Dubs: Wirtschaftsbürgerliche Bildung - Überlegungen zu einem alten Postulat

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Rolf Dubs

In der Diskussion über wirtschaftliche Bildung an Schulen wird zu wenig deutlich unterschieden zwischen wirtschaftlicher Bildung und Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses. Dieser Beitrag beschreibt die Grundzüge einer Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses als Teil einer Allgemeinbildung für alle Schülerinnen und Schüler.

1. Das Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Pädagogik

Immer wenn in der Wirtschaft etwas Spektakuläres geschieht, das von vielen Menschen als negativ empfunden wird (z.B. Entlassungen in grösserem Umfang in einer Unternehmung, ökologische Unfälle, Bekanntwerden von hohen Abfindungssummen für Manager [goldene Fallschirme] usw.), reagiert die Öffentlichkeit wirtschaftskritisch und beurteilt die Vorgänge anhand eines paradigmatischen Verständnisses von Wirtschaft, das ausschliesslich auf ökonomische Rationalität ausgerichtet ist: Der Unbegrenztheit menschlicher Bedürfnisse steht eine Knappheit von Gütern gegenüber. Um einen Ausgleich zu finden, werden Menschen wirtschaftlich tätig. Dabei lassen sie sich vom ökonomischen Prinzip leiten, nach welchem sie bei einem gegebenen Mitteleinsatz einen maximalen Nutzen oder Gewinn erreichen bzw. bestimmte Nutzen- bzw. Gewinnvorstellungen mit einem minimalen Mitteleinsatz erzielen wollen.

Diese Denkweise beruht auf einem werturteilsfreien, kritisch-rationalen Wissenschaftsverständnis, welches das Ziel der Gewinn- und Nutzenmaximierung unreflektiert als gegeben nimmt und alle Problemlösungs- und Entscheidungsprozesse auf dieses einzige Ziel hin ausrichtet. Unter diesen Voraussetzungen werden die Mitarbeitenden in Unternehmungen denn auch nur als Produktionsfaktor gesehen, "der unter Anlegung ökonomischer Kriterien für die betriebliche Leistungserstellung dann eingesetzt wird, wenn a) sein Leistungsbeitrag für die Unternehmung höher ist als der für die Leistungsabgabe notwendige betriebliche Aufwand und b) sein Leistungsbeitrag nicht wirtschaftlicher von einem maschinellen Auftraggeber erreicht werden kann" (Hamel, zit. nach Neuberger 1994).

Leider gibt es immer noch Wirtschaftswissenschafterinnen und Wirtschaftswissenschafter, Unternehmer und Führungskräfte, die sich auf dieses Paradigma ausrichten. Sie sind es denn auch, die infolge ihrer ein-dimensionalen paradigmatischen Ausrichtung für viele Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft und Wirtschaft verantwortlich sind und Pädagogen zu einer - häufig auch wenig reflektierten - Kritik an allem Wirtschaftlichen veranlassen, die immer wieder zur Forderung führt, wirtschaftliche Lerninhalte dürften in Lehrplänen keinen Eingang finden, damit Jugendliche nicht schon in der Schule zum Nutzen- und Gewinndenken und damit zu nacktem Egoismus erzogen sowie zu Instrumenten (Produktionsfaktoren) der Wirtschaft statt zu individuellen Persönlichkeiten entwickelt würden. Zudem, so wird immer wieder argumentiert, lehre das Leben das Wirtschaften noch früh genug, so dass sich eine wirtschaftliche Bildung erübrige.

Zwar gibt es auch in der Pädagogik einzelne Vertreter einer werturteilsfreien Wissenschaft (vergleiche dazu die Anmerkungen bei Brezinka 1971). Die Mehrzahl der Pädagogen beschäftigt sich aber systematisch mit Zielfragen und reflektiert sie kritisch. Einigkeit besteht heute darüber, dass Menschen als erziehungsbedürftige Wesen in die soziale Welt treten, auf die Erziehungs- und Sozialisationsleitung der Gesellschaft angewiesen sind und zu definieren ist, welche Sozialisierungs- und Erziehungsziele anzustreben sind, die sich aus einem bestimmten Menschenbild ableiten lassen. Im heutigen Menschenbild stehen für alle Lebensbereiche die Ziele autonomer Persönlichkeiten, welche Chancen zur Selbstverwirklichung haben, im Vordergrund, womit der scheinbare Konflikt zwischen Ökonomie und Pädagogik konstruiert ist (vergleiche dazu auch Euler 2001 und Heid 2000).

Leider übersehen aber die Kritiker, die einen Gegensatz zwischen Ökonomie und Pädagogik aufrecht erhalten wollen, den paradigmatischen Wandel, der sich vor allem in der Betriebswirtschaftslehre abspielt. Immer mehr Vertreter dieser Disziplin stellen das Paradigma der ausschliesslichen Gewinn- und Nutzenmaximierung wirtschaftlichen Handelns in Frage (vergleiche beispielsweise Ulrich 2001, Bleicher 1994, Wüthrich/Winter/Philipp 2001), integrieren im Zielsystem der Unternehmung gesellschaftliche und soziale Ziele und sehen den Menschen nicht mehr als blossen Produktionsfaktor, sondern als am Wirtschaftsgeschehen partizipierende Persönlichkeit. Deshalb orientieren sich wirtschaftliche Entscheidungsprozesse auch nicht mehr ausschliesslich am Prinzip der kurzfristigen Gewinnmaximierung, sondern am Ziel eines "Gewinn unter Nebenbedingungen" (vergleiche dazu die Aufarbeitung dieses Paradigmas bei Dubs 1998b), d.h. herkömmliche wirtschaftliche Ziele wie Marktanteil, Umsatz, Gewinn, Wachstum bleiben zwar bedeutsam, sie stellen aber keine finalen Ziele mehr dar, sondern sie werden durch gesellschaftliche und soziale Ziele aus ganzheitlicher Sicht differenziert.

Selbst wenn sich noch bei weitem nicht alle Führungskräfte der Wirtschaft diesem neuen Paradigma verpflichtet fühlen, ist es unverantwortlich, immer wieder einen Gegensatz zwischen Ökonomie und Pädagogik konstruieren zu wollen, wie dies neuerdings beispielsweise Schultheis (2001) in polemischer Weise wieder tut. Wichtiger wäre es zu fragen, was die Pädagogik beitragen kann, um die Humanisierung der Wirtschaftswelt - was immer dies heißen mag - zu unterstützen. Dieses Ziel lässt sich umso eher erreichen, je intensiver die Pädagogik versucht, die wirtschaftliche Bildung in klar definierter Form in die Schule zu integrieren. Diesem Ziel will dieser Beitrag dienen.

2. Die Grundsatzfrage: Gliederung und Ziele einer wirtschaftlichen Bildung

Viele Leute sehen die wirtschaftliche Bildung nur aus der Sicht der Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit (berufliche Grundbildung) sowie der beruflichen Weiterbildung. Diese Aufgabe der wirtschaftlichen Bildung erfüllen die berufsbildenden Schulen, die Fachhochschulen und die Universitäten. Ihre Aufgabe ist es, die Menschen berufsbezogen für ihre Arbeitstätigkeit vorzubereiten. Während langer Zeit hat sich die Wirtschafts- und Berufspädagogik mit diesem Bildungsbereich beschäftigt. Ihre Geschichte ist durch eine dauernde Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld "Qualifizierung versus Bildung" oder "Entwicklung beruflicher Tüchtigkeit versus berufliche Mündigkeit" gekennzeichnet (Euler 2001), wobei sich im Verlaufe der Jahre die Idee der beruflichen Mündigkeit und damit des Bildungsgedankens durchgesetzt hat. Das heisst: Die Wirtschaftspädagogik sieht die Menschen nicht nur als Produktionsfaktoren, sondern sie will sie so auf ihre Berufstätigkeit vorbereiten, dass sie neben einer besten Arbeitsqualifizierung auch zur reflektierten Mitwirkung in bei ihrer Tätigkeit entscheidenden Fragen befähigt werden, also Autonomie gewinnen und damit dem Ziel der Selbstverwirklichung näher kommen.

