Trägt die Pro-Contra-Debatte als methodisch-didaktischer Zugang, also das bewusste Anlegen von Kontroversität, dazu bei, dass Schülerinnen und Schüler sich besonders intensiv und fundiert mit einem Sachverhalt auseinandersetzen?

Autorin: Hajer Dahech

Betreuung: Gunnar Rettberg (Universität Bielefeld)

Theoretischer Rahmen

Bei der Auswertung der einschlägigen Literatur wird deutlich (vgl. Massing 1999: 403 ff.), dass eine Vielzahl von Definitionen verschiedener Autoren zum Thema Pro-Contra-Debatte vorliegt. Allerdings weisen alle Definitionen die Aspekte der argumentativen Meinungsgegenüberstellung und die Förderung der Urteilsbildung auf. Kuhn und Gloe definieren die Pro-Contra-Debatte wie folgt:

Die Pro-Contra-Debatte als Methode im Politikunterricht ist eine argumentative Auseinander¬setzung, die auf einer alternativ formulierten politischen Problem- oder Entscheidungsfrage basiert und die von zwei Anwälten (Pro und Contra), zwei bis vier Sachverständigen sowie einem Moderator in einer polaren Konfrontation ausgetragen wird und der Meinungs- und Urteilsbildung der Bürgerinnen und Bürger, Schülerinnen und Schüler, Zuschauerrinnen und Zuschauer dient (Kuhn & Gloe 2004: 145).

Durch das Zitat wird deutlich, dass eine Pro-Contra-Debatte die Form eines geregelten Ge¬sprächs darstellt. Sie ist im Gegensatz zum freien Unterrichtsgespräch an (Gesprächs-)Regeln gebunden, ist sowohl in ihrem Verlauf als auch in ihren Ergebnissen frei und lediglich zeitlich und thematisch an Vorgaben gebunden.

Der klassische Ablauf einer Pro-Contra-Debatte lässt sich in vier Abschnitte gliedern. 1. Die Themenfindungsphase: Bei der Themenwahl bietet sich an provokante Thesen bzw. Fragestellungen zu wählen und gleichwohl die persönliche Betroffenheit der Schüler zu nutzen, um sie für das Vorhaben zu motivieren (vgl. Ackermann & Althoetmar-Smarczyk 1994: 59/ vgl. Kuhn & Gloe 2004: 148). 2. Aufteilung und Recherche: Anschließend werden die Rollen innerhalb der Lerngruppe festgelegt. Danach begeben sich alle in ihre Kleingruppen, um möglichst argumentative und rollenspezifische Argumente zu sammeln (vgl. Klippert 2004: 204). 3. Durchführung: Haben die Schüler den Unterrichtsgegenstand verstanden, kommt es zur eigentlichen Durchführung. Ist das letzte Plädoyer gesprochen, wird ein Meinungsbild erstellt. Diese Befragung erfolgt unabhängig von der vorherigen Rollenzuteilung der Plenums-Mitglieder. Ist etwa ein Mitglied der Pro-Gruppe von den Argumenten und Positionen der Contra-Gruppe überzeugt, so zeigt sich dies bei der Abstimmung (vgl. Kuhn & Gloe 2004: 148). 4. Reflexion: In der letzten Phase findet die objektive Auswertung der gesamten Pro-Contra-Debatte statt, um mögliche Verbesserungsvorschläge zu diskutieren. Abschließend sollte noch einmal auf das Abstimmungsergebnis eingegangenen werden, um potenzielle Fragen wie z.B. „Warum kam es zu einer Stimmenumverteilung oder warum nicht?“ zu erörtern.

Methode

Im Forschungsprojekt wurde sich der Forschungsfrage unter Verwendung des Erhebungsinstruments „teilnehmende Beobachtung“, die der Methode des ethnografischen Forschens zugeordnet wird, genähert. Nach Breidenstein und anderen liegt der Anspruch des ethnografischen Forschens darin, sich unmittelbar in das Forschungsfeld zu begeben und sich mit der „einheimischen“ Sprache, der Eigenlogik und den sozialen Phänomenen der untersuchten gesellschaftlichen Gruppe vertraut zu machen. Diese sollten sich über einen längeren Zeitraum abgeschottet von der eigenen Kultur und dem bekannten sozialen Umfeld sein, damit der Ethnograf einen geschärften multiperspektivischen Blick im Prozess des „going native“ entwickelt, um die gesammelten Beobachtungen und Ergebnisse analytisch aufzuarbeiten. Die Ethnografie verfolgt somit die Grundidee, Menschen in ihren situativen oder institutionellen Kontexten beim Vollzug ihrer Praktiken zu beobachten […], [indem sie eine] analytische Beschreibung fremder (oder eigener) kultureller Praktiken [anfertigen], mit dem Ziel, diese so zu repräsentieren, dass die Leserschaft ein Bild von diesen Praktiken oder kulturellen Lebensformen gewinnen kann (Breidenstein u.a. 2013: 7).

