptprobleme empirischer Sozialforschung ist nach wie vor das Verhältnis von methodischer Forschungspraxis und sozialwissenschaftlicher Theoriebildung. Die rapide Entwicklung und Ausdifferenzierung von Forschungstechniken birgt in sich die Gefahr einer Verselbständigung der Methoden im Sinne eines naiven Empirismus, so dass weniger die wissenschaftlichen Probleme die Forschungsstrategie, sondern eher umgekehrt die Zugänglichkeit von Daten und Anwendungsmöglichkeiten für Forschungstechniken die zu untersuchende soziale Realität definieren. Hinzu kommt ein nicht einheitliches Theorieverständnis unter den Sozialwissenschaftlern selbst. So benutzen streng erfahrungswissenschaftlich ausgerichtete Forscher sozialwissenschaftliche Methoden zur Absicherung von Theorien, die sie selbst als Systeme von empirisch überprüfbaren Aussagen über begrenzte Sachverhalte verstehen. Vertreter einer eher kritisch-dialektischen Forschungsrichtung dagegen streben neben solchen Beschreibungen und Erklärungen kausaler Beziehungen eine kritische Beurteilung sozialer Phänomene in ihrem gesellschaftlich-politischen Gesamtzusammenhang an.

Ein weiteres Grundproblem ist, dass die volle soziale Wirklichkeit niemals vollständig erfasst werden kann, sondern sich wissenschaftliche Erkenntnis immer selektiv auf einen Ausschnitt der "unübersehbaren Mannigfaltigkeit" (Rickert) des Wirklichen richtet. Hieraus folgt, dass man nicht nur den Untersuchungsgegenstand spezifizieren und sich über die Art und Weise seiner empirischen "Erfassung" klar werden, sondern ihn auch mitsamt der gewählten Methoden an einer Theorie orientieren bzw. an Forschungshypothesen ausrichten muss, die einer Prüfung unterzogen werden sollen. Ohne Erprobung an der Wirklichkeit bleiben Theorien spekulativ und verfallen leicht einem unfruchtbaren Dogmatismus. Andererseits bleibt bloßes Faktensammeln mittels raffinierter Methodologie, jedoch ohne theoretische Leitgedanken, meist ebenso unfruchtbar, weil in diesem Fall unklar bleibt, worauf man achten und wonach man suchen muss. Aufgabe der Sozialwissenschaften ist es, mit theoriegeleiteten Methoden über wichtige Sachverhalte richtige Aussagen zu machen.

In diesem Zusammenhang ist auch die vor allem seit dem sog. "Positivismusstreit in der deutschen Soziologie" (Adorno u.a. 1969) geführte Kontroverse um Vorzüge und Nachteile quantitativer und qualitativer Verfahren zu sehen. Quantitativen (sog. "positivistischen") Methoden, die zur Deskription "objektiver Wirklichkeit" in Anlehnung an naturwissenschaftliche Paradigmen eine standardisierte und kontrollierbare Datenermittlung und deren Auswertung mit statistischen Zähl- und Messverfahren anstreben, wurden in teilweise extrem zugespitzter und häufig polemischer Alternative von Anhängern einer "emanzipatorischen Sozialforschung" (Kritisch-dialektische Theorie, Frankfurter Schule) qualitative (sog. "interpretative") Verfahren gegenübergestellt, mittels derer die Inhalte sozialer Wirklichkeit hermeneutisch-deutend analysiert werden sollten.

Während sich diese radikale methodologische Entgegensetzung bald als unfruchtbar und in dieser Form auch forschungspraktisch als irrelevant zeigte, gilt die gegenwärtige Diskussion kaum noch dogmatischen Grundsatzfragen einer prinzipiellen Überlegenheit dieses oder jenes Forschungsansatzes, sondern vielmehr pragmatischen Fragen der Angemessenheit qualitativer und/oder quantitativer Verfahren für ein spezifisches Forschungsproblem unter Berücksichtigung gemeinsamer Grundprinzipien wie Gültigkeit (Validität), Zuverlässigkeit (Reliabilität) und intersubjektive Überprüfbarkeit. Beispielsweise haben sich qualitative Verfahren vor allem bei Fragestellungen aus dem Bereich der Mikrosoziologie oder der Organisationsforschung bewährt, während umgekehrt die Sozialberichterstattung, die Sozialstrukturanalyse oder auch die Wahlforschung nach wie vor primär mit quantitativen Verfahren arbeiten müssen, da es hier vor allem um die Verallgemeinerung von Daten auf Populationen bzw. um präzise Bestimmungen von Verteilungen geht. Darüber hinaus zeigt sich auch gerade bei der anwendungsorientierten Forschung, dass ein adäquates Verständnis konkreter sozialer Probleme in der Regel nur durch den kombinierten Einsatz unterschiedlicher, sich ergänzender, aber auch gegenseitig kontrollierender qualitativer und quantitativer Methoden im Sinne eines Methodenmix bzw. einer sog. methodischen Triangulation erreicht werden kann.

2. Forschungslogik empirischer Untersuchungen

In der praktischen Anwendung sollten sozialwissenschaftliche Methoden in der Regel in einen forschungslogischen Kontext eingebettet sein, dessen Aufbau und Prozessfolge im allgemeinen aus drei, auch zeitlich aufeinander folgenden Phasen besteht: dem Entdeckungs-, Begründungs- sowie Verwertungs- und Wirkungszusammenhang.

