Methode Glasgow eine Möglichkeit, Unterricht lebendiger zu gestalten - dargestellt am Thema "Welternährung"

Gudrun Schröder

Inhalt

1. Einführung

2. Der Ursprung der schottischen Methode

3. Eine starke Struktur für eine Geschichte

4. Fragen als Schlüssel zum Lernen

5. Soziale Lernformen im Mittelpunkt

6. Auch Lehrer spielen eine Rolle

7. Am Schluss ein Fest und die Realität

8. Fazit

9. Erfahrungen aus der Fortbildung zum Thema "Welternährung"

 

 

1. Einführung

Aus aktuellem Anlaß wird die Nachrichtensendung ergänzt durch eine live-Reportage aus Brasilien:
Don Pedro und San Fernando klopfen an die Hütte von Maria, die mit ihrer Tochter am Tisch sitzt und strickt. Wortgewaltig und -gewandt präsentiert Don Pedro - eifrig unterstützt durch San Fernando - Maria Papiere, die sie unterschreiben soll. Ihr schüchterner Einwand, sie könne doch gar nicht lesen und wolle lieber auf die Rückkehr ihres Mannes warten, der sich für einige Tage in der Stadt aufhält, werden durch fadenscheinige Beruhigungstaktiken und noch mehr Worte vom Tisch gewischt. Schließlich unterschreibt Don Pedro die Papiere selbst, im "Auftrag" Marias. Damit ist das Land der Familie in den Besitz eines Großunternehmers übergegangen, der Anbaufläche braucht, um Gemüse und Obst für Europa erzeugen zu können. Wie dankbar ist Maria, als sie erreichen kann, daß die Familie in der Hütte wohnen bleiben darf und daß sie und ihr Mann Arbeit beim Konzern finden!

Die Bewohner einer englischen Farm sind von dieser Sendung sehr betroffen. So direkt und menschlich anrührend haben sie die Zusammenhänge noch nie gesehen. Sie brauchen eine kleine Pause, bevor sie ihren Beitrag darstellen können.

Diese Sequenz war Teil einer Präsentation von Ergebnissen, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Fortbildungsveranstaltung zum Thema "Welternährung" erarbeitet hatten. 22 Menschen - Lehrerinnen und Lehrer aus der Sekundarstufe I und II, Fortbildnerinnen und Fortbildner und Referentinnen und Referenten- hatten sich zusammengefunden, um sich in 3-tägigem gemeinsamem Miteinander diesem komplexen Thema unter verschiedenen Aspekten zu widmen.

Ein Teil der Veranstaltung befaßte sich mit der "Methode Glasgow". Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten sich auf das Abenteuer eingelassen, diese Methode durch eigenes Tun kennenzulernen und an einem Thema exemplarisch zu erleben, wie Lernen im schulischen Bereich durch diese Art zu arbeiten verändert werden kann. Sie machten dadurch u.a. die im Fortbildungsbereich eher ungewöhnliche Erfahrung, daß Selbermachen, Mitmachen, Vor- und Nachmachen und vor allen Dingen viel Lebendigkeit und Spaß durchaus etwas mit erfolgreicher Fortbildung zu tun haben können.

2. Der Ursprung der schottischen Methode

Die "Methode Glasgow" wurde - wie der Name vermuten läßt - in Glasgow, Schottland, entwickelt. Ende der 60er Jahre erarbeitete ein Team am Jordanhill College dieses Lehr- und Lernverfahren, um Lehrerinnen und Lehrern eine Möglichkeit in die Hand zu geben, die Grundgedanken des Bereiches "environmental studies" methodisch sinnvoll umzusetzen. Das Team ging dabei davon aus, daß es für Lehrkräfte nicht ausreichend ist, über Curricula und Lehrpläne informiert zu sein, Ziele formulieren zu können und über Themen Bescheid zu wissen. Für genauso wichtig wurde gehalten, ein anregendes Lernklima schaffen zu können, das die Lernenden auf Dauer motiviert und Unterricht zu einer spannenden Erfahrung macht.
Das Verfahren wurde vor allem von Steve Bell in Deutschland bekannt gemacht, und

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zwar fast ausschließlich durch Veranstaltungen, in denen es praktisch erprobt und anschließend reflektiert wurde. Inzwischen gibt es einige deutschsprachige Veröffentlichungen darüber. (1) Die Methode wird seitdem überwiegend und mit großem Erfolg im Grundschulbereich eingesetzt, ist aber auch schon im Sekundarbereich I und II praktisch erprobt worden.

