Alfred Holzbrecher
Inhalt
1. Ausführungen
2. Anmerkungen
3. Literatur
Abbildungen:
Abb. 1: Kommunikationspsychologisches Modell nach F. Schulz-von Thun (1981)
Abb. 2: Konzept der Erfahrungsbildung
1. Ausführungen
Jahrzehnte lang fristete die Fotopädagogik ein Schattendasein, gehegt von Kunstpädagogen und Nostalgikern, die an das didaktische Potenzial der Dunkelkammer und den Charme der Essigsäure glaubten. Nichts gegen die unzähligen Foto-AGs an den Schulen, nichts gegen die durch hohe Filmpreise diktierte Sorgfalt beim Fotografieren, die fast als Kulturleistung anzusehen ist angesichts der durch die Digitalkameras ausgelöste Knips-Diarrhöe. Und doch scheinen gerade Digitalfotografle und Bildbearbeitung eine Renaissance des Mediums bewirkt zu haben, ins Blickfeld kommt (wieder) das stehende Bild, dessen bewusstere Wahrnehmung und Gestaltung. Als ob die Beschleunigung der Bilder zugleich das dialektische Gegenstück mit hervorbringt. Damit - so die These - eröffnen sich große Chancen für die Bildungsarbeit.
Obwohl multimediale Kommunikationsmittel primär visuell ausgerichtet sind, fehlen bislang jedoch allgemein-didaktische Konzepte, die es ermöglichen, Bildproduktion, -gestaltung und -kommunikation als zentrale Gegenstände einer "integrierten Medienbildung" zu begreifen. In aktuellen schulischen Internet-/Multimedia-Projekten kommt der Fotografie wenn überhaupt nur eine randständige Position zu. Dieser Missstand steht in krassem Gegensatz zu folgenden Tatsachen:
- Fotografie ist - im Wortsinn - ein Massenmedium: Seine Verbreitung reicht bis in finanziell weniger gut situierte Bevölkerungsschichten, zumal es mittlerweile technisch möglich ist, selbst mit einfachen Fotokameras gute Bilder zu machen. Fotografieren - etwa im Urlaub oder bei sonstigen "erlebnisintensiven" Ereignissen - gehört zur medialen Alltagspraxis von Jugendlichen.
- Fotopädagogik spielt im aktuellen medienpädagogischen Diskurs (so gut wie) keine Rolle, obwohl die Digitalfotografie - insbesondere durch den Boom der Fotohandys - zu einer weitverbreiteten sozialen Alltagspraxis zu werden scheint. Fotopädagogische Konzeptionen, die dieser gesellschaftlichen und medialen Entwicklung Rechnung tragen und das didaktische Potenzial der Digital-fotografie ausloten, fehlen dagegen (noch) weitgehend.
- Als Basismedium für eine "Medien-Alphabetisierung" (Moser 1999: 224) eignet sich das stehende Bild besonders gut, weil sich die Wechselwirkung zwischen Bildgestaltung und Bildwirkung in fundierterer Weise erarbeiten lässt als mit dem Film. Allerdings ermöglichen Grundlagenkenntnisse, die bei der Arbeit mit "stehenden Bildern" erworben wurden, eine qualifiziertere Beschäftigung mit dem bewegten Bild (Film, Video). Dies gilt für alle Teilbereiche einer zu entwickelnden "Medienkompetenz" (Medienkunde, -kritik/-analyse, -nutzung und -gestaltung).
- Auch ohne eine Digitalkamera ist eine Weiterverarbeitung der Bilder am PC - über Scanner oder über die Photo-CD - mittlerweile technisch relativ einfach (zu lernen). Didaktisch vorteilhaft ist, dass - v.a. bei der Farbfotografie - nicht mehr wie früher mit teurer und kompliziert zu handhabender Fotochemie gearbeitet werden muss. Ein weiterer didaktischer Vorteil ist, dass die Ergebnisse gestalteter Fotos direkt am Bildschirm sichtbar sind.