2.1 Entdeckungszusammenhang

Welches soziale Problem "entdeckt" und für ein empirisches Projekt ausgewählt wird, lässt sich forschungslogisch nicht begründen, da dies vielfach von außer- oder vorwissenschaftlichen Zufällen bestimmt wird. Umso mehr kommt es darauf an, dass Sozialforscher hier ein "Gefühl" dafür entwickeln, welche Problemstellungen im Hinblick auf einen theoretischen und methodologischen Fortschritt bzw. hinsichtlich praktisch verwertbarer Ergebnisse wichtige und bedeutungsvolle Sachverhalte darstellen. Hierzu dienen zum einen gründliche Studien der einschlägigen Literatur, zum anderen ist - soweit realisierbar - auch ein praktisch-explorativer Einstieg in das gewählte "Feld" empfehlenswert. Ein professionell arbeitender Sozialwissenschaftler etwa wird sich erst einmal in einem Stadtviertel umsehen und mit einigen Bewohnern ins Gespräch kommen, eher er mit der eigentlichen theoretischen und methodologischen Konzeptualisierung seiner Sanierungsstudie beginnt.

2.2 Begründungszusammenhang

Als Einstieg in die eigentliche empirische Untersuchung muss zunächst das zu untersuchende soziale Problem in eine (testbare) sozialwissenschaftliche Fragestellung "übersetzt" werden. In der Praxis erfolgt dieser Schritt mit der Suche nach einleuchtenden und beweisbaren Annahmen über gesellschaftliche Zusammenhänge, Abhängigkeiten oder Regelmäßigkeiten. Da es sich im Allgemeinen um veränderliche Größen handelt, die erst durch die Fragestellung des einzelnen Forschers genauer abgegrenzt werden, spricht man von Variablen. Hinzu kommt, dass meist nicht nur zwei oder mehrere Variablen als Untersuchungsgegenstand in den Vordergrund rücken, sondern auch die Beziehungen zwischen den einzelnen Variablen näher bestimmt werden. Eine Hypothese enthält immer eine Aussage darüber, welche Variable als Kausalfaktor (unabhängige Variable) und welche als Wirkfaktor (abhängige Variable) zu betrachten ist. Da indessen die meisten Variablen in einem komplexen gegenseitigen Beziehungszusammenhang stehen und somit je nach Perspektive und Fragestellung als abhängige wie als unabhängige Variable begriffen werden können, gehört es zur Entscheidung des Forschers, welchen Aspekt er primär untersuchen will. "Politische Partizipation" kann beispielsweise einmal als unabhängige Variable für die abhängige Variable "Demokratisierung von Gesellschaften" betrachtet werden; "politische Partizipation" könnte jedoch andererseits selbst als von bestimmten Sozialisationserfahrungen, Persönlichkeitsfaktoren und der Stellung im Sozialsystem abhängige Variable untersucht werden. Die Bezeichnung "unabhängig" ist also nicht wörtlich zu nehmen: Sie bezieht sich jeweils nur auf den theoretischen Bezugsrahmen einer bestimmten Hypothese und bedeutet, dass eine bestimmte Variable die andere Größe beeinflusst, sie selbst aber im Rahmen der Hypothese auf ihre eigenen Abhängigkeiten nicht weiter untersucht wird.

Die eigentliche Bedeutung von Forschungshypothesen liegt im Anreiz zur Überprüfung ihrer Aussagen. Deshalb müssen die benutzten theoretischen Begriffe zur Darstellung des zu untersuchenden Tatbestands auf der empirischen Ebene konkretisiert, d. h. so klar wie möglich über Indikatoren definiert und präzisiert sein ("operationale Definition"). Da jedoch durch entsprechende Indikatoren die jeweiligen Forschungsoperationen mit festgelegt werden, ist es notwendig, sie auf ihre Validität und Reliabilität hin zu untersuchen. Die Indikatoren sollen ja tatsächlich das messen, was sie zu messen vorgeben, bzw. sollen unter gleichen Bedingungen bei wiederholter Messung desselben Sachverhalts gleiche Werte ergeben. Soziale Sachverhalte, die mittels "Rezeptoren", d. h. mit natürlichen Sinnesorganen oder mit künstlich-apparativen Mitteln systematisch erfasst werden können, sind sowohl objektive Tatbestände (z.B. Lebensalter, Ausbildung, Beruf, Einkommenshöhe, Familiengröße, Parteizugehörigkeit) wie auch subjektive Daten (z. B. ethnische Identität, Kirchlichkeit, Einstellungen zum Wertewandel usw.) sowie reale Handlungen und Verhaltensweisen, die im Zusammenhang mit subjektiven Daten sozialwissenschaftlich gleichfalls relevant werden. Während objektive Tatbestände in ihrer Konkretheit relativ leicht zu operationalisieren und damit beliebiger Interpretation zu entziehen sind, sind subjektive Daten schon viel schwieriger über Indikatoren in operationale Definitionen zu transformieren und damit einer intersubjektiven Kontrolle zugänglich zu machen.

Im Zusammenhang mit der Festlegung der Methode bzw. der kontrollierenden und ergänzenden methodischen Triangulation wird in der Regel auch über die Beobachtungseinheiten entschieden. So kann man beispielsweise eine qualitativ angelegte Einzelfallstudie (case-study) zur detaillierten Beschreibung eines bestimmten "typischen" sozialen Zusammenhangs wählen, parallel oder alternativ dazu aber auch - über eine nach bestimmten statistischen Auswahlverfahren aus der Grundgesamtheit entnommene Stichprobe bzw. durch Untersuchung der Grundgesamtheit selbst - Repräsentativität anstreben, die eine Verallgemeinerung der Ergebnisse zulässt.