3. Eine starke Struktur für eine Geschichte

Wichtigstes Merkmal der "Methode Glasgow" ist der Handlungsfaden, die storyline. Dieser Faden zieht sich durch ein Projektthema (ein topic) hindurch wie der Handlungsablauf einer Geschichte oder eines Romans. Abhängig vom Thema und von der Haupthandlungsidee, dem "plot", gibt die Lehrkraft Ort und Zeit der Handlung vor und setzt somit den Rahmen fest. Innerhalb dieses Rahmens schaffen und gestalten die Schülerinnen und Schüler Identifikationsmöglichkeiten, meistens Menschen, die in Form von Figuren dargestellt werden. Sie schlüpfen in Rollen und agieren in einer fiktiven Wirklichkeit, die sich an der von der Lehrkraft geplanten storyline entlang entwickelt. Diese Rollenidentifikation schafft eine starke emotionale Beteiligung der Schülerinnen und Schüler am Lernprozeß. Gleichzeitig bewirkt sie aber auch Distanz. Die Schülerinnen und Schüler haben es selbst in der Hand, wieweit sie sich auf das Geschehen einlassen wollen oder können. So ist die Gefahr, daß sich Lernblockaden aufbauen, weniger groß.

Der Ablauf der storyline mit ihren einzelnen Sequenzen richtet sich nach den Lernzielen, die im Laufe der Arbeit am Thema angesteuert oder erreicht werden sollen. In der Planung, die einem bestimmten Schema folgt (2) , wird der Handlungsfaden so gesponnen, daß sich der nächste Schritt folgerichtig aus dem vorhergehenden ergibt. Da die Schülerinnen und Schüler die sich eröffnenden Handlungsspielräume innerhalb der Sequenzen mit eigenen Gedanken und Ideen, mit eigener Arbeit füllen, indem sie eine fiktive Realität schaffen, entwickeln sie das Gefühl, selbst Träger dieser Handlung zu sein. Dadurch sind sie hoch motiviert und fühlen sich mitverantwortlich für den Fortgang der storyline.

Trotz der Zielgerichtetheit der Planung liegt das Hauptaugenmerk nicht auf den Lernergebnissen, sondern auf den Lernprozessen, die durch die Planung ausgelöst werden sollen. Das Wissen und die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler werden in den Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens gestellt. Darauf aufbauend werden Lernprozesse initiiert, die dazu führen, daß das Wissen und die Erfahrungen modifiziert und erweitert werden.

Eine Planung nach dem Schema der "Methode Glasgow" macht es einfach, Lehrplaninhalte zu einem sinnvollen Ganzen zu verbinden. Die Zerstückelung von Themenzusammenhängen in einzelne Fachbereiche wird aufgehoben; die fachgebundenen Inhalte und fachspezifischen Arbeitsweisen können genutzt und gezielt eingesetzt werden, um unterschiedliche Aspekte von Themen sichtbar zu machen oder im Zusammenhang damit auftretende Probleme zu bearbeiten. Die Neueinführung von fachlichen Themen oder fachspezifische Übungsphasen erscheinen den Schülerinnen und Schülern sinnvoll, wenn sich die Notwendigkeit dafür aus der Arbeit an der storyline ergibt.

4. Fragen als Schlüssel zum Lernen

Die einzelnen Sequenzen der storyline werden eingeleitet durch Schlüsselfragen. Diese Fragen eröffnen Handlungsspielräume, die die Lernenden auf vielfältige Weise füllen können. Auf der Grundlage des Wissens und der Erfahrungen, die die Mitglieder der jeweiligen Lerngruppe mitbringen, tasten sie sich an

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Antworten auf die Fragen heran. Dabei spielen "richtig" oder "falsch" zunächst keine Rolle. Wichtig ist, daß alle einen Beitrag zur Beantwortung der gestellten Frage oder zur Lösung des anstehenden Problems leisten. Das verleiht den Schlüsselfragen eine pädagogisch bedeutsame Funktion: Sie bewirken, "daß ein solches Ernstnehmen der Schülerinitiativen einmündet in ein starkes Gefühl der Urheberschaft auf Seiten der Kinder. (3)" Sie schaffen sich ihre eigene Wirklichkeit, in der sie zunächst ihren Fähigkeiten gemäß agieren können, dürfen und müssen. Sie werden nicht darauf reduziert, die Realität zu reproduzieren oder Antworten auf Fragen zu geben, die längst bekannt sind.

Mit Hilfe der Schlüsselfragen wird zunächst das tägliche Leben inszeniert, in dem die Menschen, die die Schülerinnen und Schüler gestaltet haben, agieren. Das trägt zur Rollenidentifikation bei. Wenn so der Gesamtrahmen geschaffen und mit Leben gefüllt wurde, treten über die Schlüsselfragen Ereignisse auf, werden die Menschen vor Probleme gestellt, mit denen sie fertig werden müssen. In ihren Rollen stellen die Schülerinnen und Schüler Hypothesen auf, die sie in der fiktiven Realität erproben und auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen. Wo das Wissen auf Grenzen stößt, wo Hypothesen sich als ungeeignet oder falsch erweisen, entstehen echte Lernfragen. Die Schülerinnen und Schüler sind hoch motiviert, Antworten zu finden oder Defizite auszugleichen, weil es sich aus dem Kontext heraus als sinnvoll und wichtig erwiesen hat.

5. Soziale Lernformen im Mittelpunkte

Die Bearbeitung der Schlüsselfragen erfolgt meistens in kleinen Gruppen. Dadurch sind die Schülerinnen und Schüler häufig in der Situation, sich mit ihren Fähigkeiten und mit ihrem Wissen in einen überschaubaren sozialen Verband einbringen zu dürfen oder zu müssen. Die Notwendigkeit, zu einem Gruppenergebnis zu kommen, erfordert und fördert die Fähigkeit, sich aufeinander einzustellen, sich abzustimmen, sich auf sachlicher Ebene auseinanderzusetzen, Kompromisse zu suchen und zu finden. Dadurch wird die Isolierung, in der die Schülerinnen und Schüler sonst üblicherweise in der Schule lernen müssen, aufgehoben. Individualismus und Einzelgängertum treten zurück zugunsten von Zusammenarbeit und Teamfähigkeit.

Der Prozeß, der sich in der Gruppe bei der Erarbeitung abspielt und letztendlich zur Darstellung der Arbeitsergebnisse führt, ist meistens geprägt von einem hohen Maß an Kreativität, Lebendigkeit und Freude am gemeinsamen Tun, alles Fähigkeiten und Eigenschaften, die im schulischen Bereich sonst nur sehr selten ihren Platz haben. Denkprozesse, Lösungsansätze, Ideen und Phantasien nehmen Gestalt an in Form von Tabellen, Tagebüchern, Reportagen, Filmsequenzen, Rollenspielen, Modellen, Collagen, bildlichen Darstellungen, Interviews, Gedichten, Musikstücken, ... . Der Vielfältigkeit sind kaum Grenzen gesetzt. Immer wieder ergeben sich dadurch Möglichkeiten, auch moderne Medien wie Computer oder Videogeräte in den Unterricht einzubeziehen.

In diesen Phasen ergeben sich Möglichkeiten der Binnendifferenzierung aus der Sache heraus. Jede Schülerin, jeder Schüler ist aufgefordert, den eigenen Fähigkeiten gemäß zum Gruppenergebnis beizutragen. Das kann auch bedeuten, daß diejenigen, die besondere Qualifikationen mitbringen, auf ihrem Niveau durch besondere Aufträge gefordert werden.

Alle Ergebnisse, die bei der Bearbeitung der Schlüsselfragen entstanden sind, werden in einer Präsentation der Gesamtgruppe vorgestellt. Die Präsentation ist das Forum sowohl für wertschätzende Anerkennung als auch für kritische Überprüfung der Gruppenergebnisse. Hier werden Einzelergebnisse allen zugänglich gemacht. Erfahrungen werden ausgetauscht, Informationen weitergegeben, Lösungen diskutiert und kritisch bewertet. Da es sich bei den Ergebnissen in der Regel um

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Gruppenergebnisse handelt, müssen sie auch von der Gruppe vertreten und gerechtfertigt werden. Die Gefahr, daß einzelne vor der Gesamtgruppe bloßgestellt werden, ist dadurch nicht gegeben. Statt dessen treten vielmehr Zusammengehörigkeitsgefühl und Stolz auf das gemeinsame Ergebnis auf.

