In Hamburg wird von der AfD ein internetgestütztes Lehrermeldeportal „Neutrale Schule“ betrieben. Schüler und Eltern werden aufgefordert, Namen von Lehrkräften zu melden, die sich im Unterricht zur AfD äußern und dabei (angeblich) ihre politische Neutralitätspflicht verletzen. Die AfD behält sich vor, die gemeldeten Namen an die zuständige Schulbehörde weiterzugeben. Ein ähnliches Format existiert in Baden-Württemberg; dort sollen die gemeldeten Namen der Lehrkräfte auch veröffentlicht werden. Auch in anderen Ländern (u.a. Bayern) sind entsprechende Portale geplant. Am 11. Oktober 2018 hat sich die Kultusministerkonferenz mit dem Thema befasst, die Aktionen politisch verurteilt, jedoch zu erkennen gegeben, dass rechtliche Schritte gegen solche Portale schwierig seien. Es wird die Selbstverständlichkeit betont, dass sich betroffene Lehrkräfte wegen möglicher Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts oder datenschutzrechtlicher Vorschriften gerichtlich wehren könnten, untersagen könne man solche Portale aber wohl nicht. Die Hamburger Schulbehörde wird dahingehend zitiert, die Ehrverletzung eines Lehrers könne die Behörde nicht beklagen, das könnte nur die Lehrkraft selbst (FAZ v. 12.10.2018, S. 2). Damit wird das Problem von der Politik privatisiert, den Lehrkräften und den Zivilgerichten überantwortet. Bei aller starken Rhetorik („Lehrerpranger“, „diktatorisches Mittel“, „Denunziantentum“, verharmlosend aber „Schulhofpetze“) vermisst man doch eine institutionelle und damit öffentlich-rechtliche Betrachtung des Phänomens. Dazu einige Überlegungen. Neutralitätspflicht der Lehrkräfte und schulrechtliche Treuepflicht
Unstreitig ist, dass Lehrkräfte im Unterricht parteipolitische Neutralität üben müssen. Das ergibt sich sowohl aus dem Dienstrecht (vgl. § 30 Abs. 1 des Beamtenstatusgesetzes) als auch aus dem öffentlichen Schulrecht. Verstöße dagegen können disziplinarrechtlich geahndet werden, Schülern und Eltern kommt insofern das allgemeine Beschwerderecht zu. Gegen disziplinarische Maßnahmen steht der Lehrkraft der Verwaltungsrechtsweg offen. So sind die rechtsstaatlichen Spielregeln. Eine Sammlung oder Veröffentlichung (angeblicher) Verletzungen des Neutralitätsgebotes auf drittbetriebenen Internetportalen kennen weder das Beamten- oder Arbeitsrecht noch das Schulrecht.
Unabhängig von der Frage, ob und in welchen Modalitäten der Betrieb eines solchen Portals Datenschutz- oder Persönlichkeitsrechte verletzt (Letzteres kann man nur für den Einzelfall entscheiden), ist er deswegen rechtswidrig, weil er mit tragenden Grundlagen des Schulrechts unvereinbar ist.l
Seit Verabschiedung des sog. besonderen Gewaltverhältnisses durch das Bundesverfassungsgericht in den 1970er-Jahren wird das Schulrecht geprägt durch die Schulgesetze (der Länder) und die dogmatische Figur des Schulrechtsverhältnisses. Beide gehen davon aus, dass Lehrkräfte, Schüler und Eltern nicht nur die besonderen, in den Schulgesetzen eigens niedergelegten Rechte und Pflichten haben, sondern gegenseitige Rücksichtnahme üben müssen. Man kann insofern – etwas altmodisch – von einer allgemeinen schulrechtlichen Treuepflicht sprechen; solche Pflichten kennt man auch beim Bundesstaatsprinzip („Bundestreue“), im allgemeinen Organisationsrecht („Organtreue“) und generell im Recht („Treu und Glauben, § 242 BGB). Schüler, Eltern und Lehrkräfte haben sich insbesondere so zu verhalten, dass ein gedeihlicher Unterricht und ein ordnungsgemäßer Schulbetrieb möglich sind. So heißt es etwa in Art. 56 des Bayerischen Schulgesetzes (BayEUG): „Alle Schülerinnen und Schüler haben sich so zu verhalten, dass die Aufgaben der Schule erfüllt und das Bildungsziel erreicht werden kann.“ Bildungsziel ist auch die Erziehung der Schüler „im Geist der Demokratie“ (Art. 1 Abs. 1 BayEUG). Dazu gehört auch die Behandlung des politischen Systems unter Einbezug der politischen Parteien, die Diskussion allgemeiner politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen sowie die Einübung des diskursiven Prinzips freier Rede und Gegenrede. Schule ist kein politisch steriler Raum
Dabei hat die Lehrkraft Sachlichkeit walten zu lassen und Einseitigkeiten zu vermeiden. Allerdings ist das Klassenzimmer kein politisch steriler Raum. In ihm spiegeln sich – unvermeidbar – allgemeine politische Debatten wider. „Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen“ heißt es treffend im sog. „Beutelsbacher Konsens“ aus dem Jahr 1976. Fächer wie Geschichte, Sozial- und Rechtskunde oder Deutsch müssen und können nicht im politikfreien Raum stattfinden. In jeder Aussage über politische oder gesellschaftliche Sachverhalte schwingt eine – verdeckte oder unterbewusste – Dimension der Wertung und des Dafürhaltens mit. Eine strikte und absolute Trennung von Faktenäußerung und Wertung ist weltfremd – das ist eine bleibende Erkenntnis der philosophischen Hermeneutik. Es ist freilich kein Freibrief: Der Beutelsbacher Konsens benennt als wichtigsten Grundsatz das „Indoktrinationsverbot“ („Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hindern“.). Bildungsziel ist nicht der politische Konsens, sondern die Einübung des Diskurses aus Rede und Gegenrede. Konfliktbewältigung im Klassenzimmer statt im Internet
Aus der Sicht der Schüler vermeintliche Einseitigkeiten der Lehrkraft sind im unterrichtlichen Gespräch zu klären. Das Forum dafür ist das Klassenzimmer oder der Seminarraum, nicht das Internet. In dieser Form der internen Konflikt- oder Dissensbewältigung liegt ein eigenständiges Bildungsziel der Schulen. Dazu steht den Schülern das Recht der Meinungsfreiheit zu (vgl. z.B. Art. 56 Abs. 3 BayEUG: „Alle Schülerinnen und Schüler haben das Recht, ihre Meinung frei zu äußern; im Unterricht ist der sachliche Zusammenhang zu wahren“). Diesem Bildungsziel widerspricht es erkennbar, Konflikte über eine von einer politischen Partei angebotene Internetplattform auszutragen. Öffentliche „Meldungen“ an Dritte – ob man sie nun als „Denunziation“ oder „Anprangerung“ bezeichnen mag – sind mit den schulrechtlichen Grundregeln der gegenseitigen Rücksichtnahme und Achtung nicht vereinbar. Sie verhindern oder zerstören das für einen gedeihlichen Unterricht notwendige Mindestmaß an Vertrauen, versperren den Raum des gemeinsamen Lehrens, Lernens und Diskutierens und säen Misstrauen, Angst und Vorsicht. Sie ruinieren den Schul- und Klassenfrieden. Zudem wird die Qualität des Unterrichts leiden. Wenn sich eine Lehrkraft etwa im Geschichtsunterricht bei jeder Äußerung genau überlegen muss, ob sie nicht Minuten später auf einer Parteiplattform landet und angeprangert wird, ist ein lebendiger, anschaulicher und für die Schüler interessanter Unterricht kaum möglich. Auch im Klassenzimmer muss eine pointierte These möglich sein. Eine Partei ist kein soziales Netzwerk
Nun wird man einwenden, die gleiche Problematik bestehe auch in den sozialen Medien und bei Bewertungsportalen, in denen die Schüler ebenfalls – kritische – Äußerungen über Lehrkräfte abgeben. Doch dieser Vergleich hinkt: Die von einer Partei betriebene Lehrermeldeplattform agiert nicht – wie die sozialen Medien – allein im sozial-gesellschaftlichen Raum, sondern im öffentlichen Raum. Eine Partei ist nicht lediglich Akteur sozialer und kommunikativer Interaktion, sondern ein wichtiger Player im staatlich-politischen Bereich. Sie ist nicht nur Verein, sondern – im staatsorganisationsrechtlichen Sinne – durch Art. 21 GG zur verfassungsrechtlichen Institution erhoben, die an der politischen Willensbildung mitwirkt. Als in diesem Sinne öffentliche Einrichtung ist die Partei zwar nicht am Schulrechtsverhältnis beteiligt, sie darf auf dieses jedoch nicht in einer Weise einwirken, dass die Funktionsfähigkeit von Schule und Unterricht beeinträchtigt und das Erreichen der Bildungsziele gefährdet werden. Die Parteien trifft in besonderer Weise ein Schul- und Unterrichtsstörungsverbot. Eine Störung kann nicht nur durch Mobbing, physische oder psychische Gewalt oder Sabotage erfolgen, sondern auch durch ein mediales Hineinwirken in die Schule und den Versuch einer Beeinflussung des Verhaltens von Schülern und Eltern. Schüler und Eltern zu Handlungen anzustiften, die gegen die schulrechtlichen Rücksichtnahmepflichten und die Bildungsziele verstoßen, ist daher rechtswidrig – und zwar unabhängig davon, ob zugleich gegen Datenschutzrecht oder Persönlichkeitsrechte verstoßen wird. Der Staat ist gefragt!