Die eigentliche Datenerhebung erfolgt in der durch die gewählte Methode möglichen und durch sie festgelegten Form. Danach wird das Datenmaterial kodiert und meist mittels einschlägiger sozialwissenschaftlicher Computerprogramme ausgewertet. Die Interpretation schließlich sollte die methodisch gewonnenen Ergebnisse vor dem Hintergrund der in der Forschungsfrage zum Ausdruck gebrachten theoretischen Überlegungen diskutieren, wobei gilt, dass die gewonnenen Ergebnisse jeweils nur vorläufig "verifiziert" sind; sie gelten solange als "bewährt", als alle anderen derzeit ernsthaft diskutierten Alternativhypothesen "falsifiziert" sind, die vertretene These aber selbst "Falsifizierungsversuchen" standgehalten hat. Sind empirisch begründete Aussagen an einem entscheidenden Punkt durch neuere oder weiter gehendere Forschungsergebnisse widerlegt, so sind sie je nach Qualität und Ausmaß des Einwands zu verwerfen, zu modifizieren oder zu relativieren.

2.3 Verwertungs- und Wirkungszusammenhang

Um die allgemein relevanten Befunde eines Forschungsprojekts der interessierten Öffentlichkeit zu vermitteln und für die soziale Praxis nutzbar zu machen, ist oft eine entsprechende graphische Aufbereitung der Daten sowie eine Übertragung der Resultate aus der Fachsprache der Sozialwissenschaften in die öffentliche Sprache notwendig. Will ein Forscher nicht das unkalkulierbare Risiko einer willkürlichen Verfügung über seine Daten und Ergebnisse durch andere eingehen, so wird er gut beraten sein, insbesondere die Prozesse der gesellschaftspolitischen Wirkung und Verwertung seiner Befunde kritisch zu begleiten.

Abb.1 Forschungslogischer Ablauf empirischer Untersuchungen
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3. Forschungsmethoden

Für die sozialwissenschaftliche Forschungspraxis stehen inzwischen eine Vielzahl von Untersuchungsmethoden zur Verfügung, die häufig in forschungsspezifischem Mix arrangiert und eingesetzt werden. Im folgenden werden die wichtigsten Methoden dargestellt:

3.1 Die Beobachtung

Die Beobachtung (Bb) sozialer Tatbestände und die entsprechende Beschreibung des Beobachteten stehen häufig am Anfang erfahrungswissenschaftlicher Forschung. Dabei können recht verschiedene soziale Situationen und Zusammenhänge erfasst werden, wie beispielsweise ganze Kulturen (Ethnographie), aber auch religiöse Sekten, soziale Bewegungen, Bürgerinitiativen, Entscheidungsprozesse in der Kommunalpolitik, das Verhalten von Lehrern und Schülern im Unterricht oder die Entwicklung und Dynamik einer Konferenzgruppe. Da grundsätzlich alle Wahrnehmungen selektiv sind, muss auch wissenschaftliche Bb davon ausgehen muss, dass soziale Situationen niemals vollständig in allen Einzelheiten erfasst werden können. Im Unterschied zu einer unsystematischen, willkürlichen und in der Regel auch unbewussten Auslese von Umweltreizen bei der naiven Alltagsbeobachtung wird der erfahrungswissenschaftliche Selektionsprozess bei der systematischen Bb durch eine präzise Definition der zu beobachtenden Handlungen, Ereignisse und Inhalte über entsprechend standardisierte Kategorienschemata bewusst geplant. Dennoch können aufgrund der methodisch relativ schwer kontrollier- und eliminierbaren Wahrnehmungsfärbung bzw. -einengung des Beobachters durch seine persönlichen Einstellungen oder vorwissenschaftlichen Erwartungen im Hinblick auf den untersuchten Gegenstand Gefahren für die Zuverlässigkeit und Gültigkeit von Bb-Ergebnissen erwachsen. Meist wird die Bb des unmittelbaren sprachlichen Verhaltens als Analyseeinheit im Vordergrund stehen, doch auch außersprachliches Verhalten (wie Lautstärke, Modulation, Sprechdauer, Vokabular), non-verbales Verhalten (wie bestimmte Gestik, Mimik, Augenspiel und allgemeine Körpersprache) sowie spezifisches personen-, raum- und zeitbezogenes Verhalten werden mit untersucht.

Methodisch können Bb auf recht unterschiedliche Art und Weise angelegt sein. Bei der teilnehmenden Bb versucht der Forscher sich selbst in die zu untersuchende Gruppe zu integrieren, um über einen hohen Partizipationsgrad ein möglichst tiefes Verständnis seines Untersuchungsgegenstandes zu gewinnen, was allerdings auch die Gefahr in sich birgt, dass die Zuverlässigkeit der Bb durch zu große Identifikation leiden kann. Bei der nicht-teilnehmenden Bb geht der Sozialforscher aus Gründen der Praktikabilität des Zugangs oder auch aus Sorge um die eigene Objektivität gleichsam von außen an sein Bb-Objekt heran. Des weiteren können Bb kontrolliert oder unkontrolliert sein, d. h., sie können aufgrund einer relativ eng vordefinierten Bb-Struktur (z. B. zur Erfassung quantifizierbarer Elemente) oder aber auch auf eine eher lockere und impressionistische, dem generellen Untersuchungszweck dienende Art (z. B. zur Erfassung vornehmlich qualitativer Merkmale) gewonnen werden. Ferner können sie offen oder - falls Verzerrungseffekte bei den Versuchspersonen zu erwarten sind - auch verdeckt durchgeführt werden, wobei bei letzteren legale und ethische Aspekte zu beachten sind.

3.2 Die Befragung/das Interview

Personen mittels lockerem Einzelgespräch, Gruppendiskussion, Fragebogen oder Interview systematisch zu befragen ist immer noch der beliebteste und am häufigsten benutzte Weg der empirischen Sozialforscher, sozialwissenschaftlich wie gesellschaftspolitisch relevante Daten zu sammeln.

