Edwin Stiller
Inhalt
Einleitung
1. Probleme des Methodenbegriffs in Richtlinien und Lehrplänen
2. Methodenkompetenz als Bestandteil einer neuen Lehr- und Lernkultur
3. Zur Methodendiskussion in den Sozialwissenschaften
4. Zum Methodenkonzept der Rahmenvorgabe Politische Bildung
5. Fazit und Erwartungen
Literatur
Einleitung
Die Wege und Mittel der Erziehung und des Unterrichts sind dementsprechend Wege des Dialogs zwischen zur Mündigkeit herausgeforderten Menschen und Mittel zur möglichst selbstbestimmten und kooperativen Aneignung der Realität.
(Otto, Schulz 1985, S. 15)
Diese programmatische Bestimmung des Methodenbegriffs für den schulischen Kontext aus den 80er Jahren hat immer noch ihre uneingeschränkte Gültigkeit, besonders für den Bereich der Politischen Bildung.
Zum Ausdruck kommen hier
- die Herausforderung zur Mündigkeit,
- das dialogische Verhältnis von Subjekten im Bildungsprozess,
- der möglichst hohe Grad an Selbstbestimmtheit des Lernens,
- der möglichst hohe Grad an Kooperativität des Lernens,
- der aktiv-forschende Aneignungscharakter des Lernens.
Alle Elemente sind programmatische und uneingelöst innovative Aufträge an die Politische Bildung. Daher möchte ich in diesem Beitrag ausloten, welches innovative Potenzial im Methodenbereich der Rahmenvorgabe enthalten ist und wo dieses ergänzungsbedürftig erscheint.
Beginnen möchte ich mit einer Analyse des Umgangs mit der Methodenfrage in den bisherigen Lehrplänen und Lehrplanentwürfen, um grundsätzliche Probleme aufzuzeigen und den Innovationsbedarf zu erläutern.
1. Probleme des Methodenbegriffs in Richtlinien und Lehrplänen
Im Entwurf für die 4. Auflage der Richtlinien für den Politikunterricht (Stand 23.4.99), der leider in der Fachöffentlichkeit nicht publiziert und diskutiert wurde, erhielt das Methoden-Lernen ein erstes Mal einen begründet-obligatorischen Status. Arbeitsmethoden wurden als "Lernwerkzeug" für eigenverantwortliches Lernen der Schülerinnen und Schüler begriffen und in Basismethoden und Fachmethoden unterteilt. Unter Basismethoden verstand man nicht fachgebundene methodische Verfahren der Informationsgewinnung und -verarbeitung, schriftliche Fertigkeiten und Präsentationstechniken sowie kommunikative und kooperative Fertigkeiten. Als Fachmethoden wurden drei unterschiedliche Analyse- und Handlungskompetenzbereiche bezeichnet:
"1. Umgang mit analytischen und quantitativen Verfahren.
2. Umgang mit hermeneutischen und ideologiekritischen Verfahren.
3. Nutzung methodischer Kompetenz für reales und simulatives Handeln und produktives Gestalten." (Landesinstitut 1999, S. 52) [/S. 69:]
Betont wurde die Notwendigkeit der Methodenreflexion bezüglich ihrer Angemessenheit, Stimmigkeit sowie der strategischen Herangehensweise. Leider wurde an dieser Stelle keine weitergehende und umfassendere Systematik entfaltet, die für eine Obligatorik unverzichtbar ist, sondern in der Übersicht über mögliche Themen eine beispielhafte Konkretisierung vorgenommen, die z.T. keine sinnvollen Differenzierungen zwischen Basismethoden und speziellen sozialwissenschaftlichen Methoden aufwies (z.B. "Rollen kennen lernen und handelnd aufeinander beziehen können" als Basismethode und "Elementare Analyse von Rollenverhalten" als spezielle sozialwissenschaftliche Methode, ebd. S. 62) oder als sozialwissenschaftliche Methode ausgab, was so als elaborierte Fachmethode nicht existiert (z.B. "Suche nach Lösungen für soziale Probleme", ebd. S. 63). Die Zuordnung von Inhalt und Methode wirkte auch nicht immer schlüssig und stufengemäß (z.B. Szenariomethode in Klasse 5/6, ebd. S. 65).
Der Lehrplan Gesellschaftslehre (Ministerium 1998) unterscheidet "Wissenschaftliche Methoden", "im Unterricht angewandte wissenschaftliche Methoden" sowie "Verfahren ... die geeignet sind, solche Erfahrungen systematisch aufzuarbeiten und zu erweitern und z.B. auf Gültigkeit und Generalisierbarkeit zu prüfen" (ebd., S. 10). Diese werden dann in fachliche Methoden (Geschichte, Politik, Erdkunde) unterteilt, die additiv nebeneinander stehen und auch keine innere Systematik aufweisen. Weiterhin werden Arbeitstechniken und Kooperationstechniken eingefordert und Vorschläge zur Planungsbeteiligung der Schülerinnen und Schüler angeboten. Der dann folgende Inhaltsverteilungsplan ist weitgehend additiv gestaltet und enthält keine Angaben zu Methodenebenen. Im Anhang befinden sich Vorschläge zur Gestaltung des schuleigenen Lehrplans und zur fächerverbindenden Bearbeitung von Schlüsselproblemen.
In den neuen allgemeinen Richtlinien für die gymnasiale Oberstufe, die allen neuen Oberstufen-Lehrplänen vorgeschaltet sind, wird die Entwicklung von Methodenkompetenz, Methodenbewusstsein und methodologischer Reflexion als zentrale Aufgabe aller Fächer angesehen. Wissenschaftspropädeutisches Lernen wird als methodisches Lernen definiert (vgl. Ministerium 1999, S. XII ff.).
Der zugrundegelegte Methodenbegriff wird allerdings nicht definiert oder konturiert, es wird nicht systematisch entwickelt, welche Ebene methodischen Handelns gemeint ist, in welchem Verhältnis ausgewählte Methoden der Referenzdisziplinen (vgl. ebd. S. XVII) zu einfachen Lern- und Arbeitstechniken stehen oder welche Reduktionsprobleme beim Einsatz universitärer wissenschaftlichen Methoden im Feld der Schule gelöst werden müssen. Die ausgebliebene Klärung des Methodenverständnisses führt auf der Ebene der Fachlehrpläne dazu, dass von sehr unterschiedlichen Methodenbegriffen ausgegangen wird und die Ausführungen in den Lehrplänen zum Teil sehr unsystematisch und unvollständig sind (vgl. zum Lehrplan Erziehungswissenschaft Stiller 2001).
Im Lehrplan für das Fach Sozialwissenschaften in der gymnasialen Oberstufe werden sechs Methodenfelder (MF) aufgezählt und in die Obligatorik aufgenommen: [/S. 70:]
MF 1: "Arbeitsweisen zur Gewinnung, Verarbeitung und Darstellung von Informationen"
MF 2: "Umgang mit (einzelnen) soziologischen, wirtschaftswissenschaftlichen und politikwissenschaftlichen Fachbegriffen"
MF 3: "Umgang mit empirischen Verfahren in den Sozialwissenschaften"
MF 4: "Umgang mit hermeneutischen Verfahren in den Sozialwissenschaften"
MF 5: "Umgang mit (komplexen) fachwissenschaftlichen Theorien"
MF 6: "Untersuchung des Zusammenhangs von Wissenschaft und Verwertung" (Ministerium 1999, S. 28)
Die Lehrplankommission versuchte, orientiert an Sybille Reinhardt (vgl. Reinhardt 1997, S. 22ff.) mit den Methodenfeldern die "Intensitätsstufen fachmethodischer Bearbeitung abzubilden, die erfahrungsgemäß im Unterricht häufig in der Reihenfolge der Methodenfelder 1 bis 6 aufeinander aufbauen, ohne dass von einer sachlogischen Sequentialität gesprochen werden kann." (Ministerium 1999, S. 29)
Für die Entwicklung von Methodenbewusstsein wäre jedoch genau diese sachlogische Präzision notwendig. So wird nicht hinreichend deutlich, dass es sich bei den Methodenfeldern 2, 5 und 6 um wissenschaftstheoretische und methodologische Auseinandersetzungen auf der Metaebene handelt. Auch die Methodenfelder 3 und 4 bedürfen dieser Metareflexion und das Methodenfeld 1 sollte sich im Fach Sozialwissenschaften nicht auf allgemeine Lerntechnik reduzieren, sondern empirische und hermeneutische Verfahren einschließen.
