1. Zielsetzung/Relevanz/Begriffe
Laut JIM-Studie von 2015 zum Umgang Jugendlicher mit Medien sehen acht von zehn Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren regelmäßig fern, jeder Zweite täglich, durchschnittlich fast zwei Stunden am Tag (mpfs 2015: 24). Bewegte Bilder in Form von Videoclips, Spots, Spielfilmen, Dokumentarfilmen etc. nehmen somit einen wichtigen Stellenwert im Leben von Kindern und Jugendlichen ein und haben Einfluss auf ihre Sozialisation. Dies macht den kompetenten Umgang mit Medien in Form von Filmmaterial zum Ziel und zur Aufgabe politischer Bildung in der Schule. Sie ist gefordert, Schülerinnen und Schülern Instrumente und Mittel an die Hand zu geben, die in Filmen transportierten Botschaften zu entschlüsseln sowie immanente politische und gesellschaftliche Sachverhalte zu erkennen und zu reflektieren. Überdies gilt es, den jungen Menschen zu verdeutlichen, wie „perspektivisch, funktional und parteilich die Darstellung politischer und historischer Probleme und wie folgenreich eine unreflektiert-affirmative Rezeption für das eigene Politikbewusstsein sein kann“ (Krammer 2008:51).
Gleichzeitig nutzt der sozialwissenschaftliche Unterricht selbst Filme als Unterrichtsmethode. Sie dienen – neben anderen Medien – als Informationsquelle der sozialwissenschaftlichen Bildung und können politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge veranschaulichen. Zudem können Filme auch selbst als Dokumente ihrer Zeit, die den Zustand einer Gesellschaft darstellen, zum Gegenstand der Analyse gemacht werden (Metto & Paschen 2002: 52).
Für den sozialwissenschaftlichen Unterricht haben Arten von Filmen oder – wie Besand unterscheidet – Formen von bewegten Bildern Relevanz. Anja Besand unterscheidet Wahlwerbesports, Nachrichtensendungen, Unterrichtsfilme/Reportagen/Dokumentarfilme, Spielfilme/Serien und Erklärstücke/Videoclips (Besand 2014: 462 ff.). Wahlwerbespots verdichten die Kernaussagen der politischen Parteien und bieten damit ein Medium zur Analyse der Wirkung und suggestiven Kraft dieser Filme. In diesem Zusammenhang können Aspekte der Filmgrammatik und -sprache zum Gegenstand der Analyse gemacht werden. Nachrichtensendungen können im Hinblick auf Auswahl von Inhalten, Aufbereitung und Reihenfolge dieser untersucht werden. Unterrichtsfilme als solche werden im Unterricht immer weniger eingesetzt. Dies liegt nicht zuletzt an der digitalen Verfügbarkeit von unzähligen Dokumentationen (bspw. in den Mediatheken öffentliche-rechtlicher Sender). In diesem Zusammenhang sind auch kurze Erklärstücke und Videoclips zu nennen, welche nicht nur von der Bundeszentrale politischer Bildung angeboten werden. Zunehmend finden sich auf entsprechenden Plattformen Angebote privater, einzelner Anbieter. Hier ist geboten, sachliche und methodische Qualität zu überprüfen. Spielfilme bieten sich für die Analyse einer Reihe sozialwissenschaftlicher Fragestellungen an. Diese sollen im Folgenden beispielhaft erläutert werden.
2. Der Spielfilm im sozialwissenschaftlichen Unterricht
Als fiktionales Produkt liefern Spielfilme zwar kein objektives Abbild der Gesellschaft. Vielmehr werden in narrativer Form eine oder mehrere Perspektiven in Form eines Handlungsstranges mit Hilfe von ästhetischen und dramaturgischen Mitteln dargestellt. Dennoch bedeutet dies nicht, dass eine Auseinandersetzung mit Spielfilmen im sozialwissenschaftlichen Unterricht nicht lohnenswert sei. Grob können zwei Ebenen unterschieden werden: die inhaltliche Ebene und die der Form und Produktion.
Die inhaltliche Ebene
Filme können im Unterricht dazu genutzt werden, dass junge Menschen Probleme, Kontroversen, Haltungen oder sogar Ideologien kritisch hinterfragen und diskutieren. Dabei geht es nicht zuletzt darum, die Konstruktion von Wirklichkeit durch Filme kritisch zu beleuchten. Dies meint nicht nur den Vergleich von Spielfilmwirklichkeit mit der politischen und gesellschaftlichen Realität. Der Fokus sollte darüber hinaus auf den durch Filme transportierten Vorstellungen und Konzepten von politischen wie gesellschaftlichen Vorgängen liegen, welche das Bewusstsein über Strukturen, Zusammenhänge, Kontroversen und Lösungsmöglichkeiten in der Gesellschaft ebenso begründen wie das Verfolgen der Nachrichten im Fernsehen oder Zeitungen (Krammer 2008: 52).