Befragungen (Bf) können mündlich oder schriftlich erfolgen. Bei der mündlichen Bf stellt ein (i.d.R. geschulter) Interviewer einer Person oder einer zu diesem Zweck zusammengerufenen Gruppe Fragen; die Antworten werden vom Interviewer meist unmittelbar festgehalten. Seit den 70er Jahren dominieren jedoch vor allem aus forschungspragmatischen Gründen sowie infolge verbesserter und befragtenfreundlicherer Erhebungstechniken ("Total-Design-Method") schriftliche Bf, bei denen die Versuchspersonen selbständig, d.h. ohne externe Vermittlungshilfe oder Rücksprachemöglichkeit einen Fragebogen ausfüllen. Dies setzt in besonderem Masse voraus, dass die gestellten Fragen präzise und gleichzeitig (im Hinblick auf die Zielgruppe) möglichst verständlich formuliert sind.

Bf können auch mehr oder weniger standardisiert sein. Beim völlig offenen und freien, "echten" Interview (I) ist nur der Themenbereich grob vorgegeben; vom explorativ arbeitenden Interviewer wird hier ein hohes Maß an Gesprächsgeschick sowie an Kenntnis über das Forschungsziel und den theoretischen Rahmen abverlangt. Als bei qualitativen Projekten zunehmend eingesetzte Bf-Form gilt hierbei das narrative oder Tiefen-I, bei dem die I-partner beispielsweise unter minimaler Gesprächslenkung aufgefordert werden, spontan Geschichten zu ihrer Biographie, zu ihrer Rolle bei bestimmten politischen Prozessen o.ä. zu erzählen. Das gelenkte oder auch zentrierte I erfordert für die anzusprechenden Themenbereiche einen Leitfaden; es liegt jedoch keine differenzierte "Fragenbatterie" vor. Der Wunsch nach größtmöglicher Formalisierung führt schließlich zum strukturierten I, bei dem der Wortlaut und die Reihenfolge der Fragen genau festgelegt ist, oder sogar zum komplett standardisierten I, bei dem dann zusätzlich noch das genaue Reaktionsverhalten des Interviewers vorgeschrieben wird.

Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Ansicht ist der Aufbau eines brauchbaren Fragebogens und der sachgemäße Umgang mit den erhobenen Daten ohne beratende Unterstützung durch sozialwissenschaftliche Experten eine recht schwierige Aufgabe.

Die tatsächlichen Konstruktionsprobleme und Auswertungsfragen sind so vielseitig, dass sich inzwischen eine professionelle Methodenlehre des Interviews entwickelt hat, die ein System von Regeln bereitstellt, um Fehlerquellen so weit wie möglich auszuschalten und den Forschungsprozess transparent und kontrollierbar zu machen.

Probleme und Fehlerquellen entstehen vor allem daraus, dass die Bf ein kommunikativer Prozess in einer nicht alltäglichen Situation ist, der je nach Gegenstand der Befragung und der Relation zwischen Interviewer und befragter Person beeinflusst werden kann (reaktive Methode). Außerdem werden bei Bf nur Aussagen, eventuell auch Einstellungen und Meinungen, nicht aber tatsächliches Verhalten abgebildet. Da gerade Bf-Ergebnisse immer stärker als Argumentations- und Entscheidungshilfen in Politik, Verwaltung, Planung sowie in den Medien herangezogen werden, muss sich jeder, der in irgendeiner Form mit Bf-Ergebnissen konfrontiert wird, vergegenwärtigen, dass solche Befunde immer nur vor dem jeweiligen Hintergrund ihrer seriös offen zulegenden konkreten Erhebungs- und Auswertungsprobleme beurteilt werden können.

Von einer kritischen Öffentlichkeit werden Bf zunehmend im Hinblick auf die Datenauswertung "politisch" problematisiert. Für viele Bürger sind die Verwertungsprozesse von erhobenen Daten nicht mehr durchschaubar. Trotz Datenschutzgesetz und zugesicherter Anonymisierung der Daten wächst die Angst vor "Datenfallen" und unkontrollierbarer "Überprüfung", während gleichzeitig die Auskunftsbereitschaft vieler Bürger entsprechend abnimmt.

3.3 Das Experiment

Nach dem Vorbild der klassischen Naturwissenschaften gilt das Experiment (E) als die reaktivste Form und gleichzeitig als das sicherste Verfahren zur Feststellung von Kausalbeziehungen im Bereich sozialer Phänomene. Gemäß eines vorher erstellten Versuchsplans wird mindestens eine unabhängige Variable planmäßig und unter kontrollierten Bedingungen variiert und es werden die Effekte dieser Veränderungen bei einer abhängigen Variablen beobachtet und gemessen.

Als wesentliche Kennzeichen des E gelten die Planbarkeit (Kontrolle), die Wiederholbarkeit (Replikation) und die Variierbarkeit (Manipulation) - Kriterien, die allerdings oft nur schwer oder überhaupt nicht erfüllbar sind, da sich im sozialen Bereich "künstliche" oder "isolierte", d.h. exakte labormäßige Experimentalsituationen nur sehr bedingt herstellen lassen. Nicht zuletzt aus diesem Grund erfolgen sozialwissenschaftliche E häufiger unter weitgehender Belassung der natürlichen Umwelt (Feldexperiment). Bei diesen "natürlichen" (ex-post-facto-)Experimenten ist aufgrund sozialer Prozesse die Situationsänderung durch die vermutete Ursache bereits eingetreten. So kann beispielsweise die Sympathiekurve für die X-Partei (abhängige Variable) während verschiedener Phasen eines Wahlkampfes anhand von Interviews oder nachträglichen Aktenstudien oder Inhaltsanalysen bestimmter Tagesereignisse und veränderter Wahlspots, mit der Teilnahme des Spitzenkandidaten an einer Fernsehdiskussion, d.h. aus Veränderungen der "unabhängigen Variablen", kausal erklärt werden. Während Laborexperimente in der Regel im Hinblick auf die untersuchte Situation ein hohes Maß an interner Gültigkeit beanspruchen können, haben Feldexperimente in natürlichen Situationen den Vorteil höherer externer Gültigkeit, da deren Ergebnisse eher verallgemeinernde Aussagen hinsichtlich realer sozialer Verhältnisse und Zusammenhänge zulassen. Andererseits ist neuerdings gegen diese klassischen experimentellen Verfahrensweisen eingewandt worden, dass sich die meisten konkreten sozialen Phänomene weniger als Ursache-Wirkung-Folge, sondern eher als systemische Vernetzung erfassen lassen, - ein anspruchsvolles neues experimentelles Forschungsprogramm, das bislang allerdings erst auf der Modellebene über Computersimulationen realisiert werden konnte.

