Kurz und spät und oft auch schlecht? Zum Zustand der politischen Bildung in den Bundesländern
Im dritten Jahr in Folge ist das Ranking Politische Bildung erschienen. Es zeigt: Auch im Jahr 2019 steht Politik für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I nur mit Unterbrechungen und erst spät auf dem Stundenplan. In sechs deutschen Bundesländern wird Politische Bildung frühestens ab der 8. Klasse unterrichtet, in Bayern sogar erst ab Klasse 10.
Wie viel politische Bildung junge Bürgerinnen und Bürger in der Schule erhalten, hängt davon ab, in welchem Bundesland sie zur Schule gehen. Von einer Gleichwertigkeit der politischen Bildung kann keine Rede sein – und ihre Wertigkeit an den Schulen leidet darunter, dass sie weit überdurchschnittlich oft von fachfremden Lehrkräften unterrichtet wird.
In drei Viertel der Bundesländer findet politische Bildung in den 5. und 6. Klassen gar nicht statt, in sechs Ländern frühestens ab Klasse 8. Dabei sind Kinder nicht nur schon im Grundschulalter politisch aufgeschlossen und interessiert. Kinder und Jugendliche sind auch hier und jetzt – und nicht erst dann, wenn sie die Schule verlassen haben – Bürgerinnen und Bürger mit politischem Interesse und Wunsch nach Mitbestimmung. Die Bildungspolitik hält sie aber lange davon ab, sich in Schule und Unterricht mit Demokratie und Politik zu beschäftigen.
In den meisten Bundesländern steht politische Bildung nicht kontinuierlich auf dem Stundenplan. Das Stundenkontingent reicht nur in Hessen, Niedersachsen, Sachsen, und Schleswig-Holstein für drei aufeinanderfolgende Schuljahre mit zwei Stunden Politikunterricht, in Nordrhein-Westfalen für vier.
Die Bundesländer schneiden im Ranking Politische Bildung sehr unterschiedlich ab. Die Demokratie behandelt ihre jungen Bürgerinnen und Bürger bei der politischen Bildung sehr ungleich. Bund und Länder schenken der politischen Chancengleichheit der jungen Generation wenig Aufmerksamkeit, wie man an Stundentafeln und Lehrplänen für die politische Bildung ablesen kann.
In drei Ländern hat sich die Situation des Leitfaches der politischen Bildung an den Gymnasien allerdings gegenüber dem Vorjahr quantitativ verbessert: Berlin, Sachsen und Nordrhein-Westfalen. Die nichtgymnasialen Schulformen bleiben demgegenüber deutlich zurück, hier ist nur für Berlin eine Verbesserung zu vermerken.
Unverändert ist die Lage auf den letzten Plätzen: Bayern, Thüringen und Rheinland-Pfalz. Mit Ausnahme der Aufsteiger Berlin und Sachsen bleiben auch die Mitglieder der Mittelmäßigkeitsgruppe beim Gymnasium konstant: Sachsen-Anhalt, Saarland, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Baden-Württemberg. Bei den nichtgymnasialen Schulformen schneiden Baden-Württemberg und das Saarland jedoch besser ab.
Das 3. Ranking vergleicht erstmals die Lernzeit für politische Bildung mit der verbindlichen Zeit für Berufsorientierung einschließlich Schülerbetriebspraktikum, die zur ökonomischen Bildung zählt.
Die Fallstudien für Niedersachsen und Baden-Württemberg belegen, dass vergleichsweise große Zeitkontingente für außerunterrichtliche Maßnahmen der Berufsorientierung vorgeschrieben sind. So steht in Niedersachsen für die obligatorische Berufsorientierung mehr Lernzeit zur Verfügung als für das Leitfach der politischen Bildung. Für die Demokratiebildung existieren weder verbindliche Maßnahmen noch verlässliche Zeitkontingente.
Die Bildungspolitik muss die sehr große Ungleichheit beim Erwerb von politischer Kompetenz und demokratischen Einstellungen in der Schule beseitigen. Das gilt auch hinsichtlich der fehlenden Zeitressourcen für politische Bildung und Demokratiebildung im Vergleich zur Berufsorientierung.
Kultusministerkonferenz und Länderministerien müssen die Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen bei der politischen Bildung herstellen, indem sie drei Mindeststandards realisieren:
- Politische Bildung wird in der Sekundarstufe I durchgehend in allen Jahrgängen unterrichtet.
- Das Leitfach der politischen Bildung umfasst mindestens vier Prozent der gesamten Lernzeit.
- Für außerunterrichtliche Lernformen der politischen Bildung und der Demokratiebildung stehen mindestens fünf Unterrichtstage pro Schuljahr verbindlich zur Verfügung.
Reinhold Hedtke, Mahir Gökbudak