Die Ebene der Form und Produktion
Eine Analyse der so genannten Filmgrammatik, d.h. der Kameraeinstellungen, -bewegungen, Beleuchtung, Ton, Bildmontagen etc., liefert Erkenntnisse über die Wirkung des Films auf die ZuschauerInnen. Im Groben geht es darum, eine kritische Distanz zum Film aufzubauen und die dargestellte Lebenswelt auf der Ebene der Produktion zu dekonstruieren. Beispielweise kann ein Fokus die suggestive Kraft von Bildern sein, welche anhand bestimmter Szenen Gegenstand der Untersuchung sein kann.
3. Ablauf der Methode
Liegt der Fokus auf einer im Film dargestellten gesellschaftlichen Kontroverse bzw. einem sozialwissenschaftlich relevanten Problem, bieten sich drei Analyseschritte an. Zunächst gilt es, das Problem zu beschreiben und zu analysieren. Im zweiten Schritt sind gesellschaftliche Bezüge herauszuarbeiten, d.h. Ursachen des Problems, gesellschaftliche Hemmnisse sowie deren Hintergründe. Drittens geht es um das Finden von Lösungswegen, wobei der Fokus auf der Bewertung der Handlungen bzw. auf den Handlungsalternativen des/der Protagonist/in/en liegen könnte.
Thoß (2011: 491) bietet zu diesem Vorgehen einen Katalog sogenannter W-Fragen an.
Beschreibung des Problems: Worin besteht der Kern des Problems? Wie kam es zum Problem? Wer ist am Konflikt beteiligt? Welche Interessen werden jeweils verfolgt? Wie lässt sich der Entwicklungsprozess beschreiben? Aus welchen Perspektiven wird die Problematik dargestellt?
Gesellschaftlicher Bezug: Welche Ursachen hat das Problem? Handelt es sich um ein individuelles oder gesamtgesellschaftliches Problem? Was ist über die Problematik bekannt? Wo ergeben sich Fragen oder Informationsbedarf zum Thema? Wurden wichtige Hintergründe und Sichtweisen des Problems im Film richtig oder nicht dargestellt?
Finden von Lösungswegen: Wie hat der/die Protagonist/in/en gehandelt? Welche Alternativen hatte/n sie/er? Welche Hilfen und Unterstützung könnte/n er/sie nutzen? Welche Umstände müssten geändert werden, damit solche Probleme vermieden werden? Sind die Darstellung des Problems und die Lösung bezogen auf unsere Lebenswelt realistisch? Wie würden die Schülerinnen und Schüler in solch einer Situation handeln? Waren die Schülerinnen und Schüler selbst einmal in einer ähnlichen Situation? Dabei ist es ratsam, die oben stehenden Fragen anhand kognitiv aktivierender Lernaufgaben zu bearbeiten und dabei auf einen reinen W-Fragen-Katalog zu verzichten.
Eine wichtige, von der Lehrkraft zu treffende Entscheidung ist die Frage, ob der Film zunächst in voller Länge (mit so genannten while-watching-activities) gezeigt wird oder ob der Film in Etappen angesehen wird. Letzteres führt bei den Schülerinnen und Schülern nicht selten zu Frust, da die Arbeit mit dem Film als zäh und mühsam erlebt wird. Andererseits werden mit Zeigen des gesamten Films viele Methoden ausgeschlossen, die mit Erwartungen und Vorstellungen über den Fortgang des Films arbeiten (z.B. das Stoppen des Films an geeigneter Stelle sein, um die Schülerinnen und Schüler den Fortgang des Filmes antizipieren zu lassen).
Geht es darum, einzelne Filmszenen einer Analyse zu unterziehen, sind Wiederholungen unerlässlich (z.B. insbesondere die Analyse der Filmgrammatik). Hier bietet es sich an, die Schülerinnen und Schüler mit der entsprechenden Technik (z.B. Laptops, Tablets oder Smartphones) auszustatten, um diesen eine selbständige und individuelle Arbeit an den Filmszenen zu ermöglichen.
Konkrete Methoden der inhaltlichen Arbeit sind ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- das Verfassen von Tagebucheinträgen aus Sicht eines der Akteure
- die Umsetzung der Story in einer alternativen Textsorte (Zeitungsartikel, Kurzgeschichte)
- das Schreiben einer Rezension
- die Reflexion von Form und Inhalt sowie Absicht und Wirkung (Filmgrammatik)
- die Arbeit mit der Ton-Bild-Schere, etwa das Zeigen einer Szene ohne Ton doer umgekehrt, verbunden mit dem Auftrag an die Schülerinnen und Schülern, Bild bzw. Ton zu antizipieren bzw. sogar zu gestalten
- der Vergleich mit anderen Darstellungsformen (bspw. Lehrbuch, Artikel) zum Thema, um Unterschiede zu ermitteln
- das Anfertigen von Filmclustern: Schülerinnen und Schülern notieren zu einzelnen Szenen oder Protagonisten ihre Gedanken und Gefühle, welche sie im Plenum präsentieren
- die Bewerbung als Schauspieler/in in einem Remakes: Die Schülerinnen und Schüler setzen sich mit einer alternativen Darstellung der Rolle auseinander.