3.4 Die Aktionsforschung (action research)

Die Aktions- oder auch Handlungsforschung (Af) konstituierte sich in Deutschland unter dem Einfluss der Kritischen Theorie als ein innovatives Forschungsprogramm, das die jeweilige Erkenntnisgewinnung mit einer gleichzeitigen Verbesserung der untersuchten gesellschaftlichen Verhältnisse (z.B. Slumsanierung, Abbau von Ausländerfeindlichkeit) zu verbinden suchte. Der Idealfall für diese unmittelbare Verknüpfung von Forschungsmethode und praktischer Sozialreform ist ein kooperierendes soziales Beziehungsgefüge zwischen Forschenden und Betroffenen. Die Forscher sind gleichzeitig beobachtende wie aktiv handelnde Teilnehmer an den zu untersuchenden und zu verändernden sozialen Prozessen, während die von dem Programm Betroffenen (z.B. die Slumbewohner) auch ihrerseits nicht nur als "Datenlieferanten", sondern als "Subjekte" aktiv und kontinuierlich an der Planung, Durchführung und Auswertung der Forschungen beteiligt werden. Af ist vor allem dann sinnvoll, wenn bestimmte soziale Probleme nur unter Mitwirkung der Betroffenen zu lösen sind. Da das soziale Feld durch diese Forschungspraxis bewusst verändert wird, ist eine Hypothesenprüfung mit dieser Methode nicht möglich.

3.5 Die Inhaltsanalyse (content analysis)

Die Inhaltsanalyse (Ia) ist eine insbesondere in der Massenkommunikationsforschung entwickelte Methode. Sie geht davon aus, dass Kommunikationen schriftlicher, mündlicher oder auch bildlicher Art wichtige soziale Funktion innehaben und dass die in manifest gewordenen Kommunikationen übermittelten Symbole Indikatoren für Einstellungen, Meinungen, Werthaltungen, Tendenzen und Wirkungsabsichten, für Vorurteile oder andere nicht unmittelbare feststellbare Eigenschaften des jeweiligen Autors darstellen. Im Mittelpunkt der Ia steht die Frage: Wer teilt wem, was, wie, mit welcher Absicht und mit welcher Wirkung mit? Analyseobjekte können sein Gesprächsprotokolle, Verträge, Reden, Briefe, Tagebücher und Autobiographien, bestimmte Zeitungsartikel oder ganze Jahrgänge von Zeitungen und Zeitschriften, Plakate oder Annoncen, Prospekte und Rundbriefe, Schlagertexte oder Graffiti auf Häuserwänden, subkulturelle Sprüche oder Autoaufkleber, bestimmte Funk- oder Fernsehsendungen usw.

Probleme können hinsichtlich der Herstellung des Kontextbezugs oder vielmehr der situativen Bedeutungsrekonstruktion des Untersuchungsmaterials entstehen. Ebenso können Fragen in Bezug auf die Zuverlässigkeit auftauchen, da bei der Einordnung der Kategorien die Maßstäbe der Untersucher sowohl untereinander wie auch im Zeitverlauf variieren können. Auch bestimmte Elemente des Textverständnisses wie Ironisierung, verfremdete Redeweise u. ä. sind analytisch relativ schwierig zu erfassen. Da das grundlegende Textmaterial oft recht umfangreich ist, ergaben sich bislang immer wieder praktische Probleme hinsichtlich der Repräsentativität der Textauswahl (Stichprobenproblem) und der quantitativen Datenverarbeitung, doch ist das Problem der Textmasse durch die Entwicklung automatischer Verfahren der Textcodierung und Textanalyse heute weitgehend gelöst.

3.6 Die Soziometrie

Unter Soziometrie (S) versteht man ein Messverfahren zur quantitativen Erfassung und Darstellung bestimmter affektiver und/oder funktionaler Aspekte zwischenmenschlicher Beziehungen in einer Gruppe. Ursprünglich in den 30er Jahren in den USA von Jacob L. Moreno mit sozialtherapeutischen Intentionen entwickelt, hat sich diese Methode inzwischen überall dort analytisch bewährt, wo Spannungen zwischen formalen (z.B. durch die Arbeitsorganisation vorgeschriebenen) und informellen (d.h. spontan und freiwillig daneben entstehenden) Gruppenstrukturen und -beziehungen erwachsen. So findet die S insbesondere in der Betriebssoziologie und im pädagogischen Bereich Anwendung, um beispielsweise in den sozialen Handlungsfeldern (Werkstätten, Büros oder Schulklassen) die Bedeutung informeller Kommunikations- und Informationsprozesse und damit korrespondierender Autoritätspositionen bzw. informeller Führungsstrukturen für das allgemeine Gruppenklima wie für die Leistung der Gruppe und einzelner Gruppenmitglieder zu erforschen.

