Österreichische Wirtschaftswissenstests auf dem Prüfstand – oder: Täglich grüßt das Murmeltier
Warum wird oft nur das Wirtschaftswissen von Schüler/innen angeprangert?
Immer wieder wird international das schlechte Abschneiden von Schülerinnen und Schülern bei so genannten Wirtschaftswissenstests beklagt. Die gemessenen Ergebnisse werden regelmäßig als sehr bedenklich eingestuft, weswegen sogleich Forderungskataloge an die Schulpolitik erstellt werden. Auch Erwachsene schneiden kaum besser ab, was beispielsweise die Untergruppen der Abiturient/innen, der Lehramtsstudierenden, der Manager/innen und sogar der Ökonom/innen betrifft, wobei letztere durch inadäquate Bewertungen und Handlungen bereits mehrmals zur Herbeiführung und Verschärfung von Krisen beigetragen haben. Wirtschaftswissen erscheint also quer durch die Bevölkerung mangelhaft, ebenso wie mathematisches, technisches, physikalisches, historisches und anderes Wissen.
Warum die Tests testen?
Spannend ist eine Fokussierung auf die Tests selbst, nämlich auf das Wissen(schaft)sverständnis, auf die inhaltliche Ausrichtung und auf das zugrunde liegende Bildungsverständnis. Ein didaktisch geschärfter Blick auf Wirtschaftswissenstests legt zunächst mindestens folgende vier Problemlagen dar:
Eindimensionalität: Mittels dieser Tests wird hauptsächlich Wissen abgefragt, im besten Fall noch Verstehen, während weitere Dimensionen wie methodische, soziale oder metakognitive Kompetenzen sowie Handlungskompetenzen außen vor bleiben. Ebenso wie Bewertung und Gestaltung kaum vorkommen, bleiben manche große Themenfelder wie etwa Privathaushalt und Konsum de facto unbeachtet. Stattdessen wird auf VWL- oder BWL-Themen Bezug genommen, die alleine keine ökonomische Bildung ausmachen.
Defizitorientierung: Analysiert man die an Wirtschaftswissenstests angeschlossenen Forderungen von Studienautor/innen, so wird unmittelbar erkennbar, dass viele Tests nur dem Nachweis von Wissensdefiziten dienen. Didaktisch fruchtbarer wären Tests, die auf ökonomische Alltagstheorien von Schüler/innen fokussieren, wodurch deren Ergebnisse als Anknüpfungspunkt für die Weiterentwicklung dieser subjektiven Theorien dienen können.
Monoperspektivität: Welche Inhalte bei Tests als „anerkannter“ Wissensbestand abgefragt werden, ist auch im fachlichen Diskurs, je nach vertretenem wirtschaftswissenschaftlichen Paradigma nicht eindeutig. Beispiele dafür sind die Begriffe „Betrieb“, „Konsum“, „Geld“, „Markt“ etc. Wenn jedoch mehr oder weniger implizit nur ein Paradigma – meist neoklassische Ansätze – zur Gestaltung der Fragen herangezogen wird und dementsprechende Antworten erwartet werden, wird das Kontroversitätsgebot über Bord geworfen. Vielmehr wird von Proband/innen erwartet, dass sie Begriffswissen aus eben dieser verengten paradigmatischen Perspektive reproduzieren können.
Zuschnitt: Ein Aspekt, der mit dem letztgenannten direkt zusammen hängt, ist der enge Zuschnitt der Fragestellungen in Wirtschaftswissenstests. Komplexe ökonomische Fragestellungen aus den Lebenswelten der Schüler/innen lassen sich kaum mit einfachen Fragen, zu denen oft genau eine „richtige“ Antwort passt, zuschneiden – in Wirtschaftswissenstests wird aber genau das getan. Dabei bleibt nicht nur die so wichtige Orientierungs-, Urteils- und Handlungsfähigkeit von jungen Menschen auf der Strecke, sondern ebenso auch deren Emanzipation, Partizipation, Kritikfähigkeit und reflektierte Weltaneignung.