Dieses anspruchsvolle Ziel lässt sich aber mit einer noch so gut auf diese Ziele ausgerichteten wirtschaftsberuflichen Bildung nicht erreichen. Sie ist zu ergänzen durch eine Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses, welche die Menschen befähigt, betriebswirtschaftliche, volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge und Probleme (sozioökonomische Lebenssituationen) in ihrem Gesamtzusammenhang zu verstehen und Probleme aus ganzheitlicher Sicht zu lösen. Deshalb ist diese Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses eine Form von wirtschaftlicher Allgemeinbildung, die allen Menschen im Rahmen ihrer Grundbildung anzubieten ist. Im Folgenden wird nur noch auf die Frage der Verwirklichung dieser Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses (gelegentlich wird auch von Wirtschaftsbürgerkunde gesprochen) eingegangen.

3. Die Rechtfertigung einer Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses und ihre normative Grundlegung

Je komplexer das Geschehen in der Gesellschaft und in der Wirtschaft wird, je mehr sich Politik und Wirtschaft vernetzen und je stärker sich die technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bedingungen verändern, desto weniger verstehen viele Menschen, was sich genau abspielt. Dieses Nichtverstehen von Vorgängen, denen sie täglich begegnen und die sie häufig persönlich betreffen, verunsichert sie. Werden sie durch gesellschaftliche und wirtschaftliche Vorgänge und Entscheidungen aus ihrer Sicht negativ betroffen und haben sie keine Reaktionsmöglichkeiten, so beschleicht sie das Gefühl des nicht mehr Ernstgenommenwerdens oder der Ohnmacht. Dieses Gefühl führt, vor allem wenn die Erscheinungen nicht verstanden werden, zu zwei möglichen Verhaltensweisen. Entweder suchen sie nach Verantwortlichen und stempeln sie zu Sündenböcken, die alle behaupteten Missstände und Fehlentwicklungen zu verantworten haben. Oder sie suchen nach vermeintlich guten Lösungen, die einigermassen plausibel sind und den eigenen Wunschvorstellungen am ehesten entsprechen. Nicht selten stellen aber solche Lösungen Patentlösungen dar, d.h. sie werden so präsentiert, wie wenn sie nur Vorteile und keine Nachteile hätten. Sündenbockpolitik und Patentlösungen tragen die Tendenz zur gesellschaftlichen Polarisierung in sich, denn sie dienen letztlich nur der Stärkung des eigenen Standpunktes sowie der eigenen Machterhaltung und Machtentfaltung und leisten keine Beiträge zu tragfähigen Lösungen. Je grösser nun die Zahl der Menschen wird, die sich durch diese beiden Phänomene einseitig leiten lassen, desto unverträglicher werden wirtschaftliche und politische Entscheidungen für viele dieser Menschen, was das Gefühl der Ohnmacht verstärkt und längerfristig entweder zur Gleichgültigkeit gegenüber politischen und wirtschaftlichen Fragen oder zu ideologisch belasteten Auseinandersetzungen führt. Verstärkt durch massenpsychologisch wirksame Einflüsse einzelner Medien entwickelt sich eine immer stärkere Polarisierung unserer Gesellschaft, die es zunehmend schwieriger macht, nachhaltig wirksame Lösungen für die anstehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme zu finden. Als Folge davon wird längerfristig der Fortbestand einer glaubwürdigen, von allen getragenen Demokratie gefährdet.

Diese Entwicklung ist schwer beeinflussbar, und es wäre eine Illusion zu glauben, mit schulischen Maßnahmen allein ließe sie sich verhindern. Sicher ist aber, dass sie sich beschleunigt, wenn es nicht gelingt, die breite Bevölkerung so mit grundlegenden politischen und wirtschaftlichen Kenntnissen zu versehen, dass sie fähig wird, gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme zu erkennen und zu verstehen, mögliche Lösungen zu entwickeln und zu beurteilen sowie sich entsprechend zu verhalten. Mit einer Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses kann die Schule dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.

