Studienfahrt, Exkursion, Regionalstudien

Gerhart Maier

Inhalt

1. Zum Begriff
2. Ziele
3. Erfahrung der Komplexität
4. Didaktisch-methodische Hinweise
5. Literatur

1. Zum Begriff

Das charakteristische Merkmal der Studienfahrt, der Exkursion und der Regionalstudien ist die planmäßige und produktorientierte Durchführung derartiger Veranstaltungen, weshalb sie sich deutlich von Wandertagen, Schulausflügen und Schullandheimaufenthalten abheben. Während der Begriff "Studienfahrt" eindeutig für mehrtägige Reisen von Klassen oder Kursen Verwendung findet, meint der Begriff "Exkursion" eher unscharf eine Reihe unterschiedlicher Formen, z. B. eintägige Betriebsbesichtigungen, Erkundungen oder den Besuch[/394:] politischer Einrichtungen (z. B. des Stadtparlaments oder des Landtags). In engerer Auslegung ist die Exkursion nahezu deckungsgleich mit der Studienfahrt; graduelle Unterschiede ergeben sich dann hinsichtlich des kürzeren zeitlichen Rahmens und ihrer geringeren Entfernung vom Ausgangsort. Die Bezeichnung "Regionalstudie" findet Verwendung, wenn die Auseinandersetzung mit der eigenen Region, deren Reichweite unterschiedlich gefasst werden kann, besonders betont werden soll. Hier geht es um die Erschließung der (kleinräumigen) Lebenswelt, der man selbst angehört. P. Knoch unterscheidet bei der Regionalstudie drei mögliche Zugriffsmöglichkeiten, nämlich die sozial-geschichtliche, die historische und die ökologische Regionalstudien (Knoch, Leeb 1984, 14). Für alle Ausprägungen der Exkursion und der Studienfahrt sowie für die Regionalstudien gilt, dass diese Veranstaltungen sich grundsätzlich vom herkömmlichen Unterricht unterscheiden, weil hier andere Arbeits- und Interaktionsformen zur Anwendung kommen und die Unterrichtsgegenstände sich völlig anders - nämlich an ihrem ursprünglichen Platz und in ihrem jeweils eigenen Umfeld - präsentieren. Wichtige Funktionen sind dabei der Praxisbezug und die Wirklichkeitserfahrung, auch wenn jeweils aus zeitlichen und organisatorischen Gründen nur "Wirklichkeitsausschnitte" (Stöckle 1984, 27) untersucht werden können.

Obwohl zwischen historischen, geographischen und politischen Exkursion/Studienfahrt/Regionalstudien ein großer Überschneidungsbereich hinsichtlich der Methoden und der Ziele zu konstatieren ist, haben diese gerade im Rahmen des Politikunterricht spezifische Aufgaben, z. B. Partizipationsangebote, Begegnungen mit politischen Akteuren, Erwerb von Handlungskompetenz, Abbau von Distanz zu politischen Institutionen. Gemeinsamkeiten bestehen bei den formalen Ablaufschemata, besonders aber hinsichtlich der Tatsache, dass der Unterrichtsgegenstand nicht im Klassenzimmer rekonstruiert werden muss, sondern eine unmittelbare Begegnung mit ihm gesucht und gefunden wird. Diese direkte Konfrontation mit den Lerninhalten eröffnet eine Vielzahl zusätzlicher Aspekte, provoziert andere Fragestellungen und bewirkt in der Regel eine größere Betroffenheit bei den Teilnehmern, die mit herkömmlichen Mitteln im Unterricht nicht erreichbar wäre (Mickel 1980, 228). Leitende Prinzipien sind also Anschauung, originale Begegnung und exemplarisches Lernen. Unterschiede zur geographischen und historischen Studienfahrt/Exkursion/Regionalstudie bestehen vor allem in der inhaltlichen Ausrichtung. Die didaktische Besonderheit der politischen Studienfahrt/Exkursion/Regionalstudie liegt in der Erfahrung politischer Realität.

2. Ziele

Für den Lernbereich Politik/Sozialkunde bieten sich zahlreiche Studienfahrt/Exkursion/Regionalstudien-Ziele mit einem spezifisch fachbezogenen Beitrag an, von denen einige exemplarisch genannt werden sollen (Außerschulische Lernorte):

  • Besuch von Industrieunternehmen (z. B. verschiedene Kraftwerke, Fabriken mit moderner, computergesteuerter Produktion im Vergleich mit traditionellen Produktionsformen). Bezug: Wirtschaft, Menschen in der Produktions- und Arbeitswelt, Rationalisierung, gesellschaftliche Auswirkungen der Mikroelektronik,
  • Besuch von Bundeswehreinrichtungen. Bezug: Sicherheitspolitik, Friedenserziehung, "Staatsbürger in Uniform", Transformationsprozesse innerhalb der Bundeswehr,[/395:]
  • Erkundung von Orten, die raumplanerisch zur Erhöhung der Standortqualität oder aus verkehrspolitischen bzw. ökologischen Gründen umgestaltet werden (z. B. Baulanderschließung, Vorhaben zur landwirtschaftlichen oder wald- und forstwirtschaftlichen Veränderung, Anlage von ökologischen Schutzzonen und Naturschutzgebieten, Errichtung kommunaler Bauten). Bezug: Standortfaktoren, Umweltschutz, Raumplanung, Stadtplanung, politische Entscheidungsebenen, Durchsetzbarkeit regionalpolitischer Entscheidungen,
  • Reise nach Bonn/Berlin (Besuch von Bundestag und Bundesrat, Gespräche mit Abgeordneten und Vertretern der Exekutive, Ausstellungen mit politischen Inhalten). Bezug: politische Ordnung der BRD, Parteien,
  • Fahrt nach Straßburg und Brüssel (z. B. Besuch des Europarats, des Europäischen Parlaments, des Europäischen Gerichtshofs, Gespräche mit Mandatsträgern und Kommissionsvertretern, Berlaymont-Gebäude). Bezug: europäische Integration, EU-Entscheidungsprozeß,
  • Fahrt in in- und ausländische (Schul-)Partnerstädte (Erarbeitung von politischen, sozialen, wirtschaftlichen Teilbereichen, Begegnung mit Menschen fremder Kultur, Sprache und Geschichte, Feststellung von Gemeinsamkeiten; Schulpartnerschaften). Bezug: Völkerverständigung, Europa.

3. Erfahrung der Komplexität

"Ein Unterricht, der den Schülern Wirklichkeit zu interpretieren beabsichtigt, (darf) sich nicht nur in der Analyse isolierter Erscheinungen orientieren, sondern (muss) die Komplexität der Phänomene und ihre jeweiligen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungs- und Entscheidungszusammenhänge mitreflektieren."(Rathenow 1978, 94)

Bei der Studienfahrt/Exkursion/Regionalstudie im Bereich Politik erleben die Lernenden vor Ort, wie Menschen leben und arbeiten, wie Politik gestaltet wird und wie Politiker in ihrem eigenen Umfeld argumentieren. Indem dabei die Inhalte der politischen Bildung in ihrem Zusammenhang und ihren vielfältigen Abhängigkeiten erfahren werden, kann die Isolierung der einzelnen Politikbereiche aufgebrochen werden. Die Auseinandersetzung mit der vorgefundenen und nicht aufbereiteten Realität verbietet die "einfache Lösung", die sich im Klassenzimmer nur allzu leicht einstellt. Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse der Wirklichkeit sind nicht vorab bereits sortiert und strukturiert, sondern müssen im Lernprozess von den Betroffenen selbst geordnet und ausgewählt werden.

Vorschnelle Urteile und Wertungen werden bei der Begegnung mit dem konkreten Fall mit seinen vielfältigen Implikationen in Frage gestellt. Darüber hinaus ergeben sich bei den Realbegegnungen mit politischen Einrichtungen und Prozessen neue Problemerfahrungen und zusätzliche Gesichtspunkte, die im herkömmlichen Unterricht meist ausgeblendet bleiben. "Außerschulische Lernorte bieten [. . .] die Chance zu einem mehrdimensionalen oder ganzheitlichen politischen Lernen." (Ackermann 1988, 17) Durch diese Vernetzung der verschiedenen Politikbereiche wird den Teilnehmern eine erhebliche intellektuelle Kompetenz und die Bereitschaft zur Komplexitätswahrnehmung abverlangt. Studienfahrt/Exkursion/Regionalstudien sind außerdem in der Regel sehr arbeitsintensiv und nehmen viel Zeit in Anspruch. Deshalb müssen sol[/396:]che Unternehmungen eher eine Ausnahme bleiben, was zweifellos ihre ohnehin schon gegebene Attraktivität erhöht.

4. Didaktisch-methodische Hinweise

Um die notwendige thematische Geschlossenheit bei der Durchführung einer Studienfahrt/Exkursion/ Regionalstudie zu gewährleisten, ist die Beschränkung auf wenige Kristallisationspunkte erforderlich (Fokussierung). Ein unkontrolliertes Ensemble von Zufälligkeiten und "Sehenswürdigkeiten" läuft den didaktischen Zielsetzungen der Studienfahrt/Exkursion/Regionalstudie zuwider. Wie ein roter Faden zieht sich der Hinweis durch die Literatur und die amtlichen Erlasse zu Exkursions-Veranstaltungen, dass der Unterrichtsbezug unabdingbar sei. Dies bedeutet, dass Studienfahrt/Exkursion/Regionalstudien nicht wahllos terminiert und durchgeführt werden dürfen, sondern im laufenden Unterricht und lehrplanbezogen zu verorten sind (Mickel 1980, 275; Ackermann 1988, 22). Sie müssen vor- und nachbereitet werden, damit eine optimale Passung zwischen Erwartungshaltung und Kenntnisstruktur auf der einen und Exkursionsinhalten auf der anderen Seite erzielt wird. Die Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist besonders bei der Studienfahrt unabdingbar; sie läuft sonst leicht Gefahr, zur touristischen Veranstaltung zu denaturieren und so ihre unbestreitbaren Möglichkeiten zu verfehlen. Es ist daher notwendig, dass vor der Studienfahrt wesentliche Schwerpunkte der Erkundung und das spezifische Erkenntnisinteresse in einer Planungsphase formuliert und festgelegt werden.

Bei der Vorbereitung werden inhaltliche und formale Kriterien wirksam. Die notwendigen Wissensvoraussetzungen sind so zu bemessen, dass sie zwar für das Verständnis hinreichend sind, aber nicht zu viele Informationen vorwegnehmen und dadurch das Interesse während der Durchführung beeinträchtigt wird. Es hat sich bewährt, wenn einzelne oder Gruppen ihre vorab erarbeiteten Sachinformationen an Ort und Stelle eingebracht haben. Die Lernenden sollten in die Planung der Studienfahrt/Exkursion/Regionalstudie einbezogen werden (z. B. Planungsdiskussion, Exkursionsstrategie, organisatorische Aufgaben, Modalitäten der Finanzierung). Die Zielsetzung ist eindeutig zu fixieren. Wo es geht, finden Vorschläge der Teilnehmer Berücksichtigung. Bei der Durchführung sind die Lernenden zu einem projektorientierten Arbeiten anzuhalten. Selbsttätigkeit, Beobachten, Befragen, Handlungsorientierung, Selbstfinden und Empathie sind spezifische Kennzeichen und konstitutive Elemente solcher Unternehmungen. Die Nachbereitung hat die Funktion, das Erlebte und Erfahrene zu ordnen und aufzubereiten. Dazu können eine Ausstellung von Bildern, Skizzen, Befragungsergebnissen, Veröffentlichung in der Schülerzeitschrift oder auch das Exkursions-Tagebuch oder der Exkursions-Bericht eine wertvolle Hilfe leisten. Der Anreiz für eine intensive Nachbereitung erhöht sich, wenn es möglich ist, eine solche Ausstellung einer größeren Öffentlichkeit unter Beteiligung der "Experten" zugänglich zu machen. Die geplante Form der Auswertung, Dokumentation und Präsentation der Ergebnisse muss - im Einvernehmen aller Beteiligten - bereits vor der Studienfahrt/Exkursion/Regionalstudien festgelegt werden, damit die dafür erforderlichen Unterlagen und Informationen unterwegs gesammelt bzw. eingeholt werden. Die Erträge von Studienfahrt/Exkursion/Regionalstudien werden im weiteren Unterricht, wo immer sich die Gelegenheit bietet, reaktiviert. Durch den immanenten Bezug erhält die Studienfahrt/Exkursion/Regionalstudie einen hohen Stellenwert im Lernprozess.

5. Literatur

Ackermann, P., Hg. (1988): Politisches Lernen vor Ort. Stuttgart.

Beck, H., Hg. (1984): Umwelterziehung im Freiland. Modelle und Ansätze. Köln.

Günter, W. (1982): Allgemeine Didaktik und Methodik der Studienreise. In: Ders., Hg. 1982. Handbuch für Studienreiseleiter. Starnberg, S. 171-193.

Knoch, P.; Leeb, Th., Hg. (1984): Heimat oder Region? Grundzüge eine Didaktik der Regionalgeschichte. Frankfurt/Main.

Mickel, W. W. (1980): Methodik des politischen Unterrichts. Frankfurt/Main.

Plieninger, K. (1994): "Nähe und Distanz". Wandlungen und Perspektiven einer Didaktik der Regionalgeschichte. In: Schmierer, W. u. a., Hg. 1994. Aus südwestdeutscher Geschichte, Stuttgart, S. 794-807.

Rathenow, H.-F. (1978): Die Erkundung. In: Northemann, W. Hg. 1978. Politisch-gesellschaftlicher Unterricht in der Bundesrepublik. Opladen, S. 91-99.

Stöckle, R. (1984): Heimat heute. In: Knoch, P.; Leeb, Th., Hg. 1984, S. 17-29.

Sarcinelli, U. (1993): Parlamentsbesuche. In: Gegenwartskunde 42 (1993), S. 449-459.

Wenzel, H.-J. (1985): Umweltwahrnehmung in der Geographie. Konzeptionelle Erweiterung der Sozialgeographie und schülerorientierte Fundierung der Geographiedidaktik. In: Internationale Schulbuchforschung 2-3/1985.

Wittmeier, M. (1986): Gedenkstätten der Gegenwart als Lernorte der NS-Geschichte. In: Vorgänge 3/1986.

Zang, G. (1985): Die unaufhaltsame Annäherung an das Einzelne. Reflexionen über den theoretischen und praktischen Nutzen der Regional- und Alltagsgeschichte. Konstanz.

ieser Text ist unter dem gleichen Titel erschienen in: Wolfgang W. Mickel (Hg.). 1999. Handbuch zur politischen Bildung, Bonn, S. 393-397.
© 1999 Gerhart Maier, © 2007 sowi-online e.V., Bielefeld
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