Intervention aus Humanität? Moralisch-politische Urteilsbildung am Beispiel des Kosovos. Ein Unterrichtsbeispiel zu Dilemma-Methode und Urteilsbildung

Michael May

Inhalt

1. Einleitung
2. Ziel der Unterrichtsreihe
3. Die Unterrichtsreihe: Intervention aus Humanität?
3.1 Gliederung der Unterrichtsreihe - Übersicht
3.2 Erläuterung der einzelnen Unterrichtsphasen
I Konfrontation
II Erschließung des Falls (Wir müssen wissen ...)
III Erarbeitung, Klärung und Strukturierung der Argumente
IV Reflexion der Gründe (Wir sollten ...)
V Politische Phase
VI Rückblick
4. Literatur

Materialteil

MI/1 Das Schicksal der Familie Ahmeti im Dorf Lukoshan
MII/1 Regelungen des Völkerrechts - Die Charta der UNO (Auszug)
MII/2 Die politische Entwicklung des Kosovo seit 1945 - Die Chronik des Konflikts
MII/3 Karte - Nationalitäten in Jugoslawien (Hinweise)
MIII/1 Material zum Rollenspiel - Bundesrepublik Jugoslawien
MIII/2 Material zum Rollenspiel - Kosovo
MIII/3 Material zum Rollenspiel - Russland
MIII/4 Material zum Rollenspiel - Deutsches Außenministerium
MIII/5 Material zum Rollenspiel - Deutsches Verteidigungsministerium
MIII/6 Kleines Glossar
FML/1 Es wird ein Präzedenzfall geschaffen
DML/1 Die Stufen der Moralentwicklung nach Kohlberg

 

1. Einleitung

Der Konflikt im Kosovo wird von Schülern wahrscheinlich unter dem Aspekt der humanitären Dringlichkeit wahrgenommen. Die Präsenz des Konfliktes in den Medien (zerstörte Dörfer, fliehende und tote Menschen) wirken als Anstoß, sich eine Meinung zu bilden, sich dazu zu äußern und z. B. Maßnahmen zur Abhilfe dieser Situation zu fordern.

Eine weitere, für die Schüler erst im Verlauf der Unterrichtsreihe wichtiger werdende Motivation für die Auseinandersetzung mit dem Thema, leitet sich aus dem Wissen um eine interdependente Welt ab. Ökonomische, ökologische und militärische Krisen berühren eine zunehmende Zahl von Interessen internationaler Akteure (1). Dies ist - mit Ausnahme der ökologischen Probleme - eine Entwicklung, die schon früh einsetzte. Weltkriege und Weltwirtschaftskrise sind Symptome dieses Prozesses.

Krisen in einer interdependenten Welt besitzen ein desintegratives Potenzial, oder - konkreter für unseren Fall formuliert - regionale Kriege gefährden den Frieden von Erdteilen, ja der ganzen Welt. Dieser Tatsache, die in schrecklicher Weise durch die beiden Weltkriege zu Bewusstsein gekommen ist, versuchte man schon in der ersten Hälfte unseres Jahrhundert u. a. durch die regulierenden Instanzen des Völkerbundes (1919) und später der UNO (1945) zu begegnen. Zwar war der UNO bis jetzt ein längeres Leben als dem Völkerbund beschieden, allerdings muss man die integrierende Relevanz der UNO während des Ost-West-Konfliktes bezweifeln. Integration war vielmehr gewährt durch das ‘Gleichgewicht des Schreckens' und die damit einhergehende Blockbindung. Das Wissen um die Folgen einer nuklearen Auseinandersetzung verlieh dem Ost-West-Konflikt eine gewisse Stabilität (2) (vor allem nach der Kuba-Krise 1962 (3)).

Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes ist diese Integration auf Grund von Blockdisziplin einerseits und der Aussicht einer nuklearen Katastrophe anderseits weggefallen. Die Folgen sind Regionalisierung und das Aufkochen alter Rivalitäten und Interessengegensätze (4). Der Problemzusammenhang zwischen Interdependenz und Krise, wie ihn die Gründerväter des Völkerbundes und der UNO [/S. 86:] vor Augen gehabt haben müssen, gewinnt wieder an Brisanz: ursprünglich regionale Krisen lassen sich immer schwerer auf die Region begrenzen.

Beide Motivationen (humanitäre Dringlichkeit und Eskalationsgefahr) sind letztlich moralische Bedenken, da es um Werte geht, die man durch den Konflikt gefährdet glaubt (Menschenrechte und Frieden). Von diesem moralischen Aspekt ausgehend wird in der Unterrichtsreihe ein moralisch-politisches Dilemma entwickelt, indem dem moralischen Tatendrang bestehende Regelungen gegenübergestellt (Völkerrecht) und die möglichen Folgen und Nebenfolgen einer Entscheidung mit bedacht werden. Der Zugriff auf das Fachwissen wird entsprechend dieser didaktischen Vorüberlegung organisiert.

2. Ziel der Unterrichtsreihe

In einer Situation, in der die alte Integrationsklammer des Ost-West-Konfliktes ohne Ersatz weggefallen ist; in der die Welt zum 'global village' wird, in welchem für die Nationalstaaten die internationale Ebene immer mehr den Charakter einer bloßen Umwelt verliert; in der deshalb relativ folgenlose regionale Konflikte immer unwahrscheinlicher werden, ermöglicht nur die gemeinsame Suche nach Integrationsmechanismen eine möglichst viele Akteure befriedigende und somit erfolgreiche Integration (5). Nur so kann vermieden werden, dass Konfliktstoff weitertransportiert wird.

 

These 1: Auf das Individuum bezogen handelt es sich bei diesem Prozess der Suche nach Integrationsmechanismen um moralisch-politische Urteilsbildung. Integration erfolgt dann durch die Akzeptanz ausgehandelter moralisch-politischer Normen, die durch Sanktionen bekräftigt werden.

 

Die soziologisch fassbaren Desintegration der Gesellschaft (durch Ausdifferenzierung und Hierarchisierung von Subsystemen) geht mit der Schwierigkeit einher, feste Identitäten zu bilden (6). Alte, einst unbefragte Werte gelten nicht mehr oder werden zumindest fragwürdig und verhindern (neben der Integration der Gesellschaft) auch die Beantwortung der Fragen eines jeden Einzelnen: "Wer bin ich?" oder: "Was macht meine Person, mein Ich aus?".

Dies wird noch verkompliziert, weil die Ausdifferenzierung von gesellschaftlichen Subsystemen mit einer wachsenden Interdependenz der internationalen Gemeinschaft, d. h. mit einer globalen Ausdehnung dieser Subsysteme einhergeht. Identitätsprobleme entstehen somit nicht nur durch die funktionale Differenzierung nationaler Systeme. Die Konfrontation mit den kulturellen Spezifika und Interessen anderer Nationen, die durch die gegenseitige Abhängigkeit relevant geworden sind, fordert vom Individuum neue Maximen, die sich nicht nur an nationalen oder regionalen Interessen orientieren und somit die Ausweitung der Identität über die Ländergrenzen hinaus. Nationale Schemata reichen für die Beantwortung der Frage: "Wer bin ich?" oder: "Wer will ich sein?" nicht mehr aus. Soll die Irritation durch diese Konfrontation überwunden werden, muss individuelle Identität um ein globales Element erweitert werden. [/S. 87:]

 

These 2: Auf das Individuum bezogen handelt es sich bei dieser neuen Identitätsfindung um moralisch-politische Urteilsbildung.

 

Begründung der Thesen: Im Anschluss an Lawrence Kohlberg ist auf die identitätsbildende und integrierende Kraft von moralischen Dilemmata hingewiesen worden (7). Moralische Dilemmata, also Entscheidungsfragen zwischen dem Individuum gleich wichtig erscheinenden Werten, sind in der Lage, Verschiedenes zu leisten. Zunächst thematisieren sie die Situation, die zu Desintegration und der Schwierigkeit, feste Identitäten zu bilden, führt, nämlich die Tatsache, dass in der heutigen Welt althergebrachte Normen und Werte durch andere hinterfragt werden. Die Situation, die zu Orientierungslosigkeit und zum Abbruch alter Kommunikationsschemata führen kann, wird mit der Konfrontation mit einem Dilemma in den Klassenraum geholt.

Weiterhin nötigt ein klar formuliertes Wertedilemma zur bewussten Wahrnehmung desselben, zu einer Entscheidung des Dilemmas und vor allem zu einer Begründung der Entscheidung. Die Begründung wird nötig, weil sich das Individuum durch eine Entscheidung und somit durch die Verletzung eines Wertes in einem Rechtfertigungszwang wieder findet (8). Es ist diese Explikation von Maximen, also von Prinzipien, die hinter der Entscheidung stehen, die das Individuum motiviert, sich darüber klar zu werden, ob diese Prinzipien mit seinem Selbst vereinbar sind, d. h. die Frage zu beantworten, wer es ist bzw. sein will. Hieraus entspringt die identitätsstiftende Kraft.

Nun ist Zweifel darüber angebracht, dass das Dilemma auch integrierend wirken kann. Dies könnte man nur annehmen, wenn man allen Individuen bei der Entscheidungsfindung die Teilnahme an einer Vernunft unterstellte, sodass sie sich in ihrem Wollen an einem Sittengesetz ausrichteten (9). Jedoch kann Integration auch gefördert werden, wenn man die Entscheidungsfindung als eine in Auseinandersetzung mit Anderen stattfindende denkt. Der Diskurs führt zu einer Einbeziehung anderer Meinungen (Identitäten) in die eigene Entscheidungsfindung (und somit Identitätsfindung!). Wenn Integration heute, wo übergreifende Wertvorstellungen gerade auf der internationalen Ebene nicht existieren, möglich sein soll, dann nur auf diese Art und Weise (10).

Sicherlich kann eine Dilemmastunde nicht die persönlichen und gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit lösen. Aber sie kann Bewusstmachungsprozesse und Problemlöseschemata fördern, die zur Lösung dieser Probleme unerlässlich sind. "Lern- und Entwicklungsvorgänge, die auf das individuelle Urteilen zielen und in sozialer Auseinandersetzung organisiert sind, stellen die einzig sichtbare Klammer zwischen den Aufgaben des Erwerbs persönlicher Identität und der Herstellung gesellschaftlich-politischer Integration dar" (11). (Hervorh. d. Verf.)

Im Kosovo-Konflikt, der faktisch eine innere Angelegenheit Jugoslawiens ist, besteht das Dilemma der Staatengemeinschaft darin, dass eine Respektierung der nationalen Souveränität Jugoslawiens ein Eingreifen - zum Schutze der Betroffenen oder um eine Eskalation zu verhindern - unmöglich macht (nationale vs. allgemeinmenschliche Werte). Die Situation wird noch schwieriger, wenn man bedenkt, dass das Prinzip der nationalen Souveränität völkerrechtlich verankert ist (Charta der UNO) und gerade aus dem Versuch erwächst, den Frieden zu wahren. Es sei dahingestellt, ob das Dilemma erfahren wird als 'nationale Werte vs. menschliche Werte' [/S. 88:] oder 'menschliche Werte vs. Geltung des Völkerrechts (und damit nationale Werte)'. In jedem Fall ist diese Unsicherheit ein Beispiel für die beschriebene Situation: Weder Integration noch die Bildung fester Identitäten lassen sich durch ein bloßes Festhalten an alten Schemata erreichen. Deshalb ist diese Unsicherheit der Ausgangspunkt für eine neue moralisch-politische Urteilsbildung.

Die herrschende Idee des souveränen Staates und das jetzige Völkerrecht werden die Staatengemeinschaft in Zukunft noch gehäuft vor diese Entscheidungsfragen stellen. Der Konflikt im Kosovo hat somit exemplarischen Charakter.

3. Die Unterrichtsreihe: Intervention aus Humanität?

3.1 Gliederung der Unterrichtsreihe - Übersicht

Die für die Unterrichtsreihe benötigten Stunden hängen von der jeweiligen Klassenstufe ab und sind vom Lehrer individuell zu planen. Auf das nötige Material für den Unterricht wird im Text an entsprechender Stelle durch folgende Abkürzungen hingewiesen. Z. B.: MI/1 (Material zur Unterrichtsphase I/Nr. 1), FML (Fachliches Material für den Lehrer), DML (Didaktisches Material für den Lehrer). [die Materialien finden sich am Ende dieses Textes; d. Red.].

