Für ein pragmatisches Verständnis von Handlungsorientierung im Politikunterricht

Peter Jöckel

Inhalt

1. Einleitung
2. Skepsis gegenüber einem handlungsorientierten Politikunterricht
3. Für einen handlungsorientierten Politikunterricht
4. Für ein pragmatisches Verständnis von Handlungsorientierung
5. Handlungsorientierter Unterricht und Neue Medien
Anmerkungen
Literatur

1.Einleitung

Handlungsorientiertes Lernen ist anscheinend für manche ein Reizwort. Vor allem für geografisch oder gesinnungsmäßig eher "gymnasial" orientierte Zeitgenossen rückt sich Handlungsorientierung eher in den Bereich der Niederungen pädagogischen Arbeitens.

Der Lehrplan Sozialwissenschaften für die Sek. II sowie der Lehrplanentwurf für den Politikunterricht in der Sek. I in Nordrhein-Westfalen enthalten nach wie vor den Begriff der Handlungsorientierung:

"Handlungs- und produktorientiertes Lernen meint ein schüleraktives und kooperatives und methodengeleitetes Wahrnehmen und Untersuchen sozialwissenschaftlich bedeutsamer gesellschaftlicher Gegebenheiten und Prozesse",

so definiert der Lehrplan Sozialwissenschaften (1). Der Entwurf einer Neufassung der Richtlinien für den Politikunterricht sieht die Prinzipien des sozialen Lernens und das Prinzip der Handlungsorientierung

"als variantenreiche und fruchtbare Konzepte der Gestaltung des Politikunterrichts ..., die den konkreten Unterricht be-[/S.:74]leben, die Subjektrolle der Schülerin und des Schülers stärken, Verantwortungsbewusstsein für das eigene Tun wecken und Engagement vorbereiten können." (2)

Der Lehrplan Politik (Wirtschaft) rückt die Handlungsorientierung an die erste Stelle der Grundsätze für die Unterrichtsgestaltung und versteht darunter einen Unterricht,

"der auf interaktives, methodengeleitetes Erleben, Erforschen und Entdecken politischer Gegebenheiten oder Prozesse zielt und deren intellektuelle Reflexion und soweit wie möglich produktive Verarbeitung einschließt." (3)

Die eher vorsichtige Formulierung des Lehrplans Sozialwissenschaften spiegelt bereits wider, dass die Handlungsorientierung im Politikunterricht in der Diskussion ist. Der Lehrplan versieht das handlungs- und produktorientierte Lernen mit einschränkenden Bemerkungen, die sicherlich als Warnung vor einer Überstrapazierung des Prinzips in der Oberstufe verstanden werden sollen. Gemeinsam ist den jüngsten Lehrplanentwürfen die Einschränkung der Handlungsorientierung in der Schule auf das Handeln jenseits von politischem Engagement in eigener Verantwortung, also wesentlich auf simulatives Handeln. Demgegenüber erwartet der Lehrplan Politik (Wirtschaft), dass die Jugendlichen im Politikunterricht "politische Probleme und Realitätsausschnitte möglichst authentisch erfahren, erforschen, intellektuell aufarbeiten und dabei eigene Sicht- und Urteilsweisen entwickeln" (4) sollen.

Diese durchaus unterschiedliche Akzentuierung der Handlungsorientierung in den Lehrplänen eines Bundeslands widerspiegelt das Schillern dieses Begriffs wie auch einige Vorbehalte gegen das Prinzip.

Siegfried Schiele, der Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg beispielsweise, warnt in seinem Vorwort zu dem Buch "Handlungsorientierung im Politikunterricht" vor einer zu starken Konzentration auf das Handeln:

"Politische Bildung sollte daher nicht allzu sehr auf das Handeln, sondern auf das Denken über das (politische) Handeln ausgerichtet sein. Schließlich soll politische Bildung dazu befähigen, durch Nachdenken über politische Sachverhalte eine eigene politische Handlungsorientierung zu gewinnen.“ (5)

2. Skepsis gegenüber einem handlungsorientierten Politikunterricht

Worin besteht die Skepsis gegenüber einem handlungsorientierten Politikunterricht?
Von Siegfried Schiele und anderen wird eine Hypostasierung des Handelns befürchtet. Handeln, verstanden als direkte politische Aktion, kann aus verschiedenen Gründen nur ausnahmsweise Inhalt des Politikunterrichts sein, denn dieses Handeln setzt Parteinahme voraus. Nicht zuletzt entsprechend dem Beutelsbacher Konsens aber muss der Politikunterricht sich vor Beeinflussung hüten, es sei denn es geht um Parteinahme für die Menschenrechte, die Demokratie und das Grundgesetz. Handlungsorientierung wird aber kaum als direkte Anleitung zum politischen Handeln verstanden, vielmehr geht es den Vertretern zufolge eher um simulatives Handeln im Unterricht, das die Kompetenz [/S.:75] zu eigenem politischem Handeln ermutigen und stärken soll. Bezüglich eines so verstandenen handlungsorientierten Unterrichts wird befürchtet, dass gegenüber den Methoden und zeitaufwändigen Unterrichtsschritten der Wissenserwerb in den Hintergrund tritt.

Simulatives Handeln muss vereinfachen. Planspiele z. B. bringen Teile der Wirklichkeit immer auf einen recht einfachen Nenner. Es wird befürchtet, dass als Effekt die Handlungsorientierung das eigentlich Politische ausblendet, dass ein falsches Bewusstsein vom politischen Leben erzeugt werde, dass in der Simulation gefundene Konfliktlösungen für die Realität in der Regel nichts taugten usw.
Das methodische Lernen, das immer als Teil der Handlungsorientierung zu sehen ist, kann nach der Meinung von Kritikern im handlungsorientierten Unterricht leicht übertrieben werden, was letztlich zu einer Beliebigkeit und Vernachlässigung der Inhalte führen könne.

Die im handlungsorientierten Lernen mit angelegte Produktorientierung führe, so einige Kritiker, zu einer Konzentration auf die außengerichteten Ergebnisse des Lernens und könne zur Vernachlässigung des Wissensaspekts beitragen. Die Aktivitäten im handlungsorientierten Unterricht könnten, so ein anderer skeptischer Einwand, die Reflexion eher behindern.

3. Für einen handlungsorientierten Politikunterricht

Ein Verständnis von Handlungsorientierung als Orientierung auf direkte politische Aktion wird seit langer Zeit nicht mehr vertreten. Es ist da, wo es vertreten wurde, auch ganz schnell in der Praxis gescheitert. Denn wenn Schülerinnen und Schüler politisch etwas erreichen wollen, dann ergibt sich nach kurzer Zeit die Erkenntnis, dass zwischen politischen Zielen und ihrer Durchsetzung eine Zeit langer und beharrlicher Arbeit erforderlich ist, die nicht zum Erfolg führen muss und u.U. viele Kompromisse verlangt. Dies bringt einen so verstandenen handlungsorientierten Politikunterricht in eine didaktisch nicht mehr zu bewältigende Situation und bezüglich der ja eigentlich intendierten Motivation der Schülerinnen und Schüler ins Abseits. Der Inhalt des Politikunterrichts aber ist nicht allein das politische Handeln der Politikerinnen und Politiker bzw. der Bürgerinnen und Bürger. Es geht auch um Entscheidungen im Alltagsleben, in der Gesellschaft und Wirtschaft, um Bedingungen für das Handeln der und des Einzelnen. Der Entwurf zu den neuen Politikrichtlinien in NRW etwa führt aus:

"Unter politischem Lernen soll im Folgenden verstanden werden das vernünftige Analysieren und Ordnen von Erfahrungen der politischen Realität sowie die bewusste Übernahme, gegebenenfalls auch die Veränderung von Bewusstseinsinhalten, Einstellungen und Verhaltensweisen, die eine Gesellschaft zur Verwirklichung ihrer Zielvorstellungen fordert oder ermöglicht. Von der Übernahme der in der Gesellschaft dominierenden Werte, Leitvorstellungen und Haltungen und von der Auseinandersetzung mit ihnen wird auch das Verhalten im politischen System mitbestimmt. Politische Lei-[/S.:76]stungen werden durch gesellschaftliches Handeln erbracht und setzen nicht nur Denkenlernen, sondern auch Einstellungs- und Verhaltenslernen voraus; insofern ist politisches Lernen auch soziales Lernen." (6)

Heinz Klippert begreift "reales Handeln" durchaus als eine Säule der Handlungsorientierung. Er versteht darunter etwa Erkundigungen, Praktika, Interviews, Partizipation in der Schule und im Unterricht usw. (7). Ein solcher Begriff begrenzt das reale Handeln nicht eng auf die Tätigkeit der politischen Klasse und der Wählerinnen und Wähler, sondern bezieht die Chancen der Realerfahrung mit ein.

Wenn es um die Chancen und Grenzen von Handlungsorientierung als simulativem Handeln im Unterricht geht, so muss davor gewarnt werden, von einem ausschließlichen Einsatz solcher Unterrichtsformen auszugehen. Die Arrangements für komplexe Rollen-, Plan- und Entscheidungsspiele sowie Zukunftswerkstätten sind aufwändig, erst recht die Einbeziehung von Computersimulationen. In aller Regel stehen solche Formen neben anderen. Eine reine Abfolge von Planspielen wäre kaum weniger langweilig als ein monotoner Frontalunterricht. Die Handlungsorientierung im Politikunterricht ist ein Fortschritt in der Varianz der Unterrichtsmethoden. Eine schlechte Praxis kann auch im handlungsorientierten Politikunterricht nicht ausgeschlossen werden und sicherlich besteht eine gewisse Gefahr darin, dass das Planspiel um des Planspiels, die Simulation um der Simulation, die Erkundung um der Erkundung willen eingesetzt wird. Bedenkt man aber, dass diese Fachmethoden in aller Regel wesentlich aufwändiger für die Lehrenden sind als variantenschwächerer Unterricht, so ist diese Gefahr geringer als der Fortschritt, der durch handlungsorientierten Unterricht erzeugt wird. Nicht in einem Abbau von Wissenserwerb nämlich bestehen die Ziele des handlungsorientierten Unterrichts, sondern in einer Einbettung der Förderung der kognitiven Aspekte in die Förderung weiterer Kompetenzen, insbesondere der sozialen. Er folgt damit Erkenntnissen der Pädagogik, die eine Potenzierung der Lernleistungen zumindest erhoffen, wenn das Lernen ganzheitlich, "mit allen Sinnen" erfolgt.

Beschränken wir uns wie der Einwand auf simulatives Lernen, so ist festzuhalten, dass Simulationen auf Modellen beruhen, dass simulatives Handeln entsprechend auch nur modellhaftes Handeln sein kann. Der allergrößte Teil des Lernens in der Schule aber beruht auf Modellen, in der Regel recht veralteten oder zusätzlich didaktisch reduzierten Modellen. Natürlich können auch bei der Rollendefinition in Plan- und Rollenspielen Fehler gemacht werden. In welcher Weise dabei aber didaktisch reduziert werden muss, kann sehr stark auch von der Lerngruppe abhängig gemacht werden. Ein großer Vorteil von simulativen Handeln ist aber, dass das Funktionieren des Modells miterlebbar wird. Gegenüber einem auf Modellen beruhenden Lernen im rein kognitiv orientierten Unterricht ermöglicht dies eine weit intensivere Reflexion über Motivlagen und Zwänge der Handelnden, einer Reflexion, die Ziel handlungsorientierten Unterrichts ist. Außerdem muss bedacht [/S.:77] werden, dass handlungsorientierter Unterricht sich nicht in einer Kette von Simulationen erschöpfen kann und darf. Die Gefahr eines Ausblendens des eigentlich Politischen muss sehr ernst genommen werden. Handlungsorientierter Politikunterricht muss Politikunterricht bleiben und die Ziele des Politikunterrichts verfolgen. Was aber ist das eigentlich Politische? Hat uns nicht Ulrich Beck darauf aufmerksam gemacht, dass das Politische gerade auch durch die Skepsis gegenüber der Expertenrationalität an Bedeutung zurückgewinnt? (8) Muss nicht die "Begründungsabhängigkeit und Unsicherheit aller Argumente" (9) erkannt werden?

