Vom Umgang mit der AfD im (Politik-)Unterricht. Wie sollen sich (Politik-)Lehrer/innen bezüglich der AfD im Unterricht verhalten?
Verschiedene Vorfälle, die unlängst für mediale Aufmerksamkeit gesorgt haben, geben Anlass, sich dieser Frage zu widmen. So hat etwa die AfD Hamburg vor, eine Online-Plattform einzurichten, auf der Schüler/innen Lehrkräfte melden sollen, die durch „Hetze, Stimmungsmache und Falschbehauptungen“ (AfD Fraktion Hamburg 2018) gegenüber der AfD aufgefallen seien. Solche Lehrkräfte – so wird behauptet – „verstoßen dabei gegen das Neutralitätsgebot“ (ebda.), weswegen sie, wie auch immer, zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Der schulpolitische Sprecher der AfD in der Hamburgischen Bürgerschaft, Alexander Wolf, lässt sich dahingehend zitieren, es gäbe „unter den Hamburger Lehrern und Mitarbeitern der Schulbehörde immer wieder verblendete Ideologen, die politische Bildung mit politischer Indoktrination verwechseln“ (ebda.). Illustriert wird der Text mit einem Tafelbild, auf dem sich der ausgestreckte Arm mitsamt Zeigefinger eines solchen vermeintlich ideologisierten Pädagogen findet. Er verweist auf einen in Rot gehaltenen Tafelanschrieb: „Liebe Schülerinnen und Schüler, die AfD ist rechtsextrem, frauenfeindlich, islamophob, homophob und ewiggestrig! Merkt Euch das und schreibt es Euch hinter die Ohren!!!“ (ebda.). Wie man mit solchen „verblendeten Ideologen“ umgehen soll, illustriert der Fall eines Oberschullehrers aus Bremen. Ihm wird vorgeworfen, ein fremdenfeindliches Statement eines AfD-Lokalpolitikers im Unterricht thematisiert zu haben, woraufhin dieser von den staatlichen Schulbehörden eine dienstrechtliche Überprüfung des besagten Lehrers verlangte (vgl. TAZ 2018). In einer Großen Anfrage an den Hamburger Senat spricht die AfD gar von „konkreten oder mutmaßlichen Verstößen gegen die Verpflichtung zur politischen Neutralität“ und „gegen den Beutelsbacher Konsens“ (ze.tt 2018). Es ist nun spannend zu sehen, wie die AfD hier die beiden Kernprinzipien dieses Minimalkonsenses – das Indoktrinationsverbot und das Kontroversitätsgebot – interpretieren: Zurecht leitet sie ein Neutralitätsgebot in dem Sinne ab, dass sich die Lehrpersonen nicht zu parteiischen Schiedsrichter erheben und keine parteipolitische Position im Unterricht präferieren oder gar dafür Werbung machen dürfen. Die von der AfD eingeforderte „Neutralitätspflicht“ wird jedoch bewusst dahingehend gedeutet, dass eine Lehrkraft gleichsam zum politischen Eunuchentum und zum Verzicht auf eigene Stellungnahme und Wertung verurteilt sein soll. Astrid Hoffmann hat hier klare Worte gefunden, indem sie auf die Fehlannahme hinwies, dass „politische Neutralität überhaupt möglich ist“ (Hoffmann 2017, S. 202). Stattdessen fordert sie zurecht, dass Lehrkräfte „mit transparenten politischen Standpunkten fungieren und damit eine Vorbildfunktion ausüben“ (ebda, S. 202) sollten, solange sie klar machen, dass ihre Betrachtungsweise „nur eine von vielen legitimen Positionen darstellt“ (ebda, S. 202). Das bedeutet konkret, dass in einem Politikunterricht, in dem es um Migrationspolitik geht, das Spektrum der parteipolitischen Standpunkte von der „Offenen-Grenze-Position“ der Linken bis zur „Geschlossenen-Tür-Haltung“ der AfD so dargestellt werden müssen, dass sie für die Lernenden nachvollziehbar und abwägend analysierbar sind und sie so zu einem eigenständigen Urteil kommen können. Und dies muss in einer Atmosphäre der Angstfreiheit geschehen, so dass Lernende – was in der Praxis leider nicht immer der Fall ist - ihren eigenen Standpunkt gerade dann ohne Furcht vor Abstrafung einnehmen können, wenn ihr politisches Urteil von dem der Lehrkraft abweicht oder ihm gar diametral gegenübersteht. Zugleich muss eine Lehrkraft im Unterricht ihre eigene Position jedoch deutlich machen können, etwa dass sie die migrationspolitische Haltung der AfD nicht teilt oder gar intensiv ablehnt. Das ist keine Verletzung des Neutralitätsgebots, solange diese Sichtweise nicht absolut gesetzt wird und andere Wertungen durch Lernende keinerlei Nachteile mit sich bringen. Wenn die AfD dagegen, wie in der Großen Anfrage an den Hamburger Senat, wieder und wieder von „Verstößen gegen die Verpflichtung zur politischen Neutralität“ und vom „Gebot der politischen Neutralität“ redet, dann meint sie damit, dass es Lehrkräften verboten sein müsste, ihre AfD-ablehnende Haltung klar auszusprechen. Diese rigide Maulkorb-Position ist symptomatisch für die AfD. Es lässt sich wohlbegründet annehmen, dass die AfD – einmal in der Regierung, etwa in einem Bundesland – alles daransetzen würde, dass in den dortigen Schulen auch nicht die kleinste Krittelei ihr gegenüber vorkommt. Nicht nur, dass die AfD den Beutelsbacher Konsens und das