- Die Analyse und Gestaltung von Fotos kann nicht nur als Grundlage der Film-/Videoarbeit. sondern auch einer kunstpädagogischen Praxis sowie einer multimedialen Weiterarbeit (vgl. Gestaltung von Webseiten, internationale Schülerzeitung, eMail-Projekte / interkulturelle Kommunikation etc.) gesehen werden. D.h. das Bild als "Basismedium" ermöglicht die Erschließung eines breiten Spektrums medien- und kulturpädagogischer Ansätze sowie deren Integration in didaktischer Perspektive. So bieten sich etwa Verknüpfungen zur Arbeit mit Klangmedien / Musik (etwa in Form von Improvisationen zu einem Bild, Ton-Dia-Collagen etc.) bzw. mit Tonmedien (Radioarbeit), mit körperorientierten bzw. kinästhetischen Medien (Theaterimprovisation, szenische Umsetzung eines Bildes, Ton-Dia-Theater-Performance etc.), mit Sachmedien / Objekten sowie mit Texten und gesprochener Sprache an (z.B. (Presse-) Fotoanalyse, Kreatives Schreiben zu einem Foto, Bild als Sprechanlass etc.).
- Was den Stand der medienpädagogischen Praxisforschung im Bereich der Fotografie betrifft, ist besonders auf die Arbeiten von Franz Josef Röll (2003; 1998) zu verweisen, dessen "wahrnehmungsorientierter Ansatz" eine mögliche Brücke zwischen der außerschulischen und der schulischen Bildungsarbeit darstellen könnte.
In Anlehnung an gängige Konzepte von "Medienkompetenz" (vgl. Baacke 1999) sind folgende Kompetenzbereiche zu unterschieden, die bezogen auf das Medium Fotografie erarbeitet werden können:
- Technische Kompetenz (Umgang mit Kamera, Bildbearbeitungssoftware etc.)
- Semantische Kompetenz (Fähigkeit, Bilderlesen, deuten, bewerten zu können bzw. die sichtbare Realität bewusster wahrzunehmen; kulturelle Bedingtheit der Wahnehmung / Wirklichkeitskonstruktionen erkennen etc.)[/S.6:]
- Analytisch-reflexive Kompetenz (z.B. Bilder/Fotos in ihren historisch-gesellschaftlichen Produktions- und Rezeptionszusammenhängen erkennen)
- Pragmatische bzw. Gestaltungskompetenz (Fotografie als kreatives Ausdrucks-, Gestaltungs- und Kommunikationsmedium entwickeln: dokumentieren (Sachebene), einem Lebensgefühl Ausdruck verleihen ("Selbstoffenbarung"), zu etwas auffordern (Appell-Ebene) oder Beziehungen herstellen… (vgl. Schulz-von Thun)
Die Fähigkeit, mit der Technik umgehen zu können, ist zwar als Grundlage für die übrigen Kompetenzbereiche anzusehen, allerdings dürfte sich diese leicht aneignen lassen, etwa im Rahmen einer handlungsorientierten bzw. projektbezogenen Lehr-Lern-Einheit. Die Unterscheidung der drei anderen Kompetenzbereiche bietet einen Schlüssel für fachdidaktische Konkretisierungen. Bezogen auf politische Bildungsarbeit lassen sich etwa folgende Lernbereiche entwickeln:
Semantische Kompetenz
Objektiv betrachtet lässt sich der Bedeutungsgehalt eines Fotos zunächst mit Hilfe ästhetiktheoretischer Kategorien erschließen. Bei der Frage nach seiner "intensiven Wirkung" stößt man in jedem Fall auf die Arbeit mit bestimmten Elementen der Bildgestaltung (Positionierung des zentralen Objekts, Diagonale, "Goldener Schnitt"… vgl. Röll 1998). Dass solche Gestaltungsmittel den meisten (von uns) unbekannt sind, macht ihre politische Brisanz aus, denn - professionell eingesetzt - lassen sich damit unterschwellig, d.h. im vorbewussten Wahrnehmungsbereich, gezielt Wirkungen hervorrufen. Da politische Öffentlichkeit vermutlich schon immer über solche Vorstellungsbilder medial inszeniert war, gehört die Analyse dieser medienpolitischen Instrumente und die Dekonstruktion der damit verbundenen Interessen zu den vordringlichen Aufgaben politischer Bildung. Gerade auf Grund der Mehrdeutigkeit von Fotos lassen sich nicht nur durch Motivwahl, Perspektive oder Liniengestaltung, sondern verstärkend etwa auch durch Bildunterschriften ganz unterschiedliche Wirkungen erzielen[1].
Die Semantik eines Bildes lässt sich allerdings nicht nur aus einer solchen "objektiven" Perspektive erschließen. Vielmehr verweist eine (sozial)konstruktivistische Erkenntnistheorie auf subjektive Deutungsmuster, die auf spezifische Weise mit biographischen, geschlechts-, kultur-, milieu- bezogenen Erfahrungsbeständen im historisch-gesellschaftlich Kontext vermittelt sind. Sie beeinflussen - als "Habitus" (Bourdieu) - wesentlich die Art und Weise, was und in welcher Weise wahrgenommen und damit zu subjektiv bedeutsamer "Wirklichkeit" wird. Politische Bildung beginnt dort, wo die Anerkennung dieser subjektiven Wahrnehmungsperspektiven mit deren sozialen, gesellschaftlichen und historischen Kontexten vermittelt werden.
Analytisch-reflexive Kompetenz
Zu einer "medialen Alphabetisierung" gehört die Erkenntnis, dass der medienpolitisch inszenierte Einsatz von Fotos ebenso interessengeleitet ist wie die eigene Wahrnehmung, die Muster zu Deutung der Welt. Damit wird auch deutlich, dass es große Schnittflächen zwischen dem "analytisch- reflexiven" und dem semantischen Kompetenzbereich gibt: Während "semantische Kompetenz" stark den subjektiven Faktor im Blick hat, bezieht sich eine analytisch-reflexive Perspektive primär auf gesellschaftliche Kontexte der Bildproduktion und -rezeption, reflektiert also etwa die Abhängigkeit eines Bildjournalisten von Bildagenturen, seiner Redaktion oder antizipierten Rezipientenerwartungen.
Seit etwa zwei Jahrzehnten wird im Rahmen einer "handlungsorientierten Medienpädagogik" davon ausgegangen, dass die Erkenntnis der Manipulierbarkeit durch Medien nicht durch bewahrpädagogische Maßnahmen ("pädagogische Zeigefinger"), sondern durch die Erfahrung medialer Eigenproduktion vermittelt wird. Dies gilt mehr denn je für den Bereich der Digitalfotografie: Sicherlich gilt immer noch die Annahme, dass die Bilder-Gläubigkeit umso mehr in Frage gestellt wird, je mehr man selbst am Bildschirm Fotos bearbeitet hat. In diesem Zusammenhang von "Fälschungen" zu reden, erscheint diskutierenswert, verfolgt doch das Thema "Fotolügen" die Geschichte der Fotografie von ihren Anfängen an: Die Digitaltechnologie provoziert jedoch eine Problematisierung der vertrauten, aus der Analogfotografie kommenden Begriffe wie "Authentizität" oder "Echtheit": Inwieweit ist ein Foto "Abbild"? Ist es nicht immer auch "Konstruktion" (Perspektive des Fotografen, Gestaltungsmittel /Aussageabsicht…) (vgl. Dörfler 2000)? Die dokumentarische Beweiskraft eines analog hergestellten Fotos lässt sich letztlich durch das Negativ belegen: In der Digitalfotografie gibt es nur einen Datenträger, der mögliche nachträgliche Veränderungen nicht erkennen lässt. Dies kann man (kulturpessimistisch) beklagen - oder medienpädagogisch nutzbar machen:
Gestaltungskompetenz
Den Konstruktionscharakter eines (scheinbaren Ab-)Bilds zu erkennen und damit kreativ umgehen zu lernen, gehört zu den wichtigsten Lehr-Lern-Zielen fotopädagogischer Arbeit im Allgemeinen und politischer Bildungsarbeit im Besonderen. Wie bereits erwähnt, dürfte dies am besten gelingen, wenn Gestaltungskompetenz zu einem wesentlichen Lehr-Lern-Ziel medien- bzw. fotopädagogischer Arbeit gemacht wird. Fotografieren (und die Bearbeitung von Bildern) als soziale und kommunikative Praxis zu verstehen heißt zunächst einmal Klarheit über die Aussageabsichten und damit über die eigenen Interessen zu gewinnen, schließlich die beabsichtigte Wirkung vor dem Hintergrund des Verwendungs- bzw. Rezeptionskontextes mit zu berücksichtigen.
Dies gilt in gleicher Weise für den Fall, dass Projektergebnisse einer Schulöffentlichkeit präsentiert ("welche Fotos können / sollen bei den Betrachtern welche Wirkung her-[/S.7:]vorrufen?") oder etwa Fotos über einen Umweltskandal in der Lokalpresse veröffentlicht werden sollen ("wer soll zu welchen Handlungen motiviert werden?").
Eine Annäherung an mögliche Intentionen, die mit dem Fotografieren verfolgt werden, gelingt über das kommunikationspsychologische Modell von F. Schulz-von Thun (1981), in dem davon ausgegangen wird, dass jede Nachricht (hier: jedes Foto) vier Seiten hat, zumeist aber eine davon dominiert:
Kommunikationspsychologische Ebene | Fotografierabsichten | Lernbereiche / mögliche Projektformen |
Sachebene | dokumentieren, informieren, darstellen, hinweisen auf Sachverhalte, Missstände… | Bildjournalismus, Sozialfotografie, Dokumentarische Fotografie, Bilddokumentation/-reportage |
Appellebene | appellieren, aufrütteln, zu Handlungen auffordern… | Bildjournalismus, Sozialfotografie, Bilddokumentation/-reportage, Werbefotos, Wahlkampffotografie |
Selbstoffenbarungsebene | sich zeigen, Kreativität entfalten, einem Lebensgefühl/Vorstellungsbild Ausdruck verleihen… | Symbolisierung: Bilder zu Texten /Texte zu Bildern machen, Visualisierung eines Themas, Visuelles Tagebuch |
Beziehungsebene | Beziehung Fotograf - Objekt deutlich machen, "Geschichten erzählen"… Beziehung Foto/Fotograf - Rezipient: zum Geschichtenerzählen animieren, Gefühle wecken… |
Fotos als Sprechanlass, Foto-Geschichten / -Roman |
Klarheit über die Fotografierabsichten zu entwickeln, ist Voraussetzung dafür, sich die Frage nach den ihnen angemessenen Bildgestaltungsmittel zu stellen. In der konkreten fotopädagogischen Projektarbeit dürfte dies allerdings weniger als zeitliches Nacheinander, sondern als sich wechselseitig beeinflussende Lernprozesse zu beobachten sein:
"Welche Absichten habe ich, welche Wirkungen möchte ich hervorrufen, und welche Bildgestaltungsmittel (in der Fotografiersituation und bei der Bildbearbeitung) helfen mir, die Bildaussage zu verstärken?"