 

Unterrichtsphase Arbeitsschritt Sozialform Medien
Material
I Konfrontation und erste Reaktion a) Konfrontation: das Schicksal einer Familie/eines
Dorfes im Kosovo
Einzelarbeit MI/1 (Text)
b) spontane Phase der Reaktion; L: „Was sagt ihr dazu?"; S: „Sollen wir eingreifen?"; „Wir müssen was unternehmen" (Was sollen wir tun? +Abstimmung); S: „Gibt es schon Regelungen?"; „Dürfen wir überhaupt eingreifen?" (Was müssen wir wissen?) Unterrichtsgespräch  

c) Überleitung der Äußerungen in zwei systematische
Fragen:

  • Was müssen wir wissen?
  • Was sollen wir tun?
Unterrichtsgespräch Tafel
II Erschließung des
Falls (Wir müssen wissen ...)
Gibt es Regelungen, die Anwendung auf die Situation im Kosovo finden können? (FML/1)

Arbeitsphase: [/S. 89:]

  • Erarbeitung der Regelungen: In welchen Fällen ist Gewaltanwendung gemäß Völkerrecht erlaubt? Die Möglichkeiten der Intervention durch die Charta der UNO
Einzelarbeit in Kleingruppen MII/1 (Charta der UNO)
  • Erarbeitung des Konflikts: geo-politische und historische Fassung des Konflikts, Erkennen von Konfliktparteien und Interessengegensätzen
Einzelarbeit in Kleingruppen MII/2 (Chronik des Konflikts)
MII/3 (Karte Jugoslawiens)
  • Entscheidung auf der Grundlage der erarbeiteten Informationen: Ist ein Intervenieren im Kosovo gemäß der Charta erlaubt?

Auswertungsphase:

  • Ergebnispräsentationen der Gruppen
Diskussion in der Gruppe
III Erarbeitung, Klärung und Strukturierung der Argumente a) Rollenspiel: Intervention im Kosovo? - Krisensitzung in der deutschen Botschaft in Belgrad

 

MIII (Rollenkarten; Texte aus Zeitungen und wiss. Publikationen)
  • Festlegung der Parteien (Bundesrepublik Jugoslawien, Kosovo, Moskau, dt. Außen- und Verteidigungsministerium)
Unterrichtsgespräch
  • Formulieren der jeweiligen Argumente anhand von Material
Gruppenarbeit
  • Rollenspiel / Zuschauer notieren Argumente pro und contra
Rollenspiel
b) Strukturierung der Argumente (pro und contra) Unterrichtsgespräch Tafel
IV Reflexion der Gründe (Wir sollten...)
a) Formulierung der uns am wichtigsten erscheinenden Dilemmata (möglichst nur eins), wenn nötig durch Abstimmung Unterrichtsgespräch (DML/1) Tafel
b) Abstimmung: Entscheidung des Dilemmas
 
c) alle oder einzelne Schüler begründen ihre Entscheidung
[/S. 90:]
Gespräch, Diskurs
V Politische Phase a) Ausweitung der Argumentation durch verantwortungsethische Argumente
  • Erarbeitung eines Schemas (moralische Überzeugung / Folgen und Nebenfolgen)
  • erneute Abstimmung
Unterrichtsgespräch Tafel
b) Sollten wir das bestehende Recht ändern?
  • Was sollte geändert werden?
  • Ergebnispräsentation
Einzelarbeit
VI Rückblick Reflexion des Ablaufs der Unterrichtsreihe
  • Erarbeitung der Spezifität der jeweiligen Unterrichtsphase
  • Diskussion der Abfolge der Unterrichtsphasen
Unterrichtsgespräch  

 

3.2 Erläuterung der einzelnen Unterrichtsphasen

I Konfrontation

a) Durch die Konfrontation mit dem Schicksal eines Dorfes/einer Familie im Kosovo (MI/1) soll der Kosovo-Konflikt in den Fragehorizont der Schüler gerückt werden (Textarbeit).

b) Sie soll eine erste Reaktion, Stellungnahmen und Äußerungen der Schüler provozieren (L: „Was sagt ihr dazu"?" S: „Darf Serbien das?", „Wer ist schuld daran?", „Kann man nichts unternehmen?", „Wir dürfen uns da nicht einfach raushalten!", „Gibt es schon Regelungen?"). An dieser Stelle erfolgt eine erste Abstimmung über eine mögliche Intervention.

Die (12) Konfrontation zielt letztlich auf das Äußern von Entsetzen angesichts des Mordens und der Vertreibungen im Kosovo. Deswegen werden die Schüleräußerungen eher das Unrecht an Menschen thematisieren und nicht die Risiken für das internationale System (wie in der Einleitung erwähnt). Die Gefahren für Europa können erst später deutlich werden, wenn es um die Bedeutung des Völkerrechts geht und das Ausmaß der beteiligten Interessen deutlich geworden ist. Wenn die Möglichkeit einer Intervention von den Schülern nicht in Erwägung gezogen wird, ist es sinnvoll, sie hier auf die Diskussion innerhalb der NATO aufmerksam zu machen. - Die Abstimmung soll die Möglichkeit eröffnen, diese mit der Abstimmung am Ende der Unterrichtsreihe zu vergleichen. Meinungsänderungen durch moralisch-politische Bildung können so nachvollzogen werden.

c) Die erste Reaktion muss schließlich in zwei systematische Fragen überführt werden (Unterrichtsgespräch).

1) Was sollen wir tun? („Wir dürfen uns da nicht einfach raushalten!") [/S. 91:]

2) Was müssen wir wissen? („Darf Serbien das?", „Gibt es Regelungen?")

Die zweite Frage muss bei Bedarf vom Lehrer stimuliert werden („Können wir überhaupt entscheiden, ob wir intervenieren oder nicht?").

In der ersten Frage äußert sich der Wunsch, dem humanitären Notstand irgendwie Abhilfe zu schaffen. Die Frage Was sollen wir tun? kann hier allerdings noch nicht als eine dilemmatische verstanden werden. Jedoch wird durch die Frage Was müssen wir wissen? schon klar, dass die erste Frage in ein Dilemma führen könnte. Daraus ergibt sich die Logik des nächsten Schrittes, nämlich die Suche nach Regelungen, die unseren Wunsch nach Abhilfe irgendwie hindern könnten und uns somit mit einem Dilemma konfrontieren würden.

II Erschließung des Falls (Wir müssen wissen ...)

Im zweiten Unterrichtsschritt wird der Fall insofern erschlossen, als in Anschluss an den ersten Unterrichtsschritt nach bestehenden Regelungen gefragt wird und untersucht wird, ob das Regelsystem (Völkerrecht) auf den Kosovo-Konflikt Anwendung finden kann (FML/1).

Denn: Erst die Erkenntnis, dass hinsichtlich der Situation im Kosovo laut Völkerrecht eine Intervention nicht ohne weiteres möglich ist, lässt uns den Fall im Kosovo als ein Dilemma erfahren (humanitärer Notstand vs. Bedeutung des Völkerrechts (für den Frieden)). Hier wird deutlich, dass dieser Unterrichtsschritt der Erschließung des Falls notwendig ist, weil die Kenntnis des Völkerrechts nicht ohne weiteres bei den Schülern vorausgesetzt werden kann, gleichzeitig aber für die Wahrnehmung des Dilemmas unerlässlich ist. Bei anderen Werte-Dilemmata ist dieser Schritt mitunter nicht nötig, weil die sich widersprechenden Werte von vornherein klar sind (durch Sozialisation).

Im ersten Arbeitsschritt wird die Frage geklärt, ob es Regelungen für einen solchen Fall gibt (Textarbeit). Dabei soll die Arbeit mit der Charta der UNO im Mittelpunkt stehen. (MII/1). Zu erarbeitende Bestimmungen der Charta sind:

  • Gewaltverbot der souveränen Mitgliedsstaaten der UNO (Kap. I, Art. 2);
  • Aufgaben des Sicherheitsrates (Kap. V); Befugnisse des Sicherheitsrates: nicht-militärische und militärische Maßnahmen bei Gefährdung des Weltfriedens unter Wahrung des Rechts der einzelnen Staaten auf militärische Selbstverteidigung (Kap. VII).

Wenn die bestehenden Regelungen klar sind, muss geprüft werden, welche Konsequenzen diese Regelung für den Wunsch einer Intervention hat. Ist im Kosovo eine Intervention möglich? Um dies zu prüfen, ist es sinnvoll, den Konflikt in seiner historischen und geo-politischen Spezifität zu umreißen (Textarbeit mit Karte, MII/2 und MII/3).

Denn: Erst wenn man sich Klarheit darüber verschafft hat, worum es im Konflikt geht und wer daran beteiligt ist, kann man überprüfen, ob die Charta der UNO ein Instrument zur Intervention sein kann. Es wird sich im Anschluss an diesen Arbeitsschritt sehr schnell herausstellen, dass es Schwierigkeiten bereitet, die UN-Charta zu Gunsten einer Intervention zu interpretieren. [/S. 92:]

Es muss also deutlich werden, weshalb eine Intervention problematisch wäre (Gruppendiskussion mit anschließender Ergebnispräsentation). Argumente dafür, die nun von den Schülern erkannt werden müssen, lauten z. B.:

  • keine Auseinandersetzung souveräner Staaten - innere Angelegenheit Jugoslawiens;
  • der Selbstverteidigungsfall eines anderen Landes (z. B. Albanien) ist nicht eingetreten.

Am Ende dieser Unterrichtsphase hat uns das Völkerrecht hinsichtlich des Wunsches zu intervenieren in ein Dilemma geführt. In der nächsten Unterrichtsphase soll dieses Dilemma klar zu Bewusstsein gebracht und in seiner Komplexität deutlich gemacht werden.

III Erarbeitung, Klärung und Strukturierung der Argumente

Dieser Unterrichtsschritt dient dazu, die Argumente eines Für und Wider einer Intervention zu klären (zu erarbeiten). Es erfolgt hier eine Ausweitung der Argumente, die für ein Für und Wider relevant sind.

a) Die Klärung der Argumente erfolgt durch ein Rollenspiel (Intervention im Kosovo? -Krisensitzung in der deutschen Botschaft in Belgrad), das eine Besprechung in der deutschen Botschaft in Belgrad zum Zwecke der Konfliktbeilegung simuliert. Ein Teilaspekt der Besprechung, der simuliert werden soll, betrifft die Frage: Soll und darf man im Kosovo intervenieren? Anlass der Besprechung sind die Erwägungen der NATO, militärisch gegen die Serben vorzugehen, wenn sie ihre Truppen nicht abziehen. Zunächst erfolgt die Festlegung der teilnehmenden Parteien (Unterrichtsgespräch). Notwendige Parteien sind: Vertreter der Bundesrepublik Jugoslawien, des Kosovo, Russlands sowie des deutschen Außen- und Verteidigungsministeriums.

Die Argumente der verschiedenen Parteien werden in Gruppenarbeit zusammengestellt. Rollenkarten mit entsprechendem Material bilden die Grundlage der Gruppenarbeit (MIII). Ein (oder zwei) Vertreter der jeweiligen Gruppe bereiten sich auf das Rollenspiel vor.

Der Lehrer ist der Leiter der Besprechung und eröffnet diese. Die Zuschauer bekommen den Auftrag, die Argumente des Rollenspiels aufzuschreiben (pro und contra).

b) In der Auswertung werden die im Rollenspiel vorgebrachten Argumente geordnet (Unterrichtsgespräch, Tafel/OHP). Dabei werden sich Argumente überschneiden, die sich einerseits auf das Sollen und andererseits auf das Dürfen beziehen. Mögliche Argumente sind: [/S. 93:]

 

  pro contra
Sollen wir eingreifen? Menschen werden ermordet und unterdrückt. Wir riskieren durch eine Intervention die Aufweichung des Völkerrechts und damit den Frieden.
Die UNO und NATO müssen Stärke beweisen, um überhaupt noch ernst genommen zu werden Wir müssen Moskaus Drohungen ernst nehmen.
Der Frieden in der Region ist gefährdet, Eskalation ist nicht ausgeschlossen. Wir müssen uns an das Recht halten.
Dürfen wir eingreifen? Wir dürfen auch ohne Mandat der UNO eingreifen, weil der Sicherheitsrat nicht mehr entscheidungsfähig ist. Die UN-Charta verbietet den Einsatz von Gewalt ohne Mandat.
Wir dürfen und sollten mit UNO-Mandat eingreifen, weil der Frieden in der Region gefährdet ist. Der Konflikt ist eine innere Angelegenheit eines souveränen Staates und fällt somit nicht in die Zuständigkeit der UNO

 

IV Reflexion der Gründe (Wir sollten ...)

Die Reflexion der Gründe erfolgt in zwei Schritten. Zunächst (a) werden die Entscheidungsfragen, die uns am wichtigsten erscheinen, formuliert (nach dem Schema: Sollen wir... oder...?). Danach (b) erfolgt eine Abstimmung über das/die zuvor formulierte/n Dilemma/ta und die Rechtfertigung der Entscheidung, d. .h. die eigentliche Reflexion.

a) Die Formulierung der für uns wichtigsten Entscheidungsfrage, die mit Hilfe der zuvor geordneten Argumente geschehen soll, zwingt zur Gewichtung der Argumente. Manchen Argumenten wird mehr Bedeutung beigelegt als anderen. Die Klasse sollte sich dabei auf so wenig wie möglich wichtige Entscheidungsfragen einigen, am besten nur eine (Unterrichtsgespräch). Die wichtigsten Dilemmata werden formuliert und an der Tafel oder auf dem OHP festgehalten.