Wissen Sie die „richtige“ Antwort?
In einem vom Wiener Institut für Wirtschaftspädagogik durchgeführten Wirtschaftswissenstest für österreichische Schüler/innen der 8. Schulstufe lautete die Frage 1:
„Unsere Wirtschaft ist ein System, das uns [sic!] aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken ist. Welche Aussage beschreibt am besten, worum es in der Wirtschaft geht?
1. Ohne Wirtschaft müssten wir immer noch Tauschhandel betreiben.
2. Ohne Wirtschaft wären viele von uns arbeitslos und könnten sich nichts leisten.
3. Ohne Wirtschaft müssten wir uns immer noch selbst versorgen.
4. Ohne Wirtschaft könnte man willkürliche Preise verlangen.“ (Fuhrmann o.J., S. 12)
Zunächst fällt einmal das Wirtschaftsverständnis auf: Aus Frage 1 und 3 ist zu schließen, dass weder Tauschhandel noch Subsistenzwirtschaft zur Wirtschaft gezählt werden. Merke: Zur Wirtschaft zählt nur, was im BIP abgebildet wird. Auch die Fragen 2 und 4 sind nicht eindeutig als richtig oder falsch klassifizierbar sowie in ihrer Formulierung schwammig. All diese Unklarheiten sowie die Problematik der Fragestellung finden ihren Niederschlag in den Antworten: Nur 18,1 % der Befragten konnten die „richtige“ Antwort, nämlich Antwort 3, finden. Warum diese jedoch „richtig“ ist und welche Überlegungen dahinter stecken, darüber wird der/die überraschte Leser/in leider nicht aufgeklärt. Es könnte sich hierbei um einen Zufallsfund einer nicht eindeutig formulierten Frage handeln, weswegen im Folgenden auf zwei systematische Studien aus Österreich zurückgegriffen wird.
Wer testet die Tests?
Überlegungen und Untersuchungen zur Qualität von Wirtschaftswissenstests gibt es viele, jedoch nur wenige aus Österreich. Dies soll zum Anlass genommen werden, zwei im Sommer 2018 in einer Fachzeitschrift publizierte Studienergebnisse kurz zu präsentieren. Im Rahmen der ersten hier kurz vorgestellten Studie „Vermessene ökonomische Bildung? Eine Analyse österreichischer empirischer Studien zur ökonomischen Bildung“ liegen die Ergebnisse von Forschenden der Universität Salzburg vor, die insgesamt neun empirische Studien zum Wirtschaftswissen österreichischer Schüler/innen der Sekundarstufe I und II analysiert haben (Stieger und Jekel 2018). In einer Conclusio wird diagnostiziert, dass die untersuchten Studien weniger von inhaltlicher Mehrperspektivität und Pluralismus geleitet sind, sondern eher von primär monoparadigmatisch wirtschaftswissenschaftlichen Zugängen. „Fazit: Unter dem Deckmantel der ökonomisch geprägten Lebenssituationen verbergen sich in den untersuchten Arbeiten Konzeptionen, die dem Typus der ‚ökonomistischen Bildung‘ sehr nahekommen. Wer ökonomische Bildung als das Antrainieren einer ökonomischen Perspektive, insbesondere aus der Volkswirtschaftslehre und der Betriebswirtschaftslehre versteht, entwickelt auch Diagnoseinstrumente konform dieser Auffassung. Erst wenn die Schüler/innen es schafften, diese Perspektive einzunehmen und zu verinnerlichen, hätten sie ihre ökonomische Kompetenz bewiesen. Gleichzeitig wird diese singuläre Perspektive in den Erhebungsinstrumenten nicht offengelegt“ (ebd., S. 17). Die Autorin und der Autor kommen zu dem Schluss, dass die
„angewandten Forschungsdesigns mit den breiten Bildungszielen nicht kompatibel sind, da sie die Wirtschaftskenntnisse einer ‚mündigen und handlungsfähigen Person‘ nicht adäquat operationalisieren.
die Untersuchungen die Einstellungen der Schüler/innen zu wirtschaftlichen Themen unzureichend abbilden und eine Ablehnung oder die Konstruktion von Alternativen gar nicht erst zulassen.
