Rolf Prim
Inhalt
1. Simulationsspiele im Wirtschaftslehreunterricht: Intentionen und Reichweite
2. Intentionen und didaktischer Kontext des Marktspiels
4. Erlöserwartungen und tatsächliche Erlöse im hier besprochenen Beispiel
5. Inventur der Händler nach Marktende
6. Die Auswertung der Spielergebnisse und -Erfahrungen
6.1 Aus der Sicht der Haushalte (Nachfrage)
6.2 Aus Sicht der Händler (Angebot)
6.3 Aus der Sicht des unbeteiligten Marktbeobachters
7. Didaktische Schnittstellen des Spiels i.S. der Weiterführung des Unterrichts
1. Simulationsspiele im Wirtschaftslehreunterricht: Intentionen und Reichweite
Seit Anfang der 70er Jahre fanden soziale Simulationsspiele vor allem über die Jugendarbeit gelegentlich auch Eingang in die Schule. Womit vor allem zwei pädagogische Reformintentionen gefördert werden sollten:
1.1
Die Abkehr von rein auf Wissensvermittlung ausgerichteten Methoden zugunsten von Bildungsformen, die kognitives Lernen mit Selbsterfahrung durch eigenes Handeln verbinden.
1.2
Die Aufhebung der sozialen Isolation während des Lernprozesses durch gruppenzentrierte Lehr-Lernverfahren. Womit nicht nur spezielle soziale Lernziele intendiert waren. Es sollten vor allem auch die generell lernfördernden Effekte eines gruppendynamisch angelegten Unterrichts ausgeschöpft werden.
Zusammen mit H. Reckmann habe ich in jahrelangen Erprobungen und Analysen insbesondere die Planspielmethode hinsichtlich ihres Wirkungspotentials für Adressatengruppen mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen zu evaluieren versucht. (Prim/Reckmann) Im Anschluß an diese Erfahrungen wurden einige Simulationsspiele entwickelt und erprobt: Im Rahmen meines Unterrichtes in einer Berufsfachschulklasse der Justizvollzugsanstalt Ravensburg, in einem ausbildungsbegleitenden Modellprojekt "moralische Urteilsfähigkeit" mit Strafgefangenen, desweiteren im Wirtschaftskundeunterricht für AnwärterInnen des mittleren Justizdienstes und in der Weiterbildung von BerufsausbilderInnen. Zuletzt wurde l993 ein Planspiel zu einem Ausbildungskonflikt im Kontext der Ausbilderqualifizierung eines Unternehmens der metallverarbeitenden Industrie durchgeführt.
Im Anschluß an die Einführung des AWT-Lernbereiches für die Hauptschule im Jahre 1979 werden in den Materialien zur Lehrplanreform von 1983 neben den sog. Unterrichtsformen mit Realbegegnung und den Projekten "Simulationsverfahren" als aktivierende Unterrichtsformen für das angeblich in der Hauptschule besonders angemessene "handlungsorientierte" Lernen empfohlen: Rollenspiele, Planspiele und Fallstudien.
In der gegenwärtigen Lehrplanfortschreibung wird ungeachtet ernstzunehmender Bedenken das Hauptschulprofil weiterhin an einem Schülertypus festgemacht, der angeblich im Unterschied zu anderen Jugendlichen den Schwerpunkt seiner "Begabungen, Leistungen und Interessen im anschaulich-konkreten Denken und im handelnden Umgang mit den Dingen" hat. Entsprechend werden speziell für den AWT-Lernbereich erneut "handlungsorientierte Verfahren" gefordert. Diesmal unter Auslassung der 1983 betonten Planspiele. Letzteres dürfte sicherlich aus der Kenntis folgen, daß methodisch unverkürzte Planspiele unter den zeitlichorganisatorischen Rahmenbedingungen des Schulalltages kaum durchzuführen sind und auch selten durchzuführen versucht wurden. Daß Planspiele nicht mehr erwähnt werden, rechtfertigt sich auch didaktisch aus dem Umstand, daß unter schulischen Bedingungen die Strukturen und Situationen der Arbeitswelt nicht hinreichend "isomorph" simuliert werden können, und daß die SchülerInnen kaum über die vorauszusetzenden Erfahrungen mit solchen Strukturen und Situationen verfügen. (Kahsnitz)
Es bleiben allerdings hinreichend viele Möglichkeiten für sinnvolle Simulationsspiele, wenn diese hinsichtlich ihrer Zielstellungen nicht überfordert werden. Folgt man einer neueren programmatischen Darstellung (Klippert), besteht zu diesbezüglichen Bedenken Anlaß. So sollen durch Wirtschafts- bzw. Interaktionsspiele neben der Entwicklung von Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit auch "Motivations-, Disziplin- und Lernprobleme" bewältigt werden, "Kreativität, Selbständigkeit und Denken in Alternativen"
[/S. 21:].
