Kommentar zum Portal „Neutrale Schulen“ der AfD in Hamburg

Die Fraktion der AfD in der Hamburger Bürgerschaft hat ein Portal eingerichtet, das zum anonymen Handeln gegen Lehrer und Lehrerinnen aufruft. Hier werden Bürger und Bürgerinnen nicht korrekt über rechtsstaatliche Wege informiert und hier wird eine Tendenz zum Denunzieren gefördert. Im Einzelnen: https://afd-fraktion-hamburg.de/tipps-zum-vorgehen-bei-verstoessen/

Das Internetportal: Hier finden sich vier Kapitel, von denen ich die drei ersten erwähne und erläutere:

  1. Unter „Aktion“ werden Sorgen geschildert. „Kein Schüler in Hamburg soll Angst haben, im Unterricht seine Meinung zu sagen.“ „Demokratie braucht gegensätzliche Meinungen und eine Streitkultur.“ Dem ist zuzustimmen.
  2. Unter „Rechtsvorschriften“ finden sich wissenswerte Informationen. Neutralitätsgebot, Beutelsbacher Konsens und Verfahren bei befürchteten Verstößen werden geschildert.
  3. In „Tipps zum Vorgehen bei Verstößen“ wird empfohlen, das Gespräch mit dem Fachlehrer oder auch der Schulleitung zu suchen. „In der Regel lässt sich mit einem persönlichen Gespräch die Sache klären (…).“

So weit, so sinnvoll. Sinnvoll wäre es an dieser Stelle gewesen, auf die rechtsstaatlichen Verfahren in Behörden hinzuweisen, also auf den Weg der Beschwerde, den jedermann gehen kann, wenn er/sie die vorgenannten Wege nicht gehen will oder schon gegangen ist. Stattdessen schlägt die AfD vor, „sich an Dritte zu wenden“ – als brauchte es Dritte für den Zugang zur Aufsichtsbehörde! Und dieser Dritte ist dann konkret die AfD: „Mutmaßliche Verstöße gegen das Neutralitätsgebot können uns anonym (…) gemeldet werden.“ Die AfD werde dann den Vorgang an die Schulbehörde zur Überprüfung weiterleiten.

Bewertung: Der Tipp der AfD enthält zwei gravierende Probleme:

  1. Es wird die Vorstellung erweckt, als brauchten Bürger und Bürgerinnen die AfD, wenn sie allgemeine rechtsstaatliche Verfahren nutzen wollten. Damit werden die rechtsstaatlichen Verfahren und die konkrete Behörde bloßgestellt: es gehe nicht ohne AfD.
  2. Der anonyme Weg über die AfD könnte als Einladung zur Denunziation von Lehrerinnen und Lehrern aufgefasst werden. Die Vokabeln „Anfangsverdacht“ und „Verstoß gegen (…) Rechtsvorschrift“ sind geeignet, Ängste und Befürchtungen zu wecken, wenn im Unterricht politisch-kontroverse Themen behandelt und dafür Positionen betrachtet und beurteilt werden – das aber ist die Aufgabe von politischer Bildung.

Fazit: Die Hamburger AfD betreibt Fehlinformation der Bürger und lädt ein zu anonymen Anstößen für die dienstrechtliche Verfolgung von Unterricht zu politisch relevanten Themen. Die komplexe Situation jedes Einzelfalls bedarf dann der sorgfältigen Klärung, ob tatsächlich dem Beutelsbacher Konsens nicht entsprochen wurde. Angst von Lehrenden vor solchen Folgen ihres Bemühens um politische Bildung können zum Vermeiden politischen Politik-Unterrichts führen. – Das Bekenntnis, „Demokratie braucht gegensätzliche Meinungen und eine Streitkultur“ (vgl. oben, Punkt 1), wird von der AfD dementiert, weil das Bemühen um Kontroversen durch ihren Vorstoß unter den Dauerverdacht des Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot geraten kann und wird.

Was tun?

  1. In allen Ländern brauchen die Politik-Lehrenden Hilfen durch Veranstaltungen der Lehrerfortbildung, in denen die Leitlinien und das praktische Vorgehen im Unterricht und mögliche Ängste vor Denunziationen bearbeitet werden.
  2. Alle Länder sollten die Schulbehörde des Landes Hamburg in deren Zurückweisung des AfD-Vorstoßes unterstützen (vgl. dazu https://www.ndr.de/nachrichten, dann hamburg, Themen A-Z, Nachrichten, Afd – besucht 23.9.2018).

Zur Vorgeschichte und Gegenwart der Auseinandersetzung: Im Mai 2016 richtete die AfD eine kleine Anfrage an die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg und der Senat antwortete (Drs. 21/4426 – https://www.buergerschaft-hh./parldok/dokumentennummer/4426-). Im Juni 2018 veröffentlichte Hannah Knuth in der Wochenzeitung DIE ZEIT (Nr. 26) „Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen?“ und schilderte weitere AfD-Beschwerden und Stellungnahmen dazu (s. https://www.zeit.de/2018/26//afd-lehrer-neutralitaetsgebot-beschwerde).

Das Portal der AfD wird am 21.9.2018 auch kommentiert von SPIEGEL ONLINE und von Süddeutsche Zeitung. Weitere Kommentare werden zweifellos folgen.
Stand 23.9.2018

Sibylle Reinhardt ist emeritierte Professorin für Didaktik der Sozialkunde am Institut für Politikwissenschaft der Martini-Luther-Universität Halle-Wittenberg.