Es ist anzunehmen, dass bei der Formulierung der Entscheidungsfragen, also bei der Gegenüberstellung von Argumenten (und deren Begründung) die Schüler nicht auf bloß einer Stufe der Kohlbergschen Hierarchie (DML/1) argumentieren. Eine solche Entscheidungsfrage, wie sie die Schüler eher selten formulieren werden, würde zum Beispiel auf der 6. Stufe Kohlbergs eine zwischen zwei universalen Prinzipien sein. Ein solches Dilemma könnte z. B. lauten:

  • Sollen wir eine humanitäre Intervention angesichts der sterbenden und flüchtenden Menschen unternehmen oder (durch Achtung des Völkerrechts) eine friedliche und stabile Zukunft sichern? [/S. 94:]

Hier werden die zwei universalen Prinzipien Menschenrechte und Frieden gegenübergestellt. Im Normalfall jedoch dürften die Schüler Argumente gegenüberstellen, die auf unterschiedlichen Stufen der Kohlbergschen Hierarchie anzusiedeln sind. Z. B.:

  • Sollen wir eine humanitäre Intervention unternehmen oder das Recht (Völkerrecht) wahren?
  • Sollen wir eine humanitäre Intervention unternehmen oder die Konfrontation mit den Gegnern der Intervention (Russland, China) vermeiden?
  • Sollen wir eine Konfrontation mit den Gegnern der Intervention vermeiden oder eine bedeutende Rolle im internationalen System spielen?
  • ...

Diese Erfahrung einer dilemmatischen Situation durch das Gegenüberstellen von Argumenten, die unterschiedlichen moralischen Entwicklungsstufen entspringen, ist förderlich, denn die Konfrontation mit Argumenten, die ‘höher' angesiedelt sind, ermöglicht die Entwicklung moralischer Urteilsstrukturen (13).

An dieser Stelle wird es auch möglich, dass bei der Suche nach Argumenten und der Formulierung der Entscheidungsfragen das Argument der Interdependenz und der damit einhergehenden Eskalationsgefahr mit verwendet wird. Denn bei der historischen und geo-politischen Erfassung des Konflikt müssen die involvierten Interessen deutlich geworden sein. Eine entsprechende Entscheidungsfrage könnte lauten:

  • Sollen wir eine Eskalation des Konfliktes (durch eine Intervention) vermeiden oder sollen wir den Frieden durch Achtung des geltenden Völkerrechts sichern?

Die Fülle der möglichen Entscheidungsfragen, die in diesem Fall enthalten sind, machen eines deutlich: Beim Kosovo-Konflikt geht es eben nicht nur um eine Entscheidung zwischen universalen Prinzipien, sondern auch um Fragen der Kompetenz und Macht. Diese Mischung ist es, die für Politik charakteristisch ist.

b) Im zweiten Schritt erfolgt die Entscheidung des/der Dilemma/s/ta durch eine Abstimmung. Hier werden die Schüler nochmals dazu angehalten, eine Gewichtung der Argumente vorzunehmen. Die Schüler werden sodann durch den Lehrer aufgefordert, ihre persönliche Entscheidung zu begründen (alle Schüler nacheinander oder einzelne Schüler). Die Schüler müssen sich bei dieser Rechtfertigung die Bedeutung der von ihnen verwendeten Argumente bewusst machen. Sie müssen sich klar machen, dass und warum sie eine bestimmte Art von Argumenten besser finden als andere.

V Politische Phase

In der Phase der Politisierung geht es darum zu überlegen, (a) welche konkreten Ergebnisse wir im Falle eines Eingreifens erwarten können und (b) ob die bestehenden Regelungen von uns noch gewollt werden können ... [/S. 95:]

a) In diesem Arbeitsschritt soll die im engeren Sinne moralische Urteilsfindung auf ihre praktische Durchführbarkeit untersucht werden. Diesem Arbeitschritt liegt die Unterscheidung von Max Weber zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik zu Grunde. Als verantwortungsethisch nicht richtig gelten z. B. gesinnungsethische Handlungen, die keine Aussicht auf Erfolg haben oder die das handelnde Subjekt selbst in seiner gegenwärtigen Existenz in Frage stellen (14). Dabei ist es zweitrangig, wie die gesinnungsethische Abstimmung zuvor ausgefallen ist; diese kann mit der verantwortungsethischen Argumentation gestützt oder in Frage gestellt werden. Hier geht es um eine andere, für Politik im höchsten Maße relevante Art von Argumenten.

Der Lehrer motiviert die Schüler, über die Frage der praktischen Durchführbarkeit einer Intervention nachzudenken. Er fragt, ob und wenn ja was man im Falle des Kosovo mit einer Intervention eigentlich bewirken kann, ob die Anwendung militärischer Gewalt erfolgreich sein kann, ob es gerechtfertigt ist, eigene Soldaten in eine möglicherweise von vornherein aussichtslose Lage zu schicken (Unterrichtsgespräch). An der Tafel werden die moralische Überzeugung und die Folgen und Nebenfolgen gegenübergestellt. Es erfolgt eine letzte Abstimmung.

b) Wie auch immer die Entscheidung des Dilemmas ausfällt, die Frage, ob wir die bestehenden Regelungen weiterhin akzeptieren wollen, ist notwendig, um die persönliche Urteilsbildung in politische Forderungen (und Aktivität) überzuleiten (15). Moralisch-politische Urteilsbildung soll handlungsrelevant sein.

Es ist möglich, dass die Frage, ob man die bestehenden Regelungen nicht ändern könne, schon früher gestellt wurde. Wenn dies nicht der Fall war, kann der Lehrer diese Frage selbst stellen. Wenn hier durch Schüler entgegengehalten wird, dass man das Völkerrecht doch nicht einfach ändern könne, muss deutlich gemacht werden, dass das Völkerrecht sich in einer Entwicklungsphase befindet. - Bei diesem Arbeitsschritt überlegen die Schüler, ob sie die Rahmenbedingungen, die zum moralischen Dilemma führten (UN-Charta), noch für sinnvoll halten und, wenn nicht, welche Elemente gestrichen, geändert oder ergänzt werden sollten (Einzelarbeit mit der Charta). Verschiedene Schüler stellen ihr Ergebnis vor und begründen es.

VI Rückblick

Schließlich werden in der letzten Unterrichtsphase Spezifität und Abfolge der vorausgegangenen Unterrichtsphasen reflektiert. Der Lehrer regt die Schüler an, darüber nachzudenken (Unterrichtsgespräch), was bei den jeweiligen Unterrichtsphasen thematisiert wurde, wie dies die Meinung der Klasse (Abstimmungen) beeinflusste und wie sich dann die nächste Fragestellung der Unterrichtsreihe ergab. Der komplizierte Prozess der moralisch-politischen Urteilsbildung wird somit für die Schüler transparent. Die Vielzahl der möglichen Argumente wird erneut in Erinnerung gerufen. Im Idealfall erfahren die Schüler, dass gute Argumente urteilsbestimmend und -ändernd sein können. [/S. 96:]

Anmerkungen:

(1) Vgl. Kaiser, Karl/May, Bernhard: Weltwirtschaft und Interdependenz. In: Kaiser, Karl/Schwarz, Hans-Peter (Hg.): Die neue Weltpolitik. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 1995. S. 396-402; Simonis, Udo Ernst: Globale Umweltprobleme. In: Kaiser/Schwarz: a. a. O. S. 123-132; Matthies, Volker: Regionale Anarchie als globales Problem. In: Kaiser/Schwarz: a. a. O. S. 169 ff.

(2) Vgl. Lübkemeier, Eckhard: Nukleare Rüstung und Rüstungskontrolle. In: Woyke, Wichard (Hg.): Handwörterbuch Internationale Politik. 6. Aufl. Opladen 1995. S. 352.

(3) Vgl. ebd. S. 352.

(4) Vgl. Czempiel, Ernst-Otto: Weltpolitik im Umbruch. Das internationale System nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. 2. Aufl. München 1993. S. 52-57.

(5) Auch Wolfgang Mickel betont Interdependenz als einen leitenden Aspekt politischer Bildung auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen. Vgl. Mickel, Wolfgang W.: Europabezogenes Lernen. In: Sander, Wolfgang (Hg.): Handbuch politische Bildung. Schwalbach/Ts. 1997. S. 412 ff.

(6) Vgl. Reinhardt, Sibylle: Braucht die Demokratie politische Bildung? Eine nur scheinbar absurde Frage. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitschrift Das Parlament (APuZ). 47/1996. S. 9.

(7) Vgl. ebd. S. 16.

(8) Vgl. ebd. S. 16.

(9) Vgl. Kant, Immanuel: Metaphysik der Sitten. 1996 (zuerst 1786). Reclam. S. 114 f.

(10) Die Frage, die hier kritisch gestellt werden muß, ist, welche Motivation der Einzelne hat, sich auf den Diskurs, auf die andere Meinung überhaupt einzulassen. Vgl. dazu die Antwort von Habermas, Jürgen: Treffen Hegels Einwände gegen Kant auch auf die Diskursethik zu? In: Ders.: Erläuterungen zur Diskursethik. 2. Aufl. Frankfurt/Main 1992. S. 14 ff.

(11) Reinhardt: a. a. O. S. 9 f. (Anmerkung 6).

(12) Textpassagen, die die Logik des jeweiligen Unterrichtsschrittes erklären, sind kursiv, diejenigen, die den Ablauf des jeweiligen Unterrichtsschrittes schildern, normal gedruckt.

(13) Vgl. Kohlberg, Lawrence: Kognitive Entwicklung und moralische Erziehung. In: Politische Didaktik. Vierteljahresschrift für Theorie und Praxis des Unterrichts. 3/1977. S. 18.

(14) Vgl. Weber, Max: Politik als Beruf. (1919). In: Ders.: Gesammelte politische Schriften. Herausgeg. von Johannes Winckelmann. 5. Aufl. Tübingen 1988. S. 505-560.

(15) Vgl. Reinhardt, Sibylle: Werte-Wandel und Werte-Erziehung - Perspektiven politischer Bildung. In: Buchen, Silvia/Weise, Elke (Hg.): Schule und Unterricht vor neuen Herausforderungen. Weinheim 1995. S. 125.

4. Literatur

Czempiel, Ernst-Otto (1993): Weltpolitik im Umbruch. Das internationale System nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. 2. Aufl. München 1993.

Habermas, Jürgen (1992): Treffen Hegels Einwände gegen Kant auch auf die Diskursethik zu? In: Ders.: Erläuterungen zur Diskursethik. 2. Aufl. Frankfurt/Main 1992. S. 9-30.

Kaiser, Karl/May, Bernhard (1995): Weltwirtschaft und Interdependenz. In: Kaiser, Karl/Schwarz, Hans-Peter (Hg.): Die neue Weltpolitik. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 1995. S. 396-402.

Kant, Immanuel (1996): Metaphysik der Sitten. Stuttgart 1996 (zuerst 1786). [/S. 97:]

Kohlberg, Lawrence (1977): Kognitive Entwicklung und moralische Erziehung. In: Politische Didaktik. Vierteljahresschrift für Theorie und Praxis des Unterrichts. 3/1977. S. 5-19.

Lübkemeier, Eckhard (1995): Nukleare Rüstung und Rüstungskontrolle. In: Woyke, Wichard (Hg.): Handwörterbuch Internationale Politik. 6. Aufl. Opladen 1995. S. 352-360.

Simonis, Udo Ernst (1995): Globale Umweltprobleme. In: Kaiser, Karl/Schwarz, Hans-Peter (Hg.): Die neue Weltpolitik. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 1995. S. 123-132.

Matthies, Volker (1995): Regionale Anarchie als globales Problem. In: Kaiser, Karl/Schwarz, Hans-Peter (Hg.): Die neue Weltpolitik. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 1995. S. 166-176.

Mickel, Wolfgang W. (1997): Europabezogenes Lernen. In: Sander, Wolfgang (Hg.): Handbuch politische Bildung. Schwalbach/Ts. 1997. S. 412-428.

Reinhardt, Sibylle (1995): Werte-Wandel und Werte-Erziehung. Perspektiven politischer Bildung. In: Buchen, Silvia/Weise, Elke (Hg.): Schule und Unterricht vor neuen Herausforderungen. Weinheim 1995. S. 117-145.

Reinhardt, Sibylle (1996): Braucht die Demokratie politische Bildung? Eine nur scheinbar absurde Frage. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitschrift Das Parlament (APuZ). B 47/96. S. 9-22.

Weber, Max (1919): Politik als Beruf. (1919). In: Ders.: Gesammelte politische Schriften. Herausgeg. von Johannes Winckelmann. 5. Aufl. Tübingen 1988. S. 505-560.


 

Materialteil zur Unterrichtsreihe:
Intervention aus Humanität? - Moralisch-politische Urteilsbildung am Beispiel Kosovo

Der folgende Materialteil enthält drei Arten von Materialien. Auf die verschiedenen Materialien wird in der Unterrichtsplanung an entsprechender Stelle verwiesen (Vgl. May, Michael: Intervention aus Humanität? Moralisch-politische Urteilsbildung am Beispiel des Kosovo. In: Gegenwartskunde. 1/1999. S. 85-97).