gefördert, der Umgang mit Medien geübt, Kommunikation, Teamwork und Kooperation trainiert, ja "Schlüsselqualifikationen" vermittelt werden. Auf die angesichts des methodischen Erkenntnisstandes vorläufig noch völlig überzogenen Erwartungen hinsichtlich der Förderung von Schlüsselqualifikationen durch Simulations- bzw. Planspiele habe ich in dieser Zeitschrift bereits hingewiesen. (Prim 1993)
Wenn Simulationsspiele überhaupt einen nennenswerten Beitrag zu komplexen pädagogischen Zielstellungen leisten können, dann nur als Bestandteile eines auch ansonsten konsequent auf die entsprechenden Intentionen ausgerichteten Methodenarrangements bzw. eines angemessen organisierten Bildungsprozesses. So sollten für jedes Simulationsspiel die spezifischen Zielstellungen bezüglich der jeweiligen Lernsituation angegeben werden. Wobei nicht immer wieder betont werden muß, daß solche Spiele auch den allgemeinen Intentionen eines schüler-, situations-, erfahrungs- und handlungsorientierten Unterrichtes verpflichtet sind.
Nachdem Kognitions- und Lernpsychologen das von frühen Reformpädagogen wie Dewey, Kerschensteiner und Gaudig längst erfundene Rad des grundsätzlichen für alle Menschen geltenden Zusammenhanges zwischen Denken und Handeln mit präzisierenden Erkenntnissen nacherfunden haben {vgl. z.B. Mandl u.a.), sei nochmals (vgl. Prim 1993, S.14) postuliert: Die Förderung handlungsorientierten und handlungsbefähigenden Lernens darf kein exklusives Profilmerkmal der Hauptschule bleiben, weil anderenfalls die Jugendlichen benachteiligt werden, die Realschulen und Gymnasien (sowie Hochschulen) besuchen.
Das schulartübergreifende "Einführungspapier in die Lehrplanfortschreibung" (Juni 1992) ist bei aller Vorsicht in der Formulierung durchaus auf der Höhe des gesetzmäßigen Zusammenhangs zwischen Denken, Handeln und sozialer Interaktion. Allerdings wird dieser Zusammenhang dann über die Festlegung des jeweils schulverschiedenen "Erziehungs- und Bildungsauftrag(s)" schon für die Realschule vor allem aber für das Gymnasium wieder weitgehend den verfestigten Vorstellungen von schulart- bzw. adressatentypischen Konstellationen des Theorie-Praxis-Verhältnisses geopfert.
2. Intentionen und didaktischer Kontext des Marktspiels
Das folgende "Marktspiel" wurde in der vorgestellten Version mit 16 TeilnehmerInnen eines Begleitkurses "Wirtschaftskunde" für Anwärter des mittleren Justizdienstes erprobt und unter anderen Voraussetzungen leicht modifiziert auch im Wirtschaftskundeunterricht einer Berufsfachschulklasse in der JVA Ravensburg durchgeführt.
Im Anschluß an die folgenkritische Erörterung des sog. Rationalprinzips des wirtschaftlichen Handelns wurde durch ein Spielszenario zu explorieren versucht, wie sich bei "rationalem" Verhalten ein im Ausgangszeitpunkt weitgehend regelungsfreier geldgeleiteter Tauschprozeß gesetzesförmig entwickeln wird, welcher Regelungsbedarf zur Aufrechterhaltung eines "freien" Marktes als notwendig erscheint und mit welchen sozialen Folgeproblemen ein solcher Markt wahrscheinlich verknüpft sein dürfte.