Um das „Fremde“ zu erforschen bzw. kennenzulernen, befindet sich der Ethnograf innerhalb der zu beobachtenden Gruppe und nimmt somit am Gruppengeschehen teil. Besonders problematisch sind Felder wie z.B. die Schule, da ethnografische Arbeit als Überwachungs- oder Kontrollinstrument verstanden wird. Diese Befürchtung wurde mir am Anfang meiner Forschungsprozesse in Gesprächen mit Schülern und Lehrkräften deutlich. Damit meine Anwesenheit von der Gruppe bzw. dem Forschungsfeld als „natürlich“ empfunden wurde, musste gezielt Zugang zum Feld hergestellt werden. Dies verlangte mal mehr mal weniger das Teilnehmen an Interaktionen innerhalb des Forschungsfelds; dieses Zugang-Bekommen stellt sich als Anforderung, die den gesamten Forschungsprozess durchzieht.

Das Verfahren, das für die Datenerhebung des vorliegenden Forschungsprojektes ausgewählt wurde, bilden systematische Beobachtungen und Gesprächen im Feld, die in Form eines Forschungstagebuchs kontinuierlich festgehalten wurden. Das Forschungstagebuch ist im Vergleich zu anderen Methoden eine freie, alltägliche und vor allem vertraute Methode, die mit einem relativ geringen organisatorischen Aufwand verbunden ist (vgl. Altrichter & Posch 2006: 26). Das Forschungstagebuch kann als Form der schriftlichen Reflexion von Erfahrungen im Forschungsfeld verstanden werden. Im Forschungstagebuch werden alle Entwicklungsprozesse und vor allem Änderungen des Forschungshandelns zusammengefasst. In das Forschungstagebuch können auch Daten eingetragen werden, die mittels anderer Methoden (z.B. Interview, Ero-epische Gespräche etc.) erhoben wurden. Aus den Einträgen „ist die Entwicklung der Vorstellungen und Einsichten über die verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses hinweg dokumentiert [...] so können die Wege und Irrwege des Lernens erschlossen werden“ (Altrichter & Posch 2006: 27).

Ergebnisse und Ausblick

Wie ist – betrachtet man die dargestellten Ergebnisse – nun meine Forschungsfrage („Trägt die Pro – Contra – Debatte als methodisch-didaktischer Zugang, also das bewusste Anlegen von Kontroversität, dazu bei, dass Schülerinnen und Schüler sich besonders intensiv und fundiert mit einem Sachverhalt auseinandersetzen?“) zu beantworten? Kurz und plakativ konnte diese Frage im Rahmen des Studienprojektes mit „Ja“ beantwortet werden – zumindest im beobachteten Fall. Konkret bedeutet dieses „Ja“ bezüglich der beobachteten Unterrichtseinheit folgendes: Die gewählte didaktische Methode der Pro-Contra-Debatte führte bei einem Großteil der Schülerinnen und Schüler zu einem großen Lernerfolg. Sie haben sich intensiv im sachbezogenen Argumentieren geübt und alle Jugendlichen haben dabei Fortschritte gemacht; sie haben verstanden, dass Argumentieren in jedem Fall auch ein Informieren voraussetzt; sie haben handlungsorientiert Merkmale der (politischen) Rede kennengelernt; sie haben verstanden, dass eine überzeugende Rede auch von einer adäquaten Körpersprache lebt; sie haben die Debatte als politischen Auseinandersetzungsform kennengelernt.

In dieser Unterrichtseinheit war deutlich zu erkennen, wie die einzelnen didaktischen Prinzipien eine Kollision verursachen und sich somit vervollständigen, um Inhalte, Wissen und Kompetenzen der konstruierten Lerngegenstände nachhaltig zu verinnerlichen. Dies ist zurückzuführen auf die vier Schritte der Pro-Contra-Debatte. Dabei stand die eigentliche Debatte kontinuierlich im Fokus. Während der Erarbeitungsphase suchten die Schüler nicht nur Argumente für die eigene Position, sondern antizipierten ebenso Gegenargumente, um den Kontrahenten in seiner Argumentation zu schwächen. Dabei handelten die Schüler meist eigenständig und verteilten untereinander Rechercheaufgaben oder schauten sich politische Reden im Internet an und analysierten Rhetorik, Gestik und Mimik der Redner und versuchten dies dann auf ihre Reden zu übertragen. Im Arbeitsprozess stand deshalb nicht ausschließlich das Kontroversitätsprinzip, sondern auch das Aktualitätsprinzip, die Handlungsorientierung, Exemplarität und die Schülerorientierung im Fokus, wodurch die Prinzipienvielfalt mehrere Zugänge zum Lerngegenstand bietet. Sander stellt diesbezüglich fest, dass es Schnittfelder geben muss, da ein einzelnes Prinzip den Lerngegenstand nicht in seiner Breite beleuchten kann. Dies bedeute aber nicht, dass nun versucht werden müsse, alle didaktischen Prinzipien gleichermaßen in die Unterrichtsvorhaben einzubinden (vgl. Sander 2008: 191). So kommen bei den einzelnen didaktischen Prinzipien je nach Unterrichtsplanung und Lernvorhaben „unterschiedliche[...] Verbindungen und Gewichtungen zur Geltung [...]. Problematisch wäre eine Lernkultur in der politischen Bildung, in der eines oder mehrere dieser Prinzipien dauerhaft überhaupt nicht oder nur marginal wirksam werden würden (Sander 2008: 191).

Im Hinblick auf die Methode der Pro-Contra-Debatte ist nach meinen Beobachtungen genau diese Kollision der didaktischen Prinzipien geschehen und erklärt letztlich auch die fundierte und intensive Auseinandersetzung mit der Thematik durch die Schülerinnen und Schüler. Die Methode ermöglichte es ihnen, durch die Vielfalt der didaktischen Prinzipien (Problemorientierung, Handlungsorientierung, Exemplarität, Schülerorientierung) Zugänge zum Lerngegenstand zu bekommen.

Da eine Kontroversität(sfähigkeit) nicht in jeder Lerngruppe vorausgesetzt werden kann, muss diese erst einmal erprobt sowie erlernt werden. Deshalb müssen Schulen eine Diskussions- und Debattenkultur schaffen, um das Fundament des „mündigen Bürgers“ zu bilden. Das langfristige Ziel der politischen Bildung ist es daher, das Interesse der Schülerinnen und Schüler an Politik zu wecken, damit diese selbständig gesellschaftliche und politische „Probleme“ analysieren können und urteilsfähig werden.

Ein passendes Beispiel für eine gelungene Diskussions- und Debattenkultur ist die ritualisierte Versammlung des Forschungsfeldes. Die Versammlung wird bei den Schülerinnen und Schüler in Stufe null eingeführt und bis zu Klasse zehn fortgesetzt und zählt somit als wesentlicher Teil der demokratischen Alltagskultur der Schule. Schließlich ist sie zum einen der Ort, an dem Konflikte und Schwierigkeiten innerhalb der Lerngruppe gemeinsam besprochen und geklärt werden (Fallorientierung & Konfliktorientierung). Sie ist aber auch der Ort, an dem gemeinsam Unterrichtsinhalte und Schwerpunkte festgelegt werden, wo Arbeitsergebnisse präsentiert und Schülerinnen und Schüler informiert werden. Schließlich ist sie der Ort, an dem aktuelle politische Ereignisse (Aktualitätsprinzip) thematisiert werden. Die Schule ist somit gleichermaßen ein Ort erlebter Partizipation, da Schülerinnen und Schüler im Unterricht an der Auswahl von Inhalten beteiligt werden. Da die Politikverdrossenheit keinen jähen und statischen Zustand darstellt, sondern ein schleichender Prozess ist, der schon in jungen Jahren, also bereits während der Schulzeit, kann dieser durch die Einführung einer Diskussions- und Debattenkultur entgegengewirkt werden.

Literatur

Ackermann, Paul & Althoetmar-Smarczyk, Susanne (1994): Politikdidaktik kurzgefasst. Planungsfragen für den Politikunterricht. Bundeszentrale für Politische Bildung: Bonn.

Altrichter, Herben & Posch, Peter (2006): Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht. Unterrichtsentwicklung und Unterrichtsevaluation durch Aktionsforschung. Julius Klinkhardt: Bad Heilbrunn.

Breidenstein, Georg/ Kalthoff, Herbert/ Nieswand, Boris (2013): Ethnografie. Die Praxis der Feldforschung. UVK-Verlag [u.a.]: Konstanz & München.

Kuhn, Hans-Werner & Gloe, Markus (2004): Die Pro-Contra-Debatte. In: Frech, Siegfried/ Kuhn, Hanswerner/ Massing, Peter (Hrsg.): Methodentraining für den Politikunterricht, Bd.1. Bundeszentrale für politische Bildung: Schwalbach/Ts, S.145-162

Klippert, Heinz (2004): Kommunikations-Training. Übungsbausteine für den Unterricht. Beltz Verlag: Weinheim & Basel.

Massing, Peter (1999): Pro-Contra-Debatte. In: Mickel, Wolfgang W. (Hrsg.): Handbuch zur politischen Bildung: Bonn, S. 403-407.

Otten, Tina (2011): Teilnehmende Beobachtung: Der „ethnologische Blick“ auf den Unterricht. In: Zurstrassen, Bettina [u.a.]. Was passiert im Klassenraum? Wochenschau-Verlag: Schwalbach/Ts.

Sander, Wolfgang (2008): Politik entdecken – Freiheit leben. Didaktische Grundlagen politischer Bildung. Wochenschau-Verlag: Schwalbach/Ts.

Wehling, Hans-Georg (1977): Konsens à la Beutelsbach? In: Schiele, Siegfried & Schneider, Herbert (Hrsg.): Das Konsensproblem in der politischen Bildung. Ernst Klett:Stuttgart, S. 179-180.

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