Die Nachrichten über Aufrufe der Alternative für Deutschland auf ihren Internet-Portalen Verstöße gegen ein sogenanntes Neutralitätsgebot der Schulen zu melden, verunsichert Schulen und LehrerInnen. Angesichts einer zunehmenden Bereitschaft, verschwörungstheoretischen Konstrukten zu folgen, einer zu beobachtenden Tendenz des Rückzugs in die Wohlfühlwelt eigener Filterblasen und der Unfähigkeit zu Sachdebatten und Kontroversen, wirken diese Initiativen nicht nur entpolitisierend sondern verstärken die Spaltungstendenzen der Gesellschaft.
Dabei sind Schulen keine neutralen Institutionen. Schulische Bildung im Allgemeinen und politische Bildung in der Schule im speziellen sind in hohem Maße normativ gebunden. Sie stehen für die Verteidigung der Menschen- und Grundrechte und der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Damit wird der Ruf nach „Neutralität“ der Schulen zur politische Bildung verhindernden Strategie. Das Erfolgskriterium einer nicht überwältigend wirkenden Demokratiebildung ist die Beachtung der die gesellschaftliche Pluralität abbildenden Kontroversität. Damit ist politische Bildung politisch, indem sie Offenheit und Pluralität den Tendenzen zu Populismus und kollektivem Egoismus entgegensetzt.
Was heißt das nun für den Umgang mit den Bestrebungen, Plattformen zur Beobachtung und politischen Bewertung von Schule und Unterricht zu initiieren.
- Von Seiten der Politik und der Lobbi-Verbände ist eine klare Zurückweisung aller Versuche der Durchsetzung angeblicher Neutralität mit dem Ziel der Entpolitisierung gefordert. Lehrkräfte und Schulen bedürfen des besonderen Schutzes. Hier sind sowohl politische als auch rechtliche Schritte gefordert.
- In den Schulen und innerhalb des Kollegiums sollte ein offener Diskurs über den demokratiebildenden Auftrag von Schulen initiiert werden. Schulen sollten hier mit der notwendigen Offenheit und dem klaren Selbstbewusstsein demokratischer Institutionen auch Eltern und Schüler/innen einbeziehen. Die bundesweite Diskussion kann ein Anlass sein, um auf Elternabenden, in den Gremien oder auf Klassenkonferenzen die demokratiepädagogische Aufgabe von Schulen zu diskutieren.
- In der unterrichtlichen politischen Bildung sollten wir uns klar auf unsere fachdidaktischen Prinzipien beziehen, die eine Indoktrination ausschließen. Populistische Angriffe auf die politische Bildung heben diese nicht aus den Angeln. Professioneller Politikunterricht steht seit jeher für Pluralismus gegen Anti-Pluralismus, für Debatte und gegen Denunziantentum und für Mündigkeit und gegen Mitläufertum. Der Beutelsbacher Konsens als normatives Fundament der politischen Bildung beschreibt genau dies. Seine Aussage als Neutralitätsgebot zu interpretieren ist ein bewusster Missbrauch.
- Die Debatte um die Meldeplattformen bleibt auch bei Jugendlichen nicht unbeachtet. Diese im Unterricht zu thematisieren stellt daher einen sinnvollen Gesprächsanlass dar. Im pädagogischen Raum des Unterrichts muss es immer darum gehen, Positionen zu bearbeiten und nicht zu „entlarven“. Die Herausforderung dabei ist und bleibt es, die Grenze zu beschreiben, an der Haltungen und Positionen den demokratischen Raum verlassen. Die Fähigkeit diese gemeinsam zu finden, ist ein zentrales Ziel unterrichtlicher Politischer Bildung.
Literatur:
- Reinhardt, Sibylle (2016) Wie normativ und wie politisch darf politische Bildungs ein. www. sowie-online.de
- Widmaier, Benedikt; Zorn, Peter (Hg.) (2016): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung. Bonn (Schriftenreihe Bundeszentrale für Politische Bildung, 1793).
Gudrun Heinrich lehrt Politische Bildung an der Universität Rostock und leitet die Arbeitsstelle Politische Bildung am dortigen Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften.