1. Begriffsbestimmung/Zielsetzung/Relevanz
Die sozialwissenschaftlichen Bildung kennt verschiedene Methoden der politischen Simulation. Zu ihnen gehören unter anderen die Pro-Contra-Debatte, das Plan- und Konferenzspiel, die Talkshow, die Fishbowl-Diskussion, die Amerikanische Debatte sowie die (rollengebundene) Podiumsdiskussion. Während die Fishbowl-Diskussion und die Amerikanische Debatte ein klar geregeltes Setting aufweisen, sind für die übrigen Methoden hinsichtlich der Raumorganisation, der Rollen der TeilnehmerInnen und des Ablaufes viele Alternativen bekannt. Sie variieren je nach Thema, Lerngruppe und Schule.
Diese Vielfalt in der Umsetzung macht die Abgrenzung der Methode Podiumsdiskussion zu anderen Methoden der politischen Simulation nicht immer eindeutig. Allen Methoden der politischen Simulation gemein ist der Charakter eines fiktiven, inszenierten Streitgespräch handelt, welches eine kontroverse politische Entscheidung oder eine umstrittene Lösung zur Bewältigung eines (i.d.R. öffentlichen) Problems behandelt.
Nach Hufer wird in einer Podiumsdiskussion „ein aspektreiches, üblicherweise kontrovers debattiertes und im Ergebnis noch offenes Thema von Expert/inn/en und Protagonist/inn/en unterschiedlichen, möglicherweise gegensätzlichen Positionen und Standpunkte dargestellt. Das Ziel ist, mit einer lebendigen Abbildung eines örtlichen, regionalen oder gesamtgesellschaftlichen ‚Reizthemas‘ die unterschiedlichen Ansichten, Einsichten, Begründungen, Empfehlungen und - vielleicht auch konsensfähigen – Lösungsvorschläge kennenzulernen. Die Veranstaltung wird geleitet von einem neutralen Moderator bzw. einer Moderatorin.“ (Hufer 2007: 132) In der Variante der rollengebundenen Podiumsdiskussion übernehmen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Rollen, wie sie in der gesellschaftlichen bzw. politischen Auseinandersetzung zu finden sind. Dabei gestalten die Schülerinnen und Schüler (SuS) einen politischen Prozess bzw. eine Argumentationsstruktur, d.h. es geht in dieser Methode nicht nur um das Nachvollziehen der Position. Vielmehr schlüpfen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Rolle gesellschaftlicher und politischer Handlungsträger/innen und tragen somit gesellschaftliche Realität in das Klassenzimmer (Deichmann 2010: 166).
Deichmann konstatiert einen dreifachen Nutzen von rollengebundenen Diskussionen: Erstens üben SuS durch die Simulation von möglichen Situationen eine aktive Bürgerrolle ein. Idealerweise erfahren sie, wie und dass solche Situationen in einer gesellschaftlicher Auseinandersetzung gestaltet und gemeistert werden können. Darüber hinaus können sie sich in ihrer Argumentationsfähigkeit üben, Hemmungen abbauen und Strategien zur Verfolgung politischer wie gesellschaftlicher Ziele aneignen. Zweitens wird ihnen die Gelegenheit gegeben, in der Auswertungsphase des in der Diskussion vollzogenen Bewusstseinsbildungsprozesses die eigenen politischen Verhaltensweisen reflektieren. Diese Reflexion des eigenen Handelns trägt überdies zum sozialen Lernen bei. Da politische Prozesse kaum direkt zu beobachten sind, kann drittens die Analyse des in der Schule geschaffenen Modells der politischen wie gesellschaftlichen Auseinandersetzung im Vergleich zu dem real vonstattengehenden politischen Prozess zu essentiellen Einsichten über die verschiedenen Dimensionen politischer Realität führen. (Deichmann 2010: 168f.)
2. Ablauf der Methode
Der hier dargestellte Verlauf bezieht sich ausschließlich auf eine Variante der rollengebundenen Podiumsdiskussion, die in der schulischen Praxis oftmals zu beobachten ist. Es wird unterschieden zwischen der Vorbereitungsphase, der Durchführung und der Auswertung bzw. Reflexion. Letztere Phase kann wiederum in vielen Varianten durchgeführt werden.
Vorbereitung
Essentiell in der Vorbereitung ist die Wahl des Themas bzw. der Streitfrage. Es sollte klar und pointiert, verständlich sowie, wenn es sich um eine Streitfrage handelt, beantwortbar sein.
Die an der Podiumsdiskussion teilnehmenden Rollen sollten ausgewogen sein und die unterschiedlichen Positionen in der Auseinandersetzung repräsentieren. Auch hier gilt das Gebot der Multiperspektivität, auch wenn es in der Regel kaum möglich ist, alle Interessen und Positionen darzustellen. In der Praxis dominiert eine Zusammensetzung aus zwei Vertreter/innen einer Pro-Position, zwei der Kontra-Position sowie einem Moderator bzw. einer Moderatorin. Dabei kann es sich um fiktive Personen handeln, die eine an der Auseinandersetzung beteiligte Akteursgruppe (politischen Parteien, Nichtregierungsorganisationen, Privatpersonen) repräsentieren.
In der Vorarbeit werden die Argumente inhaltlich anhand von bereitgestelltem Material erarbeitet (Kommentare, Interviews, Positionspapiere u.v.a.). Hierfür bietet sich eine rollenhomogene Erarbeitung in Kleingruppen an. Die Gruppen füllen ihre jeweiligen Rollenkarten aus, auf denen sie ihre grundsätzliche Position zur Streitfrage, ihre besonderen Interessen sowie passende Argumente notieren. Sinnvoll ist es, die Rollenkarten im Plenum zu präsentieren, um zu gewährleisten, dass im Vorfeld der Podiumsdiskussion Transparenz über die jeweiligen gegnerischen Positionen herrscht. In der Praxis hat es sich als hilfreich erwiesen, die Argumente der eigenen Gruppe den jeweiligen Gegenargumenten der anderen Rollen zuzuordnen. Auch wenn die Gefahr besteht, dass die Gruppen nach einer solchen Phase schon maximale inhaltliche Klarheit über alle Argumente zur Streitfrage haben und praktisch schon ihr Urteil fällen können, ohne die Podiumsdiskussion durchgeführt und ausgewertet zu haben, ist dieses Verfahren wichtig. Auch in der außerschulischen Realität sind Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Podiumsdiskussionen in der Regel über Positionen und Argumente der anderen Diskutant/inn/en informiert. Die Vorbereitung vermeidet, dass SuS in eine Situation geraten, in der sie sich nicht gegen Argumente einer gegnerischen Partei wehren können. Wichtig ist es zudem, vor der Podiumsdiskussion Klarheit über Verlauf, Setting, Zeitvorgaben und Rolle der Moderation seitens der Lehrkraft herzustellen. Auch die Moderation sollte von einer Gruppe vorbereitet werden. Zusätzliches Material mit Satzbausteinen und weiteren Formulierungshilfen sind nützlich, um den ModeratorInnen Sicherheit zu geben.
Aus den jeweiligen Gruppen (pro und contra) können die an der Diskussion teilnehmenden SuS entweder selbst gewählt oder von der Lehrkraft bestimmt werden. Als Moderator/n sollten SuS ausgewählt werden, die dieser besonderen Aufgabe gewachsen sind. In der Arbeit mit Lerngruppen, die mit der Methode noch nicht vertraut sind, kann es sich auch anbieten, als Lehrkraft selbst die Moderation zu übernehmen.
Dritte Akteursgruppe neben den Diskutant/inn/en und Moderator/in ist das Publikum. Dieses kann verschiedene Aufgaben übernehmen. Eine Möglichkeit ist es, das Publikum während der Podiumsdiskussion Fragen stellen, Einwände erheben, unterstützen oder widersprechen zu lassen. Dieses Szenario gibt jedoch einzelnen SuS auch Gelegenheit, sich aus dem Geschehen zurückzuziehen und entweder nur rezeptiv teilzunehmen oder gar passiv zu sein. Eine Alternative, die die gesamte Lerngruppe sinnvoll einbezieht, ist die Einteilung in Beobachtungsgruppen. Dabei können die jeweiligen Kleingruppen der Vorbereitung entweder ihre/n eigene/n Vertreter/in oder eine/n Befürworter/in der Gegenposition beobachten. Letztere Option gewährleistet, dass sich die SuS nun mit einer Pro- bzw. einer Kontra-Position auseinandergesetzt haben. Mittels bereitgestellter Beobachtungsbögen notieren die Gruppen sowohl inhaltliche Aspekte (Argumente, Widersprüche, …), als auch methodische Aspekte (rhetorische Fähigkeiten, Sprachliches, …). Diese Aufzeichnungen sind essentiell für die Auswertung der Diskussion.
Durchführung
Der/die Moderator/in beginnt mit der Einführung ins Thema, erläutert die Relevanz oder Brisanz der Streitfrage, stellt die Diskutant/innen vor und erläutert das Format der Podiumsdiskussion. Idealerweise wird im Anschluss jeder Rolle Gelegenheit gegeben, zunächst die jeweilige Position in einem Eingangsstatement vorzutragen. Nach diesen Statements kann die Moderation die Diskussion durch gezielte Fragen anleiten, an geeigneten Stellen auch unterbrechen, neue Aspekte in die Diskussion bringen oder dem Publikum Gelegenheit geben, sich mit Fragen oder Argumenten einzubringen. Für die Auswertung ist es wichtig, dass nahezu alle in der Vorbereitung erarbeiteten Argumente, mindestens aber die jeweiligen unterschiedlichen Perspektiven zur Sprache kommen. Dies stellt eine besondere Aufgabe für die Moderation dar. Sollten entscheidende Argumente und Perspektiven fehlen, müssen diese im Sinne inhaltlicher Vollständigkeit in der Auswertungsphase nachgetragen werden.
Die Podiumsdiskussion endet mit jeweils einem (kurzen) Schlussstatement durch die Diskutant/innen und die Abmoderation durch den/die Moderator/in.
Auswertung
Bevor die SuS das Podium verlassen sollte den SuS eine Möglichkeit gegeben werden, die jeweiligen Rollen zu verlassen und sich zur Diskussion zu äußern. In dieser Phase der Rollendistanzierung können die Teilnehmer/innen bspw. individuelle Schwierigkeiten bzgl. der Rolle, Unklarheiten und Unstimmigkeiten oder inhaltliche Probleme benennen. Gerade wenn SuS ihre Rolle sehr ernst genommen haben, ihre Argumentation etwas scharf formuliert wurde oder ein/e TeilnehmerIn zu kurz kam, können in dieser Phase Schwierigkeiten geklärt werden. Dadurch wird verhindert, dass sich Spannungen in der Diskussion auch danach weitertragen.
Im Anschluss tauschen sich die SuS innerhalb ihrer Kleingruppe aus und vervollständigen ihre Aufzeichnungen. In der folgenden Plenumsphase werden die Gruppen aufgefordert die jeweiligen Argumente zur Streitfrage auf Kärtchen zu notieren und an der Tafel/Wand zu befestigen. Daraufhin können die Argumente vervollständigt, nach Aspekten geclustert und zugeordnet werden. Zur Visualisierung der individuellen Urteile der SuS zur Streitfrage kann auf die Methode der Entscheidungslinie zurückgegriffen werden. Je nachdem, mit welcher Methode oder auf Basis welcher Kriterien das politische Urteil reflektiert wird (Füchter 2015), erfolgt nun eine mündliche Auswertung bzw. Urteilsbildung oder eine Verschriftlichung (bspw. in Form eines Kommentars zur Diskussion, einer Email an einen der Diskutant/innen o.ä.).
3. Vor- und Nachteile: Hinweise für die Praxis
In der Praxis der sozialwissenschaftlichen Bildung an Schulen haben sich so genannte „Sollte-Fragen“ als Streitfragen durchgesetzt (bspw. „Sollte das dreigliedrige Schulsystem abgeschafft werden?“ oder „Sollte ein Kohlekraftwerk in Clausthal gebaut werden?“). Als Entscheidungsfragen formuliert offenbaren sie die Kontroverse und können mit sowohl „ja“ als auch „nein“ beantwortet werden. Die Formulierung von Kontroversen in „Sollte-Fragen“ muss jedoch auch kritisch gesehen werden, da sie in der Regel komplexe politische Begebenheiten auf ein „Ja“ oder „Nein“ verengt. Hierbei ist die Gefahr groß, dass alternative Lösungswege oder gar konsensfähige Optionen nicht zur Sprache kommen und somit die Simulation nicht den realen politischen Entscheidungsprozess abbildet bzw. ihn in entscheidenden Dimensionen reduziert.
Das Verhalten innerhalb einer zugewiesenen Rolle kann für SuS eine große Schwierigkeit darstellen. In jedem Fall ist bei der Konstruktion der Rollen vom Rückgriff auf real existierende Personen (bspw. Spitzenpolitiker/nnen) abzusehen, zumal SuS geneigt sein könnten, eher deren Verhaltensweisen und Duktus zu imitieren, als die Rolle inhaltlich zu füllen. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass sich SuS mit der Exposition vor der Lerngruppe überfordert fühlen könnten und entweder schweigen oder ihre Unsicherheit mit Schauspielerei überspielen. Gute Vorbereitung auf die Umsetzung der Rolle vor Publikum ist daher nötig. Auch hier sind Satzbausteine und Formulierungshilfen hilfreich.
4. Beispielthemen/-skizze für ein Umsetzungsbeispiel
Beispiele für die Umsetzung werden seitens der Schulbuchverlage in den entsprechenden Lehrwerken oder als Zusatzmaterial angeboten. Oftmals fehlen hier jedoch methodische Hinweise zur Durchführung bzw. ein klarer methodischer Ablauf. „Klassische“ Themen wie z.B. der Beitritt der Türkei zur EU oder die Frage der Einführung eines Mindestlohnes sind zuhauf zu finden, jedoch bzgl. des Materials oder der Streitfrage selbst nicht mehr aktuell.
Material selbst zu entwickeln ist jedoch nicht schwer. Kommentare und Positionspapiere zu Streitfragen finden sich leicht in Internet. Daraus könnten jeweils Dossiers erstellt werden, welche von den SuS selbständig bearbeitet werden.
Ein klassischer Reihenverlauf, welcher auf eine Podiumsdiskussion zusteuert, könnte folgendermaßen aussehen: Es bietet sich an, der Lerngruppe zu Beginn des Unterrichtsvorhabens mittels eines (evtl. selbst verfassten) Impulstextes die entsprechende Kontroverse zu präsentieren und die SuS nach Erarbeitung /Textverständnis, Identifikation der Streifrage, Argumente ein Spontanurteil/Vorausurteil fällen zu lassen, das nach der Podiumsdiskussion in der Urteilsbildung reflektiert werden kann. Nach dieser Einführung der Kontroverse können die SuS selbst benennen, welche fachwissenschaftlichen Lücken geschlossen werden müssen, um ein robustes politisches Urteil zu fällen. Nach der folgenden Erarbeitung der fachwissenschaftlichen Strukturen und Zusammenhänge können nun einzelne Positionen und Perspektiven zur Streitfrage bearbeitet werden. Die Rollen für die Podiumsdiskussion können wiederum von den SuS benannt und konstruiert werden. Dieses Vorgehen, vor allem der hohe Grad an Partizipation kann jedoch einige Lerngruppen auch überfordern. In solchen Fällen ist es der Lehrkraft überlassen, die relevanten Entscheidungen zu treffen bzw. Entscheidungsschritte zu übernehmen.
5. Literatur
- Deichmann, Carl (2010): Rollenspiel, In: Lange, Dirk (Hrsg.) (2010): Methoden politischer Bildung, Baltmannsweiler, 164-171.
- Füchter, Andreas (2015): Politische Urteilsbildung, In: Birke, Franziska & Andreas Lutter: Urteilen, Unterricht Wirtschaft + Politik, Velber, 1-10.
- Hufer, Klaus-Peter (2007): Podiumsdiskussion, In: Reinhardt, Sibylle & Dagmar Richter (Hrsg.) (2007): Fachmethodik: Politik-Methodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin, 132-134.
- Kuhn, Hans-Werner (2004): Talkshow, In: Frech, Siegfried/Kuhn, Hans-Werner & Peter Massing (Hg.) (2004): Methodentraining für den Politikunterricht, Schwalbach/Ts., 117-144.
- Manzel, Sabine (2010): Talkshow, In: Lange, Dirk (Hrsg.) (2010): Methoden politischer Bildung, Baltmannsweiler, 199-203.