„Was ist eigentlich Gesellschaft?“ Vorzüge der Sowi-Didaktik mit und für die Geflüchteten
Wer sind „Migranten“?- Was ist „Gesellschaft“? Die Fragen kommen aus allen Richtungen und sind nicht philosophisch, sondern zunächst rein sprachlich zu verstehen. Es ist eine Gruppe der Schüler (diesmal keine Schülerinnen) aus Afghanistan, die ich und mein Mitarbeiter Stefan Vennmann im Rahmen des Adams‘ Corner Projektes der TU Dortmund darüber aufklären dürfen, was man in der Politikwissenschaft an der Uni so macht.
„Adams’s Corner Projekt der TU Dortmund" ist ein Teil des „„Angekommen in Dortmund“-Initiative, einer Initiative für untersetzenden Bildungsangebote beim Start in der neuen Heimat. Die Uni stellt den interessierten sich und seine Fächer vor.
In der Politikwissenschaft oder auch in der Politikdidaktik sind wird aber sofort bei den Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Nach einer Einführung in die Zweige der Politikwissenschaft landen wir – und dieser Ansatz ist schon zum dritten Mal sehr erfolgreich – bei der Frage „Was ist eine gute Gesellschaft“ und „welche Rechte soll man/frau in der Gesellschaft haben“?. In einer intensiven Diskussion entwickeln wir einen Rechtekatalog. Und jedes Mal kommen das Recht auf Selbstbestimmung, auf freie Meinungsäußerung, und die Grundfreiheiten wie aus der Pistole geschossen. Auch wenn es sprachlich immer eine große Herausforderung ist. Und dann geht es um die Säkularisierung, die sei sehr wichtig, und das Recht auf Bildung und auch, dass alle gleichberechtigt werden. Männer und Frauen.
Die finanziellen Sicherheiten eines Sozialstaates als Forderung kommen den Schülern selten in den Sinn. Dafür aber die Selbstbestimmung. Die ist ihnen unglaublich wichtig. Und absolut unvorstellbar, dass es in Europa heute noch Monarchien gibt. Denn Europa ist doch demokratisch.
Und dann machen wir zusammen Wahl-O-Mat, obwohl sie natürlich wissen, dass sie nicht wählen würfen, und viele von ihnen nie dieses Privileg in unserem Lande erhalten werden. Aber wir kämpfen uns durch die Fragen durch, und entscheiden konsensual. Und wir, die heute Lehrer_innen sind, versuchen zu erklären, was unter den Fragen nach Traditionellen Familienbild in Schulbüchern gemeint ist (und entscheiden zusammen, nein, die Kinder sollen unterschiedlichen Familienkonzepte kennenlernen) und was es auf sich hat mit ökologischer Tierhaltung (und entscheiden, es sei wichtiger, dass Tiere nicht leiden, auch wenn man mehr zahlt für Fleisch und Milch). Und wir landen ziemlich Links. Nur die Kinder-und Jugendräte wollen sie nicht haben. Die Kinder sollen Kinder sein, und nicht für die Politik verantwortlich. Ich weiß nicht, welche Lebenserfahrungen meinem heutigen Schüler mitbringen, aber das mit den Jugendräten kann ich gut nachvollziehen.
Was lerne ich als Politikwissenschaftlerin daraus? Die Menschen, die Erfahrungen mit autoritären Systemen haben, haben unglaublich starke Sensibilität für die Bedeutung der Rechte und Bedürfnis, diese Rechte zu haben, sie ausleben zu dürfen. Dass diese Schüler, ihre Vorstellungen von einer guten Gesellschaft, ihre Konzepte des Zusammenlebens anders sind, als so viele in der Mehrheitsgesellschaft glauben. Und dass es eigentlich nicht überraschend ist, dass diese Jugendliche überzeugte Demokraten sind. Nach ihren Erfahrungen wäre es eher überraschend, wenn sie anders wären.
Außerdem lerne ich als Didaktikerin, dass wir als Ausbildner_innen viel davon profitieren würden, wenn wir die Erfahrungen der Geflüchteten Schüler_innen in unsere didaktischen Konzepte einbinden würden. Und dass die Politikdidaktik da zugleich zu der Deutschdidaktik wird, wie denn sonnst. Und dass es bei der SoWi-PoWi—Didaktik mit diesen Schülern nicht zu einer aufklärerischen Einbahnstraße werden darf, es soll hier vielmehr um das gegenseitige Lernen gehen. Ich habe lange nicht mehr so viel über Demokratie gelernt wie in diesen Stunden. Ich würde mir wünschen, dass auch Schüler*innen ohne solche dramatischen Lebenserfahrungen, die die Schüler_iinnen in Adams‘ Corner Projekt mehrheitlich mitbringen, sich von der Begeisterung für Rechte und Demokratie anstecken ließen.