Hierbei sollte in der konkreten Aufgabenstellung immer ein sozialwissenschaftlicher Kontext, bspw. die Darstellung einer gesellschaftlichen Kontroverse oder das Handeln einzelner Akteure in einem Konflikt, herausgearbeitet werden.
4. Vor- und Nachteile: Hinweise für die Praxis
Das Potenzial von Filmen in der Schule reicht weit über eine motivierende Funktion hinaus. Filme bieten den Schülerinnen und Schülern einen Zugang zu politischen wie gesellschaftlichen Kontexten mit einem ihnen sehr vertrauten Medium. Es sollte darauf geachtet werden, dass weder durch einseitige Belehrung oder zu starken Fokus auf technische Mittel (Kameraposition, Bildmontagen) die Freunde am Film verdorben wird. Eine klare methodische Vorgehensweise in der Arbeit mit Filmen ist wichtig. Dennoch sollte den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit gegeben werden, eigene Wege zu gehen und zwischen vielen Angeboten zu wählen.
Filme müssen überdies altersentsprechend ausgewählt werden. Die Angaben der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) bieten hierzu eine grobe Orientierung, sind jedoch im Einzelfall auch kritisch zu prüfen. Insbesondere Filmthemen oder auch nur einzelne Sequenzen oder Bilder, die den Schülerinnen und Schülern emotional viel zumuten (z.B. Filme über Völkermorde etc.), müssen im Vorfeld vorentlastet werden. Dies kann beispielsweise bedeuten, die Schülerinnen und Schülern im Vorfeld über die entsprechenden Szenen zu informieren und mit ihnen Handlungsoptionen im Umgang mit schwer zu verarbeitenden Szenen zu erarbeiten. Wichtig ist es dabei, dass die Lernerinnen und Lerner ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass Reaktionen und Gefühle sehr unterschiedlich sein können und grundsätzlich nicht zu bewerten sind. Schülerinnen und Schülern sollte es zudem auch möglich sein, problematische Szenen gar nicht zu sehen. Die Aussprache über Gefühle und Reaktionen in Kleingruppen oder im Plenum muss vor der Arbeit mit Filmszenen erfolgen. Hierbei bieten sich die Blitzlichtmethode oder Partnerinterviews an.
5. Hinweise zu Material
Material zu Filmen findet die Lehrkraft sowohl in gedruckter Version als auch online. Hierbei ist beachten, dass diese Angebote selten das jeweilige Fach, den Lehrplan, das Curriculum oder den aktuellen Reihenkontext treffen. Oftmals mischen sich in den Analysen literaturwissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Aspekte. Viele Schulbuchverlage bieten passendes Material für die Oberstufe, vorzugsweise für die sprachlichen Fächer an. Die sozialwissenschaftlichen Fächer sind dagegen weniger versorgt, was – wie an vielen Stellen - ein Mehr an vorbereitender Tätigkeit für die jeweilige Lehrkraft bedeutet.
6. Literatur
- Goll, Thomas (2010): Filmanalyse, In: Lange, Dirk (Hrsg.) (2010): Methoden politischer Bildung, Baltmannsweiler, 41-48.
- Lesske, Frank (2011): Dokumentarfilm, In: Besand, Anja & Wolfgang Sander (Hrsg.): Handbuch Medien in der politischen Bildung, Schwalbach/Ts., 169-178.
- Krammer, Reinhard (2008): Der politische Film im Unterricht. Analyse, Interpretation, Diskussion, In: Forum Politische Bildung (Hrsg.): Informationen zur Politischen Bildung, Bd. 29, Innsbruck–Bozen–Wien, 51-57.
- Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (2015): JIM 2015. Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland, Stuttgart.
- Metto, Michael & Joachim Paschen (2002): Film, In: Kuhn, Hans-Werner & Peter Massing (Hrsg.): Lexion der politischen Bildung. Methoden und Arbeitstechniken. Band 3, Schwalbach/Ts., 51-54.
- Thoß, Nina (2011): Spielfilm, In: Besand, Anja & Wolfgang Sander (Hrsg.): Handbuch Medien in der politischen Bildung, Schwalbach/Ts., 489-494.
- Thoß, Nina (2011): Unterrichtsfilm, In: Besand, Anja & Wolfgang Sander (Hrsg.): Handbuch Medien in der politischen Bildung, Schwalbach/Ts., 549-560.