Im genannten kommunikationspsychologischen Modell wird nicht nur von den vier Seiten einer Nachricht (hier: des Fotos) ausgegangen, sondern auch davon, dass der Rezipient diese mit "vier Ohren" wahrnehmen kann. Diese Unterscheidung ermöglicht, dieses Modell auch zur Bildanalyse bzw. zum Bildverstehen (vgl. "semantische Kompetenz" [s.o.]) zu nutzen:
Über das "Sachohr" wird die sachliche, inhaltsbezogene Botschaft des Bildes entschlüsselt, sowohl denotativ (beschreibend, Gegenstandsbestimmung) als auch konnotativ (bedeutungserschließend bzw. -zuschreibend). Das "Appellohr" hört explizite oder implizite Handlungsaufforderungen aus dem Foto ("zu welcher Aktion fordert mich der Fotograf mit dem so gestalteten Foto auf?"). Mit dem "Beziehungsohr" wird zum einen wahrgenommen, was sich im "Zwischenraum" zwischen dem Fotografen und seinem Objekt abspielte, zum anderen, welche Beziehungsqualität zwischen dem Fotografen / Foto und (mir als) dem Betrachter sich entwickelt. Auf dem "Selbstoffenbarungsohr" wird wahrgenommen, was der Fotograf mit diesem Bild über sich aussagt, über seine Sicht der Welt, sein Welt-Bild, sein Bild von sich selbst und seine Fotografierabsichten. Aus der Sicht dieses Modells ist Fremdverstehen die Fähigkeit, den anderen (und sein ästhetisches Produkt: Foto) in seiner Eigen-Logik, der Logik seines Habitus, nachzuvollziehen.
Auch wenn die kommunikationspsychologische Perspektive vom Ansatz her für die direkte, personale Kommunikation konzipiert wurde, erscheint es interessant, etwa Presse- oder Kriegsfotos mit diesem Modell zu analysieren, d.h. den Blick zu weiten auf makrostrukturelle Kontextbedingungen, etwa: Was sagt das Foto im Kontext dieser Publikation über den Blick des Journalisten aus?… Außer zu einer ("rezeptiven") Analyse von Fotos eignet sich das "Vier-Ohren-Modell" sehr gut als Ansatz einer Bildhermeneutik, die aus das Verstehen der Fotos der Jugendlichen / Lernenden abzielt: Was sagen sie mit ihrer fotografischen Praxis über sich, ihr Lebensgefühl, ihre Welt-Sicht, ihre Kompetenz- oder Ohnmachtserfahrungen aus…?
Zu den Standards medienpädagogischer und projektdidaktischer Arbeit gehört, dass
- der Einsatz der verschiedenen Medien inhaltlichen Zielen ("Bildungszielen") untergeordnet ist, also kein Selbstzweck darstellt, [/S.8:]
- Soziales und erfahrungsorientiertes Lernen in Gruppen und das Erstellen eigener Produkte den Lernprozess charakterisiert,
- die Lernenden in möglichst allen Phasen des Arbeitsprozesses einbezogen werden sollen und
- (medien-)ästhetische und technische Standards eingehalten werden, wobei im Mittelpunkt die Frage steht, wie die vorhandene Medienkompetenz der Jugendlichen verbessert werden kann.
Mit der Zielperspektive einer Verknüpfung schulischer und außerschulischer Bildungsarbeit soll im Folgenden für die Entwicklung eines "Integrierten Medienbildungskonzepts" plädiert werden, bei dem nicht ein (Sach-)Medium - etwa die Fotografie oder der Film - im Mittelpunkt steht, sondern das mit Medien und ästhetischen Ausdrucksformen arbeitende Subjekt. "Integriert" bezieht sich subjektbezogen auf den Prozess der Erfahrungsbildung, objektbezogen auf die sachbezogene Verknüpfung von kulturellen, medialen bzw. ästhetischen Arbeitsweisen. Der Bildungsbegriff ermöglicht dabei - historisch betrachtet (vgl. Meueler 1993: 156 ff.) - eine Verknüpfung gesellschaftlicher Qualifikationserwartungen mit subjektbezogenen Ansprüchen nach selbst bestimmtem Leben, Lernen und Arbeiten. In diesem Sinne wird Bildung als "Subjektentwicklung" verstanden, d.h. als Arbeit an inneren wie an äußeren Widerständen bzw. Kompetenzgrenzen.
In Anlehnung an das skizzierte Kommunikationsmodell lassen sich folgende zentrale didaktische Leitbegriffe formulieren, die Bestandteil eines "integrierten Konzepts von Medienbildung" sein können:
- Wir informieren uns und andere (Sachebene)
- Wir zeigen uns und kommunizieren (Selbstoffenbarungs- und Beziehungsebene)
- Wir mischen uns ein (Appellebene)
Wir informieren uns und andere
Jede Lernarbeit hat die Aneignung von Wissen zur Grundlage, etwa indem Experten befragt werden oder Sachmedien/ das Internet als Mittel zur Informationsbeschaffung genutzt werden. Zu den medienpädagogisch bedeutsamen Lehr-Lern-Zielen gehört dabei, dass sachangemessene Fragestellungen und erkenntnisleitende Interessen sowie Suchstrategien und -techniken entwickelt werden, um sich in der Flut von Informationen zurecht zu finden. Wichtig ist dabei zu erkennen, dass Informationen interessengebunden (vgl. politische Ausrichtung von Presseorganen) bzw. kontextabhängig sind. Schließlich geht es um eine sachgerechte Verarbeitung sowie eine adressatengerechte Aufarbeitung und Präsentation der Informationen.
Wir zeigen uns und kommunizieren
"Selbstausdruck durch Medien" (Niesyto 2001) lautet der programmatische Titel eines Buches zur aktiven Medienarbeit mit Jugendlichen. Vor dem Hintergrund des Konzepts der Erfahrungsbildung (vgl. Holzbrecher 1997, 2001) geht
- Abb. 2 Konzept der Erfahrungsbildung
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es auf eine Formel gebracht - (1) um ein "Zum-Ausdruck-Bringen" von zunächst oft diffusen Vorstellungsbildern (z.B. Bildern des Fremden, Vorwissen/Vor-Einstellungen…) mittels eines symbolisierenden Mediums (Foto, Film, Musik, Zeichnung/Plastik, Körpersprache/Theater…), um diese dann (2) zu kommunizieren und (3) verstehend durchzuarbeiten. Mehreren fotopädagogischen Ansätzen (vgl. Röll 1998, Strötzel 1991), auch unserer eigenen schulischen und außerschulischen Projektarbeit mit dem Medium Fotografie (vgl. www.ph-freiburg.de/fotoprojekt), liegt dieses Konzept zu Grunde. Die Vorteile symbolisierender Medien liegen darin, dass sie gerade die noch nicht in Worte fassbaren Inhalte in ästhetischen Ausdrucksformen verdichten und zugleich emotionale Bedeutungsschichten, die "subjektive Semantik", artikulierbar machen Voraussetzung dafür, dass diese in der Lerngruppe zu Erfahrungen verarbeitet werden. Aus politikdidaktischer Sicht könnte dabei der Fotografie eine vorrangige Stellung zukommen.
Wir mischen uns ein
"Demokratie heißt, sich in die eigenen Angelegenheiten einmischen", schreibt Max Frisch. Unsere Gesellschaft lebt davon, dass sich ihre Bürger/innen politische Problemlagen zu eigen macht, sie als eigene wahrnehmen und aus diesem Bewusstsein heraus politisch verantwortlich handeln. Die didaktisch entscheidende Frage, die sich an diese Feststellung anschließt, lautet: Wie kann eine solche Erkenntnis als Lernprozess erfahrbar gemacht werden? Wie kann sich die Einsicht entwickeln, dass und in welcher Weise globale Problemkonstellationen strukturell mit denen der eigenen Lebenswelt zusammen hängen? Aus pädagogischer Sicht kristallisieren sich Antworten auf diese Frage um Schlüsselbegriffe wie "Partizipation" und "Selbstwirksamkeitserfahrung", die als wichtigste "Gegenmittel" angesehen werden, um Ohnmachtserfahrungen abzubauen (vgl. Holzbrecher 2001).
Sich einmischen heißt, den Raum zu verlassen, der durch Apathie, Ängste und Hemmungen geschützt wird, beinhaltet das Risiko des Widerspruchs - und die Entwicklungschance durch die Arbeit an diesen Widerständen. Man muss[/S.9:] Soziales und erfahrungsorientiertes Lernen in Gruppen und das Erstellen eigener Produkte den Lernprozess charakterisiert, die Lernenden in möglichst allen Phasen des Arbeitsprozessen einbezogen werden sollen und (medien-) ästhetische und technische Standards eingehalten werden, wobei m Mittelpunkt die Frage steht, wie die vorhandene Medienkompetenz der Jugendlichen verbessert werden kann.
Man muss nicht Mitglied einer der zahlreichen Nichtregierungs-Organisationen sein, auch als Lehrer/in und Schüler in hat man im Rahmen bzw. ausgehend von einer "geöffneten" Unterrichtsarbeit vielfältige Möglichkeiten zivilgesellschaftlichen Handelns:
- Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen (vgl. Lobbyarbeit);
- denjenigen eine Stimme zu geben und zu ihrem Recht zu verhelfen, die dies nicht - oder noch nicht - selbst können;
- für die Durchsetzung eigener politischer Ziele Öffentlichkeit herzustellen und
- den Prozess des Lernens in der Gruppe selbst zu organisieren bzw. als Teil des politischen Projekts zu begreifen.
Für solche Zielsetzungen nicht nur Printmedien, sondern auch das Internet, eMail-Kommunikation und die Fotografie zu nutzen, gehört heute zu den vordringlichen Aufgaben einer politischen Bildung, die dazu anleitet, sich in eigene Angelegenheiten einzumischen.
2. Anmerkungen
1) Ein kleiner didaktischer Baustein: Man lässt die Lernenden zu einem Presse-/Dokumentar-Foto Bildunterschriften finden und diskutiert anschließend die unterschiedlichen Wirkungen/Wirkungsabsichten.
3. Literatur
Baacke, Dieter (1999): Handbuch Medien: Medienkompetenz. Modelle und Projekte. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Dörfler, Hans-Diether (2000): Das fotografische Zeichen. In: Julia Schmitt u.a.. Fotografie und Realität. Fallstudien zu einem ungeklärten Verhältnis. Opladen: Leske+Budrich, 11-52.
Holzbrecher, Alfred (1997): Wahrnehmung des Anderen. Zur Didaktik interkulturellen Lernens, Opladen: Leske+Budrich.
Holzbrecher, Alfred (2001): AnEignung des Politischen: Subjektentwicklung durch Kompetenzerfahrung, in: Ders. Hg. Einmischen. Subjektorientierung als didaktisches Prinzip. Multiplikatorenpaket für die politische Bildungsarbeit . Schwalbach: Wochenschau, Kap. 1.
Meueler, Erhard (1993): Die Türen des Käfigs. Wege zum Subjekt in der Erwachsenenbildung, Stuttgart: Klett-Cotta.
Moser, Heinz (1999): Einführung in die Medienpädagogik. Aufwachsen im Medienzeitalter. Opladen: Leske+Budrich.
Niesyto, Horst (2001): Selbstausdruck durch Medien. Eigenproduktionen mit Medien als Gegenstand der Kindheits- und Jugendforschung. München: KoPäd.
Röll, Franz-Josef (2003): Pädagogik der Navigation. Selbstgesteuertes Lernen durch neue Medien, München: KoPäd.
Röll, Franz-Josef (1998): Mythen und Symbole in populären Medien. Frankfurt: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik.
Röll, Franz-Josef (1995): Bild, Raum und Identität. Sinn- suche im Medienzeitalter. In: Baacke, Dieter; Röll, Franz-Josef. Hg. Weltbilder Wahrnehmung Wirklichkeit. Der ästhetisch organisierte Lernprozess. Opladen: Leske+Budrich, 142-167.
Schulz-von Thun, Friedemann (1981): Miteinander reden. Reinbek: Rowohlt-Taschenbuch.
Strötzel, Karlheinz (1991): Fotografieren in der Jugendarbeit. Eine Handreichung für den Gruppenleiter. Tübingen: Katzmann.
Dieser Text ist unter gleichem Titel erschienen in: Politisches Lernen, Jg. 26. 2004. (1-2), 5-9.
© 2004 Alfred Holzbrecher, © 2007 sowi-online e.V., Bielefeld
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