6. Auch Lehrer spielen eine Rolle

Steve Bell berichtete in einem Vortrag: "Meine Lehrerin früher sah mich als leeren Kartoffelsack, der darauf wartet, mit den Kartoffeln des Wissens gefüllt zu werden. Unglücklicherweise hatte mein Sack viele Löcher, und es verschwanden Kartoffeln mit alarmierender Regelmäßigkeit. ... Um herauszufinden, wieviele Kartoffeln zurückgeblieben waren, gab es wöchentlich einen Test. Diese Lehrerin hielt nicht Ausschau nach phantasievollen oder originellen Kartoffeln. Im Grunde genommen wollte sie die Kartoffeln wieder zurückbekommen, die sie mir vorher gegeben hatte. Pommes oder Kartoffelbrei waren allerdings nicht vorgesehen oder willkommen. (4)" Diese Lehrerin sah sich also allein verantwortlich für den Lernprozeß des ihr anvertrauten "leeren Kartoffelsackes".

Dieses Bild hat sich heute (hoffentlich) grundlegend geändert: Schülerinnen und Schüler sind weit davon entfernt, an leere Säcke zu erinnern. Ihre Möglichkeiten sich zu informieren waren nie so vielfältig und umfangreich wie heute, und sie werden ausgiebig genutzt. Wir können -und sollten dies sinnvollerweise auch tun- also davon ausgehen, daß die Lerngruppen, mit denen wir in der Schule arbeiten, über ein anderes und zum Teil umfangreicheres Wissen verfügen als wir selbst. Unsere Chance liegt darin, dieses Wissen für den Unterricht nutzbar zu machen. "Die Grundannahme ist: Wenn möglichst oft durch aktive Mitbeteiligung der Schülerinnen und Schüler Situationen arrangiert und zugelassen werden, in denen das "Mehr- und Besserwissen" zur "Tugend" wird, dann stellt sich Ermutigung ein, die ausstrahlt auf das gesamte Lehr- und Lerngeschehen. (5)" Es ist bereits deutlich geworden, daß Lehrkräften mit der "Methode Glasgow" ein wirksames Instrument in die Hand gegeben wird, mit dem Räume eröffnet werden können, in denen sich diese Tugend entwickeln kann.

Die wichtigste Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer besteht darin, eine zu den geplanten Themen passende storyline zu entwickeln. Diese Planung sollte sehr sorgfältig und ausführlich sein, wenn sie auch im Schema letztendlich eher kurz und knapp wirkt. Sie verlangt Phantasie und die Fähigkeit, auch über Fächergrenzen hinweg zu denken und zu planen. Hierin liegt aber auch eine große Chance: Die Zusammenarbeit von Fachkollegen ergibt sich aus der Sache heraus und wird somit sehr erleichtert.

Die "Methode Glasgow" ist eine aktive Methode, nicht nur für die Schülerinnen und Schüler, sondern auch für die Lehrkräfte. Sie werden zu Begleitern von Lernprozessen, die die Lerngruppe weitgehend selbst steuern. Ihre Rolle besteht darin zu beobachten, zu unterstützen, zu beraten, Denkprozesse nachzuvollziehen, Lösungsansätze kritisch zu hinterfragen, Lernfragen zu initiieren, über Schwierigkeiten hinweg zu helfen, Materialien zu organisieren, ... .

Lehrkräfte werden also zu Partnern im schulischen Lerngeschehen. Wieweit dies gelingt, hängt sehr davon ab, ob und in welchem Umfang die Lehrerinnen und Lehrer bereit und in der Lage sind, einen Teil der Verantwortung in die Hände der Schülerinnen und Schüler zu legen. Und dies wiederum hängt damit zusammen, ob sie darauf vertrauen können, daß Kinder und Jugendliche in der Schule selbstgesteuert lernen können und wollen. Praktische Erfahrungen mit der Methode sprechen dafür, daß es sich lohnt, sich auf diesen Weg zu begeben!

 

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7. Am Schluss ein Fest und die Realität

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine storyline zu einem Ende zu bringen. Häufig wird als Abschluß der gemeinsamen Arbeit ein Fest gefeiert. Die im Laufe der Arbeit am topic neu gewonnenen Erkenntnisse und Fähigkeiten werden dafür genutzt, dieses Fest gemeinsam zu planen. Meistens werden Eltern oder auch andere Schulklassen dazu eingeladen. Dadurch erfährt die geleistete Arbeit noch einmal eine hohe Wertschätzung. Es ist zudem eine gute Möglichkeit, Eltern ins schulische Geschehen einzubeziehen.
Weit wichtiger ist aber die Realbegegnung, mit der die meisten topics abschließen. Nach der intensiven Arbeit an und in der fiktiven Realität wird jetzt überprüft, wie nahe diese der Wirklichkeit gekommen ist. In den meisten Fällen gibt es eine große Übereinstimmung und damit viel Zufriedenheit mit den eigenen Ergebnissen. Dort, wo Differenzen sichtbar werden, entwickelt sich eine hohe Bereitschaft, die eigenen Hypothesen und Erkenntnisse zu überprüfen und zu modifizieren.

Die Schülerinnen und Schüler gehen in eine solche Realbegegnung als Experten, denn sie haben das, was sie in der Realität sehen, schon auf ihre Art durchdacht und daran gearbeitet. Dadurch ist ihr Blick für das, was sie zu sehen bekommen, ein sehr tief gehender und auf die Sache zentrierter. Fragen, die sie in ihrer eigenen Arbeit nicht klären konnten, werden hier vor Ort durch Experten beantwortet.

Experten spielen ohnehin eine wichtige Rolle im Rahmen der "Methode Glasgow". Immer dann, wenn das eigene Wissen nicht ausreicht und der Bedarf nach Klärung von Sachverhalten aus der Arbeit erwachsen ist, können sie herangezogen werden. Sie können ihr Wissen an ihrem Arbeitsplatz oder auch im Klassenraum vermitteln. Diese Expertenbefragung muß sich nicht unbedingt auf den Schluß einer storyline beschränken. Sie ist auch im Laufe der Arbeit am topic denkbar.

8. Fazit

In der "Methode Glasgow" vereinen sich viele wichtige pädagogische Ideen und Forderungen, die in der Diskussion um Veränderung von Schule und Unterricht eine große Rolle spielen. "Es ist durchaus möglich, die storyline hauptsächlich als eine erfolgreiche Strategie zur Erreichung eines integrierten Curriculums anzusehen, aber dies hieße, die Fülle unabhängiger Prinzipien des Lernens und Unterrichtens zu ignorieren, die innerhalb ihrer Struktur angesiedelt werden können. Das praktische Verfahren der storyline-Entwicklung bringt sowohl die Lehrerinnen und Lehrer, als auch für die Lernenden in eine Situation, in der sie leicht:
- bedeutungsvolle, gemeinsam erarbeitete Kontexte bzw. Handlungsfelder schaffen können;
- Beziehungen herstellen, die auf gemeinsamem Vertrauen und Respekt basieren und so einen kommunikativen Unterrichtsstil fördern;
- kontingentes Unterrichten auf den früheren Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler aufbauen können;
- herausfordernde / anspruchsvolle Situationen in einem angemessenen Umfang auf intellektuelle Weise meistern;
- Zugang zu verschiedenen Lernprinzipien, wie Beobachtung, Zuhören, logisches und empirisches Denken - auf das eigene Wissen bezogen - erhalten können. (6))"

Die Konsequenz, mit der die Lernenden in den Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens gerückt werden, macht die Faszination dieser Methode aus. An den Bedürfnissen und Lernwegen der Kinder und Jugendlichen richtet sich alles aus. Die Ganzheitlichkeit ihres Lernens spiegelt sich wider in der fächerübergreifenden Planung. Ihrem Bedürfnis, miteinander und voneinander zu lernen, wird durch die sozialen Arbeitsformen Rechnung getragen. Ihre Neugierde, ihre Phantasie und

 

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Kreativität, ihre Freude am Entdecken und Handeln finden Raum, so daß Sicherheit und Selbstvertrauen wachsen können. Und schließlich bestärkt das Vertrauen darauf, daß die Lernenden ihre Lernwege am besten selbst organisieren können, diese darin, genau das zu tun und damit das Lernen zu lernen.

In vielen praktischen Erfahrungen in der Schule und in der Fortbildung hat sich gezeigt, daß die Methode hält, was sie verspricht. Wenn sie in die Praxis umgesetzt wird und Unterricht sich damit verändert, beinhaltet das aber auch, daß Schulstrukturen und Unterrichtsorganisation sich mit verändern müssen. Lernen nach der "Methode Glasgow" ist im 45-Minuten-Takt schwer vorstellbar! Es lohnt sich aber, gemeinsam und schrittweise nach Möglichkeiten der Veränderung zu suchen. Ein Gymnasialkollege schrieb nach seinen ersten Versuchen: "Meiner Erfahrung nach lohnt es sich, denn im ganzen entsteht ein lebhafter, produktiver Unterricht, der allen Beteiligten Spaß macht und schon deshalb den Versuch wert ist."

9. Erfahrungen aus der Fortbildung zum Thema "Welternährung"

Schon der Beginn der Arbeit nach der "Methode Glasgow" war gekennzeichnet durch Lebendigkeit; der Seminarraum mußte umstrukturiert werden: Die Tische wurden zu Gruppen umgestellt, ein Halbkreis aus Stühlen für die Präsentationen geschaffen, an einer Seite türmten sich auf Tischen die benötigten Materialien.

Ohne allzu lange Vorrede ging es an die Arbeit. Nachdem die Gruppen sich gefunden hatten (7), entstanden Modelle der Landschaften in Brasilien und England und der beiden unterschiedlichen Wohnsituationen in Bremen. Es war eine Freude zu sehen, wie schon sehr bald der Kreativität freien Lauf gelassen wurde, wie fast lustvoll von der Materialvielfalt und den Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht wurde. Dies zog sich wie ein roter Faden durch die gesamte Arbeit.

Beim Schaffen der Figuren, die diese Modelle bevölkern sollten, mußten sich die "Brasilianer" trennen: 2 Teilnehmerinnen bekamen die Aufgabe, Repräsentanten eines Großkonzerns zu erschaffen, die anderen 3 sollten als Kleinbauern auf dem Land leben und arbeiten. Diese Trennung war nicht ganz einfach; nicht nur, weil die Rollen der Repräsentanten des Großkonzerns nicht sehr beliebt waren, sondern auch, weil allein durch das gemeinsame Herstellen des Landschaftsmodells schon im Ansatz eine Gruppenzusammengehörigkeit entstanden war. Dieser Eingriff war aber für den Fortgang der storyline unvermeidlich. Ohne ihn hätte nicht transparent gemacht werden können, was sich in Brasilien (wie auch in anderen Ländern) auf dieser Ebene abspielt.

Mit dem Fortschreiten der Arbeit an der storyline wuchs die Identifikation der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit ihren Rollen. Sie ging zum Teil so weit, daß sie sich in den Pausen mit den Rollennamen anredeten. Das neu Hinzukommen oder vorzeitige Ausscheiden von Teilnehmerinnen und Teilnehmern war übrigens kein Problem. Die Dazugekommenen wurden ohne große Umstände in den Gruppierungen aufgenommen und fanden dort schnell eine Rolle. Das "Verschwinden" derjenigen, die gehen mußten, bekam eine Erklärung, die sich aus der Handlung ergab: Marias Mann war für einige Tage in der Stadt!

Die Präsentationen sorgten dafür, daß alle Gruppen über den Fortgang der Arbeit in den anderen Gruppen informiert waren. Die Arbeitsergebnisse wurden so an der Wand aufgehängt oder ausgestellt, daß sie jederzeit sichtbar und für alle zugänglich waren. Besonders beeindruckend waren die Rollenspiele, die aufgeführt wurden. Das Beispiel am Anfang mag als Eindruck genügen.

 

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Welternährung - Die Storyline (8)

Sequenz
Schlüsselfrage
Aktivitäten
Material

1. Brainstorming

Welche Personengruppen spielen im Gefüge "Welternährung" eine Rolle?

Gespräch im Plenum; Sammeln der Personengruppen auf einem Plakat; hier: Beschränkung auf 3 Bereiche:

  • - Verbraucher vor Ort (2 Gruppen)
  • - Erzeuger vor Ort
  • - Erzeuger in Brasilien
Plakat, Stifte
2. Die Umgebung In welcher Umgebung lebt ihr?

Zuordnung zu einer der 4 Gruppen, Entscheidung für eine Umgebung:

  1. Großstadt : Arbeiterviertel oder wohlsituierte Wohngegend
  2. ländliche Umgebung in England
  3. ländliche Umgebung in Brasilien

Gestalten der Landschaft oder Wohngegend als Collage oder Modell

Verbrauchsmaterial wie Kartons, Rollen, Plastik; Tonpapier, Seidenpapier, Scheren, Klebe

    PRÄSENTATION  
3. Die Personen

Welche Rolle möchtest du übernehmen?

Wie sieht deine Person aus?

Übernehmen einer bestimmten Rolle innerhalb der gestalteten Bereiche (Arbeiter, gutsituierter Bürger, Farmer, Kleinbauer, Großgrundbesitzer, ...)

Herstellen und Ausgestaltung der Figuren

Pappe, Stoffe, Wolle, Scheren, Klebe, Stifte
    PRÄSENTATION (als Hinführung zur Biographie)  
  Was kannst du über deine Person erzählen? Erarbeitung von Biographie und Charakteristik Papier, Stifte
    PRÄSENTATION  
4. Die Lebenssituation In welcher Situation lebst du?

Erarbeitung von Kriterien zur Beschreibung der Lebensbedingungen:

  • - Wohnsituation
  • - finanzielle Situation
  • - soziale Strukturen
  • - Absicherung

Darstellung in Form von Interviews, Tagesablauf, Rollenspiel, Zeitungsbericht, Schaubild, Bildreihe; Grundriß, Modell, Ansicht, ...

Kassettenrecorder, Zeitung, Schreibmaschine, Computer; Materialien wie in 2.
    PRÄSENTATION  
  Welche Rolle spielt ihr im Gefüge "Welternährung"?
  • Verbraucher erstellen einen detaillierten Speiseplan für eine Woche: Wo kauft ihr ein? Woher kommen eure Lebensmittel? Sichtbar machen auf einer Weltkarte
  • Erzeuger vor Ort überlegen, was sie erzeugen (z.B. Rinder), woher sie bekommen, was sie dafür brauchen (z.B. Futtermittel), und wie und wohin sie ihre Produkte vermarkten
  • Kleinbauern in Brasilien überlegen, was sie anbauen, für wen sie anbauen, wie sie ihre Waren weitergeben, wovon sie leben
  • Großunternehmer in Brasilien überlegen, was sie anbauen, wie die Produkte vermarktet werden, wen sie beschäftigen

Sichtbarmachen der Ergebnisse in Form von Collagen, Rollenspielen, ...

Papier, Fotos, Werbeanzeigen, Scheren, Klebe, Weltkarten
    PRÄSENTATION (9)  
5: Die Rinderseuche Welche Konsequenzen hat BSE für euch?

Zeitungsartikel über BSE-Befall als Auslöser

Aufzeigen der direkten Konsequenzen in jeder Personengruppe

Möglichkeiten: Interviews, zeichnerische Darstellung, Rollenspiele, Speisepläne, Gründung einer Initiative, veränderte AnbaulistenAn dieser Stelle könnte auch behandelt werden:

Verbraucherschutz, gesetzliche Bestimmungen auf Bundes- und EU-Ebene, Gegenüberstellung EU - Weltmarkt, Information zur Erzeugung von Lebensmitteln und ihrer Alternativen, ausgewogene Ernährung, Gefährdung durch Lebensmittel

Zeitungsartikel, Informationsmaterialien aus unterschiedlichen Quellen, Gesetzestexte, ...
    PRÄSENTATION  
  Welche Alternativen gibt es für Euch?

Herausarbeiten langfristiger Alternativen innerhalb jeder Gruppe Möglichkeiten: Urkunde über Gründung einer Erzeugergemeinschaft in Brasilien, alternativer Landbau in England, Übernahme von Patenschaften, bewußter Konsum, z.B. durch Kooperation mit ökologischem Landbau, Umstellung der Eßgewohnheiten, .....

Darstellung in Form von Rollenspielen, Berichten, Interviews, Collagen, Plänen, ...

Papier, Stifte, Recorder, ...
    PRÄSENTATION  
6: Aktiv werden Was können wir vor Ort jetzt tun?
  1. Informationen über Möglichkeiten der Übernahme von Patenschaften; Patenschaften übernehmen
  2. Besuch eines Bio-Bauernhofes, Informationen über Naturkostläden, Abo-Kiste; Zusammenstellen und Kochen eines Menüs unter Berücksichtigung der Transportwege und Beachtung der jahreszeitlichen Angebote
 

 

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Je länger die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich mit der Thematik beschäftigten, je tiefer sie in die Problematik eindrangen, desto größer wurde auch der Wunsch oder die Notwendigkeit, sich über das vorhandene Wissen hinaus zu informieren, obwohl in einer für die Methode untypischen Situation gearbeitet wurde: Der Arbeit an der storyline vorausgegangen war eine Phase, in der die Gruppe in Form von Referaten und Gruppenarbeit gebündelt Informationen zum Thema "Welternährung" präsentiert bekommen hatte. Man hätte diese beiden Teile der Tagung aber auch miteinander verknüpfen und den Informationsinput immer genau dann geben können, wenn sich die Notwendigkeit dafür aus der Situation heraus ergeben hätte. Besonders während oder am Schluß der 5. Sequenz hätte es dafür Bedarf gegeben.

Die knapp eintägige Arbeit am Projekt hat gezeigt, daß die "Methode Glasgow" auch
und gerade einer so komplexen Thematik wie "Welternährung" gerecht werden kann. Durch das lebendige Agieren der verschiedenen Personengruppen im dichten Gefüge wurde dieses transparenter. Die emotionale Beteiligung über die Rollenidentifikation trug dazu bei, daß sich menschliche Betroffenheit entwickeln konnte, die nicht von moralischen Ansprüchen oder Erwartungen überlagert wurde. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten die Freiheit, selbst zu entscheiden, wieweit sie sich auf die Thematik einlassen und welchen Zugang dazu sie wählen wollten.

Am Schluß waren sich alle, Teilnehmerinnen und Teilnehmer und auch die beiden Leiterinnen, darin einig, daß die praktische Arbeit mit der Methode nicht nur erfolgreich war, sondern darüber hinaus die Fortbildungsarbeit sehr lebendig gemacht hatte. Und was für Fortbildungen gilt, kann auch Gültigkeit für die Schule haben.

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Gudrun Schröder: Lehrerin an der Gorch-Fock-Schule, Kiel, IPTS-Lernwerkstatt Kiel

1 Besonders hinweisen möchte ich auf Heft 80/1994, Die Grundschulzeitschrift, Friedrich Verlag, Velber.

2 s. S. 7.

3 Erik Vos: Der Schlüssel ist die Frage, Die Grundschulzeitschrift 80/1994, S. 27.

4 zit. nach Jos Letschert, Kinder lieben Geschichten, in: Die Grundschulzeitschrift 80/1994, S. 19.

5 E. Kohls, Ein Topic - was ist das?, in: Grundschule 7-8/1995, S. 45.

6 Barbara Frame, Wie kommt Lippo ins Handlungsfeld?, in: Die Grundschulzeitschrift 80/1994, S. 26.

7 Es herrschte großer Andrang in der Gruppe, die das Arbeitermilieu darstellen sollte, während kaum jemand zu bewegen war, sich für die "wohlsituierte" Situation zu entscheiden. Womit das wohl zusammenhing?

8 Die storyline wurde erarbeitet von Heike Klupp und Gudrun Schröder, beide IPTS-Lernwerkstatt Kiel

9 Aus dieser Präsentation stammt die am Anfang beschriebene Sequenz.

 

Das Original ist unter dem gleichen Titel erschienen in: Informationen zu Arbeit, Wirtschaft, Technik (AWT-Info), 15. Jg. (1996), H. 2, S. 20-27
(c) 1996 Gudrun Schröder
Um den Text zitierfähig zu machen, sind die Seitenwechsel des Originals in eckigen Klammern angegeben, z. B. [/S. 53:].
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