Zum Verhältnis von Schlüsselqualifikationen, Ausbildungsreform und Allgemeinbildendem Schulsystem zeigen sich vor dem Hintergrund der Untersuchungen zwei zentrale Problemlagen. Erstens kritisieren viele InterviewpartnerInnen - darunter die meisten Auszubildenden - Defizite in der schulischen Förderung von Schlüsselqualifikationen. Zweitens konnten insbesondere bei AusbildungsanfängerInnen keinerlei Anzeichen dafür gefunden werden, dass in den Schulen Vorstellungen über Strukturmerkmale und die Gestaltbarkeit der betrieblichen Arbeitssituation entwickelt wurden.

Die betrieblichen Ausbildungsfachleute kritisieren in diesem Zusammenhang die aus ihrer Sicht traditionalistische didaktische, methodische und unterrichtsorganisatorische Praxis der Schulen. Das derzeitige Übergewicht frontaler Unterrichtsmethoden und auf Reproduktion zielender Wissensvermittlung in allgemein bildenden Schulen erweisen sich in ihrer Sicht als Barriere für die Förderung von Schlüsselqualifikationen im Betrieb. Betriebliche Ausbildungskonzeptionen sehen sich in vielen Fällen AusbildungsanfängerInnen gegenüber, deren Orientierungen in der Tendenz auf eine Aufgabenerfüllung nach Anweisung gerichtet sind. Geradezu exemplarisch für die Kritik an den Orientierungen der AusbildungsanfängerInnen sind die nachfolgend wiedergegebenen Ausführungen eines Ausbildungsleiters in einem Zulieferbetrieb der Elektroindustrie (2000 Beschäftigte). Er vertritt eine Ausbildungskonzeption, in der selbstständiges und eigenverantwortliches Arbeiten und Lernen gefördert werden soll, die aber im Hinblick auf die Mitgestaltung von Arbeit und Technik eher indifferent angelegt ist.

Die AusbildungsanfängerInnen "wissen also nichts mit dieser Freiheit anzufangen, sich selbst zu organisieren, und sie wollen es z. T. auch nicht. Sie wollen einfach ihre Arbeit vorgegeben kriegen. Das ist auch wieder die Mentalität, die sie in der Schule gelernt haben. Diese Arbeit wird gemacht und dann ist Pause und dann ist eine andere Arbeit und dafür wird gelernt - aber nicht dafür, dass man sich auf lange Sicht selbst organisiert. Und das ist etwas, was uns Schwierigkeiten macht... Sie erwarten fertige Informationen". Wenn sie selbst planen und sich Informationen und Arbeitsmittel selbst beschaffen sollen, verläuft das nach der Devise, "'wieso, wieso soll ich das machen, es sind doch Ausbilder da? Sie sagen es zwar nicht, aber so ist die Denkweise'".

Diese Kritik an der rezeptiven Lernhaltung von AusbildungsanfängerInnen wurde in vielen Interviews (und von allen AusbildungsleiterInnen) geübt und zumeist explizit mit dem Hinweis verbunden, dass man sich nicht über die Leistungsbereitschaft von Auszubildenden beschweren wolle. Wenn sie eine Vorgabe bekommen - so der zitierte Ausbildungsleiter - arbeiten sie, "dass es nur so kracht". Die hier kritisierte Lern- und Arbeitshaltung kollidiert selbst mit den keineswegs avantgardistischen Definitionen von beruflicher Handlungskompetenz in den neu geordneten Ausbildungsberufen, die selbstständig planende, durchführende und kontrollierende FacharbeiterInnen und Fachangestellte fordern. Die Ergebnisse vorberuflicher Sozialisation sind damit zu Beginn der Ausbildung schon in der Arbeitskraftperspektive mit den beruflichen Anforderungen kaum zu vereinbaren.

Eine Zuspitzung erfährt die Kritik in den Ausbildungsabteilungen, in denen versucht wird, Gestaltungskompetenz in der Ausbildung aktiv zu fördern und zwar unabhängig davon, ob das eher aus einer gewerkschaftsnahen Position erfolgt, die an den Ansprüchen der Beschäftigten ansetzt, oder ob hier eher das betriebliche Interesse an der optimalen Nutzung der produktiven Kompetenzen der Beschäftigten gesehen wird. Kritisiert werden in besonderem Maße die LehrerInnenzentrierung des Unterrichts, die bürokratische Organisation von Schulen und das Lernen im 45 Minuten Takt im schulischen Fächerkanon. Der kaufmännische Ausbildungsleiter eines Stahlwerkes (5000 Beschäftigte) äußert sich in diesem Zusammenhang wie folgt:

"Die Lehrer (...) gehen nur als Einzelkämpfer durch die Gegend... Durch die Konstruktion, dass sie allein vor einer Klasse mit Unterrichtseinheiten von 45 Minuten stehen, die ganz bestimmten Fächern zugeordnet sind, dass sie einen ganz bestimmten Stoffplan bearbeiten müssen, können die Lehrer eigentlich nicht das vorführen und die Schüler das erfahren lassen, was nachher in dem betrieblichen Alltag im Berufsleben stattfindet. Im betrieblichen Alltag sieht es genau so nicht mehr aus." Methoden und Organisationsformen der Schule passten "zu den alten, klassischen Betriebsstrukturen", zum Taylorismus, aber "in dem Maße, in dem sich die Situation im Berufsleben zunehmend verändert, passen die schulischen Vorerfahrungen nicht mehr dazu". Die Auszubildenden "kommen offensichtlich immer mit dem Hintergedanken, sie sind das absolut schwächste Glied, haben nichts zu sagen, müssen alles schlucken, müssen alles hinnehmen, was sich in solch einem Betrieb innerhalb der Ausbildung aber auch später als Mitarbeiter abspielt".