Mit Hilfe eines relativ einfach durchführbaren "soziometrischen Tests" werden die sozialen Wechselbeziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern über die Kriterien der Bevorzugung, Gleichgültigkeit und Ablehnung gemessen. Dies wird dadurch erreicht, dass die Gruppenmitglieder hinsichtlich ihrer Interaktionspräferenzen oder faktischen Interaktionen meist schriftlich befragt werden, welche anderen Mitglieder der Gruppe sie am meisten mögen oder nicht mögen, als Partner in bestimmten Situationen (z. B. bei der Arbeit, in der Freizeit, im Urlaub) bevorzugen oder ablehnen oder mit wem sie tatsächlich üblicherweise interagieren und kommunizieren und mit wem nicht. Es werden also Wahlakte aller Art erfragt, die sich teils undifferenziert manifestieren können, teils auch schon direkt auf die affektive Dimension Beliebtheit/Sympathie ("Wen würdest Du als besten Freund ansehen?") oder auf die funktionale Ebene Leistungsfähigkeit/Tüchtigkeit ("Mit wem möchtest Du bei dieser Aufgabe am liebsten zusammenarbeiten?") innerhalb der Gruppe beziehen. Vielfach wird auch durch entsprechende Fragen nach den mutmaßlichen Ergebnissen des soziometrischen Tests bezüglich der eigenen Person die beziehungsmäßige Erwartungshaltung der Gruppenmitglieder mit erhoben ("Was glaubst Du, wie oft Du selbst in diesem Zusammenhang genannt wirst?"). Die Häufigkeit, mit der einzelne Gruppenmitglieder positive oder negative Wahlen auf sich vereinigen, wird tabellarisch in eine "Soziomatrix" übertragen, auf deren Grundlage einzelne Gruppenpositionen statistisch näher charakterisiert werden können. Neben solchen statistischen Kennwerten zur Analyse soziometrischer Ergebnisse wird die Soziomatrix meist in ein sog. "Soziogramm" überführt, wobei hier auch vielfältige Möglichkeiten der graphischen Darstellung (Säulen-, Kreis-, Profil-, Koordinatensoziogramm usw.) zur Verfügung stehen.

3.7 Die biographische Methode

Die biographische Methode (bM) will die soziale Wirklichkeit des Alltags durch die Analyse biographischen Materials und der darin eingeschlossenen Bewertungen, Meinungen, Einstellungen und Ereignisse rekonstruieren. Diese, bereits von soziologischen Klassikern der Chicagoer Schule wie W.I. Thomas und F. Znaniecki Anfang der 20er Jahre benutzte qualitative Methode, nach der sich objektive gesellschaftliche Bedingungen in subjektiven Bewusstseinsphänomen spiegeln, hatte bis in die 70er Jahre lediglich den Status eines Material gewinnenden und Hypothesen generierenden Hilfsinstruments. Insbesondere in Reaktion auf makrosoziologische, systemtheoretische und quantitative Forschungsansätze sowie unter der Renaissance der phänomenologischen Soziologie und der Ausbreitung des Symbolischen Interaktionismus während der 80er Jahre entwickelte sich die Biographieforschung als ein eigenständiges, interdisziplinär orientiertes Forschungsfeld mit der bM als zentraler Analysetechnik.

Als Material der bM gelten einerseits geschriebene Lebensläufe, Erinnerungen, Briefe, Tagebücher, die dann insbesondere inhaltsanalytisch ausgewertet werden. Andererseits werden in den letzten Jahren zunehmend ergänzend oder alternativ narrative und Tiefeninterviews eingesetzt, bei denen das Erzählen von Lebensgeschichten als Modus der Material- und Datengewinnung gilt.

Der Vorteil dieses Verfahrens liegt in seiner Praktikabilität; kritisch sind dagegen die durch nachträgliche Rationalisierungen der Probanden möglichen Modifikationen oder Verzerrungen autobiographischer Realität. Zwar lässt sich der menschlichen Fähigkeit, die eigene Biographie infolge sich im Lebenslauf ständig verändernder Bezugspunkte und Reflexionen "sinnhaft" zu (re)konstruieren, nicht grundsätzlich Irrtümlichkeit anlasten. Doch ist hermeneutisch nicht bestimmbar, wann frühere Ereignisse an späteren relativiert oder unangenehme Einsichten etwa im Sinne der Reduktion kognitiver Dissonanz durch angenehmere ersetzt werden. Wenngleich die Art und Weise der subjektiven Verarbeitung sozialer Wirklichkeit für sozialwissenschaftliche Fragestellungen von grundlegender Relevanz ist, ist die Bewertung der Leistungsfähigkeit der bM hinsichtlich der Rekonstruktion sozialexemplarischer Lebensläufe kontrovers.

3.8 Die Sekundäranalyse

Bei der Sekundäranalyse (Sa) handelt es sich um eine Methode der Nutzung der bereits von anderen Forschern oder Institutionen erhobenen, meist quantifizierten Daten oder Datensammlungen (Primäranalyse) für eigene Fragestellungen. Hierbei kann es sich um amtliche (z.B. Statistisches Bundesamt) oder auch um nichtamtliche Datensätze abgeschlossener Umfragen oder empirischer Untersuchungen handeln, die in entsprechenden Datenpools wie dem Kölner Zentralarchiv für empirische Sozialforschung (ZA) als eine Art kollektiver Besitz früher oder später der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zur Neuaufbereitung zur Verfügung stehen. Besonders im Bereich international vergleichender Forschung hat die Sa zur Überprüfung und Kumulierung von Ergebnissen in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen.