Die entscheidende Frage bei der Verwirklichung dieses Postulates betrifft nur die normative Grundlegung (Sinn- und Wertorientierung) einer Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses. Pädagogen vor allem befürchten, ein solcher Unterricht könnte unter dem Druck von Politik und Wirtschaft zur Indoktrination wirtschaftlicher Interessenstandpunkte führen. Die Wirtschaft selbst reagiert nicht selten kritisch, weil sie meint, Lehrkräfte könnten diesen Unterricht zum "Tummelfeld alternativer Ideen" machen und damit der Polarisierung erst recht Vorschub leisten. Deshalb muss allen Lehrplanarbeiten eine unmissverständliche Klärung der normativen Zielvorstellungen vorausgehen.

Reflektiert mit politischen und wirtschaftlichen Problemen kann nur umgehen, wer ein Verständnis für Zielkonflikte hat. Heute gibt es kaum mehr eine unternehmerische oder wirtschaftspolitische Problemstellung, die sich mit einer einzigen, richtigen Lösung bewältigen lässt. Patentlösungen sind deshalb praktisch ausgeschlossen. Jedes Problem hat mehrere Lösungsmöglichkeiten, die alle Vorteile und Nachteile haben. Deshalb bedeutet Entscheiden heute nicht mehr die Wahl einer richtigen Lösung, sondern Entscheidungsprozesse werden immer mehr zu einem Abwägen zwischen Vorteilen und Nachteilen einzelner Lösungen. Dadurch wird die Entscheidungsfindung immer komplizierter und ist nur noch auf der Basis eines hohen Wissens- und Könnenstandes - allenfalls ergänzt mit Erfahrung und Intuition - vollziehbar.

Diese Forderung, Menschen soweit zu bringen, dass sie Zielkonflikte verstehen, sich mit Vorteilen und Nachteilen auseinandersetzen können und zu reflektierten Lösungen und Entscheidungen gelangen, führt zur Frage nach den Entscheidungsmechanismen: Nach welchen Kriterien wird bei Zielkonflikten entschieden? Nicht zuletzt unter dem Einfluss neoliberaler Wirtschaftstheorien gewinnt die oben angesprochene Betrachtungsweise der auf maximalen Gewinn und Nutzen ausgerichteten Gestaltung der institutionellen Ordnung und der effizienten Allokation der Ressourcen ausschließlich über Märkte wieder an Bedeutung. Viele Entscheidungen, aber auch die Ansprüche der meisten Menschen, werden deshalb wieder ausschliesslich der ökonomischen Funktionslogik unterstellt, und Entscheidungen werden wieder häufiger auf den individuellen Vorteil der Erfolgreichen (Mächtigen) in Politik und Wirtschaft ausgerichtet, oder wie Ziegler (1994, S. 107) es ausdrückt: "Ich nutze den anderen, damit ich den Nutzen habe."

Eine gesellschaftspolitisch positiv wirkende Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses darf sich nicht an einer solchen eindimensionalen funktionalistischen und/oder gar werturteilsfreien Gesellschafts- und Wirtschaftstheorie orientieren, sondern sie muss Politik, Wirtschaft und Ethik integrieren und immer wieder zwei Fragen beantworten:

  1. Welches ist der Zweck des Wirtschaftens? Hat die Wirtschaft einen finalen Zweck, oder ist sie Mittel zu einem bestimmten Zweck?
  2. Wie sieht ein effizienter Mitteleinsatz im Hinblick auf diesen Zweck aus?

Antworten auf diese Fragen versucht die integrative Wirtschaftsethik zu geben (vergleiche dazu Retzmann 1994). Sie gibt die Fundierung der ökonomischen Sachlogik auf ethisch legitimierten Grundlagen ab, indem sie als "Werteboden" für eine "wertvolle" ökonomische Rationalität dient (Ulrich 1996, S. 16). Ihr Ziel ist es also, die ökonomische Rationalität auf einer normativen Basis aufzubauen, indem sie nach normativen Voraussetzungen legitimen Wirtschaftens fragt und Zielkonflikte unter Berücksichtigung dieser Grundlage zu lösen versucht. Es wäre aber falsch, wenn eine integrative Ethik aufgrund einiger weniger ethischer Prinzipien ausschliesslich ethisch argumentieren wollte. Sie muss vielmehr die ökonomische Sachlogik in die Betrachtung von wirtschaftlichen Problemen integrieren und auf diese Weise die ökonomische Sachlogik auf einer ethisch legitimierten Grundlage fundieren. Diese Grundlage muss heute in einer pluralistischen Gesellschaft durch Argumentation über alles Handeln (Diskursethik) gefunden werden. Dabei sollte als Grundregel gelten, dass alle privaten Interessen und das darauf beruhende Handeln legitim sind, wenn sie die Prüfung des Vorranges der Würde des Menschen und der Grundrechte aller Betroffenen bestanden haben. Dabei sind die Würde und die Grundrechte immer wieder neu zu überdenken.

Damit sind die Voraussetzungen für die Zielgebung für eine Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses geschaffen:

  1. Sie muss dasjenige Wissen und Können vermitteln, das die Menschen befähigt, wirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen, aktuelle wirtschaftliche Probleme in ihrer gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Interdependenz zu erkennen und zu definieren, darin liegende Zielkonflikte zu erfassen und sie einer reflektierten Lösung zuzuführen.
  2. Sie darf nicht indoktrinieren, sondern sie muss die Lernenden befähigen, zu gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen im freien Urteil zu einer eigenen, begründbaren Meinung zu gelangen, die nicht nur der politischen und wirtschaftlichen Sachlogik folgt, sondern im Sinne einer integrierten Wirtschaftsethik reflektiert ist.
  3. Die reflektierten Erkenntnisse sollen sich im täglichen Handeln jederzeit niederschlagen.
  4. Insgesamt sollen die Lernenden mit Hilfe der Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses ihren eigenen gesellschaftlichen Standort gefunden und erkannt haben, dass eine Gesellschaft nur solange funktionstüchtig bleibt, als alle ihre Glieder sich im sachkompetenten Diskurs um nachhaltige Lösungen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Probleme bemühen und bereit sind, die Regeln einer wandelbaren Rechtsordnung als Grenzen ihres Denkens und Tuns zu akzeptieren. Sie sollen zudem motiviert sein, am gesellschaftlichen Diskurs dauernd teilzunehmen und die Folgen ihres eigenen Verhaltens immer wieder selbstkritisch zu beurteilen.

Die Umsetzung dieser Zielvorstellungen einer Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses für den schulischen Alltag ist außerordentlich anspruchsvoll. Deshalb sollen abschließend einige umstrittene didaktische und methodische Streitpunkte angesprochen werden.

4. Didaktische und methodische Streitpunkte einer Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses

4.1 Der Stellenwert des Wissens

Weil sich der Unterricht in wirtschaftlichen Fächern zu lange mit der Vermittlung von addi-tivem Wissen, das zu einem grossen Teil träges Wissen geblieben ist, begnügt hat, herrscht heute die Meinung vor, angesichts des raschen Wandels des Wissens (stark sinkende Halbwertszeit des Wissens) sowie der Möglichkeiten der Wissensabfragen in Informationssystemen (z.B. Internet) werde die Wissensvermittlung immer weniger bedeutsam. Diese Auffassung ist falsch. Wer nicht über ein gut strukturiertes, breites Grundlagenwissen verfügt, ist nicht in der Lage, Probleme zu erkennen, darüber zu reflektieren und kreative Lösungen zu finden. Deshalb bleibt die Erarbeitung eines gut strukturierten Grundlagenwissens weiterhin sehr bedeutsam. Dies bestätigen nicht nur immer mehr wissenschaftliche Untersuchungen (vergleiche beispielsweise Fortmüller 1997 und die dort ausgewertete Literatur), sondern die praktische Erfahrung belegt es ebenso deutlich, wie das folgende Beispiel zeigt: Will man die Ursachen der schlechten Relation zwischen dem EURO und dem US-Dollar verstehen, so ge-nügt es nicht, wenn man die Wechselkurstheorien verstanden hat, sondern man benötigt Kenntnisse über die Zahlungsbilanz, die Geldpolitik und die Zinspolitik sowie deren Wechselwirkungen.

1. Postulat: Die Ziele der Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses lassen sich nur erreichen, wenn die Lernenden über ein genügend breites, gut strukturiertes deklaratives Wissen verfügen, das ihnen hilft, Probleme zu erkennen und zu verstehen, Erscheinungen und Maßnahmen zu beurteilen und sich im freien Urteil eine eigene Meinung zu bilden.

4.2 Breite versus Tiefe bei der Gestaltung der Lehrpläne

Immer wieder wird angesichts der Fülle des Wissens eine Konzentration der Lerninhalte auf wenige, repräsentative Lernthemen gefordert. Mit andern Worten wird versucht, das Prinzip des exemplarischen Unterrichtes (Wagenschein 1973) auf den Wirtschaftsunterricht zu übertragen. Dieses Konzept steht im Widerspruch zu den Zielen der Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses. Das exemplarische Lernen will an ausgewählten Beispielen in die Denkweise, wissenschaftlichen Paradigmen und wissenschaftlichen Arbeitsmethoden einführen, um Einsichten in die jeweilige Wissenschaft zu vermitteln. Dazu bedarf es keiner inhaltlichen Breite; an ausgewählten Inhalten, die vertieft werden, lässt sich dieses Ziel erreichen. Die Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses, die auf das Verständnis realer Probleme, die immer in grösseren Zusammenhängen stehen, ausgerichtet ist, muss eine angemessene Breite anstreben. Andernfalls erreicht sie ihr Ziel einer umfassend vernetzten Betrachtungsweise, mit der gegen das aufkommende Unverständnis und die damit verbundene Polarisierung angekämpft werden will, nicht.

2. Postulat: Die Lehrpläne zur Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses müssen inhaltlich genügend breit angelegt sein. Der exemplarische Unterricht genügt deshalb nicht.

4.3 Systematischer versus themenorientierter Lehrplanaufbau

Infolge vieler Fehlentwicklungen im Wirtschaftsunterricht mit wissenschaftssystematisch aufgebauten Lehrplänen (deren Systematik immer willkürlich und nicht wissenschaftlich belegbar ist), die häufig zu einer additiven Wissensanhäufung ohne echte Problemorientierung geführt haben, treten heute immer mehr Pädagogen für einen thematischen (oder themen- bzw. problembereichsorientierten) Unterricht ein. Dazu gehört die gegenwärtig vorherrschende Tendenz, Lehrpläne vor allem an Berufsschulen lernfeldorientiert zu gestalten (vergleiche dazu Lipsmeier/Pätzold 2000 sowie Huisinga/Lisop/Speier 1999). Unterstützt wird diese Entwicklung durch das konstruktivistische Gedankengut (vergleiche beispielsweise Gerstenmaier/ Mandl 1995). Bis heute ist wissenschaftlich immer noch umstritten, ob ein systematischer oder ein thematischer Unterricht bessere Grundlagen für den Aufbau eines genügend strukturierten und anwendbaren Grundlagenwissens schaffen. Konstruktivisten beginnen festzustellen, dass vielen Lernenden, welche thematisch unterrichtet wurden, eine genügend umfassende Wissensbasis für die Lösung von Problemen fehlt und ihr Lernerfolg dadurch beeinträchtigt wird. Ob dies auf ungeeignete Unterrichtsverfahren zurückzuführen oder systembedingt ist, bleibt im Moment wissenschaftlich noch offen. Aufgrund eigener Unterrichtserfahrung neige ich dazu, für einen systematischen Lehrplanaufbau zu plädieren, weil er den Aufbau von Wissensstrukturen vor allem für schwächere Schülerinnen und Schüler erleichtert. Zudem besteht die Gefahr, dass ein thematischer Unterricht zu einer "Aktualitätenschau" entgleitet, die vielleicht kurzfristig etwas besser motiviert, den Aufbau von Wissensstrukturen (insbesondere die wichtige Berücksichtigung des Vorwissens) aber erschwert und dadurch eher zu kognitiven Oberflächlichkeiten führt.

3. Postulat: Ich tendiere zur Empfehlung, wenigstens den Anfängerunterricht zur Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses stärker an einer zu definierenden Systematik und weniger an Themenbereichen zu orientieren. Ein lernfeldorientierter Unterricht in diesem Bildungsbereich lehne ich nicht zuletzt deshalb ab, weil für die Lehrplangestaltung im allgemeinbildenden Bereich (und dazu gehört die Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses) andere Konstruktionsregeln anzuwenden sind, als im berufsbildenden Bereich (vor allem im gewerblich-industriellen Bereich).

4.4 Problemorientierung und Handlungsorientierung

Es wird immer wieder behauptet, eine an einer Systematik orientierte Lehrplangestaltung verleite zu einem darbietenden Unterricht und vernachlässige die lerneffizientere Problem- und Handlungsorientierung. Diese Gefahr mag bestehen, wenn Lehrkräfte keine klaren Vorstellungen über diese Unterrichtsansätze haben und nicht genügend zwischen der curricularen Mesoebene und der instruktionalen Mikroebene unterscheiden (Dubs 2001). Vor allem im Anfängerunterricht kann es im Interesse des Aufbaues von guten Wissensstrukturen sinnvoll sein, einen disziplinenorientierten, systematischen Lehrplan zu entwerfen (Mesoebene), der im alltäglichen Unterricht (instruktional) jedoch problem- und handlungsorientiert umgesetzt wird (Mikroebene). Konkreter ausgedrückt werden die einzelnen Lektionen innerhalb eines systematischen Lehrplanes auf konkrete Problemstellungen ausgerichtet, an denen das notwendige Strukturwissen erarbeitet wird und das an Übungssituationen und aktuellen Problemen aus Gesellschaft und Wirtschaft angewandt wird. Wird diese Konzeption erweiterte, so könnte man von einem Lehrplan der Inselbildung sprechen, wie es in Abbildung 1 dargestellt ist. In einem disziplinorientierten Fach "Wirtschaftskunde" (oder Volkswirtschaftslehre oder Wirtschaftsbürgerkunde) wird systematisch eine Wissensstruktur aufgebaut. Diese Systematik wird aber von Lektion zu Lektion problemorientiert gestaltet, wobei die Problemstellungen so ausgewählt werden, dass an ihnen die Wissensstrukturen schwergewichtig erarbeitet und nicht nur dargeboten werden. Verfügen die Lernenden über einen bestimmten Wissensstand, so wird eine Insel aufgebaut, in der ein aktuelles gesellschaftliches oder wirtschaftliches Problem verarbeitet wird, wofür die notwendigen Wissensstrukturen vorhanden sind. Auf diese Weise erfolgt die Aktualisierung des Unterrichtes, die nicht oberflächlich wird, sondern auf einem guten Fachwissen aufbaut, das für die Reflexion im Falle von erkannten Zielkonflikten bei den aktuellen Problemen unabdingbar ist. Mit fortschreitendem Unterricht lassen sich diese Inseln unter Bezugnahme auf andere Unterrichtsfächer zunehmend interdisziplinär ausgestalten. Schöne Arbeiten dazu haben Dörig und Waibel entwickelt (Dörig/Waibel, 1997, Waibel&Dörig 1999).

4. Postulat: Ich vertrete die Auffassung, die Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses sollte in einem disziplinenorientierten Fach "Wirtschaftskunde" unterrichtet werden, das nach den oben beschriebenen Prinzipien eines Lehrplanes der Inselbildung aufgebaut wird. Schwergewichtig sollte dieses Fach an allen Schulen der Sekundarstufe II unterrichtet werden.

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4.5 Das Problem der Werterziehung im Wirtschaftskunde-Unterricht

Das Ziel, die Lernenden mit der Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses soweit zu führen, dass sie fähig werden, bei Zielkonflikten "im freien Urteil zu einer eigenen Meinung" zu gelangen, verbietet sowohl einen indoktrinierenden als auch einen neutralen Unterricht. Die aktuellen Problemstellungen sind vielmehr offen darzulegen, und es muss Gelegenheit geboten werden, darüber reflektieren zu können. Viele Lehrkräfte tun sich mit einer solchen Offenheit schwer, weil sie befürchten, sie könnten seitens der Schulbehörden oder der Eltern und Lehrmeister angreifbar werden. Diese Gefahr besteht tatsächlich.

Deshalb ist nach Unterrichtsmodellen zu suchen, mit denen diese Problematik umgangen werden kann. Den Ansatz dazu bietet die kognitiv orientierte Werterziehung, wie sie von Kohlberg (1981) eingeleitet sowie von Oser (1986) und Beck/Brütting et al. (1996) fortgeführt wird. Den Lernenden werden moralische Dilemmas (gesellschaftliche und wirtschaftliche Streitfragen) vorgelegt, die sich allein sachbezogen nicht lösen lassen, sondern Wertkonflikte beinhalten, über die zu reflektieren und zu entscheiden ist. Nachdem die eben erwähnten drei Forscher belegen, wie sich mit diesem Ansatz die Reflexions- und Entscheidungsfähigkeit der Lernenden stärken lassen, sollte dieser Ansatz zu einem festen Bestandteil der Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses werden. Modelle dazu, welche Lehrkräfte vor möglichen Angriffen von Leuten, die immer noch einen wertneutralen Unterricht fordern, schützen, sind an verschiedenen Stellen entwickelt worden (vergleiche beispielsweise Dubs 1998b).

5. Postulat: Die Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses kann nicht wertneutral erfolgen. Die Lernenden müssen fähig werden, sich mit Wertfragen auseinanderzusetzen. Andernfalls erfüllt die Schule den wichtigsten Auftrag in einer Demokratie nicht. Lösbar ist dieses Problem besonders gut mit dem Ansatz des moralischen Dilemmas, der für gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme in den letzten Jahren erfolgreich weiterentwickelt wurde.

5. Nachwort

Abschliessend sei auf zwei zentrale Probleme mit der Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses verwiesen:

(1) Ein Lehrplan- und Unterrichtsansatz, wie er in diesem Beitrag vertreten wird, ist kognitiv anspruchsvoll. Deshalb stellt sich die Frage, ob er sich auch mit schwächeren Schülerinnen und Schülern verwirklichen lässt. Eine eigene, bislang nicht veröffentlichte Untersuchung stimmt noch nicht sehr optimistisch. Zu einem Schulversuch mit Berufsschulklassen wurden ganz verschiedenartige Umsetzungsformen dieser Bildung (unterschiedliche Formen des Lehrerverhaltens, verschiedene Aktivitätsformen der Lernenden, unterschiedlicher Aufbau der Wissensstrukturen) entwickelt und mit dem Lernerfolg (gemessen am Umgang mit aktuellen Problemen) verglichen. Zugleich wurden alle Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf ihre für das Verstehen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Vorgänge notwendigen kognitiven Fähigkeiten (z.B. Fähigkeit der Datenanalyse, der Textinterpretation) getestet. Überraschenderweise ergab sich, dass nicht das gewählte Unterrichtsarrangement, sondern die kognitiven Fähigkeiten den Lernerfolg am stärksten prägten. Stoßen wir hier an absolute Grenzen?

(2) Sicher ist aber, dass die Qualität der Lehrkräfte und dabei vor allem ihre wissenschaftliche Grundbildung ein ausschlaggebender Erfolgsfaktor darstellt (vergleiche dazu ausführlich Mayer/Mullens/Moore/Ralph 2000). In der Schweiz besteht gegenwärtig die Tendenz, dass angesichts des Mangels an Handelslehrern jedermann, der glaubt, einmal etwas von Wirtschaft gehört zu haben, in diesem Bereich zu unterrichten beginnt. Diese Entwicklung wird für diesen Lernbereich mit einer Katastrophe enden, denn gerade das hier vertretene Konzept einer Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses setzt eine intensive wirtschaftswissenschaftliche Lehrerbildung voraus. Kurzfristig angelerntes Wissen und das Berufen auf persönliche Lebenserfahrung werden die Oberflächlichkeit und Substanzlosigkeit des Unterrichtes sowie die Indoktrination mit vorgefassten, wenig differenzierten Meinungen über die Wirtschaft beschleunigen. Haben die Schulbehörden die Kraft, auch für Lehrkräfte des Lernbereiches Wirtschaft die üblichen Anforderungsstandards durchzusetzen? Davon werden Erfolg und Misserfolg der Bildung des allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses wesentlich abhängen.

Literatur

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Ziegler, A. (1994): Verantwortungssouveränität. 2. Auflage. Bayreuth.


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