Fachdidaktisch-fokussierte Praxisberatung im Fach Sozialwissenschaften - Handreichung für Studierende

Idee und Ziel

Im Rahmen des Bielefelder Praxissemesters sind zwei Praxisberatungen vorgesehen. Beide Praxisberatungen werden durch Seminarausbilder/-innen der beteiligten Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung durchgeführt. Während die erste Praxisberatung in Form einer Gruppenhospitation vornehmlich überfachliche Aspekte des Lehrer/-innenhandelns thematisiert, findet die zweite Praxisberatung durch eine/-n der beteiligten fachlichen Seminarausbilder/-innen in einem der beiden Unterrichtsfächer der Studierenden statt. Damit bietet die zweite Praxisberatung in besonderer Weise die Möglichkeit, die Bedeutung von fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und bildungswissenschaftlichen Wissensbeständen bei der Gestaltung von sozialwissenschaftlichen Lehr-/Lernprozessen erfahrbar werden zu lassen. Gleichzeitig droht diese für den Professionalisierungsprozess wertvolle Reflexionsgelegenheit unter dem Handlungsdruck der Praxissituation ungenutzt zu verstreichen. Aus diesem Grund hat die Fachgruppe Sozialwissenschaften das Konzept der fachdidaktisch-fokussierten Praxisberatung entwickelt und erprobt. Durch die Fokussierung eines für die sozialwissenschaftliche Lehr-/Lernsituation relevanten Aspektes soll der herausfordernde Prozess der Planung und Durchführung zeitlich entlastet, in seiner Komplexität reduziert und damit die Reflexion über die Relevanz fachwissenschaftlicher, fachdidaktischer und bildungswissenschaftlicher Bezüge im Rahmen der Praxisberatung erleichtert werden.

Umsetzung und Organisation

  • Im Vorfeld der Praxisberatung entscheiden Sie sich für ein Unterrichtselement, das Sie bei der Planung und Durchführung besonders in den Blick nehmen wollen. Ein solches Element kann entweder eine Unterrichtsphase (z.B. Einstieg, Methode der Erarbeitung, …) oder ein phasenübergreifender Aspekt wie z.B. die Materialauswahl, die Orientierung an einem fachdidaktischen Prinzip zur Entwicklung des Themas, zentrale Aspekte der didaktischen Reduktion vor dem Hintergrund der Sachanalyse oder die Didaktisierung des Lerngegenstands sein.

  • Bei der Gestaltung dieses Unterrichtselements machen Sie deutlich, wie Sie fachliche, fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Theorieangebote mit handlungspraktischen und lerngruppenspezifischen Erfordernissen und Erfahrungen, z.B. auf Basis eigener Beobachtung und der Hinweise Ihrer Mentoren/-innen, miteinander verbinden (siehe Abbildung 1).

  • Die Planungen für die Unterrichtsstunde werden in einer „kurzgefasste[n] schriftliche[n] Unterrichtsskizze von ca. 2 Seiten“2 dargestellt (vgl. Anlage I.). Dazu gehört in einem ersten Teil die Darstellung des Themas, der Ziele sowie der Unterrichtsphasen. Statt einer didaktischen Begründung für jede Unterrichtsphase markieren Sie hier lediglich die Phase bzw. den phasenübergreifenden Aspekt, der bei der Praxisberatung besonders in den Blick genommen werden soll. Formulieren Sie in einem anschließenden zweiten Teil in Form einer methodisch-didaktischen Begründung nur, zu welchen konkreten Entscheidungen Sie hinsichtlich dieses fokussierten Aspekts gekommen sind. Fügen Sie bitte im Anhang zur Unterrichtsskizze Materialien, die zum Verständnis des Unterrichtselements wichtig sind (z.B. Arbeitsblätter usw.) an und weisen Sie die Literatur aus, auf die Sie sich in Ihrer Planung beziehen. Selbstverständlich können Sie dabei auf die Literatur der VPS-Seminare und der Begleittage zurückgreifen.

  • Im Anschluss an die Praxissituation findet dann die eigentliche Praxisberatung auf Basis der jeweiligen Beratungskonzepte der Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung3 statt. Das fokussierte Unterrichtselement bildet dabei einen Beratungsschwerpunkt, die anderen Beratungsschwerpunkte ergeben sich aus situativen Eindrücken und Erfahrungen der Praxissituation und Ihren weiteren Bedarfen hinsichtlich der eigenen Professionalisierung.