AusbilderInnen und Ausbildungssituation werden - fälschlicherweise - gleichgesetzt "mit der Funktion und mit der Situation, die sie zwischen sich und den Lehrern kennen gelernt haben, bei der ... eine ganz eindeutige Machtposition aufseiten des Lehrers" bestand. Trotz aller Bemühungen "dauert es eine ganze Weile bis sie merken und sich wirklich sicher sind, dass es anders funktioniert, als sie es bisher gewohnt waren".

Im Mittelpunkt einer solchen Kritik steht zumeist die Autoritätsfixierung der Auszubildenden und eine Haltung, die betriebliche Strukturen als unveränderbar ansieht (12). Diese Auffassung bestätigt sich in Interviews mit Auszubildenden. Sofern die Ausbildung selbst nicht ein Denken in Alternativen fördert, neigen sie dazu, die betrieblichen Strukturen, in denen sie sich gerade befinden, als von ihnen generell nicht beeinflussbar anzusehen (13). Diese Haltung trägt dazu bei, dass vorhandene Spielräume zur subjektiv befriedigenden Gestaltung der Arbeitssituation ungenutzt bleiben.

Dieser ernüchternden Sicht der Resultate vorberuflicher und damit sehr wesentlich schulischer Sozialisation in der Arbeitskraft- und der Subjektperspektive steht eine insgesamt positive Einschätzung in der gesellschaftlichen Perspektive gegenüber. Den AusbildungsanfängerInnen wird überwiegend eine hohe Sensibilität gegenüber ökologischen Risiken oder Problemen von Rüstungsproduktion und -export bescheinigt, die jedoch - wie in Einklang mit der einschlägigen Forschung bisweilen kritisch vermerkt wird - nicht unbedingt handlungsrelevant wird. Offen bleibt, ob sich in dieser Diskrepanz u. a. eine von manchen Auszubildenden kritisierte "Übersättigung" und eine anscheinend auch in den Schulen mitunter - z. B. durch die Reduktion von Umweltproblemen auf individuelle (Konsum-)Handlungen - praktizierte Individualisierung gesellschaftlicher Probleme zeigt.

Die Äußerungen der Auszubildenden zu ihren Lernerfahrungen in Schule und Betrieb sind fast ausschließlich von einer überaus positiven und bisweilen überschwänglichen Haltung gegenüber der betrieblichen Ausbildung und einer negativen und in einigen Fällen vernichtenden Kritik an den allgemein bildenden Schulen gekennzeichnet. Selbst Auszubildende, die hier zurückhaltender argumentieren und sich in Gruppeninterviews gegen zu scharfe Schulkritiken wenden, stellen den negativen Eindruck ihrer KollegInnen nicht in Abrede, sondern verweisen auf die Rahmenbedingungen schulischen Lernens, die einen produktiven und subjektiv befriedigenden Lernprozess oft nicht zulassen. Zur Erklärung werden die in der Ausbildung wesentlich besseren Betreuungsrelationen und äußere Zänge angeführt, denen die Schule unterworfen ist (Lehrpläne, Selektionszwang). Positiv bewertete Schulerfahrungen werden nur selten beschrieben und mit dem Hinweis auf einzelne, besonders engagierte LehrerInnen oder auf eine reformpädagogische Praxis der entsprechenden Schule (Waldorfschule, einige Gesamtschulen) wiederum relativiert. Das Urteil der Auszubildenden weicht auch in denjenigen Unternehmen kaum von der allgemeinen Tendenz ab, in denen traditionelle Orientierungen die Ausbildungspraxis (noch) in erheblichem Maße prägen. Die Kritik der Auszubildenden - sie wird oft eingeleitet durch die spontane Aussage im Betrieb sei "alles viel lockerer" - richtet sich gegen einen Schule, die in ihrer Sicht gekennzeichnet ist durch

  • eine zu starke Dominanz der LehrerInnen;
  • isoliertes Arbeiten und Lernen;
  • ein Lernen, das auf Selektion und nicht auf Förderung zielt;
  • einen geringen Grad selbstständigen oder selbst gesteuerten Lernens;
  • geringe Möglichkeiten, eigene Interessen entwickeln zu können;
  • LehrerInnen, die wegen Überlastung oder aus bloßem Desinteresse dem Lernprozess der SchülerInnen gleichgültig gegenüberstehen;
  • LehrerInnen, die SchülerInnen nur in ihrer Rolle als Objekt schulischen Lernens sehen und nicht bereit oder imstande sind der gesamten Person Beachtung zu schenken;
  • eine Fächerzentrierung, die nur die Vermittlung isolierter Kenntnisse zulässt;
  • einen Lernprozess, der primär auf die Reproduktion von Wissen und nur selten auf "Verstehen" gerichtet ist;
  • eine übermäßige Stofffülle.

