Absichtsvolle Begriffsverwirrung: Die AfD fordert zur Denunziation auf und erweist sich damit wiederholt als undemokratisch

Wäre der Anlass nicht so ernst, würde der Vorgang einer gewissen Komik nicht entbehren: Ausgerechnet die AfD, eine Partei, die sich seit Jahren durch eine herbeifantasierte Diktatur der politischen Korrektheit drangsaliert wähnt, bedient sich nun eines der klassischsten Instrumente politischer Diktaturen: der Denunziation. Die AfD scheut, wie viele ihrer rechtspopulistischen Gegenstücke in anderen Ländern auch, keineswegs vor Widersprüchen zurück. Aus der Wagenburgmentalität höchster Empfindlichkeit gegenüber Kritik von außen und äußerster Aggressivität gegenüber politisch Andersdenkenden lassen sich auch augenscheinliche Widersprüche offenbar leichtfüßig glätten. Der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller hat zu Recht nachdrücklich herausgearbeitet, dass ein undemokratischer Antipluralismus gleichsam das Lebenselixier populistischer Parteien und Bewegungen darstellt (vgl. Müller 2017). Populistische Parteien wie die AfD greifen demokratische Forderungen nur so lange auf, wie sie den eigenen Zwecken dienlich sind. An einem demokratischen Pluralismus, der auch dazu führen kann, dass die eigene Position sich eben nicht durchsetzt, zeigen sie sich nicht nur nicht interessiert, sondern sie lehnen ihn ab, ja müssen ihn ablehnen, denn er bedroht die für sie wesentliche Daseinsbehauptung, im Unterschied zu anderen Parteien den ‚eigentlichen Willen des Volkes’ zum Ausdruck zu bringen.

Da sich dieser vermeintlich von der AfD verkörperte Willen im deutschen politischen Kontext keineswegs als mehrheitsfähig erweist, wittert die AfD Manipulationen zu ihren Ungunsten und beklagt permanent zu wenig Aufmerksamkeit. Dass sie einfach nur eine besonders aggressiv und lautstark vorgetragene Minderheitenposition vertritt, kann, ja darf für sie nicht in Frage kommen, denn dann würde sie den für sie lebensnotwendigen Anspruch preisgeben, für das ‚eigentliche Volk’ zu sprechen. Daher rührt die unbändige Wut gegenüber anderen Parteien, denen sie eine unfaire Behandlung vorwirft, gegenüber den Medien, allen voran den öffentlich-rechtlichen Medien, denen sie eine unausgewogene Berichterstattung zum Vorwurf macht, und nun eben auch gegenüber den Lehrkräften an staatlichen Schulen, denen zumindest in Teilen eine politische Manipulation der Schüler*innen unterstellt wird. Herangezogen wird hierzu eine hochgradig verzerrte Interpretation von Neutralität, in deren Namen Kritik an der AfD mit dem Mittel der Angst vor Denunziation auf sogenannten Neutralitätsportalen aus Klassenzimmern verbannt werden soll.

Diese verzerrte Interpretation des Neutralitätsgebots steht in einer Reihe von durch die AfD betriebenen Begriffsverschiebungen, die deren Sinn tendenziös verkehren (sollen). Es lohnt sich, die herausstechenden Beispiele dieser Versuche einer Inhaltsverschiebung im vorliegenden Zusammenhang etwas eingehender zu betrachten, weil sich an ihnen die undemokratische Grundhaltung der AfD und ihre bloße Instrumentalisierung demokratisch-pluralistischer Begriffe aufzeigen lässt. Mit einer solchen kritischen Befragung der absichtsvoll fehlgeleiteten Begriffsverwendung durch die AfD lässt sich wohl der harte Kern ihrer Anhängerschaft kaum mehr erreichen – zu tief geschlossen ist das Weltbild des engeren AfD-Milieus womöglich mittlerweile, so dass Versuche einer Konfrontation mit Gegenargumenten auf ideologischen Granit stoßen mögen (vgl. Frey 2018).

Aber eine kritische Befragung ermöglicht eine demokratisch-pluralistische Kontroverse, die nicht nur für den öffentlichen Diskurs, sondern gerade auch für die Einübung in ihn in den Klassenzimmern unserer Schulen wesentlich ist. Ein sogenanntes Neutralitätsgebot, wie die AfD es sich wünscht, würde dazu führen, dass die Einübung in die Streitkultur des demokratischen Pluralismus unterdrückt würde. Dagegen gilt es, mit demokratischen argumentativen Mitteln zu kämpfen – und was die politikwissenschaftliche Perspektive der politischen Theorie hierzu wenigstens beisteuern kann, ist eine kritische Auseinandersetzung mit Begriffen und Konzepten. Nach meinem Eindruck sind es im vorliegenden Zusammenhang vor allem drei Begriffe, die die AfD für die Zwecke ihres Kampfarsenals umzuschmieden sucht: Diktatur, Meinungsfreiheit und eben Neutralität.