Dieser institutionell-schulrechtliche Aspekt ist für die rechtliche Beurteilung von Lehrermeldeportalen insofern wichtig, als eine solchermaßen begründete Rechtswidrigkeit eine öffentlich-rechtliche ist, deren Ahndung der Staat nicht einfach den Lehrkräften auferlegen, die er nicht einfach privatisieren und auf den Zivilrechtsweg verweisen darf. Darum muss sich der Staat selbst kümmern, dagegen muss er selbst vorgehen. Ihm obliegt nicht nur eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Lehrkräften, sondern die Verantwortung für die Funktionsfähigkeit des Schulwesens insgesamt – deren Bedeutung das BVerfG erst kürzlich im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Bestätigung des Streikverbots für Lehrkräfte unterstrichen hat. Nach Art. 7 Abs. 1 GG steht das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates. Was bedeutet dies nun?
Es bedeutet zunächst, dass der Staat in Gestalt der Schulbehörden Farbe zu bekennen hat. Er muss deutlich machen – gegenüber der Öffentlichkeit und den Betreibern – dass solche Meldeplattformen unabhängig von ihrer datenschutzrechtlichen oder persönlichkeitsrechtlichen Einordnung mit tragenden Grundsätzen des Schulrechts nicht vereinbar sind. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob der Staat in der Weise gegen den Betreiber einer solchen Plattform vorgehen kann, dass er deren Betrieb untersagt oder beschränkt. Da eine politische Partei außerhalb des Schulrechtsverhältnisses steht, unterliegt sie nicht der Schulaufsicht. Maßnahmen der allgemeinen Schulaufsicht kommen daher nicht in Betracht. Es wäre freilich zu überlegen, in den Landesgesetzen entsprechende Befugnisnormen zu verankern, die als allgemeine Gesetze im Sinn des Art. 5 Abs. 2 GG anzusehen wären und dem Schutz eines seinerseits verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts (nämlich der Funktionsfähigkeit von Schule und Unterricht, Art. 7 Abs. 1 GG) zu dienen bestimmt sind.
In den Blick zu nehmen ist aber auch das allgemeine Ordnungsrecht der Länder. Auch wenn der Betrieb einer Lehrermeldeplattform als solcher wohl keinen Straftat- oder Bußgeldtatbestand erfüllt, liegt darin – zumal verbunden mit der Aufforderung an Schüler und Lehrer zur „Meldung“ – ein gewichtiger Eingriff in den Schul- und Klassenfrieden und damit in die Funktionsfähigkeit und Integrität der Schule als Bildungs- und Erziehungsraum. Versteht man – wie heute üblich – unter öffentlicher Sicherheit im Sinne des allgemeinen Ordnungsrechts nicht nur die „Unversehrtheit“ wichtiger Individualrechtsgüter, sondern auch der „Einrichtungen des Staates und sonstiger Träger von Hoheitsgewalt“ (wozu auch öffentliche Schulen gehören), so fällt es nicht schwer, im Betrieb einer Lehrermeldeplattform eine Störung der Funktionsfähigkeit der Schulen und damit der öffentlichen Sicherheit (und auch Ordnung) zu sehen. Es erweist sich aus öffentlich-rechtlicher Sicht also als voreilig, wenn – etwa von Seiten der KMK oder Hamburger Schulbehörde – der Eindruck erweckt wird, der Staat könne hier juristisch nichts tun. Denkbar wäre durchaus eine (ggf. für sofort vollziehbar erklärte) ordnungsbehördliche Anordnung, den Betrieb eines Lehrermeldeportals einzustellen oder zu entschärfen. Dies müsste freilich für das jeweilige Ordnungsrecht des Landes noch eingehend geprüft werden. Dass eine ordnungsbehördliche Verfügung dann von den Verwaltungsgerichten überprüft werden kann, ist eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit. LICENSED UNDER CC BY NC ND CITATION: Lindner, Josef Franz: Lehrermeldeportale darf der Staat nicht akzeptieren, VerfBlog, 2018/10/12, https://verfassungsblog.de/lehrermeldeportale-darf-der-staat-nicht-akzeptieren/, DOI: https://doi.org/10.17176/20181012-131229-0
Josef Franz Lindner ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie an der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg.