Die Bundestagswahl 2017 und deren Folgen – eine fachdidaktische Perspektive
Die Intention meines Beitrags ist, eine fachdidaktische Analyseperspektive auf die Bundestagswahl 2017 und deren Folgen darzustellen. Dieses Vorhaben realisiere ich, indem ich auf die folgenden vier Aspekte eingehen werde:
a) Was sollten Politiker_innen wissen/können?
b) Was sollten Fachdidaktiker_innen wissen/können?
c) Was sollten (angehende) Lehrer_innen wissen/können?
d) Was sollten Schüler_innen wissen/können?
Diese vier Aspekte beziehe ich auf die folgende Leitfrage, die meinen Gedanken zugrunde liegt: Wie umgehen mit der AfD im Bundestag, in der universitären Lehrer_innenbildung und im Klassenzimmer?
a) Was sollten Politiker_innen wissen/können?
Der 24.09.2017 markiert eine Zäsur im politischen Leben der BRD, weil die AfD an diesem Tag 12,6 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl erhalten hat und mit 94 Sitzen im 20. Bundestag vertreten ist. Die anderen Parteien müssen sich künftig mit der AfD und ihren heteronormativen, neoliberalen sowie rassismus- und sexismusrelevanten Forderungen beschäftigen, ob sie es wollen oder nicht. Und diese sachliche und kritische Beschäftigung ist dringend notwendig, wie ich finde!
Auf diesem Wege möchte ich den Politiker_innen einige Ratschläge mit auf den Weg geben: (1) Die „Vogel-Strauß-Taktik“, die von vielen Politiker_innen in der Vergangenheit angewendet wurde und die darin besteht, die AfD „totzuschweigen“ ist meiner Meinung nach kontraproduktiv. Beispielsweise hat sich Malu Dreyer (Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz) im Landtagswahlkampf 2017 geweigert, mit Vertreter_innen der AfD über politische Inhalte zu streiten. Die Wähler_innen der AfD sind (zurecht) entrüstet über diese Umgangsweise, weil sie ein demokratisches Recht haben, diese Partei zu wählen (solange sie nicht verboten wird) und weil damit auch einhergeht, dass sich andere Parteien und die mediale Öffentlichkeit mit der AfD auseinandersetzen müssen. Die demokratischen Spielregeln gelten im Umgang mit allen Parteien, solange diese das Grundgesetz achten; ob das allerdings bei (Teilen) der AfD tatsächlich so ist, kann nicht eindeutig bejaht werden.
Die Haltung, sich nicht mit der AfD zu beschäftigen, ist kontraproduktiv, weil rassistische, heteronormative, neoliberale und sexistische Positionen der AfD nur mithilfe einer kritischen inhaltlichen Auseinandersetzung mit ihrem Wahlprogramm und den Aussagen ihrer Vertreter_innen erfolgen kann. Zudem ist die Nichtbeschäftigung mit der AfD eine luxuriöse Position, die nicht von allen Bürger_innen angewendet werden kann, weil sich nicht alle Personen in unserer Gesellschaft den Zeitpunkt und die Form der Auseinandersetzung mit diffamierenden Positionen aussuchen können.
Erfolgsversprechender sind die folgenden Strategien: Politiker_innen sollten in einzelnen Politikfeldern (Fiskalpolitik, Kulturpolitik, Schulpolitik, Klimapolitik und Reform der Wahlgrundsätze) auf die konkreten Forderungen der AfD hinweisen und sowohl den AfD-Wähler_innen als auch den Wähler_innen der übrigen Parteien veranschaulichen, was sich die AfD wünscht. In Bezug auf die Fiskalpolitik möchten Teile der AfD weniger staatliche Regulierung der Märkte und setzen stattdessen auf eine neoliberale Marktausrichtung und ein „einfaches Steuermodell“ nach dem Vorbild des „Flat Tax“, bei dem Besserverdiener_innen bevorzugt werden. In der Kulturpolitik fordert die AfD, dass die Theater ihre sozial- und herrschaftskritische Ausrichtung aufgeben und stattdessen die „positiven Seiten des Deutschseins“ betonen. In der Schulpolitik setzt die AfD auf Selektion und sieht keine Notwendigkeit der Inklusion. In der Klimapolitik lautet die Position der AfD sinngemäß: „Klimawandel hat es schon immer gegeben und deshalb sollte uns der aktuelle Klimawandel keine Sorgen bereiten; zudem ist nicht nachgewiesen, dass der Mensch am Klimawandel Schuld trägt“.
In Bezug auf die Reform der Wahlgrundsätze, die bislang in der BRD gelten, möchte die AfD Thüringen, dass Kinder ab der Geburt ein Stimmrecht erhalten; verwaltet werden, sollte dieses Stimmrecht von ihren Eltern, bis die Kinder 18 Jahre alt sind.
In all diesen Politikfeldern sollten die Politiker_innen darauf hinwirken, den Bürger_innen zu verdeutlichen, welche Konsequenzen sich hieraus für alle Bürger_innen ergeben würden, wenn die AfD sich durchsetzt. Denn nicht nur die Lebensrealitäten von Ayşe und Ali werden sich verändern, wenn es der AfD gelingt, ihre Forderungen salonfähig(er) zu machen, sondern auch das Leben von Paula und Max werden sich wandeln, weil die AfD nicht nur eine rassismusrelevante Politik gegenüber vermeintlichen oder tatsächlichen Muslim_innen betreibt, sondern weil die Partei eine deutschnationale, neoliberale, reaktionäre und heteronormative Politik in sämtlichen Politikbereichen durchsetzen möchte.
(2) Auch die „Skandalisierungstaktik“, die ebenfalls in der Vergangenheit von einigen Politiker_innen angewendet wurde, um die AfD bloßzustellen, ist nicht erfolgversprechend. Beispielsweise hat Martin Schulz im Bundestagswahlkampf folgenden Satz geäußert als er nach seinen Strategien in Bezug auf Menschen befragt wurde, die antisemitische Gedanken pflegen: „Ich kann Ihnen sagen, was ich mit solchen Leuten machen würde: Ich schmeiß die raus! Ich hab‘ sie ja auch aus dem Europaparlament rausgeschmissen“. Diese Skandalisierung führt nicht dazu, sich mit den antisemitischen Sachverhalten zu beschäftigen und sich dazu kritisch zu positionieren, sondern dazu, dass sich AfD-Politiker_innen als Märtyrer_innen „des Systems“ stilisieren können.
Stattdessen ist ein kritischer und wissensgestützter Umgang mit den Positionen der AfD vonnöten, denn die Partei beeinflusst bereits jetzt den gesellschaftlichen Diskurs, ohne an der Regierung beteiligt zu sein. Man denke einfach an die klassischen Themen der Grünen: Klimapolitik, Gleichstellung und Abrüstung und daran wie diese Themen den gesellschaftlichen Diskurs der letzten 30 Jahre in der BRD maßgeblich beeinflusst haben, obwohl die Grünen nie mehr Stimmen erzielen konnten als die AfD jetzt. Auch die AfD konnte bereits Themen lancieren und Agendasetting betreiben. Dass dies zukünftig nicht in noch größerem Ausmaß geschieht als bislang, ist eine Herausforderung für die übrigen Parteien im deutschen Bundestag und für alle Bürger_innen, die ungleichheitsrelevante Strukturen nicht noch weiter stärken wollen.
b) Was sollten Fachdidaktiker_innen wissen/können?
Um zu verdeutlichen, was Fachdidaktiker_innen wissen/können müssen, möchte ich auf die Aussage des AfD Parteisprechers Jörg Meuthen eingehen, die er am 22.05.2017 beim Kölner Bundesparteitag der AfD geäußert hat: „Wenn ich an einem Samstagmittag im Zentrum meiner Stadt unterwegs bin, mit offenen Augen, wissen Sie, was ich sehe? Ich sehe noch vereinzelt Deutsche“.
Ich habe mich folgendes gefragt: Warum glaubt Meuthen nur vereinzelt „Deutsche“ zu sehen, bzw. woran erkennt er, dass diese Menschen, die er in der Fußgängerzone sieht, keine Deutschen sind? Die Staatsangehörigkeit eines Menschen erkennt man nicht, wenn man einen Menschen anschaut. In einer Migrationsgesellschaft ist es schwierig geworden, vom Aussehen eines Menschen auf seine Staatsangehörigkeit zu schließen, weil Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft ist und zwar nicht erst seit 1998 – als Gerhard Schröder dies offiziell anerkannte, sondern seit über 400 Jahren.
Meuthen sagt das, weil er sich der Rassekonstruktion bedient und bedienen kann, weil auch seine Zuhörer_innen davon überzeugt sind, dass Deutschsein mit einem bestimmten Aussehen verknüpft ist. Die „Logik“ von den menschlichen Rassen hat uns allen beigebracht, dass wir „Deutsche“ zu erkennen glauben. Woran, fragen Sie sich? Nun, daran, dass sie unserem Bild, welches wir von Deutschen besitzen, entsprechen. Also Deutscher ist man, wenn man Weiß ist. Nicht weiß wie die Wand, sondern Weiß in Sinne einer sozialen Positionierung. Deutschsein wird von Meuthen mit Weißsein verknüpft und diese Verknüpfung macht den Kern des „wissenschaftlichen Rassismus“ aus.
Die „wissenschaftliche“ Einteilung von Menschen in unterschiedliche Rassen (weiß, gelb, rot und schwarz) war die Legitimationsgrundlage, um in Europa die Universalität aller Menschen zu deklarieren und auf dem afrikanischen Kontinent Menschen zu versklaven. Um diese einander ausschließenden Dinge praktizieren zu können, haben Philosophen die unterschiedlichen menschlichen Rassen erfunden, um die Maafa (den Völkermord und Versklavung afrikanischer Menschen) zu rechtfertigen.
Nach der fabrikmäßigen Ermordung von Jüd_innen, Sinti und Roma, Homo- und Transsexuellen, Kommunist_innen, Widerstandskämpfer_innen und anderen Personen, die nicht ins Weltbild der Nationalsozialist_innen passten, hat sich der biologistische Rassismus verändert. Der biologistische Rassismus hat sich in einen Neo- oder Kulturrassismus verwandelt, der mit der Unterscheidungskategorie „höher- bzw. minderwertiger“ Kulturen sowie der „Unvereinbarkeit von Kulturen“ argumentiert.
Ich wage zu bezweifeln, dass Meuthen nur vereinzelt Deutsche sieht, wenn er in der Fußgängerzone unterwegs ist. ABER: Was möchte er uns eigentlich mit diesem Satz sagen? Was ist seine politische Botschaft? Was ist das Problem? Meiner Meinung nach lautet die Antwort folgendermaßen: Die Schaffung von Personen, die mit dem Zusatz „mit Migrationshintergrund“ belegt werden, wirkt hier hinreichend, um das gesellschaftliche Bild, welches Meuthen zeichnet, als problematisch wahrzunehmen. Aber warum ist es ein Problem, dass Meuthen nur vereinzelt Deutschen wahrnimmt? Weil es darum geht, Migration oder Personen „mit Migrationshintergrund“ als Deviant, laut, schmutzig, demokratiefeindlich, frauenfeindlich etc. darzustellen.
Fachdidaktiker_innen sollten Studierende dazu anregen, sich über die folgenden Dinge Gedanken zu machen: Wann spielt der Migrationshintergrund eine Rolle und wann nicht? Welche Rolle nehmen diese Menschen in unserer Gesellschaft ein? Wie werden sie bewertet? Welche Imaginationen über sie existieren? Wie und warum werden sie problematisiert?
c) Was sollten (angehende) Lehrer_innen wissen/können?
Was (angehende) Lehrer_innen wissen bzw. können sollten, möchte ich darstellen, indem ich einen Satz von Alexander Gauland (einen der beiden Spitzenkandidaten der AfD für die Bundestagswahl 2017) zitiere, den er am 29.05.2016 gegenüber Journalisten der FAZ geäußert hat: „Die Leute finden ihn [gemeint ist Jerome Boateng] als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben“. Ich wäre liebend gerne der Nachbar von Boateng im Villenvorort von München, aber ich kann es mir nicht leisten. Ich hätte auch liebend gerne – wie Jerome Boateng - ein großes Zimmer nur für meine Schuhsammlung, aber erstens besitze ich gar nicht so viele Schule und zweitens brauche ich den Platz in meiner Wohnung für so profane Dinge wie Schreibtisch, Esstisch und Bett. Nun aber zurück zum Wesentlichen: Was sollten angehende Lehrer_innen wissen? Meiner Meinung nach, sollten sie wissen, dass der Subtext dieses Satzes die Verknüpfung von Rassismus und Kapitalismus beinhaltet. Gauland besitzt eine bestimmte Sichtweise auf Menschen, die für ihn nicht gänzlich dazugehören. Die Art und Weise Boateng zu betrachten, korrespondiert mit dem Kosten-Nutzendiskurs, der in Bezug auf viele Menschengruppen angewendet wurde, um ihr Arbeitskräftepotential auszuschöpfen, sie aber darüber hinaus, nicht am gesellschaftlichen Leben partizipieren zu lassen. Die Forderung: „Arbeitet, aber macht euch ansonsten unsichtbar“, wurde seit der Anwerbung der Arbeitsmigrant_innen in der BRD praktiziert. Auch Boateng soll arbeiten d.h. Tore der gegnerischen Mannschaft verhindern und Tore schießen, aber sich ansonsten unsichtbar machen; d.h. irgendwo wohnen, wo er nicht auffällt. Gauland rekurriert mit seiner Aussage auf ein Empfinden, den einige AfD-Wähler_innen ausgedrückt haben als sie von Journalist_innen nach ihrer Einschätzung bezüglich des gesellschaftlichen Zustandes der BRD befragt wurden. Unabhängig voneinander haben Sie folgendes geäußert: „Ich will mein altes Deutschland wiederhaben“. Dieser Satz beinhaltet eine Glorifizierung der „guten, alten Bundesrepublik“; vernachlässigt aber, dass sich unser Land verändert hat. Denn anders als 1960 möchten im Jahr 2017 nicht nur Frauen mitreden, sondern auch Personen, die sich nicht in der heteronormativen Matrix verorten möchten und auch eben People of Color und Schwarze Deutsche und das wird als Angriff bewertet, weil es um Zugang zu Privilegien geht, um die ein Wettbewerb ausgebrochen ist. Denn in der „guten alten Bundesrepublik“ haben die Arbeitsmigrant_innen die Arbeit gemacht, die die Deutschen nicht machen wollten und die Frauen durften nur mit der Erlaubnis ihrer Ehemänner arbeiten und das meistens nur halbtags und Personen, die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebten, mussten mit heftigen Diskriminierungen im Alltag rechnen und konnte lange Zeit keine Hilfe von der Justiz erwarten. In der Glorifizierung der „guten alten Bundesrepublik“ tritt ein Aspekt zu Tage, den Heitmeyer den Glauben an Etabliertenvorrechte nennt und der folgendes beinhaltet: Im Wettbewerb um schönen Wohnraum, begehrte Arbeitsplätze und materielle Güter, wurden in der „guten alten Bundesrepublik“ Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Heteronormativität eingesetzt, um als illegitim betrachtete Konkurent_innen (‚Migrant_innen‘, Frauen und Homosexuelle) auszustechen und jahrzehntelang hat dieses System funktioniert. Nun aber, befinden wir uns in einem Zeitalter, in dem langsam aber sicher alte Eliten (also weiße alte, heterosexuelle und der Mittel- bzw. der Oberschichtschicht angehörenden Männer) Konkurrenz von Frauen, Migrant_innen und Homosexuellen bekommen und die Sehnsucht einiger AfD-Anhänger_innen nach der „guten alten Zeit“ kann als Symptom der Abwehr dieser Menschen verstanden werden. Hierbei fällt auf, dass zwar die alten Eliten immer wieder auf die meritokratischen Grundsätze der Macht- und Statusverteilung hingewiesen haben, als die Spielregeln der ungerechten Verteilung gesellschaftlicher Machtpositionen von Frauen, ‚Migrant_innen‘ und Homosexuellen kritisiert wurden; aber nun nichts mehr davon wissen möchten, dass sich Leistung statt Abstammung, Fleiß statt sexuelle Orientierung durchsetzen soll bei der Verteilung begehrter gesellschaftlicher Güter. Demnach ist es für die Lehrer_innenbildung wichtig, unterschiedliche Ungelichheitsstrukturen zu kennen, deren Wirkungsweise zu verstehen und nachzuvollziehen, welche Folgen die intersektionale Betrachtungsweise dieser Phänomene besitzt. (Angehende) Lehrer_innen sollten sich vor, bei und nach dem Unterrichtsprozess sowie bei der Auswahl der Unterrichtsmaterilaien die folgenden Fragen stellen: Was passiert in meinem Unterricht rassismusrelevantes? Transportieren meine ausgewählten Unterrichtsmaterialien rassismusrelevante Sachverhalte? Diese Fragestellungen sollten sich Lehrer_innen vor dem Hintergrund des Beutelsbacher Konsens stellen! Es ist durchaus legitim, wenn Schüler_innen, Kolleg_innen und Vorgesetzte die AfD wählen wollen. Und das muss mensch aushalten lernen. Es ist aber ebenfalls legitim, wenn mensch auf heteronormative, sexistische, neoliberale und rassistische Argumentationen der AfD hinweist und diese kritisiert. Der Beutelsbacher Konsens macht aus Lehrer_innen keine apolitischen Menschen, sondern verpflichtet sie die Entfaltungsmöglichkeiten des politischen Denkens und Handelns ihrer Schüler_innen zu respektieren, denn der Beutelsbacher Konsens ist ein verbrieftes Recht der Schüler_innen, der sie vor Indoktrination (Überwältigungsverbot), eindimensionalem Politikunterricht (Kontroversitätsgebot) und Paternalismus (Schülerorientierung) schützen soll; allerdings müssen die Äußerungen und Werthaltungen grundgesetzkonform sein.
d) Was sollten Schüler_innen wissen/können?
Die Relevanz rassismuskritischer Kompetenzentwicklung der Schüler_innen ergibt sich aus dem Kernlehrplan des Faches Sozialwissenschaften für die Sekundarstufe zwei des Landes NRW. Darin steht geschrieben: „Die Schülerinnen und Schüler ermitteln typische Versatzstücke ideologischen Denkens u.a. (…) Rassismus (…)“ (MSW 2014, S. 32 u. S. 42) [und] „erläutern (…) mögliche Ursachen für die Gefährdung unserer Demokratie“ (ebd., 27).
Demnach intendiert das Curriculum, eine doppelte Kompetenzentwicklung bei den Schüler_innen: Zum einen sollen sie kognitive Kompetenzen erwerben, um rassismusrelevante Sachverhalte in politischen Bildern, Texten und Reden zu erkennen und zum anderen sollen sie eine rassismuskritische Handlungskompetenz erwerben, um Gefahren von der Demokratie abzuwehren.
Eine Möglichkeit den Schüler_innen „typische Versatzstücke ideologischen Denkens“ zu präsentieren und sie gleichzeitig auf „mögliche Ursachen der Gefährdung unserer Demokratie“ hinzuweisen, könnte die Analyse des folgenden Satzes bieten, den der Fraktionsvorsitzende der AfD im Thüringer Landtag – Björn Höcke – am 17.01.2017 auf einer Veranstaltung der Jungen Alternative in Dresden kundgetan hat: „Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“
Dieser Satz sollte mit den Schüler_innen thematisiert werden, weil die politische Botschaft dieser Aussage, wenn nicht eine Gefährdung, wohl aber eine Veränderung der deutschen Demokratie und Erinnerungskultur anstrebt und ein aktuelles Beispiel für die sog. Schlussstrich-Debatte ist. Das Holocaust-Mahnmal als Denkmal der Schande zu bezeichnen, ist ein Angriff auf die Staatsräson der BRD, die besagt: „Nie wieder Ausschwitz!“ und ist gleichzeitig der Versuch, die Geschichte der BRD zu verklären, damit Vorstellungen des Revisionismus salonfähiger werden.
Die Frage, die sich diesbezüglich stellt ist die folgende: Wie kann Erinnerungskultur in einer Migrationsgesellschaft gelingen? Meine Antwort hierauf lautet: Indem eine migrations- und diversitätssensible Beschäftigung mit der Vergangenheit ermöglicht wird, die gegenwärtige Ungleichheitsdimensionen, die die unterschiedlichen Alltagsrealitäten der an Schule beteiligten Personen berücksichtigt. Hierfür sollten Schüler_innen in einer Migrationsgesellschaft Kompetenzen über Zusammenhänge von historischen, politischen und geographischen Fakten kennen sowie sich Kompetenzen über globale Ungleichheitsregime (z.B. Fluchtursachen) aneignen. Außerdem sollten sie Konzepte beherrschen, die von der Verflechtung verschiedener Ungleichheitsstrukturen ausgehen – wie Intersektionalität und sie sollten verstehen, wie Differenzkonstruktionen in Vergangenheit und Gegenwart funktionalsiert worden sind, indem sie den folgenden Fragen nachgehen: Wann, wie und zu welchem Zweck wurden bzw. werden Menschen zu „anders- und fremdartigen“ Wesen gemacht?
Rassismus sollte beispielsweise nicht als etwas dargestellt werden, was es ausschließlich in der bundesdeutschen Vergangenheit gab, vielmehr sollte es als Strukturierungsmerkmal unserer Gesellschaft begriffen werden, von dem aktuell schulrelevante Personen betroffen sind.
Rassismuskritik ist eine Aufgabe, die sich jeden Tag aufs Neue für das Individuum und für die Gesellschaft stellt und deshalb ein lebenslanger Prozess ist.