Gekommen, um zu bleiben: (Post-)Digitale Öffentlichkeiten und die demokratische Frage
Die Orientierung an der Vernunft ist der modernen Demokratie schon in ihren Geburtsstunden in die Wiege gelegt worden. Demnach sollte die Öffentlichkeit als Ort demokratischer Meinungs- und Willensbildung eine Sphäre der deliberativen und wahrheitsorientierten Rationalität sein. Dies hängt wohl nicht zuletzt mit ihrem historischen Entstehungskontext in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts zusammen, die auf das Potenzial der menschlichen Vernunft ihre Hoffnungen gesetzt hat, deren Früchte bspw. im naturwissenschaftlich-technischen Fortschritt anschaulich wurden.
Dieses historische Erbe scheint gegenwärtig aber in zweierlei Hinsicht problematisch zu werden. Zum einen deuten Schlagworte wie „Post-Politik“ oder „Post-Demokratie“ darauf hin, dass in der Politikwissenschaft ebenso wie in der Politischen Philosophie seit rund zwei Dekaden eine Abkehr vom politischen Streit zugunsten technischer oder ökonomisch profitabler Lösungen beobachtet wird. Politischer Dissens oder langwierige Auseinandersetzungen verlieren gegenüber konsensualen ‚Ergebnissen‘ ihre Legitimität – kurzum: Technokratie erscheint ‚vernünftiger‘ und leistungsfähiger als Demokratie. Zum anderen wird die Idee einer rationalen Gestaltung der öffentlichen und politischen Sphäre durch den Erfolg des populistischen Politikstils, der sich auf die Reichweite digitaler Medien stützen kann, an ihre Grenzen gebracht. Noch dazu ergänzt sich beides: Wo ‚Leadership‘ erfolgreich versprechen kann, technokratisch zu agieren (also: zu regieren), erfährt sie Zustimmung, und diese kommt auch der rechtspopulistischen Führung zunehmend zugute. Gleichzeitig kann sie dabei bequem auf Rationalität und Wahrheitsbindung verzichten, wie sich an der (Wieder-)Wahl des amerikanischen Präsidenten Donald Trump deutlich zeigt.
Postfaktizität, Fake News oder auch Verschwörungstheorien werden deshalb gegenwärtig als besondere Herausforderungen wahrgenommen. Um die (mediale) Öffentlichkeit als Ort rationaler Meinungsbildung zu bewahren, werden Faktenchecks etabliert und digitale Plattformen auf entsprechende Regulierungen verpflichtet. Und um rationale Diskursteilnehmende zu gewinnen, werden die politische Bildung und die Medienpädagogik zu Aufklärung und Kompetenzerzeugung geschickt. Die auf Ver- statt auf Aufklärung setzenden digitalen Kommunikationsmedien sind jedoch gekommen, um zu bleiben, und mit ihnen auch die Maschinerien einer neuen ‚Gefühlspolitik‘, die durch Skandalisierung und Empörung dem Populismus Vorschub leisten. Auf diese Herausforderungen der Demokratie weiter nur im Modus von „Faktenchecks“ zu reagieren, heißt, sich dieser Realität zu entziehen und den Kampf um die Demokratie verloren zu geben. Stattdessen wäre es hilfreicher anzuerkennen, dass wir heute möglicherweise den Preis bezahlen für das, was in der historischen Tradition des demokratischen Liberalismus ausgeschlossen und aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt worden ist. Dessen ‚Wiederkehr‘ zwingt uns heute, theoretisch und praktische neue Antworten zu finden auf die demokratische Frage, wie Teilhabe und Mitbestimmung zu organisieren wären, im Wissen darum, dass uns die bislang bewährten Exklusionsprinzipien der Rationalität und Wahrheitsorientierung dabei nicht mehr zur Verfügung stehen.
PD Dr. habil. Sabrina Schenk ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft an der Technischen Universität Braunschweig.