Digitale Souveränität und politische Bildung an ihren Grenzen: Plädoyer für eine effektive Regulierung
Politische Bildung spielt zweifellos eine zentrale Rolle, um Bürgerinnen darauf vorzubereiten, zu einer lebendigen Demokratie beizutragen. Doch auch die beste digital citizenship education kann die strukturellen Schwächen unserer digitalen Infrastruktur, die die demokratischen Prozesse immer stärker bedrohen, nicht ausgleichen oder gar beheben. Denn der digitale Raum wird nicht allein durch das Verhalten der Nutzerinnen geprägt, sondern auch durch die Architektur der Plattformen selbst, die dahinter liegenden datenkapitalistischen Interessen, intransparenten Algorithmen und Defizite an wirksamer Regulierung. Selbst für noch so politisch gebildete Nutzerinnen ist ein systemisch verschleiertes Gebilde nicht lesbar.
Folglich ist die Kluft zwischen illusorischer Nutzungsfreiheit und Selbstregulierung durch Wissen nicht auszugleichen, vielmehr weitet sie sich, folgt man den letzten Einlassungen des META-Chefs Zuckerberg, wenn das System nun anscheinend ohne nennenswerte demokratische Rechenschaftspflichten fortentwickelt werden soll.
Hier setzt die Forderung nach effektiver Regulierung an – und damit in der Europäischen Union auch nach strenger Umsetzung des Digital Services Act (DSA) und der KI-Regulierung (AI-Act). Der DSA kann zu einem wichtigen Schritt hin zu mehr Transparenz, Rechenschaftspflicht und Fairness im digitalen Raum werden. Er könnte die Macht der großen US-Tech-Konzerne begrenzen, Plattformen zur Einhaltung von Standards verpflichten und demokratisch-systemische Risiken wie Desinformation und algorithmische Verzerrungen eindämmen. Dennoch stoßen Debatten um mögliche regulierende Vorkehrungen immer wieder auf Skepsis – selbst bei den sehr gut informierten Akteurinnen der digitalen Szene.
Ein zentraler Diskussionspunkt ist die Frage der digitalen Souveränität – insbesondere, wie Staaten und demokratische Institutionen die Kontrolle über ihre digitalen Infrastrukturen zurückgewinnen können, ohne dabei über das Ziel hinauszuschießen. Die einschlägigen Kritikerinnen warnen immer wieder vor staatlicher Einmischung und zeichnen das düstere Szenario des Orwellschens „Wahrheitsministeriums“, das auch Mark Zuckerberg regelmäßig in seinen Auftritten aufruft.
Auch wenn diese Sorge nicht völlig aus der Luft gegriffen ist (die Geschichte bietet genügend Beispiele für staatlich kontrollierte Informationsflüsse): Jede Regulierung pauschal als Eingriff in individuelle Freiheitsrechte zurückzuweisen, bedeutet letztlich, das Feld vollständig privaten Interessen zu überantworten, die dann auf ihre Weise darüber entscheiden, wie Informationen fließen und gefiltert werden.
Wir stellen am Beginn des Jahres 2025 fest, dass sich Tech-Entscheider von den Ansprüchen einer an Grundrechten orientierten pluralistischen Demokratie ausdrücklich distanzieren. Daher muss heute mehr denn je deutlich gemacht werden:
Digitalpolitische Regulierung unter demokratischen Vorzeichen bedeutet nicht autoritäre Kontrolle. Ein starker DSA und ähnliche Regulierungsinitiativen dienen nicht dazu, „Wahrheit“ zu definieren, sondern sie stellen sicher, dass digitale Ökosysteme transparent bleiben und demokratische Prinzipien respektiert werden können. Digitale Souveränität darf dabei nicht als Streben nach Innovationsfeindlichkeit oder staatlicher Kontrolle verstanden werden, sondern als Erhalt der Fähigkeit, digitale Steuerung im Einklang mit demokratischen Werten zu gestalten. Das erfordert, jene staatlichen und überstaatlichen Kontrollinstanzen zu stärken, die Standards auch wirksam durchsetzen können – ohne dabei Innovationen oder Meinungsfreiheit zu ersticken. Ziel muss es sein, digitale Räume zu schaffen, in denen das Recht auf Privatsphäre, Meinungsfreiheit und Zugang zu Informationen gewahrt bleibt, anstatt dort öffentliche Kommunikation durch Datenextraktion nur zu „verwerten“.
Um der verbreiteten Ablehnung von Regulierung entgegenzuwirken, muss klargestellt werden, dass es bei Vorkehrungen wie dem DSA um mehr Transparenz und nicht um Deutungshoheit geht. Maßnahmen wie nachvollziehbare Richtlinien zur Inhaltsmoderation, Verantwortlichkeit für algorithmische Entscheidungen, KI-Transparenz und ein starker Datenschutz sind Grundvoraussetzungen und es ist an der Zeit, dass der Fokus weg von der Durchsetzung der Geschäftsmodelle hin zu mehr Kontrolle und Nutzerermächtigung geleitet wird und nicht umgekehrt.
Von Fakten zu Strukturen: Der Erhalt der Möglichkeit von Mündigkeit
Es reicht nicht, politische Bildung auf ihren Beitrag zum Kampf gegen Fake News zu reduzieren und sie damit, darauf muss immer wieder hingewiesen werden, indirekt in den Dienst der Konzerne zu stellen: Letztlich bereitet sie durch Faktencheck-Trainings Bürgerinnen darauf vor, durch Mittel wie z.B. community notes, ihre kognitiven Kapazitäten regelmäßig kostenfrei den Digitalkonzernen zur Verfügung zu stellen, die dann eigene einschlägige Abteilungen rasch abwickeln.
Das eigentliche Ziel muss darin liegen, Personen zu befähigen, den Einfluss digitaler Systeme auf demokratische Prozesse zu verstehen, sich darin als Bürgerin zu subjektivieren und sich aktiv in die Debatte einzubringen. Regulierungsdiskussionen sollten nicht den Spezialnetzwerken, der Tech-Führungsschicht und der Fachpolitik überlassen werden, denn geht es um die Sicherung der Infrastrukturen einer lebendigen demokratischen Debatte.
Wer politische Bildung ernst nimmt, muss anerkennen, dass es hier nicht nur um Fakten und Wahrheiten geht, sondern um Macht, Strukturen und Teilhabe. Politische Bildung, die sich im Kampf gegen das Rauschen der Desinformation verliert, aber diese Themen ausklammert, scheitert an ihren wichtigsten Ansprüchen. Sie muss heute mehr denn je den demokratischen Gestaltungsprozess und den Erhalt der Möglichkeit von Mündigkeit in den Vordergrund stellen: Nur so kann sie einen echten Beitrag zur Verteidigung unserer Demokratie im digitalen Zeitalter leisten.
Zu den Autorinnen: Andrea Szukala und Jana Ziel (Lehrstuhl Politische Bildung und Didaktik der Sozialwissenschaften der Universität Augsburg) forschen im vom BMBF und Next Generation EU geförderten Projekt RETRANSFER zu Themen der digitalen Souveränität in der politischen Bildung, BMBF lernen:digital Förderkennzeichen 01JA23S06B