ökonomisch geprägte Lebenssituationen nicht aus den Lebenswelten der Schüler/innen, sondern ausgehend von dem monoparadigmatischen wissenschaftlichen Bezugsrahmen, abgeleitet werden.
innerhalb der Fragestellungen ideologische Grundannahmen verankert sind, die dem Stand der Wissenschaft widersprechen“ (ebd., S. 17f.).
Die zweite Studie, deren Hauptergebnisse hier kurz vorgestellt werden, wurde ebenfalls im Sommer 2018 von einer Forscherin an der Universität Klagenfurt in Form eines Fachartikels mit dem Titel „Ergebnisorientiert und interessensgeleitet – Studien der Wirtschaftslobby zum GW-Unterricht“ publiziert. Exemplarisch werden dabei eine aktuelle Wirtschaftswissensstudie und eine auf wirtschaftliche Themen bezogene Schulbuchanalyse inhaltlich und methodisch unter die Lupe genommen (Uhlenwinkel 2018). Die Autorin kommt nach einer differenzierten Analyse zum Schluss, dass beiden Studien ein implizites, unterkomplexes Bildungsverständnis in Form eines simplen Input-Output-Modells zugrunde liege, nämlich dass fehlerloses Lehrwissen zu korrektem Lernwissen umgestaltet wird. Sie weist ferner nach, dass auch in der von ihr analysierten Wirtschaftswissensstudie davon ausgegangen wird, dass mangelhafte Wirtschaftswissensbestände der Schüler/innen einen defizitären Unterricht belegen. Dementsprechend ernüchternd fällt die Zusammenschau beider Studien aus: „Nicht nur aufgrund der fehlerhaften statistisch-methodischen Vorgangsweise, sondern auch wegen der als überholt anzusehenden lerntheoretischen Prämissen, auf denen die beiden Untersuchungen beruhen, kann ihr praktischer Wert mehr als bezweifelt werden. […] In beiden Studien wird vor allem auf genau definierbares, stabiles Wissen abgehoben, welches sich über Lernprogramme lehren und lernen lässt. Ein den Bedürfnissen der heutigen Welt angepasstes wissenschaftliches Wissen, das den Jugendlichen die Möglichkeit gibt, die sich verändernde Komplexität der Welt selbst zu erschließen, entsteht auf diese Weise nicht“ (ebd., S. 30).
Was lernen wir daraus?