Fach- und hochschuldidaktische Begründung

Als Praxissemesterstudierende sehen Sie sich am Lernort Schule einer hohen Komplexität ausgesetzt. In Ihrem Handeln müssen Sie situativ Auswahlentscheidungen treffen, unterschiedliche Anforderungen balancieren und sich auch mit Ihren eigenen – oft hohen – Ansprüchen auseinandersetzen.4 Im Format der fokussierten Praxisberatung sollen Sie entsprechend in ein komplexitätsreduzierendes Setting versetzt werden, in dem Sie sich spezifischen Unterrichtselementen sowie einzelnen Aspekten der eigenen Professionalisierung hinwenden können. Diese Form der Praxisberatung ist in ein Gesamtkonzept der Fachgruppe Sozialwissenschaften eingebettet, welches die Komplexität aus fach- und hochschuldidaktischer Sicht zunächst bewusst reduziert. Die zentrale Idee ist dabei die Fokussierung, die an den unterschiedlichen Lernorten aufgegriffen wird und einerseits entlang des Konzepts sozialwissenschaftsdidaktischer Miniaturen sowie im universitären Seminarkontext entlang der fachdidaktischen Prinzipien erfolgt. Die Fokussierung dient damit im Sinne der Konzeption des „Forschenden Lernens“ im Rahmen des Bielefelder Praxissemesters dazu, „bei der Planung und Durchführung von Unterricht auf der Basis von Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Bildungswissenschaft deren Verzahnung bewusst wahrzunehmen und zu reflektieren.“ 5

Universitäre Begleitveranstaltungen

Auch am universitären Lernort findet eine Fokussierung statt, um die hohe Komplexität im Praxissemester hochschuldidaktisch zu reduzieren und Ihnen so Möglichkeiten der Entlastung aufzuzeigen. Hier orientiert sich das Forschende Lernen im Bielefelder Modell an fachdidaktischen Prinzipien, die bei der Reflexion, Forschung (Studienprojekte) und Planung von Unterricht gleichsam eine Fokussierung bieten können. Diese unterstützt und stiftet Perspektiven auf das eigene (angehende) professionelle Lehrer/-innenhandeln.6

Fokussierte Praxisberatung

Sozialwissenschaftsdidaktische Miniaturen gehen von der wissenssoziologischen Annahme aus, dass Professionalität in Gestalt eines Professions- oder Begründungswissens durch das In-Beziehung-setzen von Wissenschafts- und dem Handlungswissen („Wissen“ und „Können“) entsteht. Sie nehmen einzelne Praxissituationen in den Blick und versuchen daran relevante Wissensbestände sichtbar und erfahrbar werden zu lassen.7 So sollen die Miniaturen als (hochschul-)didaktisches Instrument helfen, die Beobachtung, Reflexion und v.a. die Planung sozialwissenschaftlicher Lehr-Lern-Prozesse zu unterstützen. Sie setzen dafür eine Auswahl von Elementen voraus, die dann den Anlass für eine dezidiert fachdidaktische Auseinandersetzung geben. Auch im Rahmen von Peer-Feedback und Mentor/-innengesprächen unterstützen die Miniaturen die gemeinsame Hinwendung zu als besonders relevant erachteten Punkten. Somit eröffnen sich für die Praxisberatung handlungsentlastete, reduzierte und fokussierte Gesprächsanlässe, welche nicht fortlaufend drohen, Sie als Praxissemesterstudierende durch eine hohe Komplexität zu überfordern. Vielmehr wird eine an fachdidaktischen Kriterien orientierte Auseinandersetzung gefördert, die dazu anleitet, Bedeutungen verschiedener Wissensbestände und Fähigkeiten für die ausgewählte Miniatur zu diskutieren. Abbildung 1 verdeutlicht beispielhaft für die Themenfindung, welche Wissensbestände der unterschiedlichen Wissensformen in dieser Handlungssituation relevant werden können. Die anlassbezogene Reflexion wird so zu einem ernsthaften Fallverstehen und Sprechen über eine Sequenz entgegen eines v.a. auf Rückmeldung und Beurteilung ausgelegten Gesprächs. Damit geraten bewusst nicht ganze Unterrichtsstunden, sondern einzelne Phasen oder auch Aspekte in den Fokus.

Das Beratungsgespräch richtet sich nach Ihren individuell-subjektiven Fragen, Entscheidungen und Vorstellungen und unterstützt so Ihre Professionalisierung durch die Kontrastierung von Selbst- und Fremdwahrnehmung. Eine Hinwendung zur ‚Situation‘ bedeutet, tatsächliche, nicht wiederholbare und komplexe soziale Situationen in den Blick zu nehmen und Ihre Begründungsfähigkeit zu unterstützen. Denn gerade der Umgang mit den nicht-standardisierbaren, situativen und komplexen Situationen beschreibt die Professionalität sozialwissenschaftlicher Lehrkräfte.8 Die herausfordernden Thematiken und Inhalte des Faches legen eine Auswahl des Reflexionsgegentandes in der fokussierten Praxisberatung ebenso nahe. Schließlich müssen Sie die inhaltliche Komplexität der Lehrpläne und Bezugsdisziplinen bespielen.

Zusammenfassung: Fokussierung als roter Faden des Bielefelder Praxissemesters in den Unterrichtsfächern der Sozialwissenschaften

Über die Lernorte hinweg werden Ihnen als Studierende der Sozialwissenschaften damit die Möglichkeiten der Reduzierung von Komplexität aufgezeigt, die Sie in Ihrer individuellen Entwicklung unterstützen sollen. Die Fokussierung ermöglicht im Rahmen der Praxisberatung ebenso wie im Forschenden Lernen die Hinwendung zu spezifischen Aspekten. Sie sollen so in die Lage versetzt werden, sich konkreten professionalisierungsrelevanten Aspekten des eigenen Handelns zuzuwenden.

Literatur

Handelmann, Jan; Schwier, Volker; Bulmahn, Christoph (2020): Forschendes Lernen und sozialwissenschaftsdidaktische Professionalität in der phasenübergreifenden Professionsentwicklung. In: Melanie Basten, Claudia Mertens, Anke Schöning und Eike Wolf (Hg.): Forschendes Lernen in der Lehrer/innenbildung. Implikationen für Wissenschaft und Praxis. Münster, New York: Waxmann, S. 71–81.

Rettberg, Gunnar (2017): Forschendes Lernen entlang fachdidaktischer Prinzipien im Fach Sozialwissenschaften. In: Renate Schüssler, Anke Schöning, Volker Schwier, Saskia Schicht, Johanna Gold und Ulrike Weyland (Hg.): Forschendes Lernen im Praxissemester. Zugänge, Konzepte, Erfahrungen. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt, S. 310–315.

Schwier, Volker; Bulmahn, Christoph (2016): „Miniaturen sozialwissenschaftlicher Professionalität" - Über Wissen und Können in unterrichtlichen Praxisphasen. In: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften 7 (2), S. 32–53.

Schwier, Volker (2019): Entwicklung sozialwissenschaftsdidaktischer Professionalität. In: Herausforderung Lehrer_innenbildung 2 (2), S. 105–123.

Wittau, Franziska; Gökbudak, Mahir; Handelmann, Jan (2018): Schulen als Partner der fachlichen Umsetzung des Praxissemesters. In: Politisches Lernen 3-4, S. 13–16.

Zurstrassen, Bettina (2013): Wie Lehr-Lern-Forschung im Praxissemester gelingen kann: Lehr-Lern-Forschung entlang fachdidaktischen Prinzipien. In: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften 4 (1), S. 134–140.

1 Die Autoren/-innen sind Mitglieder einer ad-hoc-Arbeitsgruppe zur Ausgestaltung der fachdidaktisch-fokussierten Praxisberatung der Fachgruppe Sozialwissenschaften im Rahmen des Bielefelder Praxissemesters. Die Fachgruppe Sozialwissenschaften setzt sich zusammen aus Vertreter/-innen der Universität Bielefeld, der Ausbildungsschulen und der ZfsL Bielefeld und Minden.

2 Universität Bielefeld, ZfsL Bielefeld, ZfsL Minden, ZfsL Paderborn (2011): Leitkonzept zur standortspezifischen Ausgestaltung des Bielefelder Praxissemesters. Online verfügbar unter: https://www.uni-bielefeld.de/einrichtungen/bised/forschung-entwicklung/forschendes-lernen/pdf/leitkonzept.pdf, letzter Zugriff: 4.3.2021, S. 8.

3 vgl. z.B. Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung Minden – Seminar GyGe (Hg.) (2012): Beratungskonzept. Online verfügbar unter: http://www.zfsl-minden.nrw.de/Seminar_GyGe/ Beratung/Beratungskonzept_GyGe.pdf, letzter Zugriff: 12.6.2018.

4 Vgl. Handelmann, Jan; Schwier, Volker; Bulmahn, Christoph (2020): Forschendes Lernen und sozialwissenschaftsdidaktische Professionalität in der phasenübergreifenden Professionsentwicklung. In: Melanie Basten, Claudia Mertens, Anke Schöning und Eike Wolf (Hg.): Forschendes Lernen in der Lehrer/innenbildung. Implikationen für Wissenschaft und Praxis. Münster, New York: Waxmann, S. 71f.

5 Vgl. Universität Bielefeld, ZfsL Bielefeld, ZfsL Minden, ZfsL Paderborn (2011): S. 9.

6 vgl. Wittau, Franziska; Gökbudak, Mahir; Handelmann, Jan (2018): Schulen als Partner der fachlichen Umsetzung des Praxissemesters. In: Politisches Lernen 3-4, S. 14; Zurstrassen, Bettina (2013): Wie Lehr-Lern-Forschung im Praxissemester gelingen kann: Lehr-Lern-Forschung entlang fachdidaktischen Prinzipien. In: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften 4 (1), S. 137f.

7 Schwier, Volker; Bulmahn, Christoph (2016): „"Miniaturen sozialwissenschaftlicher Professionalität" - Über Wissen und Können in unterrichtlichen Praxisphasen. In: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften 7 (2), S. 51.

8 Schwier, Volker (2019): Entwicklung sozialwissenschaftsdidaktischer Professionalität. In: Herausforderung Lehrer_innenbildung 2 (2), S. 112ff.