Neutralitätsgebot missverstehen will und instrumentalisiert, ist das Problematische. Viel schlimmer ist, dass sie in keiner Weise verstanden hat, dass Lehrkräfte in demokratischen Schulen eben keineswegs neutral sein dürfen gegenüber dem Geist und dem Inhalt unserer Verfassung. Sie sind – nicht nur über den Amtseid, in dem sie schwören, das Grundgesetz und somit die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu achten und zu verteidigen – stetig dazu verpflichtet wahrzunehmen, welche grundgesetzwidrigen und demokratiegefährdende Entwicklungen sich abzeichnen und diese im Unterricht auch deutlich beim Namen zu nennen. Demokratisch gesonnene Lehrkräfte müssen immer den achtsamen Blick auf die politischen Verhältnisse, also auch gegenüber allen Parteien wahren und mit den Lernenden zusammen die Fragen erörtern, wo die Grenzen des Grundgesetzes ausgetestet oder gar überschritten werden. Das endet aber nicht nur dort, wo klar verfassungswidrige Gesinnungen benannt und gebrandmarkt werden müssen, wie etwa bei der NPD. Politische Bildung – und sie wäre keine politische Bildung in der Demokratie, wenn sie unkritisch wäre – darf sich nicht scheuen, in Lernprozessen den Blick der Lernenden zu schulen, um eigenständig Bedrohungen von demokratisch Erreichtem zu erkennen, Demokratiedefizite zu analysieren und entsprechend darauf zu reagieren. Dieser prüfende und immer argwöhnische Blick darf natürlich nicht bei der AfD Halt machen, sondern muss sich selbstverständlich auch auf die Politik und die Positionen anderer Parteien beziehen. Auch darf er nicht stehen bleiben, wo es um Regierungspolitik geht. So ist es keinerlei Verstoß gegen eine Neutralitätspflicht, wenn Lehrkräfte ihre Schüler/innen schulen, etwa die Rüstungspolitik der Bundesrepublik so kritisch wie möglich zu betrachten. Dass dabei nicht nur die Perspektiven zu Wort kommen dürfen, die die gegenwärtige Rüstungspolitik scharf ablehnen, ergibt sich klar aus dem Kontroversitätsgebot. Dieses gilt jedoch nicht, wo es sich um eindeutige Grenzverletzungen des demokratischen Grundverständnisses handelt. Wenn in der AfD Anschauungen geäußert werden, die eindeutig als rassistisch zu bezeichnen sind (etwa „Kameltreiber“) oder solche, die den Holocaust bagatellisieren („Denkmal der Schande“, „Vogelschiss“), dann gilt das Kontroversitätsgebot eben nicht. Es gilt dann nicht, dass man in einer solchen Sache eben dieser oder jener Ansicht sein kann. Demokratische Lehrkräfte müssen in solchen Fällen in der Schule klar Position beziehen und rassistische und völkische Tabubrüche scharf an den Pranger stellen. Lehrer/innen haben in Fällen der Grenzüberschreitung von zivilisatorischen Standards also nicht nur das Recht, sondern geradezu die Pflicht, klar zugunsten des Grundgesetzes Stellung zu nehmen und sich nicht auf ein Neutralitäts- oder Mäßigungsgebot zu beziehen. Wer Gaulands „Vogelschiss“ in der Schule als das bezeichnet, was es ist, nämlich eine radikale Verharmlosung des Holocaust, macht sich gerade nicht der Indoktrination schuldig, sondern verteidigt demokratische Werte. Die viel beschworene wehrbereite Demokratie lebt also auch und gerade von Lehrkräften, die sich von Androhungen der AfD, anschwärzende Meldeplattformen einzurichten, nicht abhalten lassen, Demokratie schützenden (Politik-)Unterricht zu halten. Fast möchte man den Schulbehörden den Rat geben, diejenigen Pädagogen als zivilcouragiert und sich für demokratische Werte einsetzend auszuzeichnen, die es auf diese Denunziations-Listen geschafft haben.
(Leicht abgeänderte Fassung eines Gastbeitrags für die Frankfurter Rundschau vom 16. Juli 2018)
Literatur:
- AfD Fraktion Hamburg 2018 = AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft (2018): Interaktive Plattform gegen Anti-AfD-Hetze in den Schulen geplant / Wolf: „Verblendete Ideologen unter den Lehrern lassen wir uns nicht mehr gefallen“. Online verfügbar unter: https://afd-fraktion-hamburg.de/2018/05/28/interaktive-plattform-gegen-anti-afd-hetze-in-den-schulen-geplant-wolf-verblendete-ideologen-unter-den-lehrern-lassen-wir-uns-nicht-mehr-gefallen/ (Stand: 28.06.2018)
- Hoffmann, Astrid (2016): Plädoyer für politisch nicht-neutrale Lehrende und die Förderung realen politischen Handelns, in: Widmaier, Benedikt (Hg.): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens?, Schwalbach/Ts. 2016. S. 202
- TAZ 2018 = taz Verlags u. Vertriebs GmbH 2018: Antirassismus im Unterricht. AfD schwärzt Bremer Lehrer an. Online verfügbar unter: http://www.taz.de/Antirassismus-im-Unterricht/!5507848/ (Stand: 28.06.2018)
- ze.tt 2018 = ze.tt GmbH 2018: Die AfD fordert Schüler*innen auf, parteikritische Lehrende zu melden. Online verfügbar unter: https://ze.tt/afd-lehrerverband-meldeplattform-neutralitaet-hamburg/ (Stand: 28.06.2018)