Der Verrat der Schüler– der Verrat an den Kindern
Nein, nicht alle Sympathisanten, Wähler, Mitglieder, Landtags-und Bundestagsabgeordneten der AfD sind rechtsextrem, wenn es auch diesbezüglich starke Strömungen in der Partei und ihrer Anhängerschaft gibt. Mit den Meldeplattformen gegen Lehrkräfte und Dozenten, die Kritik an der AfD und an Äußerungen ihrer Repräsentanten üben, schließen die Landesverbände der AfD jedoch an erprobte Instrumente des Nationalsozialismus und autokratischer Regime im Allgemeinen an. Kinder und Jugendliche zur Denunziation an den Lehrkräften und Eltern zu motivieren, wurde bereits von den Nationalsozialisten als probates Mittel der Durchsetzung und Stabilisierung von Macht und Herrschaft genutzt. Der politische Widerstand soll durch Denunziation und Verrat gebrochen werden. Die Vielfalt des politischen Denkens wird unterdrückt und delegitimiert.
Berthold Brecht hat diese Strategien autokratischer Organisationen und Systeme unter dem Eindruck nationalsozialistischer Herrschaft 1937 in seinem Gedicht „Der Spitzel“ eindrucksvoll beschrieben:
Der Spitzel
Es kommen die Herrn Professoren
Der Pimpf* nimmt sie bei den Ohren
Und lehrt sie Brust heraus stellen
Jeder Schüler ein Spitzel. Sie müssen von Himmel und Erde
nicht wissen.
Aber wer weiß was auf wen?
.
Dann kommen die lieben Kinder
Sie holen die Henker und Schinder
Und führen sie nach Haus.
Sie zeigen auf ihre Väter
Und nennen Sie Verräter
Man führt sie gefesselt heraus.
Kinder für Denunziation zu benutzen, knüpft an ihre sozialpsychologischen Dispositionen an. Sie sind offen für Indoktrination und politische Instrumentalisierung, weil sich politische und soziale Wertehaltungen erst ausformen, weil sie moralpsychologisch bedingt gefallen wollen und die Fähigkeit zum differenzierten analytischen Denken noch nicht voll entwickelt ist. In der Politischen Bildung gibt es deshalb mit dem Kontroversitätsgebot, dem Indoktrinationsverbot und dem Gebot der Schüler*innenorientierung Prinzipien, die dieser Vulnerabilität von Kindern und Jugendlichen in besonderer Weise Rechnung tragen. Die Instrumentalisierung von Kindern und Jugendlichen durch die AfD-Meldeplattform bedroht nicht nur das Vertrauensverhältnis zwischen Schülern, Eltern und Lehrkräften. Sie bedroht nicht nur die Funktionsfähigkeit der Schulen. Sie ist vor allem auch ein Verrat an den Pimpfen, die mit den psychologischen Folgen der Denunziation alleine zurechtkommen müssen. Sie zerstört auch das Vertrauen der Kinder in ihre Eltern, wenn ihnen bewusst wird, dass ihre Eltern sie für die politische Auseinandersetzung instrumentalisiert haben, anstatt an den Schulen ein Gespräch zu suchen, um den Sachverhalt mit dem Lehrer/der Lehrerin zu besprechen. Der Verrat der Kinder ist vor allem ein Verrat an den Kindern.
*Pimpf: Jungvolk in Jugendverband, scherzhaft-abwertend für Jungen
sowi-online Originalbeitrag
(c) 2018 Bettina Zurstrassen; (c) 2018 sowi-online e. V., Bielefeld
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