  • Materialien für die Schüler zu den Unterrichtsphasen - z. B. MI/1
  • fachliche Materialien für den Lehrer - z. B. FML/1
  • didaktische Materialien für den Lehrer - z. B. DML/1

Inhaltsverzeichnis

MI/1 Das Schicksal der Familie Ahmeti im Dorf Lukoshan
MII/1 Regelungen des Völkerrechts - Die Charta der UNO (Auszug)
MII/2 Die politische Entwicklung des Kosovo seit 1945 - Die Chronik des Konflikts
MII/3 Karte - Nationalitäten in Jugoslawien (Hinweise)
MIII/1 Material zum Rollenspiel - Bundesrepublik Jugoslawien
MIII/2 Material zum Rollenspiel - Kosovo
MIII/3 Material zum Rollenspiel - Russland
MIII/4 Material zum Rollenspiel - Deutsches Außenministerium
MIII/5 Material zum Rollenspiel - Deutsches Verteidigungsministerium
MIII/6 Kleines Glossar
FML/1 Es wird ein Präzedenzfall geschaffen


MI/1 Das Schicksal der Familie Ahmeti im Dorf Lukoshan

1) Meldungen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

„Kosovo-Führung um Beruhigung der Lage bemüht

[...]

Nach der Beisetzung der albanischen Todesopfer der serbischen Polizeiaktion vom Wochenende zeichnete sich in der Unruheprovinz Kosovo (Amselfeld) am Mittwoch eine leichte Beruhigung der Lage ab. Zugleich verstärkten Europäer und Vereinigte Staaten ihre diplomatischen Bemühungen, um eine weitere Eskalation der Gewalt zu verhindern.

Am Dienstagabend wurden in der Ortschaft Lukoshan [...] im Gemeindebezirk [...] Gllogovc insgesamt 24 getötete Kosovo-Albaner beigesetzt. Damit hat sich die Zahl der albanischen Todesopfer auf 25 erhöht. Ein kosovo-albanischer Junge und vier serbische Polizisten waren schon am Montag beerdigt worden. Die Leichen der Angehörigen der Familien Ahmeti sowie zweier weiterer Opfer waren von den serbischen Behörden bis zum Dienstagnachmittag in der Leichenhalle von Pristina zurückgehalten worden. Stundenlang harrten Trauergäste auf dem Friedhofsgelände zwischen den Weilern Lukoshan und Qirez aus, in denen es am Wochenende zu den Massakern gekommen war. Die Polizei hatte die Zufahrtsstraßen zu den Dörfern gesperrt, dennoch war es vielen Kosovo-Albanern gelungen, über Feldwege zu dem Friedhof zu gelangen.

Augen- und Ohrenzeugenberichten zufolge wurden die zehn männlichen Angehörigen der wohlhabenden und angesehenen Familien Ahmeti kaltblütig erschossen und erschlagen. Die Opfer waren zwischen 40 und 16 Jahren alt. Ihre sterblichen Überreste wurden von der serbischen Polizei nach Pristina transportiert. Das Familienoberhaupt Ahmet Ahmeti war bis zur Aufhebung der Selbstverwaltung der Provinz durch die serbische Regierung im Jahre 1989 Bürgermeister des Gemeindebezirks Gllugovc. Mit der systematischen Ermordung der Familie Ahmeti sollte offenbar die Dorfgemeinschaft in Lukoshan im Mark getroffen werden. Ähnlich waren serbische Freischärler in Bosnien beim „ethnischen Säubern" vorgegangen. Kosovo-albanische Journalisten sprachen in Pristina von einem Massaker an Zivilisten bisher nicht gekannten Ausmaßes im Kosovo. Die Demokratische Liga Kosova (LDK), die führende politische Kraft der Kosovo-Albaner, forderte eine internationale Untersuchung der Vorgänge in Lukoshan und Qirez [...]". (Aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). 5. März 1998. S. 7.)

MI/1 Das Schicksal der Familie Ahmeti im Dorf Lukoshan

2) Archiv der Gegenwart vom 22. März 1998

„Das serbische Innenministerium machte albanische Terroristen der Befreiungsarmee UCK für die Gewalttaten verantwortlich. Der jugoslawische Präsident Slobodan MILOSEVIC warnte das Ausland vor Einmischung in den Konflikt. Das Kosovo-Problem werde nur intern, innerhalb Serbiens, gelöst. Das staatliche serbische Fernsehen in Belgrad kündigte ‘schärfste Maßnahmen gegen die terroristischen Banden' an. Dagegen mahnte das westliche Ausland zur Zurückhaltung, vor allem bei dem Gebrauch von Waffen. Bundesaußenminister Klaus KINKEL meinte, die jüngste Eskalation der Gewalt mache deutlich, dass eine politische Lösung dringlich sei. Die Albaner müssten das Recht zur freien Entfaltung haben, jedoch innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien.

Am 2. März lösten serbische Sicherheitskräfte eine vorwiegend friedlich verlaufende Demonstration von Albanern in Pristina, der Hauptstadt Kosovos, unter Einsatz von Tränengas, Wasserwerfern und Schlagstöcken auf. Mehr als 200 Personen wurden verletzt. Der Protestzug war von Parteien, Gewerkschaften und Menschenrechtsvereinigungen organisiert worden. An der Kundgebung hatten nach Angaben der Organisatoren bis zu 50000 Personen teilgenommen, andere Berichte nannten etwa 20000 Teilnehmer. Das Ausmaß der serbischen Gewaltmaßnahmen gegen albanische Ortschaften wurde am 3. und 4. März deutlich, nachdem die serbischen Behörden die Leichen von insgesamt 25 getöteten Albanern zur Bestattung freigaben, unter denen sich Frauen und Kinder befanden. Dass es sich dabei um Terroristen gehandelt habe, wurde von internationalen Beobachter bezweifelt. Alle Opfer trugen zivile Kleidung, die männlichen Opfer waren teilweise verstümmelt, und eine getötete schwangere Frau war kaum noch zu identifizieren, so sehr war ihr Gesicht entstellt. Die in Lukoshane getötete Großfamilie soll nach albanischen Zeugenaussagen kaltblütig erschossen und zum Teil erschlagen worden sein. Albaner erklärten, mit der geplanten Ermordung der Familie habe die albanische Dorfgemeinschaft in ihren Grundlagen getroffen werden sollen". (Aus: Archiv der Gegenwart (AdG). Jg. 68. 3/1998. S. 42708.)

MII/1 Regelungen des Völkerrechts - Die Charta der UNO (Auszug)

„Kapitel I: Ziele und Grundsätze

Artikel 2

Die Organisation und ihre Mitglieder handeln im Verfolg der in Artikel 1 dargelegten Ziele nach folgenden Grundsätzen:

1. Die Organisation beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder.

2. Alle Mitglieder erfüllen, um ihnen allen die aus der Mitgliedschaft erwachsenden Rechte und Vorteile zu sichern, nach Treu und Glauben die Verpflichtungen, die sie mit dieser Charta übernehmen.

3. Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden.

4. Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.

5. Alle Mitglieder leisten den Vereinten Nationen jeglichen Beistand bei jeder Maßnahme, welche die Organisation im Einklang mit dieser Charta ergreift; sie leisten einem Staat, gegen die die Organisation Vorbeugungs- oder Zwangsmaßnahmen ergreift, keinen Beistand.

6. Die Organisation trägt dafür Sorge, dass Staaten, die nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind, insoweit nach diesen Grundsätzen handeln, als dies zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich ist.

7. Aus dieser Charta kann eine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung auf Grund dieser Charta zu entwerfen, nicht abgeleitet werden; die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII wird durch diesen Grundsatz nicht berührt.

[...]

Kapitel V: Der Sicherheitsrat

[...]

Zusammensetzung

Artikel 23

1. Der Sicherheitsrat besteht aus fünfzehn Mitgliedern der Vereinten Nationen. Die Republik China, Frankreich, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken [heute Russland, M.M.], das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie die Vereinigten Staaten von Amerika sind ständige Mitglieder des Sicherheitsrats. Die Generalversammlung wählt zehn weitere Mitglieder der Vereinten Nationen zu nichtständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats; hierbei sind folgende Gesichtspunkte besonders zu berücksichtigen: in erster Linie der Beitrag von Mitgliedern der Vereinten Nationen zur Wahrung des Weltfriedens und der

MII/1 Regelungen des Völkerrechts - Die Charta der UNO (Auszug)

internationalen Sicherheit und zur Verwirklichung der sonstigen Ziele der Organisation sowie ferner eine angemessene geographische Verteilung der Sitze.

[...]

Aufgaben und Befugnisse

Artikel 24

1. Um ein schnelles und wirksames Handeln der Vereinten Nationen zu gewährleisten, übertragen ihre Mitglieder dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und erkennen an, dass der Sicherheitsrat bei der Wahrnehmung der sich aus dieser Verantwortung ergebenden Pflichten in ihrem Namen handelt.

2. Bei der Erfüllung dieser Pflichten handelt der Sicherheitsrat im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Die ihm hierfür eingeräumten besonderen Befugnisse sind in den Kapiteln VI, VII, VIII und XII aufgeführt.

[...]

Abstimmung

Artikel 27

1. Jedes Mitglied des Sicherheitsrats hat eine Stimme.

2. Beschlüsse des Sicherheitsrats über Verfahrensfragen bedürfen der Zustimmung von neun Mitgliedern.

3. Beschlüsse des Sicherheitsrats über alle sonstigen Fragen bedürfen der Zustimmung von neun Mitgliedern einschließlich sämtlicher ständigen Mitglieder, jedoch mit der Maßgabe, dass sich bei Beschlüssen und auf Grund des Kapitels VI und des Artikels 52 Absatz 3 die Streitparteien der Stimme enthalten.

[...]

Kapitel VII: Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen

Artikel 39

Der Sicherheitsrat stellt fest, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt; er gibt Empfehlungen ab oder beschließt, welche Maßnahmen auf Grund der Artikel 41 und 42 zu treffen sind, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen.

[...]

MII/1 Regelungen des Völkerrechts - Die Charta der UNO (Auszug)

Artikel 41

Der Sicherheitsrat kann beschließen, welche Maßnahmen - unter Ausschluss von Waffengewalt - zu ergreifen sind, um seinen Beschlüssen Wirksamkeit zu verleihen; er kann die Mitglieder der Vereinten Nationen auffordern, diese Maßnahmen durchzuführen. Sie können die vollständige oder teilweise Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen des Eisenbahn-, See- und Luftverkehrs, der Post-, Telegraphen- und Funkverbindungen sowie sonstiger Verkehrsmöglichkeiten und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen einschließen.

Artikel 42

Ist der Sicherheitsrat der Auffassung, dass die in Artikel 41 vorgesehenen Maßnahmen unzulänglich sein würden oder sich als unzulänglich erwiesen haben, so kann er mit Luft-, See- oder Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen durchführen. Sie können Demonstrationen, Blockaden und sonstige Einsätze der Luft-, See- oder Landstreitkräfte von Mitgliedern der Vereinten Nationen einschließen.

[...]

Artikel 51

Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält". (Zitiert nach: Hufner, Klaus (Hg.): Die Reform der Vereinten Nationen. Die Weltorganisation zwischen Krise und Erneuerung. Opladen 1994. S. 309 ff.)

MII/2 Die politische Entwicklung des Kosovo seit 1945 - Die Chronik des Konflikts

  • 1945 wird das Kosovo zum autonomen Gebiet innerhalb des kommunistischen Jugoslawiens.
  • 1974 gewährt die jugoslawische Verfassung dem Kosovo erweiterte Autonomierechte.
  • 1981: Nach dem Tod des jugoslawischen Diktators Tito 1980 führen ethnische und soziale Spannungen in Pristina und anderen Orten zu Studentenprotesten. Die Studenten fordern eine eigene Republik Kosovo. Belgrad verhängt den Ausnahmezustand.
  • 1987: Slobodan Milosevic, der heutige Präsident Serbiens, wird erster Parteisekretär in Serbien.
  • 1989 kommt es zu einer Verfassungsnovelle, die den Serben Einfluss auf die albanische Selbstverwaltung überlässt (Justiz, Kultur, Außenpolitik, Wirtschaft). Im Kosovo leben ca. 90% Albaner und ca. 9% Serben.
  • 1990 übernimmt Serbien die Polizeigewalt, die zuvor auch bei der kosovo-albanischen „Minderheit" lag. Das serbische Parlament verabschiedet ein Gesetz, welches die Selbstverwaltung offiziell aufhebt. Albanische Autoritäten werden durch serbische ersetzt.
  • Durch diese Ereignisse ausgelöst, entsteht eine Gegenbewegung zur serbischen Vormachtstellung in den jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien, Kroatien und Mazedonien. Eine Reihe militärischen Auseinandersetzungen und Massaker beginnt. Das kosovo-albanische Parlament wird endgültig aufgelöst, nachdem es die Unabhängigkeit des Kosovo erklärt.
  • 1991 sprechen sich mehr als 90 % der Bevölkerung des Kosovo in einem geheimen Referendum für die Unabhängigkeit aus. Der friedliche und erfolglose Kampf um Autonomie beginnt.
  • 1992: Die (illegale) Republik Kosovo wird gegründet. Ibrahim Rugova wird der erste Präsident.
  • 1996 bekennt sich eine bis dahin unbekannte „Albanische Befreiungsarmee" (UCK) erstmals zu Anschlägen auf serbische Polizisten und „albanische Kollaborateure".
  • Am 20. Februar 1998 werden erneut 2 serbische Polizisten erschossen. Am 27. Februar bekennt sich die „Albanische Befreiungsarmee" zu dem Anschlag. Die Gewalt eskaliert. Bei Zusammenstößen zwischen kosovo-albanischen Kämpfern und serbischen Milizen kommen am 28. Februar 120 Menschen ums Leben.
  • Anfang März 1998 rücken serbische Milizen verstärkt gegen kosovo-albanische Dörfer vor - als Vergeltungsmaßnahme für die Anschläge.
  • Die Balkan-Kontaktgruppe beschließt ein Ultimatum für den serbischen Rückzug und droht bei Nichtbeachtung mit Sanktionen.
  • Nach ergebnislosem Ablauf des Ultimatums treten am 19. März unter Missbilligung Russlands die Sanktionen in Kraft. Zuvor waren Forderungen nach Gesprächen von den Kosovo-Albanern und nach internationalen Vermittlungen von den Serben abgelehnt worden.
  • Am 25. März trifft sich die Balkan-Kontaktgruppe in Bonn. Ein neues Ultimatum tritt in Kraft.
  • Am 31. März verhängt der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein sofortiges Waffenembargo gegen Serbien.
  • Am 23. April sprechen sich 94,7 % der Serben gegen eine internationale Vermittlung aus.
  • Am 26. April ereignen sich weitere Kämpfe. Tirana beschuldigt Belgrad der wiederholten Luftraumverletzung.

MII/2 Die politische Entwicklung des Kosovo seit 1945 - Die Chronik des Konflikts

  • Am 27. April läuft das Bonner Ultimatum aus. Die EU beschließt weitere Sanktionen, darunter ein Ausfuhrverbot für einige Güter. Das Versagen der Kontaktgruppe ist offensichtlich - Milosevic lässt sich von den Ultimaten nicht beeindrucken. Das Morden und das Auslöschen ganzer Dörfer geht weiter.
  • Am 29. April kommt es zu einer Spaltung der Kontaktgruppe wegen Meinungsverschiedenheiten. Die USA spricht sich für ein militärisches Eingreifen aus, Russland ist dagegen und droht, die Kontaktgruppe zu verlassen.
  • Den ganzen Mai hindurch kommt es zu weiteren Kämpfen und Opfern.
  • Anfang Juni werden Dörfer von serbischen Milizen beschossen. Die Menschen fliehen. Es bilden sich Flüchtlingsströme.
  • Mitte Juni werden vor allem von den USA Luftschläge gegen Serbien erwogen. Russland warnt davor.
  • Am 11. Juni berät die NATO das Szenario eines Angriffs auf der Brüsseler Konferenz.
  • Am 12. Juni wird Slobodan Milosevic das letzte Mal gewarnt und aufgefordert, seine Truppen abzuziehen. Russland ist über dieses Vorgehen enttäuscht.
  • Am 15. Juni führt die NATO ein Luftmanöver an der albanischen Grenze durch.
  • Am 16. Juni enden Gespräche zwischen Russlands Präsident Jelzin und Slobodan Milosevic mit Zusicherungen, eine friedliche Lösung mit den Kosovo-Albanern zu finden. Ein Truppenabzug wird jedoch abgelehnt.
  • Im Juli 1998 gehen die Kämpfe unvermindert weiter. Die serbische Armee löscht ganze Dörfer aus. Die Zivilbevölkerung flieht oder wird ermordet. Besonders erbittert wird um Rohavec gekämpft. Die „Albanische Befreiungsarmee" kann immer weniger den serbischen Milizen standhalten. Die Meinungen zu einer Intervention gehen weltweit auseinander. Moskau blockiert jedenfalls weiterhin (mit China) ein Eingreifen durch Veto im UN-Sicherheitsrat.
  • Das unverminderte Vorgehen der Serben gegen Dörfer im Kosovo und damit die Nichtbeachtung einer Resolution des Sicherheitsrates der UNO, einen Truppenrückzug durchzuführen und Verhandlungen mit den Kosovo-Albanern aufzunehmen, veranlasst die NATO Anfang Oktober, Militärschläge gegen die Serben zu planen. Auch Deutschland erklärt sich zur Unterstützung der Aktion bereit. Daraufhin kommt es nach Verhandlungen mit dem US-Vermittler Richard Holbrooke und den Konfliktparteien zu einem Waffenstillstand; die Serben ziehen ihre Truppen ab. Der NATO-Angriff ist abgewendet.
  • Nachdem im Herbst wie vereinbart die ersten von der OSZE zu entsendenden 2000 Beobachter im Kosovo eintreffen, um den Waffenstillstand zu beobachten, kommt es Ende Dezember zu neuen Auseinandersetzungen. Über Weihnachten sterben 15 Menschen. Der OSZE gelingt es zunächst die Lage zu beruhigen. Die UCK wird - auch von den OSZE-Beobachtern - für den erneuten Gewaltausbruch verantwortlich gemacht.
  • Auch Anfang 1999 geht die Gewalt weiter. Nach Anschlägen der UCK auf serbische Soldaten und Polizei und der Gefangennahme von acht serbischen Soldaten, werden serbische Truppen in das Krisengebiet verlegt. Es droht die Beschießung von Dörfern, in denen Mitglieder der UCK vermutet werden.
  • Mitte und Ende Januar kommt es zu Massakern serbischer Einheiten an Zivilisten der kosovo-albanischen Volksgruppe, bei denen ca. 50 Menschen getötet werden; darunter Kinder und Frauen. Die Kämpfe zwischen serbischen Milizen und UCK-Kämpfern nehmen an Intensität zu. Der OSZE-Missionsleiter William Walker, der die Serben für die Massaker verantwortlich macht, wird von Belgrad des Landes verwiesen, kann jedoch nach Vermittlungen im Kosovo bleiben.
  • Die NATO reagiert mit verschärftem Druck auf das Aufflammen der Auseinandersetzungen. Am 29. Januar setzt die Balkan-Kontaktgruppe den Konfliktparteien in London ein Ultimatum. Diese sollen spätestens bis zum 6. Februar in Rambouillet (Frankreich) zusammenkommen, um innerhalb von höchstens 14 Tagen eine Einigung zu erzielen. Um die Entschlossenheit der NATO für den Fall des Misserfolgs der Verhandlungen zu demonstrieren, laufen die Planungen für ein militärisches Eingreifen im Kosovo weiter. Auch der Einsatz von Bodentruppen wird in Erwägung gezogen.
  • Nachdem ein Zustandekommen der Verhandlungen lange ungewiss blieb, treffen sich die Parteien am 6. Februar in Rambouillet zu einer Eröffnungsveranstaltung der Besprechungen.

(Verwendete Literatur: AdG. Jg. 68. 3/1998. S. 42708-42716, Jg. 68. 4/1998. S. 42758-42763 und Jg. 5/1998. S. 42875-42878; Mitteldeutsche Zeitung (MZ): Konflikt mit tiefen Wurzeln. 3. Juli 1998. S. 3; Laufende Berichterstattung der FAZ und der MZ seit Januar 1998.)

MII/3 Karte - Nationalitäten in Jugoslawien (Hinweise)

Folgende Karten sind leicht zugänglich. Die in dem Artikel von Marie-Janine Calic abgedruckte ist besonders empfehlenswert.

Nationalitäten. In: Calic, Marie-Janine: Das Ende Jugoslawiens (aktuell). S. 4. In: Informationen zur politischen Bildung. Nr. 253. 4/1996.

Der Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawien. In: Putzger. Historischer Weltatlas. Herausgegeben von Dr. Walter Leisering. 102. Aufl. Berlin 1992. S. 156.

MIII/1 Material zum Rollenspiel - Bundesrepublik Jugoslawien

Rolle: Die Bundesrepublik Jugoslawien lehnt eine Intervention strikt ab. Sammeln Sie Argumente für diese Position mit Hilfe des zur Verfügung gestellten Materials. Bereiten Sie ein Gruppenmitglied auf die Rolle eines Diplomaten der Bundesrepublik Jugoslawien vor, der in der Lage ist, diesen Standpunkt in einer Gesprächsrunde in der deutschen Botschaft in Belgrad zu vertreten!

1) Charta der UNO - Art. 2 (7) (siehe MII/1 Regelungen des Völkerrechts - Die Charta der UNO)

2) Rede des serbischen Ministerpräsidenten

„Der serbische Ministerpräsident Mirko MARJANOVIC verteidigte am 7. April in einer Rede vor dem serbischen Parlament das geplante Referendum. Er betonte, die Frage der ausländischen Vermittlung sei in letzter Zeit stärker in den Vordergrund getreten. Auf Serbien und Jugoslawien werde immer stärker Druck ausgeübt, dies zu akzeptieren. Hier engagierten sich die stärksten internationalen Fraktionen, die mit Drohungen und Gewalt versuchten, ihren Willen durchzusetzen, ohne die Prinzipien der internationalen Beziehungen und die Folgen nicht nur für das serbische Volk und alle Bürger Jugoslawiens, sondern auch für Frieden und Stabilität in dieser Region zu beachten.

Kosovo und Metohija seien eine innere Angelegenheit Serbiens, und für alle Lösungen in diesem Zusammenhang seien daher allein die Republik Serbien und ihre Bürger zuständig. Jeglicher Versuch, internationale Vermittler bei der Lösung der inneren Angelegenheiten eines Staates diesem gegen dessen Willen aufzuzwingen, widerspreche dem Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten, den Grundprinzipien der UN-Charta, der OSZE-Schlussakte und dem allgemeinen Völkerrecht. Keine internationale Organisation oder Institution habe das Recht oder das Mandat, sich an der Lösung dieser Fragen zu beteiligen, Lösungen vorzuschlagen oder sogar aufzuzwingen:

‘Die Behauptung, dass als Rechtfertigung für diese Abweichung von den grundlegenden internationalen Grundsätzen die Schwere des Kosovo-Problems diene, entbehrt jeder Grundlage, weil alle Fragen in Kosovo und Metohija innenpolitischen Charakter tragen, weil es dort keine Kämpfe gibt, weil der Staat die Lage voll und ganz kontrolliert, weil der Staat sich verantwortungsvoll und aktiv für die Lösung aller Fragen mit politischen Mitteln durch direkten Dialog und Beachtung der verfassungsrechtlichen Ordnung und Beachtung der europäischen Normen einsetzt. Es fragt sich, wem das nicht passt und wer eine Internationalisierung sucht?' MARJANOVIC sagte, es gebe in verschiedenen Staaten der Welt viele innere Konflikte, deren Ursachen ausschließlich auf nationaler Ebene lägen. Gewisse internationale Faktoren bestünden jedoch darauf, die Kosovo- und Metohija-Frage auszusondern und zu internationalisieren. Warum werde zum Beispiel nicht die kurdische, irische, korsische oder baskische Frage internationalisiert, sondern gerade die Kosovo-Frage?

MARJANOVIC sagte weiter, es sei offensichtlich, dass hier unterschiedliche Maßstäbe und eine Politik der Gewalt angewendet würden. Das Ziel seien weder irgendjemandes Rechte noch die Rechte der albanischen nationalen Minderheit. Das Ziel sei die Schaffung einer Krise und von Instabilität, um die Fähigkeit zur Bewältigung der Krise zu zeigen, um Vasallentum zu verbreiten und die Präsenz fremder Truppen in dieser Region zu rechtfertigen. ‘Es ist falsch, dass die durch die Kontaktgruppe vertretene internationale Gemeinschaft sich für einen Dialog unterschiedlicher Meinungen bei der Lösung der Probleme einsetzt. Man bestehe praktisch darauf, die Endergebnisse dieses Dialoges zu diktieren. Es sind die Ergebnisse, die in verschiedenen Plänen dargelegt wurden und nach denen jetzt die technischen Lösungen erarbeitet werden. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die ausländische Vermittlung' [...]". (Aus: AdG. Jg. 68. 4/1998. S. 42759)

3) Souveränität

„[...] Souveränität (S.) ist das wichtigste Kennzeichen des inneren und äußeren Herrschaftsanspruches der im modernen Nationalstaat organisierten Gesellschaft. S. ist dabei nicht nur Kennzeichen, sondern auch konstitutives Element. Souveränitätsverzicht oder -verlust bedeutet formal und real auch den Verlust eigener Staatlichkeit. Jeder Staat ist also sowohl als Völkerrechtssubjekt [...] nach außen als auch in seinen politischen Handlungen im Innern per definitionem souverän. Das wichtigste Element von S. ist Unabhängigkeit bzw. der formale Anspruch auf Unabhängigkeit, der Postulatcharakter besitzt. Unabhängigkeit bedeutet idealtypisch, allein dem eigenen Willen - unabhängig davon wie er zu Stande kommt - unterworfen zu sein. Allerdings unterscheidet sich die äußere von der inneren Souveränitätsausübung des Nationalstaates. Das im Wesentlichen nationalstaatlich strukturierte internationale System setzt dem äußeren Souveränitätsanspruch völkerrechtliche und machtpolitische Grenzen, wo der souveräne Wille des eigenen Staates mit dem des formal gleichwertigen eines anderen Staates konkurriert bzw. konfligiert. Nach innen dagegen gelten sowohl verfassungsrechtliches Politik- und reales Gewaltmonopol [...].

Bei der Entstehung des modernen Staates bzw. des Staatensystems der Neuzeit spielte der Souveränitätsbegriff eine zentrale Rolle. Mit der Entwicklung des Souveränitätspostulats fand man eine staats- bzw. völkerrechtliche Begründung, ‘fremden' Herrschaftsansprüchen die Legitimationsgrundlage zu entziehen bzw. auch politisch-inhaltlich ein neues Selbstverständnis zu gewinnen. In der Renaissance-Epoche wurde S. von Fürstentümern und Städten benutzt, um politische, wirtschaftliche und religiöse Ansprüche von Reich und Kirche abzuwehren bzw. als illegitim, darzustellen [...]." (Aus: Seidelmann, Reimund: Souveränität. In: Woyke, Wichard (Hg.): Handwörterbuch Internationale Politik. 6. Aufl. Opladen 1995. S. 398.)

4) Das Völkerrecht und seine Bedeutung

„Das Völkerrecht ist die Summe der Normen, die die Verhaltensweisen festlegen, die zu einem geordnetem Zusammenleben der Menschen dieser Erde notwendig und nicht im innerstaatlichen Recht der einzelnen souveränen Staaten geregelt sind".

Die Gegenwart ist durch globale Probleme gekennzeichnet, die vor allem in diesem Jahrhundert entstanden und ins Bewusstsein gedrungen sind: vorhandene Massenvernichtungsmittel, die in der Lage sind, die gesamte Menschheit auszulöschen, die Erschöpfung der Rohstoffvorräte und die Umweltzerstörung sind Probleme, die alle Menschen und Nationen betreffen. Die davon ausgehende existenzielle Gefahr drängt zur Zusammenarbeit. Im Völkerrecht ist ein Instrument dieser Zusammenarbeit gegeben. So muss z. B. in einer Welt der Massenvernichtungsmittel, die Entscheidung Krieg zu führen, den Nationalstaaten entzogen werden, da eine Eskalation des Konflikts verheerende Auswirkungen haben könnte. Die Respektierung und Weiterentwicklung des Völkerrechts ist die Voraussetzung einer friedlichen Zukunft. (Zitat: Seidl-Hohenveldern, I: Völkerrecht. 6. Aufl. Köln u. a. 1987. S. 1. Zitiert nach: Wittkämper, Gerhard W.: Völkerrecht/Internationales Recht. In: Woyke, Wichard (Hg.): Handwörterbuch Internationale Politik. 6. Aufl. Opladen 1995. S. 439. Der sich anschließende Text ist vom Verfasser. Verwendete Literatur: Wittkämper, Gerhard W.: a. a. O. S. 438-445.)

MIII/2 Material zum Rollenspiel - Kosovo

Rolle: Die Kosovo-Albaner sind für eine Intervention der Staatengemeinschaft. Sammeln Sie Argumente für diese Position mit Hilfe des zur Verfügung gestellten Materials. Bereiten Sie ein Gruppenmitglied auf die Rolle eines Vertreters des Kosovo vor, der in der Lage ist, diesen Standpunkt in einer Gesprächsrunde in der deutschen Botschaft in Belgrad zu vertreten!

1) Politische Unterdrückung (siehe Chronik des Konflikts)

2) Verfolgung (siehe MI/1)

3) Präambel der UN-Charta

„Wir die Völker der Vereinten Nationen - fest entschlossen,

künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat,

unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen,

Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können, den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern[...]". (Aus: Hufner, Klaus (Hg.): Die Reform der Vereinten Nationen. Die Weltorganisation zwischen Krise und Erneuerung. Opladen 1994. S. 309 ff.)

4) Kapitel I Artikel 1 der UN-Charta

„Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele:

1. Den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Frieden zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen;

2. freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen;

3. eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen;

4. ein Mittelpunkt zu sein, in dem die Bemühungen der Nationen zur Verwirklichung dieser gemeinsamen Ziele aufeinander abgestimmt werden". (Aus: Hufner, Klaus (Hg.): Die Reform der Vereinten Nationen. Die Weltorganisation zwischen Krise und Erneuerung. Opladen 1994. S. 309 ff.)

MIII/3 Material zum Rollenspiel - Russland

Rolle: Russland ist gegen eine Intervention im Kosovo. Sammeln Sie Argumente für diese Position mit Hilfe des zur Verfügung gestellten Materials. Bereiten Sie ein Gruppenmitglied auf die Rolle eines Vertreters Russlands vor, der in der Lage ist, diesen Standpunkt in einer Gesprächsrunde in der deutschen Botschaft in Belgrad zu vertreten!

1) Charta der UNO - Art. 2(7) und Art. 23, 24, 27, 39 (siehe MII/1 Regelungen des Völkerrechts - Die Charta der UNO)

2) Russische Staatsduma verabschiedet Resolution gegen eine Intervention

„Im Westen Misstrauen gegenüber Belgrads Zusagen

[...]

Der Westen hat Belgrads Zusagen im Kosovo-Konflikt mit Skepsis aufgenommen und angekündigt, bis zum Ende der Gewalt den militärischen und wirtschaftlichen Druck gegen die Bundesrepublik Jugoslawien aufrecht zu erhalten. Die NATO prüft weiter militärische Schritte. Moskau bemühte sich am Mittwoch, das Ergebnis der Gespräche mit dem jugoslawischen Präsidenten Milosevic als Erfolg darzustellen. Außenminister Primakow sagte in Moskau, die gemeinsame Erklärung des russischen Präsidenten Jelzin und Milosevics vom Vortag habe den ‘Charakter eines Durchbruchs'. Primakow verteidigte das Ergebnis der Gespräche, das vom Westen mit Zurückhaltung aufgenommen worden war. ‘Es wurde das Maximum getan, das zu diesem Zeitpunkt getan werden kann', sagte er. Von Jugoslawien jetzt mehr zu verlangen, ‘wäre nicht richtig'. ‘Der Ball befindet sich jetzt auf dem albanischen Feld.' Jelzin hatte den amerikanischen Präsidenten Clinton am Dienstagabend telefonisch über den Verlauf der Gespräche mit Milosevic informiert. Der Pressedienst des Kreml teilte mit, Clinton habe ‘sich zufrieden gezeigt'. Primakow telefonierte am Mittwoch mit [dem ehemaligen deutschen; M. M.] Außenminister Kinkel und dem amtierenden Vorsitzenden der OSZE, dem polnischen Außenminister Geremek. Für den Abend war ein Telefonat mit der amerikanischen Außenministerin Albright geplant.

Milosevic hatte sich am Dienstag nach mehrstündigen Verhandlungen mit der russischen Führung in Moskau in der gemeinsamen Erklärung bereit erklärt, einigen Forderungen der internationalen Kontaktgruppe nachzukommen. Kernpunkte wie der Abzug der serbischen Spezialtruppen und Verhandlungen unter internationaler Vermittlung werden jedoch nicht erfüllt. Auf einer Pressekonferenz nach den Gesprächen bestritt Milosevic, dass die Serben im Kosovo ethnische Säuberungen betrieben. Im russischen Fernsehen wurden die Moskauer Verhandlungen als Erfolg der russischen Diplomatie bewertet. Moskau habe seinen Einfluss auf dem Balkan unter Beweis gestellt, kommentierte der Sender ORT. Die ‘Nesawissimaja Gaseta' porträtierte Moskau als diplomatischen Sieger im Angesicht des ‘Waffengeklirrs der NATO und titelte: ‘Jelzin hat Milosevic überzeugt'. Der ‘Kommersant' bemerkte hingegen, Milosevic habe ‘nicht ein ernsthaftes Zugeständnis' gemacht. Jetzt stehe es Moskau bevor, ‘die Interessen Belgrads gegenüber der westlichen Gemeinschaft' zu vertreten.

Die russische Staatsduma verabschiedete am Mittwoch eine Resolution, in der sie sich hinter die Politik der Regierung stellte. In dem mit einer Mehrheit von 332 gegen drei Abgeordnetenstimmen angenommenen Dokument wird eine gewaltsame Lösung der Kosovo-Krise abgelehnt. Es sei nötig, alles für eine friedliche, politische Regelung zu tun. Die am Dienstag in Moskau getroffenen Vereinbarungen eröffnen nach Ansicht der Deputierten ‘reale Möglichkeiten für eine solche Regelung'. Die neue Verschärfung der Lage auf dem Balkan ist nach Ansicht der Abgeordneten von den ‘extremistischen Handlungen der albanischen Separatisten' provoziert worden.

In ihrer Resolution verleihen sie ihrer ‘ernsthaften Beunruhigung über die offen tendenziöse Linie einer Reihe westlicher Länder' Ausdruck, die ‘versuchen, die ganze Verantwortung für die Situation' auf Belgrad abzuschieben. Die Duma übt zudem harsche Kritik an den Vorbereitungen der NATO für ein mögliches militärisches Eingreifen im Kosovo. Die militärischen Vorbereitungen widersprächen der NATO-Russland Grundakte, ‘in der die Führung des Blocks ihre Absicht erklärt hat, in Fragen des Friedenserhalts gemeinsam mit Russland unter der Ägide der UN und unter Berücksichtigung der Position der OSZE zu handeln'". (Aus: FAZ. 18. Juni 1998. S. 1 f.)

3) Russland beweist Stärke

Das Dilemma im Kosovo

Von Andreas Zumach

„[...] Bei ihren Kosovo-Beratungen diese Woche in Brüssel haben die Außen- und Verteidigungsminister der NATO wohl die letzte Chance vertan, im Einvernehmen mit Russland in den Kosovo-Konflikt einzugreifen. Kaum eine der möglichen NATO-Maßnahmen auf oder über dem Territorium des Kosovo oder in ganz Restjugoslawien, für die die Verteidigungsminister den Militärs einen Prüfauftrag erteilt haben, wird die Zustimmung Moskaus im UNO-Sicherheitsrat finden. Die öffentlich erklärte Bereitschaft der Ukraine, sich an NATO-geführten Militäraktionen zu beteiligen, dürfte die ablehnende Haltung Moskaus eher noch verstärken.

Damit steht die NATO vor dem Dilemma, ob sie diese Maßnahmen auch ohne ein UNO-Mandat durchführt und einen schweren Konflikt mit Russland in Kauf nimmt. Diese Frage wird die in den letzten Tagen demonstrierte Einigkeit der Allianz wieder aufbrechen lassen. Für zusätzlichen Dissens wird die ungeklärte politische Zielsetzung einer militärischen Intervention sorgen. Zwar waren sich Volker Rühe und seine dreizehn europäischen Amtskollegen beim Abendessen in der EU-Hauptstadt ‘einig, dass eine Unabhängigkeit Kosovos nicht in Frage kommt'. Nur von der Realität in der südserbischen Provinz ist dieses Postulat weit entfernt [...]". (Aus: Tageszeitung (TAZ). 13. Juni 1998. S. 10.)

MIII/4 Material zum Rollenspiel - Deutsches Außenministerium

Rolle: Das deutsche Außenministerium ist für eine Intervention im Kosovo, aber nur mit einem Mandat der UNO. Sammeln Sie Argumente für diese Position mit Hilfe des zur Verfügung gestellten Materials. Bereiten Sie ein Gruppenmitglied auf die Rolle eines Vertreters des deutschen Außenministeriums vor, der in der Lage ist, diesen Standpunkt in einer Gesprächsrunde in der deutschen Botschaft in Belgrad zu vertreten!