Im einzelnen wurden mit dem Spiel folgende Zielstellungen verbunden:
2.1
Die SchülerInnen sollten nicht unvermittelt mit den in der Nationalökonomie vorherrschenden mathematisierten Marktmodellen konfrontiert werden, da diese sozusagen "blutleer" die tatsächlichen sozialstrukturellen und interaktionellen Bedingungen des Marktgeschehens vernachlässigen. Was neben einer sachlich unzulänglichen wirtschaftlichen Konzeptbildung auch zur desinteressierten Aufnahme wirtschaftlicher Bildungsinhalte ohne Bezug zur eigenen Lebenswelt beiträgt.
2.2
Die SchülerInnen sollten erleben, daß es nicht nur spannend sein kann, wirtschaftliche Elementarprozesse spielend zu erkunden, sondern daß die dabei gewonnenen Einsichten mit wirtschaftswissenschaftlichen Informationen ergiebig verknüpft werden können. Sei es als beispielhafte Verdeutlichung, sei es als Anknüpfungspunkt für weitere Fragestellungen, sei es als Basis kritischer Rückfragen zu Lehrbuch- und Unterrichtsinformationen.
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Diese beiden "pädagogischen" Ziele erwiesen sich insbesondere im Wirtschaftskundeunterricht der Gefängnis-Berufsschule als axiomatisch für Motivation und Mitarbeit der Schüler. Was sich aus dem Umstand erklärt, daß Wirtschaftskunde als sog. allgemeinbildendes Fach auf ein (schulisch bedingtes ?) schon stark verfestigtes Desinteresse stößt. Ich habe meinen Schülern in mehreren Klassen der Grundstufe (Berufsfachschule) ein "Polaritätenprofil Wirtschaftskunde" zur Einschätzung vorgelegt. Immer wieder dominierten die Codierungen: "langweilig", "abstrakt", "nicht wichtig für den Beruf" (Facharbeiterausbildung). "Wirtschaftliche Kenntnisse kann man sich am besten und ausreichend im Alltagsleben aneignen." Gespräche mit Lehrerkollegen aus der "externen" Berufsschule bestätigten, daß diese Distanz zum Fach Wirtschaftskunde nicht spezifisch für Schüler im Strafvollzug ist.
In "fachlicher" Hinsicht waren als Ziele maßgeblich:
2.3
Das "Rationalprinzip" sollte in seiner Problematik aus der Sicht der Verbraucher, der Anbieter und der Ordnungspolitik erfahren und besprochen werden. Wobei es vor allem um die Einsicht ging, daß Wirtschaftssubjekte mit sich selbst und untereinander in strukturell bedingte Konflikte geraten, wenn sie sich strikt an dieses Prinzip zu halten versuchen. (vgl. die diesbezüglichen Ausführungen weiter unten). Den SchülerInnen waren die Versionen des Minimum- und des Maximumprinzips bekannt. Ich hatte mich bemüht, die aus der allgemeinbildenden Schule bzw. aus dem Alltagsvokabular mitgebrachte logisch unzulängliche Version "zu löschen". Wonach rationales wirtschaftliches Verhalten ja darin bestehen würde, mit geringstem Aufwand den größten Erfolg zu erzielen. Stattdessen wurde versucht, die beiden Handlungsmaximen des Rationalprinzips durch eine Reihe von Beispielen verinnerlichungsfähig zu erläutern. Z.B.: Als Konsument möchte ich eine bestimmte Menge Butter einer ebenfalls bestimmten Qualität zu einem möglichst niedrigen Preis bzw. zu möglichst niedrigen Kaufkosten erwerben. (Einschließlich also der evtl. anfallenden Kosten für Preisvergleiche, der Wegekosten zum Markt etc.)=Minimumprinzip. Als Landwirt versuche ich das Kilogramm Butter zu einem möglichst hohen Preis bzw. mit einem möglichst hohen Gewinn zu verkaufen.=Maximumprinzip.
2.4
Die SchülerInnen sollten durch das Spiel auf eine diskursive Auseinandersetzung mit dem ordnungspolitischen Modell der "freien Marktwirtschatt" vorbereitet werden. Um dann mit Bezug zum Spiel auch die soziale Regelungsbedürftigkeit der Märkte im Sinne der Chancen- und Verteilungsgerechtigkeit sowie der Sozialpflichtigkeit wirtschaftlichen Handelns überhaupt nachvollziehen und innerlich bejahen zu können.
Die aktuelle Dringlichkeit einer solchen Zielstellung wird durch das "Geschichtsexperiment" der Deutschen Einigung leider beklemmend deutlich: Die nicht selten "frühkapitalistischen"Strategien und Verhaltensweisen, mit denen westdeutsche Unternehmen und Wirtschaftspersonen nach der Wende in der "neuen DDR" und dann in den neuen Bundesländern "aktiv" wurden wecken Zweifel daran, daß Schule und gesellschaftlicher Alltag in über 40 Jahren die verfassungsgemäße Vorgabe der "sozialen Marktwirtschaft" zu einem verinnerlichten Anspruchs- und Verhaltensmodell befördert haben. So sprach Friedhelm Hengsbach S.J. (Nachfolger des verstorbenen Nestors der kath. Soziallehre Oswald v. Nell-Breuning) schon 1990 von einem "Beitritt in eine ausgehöhlte <soziale Marktwirtschaft>". Es sei damit zu rechnen, "daß nicht die soziale Marktwirtschaft... den Einigungsprozeß begleitet, sondern daß in erster Linie eine kapitalistische Marktwirtschaft jenes politische Vakuum ausfüllt, das den nationalen Einigungsprozeß hervorgerufen hat." (Hengsbach,63/65)
Das folgende Explorationsspiel dürfte durch seine Voraussetzungen und Merkmale "schulgerecht" sein :
- Das Thema "Marktfunktionen-Marktformen" ist schulartübergreifend ein Standardthema der Wirtschaftskunde.
- Die gewählte didaktische Fiktion überfordert die SchülerInnen weder hinsichtlich ihres Wissens noch hinsichtlich ihrer Erfahrungen.
[/S. 23:]
- Die Realisierung des Spieles dürfte mit einer Dauer von ca. 90 Minuten und mit einem geringen Vorbereitungs- u. Materialaufwand auch lernorganisatorisch leicht zu bewerkstelligen sein. Für die Auswertung des Spiels im gegebenen Rahmen sind weitere 90 Minuten ausreichend. Wobei diese Zeit je nach Anlage des Unterrichts für die thematische Weiterführung genutzt wird.
- Das Spiel kann ohne Strukturbrüche flexibel in verschiedene didaktisch-methodische Konzepte integriert werden.
3. Der Spielplan
3.1
In einem Dorf existieren nach dem Zusammenbruch des bisherigen Wirtschaftssystems, der Währung und der staatlichen Ordnung noch 5 Bauernhaushalte zu je zwei Personen. (Bei größerer Klasse können diese Zahlen im Zusammenhang mit den weiteren Vorgaben variiert werden.) Nachdem das Dorf einige Plünderungen erleben mußte, ist die wirtschaftliche Lage der bäuerlichen Haushalte sehr schlecht: (Leider liefert die Situation in vielen Ländern der Erde hinreichend Anlaß, eine solche Fiktion für nicht völlig aus der Luft gegriffen anzusehen.)
Jeder Haushalt hat noch für vier Tage Lebensmittel, aber keine Ackergeräte und Werkzeuge, kein Saatgut, kein Jungvieh und auch keine Hühner mehr. Über die ferne Notregierung wurde jedem Haushalt ein Startkapital von 100 Währungseinheiten übermittelt. (Hier läßt sich leicht ein Exkurs über die Währungsreform nach dem II. Weltkrieg einflechten, DM 40,-- als Startliquidität pro Person). Es ist an der Zeit, die Felder zu bestellen.
3.2
Kurz nach der Währungsausgabe findet Mittwochs ein "Spontanmarkt" statt, auf dem drei Händler die unten aufgeschriebenen Waren anbieten. Die Anbieter wollen ein gutes Geschäft machen. Der nächste Markt soll erst in vier Wochen stattfinden. Feste Preise sind nicht ausgezeichnet. Die Händler wollen "sehen, was drin ist". (Die Zahl der SchülerInnen, die einen Stand betreiben, richtet sich nach der Klassengröße.)
Es werden angeboten:
(Die Jahreszeitenfolge für Produkte des Händlers C bleibt unberücksichtigt)
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Aus Gründen der didaktischen Komplexitätsreduktion wurden die Stände der Händler mit entsprechender Beschriftung so im Raum plaziert, daß die Händler keine Preis-Mengenabsprachen treffen und während des Marktes auch nicht potentielle Käufer beeinflussen konnten. Analog erfolgte die räumliche Separierung der Haushalte, allerdings ohne "Kontaktverbot" untereinander.
3.3
Das Verhalten der Spielteilnehmer sollte sich an folgenden Regeln orientieren:
3.3.1
Die Haushalte überlegen, was sie kaufen und wieviel Geld sie insgesamtausgeben wollen. Sie machen sich ungefähre Vorstellungen, was sie maximal für die gewünschten einzelnen Güter auszugeben bereit sind. Die Haushalte können während des Spieles Kontakt zueinander aufnehmen.
3.3.2
Jeder Händler überlegt, was er mindestens für die einzelnen
Waren haben will. Wobei die verfügbaren Haushaltseinkommen und die unterstellte
Dringlichkeit von Bedürfnissen die Berechnungsgrundlage sind.
3.3.3
Die Haushalte versuchen, sich nach dem Minimumprinzip zu verhalten. Die Händler nach dem Maximumprinzip.
3.3.4
Die Haushalte erstellen einen Einkaufsplan und halten fest, was sie zu welchen Preisen tatsächlich gekauft haben. Nach Abschluß des Marktes überlegen sie, ob sie ihr Einkaufsziel erreicht haben bzw. welchen Schwierigkeiten sie begegnet sind und was sie beim nächsten Markttag anders machen wollen.
3.3.5
Die Händler machen nach Abschluß des Marktes "Inventur". Sie stellen also fest, was sie verkauft haben und was übrig geblieben ist. Sie überlegen, ob sie sich "richtig" verhalten haben und was sie am nächsten Markttag anders machen werden (Angebotspalette und -menge, Verkaufsverhalten etc.).
3.4
Das Spielgeschehen wird durch einen unbeteiligten Marktbeobachter (bei größeren Klassen durch ein Team) erkundet und in seinen wesentlichen Abläufen und Ereignissen dokumentiert. Spielprobleme und Spielende werden durch den Spielleiter (LehrerIn) nach Rücksprache mit dem Marktbeobachter entschieden.
.
4. Erlöserwartungen und tatsächliche Erlöse im hier besprochenen Beispiel
5. Inventur der Händler nach Marktende
6. Die Auswertung der Spielergebnisse und -Erfahrungen
Die Frage: "Was konnten wir aus dem Spiel erkennen ?" wurde im Klassengespräch aus drei Perspektiven mit folgenden Ergebnissen erörtert.
[/S. 26:].
6.1 Aus der Sicht der Haushalte (Nachfrage)
- Dringliche Bedürfnisse müssen bei knappem Angebot durch den Kauf von Gütern mit einem relativ hohen Preis befriedigt werden.
- Bei knappem Geld muß Konsumverzicht geleistet werden, um Hilfsmittel bzw. Investitionsgüter anzuschaffen, die für die Existenzsicherung in der Zukunft unverzichtbar sind.
- Es muß durch Sparen ein Polster gebildet werden, um Chancen in der Zukunft d.h. auf dem nächsten Markt wahrnehmen zu können bzw. sich gegen Risiken dieses Marktes einigermaßen abzusichern.
- Wenn sich die Haushalte absprechen, aushelfen und Investitionsgüter gemeinsam anschaffen, gewinnen sie eine bessere Position gegenüber den Händlern.
6.2 Aus der Sicht der Händler (Angebot)
- Bei Gütern, die von den Käufern dringlich gebraucht werden, sollte das Angebot möglichst knapp gehalten werden, damit die Käufer über den Preis um das Gut konkurrieren. Dies hätte die Marktposition insbesondere von Anbieter B verbessert.
- Bei Gütern, die nicht so stark nachgefragt werden, kann man bis kurz vor die Kostengrenze bzw. die Minimumvorstellung gehen, um doch noch einen Gewinn über die Absatzmenge zu erzielen. Was beim Anbieter A bezüglich Tabak und Schokolade hätte versucht werden können.
- Man sollte nicht gleich verkaufen, sondern zuerst mit verschiedenen potentiellen Kunden verhandeln, um einen Überblick über die ökonomische Situation der Abnehmerseite zu gewinnen, die ja nicht nur aus der verfügbaren Liquidität besteht. Man sollte jedoch nicht solange zuwarten, bis die Käufer Absprachen treffen. Diese Strategie wäre für Händler B sinnvoll gewesen.
6.3 Aus der Sicht des unbeteiligten Marktbeobachters
- Die Käufer akzeptieren Preise in der Reihenfolge dringlicher Grundbedürfnisse und unaufschiebbarer Investitionen.
- Die Händler gestalten ihre Preise nach der Menge der von den Käufern nachgefragten Güter. Werden die Kosten bzw. die Minimumvorstellungen nicht gedeckt, verkaufen die Anbieter nicht. Es sei denn, sie brauchen dringend Geld zur Abdeckung unaufschiebbarer Verpflichtungen. (Diese Variable war Bestandteil der Kalkulationsüber-
[/S. 27:].
- legungen der Anbieter bezüglich ihrer Minimumvorstellungen.)
- In der gegebenen Situation hatten die Händler die stärkere Marktposition. Ein Gleichgewicht zwischen Anbietern und Nachfragern wäre eher gegeben gewesen, wenn jeder Händler noch mindestens einen Konkurrenten gehabt hätte, der gleichwertige Waren anbietet.
- Wenn hingegen jeder Anbieter ein Monopol hat, dann werden die Käufer langfristig ausgebeutet. Es sei denn, sie gehen weitgehend zur gemeinsamen Eigenwirtschaft über und/oder organisieren sich gegenüber den Händlern.
- Auf der Grundlage dieser Erfahrungen wurde die Sitzung eines Marktordnungs- ausschusses simuliert, der folgende Markt- und Wirtschaftsordnung verabschiedete, mit dem Ziel eines für Anbieter und Nachfrager "fairen" wirtschaftlichen Austauschs:
Markt- und Wirtschaftsordnung
|
7. Didaktische Schnittstellen des Spiels i.S. der Weiterführung des Unterrichts
(1) Mit Bezug zu der mehrfach angesprochenen Dringlichkeitsfolge der Kaufentscheidungen konnte die in den meisten Wirtschaftskundelehrbüchern vorgestellte Bedürfnispyramide von Maslow anschaulich erklärt werden. (Zur Information vgl. May 1990, S. 3 f)
(2) Die systematische Darstellung der mit einer durchgängigen Orientierung am Rationalprinzip in verschiedenen Wirtschafts-Rollen einhergehenden intrapersonalen bzw. innerhaushälterischen Interessenkonflikte konnte mit Anknüpfung an die in der Marktordnung vorgesehene Rollenerweiterung der bäuerlichen Haushalte bei hoher Schüleraufmerksamkeit und Gesprächsbeteiligung gelingen:
[/S. 28:].
Diese Intentionen stoßen auf gegengerichtete Absichten anderer Wirtschaftseinheiten, auf deren Erfolg die Wirtschaftssubjekte selbst angewiesen sind:
Strukturell bedingte Interessenkonflikte bei Befolgung des Rationalprinzips:
Einkommen aus Arbeit > Kostenfaktor für Unternehmen > < niedrige Preise Einkommen aus Sparen > Kostenfaktor für Banken > < niedrige Kreditzinsen Öffentliche Leistungen > Ausgaben f. Staat u. Kommunen > < niedrige Steuern. |
Diese Zusammenhänge führten "geradewegs" zu der Frage, wie ein gerechter Interessenausgleich ohne Ausbeutung der Schwachen durch die Starken ordnungspolitisch gewährleistet werden kann.
[/S. 29:].