Da das jeweilige Datenmaterial von den Untersuchungszielen der Primärerhebungen abhängig ist, sind eigenständigen Problemformulierungen und Fragestellungen unter einem neuen theoretischen Bezugssystem bei der Sa allerdings inhaltliche und methodische Grenzen gesetzt. Ihr Vorteil besteht in der Ersparnis von Zeit- und Kosten, die für die Primärerhebung und die Aufbereitung des Datenmaterials angefallen sind.

3.9 Die Panel-Untersuchung/das Survey

Um Änderungen von Einstellungen und Verhaltensweisen im Zeitverlauf zu analysieren, bedient man sich insbesondere in der Markt- und Meinungsforschung der Panel-Untersuchung (PU). Dabei wird eine einmal ausgewählte Personengruppe zu verschiedenen Zeitpunkten mit dem gleichen Erhebungsinstrument untersucht. Die PU ermöglicht damit eine diachrone Analyse (Längsschnitt) der interessierenden Untersuchungsvariablen unter veränderten Umweltbedingungen oder neuen Außeneinflüssen. Mit einer PU lassen sich somit insbesondere die kurz- und langfristigen Effekte sozialen Wandels empirisch abbilden. Seit 1984 wird in der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise das "Sozio-ökonomische Panel" durchgeführt, das ab 1990 auch auf die neuen Bundesländer ausgeweitet wurde und bei dem jetzt durch die jährlich wiederholte Befragung aller Angehörigen von rund 8.000 Haushalten der Wandel in den Lebensbedingungen und -weisen sowohl im Verlauf des Lebens von Individuen wie im Zusammenhang ihrer familialen bzw. partnerschaftlichen Zugehörigkeiten kontinuierlich beobachtet und analysiert wird.

Kritisch bei der PU sind die hohen Kosten und die sog. Panel-Mortalität (Ausfälle von Probanden, Antwortverweigerungen u.ä.), die Repräsentativitätsverzerrungen auslösen kann und eine zeitintensive "Panelpflege" erfordert. Als weitere Panelprobleme gelten Effekte, die durch wiederholte Befragung derselben Versuchsperson hervorgerufen werden und zu verändertem Reaktionsverhalten führen können. Als Variante der PU gilt das Survey (S), das als Übersichtsstudie oder Trendanalyse auch als "unechte" PU bezeichnet wird. Im Unterschied zur PU ist das S eine wiederholte (replikative) Untersuchung ein und desselben Problems mit zeitlichem Abstand, jedoch bei verschiedenen Stichproben. Damit entfällt die bei der PU gegebene Möglichkeit, Veränderungen bei einzelnen Individuen identifizieren zu können. Lediglich Veränderungen zwischen den jeweiligen Gesamtheiten der Befragten sind feststellbar. Auf der anderen Seite empfiehlt sich das S im Vergleich zur PU unter forschungsökonomischen Gesichtspunkten. Als S-Beispiele seien genannt die seit 1961 im Zusammenhang mit den Bundestagswahlen erfolgenden Wahlstudien, die Aufschluss geben über die Bedingungen des Wahlverhaltens und wahlentscheidende Faktoren, die seit 1978 in unregelmäßiger Folge erhobenen Wohlfahrtssurveys zur Entwicklung der aus objektiven Lebensbedingungen und subjektiven Bewertungen resultierenden Wohlfahrt der Bevölkerung, die seit 1980 in zweijährigem Turnus durchgeführte Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) oder der 1988 erstmals durchgeführte und vom Deutschen Jugendinstitut betreute Familiensurvey.

4. Methodenprobleme

Infolge von Mängeln oder unbeabsichtigten Fehlern bei der Anwendung sozialwissenschaftlicher Methoden können Fakten suggeriert, d.h. so genannte Forschungsartefakte hervorgerufen werden, so dass das Untersuchungsergebnis trügt und keine angemessene Beantwortung der ursprünglichen Forschungsfrage durch die Ergebnisaussagen möglich ist. Erfahrungsgemäß liegen derartigen "Kunst-Produkten" häufig Fehlerquellen im Bereich von Datenerhebung und -auswertung zugrunde.

4.1 Datenerhebungsartefakte

Da die meisten sozialwissenschaftlichen Untersuchungen über soziale Interaktionen und Kommunikationen zwischen mindestens zwei Personen laufen, kann es - beispielsweise durch die Person des Versuchsleiters - zu meist unbewussten und schwer kontrollierbaren Verzerrungen oder Verfälschungen bei der Versuchsplanung und -durchführung kommen: Unter derartigen Versuchsleitereffekten werden höchst diffizile Einflüsse verstanden, die durch äußerliche Merkmale des Versuchsleiters wie Alter, Geschlecht; Habitus (experimenter effect), aber auch durch unbewusst kommunikativ übertragene Signale und Hinweise paralinguistischer (Tonfall, Betonung, Pausen usw.) bzw. mimisch-gestischer Art (Lächeln, Zunicken, sichtbare Entspannung bei Erreichen der "richtigen", - Stirnrunzeln, nervöses Räuspern bei der "falschen" Antwort u. ä.) vermittelt werden (experimenter bias). Insbesondere der "experimenter bias" kann durch die unterschwellig kommunizierten Erwartungshaltungen des Versuchsleiters, seine Kenntnisse der Untersuchungsabsichten usw. die Forschungssituation erheblich beeinflussen und "ungewollt" zu einer Bestätigung der Hypothesen führen.

Bekannt sind auch die Auswirkungen des Halo-Effekts beim Vorgang der Beobachtung. Analog zum "Halo" - dem Lichthof von Sonne und Mond, der angeblich genaue Wetterprognosen erlaubt - wird die wahre Einschätzung einzelner Eigenschaften von Menschen (oder Objekten) irrtümlich geleitet von der subjektiven "Ausstrahlung" oder "Überstrahlung" durch andere hervorstechende Merkmale im Umkreis des betrachteten Sachverhalts bzw. von einem impliziten "Gesamteindruck" seitens der Untersuchenden. Ausstrahlende, zu selektiven Wahrnehmungsprozessen führende Merkmale sind auch hier häufig Alter, Geschlecht, Aussehen, Kleidung, soziale Herkunft, Konfession, Beruf, Sprache/Dialekt, Hautfarbe u. ä. Dies kann dann in Untersuchungen dazu führen, dass bei der Protokollierung der Erhebungssituation und der kategorialen Einordnung bestimmter sozialer Tatbestände Fehler überzufällig häufig im Sinne der Erwartungen und Hypothesen auftreten. Auch auf Seiten der Versuchspersonen gibt es potentielle Tendenzen, in bestimmten Situationen auf angebotene Reize nicht adäquat und flexibel zu reagieren, sondern bestimmten Mustern oder Schemata zu folgen (response sets). Insbesondere bei Fragebogenerhebungen mit vorgegebenen Ja/Nein-Antworten sind so - unabhängig vom Inhalt der vorgelegten Fragen - öfter Ja-Sager-Tendenzen feststellbar. In ähnlicher Weise können Versuchspersonen auch im Widerspruch zu ihren wahren Überzeugungen ihre Verhaltens- und Meinungsäußerungen im Sinne sozialer Erwünschtheit an den von ihnen vermuteten Erwartungen der sozialen Umwelt, etwa des Versuchsleiters oder des Auftraggebers, ausrichten.

4.2 Datenauswertungsartefakte

Die Aufbereitung und Weiterverarbeitung von erhobenen und zu Daten verschlüsselten Informationen erfolgt im Forschungsprozess in der Regel mit den Mitteln der Statistik. Typische Übersetzungsprobleme in diesen mathematischen Bereich entstehen hier aus dem Wechsel von der sprachlichen auf die numerische Ebene, so dass beispielsweise kritisch geprüft werden muss, ob der statistisch exakt gleich definierte und durch identische Zahlenrelationen ausgedrückte Intensitätsabstand zwischen den Antwortkategorien "nie" und "selten" real genau so groß ist wie der zwischen "oft" und "sehr oft". Was für den einen Befragten "oft" ist, bedeutet für den anderen vielleicht nur "öfter". Pseudogenauigkeit wird überdies in vielen Tabellen vorgetäuscht, wenn prozentual mehrere Stellen hinter dem Komma angegeben werden, wo doch schon eine Stelle hinter dem Komma "genau" ist und sogar vielfach auf ganze Zahlen gerundete Prozentwerte ausreichen.

Statistische Methoden sind daher nicht einfach automatisch anwendbar, vielmehr ist zur Umgehung von Artefakten für jede sozialwissenschaftliche Untersuchung neu zu prüfen, inwieweit sie als "Modelle" für den untersuchten Tatbestand geeignet sind. Sind z. B. in einer Untersuchung Unterschiede im Verhalten verschiedener Kategorien von Menschen, etwa zwischen Männern und Frauen, Katholiken und Protestanten, Jugendlichen und Erwachsenen feststellbar, dann wird mit einem sog. Signifikanztest darüber zu entscheiden sein, ob diese Unterschiede nur zufällig sind oder aber so groß (d. h. statistisch signifikant), dass man auf ihrer Basis Aussagen über allgemeinere Hypothesen machen kann. Auf Grund methodologischer Missverständnisse werden jedoch Signifikanztests oft nicht als formale Entscheidungsmodelle über Hypothesen, sondern eher als Messverfahren zur Gütebezeichnung bestimmter Effekte benutzt.

Schließlich werden auch nicht selten Korrelationskoeffizienten als Maß für den statistischen Zusammenhang zwischen zwei oder mehr Variablen kausal interpretiert. So wird beispielsweise aus einem gegebenen Zusammenhang zwischen X und Y geschlossen, X sei die Ursache von Y. Abgesehen davon, dass Y unter Umständen theoretisch auch X bewirken könnte, erweist sich nämlich bei näherer Prüfung manche festgestellte Beziehung zwischen Phänomenen nur als Scheinkorrelation, so dass man bei jeder Kombination von Merkmalen immer wieder prüfen muss, ob nicht eine zunächst verborgene, dann jedoch zu kontrollierende dritte, "intervenierende" Variable (Z) die Annahme einer Kausalbeziehung zwischen X und Y widerlegt oder wenigstens zum Teil miterklärt.

Die Praxis zeigt immer wieder, dass statistisch signifikante Zusammenhänge häufig keine kausalen Erklärungsmuster bieten, sondern lediglich vordergründig rechnerisch vermittelt sein können. D.h., der Prozess der Auswertung und vor allem auch der Interpretation von Daten schließt Schritte ein, das erhobene Material auch unter anderen als den zunächst für bedeutungsvoll erkannten Zusammenhängen und Beziehungen zu untersuchen. Zur Vermeidung von Artefakten sollte eine von der scientific community überprüfbare explizite Darstellung der gewählten theoretischen Perspektiven sowie eine differenzierte Dokumentation und Diskussion der getroffenen methodischen Entscheidungen im Forschungsprozess inzwischen selbstverständlicher Standard sein.

5. Literatur

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Zimmermann, E. (1972): Das Experiment in den Sozialwissenschaften. Stuttgart.

Dieser Text ist unter dem gleichen Titel in leicht abgeänderter Form erschienen in: Wolfgang W. Mickel (Hg.). 1999. Handbuch zur politischen Bildung, Bonn, S. 342-534.
© 1999 Hans Peter Henecka, © 2007 sowi-online e.V., Bielefeld
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