„AfD“ als Thema im Referendariat? Jetzt nur keinen Fehler machen…

Die gängige menschliche Reaktion auf einen erkannten Fehler ist die Angst vor dessen Wiederholung. Das führt zu einer andauernden Unsicherheit, die, gepaart mit besonderer Vorsicht, Fehler geradezu heraufbeschwört. Nicht selten führt dieses Verhalten dabei aber zu einem anderen als dem Fehler, den man zu vermeiden sucht. Vermutlich vor diesem Hintergrund hat Dietrich Bonhoeffer einmal gesagt: „Den größten Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen.”

Was ein Fehler ist, erscheint aus Sicht der AfD-Meldeportale „Neutrale Schule“ eindeutig: „Nach den uns vorliegenden Hinweisen werden Schüler durch offene oder subtile, gezielte oder unwissentliche Beeinflussung im Unterricht bei der Herausbildung eigener politischer Urteile beeinträchtigt und zu einer bestimmten politischen Auffassung erzogen.“ (AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus 2018). Laut AfD beeinflussen Lehrerinnen und Lehrer die Schülerinnen und Schülern also zu einer „bestimmten politischen Auffassung“ (Ebd.). Es bleibt unausgesprochen und lässt sich nur erahnen, worin diese Auffassung besteht, die die AfD sowohl als unerwünscht als auch als eben falsch bewertet.

Welche Wirkung hat aber eine solche „Fehlersuche“, die in Form eines Meldeportals institutionalisiert wird, auf Lehrerinnen und Lehrer, insbesondere auf Referendarinnen und Referendare? Gerade die Referendarinnen und Referendare sehen sich angesichts ihrer Situation als Lehrerinnen und Lehrer in Ausbildung mit einem außerordentlichen Erfolgs- und Bewertungsdruck konfrontiert und sind so im Besonderen geneigt vermeintliche Fehler zu vermeiden. Sie haben oft selbst hohe Ansprüche an sich und ihre Arbeit, sehen sich aber auch in expliziter Weise den Ansprüchen ihrer Ausbilderinnen und Ausbilder und Vorgesetzten in Schule und Lehrerseminar ausgesetzt. So fällt es ihnen angesichts dieser vielfältigen Erwartungen nicht immer leicht, die eigentlichen Anforderungen der Ausbildung zu erfüllen: professionelle Lehrerinnen und Lehrer zu werden, die selbstbewusst, reflektiert, an wissenschaftlichen Standards orientiert und auf dem Boden der Verfassung agieren. Schließlich ist jede Lehrkraft selbstverständlich und uneingeschränkt den Werten des Grundgesetzes, allen voran dem Schutz der Menschenwürde, verpflichtet. Für Referendarinnen und Referendare in den Fächern der Politischen Bildung ist ein maßgebender wissenschaftlicher Standard an ihren Unterricht der Beutelsbacher Konsens, wie ihn auch die AfD auf ihrer Internetseite zitiert. Da heißt es, neben dem Überwältigungsverbot und dem Kontroversitätsgebot: „Der Schüler muß in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenslage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen.“ (Wehling 1977, S. 179f.) Das beinhaltet eben politische Situationen zum Ausgangs- und Reflexionspunkt von Unterricht zu machen und Schülerinnen und Schüler zu eigenem Urteilen zu befähigen und zum daraus folgenden Handeln anzuleiten. In unseren Zeiten gibt es an solchen, die Schülerinnen und Schüler bewegende politischen Situationen, keinen Mangel. Man denke nur an die öffentlichen Debatten um Migration und Klimawandel, die Phänomene von Fake News und Hate Speech, die Veränderungen der Parteienlandschaft und der Erfolg populistischer Parteien in ganz Europa, der Umgang mit dem historischen Erbe der Bundesrepublik und vieles mehr. In vielen dieser Situationen ist die AfD ein Akteur und sind ihre Positionen ein Teil der gesellschaftlichen Debatte. Was ist nun also angesichts dieser unumstrittenen Standards ein echter Fehler?

Meiner Auffassung nach wäre es in dieser Angelegenheit ein echter Fehler, wenn Lehrerinnen und Lehrer und Referendarinnen und Referendare aus Angst vor möglicher Repression und sei es nur vor „unangenehmen“ Fragen einer durch AfD-Abgeordnete alarmierten Schulaufsicht und Schulleitung das Thema „AfD“ im Unterricht zu meiden versuchen oder gar ignorierten. Das wäre erstens ein Fehler, weil ein solcher Unterricht dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule, den wissenschaftlichen Standards der Politischen Bildung und die Erwartungen an professionelle Politische Bildner geradezu widerspricht.

Das wäre darüber hinaus zweitens ein Fehler, weil ein solcher Unterricht nicht existierende Sprech- und Denkverbote suggeriert, die sich dann leicht instrumentalisieren lassen. Vielmehr ist geradezu die Pflicht der Lehrerinnen und Lehrer, Referendarinnen und Referendare in den Fächern der Politischen Bildung die Positionen und dahinterliegenden Interessen der AfD (wie auch der anderen Akteure!) zu analysieren, kritisch zu hinterfragen und die Schülerinnen und Schüler auch hier in der Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen auf Basis eines individuellen Urteils zu befähigen. Dass Politische Bildung damit gar nicht unpolitisch sein kann, liegt auf der Hand. Davor aber Angst zu haben, ist der größte Fehler.

Literatur

  • AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus: NEUTRALE SCHULE BERLIN. mEine Initiative der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Online verfügbar unter: https://www.afd-fraktion.berlin/neutrale-schule, letzter Zugriff: 23.10.2018.
  • Hans-Georg Wehling: Konsens à la Beutelsbach? In: Schiele, Siegfried/Schneider, Herbert (Hg.): Das Konsensproblem der politischen Bildung. Stuttgart, S. 173-184.

Christoph Bulmahn ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften am Gymnasium Petershagen sowie Fachleiter für Sozialwissenschaften am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung Minden.