Diagramme und Tabellen in der Wirtschaftslehre: Die Ergebnisanalyse statistischer Darstellungen

Günther Seeber

Inhalt

1. Die Zeitreihe
2. Ein- und mehrdimensionale Häufigkeitsverteilungen
3. Resümee
4. Anmerkungen
5. Zum Autor

Abbildungen und Tabellen:

Abb. 1: Die prozentuale Verteilung der Erwerbstätigen in Deutschland (ab 1970, nur alte Bundesländer) auf die Wirtschaftssektoren 1780-1990
Abb. 2: Raster zur schrittweisen Erfassung der Inhalte (wirtschafts)statistischer Darstellungen
Tab.1: Die Auszubildendenzahlen (alte Bundesländer) in den verschiedenen Ausbildungsbereichen 1989
Tab. 2: Gesamtwirtschaftliche Aufwendungen für den Umweltschutz (in Mio. DM)

 

In vielen Fächern und an allen Schulen müssen sich Schüler mit der Auswertung von Statistiken auseinandersetzen. Speziell in der Wirtschaftslehre werden sie zwangsläufig mit einer Vielzahl von Diagrammen und Tabellen konfrontiert, die betriebs- und volkswirtschaftliche Sachverhalte veranschaulichen sollen.
Zusätzlich bedienen sich die Massenmedien dieser Darstellungsformen, um ihre Berichterstattung zu beleben und deren Wahrheitsgehalt zu untermauern. Obwohl sie überall begegnen, werden Statistiken oft nicht richtig gelesen, verleiten zu voreiligen Schlüssen. Selbst in der Sekundarstufe II haben Lernende teilweise noch erhebliche Mängel bei der Ergebnisanalyse statistischer Darstellungen.
Im Folgenden soll deshalb aufgezeigt werden, dass jeder Lehrer anhand einer beliebigen Graphik oder Tabelle seine Schüler exemplarisch ein Verfahren lehren kann, Statistiken sicher und vollständig zu analysieren, um anschließend zur notwendigen Interpretation übergehen zu können.

1. Die Zeitreihe

Eine der häufigsten statistischen Auswertungen beschäftigt sich mit der chronologischen Entwicklung von Erhebungsergebnissen. Dabei sind einfache Häufigkeitsverteilungen im Zeitablauf, wie die Umsatzentwicklung eines Unternehmens, denkbar, aber auch indizierte Zeitreihen, wie sie für Bruttosozialproduktveränderungen oder Verbraucherpreise üblich sind. Als Beispiel für diesen Beitrag wurde die graphische Darstellung von Gliederungszahlen1 in Prozentangaben gewählt. In das Liniendiagramm sind drei Teilmassen aufgenommen, die in ihrer Summe die statistische Gesamtheit bilden.
Die Ergebnisanalyse lässt sich in zwei Phasen vollziehen, die sich der Schüler jeweils wieder in mehreren Schritten erschließen kann. Diese Vorgehensweise ist unabhängig von der gewählten Darstellungsform. Eine Zeitreihengraphik ist in der Regel übersichtlicher, und es empfiehlt sich deshalb, die Lernenden eine möglicherweise nur in Tabellenform vorliegende Verteilung in ein Diagramm umsetzen zu lassen. 2

Abbildung 1 (Vollbild)