1) Charta der UNO - Art. 23, 24, 27, 39 (siehe MII/1 Regelungen des Völkerrechts - Die Charta der UNO)

2) Die Meinung des damaligen Außenministers Klaus Kinkel zu einer Intervention

„[...] Außenminister Kinkel ist am Mittwoch telefonisch vom russischen Außenminister Primakow über dessen Gespräche mit dem Belgrader Präsidenten Milosevic in Moskau unterrichtet worden. Kinkel sagte später, er sei sich mit Primakow in der Einschätzung einig, dass Belgrad zwar einige Forderungen der Kontaktgruppe akzeptiert, wichtige Punkte aber offen gelassen habe. Unbefriedigend bleibe, dass Belgrad sich der Forderungen der Balkan-Kontaktgruppe nach internationaler Beteiligung an den Verhandlungen zwischen Serben und Albanern in Pristina weiterhin verschließe. Obwohl Belgrad sich ‘im Prinzip auf einen Abzugsprozess eingelassen' habe, sei die Forderung nach sofortigem und bedingungslosem Rückzug der zur Repression eingesetzten Militär- und Sicherheitskräfte nicht erfüllt worden. Kinkel sagte: ‘Belgrad hat in der Vergangenheit Zusagen nur selten zum Nennwert genommen; wir werden deshalb die Belgrader Führung nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten zu messen haben.' Die Kontaktgruppe werde deshalb die unerfüllten Forderungen beharrlich aufrecht erhalten müssen. Besonders wichtig sei die rasche Verwirklichung ‘der von Milosevic jetzt akzeptierten Beobachtungsmöglichkeit im gesamten Kosovo-Gebiet.' Deutschland sei in Abstimmung mit den Partnern in der Kontaktgruppe bereit, sofort Personal für die Beobachtung bereitzustellen. Ziel der Bundesregierung bleibe ‘eine politische Lösung des Kosovo-Konflikts, in deren Rahmen den Kosovo-Albanern eine umfassende Autonomie innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien zugestanden werden' müsse. Verhandlungen darüber könne es nur geben, wenn weder die Serben noch die Albaner Gewalt anwendeten und wenn die Vertreibung der Kosovo-Albaner aufhöre. Kinkel kündigte an, er werde sich in der Kontaktgruppe dafür einsetzen, dass der Druck auf Belgrad bestehen bleibe. Weitere Schritte sollten rasch in der Kontaktgruppe erörtert werden. Wirtschaftlicher Druck dürfe nur gelockert werden, wenn Zusagen verwirklicht würden und wenn konstruktiv verhandelt werde. Kinkel sagte: ‘Zur Fortsetzung des Drucks auf Belgrad werden wir auch die militärischen Optionen, die das Bündnis derzeit prüft, weiter verfolgen.' Kein Zweifel dürfe an der Entschlossenheit der Staatengemeinschaft aufkommen, ein zweites Bosnien zu verhindern.

Kinkel erhielt am Mittwoch die Rückendeckung der FDP-Fraktion für seinen Standpunkt, ohne ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sei ein militärischer Einsatz der NATO im Kosovo unmöglich. Verteidigungsminister Rühe (CDU), der zunächst diese Ansicht geteilt hatte, war letzthin auf die Haltung der übrigen NATO-Verteidigungsminister eingeschwenkt, auch ohne UN-Mandat sei eine ‘entsprechende Rechtsgrundlage' für einen derartigen Einsatz mit deutscher Beteiligung denkbar. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Solms sagte am Mittwoch in Bonn, der Artikel 51 der UN-Charta spreche vom Recht zu individueller und kollektiver Selbstverteidigung von Staaten die angegriffen würden; ein serbischer Angriff gegen Nachbarländer sei aber nicht zu erwarten. Weil es sich um eine innerstaatliche Auseinandersetzung in der serbischen Provinz handele, bedürfe ein militärischer Einsatz dort zweifelsfrei eines Sicherheits-Mandats. Das habe auch Bundeskanzler Kohl bestätigt. Nach unterschiedlichen Äußerungen des SPD-Vorsitzenden Lafontaine und des sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzenden Scharping habe auch die SPD zu einer eindeutigen Position gefunden. Das habe sich aus Anfragen des Auswärtigen Amtes an die SPD ergeben. Ein Eingreifen ohne Mandat sei schon deshalb unmöglich, weil es von anderen Staaten zum Anlass genommen werden könne, auf das Völkerrecht keine Rücksicht mehr zu nehmen. Damit würde die Autorität der Vereinten Nationen ‘fundamental untergraben'. (Aus: FAZ. 18. Juni 1998. S. 2.)

3) Christopher Greenwood konstatiert in seinem Artikel „Gibt es ein Recht auf humanitäre Intervention?" einen Wandel des Völkerrechts. Humanitäre Interventionen innerhalb eines souveränen Staates häufen sich in letzter Zeit. Schlussfolgernd schreibt er:

„Die Idee, dass die Vereinten Nationen ihre Befugnisse gemäß der Charta nutzen konnten, um aus humanitären Gründen in einem Staat zu intervenieren, erscheint jetzt sehr viel stärker etabliert. Die Praxis der Vereinten Nationen in Liberia und in den frühen Stadien der Konflikte in Somalia und dem ehemaligen Jugoslawien legt nahe, dass der Sicherheitsrat sich noch immer leichter tut, wenn es um den Modus der Friedenserhaltung geht, wo er nur handeln kann, wenn die Regierung des betroffenen Staates zustimmt - auch wenn es manchmal eine etwas künstliche Zustimmung ist. Auch die Vollversammlung bekräftigte in ihrer Resolution 46/182 (vom Dezember 1991) eines der leitenden Prinzipien für den Einsatz humanitärer Hilfe: ‘Die Souveränität, territoriale Integrität und nationale Einheit eines Staates müssen in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen voll respektiert werden. In diesem Zusammenhang sollte humanitäre Hilfe mit der Zustimmung des betroffenen Landes bereitgestellt werden und im Prinzip auf der Grundlage einer Anfrage des betroffenen Landes.' Obwohl sie sich nicht primär mit militärischer Intervention beschäftigte, würden die Befürworter dieser Resolution wahrscheinlich die Zustimmung des Gaststaates in solch einem Fall als doppelt wichtig ansehen.

Der Sicherheitsrat hat jedoch gezeigt, dass er letztlich bereit ist, nach Kapitel VII Maßnahmen zu ergreifen, um einem humanitären Notfall dort zu begegnen, wo es keine Regierung gibt, und vielleicht sogar dort, wo eine Regierung existiert, die aber willentlich ablehnt, einer Aktion der UN zuzustimmen, ungeachtet des Ausmaßes des Notfalls. Kapitel VII kann natürlich nur angewandt werden, wenn die Situation in dem betroffenen Staat eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit darstellt. Die jüngste Praxis des Sicherheitsrats zeigt jedoch, dass eine größere Bereitschaft besteht, die schlechte Lage der Bevölkerung eines Staates in dieser Art zu charakterisieren. Dies galt insbesondere für Somalia, wo die Gefahr für die Nachbarstaaten wesentlich geringer war als in einen der anderen Fälle und offensichtlich zurückging, als Resolution 794 beschlossen wurde". (Aus: Greenwood, Christopher: Gibt es ein Recht auf humanitäre Intervention? In: Brunkhorst, Hauke (Hg.): Einmischung erwünscht? Menschenrechte und bewaffnete Intervention. Frankfurt 1998. S. 33 f.)

MIII/5 Material zum Rollenspiel - Deutsches Verteidigungsministerium

Rolle: Das deutsche Verteidigungsministerium ist für eine Intervention im Kosovo, auch ohne ein Mandat der UNO. Sammeln Sie Argumente für diese Position mit Hilfe des zur Verfügung gestellten Materials. Bereiten Sie ein Gruppenmitglied auf die Rolle eines Vertreters des deutschen Verteidigungsministeriums vor, der in der Lage ist, diesen Standpunkt in einer Gesprächsrunde in der deutschen Botschaft in Belgrad zu vertreten!

1) Präambel der UN-Charta

„Wir die Völker der Vereinten Nationen - fest entschlossen,

künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat,

unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen,

Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können, den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern[...]" (Zitiert nach: Hufner, Klaus (Hg.): Die Reform der Vereinten Nationen. Die Weltorganisation zwischen Krise und Erneuerung. Opladen 1994. S. 309 ff.)

2) Kapitel I Artikel 1 der UN-Charta

„Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele:

1. Den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Frieden zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen;

2. freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen;

3. eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen;

4. ein Mittelpunkt zu sein, in dem die Bemühungen der Nationen zur Verwirklichung dieser gemeinsamen Ziele aufeinander abgestimmt werden". (Zitiert nach: Hufner, Klaus (Hg.): Die Reform der Vereinten Nationen. Die Weltorganisation zwischen Krise und Erneuerung. Opladen 1994. S. 309 ff.)

3) Die Meinung des damaligen Verteidigungsministers Volker Rühe zu einer Intervention

„Der Kosovo macht rechtsunsicher

[...]

In der Koalition gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob mögliche Kampfeinsätze der NATO im Kosovo durch ein UN-Mandat rechtlich abgesichert werden müssen oder nicht. Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) verwies am Montag zwar auf die Abmachungen mit seinen Kollegen der anderen NATO-Staaten, dass eine „ausreichende rechtliche Grundlage" geschaffen werden müsse. Das bedeutet aber nicht, dass der Einsatz nur mit einem UN-Mandat möglich wäre.

Außenminister Klaus Kinkel (FDP) widersprach Rühe. Die Soldaten bräuchten einen „absolut rechtssicheren Raum", meinte Kinkel. Für die Luftwaffenmanöver über Albanien und Mazedonien sei dagegen kein UN-Mandat erforderlich, weil beide Länder am NATO-Programm „Partnerschaft für der Frieden" teilnähmen. Sollte die NATO aber im Kosovo oder in dessen Luftraum aktiv werden, so wäre dies nur über Kapitel VII der UN-Charta zu legitimieren, und dafür wäre ein Mandat des Sicherheitsrates erforderlich.

Rühe wollte auf den Dissens mit seinem Kabinettskollegen nicht weiter eingehen. Er sagte lediglich, es bestehe kein Anlass, sich darüber zu streiten. Es komme ausschließlich darauf an, das Töten im Kosovo und die Fluchtwelle zu stoppen. Rühe äußerte sich optimistisch, dass ein möglicher militärischer Einsatz der Bundeswehr im Kosovo von einer breiten Mehrheit des Bundestages unterstützt würde". (Aus: Süddeutsche Zeitung (SZ). 16. Juni 1998. S. 16.)

4) Stefan Oeter befürwortet die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates bei einer humanitären Notlage. Ferner kritisiert er die Unfähigkeit des Sicherheitsrates, Entscheidungen gemäß Art. VII zu treffen, weil das Veto eines ständigen Mitgliedes einen Beschluss verhindern kann. Deshalb befürwortet er das Recht von Drittstaaten, solche Einsätze zu initiieren. Dies soll für den Fall eines Konfliktes zwischen Staaten als auch für den Fall einer humanitären Notlage innerhalb eines souveränen Staates gelten.

„Der Grund dafür ist im Kern banal: Der anzustrebende ‘globale Rechtszustand' bedarf - dies ist unbestritten - der funktionierenden Steuerung durch Rechtsregeln. Rechtsregeln jedoch bedürfen der Umsetzung. Dies gilt nicht nur für Normen wie das Gewaltverbot, dies gilt auch im ganz besonderem Maße für die Menschenrechte, deren Anerkennung für den ‘globalen Rechtszustand' der ‘republikanischen Ordnung' so konstitutiv ist. Durchsetzung von Recht erfordert aber Handlungsfähigkeit der zur Durchsetzung befugten Organe. Über Handlungsfähigkeit verfügen die Vereinten Nationen als das idealiter zentrale Organ der Völkergemeinschaft in vielen Fallkonstellationen nicht, weder in der Fähigkeit zum rechtzeitigen Fällen von Entscheidungen noch in der Verfügung über Machtmittel. Die Vereinten Nationen als verselbstständigte Form der internationalen Organisation sind schon konstitutionell bisher kein handlungsfähiges Organ der Staatengemeinschaft, im Sinne einer parastaatlichen Durchsetzungsinstanz mit dominantem Machtapparat. Es ist auch mehr als fraglich, ob man sich die Vereinten Nationen im gegenwärtigen Zustand als eine derartige Durchsetzungsmacht wünschen sollte [...].

Will man nicht auf die Durchsetzung von Regeln verzichten, bleiben in vielen Fällen nur die Staaten, als Einzelstaaten oder Staatenkoalitionen. Auch dezentrale Zwangsmaßnahmen, selbst wenn sie von halbwegs repräsentativen Regionalorganisationen durchgeführt werden, müssen natürlich mit einer gehörigen Portion Misstrauen bedacht werden. Der dezentrale Einsatz von militärischen Zwangsmitteln durch einzelne Staaten trägt immer - dies lässt sich kaum leugnen - den Keim des Missbrauchs, der Degeneration zur imperialistischen Machtpolitik in sich; doch ohne die dezentrale Befugnis zur handelnden - und zwar auch militärisch handelnden - Solidarität mit den Opfern der Rechtsverneinung wird es auf absehbare Zeit keine Durchsetzung von Völkerrecht geben. Recht bedarf der Macht, soll es sich gegenüber dem Unrecht behaupten [...].

Dies soll nicht heißen, die dezentrale Selbsthilfe sei grundsätzlich die beste Lösung und es lohne sich daher nicht, für eine Reform der Vereinten Nationen zu kämpfen, weil wir bereits in der ‘besten der möglichen Welten' lebten. Die Staatengemeinschaft bedarf dringend der handlungsfähigen Organe jenseits der Staaten und regionalen Allianzen, um die Regeln des Völkerrechts durchzusetzen, um sich so der Vision vom ‘globalen Rechtszustand' anzunähern [...]". (Aus: Oeter, Stefan: Humanitäre Intervention und Gewaltverbot: Wie handlungsfähig ist die Staatengemeinschaft? In: Brunkhorst, Hauke (Hg.): Einmischung erwünscht? Menschenrechte und bewaffnete Intervention. Frankfurt 1998. S. 57 und 59 f.)

MIII/6 Kleines Glossar

Charta der UNO

Verfassungsurkunde der UNO (-> siehe UNO)

Metohija

Gebiet, das westlich des eigentlichen Kosovo liegt. Beide Gebiete zusammen werden gemeinhin als Kosovo bezeichnet (richtiger wäre Kosovo-Metohija).

NATO (North Atlantic Treaty Organization)

Militärische Allianz, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vor dem Hintergrund des entstehenden Ost-West-Konfliktes als Schutzbündnis gegen die Sowjetunion gegründet wurde. Mitglieder sind Großbritannien, Frankreich, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Norwegen, Dänemark, Island, Portugal, Italien, USA, Kanada, Griechenland, Türkei, Deutschland, Spanien.

OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa)

Das Ziel der Organisation ist die Wahrung vereinbarter außenpolitischer und innenpolitischer Regeln (z. B. Wahrung der Menschenrechte). Die OSZE-Beschlüsse besitzen keine rechtliche Bindung für die Mitgliedsstaaten. Die OSZE hat über 50 Mitglieder.

Resolution

Beschluss

Russische Staatsduma

Parlament in Russland

UCK

Abkürzung für die ‘Albanische Befreiungsarmee'. Sie besteht aus verschiedenen Unterorganisationen, die alle an dem Versuch beteiligt waren, Anfang der Neunzigerjahre dem illegal ausgerufenen Staat Kosovo eine Armee aufzubauen. Seit Herbst 1997 kam die UCK durch Anschläge auf serbische Polizeistationen und Kasernen sowie so genannte ‘albanische Kollaborateure' in die Schlagzeilen.

UN-Mandat (mandatum [lat.] = Auftrag)

Ein Auftrag der UNO an die Mitgliedsstaaten (z. B. militärisches Eingreifen in einer Krisenregion).

UNO (United Nations Organization)

Das Ziel der Organisation ist die Wahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit. Sie wurde 1945 vor dem Hintergrund der beiden Weltkriege gegründet. Die Beschlüsse sind für die heute über 180 Mitgliedsstaaten bindend. Die UNO verfolgt noch eine Reihe von anderen Zielen (z. B. Wahrung der Menschenrechte, Schutz der Umwelt etc.)

Veto ([lat.] = ich verbiete)

Einspruch

FML/1 Es wird ein Präzedenzfall geschaffen

„Es wird ein Präzedenzfall geschaffen

Von Prof. Dr. Ulrich Fastenrath, Dresden

An diesem Freitag tritt der alte Bundestag noch einmal zusammen, um über die Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an einem möglichen Militärschlag der NATO gegen Serbien abzustimmen. Die Notwendigkeit einer Parlamentsentscheidung über den Einsatz der Bundeswehr hat das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil aus dem Jahr 1994 festgestellt, in dem es um die deutsche Beteiligung an den Friedenstruppen in Somalia, an der Überwachung des Embargos gegen Jugoslawien (Serbien/Montenegro) und an der Luftüberwachung Bosnien-Hercegovinas ging.

Die Zustimmung darf jedoch nur für Einsätze gegeben werden, die sich im Rahmen des völker- und verfassungsrechtlich Zulässigen halten. Insoweit stellen sich aber gleich mehrere Fragen. Die Entscheidung des Bundestages hat deshalb erhebliche rechtspolitische Bedeutung, die weit über diesen Einzelfall hinausgeht. Es wird ein Präzedenzfall geschaffen - gleichgültig wie die Entscheidung ausgeht -, der Einfluss auf die künftige Entwicklung des Völkerrechts und die Auslegung des Grundgesetzes hat.

Artikel 2 Nummer 4 der Charta der Vereinten Nationen verbietet Drohung und Anwendung militärischer Gewalt gegenüber anderen Staaten. Davon nennt die Charta zwei Ausnahmen. Die erste ist die Anordnung von Zwangsmaßnahmen durch den Sicherheitsrat. Dieser muss die militärischen Sanktionen nicht selbst durchführen; er kann nach ständiger Praxis auch die Staaten ermächtigen, gegen einen bestimmten Staat vorzugehen. Eine solche Ermächtigung gibt es im Fall Kosovo bislang nicht. Die Resolutionen 1160 und 1199 stellen zwar eine friedensbedrohende Lage im Kosovo fest und verlangen von Milosevic bestimmte Maßnahmen zur Befriedung; die Folgen der Nichterfüllung dieser Forderungen sind aber noch nicht beschlossen. Mit der amerikanischen und britischen Regierung die Ermächtigung zu militärischem Eingreifen zwischen den Zeilen aus den Resolutionen herauszulesen widerspricht dem erklärten Willen Russlands und Chinas, gegen die kein Beschluss zu Stande kommen kann. Wer die Ermächtigung dennoch in die Resolutionen hinein interpretiert, riskiert eine Blockade des Sicherheitsrats.

Die zweite in der UN-Charta genannte Ausnahme vom Gewaltverbot ist das Recht zur Selbstverteidigung. Es setzt einen bewaffneten Angriff eines anderen Staates voraus. Das Kosovo gehört aber zu Jugoslawien (Serbien/Montenegro), Übergriffe auf Nachbarstaaten hat es bisher nicht gegeben. Allenfalls besteht die Gefahr eines Übergreifens des Konflikts. Ob und inwieweit eine präventive Selbstverteidigung zulässig ist, ist umstritten. Je weiter sie vorverlegt wird, umso mehr höhlt man das Gewaltverbot aus und öffnet die Tür für Missbrauch. Das gilt insbesondere, wenn man nicht einmal konkrete Anhaltspunkte für einen Angriff verlangt. Darüber muss sich im Klaren sein, wer unter Berufung auf diesen Rechtfertigungsgrund die bisherigen, stets von Protesten begleiteten Präzedenzfälle um einen weiteren vermehren will.

Lehnt man eine solch weit gehende, in der Welt kaum Fürsprecher findende Interpretation ab, käme das Selbstverteidigungsrecht einschließlich der Möglichkeit, sich fremde Hilfe zu holen, nur in Betracht, wenn man es den Kosovo-Albanern selbst zugesteht. Das setzt noch die Annahme voraus, ihnen sei das Selbstbestimmungsrecht gewaltsam entzogen, und sie hätten ein Recht auf einen eigenen Staat. Dafür mögen gute Gründe sprechen, bislang wurde das aber einmütig abgelehnt. Man müsste sich also zu einer Meinungsänderung mit entsprechenden Folgen für die Landkarte auf dem Balkan bekennen.

Es gibt jedoch weitere Gründe für eine zulässige Gewaltanwendung. Allgemein anerkannt ist der Militäreinsatz auf Einladung des betroffenen Staates, an der es hier allerdings fehlt. Heftig umstritten ist hingegen die so genannte humanitäre Intervention. Darunter versteht man bewaffnete Eingriffe im Ausland, welche die dort lebenden Menschen aus Gefahr retten sollen. Der übliche Fall ist, dass der gefährdete Personenkreis außer Landes gebracht und so dem Zugriff der Machthaber entzogen wird. Das ist von der NATO nicht geplant. Vielmehr wird mit Luftangriffen auf militärische Ziele gedroht. Das trägt die Züge einer verbotenen militärischen Repressalie als Antwort auf die schweren Menschenrechtsverletzungen Serbiens. Die Reaktion von Milosevic zeigt jedoch, dass sich hiermit - auf schonendere Weise als durch einen Eimarsch - dieselben Wirkungen erzielen lassen wie mit der humanitären Intervention klassischen Zuschnitts. Eine Ausweitung dieses umstrittenen Ausnahmetatbestands bleibt es aber allemal.

Zur Rechtfertigung der humanitären Intervention werden verschiedene Gründe angeführt. Mangels einheitlicher Rechtsüberzeugung und wegen nur spärlicher Praxis wird man entsprechendes Gewohnheitsrecht kaum annehmen können. Vorzuziehen ist vielmehr eine einschränkende Auslegung des Gewaltverbots, wobei nach dem Gesamtzusammenhang der UN-Charta auch die Abwägung zwischen dem Schutz von Menschenleben und dem Schutz der Staaten gegen fremde Gewalteinwirkung eine Rolle spielen könnte. Erkennt man jedoch die humanitäre Intervention an, kann sie nicht nur für die Vereinigten Staaten und die NATO gelten. Einzelne Volksgruppen sind vielfach in der Welt bedroht und können so ihre Helfer finden. Es ist deshalb wichtig, dass die NATO - und im Fall der Zustimmung auch der Bundestag - deutlich macht, dass ein Militäreinsatz das letzte Mittel ist und nur bei Völkermord oder Gefahr für eine große Zahl von Menschenleben sowie unter strikter Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Betracht kommt.

Legt man dies zu Grunde ist für den von Kinkel beschworenen höheren Standard der Menschenrechte in Europa kein Platz. Denn Völkermord ist weltweit verboten, und Menschenrechte verdienen überall Schutz. Die Dokumente der KSZE und OSZE haben sicher Einfluss auf das auf unserem Kontinent geltende Völkerrecht; die Absenkung der Schwelle für militärische Einsätze lässt sich ihnen jedoch nicht entnehmen [...]. (Aus: FAZ. 16. Oktober 1998. S. 5.)

DML/1 Die Stufen der Moralentwicklung nach Kohlberg

"I. Das präkonventionelle Stadium

 

Moralische Wertung beruht auf äußeren, quasi-physikalischen Geschehnissen, schlechten Handlungen oder auf quasi-physikalischen Bedürfnissen statt auf Personen und Normen.

 

 

Stufe 1: Orientierung an Bestrafung und Gehorsam. Egozentrischer Respekt vor überlegener Macht oder Prestigestellung bzw. Vermeidung von Schwierigkeiten.

Objektive Verantwortlichkeit.

Stufe 2: Naiv egoistische Orientierung. Richtiges Handeln ist jenes, das die Bedürfnisse des Ich und gelegentlich die der anderen instrumentell befriedigt.Bewusstsein für die Relativität des Wertes der Bedürfnisse und der Perspektive aller Beteiligten. Naiver Egalitarismus und Orientierung an Austausch und Reziprozität.

II. Das konventionelle Stadium

 

Moralische Wertung beruht auf der Übernahme guter und wichtiger Rollen, der Einhaltung der konventionellen Ordnung und der Erwartung anderer.

 

 

Stufe 3: Orientierung am Ideal des 'Guten Jungen'. Bemüht, Beifall zu erhalten und anderen zu gefallen und ihnen zu helfen. Konformität mit stereotypischen Vorstellungen vom natürlichen oder Mehrheitsverhalten, Beurteilung auf Grund von Intentionen.

Stufe 4: Orientierung an Aufrechterhaltung von Autorität und sozialer Ordnung. Bestrebt, 'seine Pflicht zu tun', Respekt vor der Autorität zu zeigen und die soziale Ordnung um ihrer selbst willen einzuhalten. Rücksicht auf die Erwartungen anderer.

III. Das postkonventionelle Stadium

 

Moralische Wertung beruht auf Konformität des Ich mit gemeinsamen (oder potenziell gemeinsamen) Normen, Rechten oder Pflichten.

 

 

Stufe 5: Legalistische Vertragsorientierung. Anerkennung einer willkürlichen Komponente oder Basis von Regeln und Erwartungen als Ausgangspunkt der Übereinstimmung. Pflicht definiert als Vertrag, allgemein Vermeidung der Verletzung von Absichten oder Rechten anderer sowie Wille und Wohl der Mehrheit.

Stufe 6: Orientierung an Gewissen oder Prinzipien. Orientierung nicht nur an zugewiesenen sozialen Rollen, sondern auch an Prinzipien der Entscheidung, die an Universalität und Konsistenz appellieren. Orientierung am Gewissen als leitendes Agens und an gegenseitigem Respekt und Vertrauen".

 

(Aus: Kohlberg, Lawrence: Zur kognitiven Entwicklung des Kindes. Frankfurt 1974. S. 60. Zitiert nach: Reinhardt, Sibylle: Werte-Wandel und Werte-Erziehung. Perspektiven politischer Bildung. In: Buchen, Silvia/Weise, Elke (Hg.): Schule und Unterricht vor neuen Herausforderungen. Weinheim 1995. S. 138 f.)

Das Original ist unter dem gleichen Titel ohne die Materialien erschienen in: Gegenwartskunde 48. Jg. (1999) H. 1, S. 85-97.
(c) 2001 Michael May, Schraplau
Um den Text zitierfähig zu machen, sind die Seitenwechsel des Originals in eckigen Klammern angegeben, z. B. [/S. 53:].
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