Quelle: Süddeutsche Zeitung, 15./16. Januar 1994, S. 124
(3 In der Aufnahme dieser Frage konnte dann geklärt werden, daß das
Ordnungsmodell der sog. freien Marktwirtschaft nicht weiter reicht als die von
uns entworfene Marktordnung, ja hinsichtlich der Vorkehrungen für Notzeiten
noch hinter dieser zurückbleibt. (Bei umfassender Konkurrenz sorge der
Angebotsnachfrage-Mechanismus über den Preis für einen fairen Interessenausgleich.
Die Garantieleistung des Staates habe sich zu beschränken auf: Gewährleistung des Privateigentums, störungsfreie Märkte, Sicherung der Konkurrenz, Einhalten von Verträgen, Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.)
(4) In Gruppenarbeit wurden anschließend die gesellschaftlichen Gefahren einer solchen Wirtschaftsordnung ermittelt, wobei auch der Arbeitsmarkt zu berücksichtigen war. Im Auswertungsgespräch konnten folgende Aspekte rekonstruiert werden: mangelnde Kontrolle von Wettbewerbsbeschränkungen, schwache Position der Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt, keine Absicherung bei Arbeitslosigkeit, kein Schutz bei Krankheit und Invalidität, sehr ungleiche Vermögensverteilung, Mißbrauch des Eigentums für Ausbeutungszwecke, starke regionale Unterschiede, keine Absicherung für soziale Problemgruppen, keine Vorsorge gegen Konjunktur- und Strukturkrisen.
(5) Damit war das Interesse für die Idee, die gesetzliche Verfaßtheit und die Realität der Sozialen Marktwirtschaft geweckt. Im Lehrgespräch konnte ich dann im narrativen Verfahren darstellen, wie mich seinerzeit als Student die Ideen von Alfred Müller-Armack erreicht und bewegt haben, der als Wissenschaftler und Staatssekretär einen ganz wesentlichen Anteil an der Konzipierung und Etablierung der Sozialen Marktwirtschaft gehabt hat. Eine sehr gute Darstellung insbesondere der ethischen Grundlagen und der Leistungsgrenzen der Sozialen Marktwirtschaft findet sich bei May (Hrsg.) 1992, S. 520 ff.
Sollten LeserInnen dieses "Marktspiel" mit der gleichen oder einer variierten Ausgangslage und Spielvorgabe erproben, wäre ich für Rückmeldungen dankbar.
[/S. 30:].
Literatur
Hengsbach, F.: Beteiligungsdefizite im nationalen Einigungsprozeß. In: Henkel,H. (Hrsg.): Symposion '90. Markt und Kultur. Regensburg 1991, 59-80.
Kahsnitz, D.: Das Planspiel im Arbeitslehreunterricht. In: ARBEIT UND TECHNIK in der Schule. H.1/1993, 8-12.
Klippert, H.: Wirtschaftsspiele im Unterricht. In: Wirtschaft- arbeiten + lernen H 10/1993, 12-14.
Mandl/Gruber/Renkl: Das träge Wissen. In: Psychologie heute. H.9/1993, 64-69
May, H.: Ökonomie für Pädagogen. München 1990
May, H. (Hrsg.): Handbuch zur ökonomischen Bildung. München 1992
Prim, R./Reckmann, H.: Das Planspiel als gruppendynamische Methode außerschulischer politischer Bildung. Heidelberg 1975.
Prim, R.: "Schlüsselqualifikationen": pädagogischer Etikettenschwindel oder verläßliche Orientierung zeitgemäßer beruflicher und schulischer Bildungsreformen? In: AWT-Info. H. 1/1993, 4-16.
* Dipl.-Hdl., Professor für Allgemeine Pädagogik an der Pädagogische Hochschule Weingarten mit den Arbeitsschwerpunkten Bildungstheorie und allgemeine Didaktik der Arbeitslehre, vorberufliche und berufliche Bildung, berufspädagogische Ausbilderqualifizierung.
Das Original ist unter dem gleichen Titel erschienen in: Informationen
zu Arbeit , Wirtschaft, Technik (AWT-Info)
13. Jahrgang (1994) Heft 1, Seite 21-31.
(c) 1994 Rolf Prim, Schlier
Um den Text zitierfähig zu machen, sind die Seitenwechsel des Originals
in eckigen Klammern angegeben, z. B. [/S. 53:].
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