Reflexives Lernen - wissenschaftliches Wissen und Handlungswissen in einer reformierten Lehrerbildung
- Zur Differenz von Wissenschaft und Praxis - Abschied von integrationistischen Reformillusionen?
- (Hochschul-)didaktische Aspekte des Professionalisierungsprozesses
- Lerngelegenheiten für reflexives Lernen in Wissenschaft und Praxis
- Ansatzpunkte für eine Integration der Lernorte Schule und Hochschule in einem dualen System der Lehrerbildung
- Literatur
(1996) (1)
Johannes Wildt
Der öffentliche Diskurs über Lehrerbildung ist in Bewegung geraten. Wo immer an Lehrerbildung interessierte, davon betroffene bzw. damit befaßte Angehörige von Schulen und Hochschulen, Studienseminaren, Lehrerfortbildung und Schulaufsicht, Ministerien, Parlamenten und Öffentlichkeit zusammentreffen, wird ein immenser Reformstau sichtbar.
Der Diskurs über die Lehrerbildung streift dabei eine Fülle von Problemen, spitzt sich allerdings immer wieder auf das Thema des Zusammenhangs von Wissenschaft und Praxis zu. Für die Herstellung dieses Zusammenhangs wird der Lehrerbildung eine Schlüsselfunktion zugeschrieben. Vor allen anderen Faktoren wie Lehrplänen, Unterrichtsmitteln oder schulorganisatorische Maßnahmen wird Lehrerbildung an der Nahtstelle verortet, an der das wissenschaftliche Wissen in die Praxis gelangt (und umgekehrt Probleme der Praxis Eingang in die Wissenschaft finden). Aus dieser Verortung wird verständlich, welche Rolle die Verwissenschaftlichung in der Reform der Lehrerbildung spielt.
Die Geschichte der Lehrerbildungsreform ließe sich als eine Folge von Versuchen einer "Verwissenschaftlichung" beschreiben, bei der es darum geht, die Lehrerbildung an die Entwicklung der Wissenschaften anzuschließen. Schubkraft erhält diese Reform aus Entwicklungen in der pädagogischen Praxis, die eine Zunahme von Professionalität in der Berufstätigkeit von Lehrerinnen und Lehrern erfordern. Verwissenschaftlichung wird damit zum zentralen Moment einer Professionalisierung.
Als charakteristisch für Professionen gilt eine hohe Autonomie im beruflichen Handeln, verbunden mit einer ausgeprägten Orientierung an ihrem Klientel. Die Ausgestaltung der Beziehungen zu ihrem Klientel erfolgt in den Professionen an Standards, deren Entwicklung und Einhaltung in Selbstorganisation der Professionen kontrolliert wird. Selbstkontrolle wird nicht nur durch Kommunikation und Sanktion innerhalb der Professionen gesichert, sondern ganz wesentlich auch durch Zugangsregeln zum Beruf. Einen herausragenden Stellenwert hat dabei die Wissenschaftlichkeit der Ausbildung. Sie reguliert einerseits die formalen Zugangsmöglichkeiten zum Beruf. Mit ihr verbindet sich andererseits aber zugleich die Vorstellung einer Grundlegung des beruflichen Handelns durch wissenschaftliches Wissen - als Legitimation professioneller Autonomie. (2)
Nun ist wiederholt herausgestellt worden, daß die ganze institutionelle Rahmung der Lehrämter durch ihre Einbindung in die bürokratische Struktur des öffentlichen Bildungswesens (samt Beamtenstatus, Schulorganisation etc.) keine Gleichsetzung mit den klassischen Professionen der freien Berufe im medizinischen und juristischen Bereich zulasse, es sich also nicht um eine vollgültige Profession, bestenfalls um eine "semi-profession" handele. Um so größeres Gewicht erhält Verwissenschaftlichung als konstitutives Moment von Professionalität.
Nicht zuletzt die neuere Debatte über Schulautonomie und die damit zuwachsenden Kompetenzen im Beruf stellt die Frage nach der Professionalität auf eine neue Stufe. Eine Erweiterung der Kompetenzen (im doppelten Sinne von Können und Zuständigkeiten) über den Kernbereich der Tätigkeiten des Unterrichtens bzw. der Organisation von Lernprozessen hinaus auf im weiteren Sinne erzieherische, sozialpädagogische oder kulturelle Aufgabenspektren einschließlich der Übernahme von Verantwortung für Schulentwicklung und Vernetzung der Schule mit ihrem gesellschaftlichen Umfeld wirft Fragen nach einer "erweiterten Professionalisierung" (Bayer u. a. 1990) auf, aus der auch erweiterte Ansprüche an eine Verwissenschaftlichung der Lehrerbildung entstehen.
So unausweichlich es angesichts erweiterter Ansprüche an Professionalisierung erscheint, die Lehrerbildung zu verwissenschaftlichen, so wenig scheint es zu gelingen, ihrer Schlüsselfunktion zur Herstellung des Zusammenhangs von Wissenschaft und Praxis gerecht zu werden. Überspitzt formuliert lautet der Befund: Die Lehrerbildung ist mehr oder minder erfolgreich an das ausdifferenzierte System der Wissenschaften an den Hochschulen angeschlossen. Im Zuge dieser Entwicklung sind die institutionellen Verbindungen zur Praxis weitgehend gekappt, die eher praxisorientierten Komponenten der Lehrerbildung marginalisiert, die Lernorganisation an die tradierten universitären Veranstaltungsformen angeglichen und die vorherrschende universitäre Lehrkultur in den Veranstaltungen durchgesetzt.
Zur Differenz von Wissenschaft und Praxis - Abschied von integrationistischen Reformillusionen?
Sprechen diese Beobachtungen nicht dafür, sich endgültig von den Versuchen einer Integration von Wissenschaft und Praxis in der Lehrerbildung zu lösen? Besteht nicht die Zukunft der Lehrerbildung eher im Konsekutivmodell einer radikalisierten Trennung von erster und zweiter Phase? Ersterer wäre die fachwissenschaftliche und erziehungswissenschaftliche Ausbildung zugeordnet. Alles was mit dem Lernort Praxis zu tun hat, wäre hingegen Metier der zweiten Phase bzw. der Lehrerfortbildung.
Das Konsekutivmodell paßt sich in die allgemeine Diskussion über die Strukturreform der Hochschulen (angelegt bereits beim Wissenschaftsrat 1986) ein. Entsprechende Pläne wurden schon Mitte der 80er Jahre entworfen, als sich die Studienreform angesichts eines nahezu geschlossenen Arbeitsmarkts Schule auf die Suche nach alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten für Absolventen von Lehramtsstudiengängen machte (Abels/Priebe 1984). Die Polyvalenz der Lehramtsstudiengänge an Universitäten sollte durch die Abkopplung vom Praxisfeld Schule und die Konzentration auf den Erwerb von vielseitig nutzbarem Fachwissen gesteigert werden. Daß solche Überlegungen mehr Resonanz in den Universitäten fanden als die Option, Polyvalenz durch Ausweitung der Praxisbezüge auf außerschulische Handlungsfelder zu erzielen, bestätigt sich auch in der Präferenz der Hochschulrektorenkonferenz (1992) für die Vermittlung "theoriebezogenen" Fachwissens im Studium als Weg zur Berufsbefähigung. Aus dieser Sicht besteht ein Vorteil dieser Option insbesondere darin, die Leistungserwartung an die Hochschulen auf ihre Leistungsstärken zu begrenzen, die im übrigen auch aus der Sicht der Studierenden in der Vermittlung des Fachwissens liegen (Peisert u.a. 1988, S. 121). Was mit dem Fachwissen weiter geschieht, insbesondere der Umgang mit dem Wissen in der Praxis bzw. was oder wie in der Praxis gelernt wird, muß dann nicht weiter interessieren bzw. wird als Aufgabe an außerhochschulische Institutionen delegiert. Mehr noch: Jeder Versuch einer Integration von Praxis in den hochschulischen Lernzusammenhang wird als Gefährdung der Lehrqualität und als Behinderung für eine Anerkennung des Lehramtsstudiums als vollgültiger wissenschaftlicher Ausbildung gewertet. Aus einer solchen Sicht scheint also nach gelungener innerer Integration die Zeit reif, der normativen Kraft des Faktischen zu folgen und das Konsekutivmodell in der Lehrerausbildung umzusetzen.
Auf den ersten Blick könnte eine solche Auffassung Schützenhilfe aus der Verwendungsforschung erhalten, die auch die Professionalisierung in der Lehrerbildung verändertem Licht erscheinen läßt. Auf der Grundlage ihrer Untersuchungen über die Verwendung sozialwissenschaftlichen Wissens in pädagogischer Praxis gehen Dewe u. a. (1992 b) von einer Unterscheidung zwischen den "Wissensformen" des "wissenschaftlichen Wissens" und des "Handlungswissens" aus. Nach diesem Differenztheorem orientiert sich die Wissensform des wissenschaftlichen Wissens am durch Theorie- und Methodenprogramme kontrollierten Wahrheitskriterium. Dagegen bemißt sich die Wissensform praktischen Handlungswissens am Kriterium der Angemessenheit in der Handhabung von in der Praxis gültigen Regeln im Umgang mit dort bestehenden Handlungsanforderungen. In Anknüpfung an die Unterscheidung von Ryle (1969) geht es um die epistemologische Differenz zwischen "knowing what" (Erklärungswissen) und "knowing how" (Wissen über die Regeln praktischen Handelns).
Eine solche epistemologische Differenz wird für Ausbildungszusammenhänge insoweit relevant, als den unterschiedlichen Wissensformen jeweils eine unterschiedliche Entwicklungslogik unterstellt wird. Die Entwicklung des wissenschaftlichen Wissens geschieht in den Institutionen der Wissenschaft und wird infolgedessen auch an der Hochschule als prominentem Ort der Wissenschaftspflege durch kompetente Vertreter der Wisseoschaft vermittelt. Das Handlungswissen, das für eine kompetente Berufsausübung erforderlich ist, entsteht hingegen in der jeweiligen Berufskultur. Die Regelsysteme sind z. T. durch bürokratisch gesetzte Verordnungen, organisatorische Festlegungen und formale Anweisungshierarchien vorgegeben, in weiten Bereichen aber einem formell nicht geregelten Gestaltungsspielraum überlassen. Die Übernahme dieser Regelsysteme erfolgt nicht durch Beteiligung an wissenschaftlichen Diskursen, sondern in der Ausübung der Praxis, also durch ein "learning by doing". Konformität wird durch die Ausprägung eines berufsspezifischen Habitus gesichert, ggf. mit Hilfe von Unterweisung durch erfahrene Berufspraktiker.
In der Betrachtung von Praxis als Berufskultur läßt sich zwischen der kompetenten Beherrschung der Regeln und dem Wkssen über die Regeln unterscheiden. Zunächst einmal kommt es auf eine kompetente Handhabung der Regeln an, die in den Routinen alltäglicher Handlung gelten. Ihre Befolgung kann auch ohne Bewußtheit ihrer Angemessenheit erfolgen. Handlungswissen hat dann die Form eines impliziten "tacit knowledge" (Polanyi 1986), dessen Explikation bzw. Hebung ins Bewußtsein unter Umständen besonderer Anstrengung der Selbstreflexion bedarf. Über die Angemessenheit der Regeln besteht im allgemeinen ein berufskulturell implizit oder explizit breit geteiltes Selbstverständnis (Radtke 1983). Regelbeherrschung und Selbstverständnis werden im Prozeß der beruflichen Sozialisation erworben bzw. weiterentwickelt.
Professionen unterscheiden sich dadurch von anderen Berufen, daß ihre Angehörigen über beide Wissensformen verfügen. Aus der epistemologischen Differenz folgt, daß die Wissensformen nicht jeweils durch einander ersetzt oder in einander transformierbar sind, gleichwohl innerhalb der Professionen koexistieren. Für Dewe u. a. (1992 b, S. 84) stellt sich die Frage nach der Professionalität als Aufgabe einer "Relationierung" zwischen wissenschaftlichem Wissen und Handlungswissen, ohne die Differenz zwischen den Urteilsformen der Wahrheit einerseits und Angemessenheit andererseits zu verwischen.
Die Attraktivität einer solchen verwendungstheoretischen Sicht des Professionalisierungsproblems für Verfechter des Konsekutivmodells kann nun in der folgenreichen Vereinfachung gesehen werden, aus der epistemologischen Differenz eine phasen- und institutionsspezifische Zuordnung von Ausbildungsaufgaben herzuleiten, die letztlich auf eine Trennung innerer und äußerer Integration hinausläuft.
Die Argumentationskette läßt sich wie folgt zusammenfassen:
Geltungsbereich | Wissenschaft | Praxis |
Wissensformen | wissenschaftliches Wissen | Handlungswissen |
Urteilsformen | Wahrheit | Angemessenheit |
Lernort | Hochschule | Schule in Verbindung mit begleitendem Studienseminar |
Studienstruktur | 1. Phase | 2. Phase |
Bildungsaufgabe | Aneignung von Fachwissen | Einübung in die Regeln der Praxis |
Anleitung durch | Wissenschaftler | Praktiker |
Reformstrategie | innere Integration | äußere Integration |
Die problematische Vereinfachung in dieser Argumentationskette besteht nun darin, daß die Relationierung unbestimmt bleibt, auf die es im Professionswissen bzw. im Prozeß der Professionalisierung ankommt. Man könnte - was in dem vorliegenden Modell nicht weiter ausgeführt wird - diese "Relationierung" auf den Sankt-Nimmerleins-Tag einer dritten Phase verschieben. Die Relationierung von Handlungs- und Wissenschaftswissen geschähe dann erst nach gelungenem Erwerb von Fachwissen und gelungener Einübung in die Regeln der Praxis in einer dritten Phase wissenschaftlicher Weiterbildung. Erst dann würde der Bezug zwischen berufskulturell erworbenem Handlungswissen und hochschulisch erworbenem wissenschaftlichen Wissen hergestellt. Vorteil einer solchen Konstruktion ist es, daß Praktiker mit ausgeprägtem Urteilsvermögen über die angemessene Regelbefolgung in der Praxis und kompetente Wissenschaftler zur Beurteilung der Wahrheit des Wissens zusammentreffen.
Eine solche Konstruktion, die über die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis geleistet würde, liefe darauf hinaus, die Relationierung der Wissensformen diskursfähig zu machen - was ohne Zweifel legitim und sinnvoll erscheint. Die Art und Weise, wie die Relationierung jedoch in der Person des professionals stattfindet, bleibt im Dunkel. Das Konsekutivmodell jedenfalls beläßt es dabei. In ihm bleibt die Relationierung der Wissensform als Aufgabe der Lehrerbildung ausgeklammert. Unter den Bedingungen der institutionellen und studienorganisatorischen Trennung der Phasen läßt sie sich lernorganisatorisch und didaktisch nur schwer in Angriff nehmen. Wie die Relationierung erfolgt bzw. wie gelernt wird, Relationen herzustellen, bleibt dem individuellen Vermögen des einzelnen Studierenden überlassen.
Wie freilich wissenschaftliches Wissen und Handlungswissen in der Lehrerbildung aufeinander bezogen werden können, dafür liefern die bisherigen Ausführungen bestenfalls einen kategorialen Rahmen. Immerhin legt die verwendungstheoretische Unterscheidung der Wissensformen des wissenschaftlichen Wissens und des Handlungswissens eine Abkehr von einer wissenschaftszentristischen Sicht der Professionalisierungsprozesse nahe. Unangemessen erscheint es jedenfalls, in naiv-technokratischem Expertenverständnis die Relationierung als Transfer von Beständen wissenschaftlichen Wissens zu konzipieren, die lediglich an die Steile des Handlungswissens treten, oder sie als Transformation von Wissenschaftswissen in Handlungswissen zu interpretieren. Solche negativen Abgrenzungen geben allerdings keine Antwort auf die Frage, was denn in der Lehrerbildung zu tun sei. Auch der Hinweis von Dewe u. a. (1992 b, S. 78 f.), die Relationierung könne aus konstruktivistischer Sicht als "Resonanz" der als systemisch organisiert und ausdifferenziert verstandenen Wissensformen interpretiert werden, ist für hochschuldidaktische Konsequenzen so lange unergiebig, wie ungeklärt bleibt, wie Resonanz der Lehrerbildung erzeugt werden und sich in Lehr- bzw. Lernprozessen niederschlagen kann.
Für eine Hochschuldidaktik der Lehrerbildung müssen die Forschungen über Lehrerprofessionalität, aus der sich zwar vielfältige Anregungen ergeben mögen, durch lehrerbildungsbezogene Forschung und Entwicklung ergänzt werden. Mindestens solange diese noch am Anfang steht, sollte der Gestaltungsspielraum dafür offengehalten werden, wissenschaftliches Wissen und Handlungswissen in der Lehrerbildung in Beziehung zu setzen. Das Konsekutivmodell, in dem das Studium des wissenschaftlichen Wissens von dem des Handlungswissens getrennt wird, würde diesen Spielraum abschneiden. Hochschuldidaktische Erwägungen sprechen dafür, daß sich die Lehrerbildung damit Chancen zur Herstellung produktiver Lehr- bzw. Lerngelegenheiten vergäbe, pädagogisch-relevantes Handlungswissen sowohl am Lernort Hochschule (im Zusammenhang mit wissenschaftlichem Wissen) wie auch am Lernort Schule zu gewinnen.
Allerdings ist es dazu erforderlich, das "tacit knowledge" des "know how", wie es an beiden Lernorten wirksam ist, zur Sprache zu bringen. Wenn dies gelingt, wird eine Voraussetzung geschaffen, pädagogisches Handlungswissen in Relation zu wissenschaftlichem Wissen zu bringen. Die epistemologische Differenz der Wissensformen wird damit nicht aufgehoben, wohl aber ein hochschuldidaktisches Arrangement von Lernbedingungen geschaffen, in dem die Bildung von Relationen gelernt werden kann.
(Hochschul-)didaktische Aspekte des Professionalisierungsprozesses
Die Argumentation ist mithin wieder an ihrem Ausgangspunkt angelangt, an dem unterstellt wird, daß der Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Praxis durch das Nadelöhr der Lehrerbildung gefädelt werden muß. An dieser Stelle setzt der hochschuldidaktische Diskurs ein. Dieser Diskurs arbeitet sich zwar an dem Zusammenhang von Wissenschaft und Praxis ab, erweitert diese zweistellige Relation jedoch auf das Dreieck von Wissenschaft, Praxis und Person (Huber 1983). Lehre und Studium operieren genau im Spannungsfeld dieser Bezugssysteme - und zwar so, daß Arrangements von Bedingungen entstehen, in denen Lernprozesse verlaufen.
Die folgenden Überlegungen zeigen auf, inwiefern auch am Lernort Hochschule Handlungswissen auffindbar ist bzw. entsteht und zum Lerngegenstand werden kann.
Die (hochschul-)didaktische Hochschulforschung hat herausgearbeitet, daß die Hochschule als prominente Institution zur Kultivierung des wissenschaftlichen Wissens nicht weniger als andere Berufskulturen selbst als gesellschaftliche Sub- bzw. Teilkultur gesehen werden kann. Vom Standpunkt einer "Logik der Praxis" (Bourdieu 1987, S. 147ff.) läßt sich diese Kultur wie andere Kulturen im Hinblick auf für sie konstitutive Regeln bzw. Regelsysteme beschreiben, nach denen sich das soziale Handeln vollzieht. Diese Regelsysteme finden sich in den Denk-, Wahrnehmungs- und Verhaltensmustern der Angehörigen dieser Berufskultur als Habitus wieder.
Der ethnologisch geschulte Blick einer hochschuldidaktisch interessierten Hochschulforschung lenkt das Augenmerk auf die Hervorbringung des Habitus in der Hochschule als Ort von Lehre und Studium. Im Zusammenhang mit einer Betrachtung von Professionalisierung durch Lehrerbildung interessiert dabei insbesondere, das "knowing how" zu lehren und zu lernen. Genau dies liegt aber im blinden Fleck des Selbstverständnisses von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an der Hochschule (vgl. Wildt 1991 a).
Im Mittelpunkt der Hochschulsozialisationsforschung steht die Beobachtung, daß an Hochschulen nicht nur die mehr oder weniger kompetente Aneignung von wissenschaftlichem Wissen vorkommt. Der Prozeß der Sozialisation findet gleichzeitig als Habitualisierung der Regeln der Praxis statt. Soziales Handeln im weiteren Sinne wird also mitsamt der Grammatik von Denk-, Wahrnehmungs- und Verhaltensmustern gelernt, die dieses hervorbringen (Huber 1991). Unschwer wird man in dieser Argumentationsfigur mit etwas veränderter Terminologie den heimlichen Lehrplan wiederentdecken, der auch an Hochschulen wirkt und Handlungswissen als "tacit knowledge" erzeugt. (3)
Allerdings bleibt auch diese Argumentation noch im Rahmen der Hochschule - auch wenn sie die dort vorfindliche Praxis einschließt - und wäre mit dem Konsekutivmodell verträglich. Weitere Hinweise erlaubt die Frage nach dem zugrundeliegenden Biographiekonzept. Ein phasenstrukturiertes Biographiekonzept (das das Konsekutivmodell ja als soziale Konstruktion vorgibt) hatte zwar - möglicherweise - in neuhumanistischen Bildungstraditionen Berechtigung, wird jedoch heute beobachtbaren Biographiekonstruktionen von Studierenden nicht mehr gerecht.
Die neuhumanistische Konstruktion ging von dem Dreischritt einer mit der "Reifeprüfung" grundsätzlich erfolgten allgemeinen Bildung über die im Studium stattfindende "Bildung durch Wissenschaft" zu seiner "berufspraktischen Unterweisung" im Referendariat aus. Analysen zum Wandel der Studentenrolle könnten als Hinweis darauf genommen werden, daß solche Konstruktionen die heute vorfindlichen Sozialisationsmuster von Studierenden nur noch teilweise zutreffend beschreiben.
Tatsächlich findet sich unter den heutigen Studierenden eine Vielfalt von Biographiekonstruktionen, die durch gleichzeitige und in der Abfolge ganz heterogene Beteiligung an einer Vielzahl von "Subkulturen" gekennzeichnet ist. Neben der Integration in die regionale Herkunftskultur, dem Leben in sozialen Bezügen von peers und Partnerschaften außerhalb des Kommilitonenkreises, einer Fülle von Auslandsaufenthalten und Jobs vor, neben oder zwischen dem Studium kann "Studium" zur "Nebensache" werden (Huber/Wolff 1989). Die simultane Teilhabe an einer Vielzahl von Subkulturen mit heterogenen Praxen und Selbstverständnissen, die zu einer "Patchwork"-Identität (Keupp 1988) zusammengefügt werden, erscheint heute als Normalfall. Versuche, die Bildungsbiographien nach neuhumanistischen Mustern zu normieren, wirken dagegen eher realitätsfern. Statt die Teilhabe an der Wissenschaft und der pädagogischen Praxis rigide voneinander zu trennen, liegt es vielmehr nahe, vielfältige Lernwege zwischen diesen Kulturen zu öffnen. Für die Lehrerbildung stellt sich dabei die Bildungsaufgabe, den Eigensinn der Regeln und Selbstverständnisse in diesen Subkulturen mit ihren unterschiedlichen Wissensformen nicht in Frage zu stellen, sondern in Lehr- bzw. Lernprozessen ausdrücklich aufeinander zu beziehen.
Daß ganz unterschiedliche Lernwege im Wechsel zwischen diesen Kulturen vorkommen können, läßt sich an krisenhaften Studienbiographien aufweisen (Sturzenhecker 1993). Die Kulturen durch das Konsekutivmodell auseinanderzudividieren, mag zwar Krisen verdecken, die aus einem nicht bewältigten Aufeinandertreffen von Wissenschaft und Praxis entstehen. Damit würden aber auch Chancen verspielt, mit Perspektivenwechseln aus "interkulturellen" Erfahrungen produktive Lernprozesse in Gang zu setzen (Wildt 1991 b).
Lerngelegenheiten für reflexives Lernen in Wissenschaft und Praxis
Bis zu diesem Punkt sind freilich nur Vorüberlegungen zu einem hochschuldidaktischen Programm dargelegt worden. Sie zeigen, daß an der Hochschule nicht nur wissenschaftliches Wissen, sondern auch Handlungswissen erworben wird. Im übrigen würde man ebenso zeigen können, daß es in den Studienseminaren nicht nur um "knowing how", sondern auch um "knowing what" geht. Dies legt jedenfalls die häufige Klage von Seminar- und Fachleitern nahe, daß "Theorie nachgeschoben" werden müsse. Ein solches Programm müßte dann schon mehr leisten, als einerseits in der Hochschule Aussagen über pädagogische Tatbestände mit Hilfe theoretischer bzw. methodischer Programme auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu beurteilen und Praxiserfahrung nach diesen Gesichtspunkten zu interpretieren oder andererseits in der Praxis Regelbeherrschung einzuüben. Professionalisierung müßte vielmehr in Lernarrangements erfolgen, in denen gelernt wird zu unterscheiden, was als "wahr" und was als "angemessen" gilt. Ein solches Unterscheidungsvermögen will gelernt sein. Ein Weg dahin führt über die Reflexion der Relation zwischen beiden Wissensformen.
Die Hochschuldidaktik verfügt zur Zeit über keine ausgearbeiteten Programme für solche reflexiven Lernprozesse. Dennoch scheint es mindestens möglich, einige Lern-gelegenheiten aufzuzeigen bzw. auszugestalten, in denen Praxiserfahrungen zur Sprache gebracht und auf wissenschaftliches Wissen beziehbar werden.
- Darauf, Praxiserfahrungen zur Sprache zu bringen, stellen Verfahren praxisbegleitender Beratung bzw. Supervision (Fatzer/Eck 1990; Pallasch 1993) in Berufen mit stark interaktionszentriertem Klientelbezug ab. Ihnen ist gemeinsam, daß sie Wahrnehmungen von Praxis zum Thema machen und Kommunikation über diese Wahrnehmungen in Gang setzen. Sie unterscheiden sich dadurch, wie dieser Kommunikationsprozeß strukturiert wird.
Prototypisch ist z. B. das Grundmuster der "kollegialen Fallberatung" (vgl. Gudjons 1983, S. 138ff.). Eine solche Beratung verläuft in der Regel so, daß ein Mitglied einer kollegialen Gruppe über einen erlebten Fall aus der eigenen Praxis erzählt. In einer Nachfragephase hat die Gruppe Gelegenheit, ihr Bild von dem erzählten Fall zu vervollständigen. Zunächst steht dabei die Sicht des Falles aus der Perspektive der Erzählenden im Mittelpunkt. Erst dann wird dazu übergegangen, den Fall im Spiegel der Gruppe zu betrachten. Es wird dabei geprüft, welche Bedeutung das Verständnis des Falles übrigen Gruppenmitglieder besitzt, die als im selben bzw. vergleichbaren Praxisfeld Tätige über vergleichbare Erfahrungen verfügen. Erst in einem weiteren Schritt wird dann versucht, die zur Sprache gebrachten Erfahrungen generalisierend zu deuten, um abschließend zu erörtern, welche Handlungsalternativen gesehen werden und wie diese im Hinblick auf ihre Angemessenheit von den Beteiligten beurteilt werden. Auf dieser letzten Stufe besteht dann die Möglichkeit, Handlungs- und wissenschaftliches Wissen in Bezug zu setzen sowie beide Urteilsformen aufeinander zu beziehen, ohne sie miteinander zu vermischen.
Das geschilderte Verfahren wurde für die Praxisbegleitung Berufstätiger konzipiert. Letztere gelten als professionelle Experten und damit selbstverantwortlich für ihre Praxis. Die Kollegialität erfordert nichthierarchische Kommunikationsbeziehungen. Die Beratungssituation sollte deshalb frei von beruflicher Weisung sein. Ein Supervisor kann durch geeignete Moderation der Kommunikation und Deutungsangebote den Blick für eine veränderte Sicht der Praxis und neue Handlungsmöglichkeiten zwar öffnen, nicht aber verordnen.
Ausbildungsbeziehungen sind hingegen in der Regel hierarchisch strukturiert. Dies gilt jedoch für die zweite Phase der Lehrerausbildung sehr viel ausgeprägter als für die erste Phase. Praxisphasen im Studium, in denen von einer Bewertung Abstand genommen wird, bieten insoweit relativ günstige Voraussetzungen.
- Erzählungen über erlebte Praxis weisen einen Weg, der zum Handlungswissen führt. Gegenstand von Praxisberatung kann jedoch auch die ausgeübte Praxis unmittelbar sein. Im Unterschied zum Unterrichtsbesuch, bei dem üblicherweise eine Bewertung der Angemessenheit einer vorgezeigten Praxis vorgenommen wird, können dabei jedoch auch die geschilderten Verfahren zum Einsatz kommen. An Stelle der Beurteilung sollte die Beachtung von Regeln des Feedbacks treten (Wildt 1995). Im übrigen kann auch hier der Gruppenvorteil einer "kollegialen" Beratung genutzt werden, wenn teilnehmende Beobachter, die sich ebenfalls in der Ausbildungssituation befinden, ins Verfahren einbezogen werden.
Es kommt also auch hier nicht darauf an, daß eine Praxisausübung reflektiert wird, die auf langjähriger Berufserfahrung beruht. Vielmehr kann es gerade für Novizen von Bedeutung sein, sich bewußt zumachen, wie sie in der Praxis mit mitgebrachtem Handlungswissen operieren, um sich im Lichte von Expertenwissen neue Handlungsmöglichkeiten zu erschließen.
- Ein Problem bei der Bearbeitung von Erfahrungen aus der (beruflichen) Praxis besteht in der Komplexität der ablaufenden Prozesse. Ein probates Mittel der Komplexitätsreduktion bieten Simulationsmethoden (Schmithals/Wildt 1995). Das Formenspektrum reicht von einem einfachen Rollenspiel zu Interaktionssituationen der Praxis über das Nachstellen von für signifikant gehaltenen Situationen in stummen Bildern bis hin zur psychodramatischen Wiederbelebung von Szenen bzw. Szenenfolgen.
- In die Ausübung einer Praxis wird Handlungswissen aus vorgängigen Erfahrungen mitgebracht. Lernen in der Praxis geschieht im günstigen Fall als Erweiterung des vorhandenen Handlungsrepertoires. Das verfügbare Repertoire wird in seiner in der Praxis wirksamen Form allerdings erst aus der gesamten Lerngeschichte heraus verständlich. Biographische Methoden (Burow 1994; Gudjons u. a. 1992) eignen sich dazu, sich auf dem Wege der Selbstreflexion Zugänge zu in der eigenen Lerngeschichte erworbenem Handlungswissen zu verschaffen.
- Die bislang skizzierten Methoden werden in erster Linie auf Erfahrungen in außerhochschulischen Praxisfeldern als den Orten angewendet, an denen professionelle Leistungen zu erbringen sind. Die biographische Sicht führt jedoch wieder zum Lernort Hochschule zurück. Die dort vorfindliche Praxis kann ebenfalls mit dem angesprochenen Methodenrepertoire zum Gegenstand reflexiven Lernens werden. Produktiv erscheinen insbesondere Situationen, in denen die Studierenden Lehrerfahrungen machen, d. h. Lernarrangements für andere gestalten (z. B. Tutorien). Hinzu kommen Situationen in Lehrveranstaltungen, wie z.B. das Halten von Referaten. Die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung dieser "Lehrtätigkeit" geschieht in der Regel lediglich unter dem Gesichtspunkt der korrekten Präsentation des Wissens nach wissenschaftlichen Kriterien, nicht jedoch unter didaktischen Gesichtspunkten. Auch in solchen Situationen kommt didaktisches Handlungswissen zum Zuge und wird reflektierbar (Bromme/Rambow 1993).
- Pädagogisches Handlungswissen wird nicht nur in der Tätigkeit des Lehrens, sondern auch in Erfahrungen eigenen Lernens in didaktisch arrangierten Situationen erworben. Um zu lernen, dieses Handlungswissen als "knowing how" zur Sprache zu bringen, ist es nützlich, die didaktische Reflexion zum Bestandteil der Hochschullehre zu machen - mindestens für die Professionen, die selbst mit dem Arrangement von Lernbedingungen zu tun haben. Im didaktischen Arrangement von Lernbedingungen in Lehre und Studium sollte also eine metakommunikative Verständigung, nicht nur über was, sondern auch darüber, wie gelernt wird, erzielt werden. Anfangen läßt sich dabei in erziehungswissenschaftlichen bzw. didaktischen Veranstaltungen, in denen in systematischer Form beide Perspektiven aufeinander bezogen werden. Viele Themen der Schulpädagogik lassen sich beispielsweise nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs behandeln, sondern in vielerlei Varianten in der konkreten Lehrpraxis praktisch demonstrieren.Das erfordert allerdings neue Veranstaltungskonzepte.
- Solche didaktischen Überlegungen müssen freilich nicht auf die Bereiche eingeschränkt werden, in denen eine Affinität oder sogar eine Isomorphie zwischen Thema und Praxis hergestellt werden kann. Insgesamt dürfte eine Lehrkultur, in der aktives Lernen gefördert wird, auch reflexivem Lernen zugute kommen, ja letzteres in gewissem Umfang voraussetzen. Der didaktische Diskurs bricht dann nicht einfach bei der Präsentation des wissenschaftlichen Wissens ab und überläßt die Aneignung dieses Wissens zwecks Vorzeigen in der Prüfung der Beliebigkeit des Lernverhaltens. Die Freiheit des Studiums wird also nicht in ein didaktisches Laissez-faire umgewandelt; vielmehr wird das "knowing how" des Lernens als eigenverantwortlichem, zielgerichtetem und methodisch angelegtem Arbeitsprozeß zum Thema von "Studieren Lernen" (Wildt 1994).
Ansatzpunkte für eine Integration der Lernorte Schule und Hochschule in einem dualen System der Lehrerbildung
Mit dem Aufspüren von Gelegenheiten für reflexives Lernen läßt sich auf der didaktischen Ebene ein Zugang öffnen, Lehrerbildung an Wissenschaft und zugleich an pädagogische Praxis - in Schule wie Hochschule - anzuschließen. Produktiv scheint es insbesondere, beide Lernorte in einer Lernorganisation zu integrieren. Einmal mehr sei in diesem Zusammenhang an das Konzept des Projektstudiums erinnert. Es läßt sich zeigen, daß mit Hilfe entsprechender Lerngelegenheiten, insbesondere durch geeignete Gestaltung hochschulischer Lernsituationen und praxisbegleitende Beratung, die Didaktik des Projektstudiums qualitativ weiterentwickelt werden kann (Wildt/Wildt 1994). Auch Lernorganisationen wie das integrierte Eingangssemester Primarstufe (IEP) enthalten zahlreiche Anlässe, Lerngelegenheiten, die sich in Schule und Hochschule ergeben, in ihren wechselseitigen Bezügen für reflexives Lernen zu nutzen.
Noch so stringent ausgearbeitete Konzepte zum Arrangement von Lernbedingungen, die sich auf die didaktische und lernorganisatorische Ebene beschränken, dürften jedoch kaum hinreichen, den aufgezeigten Trend einer Trennung zwischen äußerer und innerer Seite der Integration umzukehren. Die immensen Kraftanstrengungen, die erforderlich sind, um solche Konzepte gegen diesen Trend praktisch umzusetzen, lassen sich nicht wegdiskutieren. Es bedarf deshalb einer Einbettung solcher Konzepte in ein geeignetes Bedingungsgefüge auch auf der institutionellen und studienorganisatorischen Ebene.
In diesem Zusammenhang können einige Hinweise auf Möglichkeiten einer Integration der Lernorte Schule und Hochschule in einem dualen System der Lehrerbildung weiterhelfen. Mit der Formel vom dualen System soll dem Umstand Rechnung getragen werden, daß beide Lernorte durchaus spezifische Funktionen besitzen. Diese Funktionen können eine institutionelle und studienorganisatorische Eigenständigkeit der Lehrerbildung begründen, soweit sie sich dort jeweils abspielt. So wird in den Überlegungen zum reflexiven Lernen nicht in Abrede gestellt, daß Hochschulen privilegierte Orte für Studium und Lehre der Wissenschaften darstellen, ebenso wie die Einübung in die Praxis zweckmäßigerweise (wenn auch nicht wie gesehen ausschließlich) in Schulen erfolgt.
Beide Lernorte jedoch im Sinne des Konsekutivmodells durchgängig zu trennen, um die erste Phase auf die Integration in die Wissenschaften, die zweite Phase auf die Integration in der Praxis zu reduzieren, würde mannigfaltige Chancen für reflexive Lernprozesse verschenken. Zweckmäßiger erschiene es - unter Wahrung institutioneller Eigenständigkeit -‚ die Institutionen, die heute Lehrerbildung an den jeweiligen Lernorten organisieren, in einer stabilen Kooperationsstruktur zusammenzubinden, also insbesondere die Institution der ersten und zweiten Phase institutionell stärker zu verzahnen. Angestrebt würde also nicht die Rückkehr zur einphasigen Lehrerausbildung, die die institutionelle Integration als Auflösung der Studienseminare in die Hochschulen vollzog, um letzteren dann das Geschäft auch der Einübung in die Praxis zuzuordnen. Eine solche institutionelle Infrastruktur hätte vielmehr eine Studienorganisation abzusichern, die auf einer Mittellinie zwischen radikalen konsekutiven und einphasigen Modellen läge. Zu ihren Aufgaben würde es z.B. gehören, neben von Hochschule oder Studienseminaren verantworteten Veranstaltungen kooperative LehrLern-Kontexte zu schaffen. Projekte oder Veranstaltungsverbünde könnten also ebenso in der Verantwortung der Hochschule bleiben wie auch ganz oder teilweise auch von Studienseminaren federführend organisiert bzw. in Zusammenarbeit von Personal beider Einrichtungen durchgeführt werden.
Besonders interessant wäre eine phasenversetzten Integration von Praxis ins Studium. Nach einer praxisintegrierenden Eingangsphase würde z.B. in der Studienmitte eine ausgedehnte Praxisphase eingelagert werden. Entlastet vom Druck des Referendariats, praktisches Können vorzeigen zu müssen, könnte diese Phase als ein Raum zum Experimentieren und zur Reflexion von Erfahrungen in der Praxis genutzt werden. (4) Im übrigen wären von da aus nicht unerhebliche Rückwirkungen auf das weitere Studium zu erwarten, etwas was die Anlage weiterer Studienschwerpunkte auch fachübergreifender Art oder der Anfertigung praxisbezogener Abschlußarbeiten angeht.
Die Figur einer phasenversetzten Integration von Praxis ins Studium läßt sich darüber hinaus auch mit Konzepten einer erweiterten Professionalisierung verbinden. Zu integrieren wären in diesem Fall Stationen an außerschulischen Praxiseinrichtungen. Diese wiederum könnten im Verbund mit Studien an der Hochschule stehen.
Eine solche Studienstruktur würde es allerdings auch nicht ausschließen, daß innerhalb eines Lehramtsstudiengangs ganze Abschnitte für ein klassisches wissenschaftliches Studium offenstehen, das frei von einer Bindung der Reflexion an das Kriterium praktischer Angemessenheit bleibt und sich der "Wahrheitssuche" ganz im Sinne einer "Bildung durch Wissenschaft" verschreibt.
Anmerkungen
1. Eine ausführlichere Fassung dieses Beitrages (Wildt 1996) ist enthalten in: Hänsel/Huber 1996
2. Zur Diskussion über Professionalität in pädagogischen Berufen vgl. Alisch u. a. 1990; Dewe u. a. 1992a; Schwänke 1988; Terhart 1994.
3. Die Integration der Lehrerbildung in die Universitäten folgt auf der didaktischen Ebene dem "mainstream" der an den Universitäten vorherrschenden Lehrkultur. Diese Lehrkultur ist durch eine spezifische Form der Wissensvermittlung bestimmt. In deren Zentrum steht die Präsentation von nach wissenschaftlichen Theorien und Methodenprogrammen entwickeltem bzw. geprüftem Wissen. Praktische Erfahrungen werden bestenfalls zum Anlaß oder Ausgangspunkt wissenschaftlicher Diskurse. Deren Argumentationsmuster folgen innerwissenschaftlicher Logik. Zum Kern universitären Selbstverständnisses gehört es, daß die Qualität der Lehre an der Korrektheit in der Präsentation der wissenschaftlichen Argumentation gemessen wird. Eine didaktische Reflexion bricht an dieser Stelle regelmäßig ab (Wildt 1991 a). Daß auch hochschulische Lehrveranstaltungen als Spielart pädagogischer Praxis betrachtet werden können, kommt deshalb meist gar nicht erst in den Blick.
4. Solche ins Studium eingelagerten Praxisphasen böten den Rahmen für "forschendes Lernen" und für (Selbst-)Erfahrung, die allerdings in geeigneter Weise zur Sprache zu bringen wäre.
Literatur
Abels, H./Priebe, L.: Faszination oder mehr Kompetenz? Das Konsekutivmodell und die Schulpraxis. In: Deutsche Universitätszeitung, 1984.
Alisch, L.M. /Baumert, J./Beck, K. (Hrsg.): Professionswissen und Professionalisierung (Braunschweiger Studien zur Erziehungs- und Sozialarbeitswissenschaft, Band 28). Braunschweig 1990.
Bayer, M. /Habel, W./Homfeldt, H.-J./Wildt, J. (Kommission Schulpädagogik/Lehrerausbildung): Zwölf Thesen zur Neukonzeption der Lehrerausbildung in den 90er Jahren. In: Erziehungswissenschaften 1/1990.
Bourdieu, P.: Sozialer Sinn. Frankfurt a. M. 1987.
Bromme, R./Rambow, R.: Verbesserung der mündlichen Präsentation von Referaten: Ein Ausbildungsziel und zugleich ein Beitrag zur Qualität der Lehre. In: Das Hochschulwesen 41, 1993/6..
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KeyWords: Lehrerbildung, Lehrerausbildung, Reflexives Lernen, Handlungswissen, wissenschaftliches Wissen, Professionalisierung, Praxisorientierung, Wissenschaftsorientierung, Lehramtsausbildung, Konsekutivmodell