In einer ersten Phase klären sie nun die dargebotenen Inhalte ab. Dazu empfiehlt sich die Beantwortung folgender Fragen:
(1) Welche statistische Masse liegt der Untersuchung zugrunde?
(2) Liegt eine Häufigkeitsverteilung in absoluten oder relativen Wertangaben vor?
(3) Welche(s) Merkmal(e) wurde(n) erfasst?
(4) Auf welchen Zeitraum beziehen sich die Ergebnisse?
In unserem Beispiel ergäbe sich als Antwort: Man sieht die prozentuale Verteilung (2) aller Erwerbstätigen in Deutschland (1) auf die drei Wirtschaftsbereiche (3) in der Zeit von 1780 bis 1990 (4).
In der sich anschließenden Phase schreitet der Schüler zur eigentlichen Ergebnisanalyse, in der er die den Kurven zugrundeliegende Entwicklung nachvollziehen soll, um so zu einer sinnvollen Interpretation zu kommen. Dieser Prozess lässt sich in zwei übergeordnete Schritte differenzieren:
(5) Welcher Trend lässt sich der Entwicklung entnehmen?
Hilfsfragen:
(a) Welcher Wert wurde am Begin der Zeitreihe gemessen?
(b) Welchen Wert nimmt das Merkmal am Ende an? [/S. 41:]
(6) Weist die Entwicklung Auffälligkeiten auf?
Hilfsfragen:
(a) Gibt es einen Höhepunkt/Tiefpunkt?
(b) Existieren Trendverschärfungen?
(c) Für welche Zeiträume lassen sich gegenläufige Entwicklungen erkennen?
Die Fragen stehen exemplarisch für die Erfassung mehrerer Zeitpunktwerte einer Merkmalsausprägung. Deshalb versteht es sich, dass bei mehreren Ausprägungen jede einzelne zunächst singulär untersucht werden muss, auch wenn sie alle in einem sachlichen Zusammenhang zueinander stehen. Wir greifen beispielhaft die Entwicklung im sekundären Sektor heraus:
Ausgehend von 19 % aller Erwerbstätigen im sekundären Sektor im Jahr 1780, stieg deren Anteil bis heute auf 40 % an (5). Der zunächst kontinuierlich langsame Zuwachs verschärfte sich nach 1850 und noch einmal nach 1935 deutlich. Seit 1970, als diese Entwicklung mit 49 % ihren Höhepunkt erreichte, ist eine Trendwende mit bisher rückläufigen Anteilswerten zu verzeichnen (6).
Mit dem gezeigten Frageraster lassen sich alle Zeitreihen inhaltlich erschließen, die auf einer Merkmalsausprägung beruhen. Nehmen die statistischen Einheiten (hier: die Erwerbstätigen) mehrere Ausprägungen an (hier: die Zugehörigkeit zu einem der Sektoren), dann muss darüber hinaus ein Vergleich der unterschiedlichen Verläufe gezogen werden. Die nachfolgenden Fragestellungen beziehen sich grundsätzlich auf die graphische Darstellungsform, weil Ähnlichkeiten bzw. Gegenläufigkeiten der Ausprägungsentwicklungen in der Tabelle nur schwer erfassbar sind:
(7) Welche Merkmalsausprägungen entwickeln sich tendenziell gleich bzw. gegenläufig?
(8) Gibt es Schnittpunkte?
Wir wollen auch dieses Muster wieder am Beispiel verdeutlichen und betrachten hierzu die Kurve für den primären Sektor: Der Anteil der Beschäftigten im primären Bereich nimmt im Gegensatz zu jenem der anderen stetig ab (7). Auch wenn hier zunächst die Majorität aller Erwerbstätigen zu finden war, hatten der sekundäre Sektor etwa seit der Jahrhundertwende und der tertiäre seit zirka 1930 mehr Erwerbstätige auf sich vereint (8).
Die sich anschließende Interpretation sollte je nach Kenntnisstand der Schüler und je nach Lernziel keine Probleme mehr bereiten. Ist die Wirtschaftsgeschichte erstes Anliegen des Unterrichts, dann wird nach den Gründen für diese Entwicklungen mit ihren Schwankungen zu fragen sein. Andere Möglichkeiten eröffnen sich im Berufswahlunterricht oder in der Sozialkunde. Doch soll dieser Gesichtspunkt hier nicht näher untersucht werden.

2. Ein- und mehrdimensionale Häufigkeitsverteilungen

Bei einfachen Häufigkeitsverteilungen gestaltet sich der analytische Zugang leichter als bei den Zeitreihen. Es handelt sich hierbei um Graphiken oder Tabellen, welche die absolute oder relative Verteilung statistischer Einheiten auf die Ausprägungen eines Merkmals wiedergeben. Im Wirtschaftslehreunterricht könnten das die Zuordnungen der in Geldeinheiten ausgedrückten Kosten eines Betriebs auf die Produktionsfaktoren oder auch Größenangaben zur Verwendung des Bruttosozialprodukts durch die einzelnen Wirtschaftssubjekte Staat, Unternehmen und Verbraucher sein. Die Tabelle 1 im Anschluss informiert über die Auszubildendenzahlen in den Berufsgruppen und könnte bspw. im Berufswahlunterricht zum Einsatz kommen.