Neben der fehlenden systematischen Klarheit werden andere Ebenen des methodischen Handelns, die aber für das Fach Sozialwissenschaften profilbildend sind, ausgeblendet. So werden typische methodische Unterrichtszugriffe, wie erkundendes, simulatives und reales Handeln von Lerngruppen oder selbstreflexive Methoden auf der Biographie- und Interaktionsebene nicht erfasst. Lediglich unter Lernorganisation finden sich Hinweise, wie methodische Kompetenz auf Schülerseite aufgebaut werden kann, dies aber in einer eher fachunspezifischen, lerntechnischen Ausrichtung (vgl. ebd. S. 43). Positiv zu sehen sind dort die metakognitiven Elemente. Die Ausführungen zur Lernorganisation haben aber im Unterschied zu den Methodenfeldern keinen obligatorischen Charakter.
Die hier an unterschiedlichen Lehrplänen aufgezeigten Probleme und Defizite sind kennzeichnend für den Umgang mit dem Methodenbegriff in der didaktischen und methodischen Literatur.
Woher resultiert die Schwierigkeit, klare Begriffsbestimmungen und systematische Ordnung in die Vielzahl der Methoden zu bekommen?
- Der Bedeutungsumfang des Begriffs Methoden wird unterschiedlich weit gesehen: Einmal geht es um komplexe methodische Gesamtkonzepte (z.B. entdeckendes Lernen), andererseits geht es um Einzeltechniken (z.B. Blitzlicht). In den neuen Lehrplänen stehen methodologische Fragen gleichberechtigt neben Lesetechniken oder Methoden der Bezugswissenschaften.
- Es ist nicht immer eindeutig, wer als Akteur methodischen Handelns gemeint ist - Fachwissenschaftler/innen, Lehrer/innen und/oder Schüler/innen. [/S. 71:]
- Schließlich ist die Frage, ob Methoden technische Mittel zur Zielerreichung sind oder eigenständigen heuristischen Charakter haben.
2. Methodenkompetenz als Bestandteil einer neuen Lehr- und Lernkultur
Nicht nur der veränderte, d.h. obligatorische Stellenwert der Methoden im Lehrplan Sozialwissenschaft signalisiert eine neue Wertschätzung des Methodischen. Eine Vielzahl von neuen Veröffentlichungen (Methoden-Handbücher, Methoden-Manuale, Methoden-Lexika) sowie vor allem die Publikationen und Seminare von Heinz Klippert (vgl. Klippert 1994ff.) signalisieren geradezu eine Methoden-Welle.
Systematische Methodenschulungen ganzer Schulen, inklusive ganzer Lehrerkollegien sollen Schlüsselqualifikationen, wie Team-, Methoden- und Kommunikationsfähigkeit hervorbringen.
Dabei wird der neue Stand der lernpsychologischen Forschung allerdings nicht immer zur Kenntnis genommen. Folgende Trends einer neuen Lehr- und Lernkultur zeichnen sich ab:
- Lernen wird als aktive Leistung eines Lernsubjektes und als Bestandteil von ganzheitlicher Persönlichkeitsentwicklung gesehen, nicht mehr als bloße Verhaltens-, Dispositions- oder Strukturveränderung, die direkt von außen steuerbar ist.
- Nicht mehr Lerngesetze oder Lehrstrategien stehen im Mittelpunkt des didaktischen Interesses sondern die Konstruktion von dialogischen und problemorientiert ausgerichteten Lehr-Lernlandschaften (vgl. Forum Bildung 2001b, S. 128f.).
- Statt überholter bipolarer Argumentationen (z.B. Wissenschafts- versus Handlungsorientierung) sucht man heute nach intelligenten Kopplungen bewährter Instrumente. Direkte Instruktion ist, wenn sie professionell und schülerzentriert gestaltet wird, genauso wichtig wie moderativ begleitete Projektarbeit (vgl. Forum Bildung 2001a, S. 21ff.).
- Lernen muss viel stärker als bisher individualisiert werden (vgl. Forum Bildung 2001b, S. 35ff.). Dazu ist es notwendig, wie die Rau-Kommission von einem vollständigen Lernbegriff auszugehen, der biografisches Lernen und Lernen auf der Beziehungsebene einschließt und mit fachlichem sowie überfachlichem Lernen eng verzahnt (vgl. Bildungskommission NRW 1995, S. 82ff., 107ff.).
- Selbstständiges Lernen muss durch Methodenbewusstheit viel intensiver gefördert werden und das Lernen des Lernens muss, um nachhaltig und transferierbar wirksam werden zu können, in den fachlichen Lernkontext integriert werden. Isolierte Lerntechnikkurse stellen nur Notlösungen dar (vgl. Forum Bildung 2001a, S. 23 u. 43ff. sowie 2001b, S. 45ff. und 38f.), die z.T. die Entfaltung eines intensiven fachlichen Methodenbewusstseins behindern und oberflächlichen Aktionismus begünstigen.
- Schließlich ist Metakognition als das Denken über das Denken und damit die Klarheit über deklarative und exekutive Prozesse des Lernens Voraussetzung für das effektive selbstständige Lernen (vgl. Kai[/S. 72:]ser und Kaiser 1999, S. 25ff.). Dies geschieht ebenfalls am besten integriert im fachlichen Kontext.
Die Betonung der Integration des Methodenlernens in den fachlichen Kontext sowie metakognitiver Kompetenz als Voraussetzung für selbstständiges Lernen müssen in neuen Lehrplangenerationen ebenso berücksichtigt werden wie die bewusste Berücksichtigung aller Ebenen methodischen Handelns - sowohl die Lernkompetenz und die Lernstrategien der Schülerinnen und Schüler wie auch die Lehr-, Begleit- und Konstruktionskompetenz der Lehrerinnen und Lehrer.
3. Zur Methodendiskussion in den Sozialwissenschaften
"Die sozialwissenschaftlichen Methoden zur Erkenntnis der Umwelt entstehen aus den Alltagstechniken. In ihnen organisieren sich die persönlichen Erfahrungen und die tradierten der Vorgenerationen zu einem Bestand täglich genutzter Strategien. Wir erkennen, bewerten, verändern die Umwelt nach Regeln, die wir gelernt, erfahren und im Gebrauch verändert haben. Die Alltagstechniken sind das Reservoir für alle sozialwissenschaftlichen Methoden. Sie werden aus ihnen entwickelt, durch Ausgrenzung, durch Absonderung aus ihrem Alltags-Zusammenhang, durch Abstraktion. Beispielsweise experimentieren wir mit Subjekten und Objekten im Alltag, wir erzeugen Situationen, die Menschen oder Gegenstände auf eine Probe stellen. Auch das Spiel hat den Reiz des Ausprobierens. Auf wissenschaftlicher Ebene prüfen wir ein Objekt unter kontrollierten Bedingungen in eingeengter, auf wenige Aspekte reduzierter Weise. Das wissenschaftliche Experiment ist eine Abstraktion des alltäglichen Experimentierens. Gleiches geschieht mit der Beobachtung. [...] Die sozialwissenschaftlichen Verfahren zur Erkenntnis der Umwelt sind also nicht aufgesetzt auf die natürlichen Techniken, ihnen nicht fremd, nicht deduziert aus in sich widerspruchsfreien Gedankengebilden, sondern nach den gleichen Regeln funktionierend wie die natürlichen." (Kleining 1995, S. 12f.)
Noch konsequenter betrachtet lässt sich ein Kontinuum erzeugen, was die Metaebene Wissenschaftstheorie und Methodologie einschließt. Auch im alltäglichen Handeln reflektieren die Menschen die grundsätzlichen Möglichkeiten, Wissen zu erlangen und Wissen zu überprüfen.
Wenn nun die wissenschaftlichen Methoden sich nur im Grad ihrer Systematisierung und Präzision von den Alltagsmethoden unterscheiden, kann man in der Politischen Bildung in allen Jahrgängen und allen Bildungsgängen auf allen unterschiedlichen Systematisierungsebenen in Methoden einführen. Dass man Methoden der empirischen Sozialforschung in ausgezeichneter Form schon in den Klassen 5 und 6 einführen kann, wurde schon in den 70er Jahren durch das Unterrichtswerk Detto und andere deutlich (vgl. Lippitt u.a. 1975). Mit Hilfe des sozialwissenschaftlichen Werkzeugschranks wurde in bis heute nicht übertroffener Weise auch methodologisch und wissenschaftstheoretisch gelernt.
Nun hat sich die Methodendiskussion in den Sozialwissenschaften seit den 70er Jahren, in denen ein quantitativ-empirisches Methodenverständnis [/S. 73:] im Vordergrund stand, weiterentwickelt. Folgende Trends lassen sich festhalten:
- Wissenschaft wird überwiegend als perspektivische Konstruktion von Wirklichkeit bzw. von pluralen Wirklichkeiten verstanden (vgl. Heinze/Krambrock 2001 und Kappler 2001).
- Diesen pluralen Wirklichkeiten kann man nur mit pluralen Methoden begegnen.
- Neben den quantitativ-empirischen Zugriffen haben sich qualitative Zugriffe (z.B. objektive Hermeneutik, narratives Interview, visuelle Verfahren, Methoden der Biografieforschung) entwickelt, die inzwischen anerkannte Qualitätsstandards erreicht haben. In vielen Forschungsprojekten, etwa im Bereich der Jugendstudien, werden qualitative und quantitative Verfahren kombiniert.
- Methoden konstituieren Erkenntnis. Die Methodenwahl beinhaltet bereits ein inhaltliches Vorverständnis und beeinflusst die Ergebnisse (vgl. Kappler 2001). Daher sind Methoden auf allen Ebenen mehr als technisch-neutrale Mittel der Zielerreichung.
4. Zum Methodenkonzept der Rahmenvorgabe Politische Bildung
Die Rahmenvorgabe Politische Bildung (Ministerium 2001)
unterstreicht zunächst einmal die Bedeutung des Methodischen durch die
Aufnahme in den zentralen Lernzielbereich. Dort wird als drittes Kompetenzfeld
die "Methodische Kompetenz" (vgl. ebd., S. 18)
genannt.
In sechs Aufzählungspunkten werden dann als konkrete Teilkompetenzen genannt:
- Mediennutzungskompetenz
- Angemessener Umgang mit Texten (im umfassenden Sinne)
- Empirische Methoden anwenden können
- Präsentations- und Visualisierungskompetenz
- Gesprächskompetenz
- Kooperative Kompetenz
Hier tritt nun genau der oben kritisierte unsystematische und unvollständige Umgang mit dem Methodenbegriff auf, der einem systematischen und reflektierten Umgang mit Methoden eher im Wege steht als dass er ihn fördert.
Lerntechniken und allgemeine Schlüsselqualifikationen stehen hier gleichberechtigt neben fachwissenschaftlichen Methoden. Die fachwissenschaftlichen Methoden und spezifische sozialwissenschaftliche Unterrichtsmethoden werden in ihrer Breite und Differenziertheit überhaupt nicht erfasst. Die Metaebene (Methodologie, Metakognition u.a.) fehlt völlig. Dies ist gerade auf der Zielebene nicht nachvollziehbar.
Unter dem Aspekt Lernorganisation findet man den Punkt "4.2 Methodenvielfalt im Politikunterricht" (ebd., S. 28). Hier wird dann in einer Systematik, die durchaus als Fortschritt gegenüber der 4. Auflage der Politikrichtlinien anzusehen ist, das Methodenspektrum des sozialwissenschaftlichen Unterrichts entfaltet und obligatorisch verankert (vgl. ebd.): [/S. 74:]
- Methodenbereich A: "Gewinnen, Analysieren und Interpretieren von Daten, Aussagen und Zusammenhängen"
- Methodenbereich B: "Produktorientiertes Gestalten und Präsentieren"
- Methodenbereich C: "Simulatives Handeln und Erfahren"
- Methodenbereich D: "Reales Handeln und Erkunden"
Sozialwissenschaftliches Unterrichtshandeln wird hier in einem breiten Spektrum systematisch erfasst und verbindlich gemacht.
Allerdings fehlen hier Metaebene, Methoden der Fachwissenschaft überwiegend und selbstreflexive Methoden auf der Interaktions- und Biografieebene völlig.
5. Fazit und Erwartungen
Positiv zu bewerten ist aus meiner Perspektive, dass dem Methodischen durch die Aufnahme in die Obligatorik ein höherer Stellenwert beigemessen wird und auch handlungsorientierte Zugriffe verbindlich gemacht werden. Dies allerdings macht ein wesentlich größeres Angebot an Lehrerfortbildung nötig, sonst ist die Obligatorik nicht oder nur schlecht einlösbar.
Als defizitär betrachte ich den unsystematischen und unvollständigen Umgang mit dem Methodenbegriff. Das Ausblenden der Metaebene sowohl in methodologischer wie auch in metakognitiver Hinsicht ist angesichts des erreichten Erkenntnisstandes der Methodologie und Lernpsychologie nicht nachvollziehbar. Die Ausblendung der selbstreflexiven Methodenebene ist sehr bedauerlich. Gerade die Fortschritte im Bereich der qualitativen Sozialforschung könnten hier für die Unterrichtspraxis nutzbar gemacht werden.