Immer wieder wird von AfD-Politiker*innen der Begriff der Meinungsdiktatur verwendet, wenn AfD-Positionen im öffentlichen Diskurs kritisiert werden. Was mit dieser Begriffsverwendung impliziert werden soll, liegt auf der Hand: In Deutschland herrsche, so wird insinuiert, eine Diktatur, die bestimmte Meinungen unterdrücke. Hier lohnt es sich, den Begriff der Diktatur etwas näher zu betrachten. Unter dem Stichwort „Diktatur“ in Band 7 des Lexikons der Politik findet sich dazu zunächst die allgemeine Charakterisierung: „Herrschaft einer Person, Gruppe, Partei oder Klasse, die die Macht im Staat monopolisiert hat und sie unbeschränkt (oder ohne große Einschränkung) ausübt.“ (Schultze 1998, 126f.) Als Strukturmerkmale moderner Erscheinungsformen der Diktatur werden dann u. a. die Monopolisierung der Staatsgewalt, die Abschaffung von Opposition und Pressefreiheit sowie die „Ersetzung des Rechtsstaates durch den Polizeistaat“ (ebd., 127) genannt.

Bei der Rede von der Meinungsdiktatur muss man sich dann schon verwundert die Augen reiben, nachdem die AfD dank freier Wahlen mittlerweile im Bundestag und den Länderparlamenten vertreten ist und dort weidlich vom demokratisch-rechtsstaatlich verbürgten Rederecht Gebrauch macht. Angesichts dieses Ausmaßes an Meinungsfreiheit ist auch ein Gebrauch des Begriffs der Meinungsdiktatur im übertragenen Sinne sachlich und begrifflich so verfehlt, dass das politische Manöver einer Diffamierung des rechtsstaatlichen Institutionengefüges und der demokratischen Öffentlichkeit nur allzu offensichtlich ist. Es geht auch weniger um einen etwa rechtlich prüfbaren Vorwurf, sondern die Kommunikation richtet sich, wie häufig bei rechtspopulistischen Parteien, an die eigene Anhängerschaft, die in ihrer Überzeugung bestärkt werden soll, dass der ‚wahre Volkswillen’ an seiner Äußerung gehindert wird. Damit schlägt man gleichsam zwei Fliegen mit einer Klappe: Die Attacke auf die demokratisch-rechtsstaatlichen Institutionen und die pluralistische Öffentlichkeit wird mit einer Erklärung garniert, warum sich die eigene, nach eigenem Bekunden ja eigentlich dem ‚Volkswillen’ entsprechende Position nicht durchsetzen kann. In dieses gedankliche Umfeld gehört auch die absichtliche, vermutlich auch narzisstische Verwechslung der Meinungsfreiheit mit dem keineswegs mit ihr verbundenen Anspruch, für das Geäußerte inhaltliche Wertschätzung zu erfahren.

Demokrat*innen müssen es vielleicht hinnehmen, dass die AfD nationalistische, xenophobe und minderheitenfeindliche Tiraden auf Straßen, im Internet und auch auf der Bühne von Parlamenten erregt bis an die vielfach strapazierte Grenze des rechtlich Zulässigen hinausbrüllt, aber mehr als hinnehmen müssen sie es eben auch nicht. Im Gegenteil: Sie können es so widerlich finden, wie es sich in den geifernden Wutreden darstellt, und sie können es mit den Mitteln der demokratischen Kontroverse einer entschiedenen Kritik unterziehen.

Eben das, das Recht auf Kritik, das sich mit der freien Meinungsäußerung verbindet, ist die AfD nicht bereit hinzunehmen. Deshalb stürzt sie sich wutschäumend auf alle Räume, in denen die demokratisch-pluralistische Kontroverse stattfindet, und sucht sie zu reglementieren oder zu diskreditieren. Wir kommen damit zur Eingangsbeobachtung zurück. Wenn die AfD nun die Denunziation in die Schulen trägt, dann bemüht sie sich eben gerade nicht, einer demokratischen Unparteilichkeit zur Geltung zu verhelfen, sondern sie versucht die Einübung in die demokratisch-pluralistische Kontroverse, zu der wechselseitige Kritik wesentlich gehört, aus den Klassenzimmern zu verbannen. Man muss und kann dann aber auch beim Namen nennen, was sie damit tut: Sie stellt ein weiteres Mal ihre Verachtung für eine demokratische und diskussionsbereite Kultur der Vielfalt zur Schau.

Worauf es nun ankommt, ist sich von der AfD weder in Schulen noch in der breiteren Öffentlichkeit entmutigen zu lassen. Dazu gibt es auch keinen Anlass, denn sie stellt durch die Instrumente, die sie zum Einsatz bringt, auch die Mittel zu deren Kritik bereit. Wie ich oben angedeutet habe, lässt sich etwa die verzerrende Begriffsverwendung der AfD leicht einer tief reichenden Kritik unterziehen. Eine solche Begriffskritik, die sich keineswegs auf die AfD beschränken muss, aber sich durchaus auf sie beziehen darf – zumal sie, wie gezeigt, zahlreiche Steilvorlagen dafür bietet – ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer politischer Bildung. Auch die jetzt online gestellten Webportale und ihr tendenziös verschobenes Verständnis von Neutralität bieten sich als Gegenstände für eine solche Übung in politischer Bildung geradezu an.

Literatur:

  • Frey, Peter, Hämisch, empfindlich – und hungrig nach Anerkennung, in: zeit.de, online unter: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-10/ard-zdf-afd-diskussion-dresden-medien-wahrheit-reflektion.
  • Müller, Jan-Werner, Was ist Populismus? Ein Essay, Berlin 2017.
  • Schultze, Rainer-Olaf, Diktatur, in: Nohlen, Dieter (Hg.), Lexikon der Politik. Bd. 7: Politische Begriffe, hrsg. von Dieter Nohlen u.a., München 1998, S. 126-128.

Oliver Flügel-Martinsen, Prof. Dr., lehrt Politische Theorie und Ideengeschichte an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld.