Obwohl die output–Standards der Stufe II gegenüber denjenigen der Stufe I offenbar einen ausbildungspraktischen Rationaliätsvorsprung aufweisen, darf man nicht aus dem Blick verlieren, dass beide ein entscheidendes programmatisches Defizit aufweisen(8): Sie sagen nichts über den zu ihrer Erreichung erforderlichen input – hin und wieder mit dem Hinweis, auf diesem Feld sollten die Ausbildungsinstitutionen in einen Wettbewerb um ihre Adressaten treten (vgl. Herrmann 2005). Auch wird die metaphorische Behauptung geäußert, "viele Wege führten nach Rom"; es sei Ausdruck eines neuen Zugewinns an Autonomie der Ausbildungsinstitutionen, dass sie in der Wahl und im Arrangement des inputs, also im wesentlichen des Curriculums und des Lehr–Lern– [/S. 46:] Arrangements, frei seien.(9) Genau dieser Umstand mache sie allererst wettbewerbsfähig und sorge durch den damit verbundenen Marktdruck für Effizienzsteigerung und Optimierung in der Lehrerausbildung (vgl. Mechtenberg 2005).
Diese Vision scheint gegenwärtig auf die verantwortlichen Bildungspolitiker eine beachtliche Faszination auszuüben. Sie vermag jedoch die ihr aufgebürdete Last an Erfolgserwartungen nicht zu tragen, weil die institutionellen Bedingungen der Lehrerausbildung in nahezu allen entscheidenden Punkten alles andere als marktabhängig gestaltet sind. Es ist der Staat, der gerade durch Vorgaben zum input die Entstehung des erwünschten Optimierungsdrucks behindert(10), wie etwa durch detaillierte Lehrerprüfungsordnungen, durch die Festlegung des Umfangs von Fächeranteilen am Gesamtstudium, durch die Bestimmung von Regelstudienzeiten, durch den Modularisierungszwang, durch Kontingentierung studentischer Arbeitszeit mittels workload–Vorgaben oder durch die verordnete BA/MA–Struktur. Insofern besteht keineswegs Autonomie in der Gestaltung des input–Arrangements.(11)
Von systematischem Interesse ist die These von der multikausalen Erzeugbarkeit ein und desselben Ausbildungsergebnisses (die "Viele–Wege–führen–nach–Rom–These"), wie sie insbesondere auch von der KMK vertreten wird (vgl. Fußnote 9). Sie erscheint einerseits um so weniger plausibel, je präziser der zu erzielende output vorgeschrieben wird. Lautet – wie etwa im KMK-Beschluss zu Lehrerbildungsstandards – die Stufe I–output-Vorgabe folgendermaßen: "Die Absolventinnen und Absolventen kennen Lerntheorien und Formen des Lernens" (KMK 2004, 8, Sp. 1), so ist zumindest der inhaltliche input weitestgehend fixiert (wenn es sich hier nicht ohnehin um eine verkappte input–Vorgabe, d.h. eine misslungene output–Vorgabe handelt!). Andererseits gilt natürlich auch das Umgekehrte, dass nämlich bei eher offener output–Beschreibung auch die input–Frage offen bleibt. Dies macht das folgende Beispiel aus der Kompetenzenliste der KMK deutlich: "Die Absolventinnen und Absolventen wissen, wie sie weiterführendes Interesse und Grundlagen des lebenslangen Lernens im Unterricht entwickeln" (ebd.). Da kann man den Absolventinnen und Absolventen nur gratulieren und sie hinter vorgehaltener Hand bitten, dieses Wissen und seine Quelle preiszugeben. Tatsächlich befänden sie sich damit schon deutlich jenseits des aktuellen Forschungsstandes. Ausgerechnet von diesem letzteren, ambitioniert offeneren Typ sind aber die meisten KMK–Kompetenzvorgaben (vgl. ebd.).
Der erwähnte systematische Punkt lässt sich an diesem Beispiel gut verdeutlichen: Output–orientierte Standards, wie sie gegenwärtig zur Diskussion stehen bzw. bereits verordnet worden sind, kodifizieren Ausbildungsergebnisse, die man zweifellos als wünschbar ansehen kann, für deren Herbeiführung uns aber – vorsichtig gesagt – viele Kenntnisse fehlen.(12) Die gewährte Autonomie in der Gestaltung des inputs unter Vorgabe dieses outputs erweist sich so bei genauerem Hinsehen eher als "Schwarzer Peter": Die Lehrerausbildungsstätten sollen selber zusehen, wie sie die Standardvorgaben erreichen. Damit werden sie aber unter einen weitgehend uneinlösbaren Anspruch gestellt, an dem sie letztlich nur scheitern können.(13) Haben sie nicht schon immer ihr Bestes gegeben? Und haben sie nicht schon immer versucht, auch anspruchsvolle Ziele des von der KMK gemeinten Typs zu erreichen? Mit welchem Grund soll man annehmen dürfen, dass sie das jetzt plötzlich könnten, nur weil solche Ziele rechtsverbindlich vorgeschrieben sind?
Nicht, dass hier behauptet werden soll, die Lehrerausbildung sei bereits an ihre objektiven Leistungsgrenzen gestoßen. Aber mit der Vorgabe von neu gefassten langen Kompetenzlisten, die Ideale zum Standard erheben, setzt man die Beteiligten und insbesondere die Aspiranten unter einen frustrationserzeugenden, weil unerfüllbaren Erwartungsdruck. Solange jedoch keine Messinstrumente zur Verfügung stehen, die diesen Sachverhalt zu offenbaren erlauben, wird dieses Scheitern nicht zum öffentlichen Problem. Zwar kennen alle Beteiligten im Prinzip die Unmöglichkeit, all die schönen Kompetenzen qua Ausbildung gezielt herbeizuführen, aber sie werden diese Sachlage gewissermaßen "aus Mangel an Beweisen" verschweigen. Damit können sie augenzwinkernd das Gesicht wahren: Die Bildungspolitik hat plausibel erscheinende und wohlklingende Vorgaben gemacht, denen man kaum widersprechen kann, und die Ausbildungsinstitutionen begründen ihre Wichtigkeit und Reputation damit, dass sie solchermaßen anspruchsvolle Leistungen zu erbringen versprechen. Zu sagen: "Das können wir nicht", das würde als Nestbeschmutzung und selbstzerstörerischer Defätismus angesehen.
Obwohl die Dinge in der Literatur und in amtlichen Verlautbarungen selten klar voneinander geschieden werden(14), kann man das Professionalisierungskonzept als eine Alternative zur output–Standardisierung betrachten. Es beruht, so ist schon bei Hesse (1968) nachzulesen, darauf, dass in unseren neuzeitlichen Gesellschaften Probleme entstehen, deren Lösung nicht wie bei rein ausführenden Tätigkeiten durch die Anwendung nahezu spielraumfreier Verhaltensregeln erfolgen kann (vgl. dazu auch Oevermann 1997). Zu diesen Problemen gehören bspw. Rechts– und Gerechtigkeitsfragen oder Gesundheitsfragen und eben auch das Problem der Sicherung der "psychosozialen Integrität" (Lempert 2004, S. 106) der Gesellschaftsmitglieder, also die Erziehung im allgemeinen und die Berufserziehung im besonderen.
Angesichts der fehlenden Lösungsalgorhythmen sind den Erziehungsprofessionals breite Handlungsspielräume eingeräumt. Diese sollen es ihnen erlauben, in Anpassung auf die je besondere individuelle Problem– und Bedarfslage geeignete Maßnahmen aus einem weiten Spektrum von Handlungsmöglichkeiten zu wählen. Dieses Spektrum ist jedoch eben nicht grenzenlos, seine Offenheit nicht zu verwechseln mit Beliebigkeit. Es wird vielmehr eingegrenzt durch wissenschaftliches Erklä– [/S. 47:] rungs– und Begründungswissen, m.a.W. durch – im wesentlichen –erziehungswissenschaftliche und in unserem Falle speziell durch berufs- und wirtschaftspädagogische Theorien (vgl. Kurtz 1997). Auf ihrem jeweils aktuellen Stand liefern diese Theorien den Rahmen für die Begründung professionellen Handelns. Professionals müssen in der Lage sein, das Theoriewissen kreativ und innovativ und umsichtig auf den Einzelfall hin zu interpretieren (vgl. Lempert 2004, S. 128-132).
Die professionstheoretische Sicht macht deutlich, dass zwischen Theoriewissen in einem weiten Sinne, das durchaus auch Wissen und Können zur exemplarischen Theorieanwendung umfasst, einerseits und Professionalität anderseits eine Differenz besteht – das von Luhmann gelegentlich so genannte "Technologiedefizit" (Luhmann, Schorr 1979). Diese Differenz lässt sich jedoch inhaltlich nicht exakt bestimmen, weil Professionalität als ein mixtum compositum aus einer ganzen Reihe zusätzlicher Elemente betrachtet werden muss, wie z.B. schnelle Situationsauffassung, routinierte Handlungsfähigkeit, kommunikative Flexibilität, ethische Grundüberzeugung, emotionale Selbstkontrolle u.a.m. (vgl. auch Gruber 2004, S. 12-13). Die optimale Zusammensetzung dieser Elemente und ihr Zusammenwirken ist uns jedoch nicht bekannt und wahrscheinlich ist sie sogar prinzipiell unbestimmbar (vgl. Neuweg, 2002; 2005). Professionalität kann daher gar nicht zuverlässig diagnostiziert und ihr Erwerb erst recht nicht systematisch herbeigeführt und kontrolliert werden.
Auf der Grundlage dieser Problemanalyse erweist sich das Professionalisierungskonzept der Lehrerausbildung als ein Rationale, das folgerichtig auf input–Standardisierung abstellt. Mit der curricularen Vorgabe des zu erwerbenden Wissens, insbesondere des Theoriewissens, schafft es die notwendigen, wenngleich nicht hinreichenden Bedingungen für Lehrerprofessionalität. Aber die Erfüllung dieser notwendigen Bedingungen des vollzogenen Wissenserwerbs lässt sich im Unterschied zum Kompetenzerwerb diagnostisch mit hinlänglicher Treffsicherheit kontrollieren, und zwar nicht nur im engeren Sinne des Vorliegens von vernetztem Wissen, sondern durchaus auch im Sinne von dessen exemplarischer Anwendung in virtuellen und dimensionsreduzierten Problemsituationen.
Aus professionstheoretischer Sicht stehen output–Standards der Stufe I, also Kompetenzanforderungen, "mit beiden Beinen fest in der Luft" – abgehoben von der Ausbildungswirklichkeit: Weder weiß man, wie sie qua Ausbildung, also qua input einigermaßen zuverlässig herbeizuführen wären, noch hat man einen auch nur blassen Schimmer davon, wie sie sich mit welchen Erziehungswirkungen zu einer Lehrerhandlung (output der Stufe II) verbinden, noch schließlich liegen wenigstens in Umrissen erkennbare Konzeptualisierungsvorstellungen für ihre befriedigende Modellierung und zuverlässige Diagnose vor. Die Sektion Berufs– und Wirtschaftspädagogik war daher gut beraten, mit dem Beschluss eines Basiscurriculums(15) auf das Professionalisierungsprogramm zu setzen. So kann wenigstens im Prinzip sichergestellt werden, dass die notwendigen Voraussetzungen für die Entwicklung berufspädagogischer Expertise und Professionalität erworben werden. Das Erreichen dieser Expertise und Professionalität selbst hat freilich nur eine Chance, wenn die Kasuistik des Referendariats und der ihr folgenden ersten Berufserfahrung konsequent auf das erworbene Wissens– und Theoriefundament zurückbezogen wird. Dass dies in der Lehrerausbildung, insbesondere in den Studienseminaren, in aller Regel nicht funktioniert, ist sicherlich die entscheidende Schwäche des deutschen Lehrerbildungssystems (vgl. Beck 1992; s. dazu auch die differenzierte Darstellung bei Lempert 2004).