Tabelle 1

Ließe man die Trennung nach dem Geschlecht außer Acht, so läge eine eindimensionale Häufigkeitsvorteilung vor. Aus der Gliederung in männliche und weibliche Auszubildende resultiert die Zweidimensionalität: Die Gesamtheit der Auszubildenden wurde hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Berufssparten (Merkmal Nr. 1) und bezüglich des Geschlechts (Merkmal Nr. 2) untersucht. Die Erfassung des Tabelleninhalts kann parallel zu den Fragen (1) bis (4) des Abschnitts über die Zeitreihen erfolgen, wobei lediglich in Punkt (4) "Zeitraum" durch "Zeitpunkt" ersetzt wird. Zur exakten Analyse müssen die Schüler darüber hinaus nach den Extremwerten suchen (5). In der Regel bietet es sich an, diese nun mit dem Durchschnittswert zu vergleichen und auf die Größenordnung der Abweichung zu achten. Als Durchschnittswert ist für den Schulgebrauch das arithmetische Mittel geeignet, das aber in der obigen Tabelle aufgrund der breiten Streuung der Einzelwerte ohne Aussagekraft bleibt.
So ergibt sich für das Beispiel folgende Charakterisierung:
Die Tabelle gibt für die Auszubildenden in den alten Bundesländern (1) in absoluten Werten (2) die Verteilung auf die unterschiedlichen Ausbildungsbereiche und hinsichtlich des Geschlechts (3) im Jahr 1989 (4) wieder. Die mit Abstand meisten Auszubildenden sind in Industrie und Handel beschäftigt, während die wenigsten in der Seeschifffahrt zu finden sind (5).
Ein bei mehr als einer Merkmalsausprägung regelmäßig angebrachter Vergleich macht die Bildung von Verhältniszahlen notwendig. Hier wären die Relationen männlich : weiblich in den einzelnen Sparten bspw. von Interesse, jedoch als Zahlen ausgedrückt für Schüler der Sekundarstufe I vermutlich zu abstrakt. Deshalb könnte man Prozentangaben im Verhältnis zur jeweiligen Gesamtangabe errechnen, da solche Maßzahlen auch jüngeren Schülern geläufig sind. Die abschließenden Schritte der Analyse lassen sich demgemäß wie folgt definieren:
(6) Welche Verhältniszahlen lassen sich sinnvoll bilden?
(7) Für welche Merkmalsausprägungen sind die stärksten Abweichungen voneinander bzw. die größten Annäherungen zueinander feststellbar?
Ein Ergebnis für unsere Tabelle könnte lauten: Während im Öffentlichen Dienst die Verteilung der Ausbildungsstellen bezüglich des Geschlechts fast identisch ist, sind in den Freien Berufen nur 3,8 % der Auszubildenden Jungen, 96,2 % dagegen sind Mädchen (6 und 7). [/S. 42:]

3. Resümee

Unabhängig von der äußeren Gestaltung der Häufigkeitsverteilungen bei statistischen Darstellungen lassen sich diese also in sieben bzw. acht formalisierbaren Schritten sachlich erfassen. Die Schlüsselfragen, die die Inhalte generell erschließen, sind für Zeitraum- und Zeitpunkterhebungen die gleichen. Der Unterschied zwischen statischen und dynamischen Angaben wird erst in den anschließenden Schritten, die genau diese Differenz als Kern haben, von Interesse. Die Lernschritte sind abschließend in einem Raster erfasst, dem als letztes Beispiel die Ergebnisse einer Tabelle zu Umweltschutzaufwendungen angefügt sind, um die abstrakten Begriffe zu konkretisieren.
Für unseren Zweck kann die Tabelle (s. Tab. 2) als Zeitreihe (1975 bis 1988) und als Zeitpunkterhebung (im Beispiel für 1988) gelesen werden.
Die in dem Raster (s. Abb. 2) vorgezeichneten Schritte sind in der numerischen Reihenfolge 1 bis 11 zu vollziehen, wobei für die beiden vorgestellten Arten der Untersuchung nicht jeder der Punkte erfasst werden muss. Welche der Schüler sinnvollerweise beantwortet, geben die Markierungen der Spalten 2 und 3 wieder. Es zeigt sich noch einmal, dass die vier Schritte der ersten Phase grundsätzlich identisch sind und erst danach das Augenmerk auf die spezifische Erhebungsart fällt.
Im Unterricht kann der Lehrer das Raster mit seinen Schülern gemeinsam entwickeln, wobei die aktiv-produktiven Arbeiten der Schüler vor allem in die Phase der Anwendung des Erlernten fallen. Am Lehrenden liegt es auch, insofern didaktisch zu reduzieren, als er die Fachtermini nur im wissenschaftspropädeutischen Unterricht der gymnasialen Oberstufe benutzt und in der Sekundarstute I nach Bedarf durch schülergemäße Ausdrücke ersetzt.

4. Anmerkungen

1) Die statistischen Fachbegriffe sind übersichtlich und verständlich nachlesbar bei Mayer, H. (1989): Beschreibende Statistik. 2. durchges. Aufl. München, Wien. insbesondere Seite 21 ff.
2) Ein Unterrichtsbeispiel zur grafischen Aufbereitung betrieblicher Kennzahlen findet sich in dem Aufsatz von Hepp, K.-H.; Ott, B. (1992): Zeichnen und Darstellen. Experimentelles Arbeiten mit verschiedenen Diagrammen. In: arbeit+Iernen/Wirtschaft. Nr. 5, 1992, Seite 23-25.

5. Zum Autor

Dr. Günther Seeber, Institut für Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftspädagogik - Universität Koblenz-Landau, Im Fort 7, 76829 Landau.


Dieser Text ist ursprünglich unter gleichem Titel erschienen in: arbeiten+lernen/Wirtschaft, 3. Jg. (1993) Nr. 10, S. 40-42.
© 1993 Verlag Erhard Friedrich, Seelze; © 2001 Günther Seeber, Landau
Um den Text zitierfähig zu machen, sind die Seitenwechsel des Originals in eckigen Klammern angegeben, z. B. [/S. 53:].
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