Oft genug werden derartige Studien dazu herangezogen, um auch in Österreich gebetsmühlenartig („täglich grüßt das Murmeltier“) nach einem Isolationsfach „Wirtschaft“ zu schreien, was durch manche Medien kampagnenartig verstärkt wird. Aus empirischer und fachdidaktischer Perspektive stehen diese Forderungen – wie eben gezeigt wurde – mit tönernen Beinen auf schwankendem Boden. Hingegen spricht viel für ein Kombinationsfach, wie etwa für Geographie und Wirtschaftskunde. Es wäre doch paradox, wenn die in gesellschaftliche Kontexte eingebetteten Wirtschaftsthemen nur aus einer engen wirtschaftswissenschaftlichen Sicht und nicht in einer umfassenden sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Perspektive bearbeitet werden würden. Eben diese Integrative Sichtweise wird gewährleistet, wenn Themenkomplexe aus den Bereichen Haushalt, Konsum, Arbeitswelt und Gesellschaft unter Einsatz einer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, räumlichen und politischen Perspektive analysiert werden. Überdies könnte der Ruf nach weiteren Einzelfächern wie Gesundheit, Recht, Technik etc. mit einer ähnlichen Argumentation wie beim Singulärfach Wirtschaft begründet werden, was rasch zu einer enormen und unrealistischen Aufblähung des Fächerkanons führen würde. Aber auch die geforderte Aufsplitterung in ein Fach Geographie und in ein weiteres Isolationsfach Wirtschaft würde – umgelegt auf andere Kombinationsfächer – zu einer Atomisierung der Stundentafel in viele Einstunden-Fächer führen und zudem Überlegungen in Richtung von disziplinenübergreifenden Flächenfächern zuwiderlaufen. Der Königsweg liegt in Österreich in einer auf empirischen Befunden und fachdidaktischen Überlegungen basierenden weiteren Verbesserung der sozioökonomischen Bildung im Rahmen des Geographie und Wirtschaftskunde-Unterrichts. Luft nach oben gibt es immer! Dabei sind die Schwerpunkte Aus- und Fortbildung von Lehrpersonen, didaktische und methodische Innovationen sowie Unterstützung von Lehrenden an Schulen von höchster Relevanz.
Literatur
- Fridrich, C. (2012): Wirtschaftswissen allein ist zu wenig! – oder: Plädoyer für eine lebensweltorientierte ökonomische Bildung im Unterrichtsgegenstand Geographie und Wirtschaftskunde in der Sekundarstufe I. In: GW-Unterricht 125, S. 21-40. Web: http://www.gw-unterricht.at/images/pdf/gwu_125_021_040_fridrich.pdf (zuletzt abgerufen am 24.10.2018).
- Fridrich, C.; Hofmann-Schneller, M. (2017): Positionspapier „Sozioökonomische Bildung“. In: GW-Unterricht 145, S. 54-57. Web: https://www.austriaca.at/0xc1aa500e_0x003574c2 (zuletzt abgerufen am 24.10.2018).
- Fridrich, C. (2018): Sozioökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe I und II in Österreich. Entwicklungslinien, Umsetzungspraxis und Plädoyer für das Integrationsfach Geographie und Wirtschaftskunde. In: Engartner, T.; Fridrich, C.; Graupe, S.; Hedtke, R.; Tafner, G. (Hrsg.) (2018): Sozioökonomische Bildung und Wissenschaft. Entwicklungslinien und Perspektiven. Wiesbaden: Springer, S. 81-108. Web: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-21218-6_4 (zuletzt abgerufen am 24.10.2018).
- Fuhrmann, B. (o.J.): Die ökonomische Bildung der österreichischen Jugendlichen in der achten Schulstufe. Eine empirische Studie im Auftrag der Wirtschaftskammer Österreich. Web: https://aws.ibw.at/resource/download/431/2015-09-23,oekonomische-bildung-fuhrmann,pdf (zuletzt abgerufen am 24.10.2018)
- Hedtke, R. (2015): Sozioökonomische Bildung als Innovation durch Tradition. In: GW-Unterricht 140, S. 18-38. Web: http://www.gw-unterricht.at/images/pdf/gwu_140_18_38_hedtke.pdf (zuletzt abgerufen am 24.10.2018).
- Stieger, S.; Jekel, T. (2018): Vermessene ökonomische Bildung? Eine Analyse österreichischer empirischer Studien zur ökonomischen Bildung. In: GW-Unterricht 150, S. 5-19. Web: https://www.austriaca.at/0xc1aa5576%200x0039127a.pdf (zuletzt abgerufen am 24.10.2018).
- Uhlenwinkel, A. (2018): Ergebnisorientiert und interessensgeleitet – Studien der Wirtschaftslobby zum GW-Unterricht. In: GW-Unterricht 150, S. 20-33. Web: https://www.austriaca.at/0xc1aa5576%200x0039127c.pdf (zuletzt abgerufen am 24.10.2018).