Daher ist es von großer Bedeutung, wie die Rahmenvorgabe in den schulformspezifischen Lehrplänen umgesetzt wird. Die Fachkonferenzen für Politik/Sozialwissenschaften benötigen dringend eine systematische Orientierungshilfe zum Aufbau methodischer Spiralcurricula (vgl. den Beitrag von Gernod Röken in diesem Heft).
Im Kontext der Arbeiten für ein neues Arbeitsbuch für Sozialwissenschaften (vgl. Stiller 2002) habe ich einen Systematisierungsvorschlag entwickelt, der im Anhang abgedruckt wird und im Internet mit Ergänzungsmaterialien einsehbar ist (vgl. http://www.politik-unterricht.de). [/S. 75:]
Literatur
Bildungskommission NRW, Hg. (1995): Zukunft der Bildung. Schule der Zukunft. Neuwied: Luchterhand.
Forum Bildung, Hg. (2001a): Bildungs- und Qualifikationsziele von morgen. Vorläufige Leitsätze und Expertenbericht. Köln o.J. (auch verfügbar unter: http://www.forumbildung.de).
Forum Bildung, Hg. (2001b): Neue Lern- und Lehrkultur. Vorläufige Empfehlungen und Expertenbericht. Köln o.J. (auch verfügbar unter: http://www.forumbildung.de)
Heinze, Thomas; Krambrock, Ursula (2001): Die Konstitution sozialer Wirklichkeit. In: Hug, Hg. Bd. 3, 60ff.
Hug, Theo, Hg. (2001): Wie kommt die Wissenschaft zu Wissen. 4 Bde. Hohengehren: Schneider.
Kaiser, Arnim; Kaiser Ruth (1999): Metakognition. Denken und Problemlösen optimieren. Neuwied: Luchterhand.
Kappler, Ekkehard (2001): Methodologische Fragen der Wirtschaftswissenschaften. In: Hug, Hg. Bd. 3, 200ff.
Kleining, Gerhard (1995): Qualitativ-heuristische Sozialforschung. Hamburg: Fechner.
Klippert, Heinz (1994): Methodentraining. Weinheim: Beltz.
Klippert, Heinz (2000): Pädagogische Schulentwicklung. Weinheim: Beltz.
Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Hg. (1999): Richtlinien für den Politikunterricht (Entwurf Stand: 23.04.99). 4. Aufl. Unveröff. Manuskript. Soest.
Lippitt, Ronald; Fox, Robert; Schaible, Lucille (1975): Detto und andere. Acht Einheiten für Sozialwissenschaften in der Schule. Unser Werkzeug. Stuttgart: Klett.
Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW, Hg. (1998): Lehrplan Gesellschaftslehre. Entwurf. Unveröff. Manuskript. Düsseldorf.
Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW, Hg. (1999): Sozialwissenschaften. Richtlinien und Lehrpläne für die Sekundarstufe II - Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen. Frechen: Ritterbach.
Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW, Hg. (2001): Rahmenvorgabe Politische Bildung. Frechen: Ritterbach.
Otto, Gunter; Schulz, Wolfgang, Hg. (1985): Methoden und Medien der Erziehung und des Unterrichts. Stuttgart: Klett-Cotta.
Reinhardt, Sybille (1997): Didaktik der Sozialwissenschaften. Opladen: Leske+Budrich.
Stiller, Edwin (2001): Zur methodischen Erschließung der Erziehungswirklichkeit. Vorschläge für ein methodisches Spiralcurriculum. In: Gesper, Gunter; Lehmann, Uta; Remmert, Claudia A.; u.a., Hg. Methoden im Pädagogikunterricht - gemeinsames Werkzeug von Lehrern und Schülern. Hohengehren: Schneider.
Stiller, Edwin, Hg. (2002): Dialog SoWi. Bd. 1. Bamberg: Buchner (zusammen mit Franz-Josef Bölting, Christel Schrieverhoff, Werner Völlering).
Dieser redaktionell leicht bearbeitete Text ist unter gleichem Titel erschienen in: Politisches Lernen, 23. Jg. 2001 (4/01-1/02), 68-76. Herausgeber: DVPB-Landesverband NRW.
© 2001 Verlag Wieland Ulrichs, Göttingen, © 2003 sowi-online e.V., Bielefeld
Um den Text zitierfähig zu machen, sind die Seitenwechsel des Originals in eckigen Klammern angegeben, z. B. [/S. 53:].
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