Es kann im handlungsorientierten Unterricht nur im Ausnahmefall darum gehen, reale Konfliktlösungen zu finden. Für den Politikunterricht ist es wie eine glückliche Fügung, wenn er z.B. in Schulkonflikten selbst an einer Konfliktlösung beteiligt sein kann. Allerdings darf er seine Rolle dabei nicht übertreiben, sondern muss mehr als vorsichtig vorgehen. Kein Unterricht kann sich darüber hinaus anmaßen, Lösungen bestehender gesellschaftlicher, politischer oder auch wissenschaftlicher Probleme zu erreichen. Vielmehr geht es auch im handlungsorientierten Politikunterricht um Strategien zur Konfliktlösung. Sicherlich kommt es vor, dass einzelne handlungsorientierte Materialien den Eindruck erwecken, man lerne mit ihnen die eigentliche Konfliktlösung. Das kann allerdings nicht richtig sein, denn die gesellschaftliche Wirklichkeit ist immer komplexer als im Unterricht "abzubilden". Es geht um das Lernen von Konfliktlösungsstrategien und nur am Rande um das Lösen von Konflikten selbst.

Das Lernen von Methoden ist kein Selbstzweck und nicht als Verdrängung des Lernens von Inhalten legitimiert. Vielmehr gewinnt es mehr und mehr an Bedeutung, weil das Wissen selbst rasch veraltet. Das Bleibende ist immer weniger der Inhalt des Wissens, sondern vielmehr das Wissen um die Möglichkeiten und Methoden des Erwerbs von neuem Wissen. Eine Beliebigkeit der Inhalte ist dennoch nicht das Ziel des handlungsorientierten Unterrichts. Methoden müssen auf Inhalte bezogen sein; ohne exemplarischen Inhalt kann auch keine Methode erlernt werden. Darüber hinaus gehen auch die Sozialwissenschaften im Hinblick auf eine qualitative Sozialforschung mehr und mehr dazu über, die Methoden den Inhalten anzupassen und nicht abstrakte Methoden (quantitativer Art) an alle möglichen Inhalte anzulegen. Die Methoden können jedoch nicht mehr den Inhalten generell untergeordnet werden, da die Inhalte selbst immer kurzlebiger sind.

Leider sind Lernerfolgsüberprüfungen und besonders Abschlussprüfungen immer noch sehr stark auf Kognition ausgerichtet. Teamfähigkeit und andere Kompetenzen scheinen in schulischen Kontexten schwer in Prüfungen abrufbar zu sein. Vieles allerdings, was etwa bei Vorstellungsgesprächen zur Überprüfung von Teamfähigkeit und Sozialkompetenz angewandt wird, ist in der Schule, zum Teil aus institutionellen Gründen, noch nicht adaptiert worden.

Handlungsorientierung beinhaltet auch eine Produktorientierung, obwohl diese nicht in Ausstellungen, Wandzeitungen etc. erschöpft [/S.:78] sein muss. Handlungsorientierung ist allerdings nicht mit Produktorientierung gleichzusetzen. Es wäre ein falsches Verständnis der Handlungsorientierung, wenn die Konzentration auf das präsentierbare Ergebnis sich das Lernen unterordnen würde (10). Dass diese Gefahr besteht, ist unzweifelhaft, jedoch muss auch beachtet werden, dass das Erlernen der Präsentation von Wissen in einer Medien- und Informationsgesellschaft immer wichtiger wird. Wissen, das nicht in der Lage ist, sich bemerkbar zu machen und Aufmerksamkeit zu erzeugen, ist immer stärker in der Gefahr, wertlos zu bleiben. Insofern trägt handlungsorientierter Unterricht, wenn er das Wissen nicht vernachlässigt, sondern seine Präsentation mit einbezieht, besonders gut zur Vorbereitung auf die Informations- und Wissensgesellschaft bei.

Jede Art von anspruchsvollem Unterricht muss auf Reflexion ausgerichtet sein. Dies gilt auch für handlungsorientierten Unterricht. Dass dieser die Reflexion eher behindere, ist daher ein schwerer Vorwurf. Tatsächlich könnte man dieser Meinung sein, da der handlungsorientierte Unterricht nicht unmittelbar auf die Reflexion zusteuert, sondern vielfach zunächst auf das Vollziehen und Erleben des zugrundeliegenden Konflikts setzt. Die Reflexion aber erfolgt durch ein selbstständiges Durchdenken des Konflikts, beispielsweise in einem Rollen- oder Planspiel durch ein Durchdenken der entsprechenden Rolle. Die Reflexion des Ganzen muss dann in einem zweiten Schritt folgen. Wäre es dann nicht einfacher, unmittelbar bei der Reflexion der Gesamtheit anzufangen? Wird durch handlungsorientierten Unterricht nicht ein Umweg beschritten? Tatsächlich mag dies so scheinen und mitunter auch so sein. Diese Art von Umwegen zu gehen ist das, was man Pädagogik nennt. Außerdem stellen sich politische Konflikte selten logisch abstrakt. Sie sind immer von Interessen bestimmt, die sich selten in einer "reinen", logischen Form äußern, sondern immer konkret auftreten und historisch gewachsen sind. Im handlungsorientierten Unterricht müssen solche Konflikte eher noch verkürzt werden (siehe oben), damit sie nachvollziehbar sind: Der handlungsorientierte Unterricht wird allerdings nicht nur durch Reflexion ergänzt, vielmehr bietet er selbst erst die Möglichkeit zur Reflexion, nämlich der Reflexion von Prozessen, die so nicht möglich ist, wenn die Abläufe zwischen den beteiligten Interessen nicht erfahrbar gemacht werden.

4. Für ein pragmatisches Verständnis von Handlungsorientierung

Handlungsorientierung im Politikunterricht ist weder der Weisheit letzter Schluss noch aber auch nur ein Mittel, solche Schülerinnen und Schüler politische Prozesse miterleben zu lassen, die sich mit der theoretischen Reflexion schwer tun.

Handlungsorientierung hat ihren Platz neben den anderen Prinzipien der politischen Bildung wie der Wissenschaftsorientierung bzw. Wissenschaftspropädeutik, der Schülerorientierung, der Problemorientierung u.a. Handlungsorientierung ist geeignet, neben der Fachkompetenz vor allem Sozial- und Methodenkompetenz zu fördern. Be-[/S.:79]sonders angesichts der Erkenntnis der Notwendigkeit lebenslangen Lernens bietet handlungsorientierter Politikunterricht eine im wörtlichen Sinne gute Schule. Die Mitgestaltung der Lebens- und Umwelt wird eine zentrale Herausforderung für die künftigen Erwachsenen sein. Ohne diese Mitgestaltung der Bürgerinnen und Bürger wird die künftige Gesellschaft nicht auskommen. Von der politischen Partizipation bis zur aktiven Teilnahme an Bürgerarbeit reicht die Palette der wünschenswerten Mitgestaltungs-Formen. Dabei kann immer weniger davon ausgegangen werden, dass das Aufgehobensein in einer Großorganisation und der Wahlakt den Bedarf und das Bedürfnis an demokratischer Teilhabe abdecken können.

Neue Formen wie z. B. der Runde Tisch, die Zukunftswerkstatt oder die Planungszelle setzen andere Qualifikationen voraus als die klassischen (11). Zukunftsfähigkeit kann bei weitem nicht nur aus Faktenwissen bestehen, sondern impliziert Kooperationsformen und Methodenkompetenz. Vielfach wird dabei die Erfahrung gemacht, dass das Faktenwissen relativ schnell anzueignen ist, wenn eine angemessene Kooperationsform erst geschaffen ist (12).

Es ist selbstverständlich, dass grundlegendes Wissen erforderlich ist, wenn solche Kooperationsformen sinnvoll wahrgenommen werden sollen. Dieses Wissen kann in solchen Zusammenhängen ohne Konflikt mit der Sinnfrage angeeignet, erweitert und vertieft werden, denn der Verwendungszusammenhang des Wissens ist evident. Spezielles Wissen wird in Handlungskontexten nach aller Erfahrung sehr rasch angeeignet. In komplexen Entscheidungssituationen haben auch professionelle Entscheider kein annähernd vollständiges Wissen. Für den handlungsorientierten Unterricht bedeutet dies, dass er selbstverständlich den Wissenserwerb ermöglichen muss, dass die Auswahl des kognitiven Wissens aber vielfach den Lernenden überlassen bleibt. Der Prozess der Auswahl von Wissen selbst kann durch handlungsorientierten Unterricht trainiert werden und muss dann auch thematisiert werden. Hierin liegt ein guter Teil der impliziten Methodenorientierung handlungsorientierten Unterrichts begründet. Schülerinnen und Schülern wird ermöglicht, selbst die Kontrolle ihres Lernprozesses zu übernehmen.

Ein Problem für die Schule ist dabei sicherlich die Uneinheitlichkeit des aus dem Lernprozess erwachsenden Wissens. Es kann sich als nötig erweisen, Sicherungen eines Grundbestandes an Wissen in eingeschobenen Phasen zu leisten, die nicht in handlungsorientierter Weise erfolgen. Sicherlich ist es aber oft auch möglich, in "Plenen" und "Zwischenberichten" einen einheitlichen Kenntnisstand innerhalb einer handlungsorientierten Sequenz herbeizuführen.

Aktivität allein ist kein handlungsorientierter Unterricht. Deshalb ist es wichtig Leistungsanforderungen zu verdeutlichen. Besonders Schülerinnen und Schüler, für die der handlungsorientierte Unterricht neu ist, neigen dazu, ihn nicht als Lernen zu begreifen. Lernen als Einpauken von Wissen im mittleren Zeitgedächtnis ist dem handlungsorientierten Unterricht nicht angemessen. Deshalb muss sich der Lehrer [/S.:80] bzw. die Lehrerin gut überlegen, wie sie auf die Frage antwortet, was man denn noch für eine anstehende Lernerfolgsüberprüfung "lernen" bzw. üben könne. Aber auch die Lernerfolgsüberprüfungen selbst müssen verdeutlichen, dass neben Faktenwissen prozessorientiertes Wissen gefordert ist.

5. Handlungsorientierter Unterricht und neue Medien

Handlungsorientierter Unterricht ist besonders gut geeignet, die Herausforderungen der Schule im Zusammenhang mit den neuen Medien anzugehen. Vielfach kann sich die Medienpädagogik ohnehin nur handlungsorientiert verstehen (13), und dies mit guten Gründen:

Mit den neuen Medien, speziell mit der Multimedia-Technologie und dem Internet, potenziert sich die Möglichkeit Informationen schnell und einfach zu beschaffen. Nicht die Information ist das von der Schule Vermittelte, sondern die Art und Weise der Filterung. Handlungsorientierung bietet die Chance, Anforderungen der Medienpädagogik nach gestaltendem Umgang mit durch Medien erworbenen Informationen einzulösen.

Mit den neuen Medien wachsen die Möglichkeiten der Kommunikation auch über weite Entfernungen hinweg bis hin zur Möglichkeit der Zusammenarbeit in Echtzeit. Handlungsorientierter Unterricht setzt gerade auf die Erweiterung der sozialen Kompetenzen, die zur Kooperation nötig sind. Die Kooperationsorientierung der Medienerziehung lässt sich mit Handlungsorientierung gut verbinden.

Die Erfahrungsorientierung haben handlungsorientierter Unterricht und Medienerziehung ebenfalls gemein. Die mediale Erfahrung ist für die Schülerinnen und Schüler authentisch, sie gehört in den Unterricht und kann dort auch aufgearbeitet werden.

Der produktorientierte Anteil, den handlungsorientierter Unterricht auch haben kann, lässt sich mit dem Aufgabenbereich der Medienerziehung der Gestaltung eigener Medienprodukte gut zur Deckung bringen.

Die notwendige Reflexion über Medienereignisse, die Analyse medialer Produkte, lässt sich ebenfalls in einen handlungsorientierten Unterricht gut integrieren.

Gerade angesichts der neuen Herausforderungen an den Politikunterricht und den Unterricht im Fach Sozialwissenschaften erweist sich die Handlungsorientierung, richtig verstanden, als tragfähige Grundlage.

Anmerkungen

(1) Lehrplan Sozialwissenschaften Gymnasiale Oberstufe, 11.

(2) Richtlinien für den Politikunterricht: Politisches Lernen in der Schule, Entwurfsfassung (Stand 5.10.98), 14.

(3) Lehrplan Politik (Wirtschaft) 1993, 44.

(4) 4. ebd., 45.

(5) 5. Schiele 1997. VIII f.

(6) 6. Richtlinien für den Politikunterricht 1998, 1.

(7) 7. Klippert 1994, 28.

(8) 8. Beck 1993, 241 ff.

(9) 9. ebd., 244.

(10) Einem solchen falschen Verständnis von Handlungsorientierung scheint der Lehrplan Sozialwissenschaften teilweise aufzusitzen. Daher erklärt sich die dort verbreitete Skepsis: siehe Lehrplan, 13.

(11) Apel u.a. 1998, 9.

(12) siehe z.B. die Erfahrungen mit der Planungszelle: Dienel 1999, 27.

(13) vgl. z.B. Tulodziecki u.a. 1995.

Literatur

Apel, Heino u.a. Hg. (1998): Wege zur Zukunftsfähigkeit – ein Methodenhandbuch. Bonn: Stiftung Mitarbeit

Beck, Ulrich (1993): Die Erfindung des Politischen. Zu einer Theorie reflexiver Modernisierung. Frankfurt a.M.

Dienel, Peter C. (1999): Mehr Mitentscheidung in der Demokratie ist möglich. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 11. Juni 1999.

Klippert, Heinz (1994): Methoden-Training. Übungsbausteine für den Unterricht. Weinheim und Basel: Beltz

Lehrplan Politik (Wirtschaft) (1993): Gymnasium Sekundarstufe I. 1993. Frechen

Lehrplan Sozialwissenschaften (Jahr): Gymnasiale Oberstufe

Richtlinien für den Politikunterricht (1998): Politisches Lernen in der Schule, Entwurfsfassung (Stand 5.10.98).

Schiele, Siegfried (1997): Vorwort. In: Breit, Gotthart; Schiele, Siegfried. Hg. Handlungsorientierung im Politikunterricht. Bonn, Bundeszentrale für Politische Bildung, VIII f.

Tulodziecki, Gerhard u.a. (1995): Handlungsorientierte Medienpädagogik in Beispielen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt

Das Original ist unter dem gleichen Titel erschienen in der Zeitschrift der DVPB NW: Politisches Lernen 15. Jg. 2000. (1-2), S. 73-80.

© 2004 Peter Jöckel
© 2004 sowi-online, Bielefeld

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