Unter den genannten Kritikpunkten werden besonders häufig diejenigen benannt, in denen Klagen über unbefriedigende sozial kommunikative Beziehungen zu LehrerInnen zum Ausdruck kommen. Während die Schule rückblickend zumeist in Begriffen eines entfremdeten Lernprozesses beschrieben wird, heben die Auszubildenden an ihrer Ausbildung die Motivationseffekte neuer Ausbildungsmethoden, höhere Handlungsspielräume und die Einschätzung hervor, dass sie sich in der Ausbildung als ganze Person ernstgenommen und akzeptiert fühlen. Als exemplarisch für Vergleiche von traditioneller Schule und reformorientierter Ausbildung kann die folgende Aussage einer Auszubildenden gelten: "Die Ausbildung hier ist so, wie man sich die Schule wünschen würde" (14).

5. Forderungen an die allgemein bildenden Schulen

Ausgehend von den vorangegangenen Überlegungen lassen sich im Hinblick auf das allgemein bildende Schulsystem die nachfolgend thesenhaft aufgeführten Forderungen formulieren. Sie können allerdings nicht unmittelbar aus Entwicklungen im Beschäftigungssystem oder aus Übergangsproblemen an der ersten Schwelle abgeleitet werden und sind mithin weder in einem logischen Sinn zwingend, noch wird damit ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Da es sich jedoch im Wesentlichen um alte - aber nach wie vor aktuelle - bildungspolitische Forderungen handelt, erscheint es mir nicht notwendig auf (vorgebliche) Logiken und Sachnotwendigkeiten zu rekurrieren.

  • Eine Enthierarchisierung des Bildungssystems gehört weiterhin auf die bildungspolitische Tagesordnung. Eine ökonomisch und gesellschaftspolitisch gleichermaßen wünschbare Entwicklung zu ganzheitlicheren Arbeitsprozessen wird durch die hierarchische Differenzierung im Bildungssystem nachhaltig erschwert. Die vorhandenen hierarchischen Strukturen im Bildungssystem stützen eine Konzentration anspruchsvollerer Tätigkeiten in den oberen Beschäftigungssegmenten.
  • Die vorherrschende Methodik und Organisation des Schulunterrichts ist revisionsbedürftig. Die derzeitige Praxis fördert rezeptive Lernhaltungen der SchülerInnen und steht damit im doppelten Widerspruch zu ökonomisch bestimmten Flexibilitätsanforderungen an das Individuum und zur aktiven Mitgestaltung der Arbeitssituation durch die Beschäftigten.
  • Die Defizite im Erkennen und Nutzen von Handlungsspielräumen und -alternativen durch die betrieblichen Akteure und insbesondere die fehlenden Vorstellungen der AusbildungsanfängerInnen von der grundsätzlichen Gestaltbarkeit betrieblicher Strukturen erfordern Veränderungen im unmittelbaren Bereich schulischer Berufsorientierung. Hier stellt sich die Anforderung, betriebliche Strukturen, ihre Veränderungen im historischen Prozess, ihre grundsätzliche Veränderbarkeit, aber auch die strukturkonservierenden Kräfte in höherem Maße als bisher transparent zu machen sowie individuelle und kollektive Handlungsmöglichkeiten zu diskutieren. Ein berufsorientierender Unterricht, der sich ausschließlich als Hilfe zur Berufswahl (miß-) versteht oder sich auf die Vermittlung berufsrelevanter Fertigkeiten und Kenntnissen im engeren Sinne beschränkt, bleibt hinter dem Ziel einer sozialverträglichen Gestaltung von Arbeit und Technik zurück.
  • Die problematischen Orientierungen der SchulabsolventInnen weisen m. E. erheblich über den Bereich der Berufsorientierung hinaus. Wendet man auf die Praxis schulischen Lernens Kriterien an, die Hoff/Lappe/Lempert (1982) für (Arbeits-)Situationen formulieren, in denen Handlungs- und damit auch Gestaltungsfähigkeiten entwickelt werden können, so fällt auf, dass Schulen in den meisten Fällen eher restriktiv organisiert sind. Die Zeitstruktur des Unterrichtes wird von Stundenplänen und Lehrkräften festgelegt. Der Bewegungsraum der SchülerInnen reicht nur außerhalb der Unterrichtszeit über den Klassenraum hinaus. Gruppenarbeit und Kooperation treten hinter Einzelarbeit und Konkurrenz zurück und die Festlegung von Unterrichtszielen durch Kultusbürokratien ist der Einflussnahme durch die einzelne Schule weitgehend entzogen. Solange die Schule eine Organisation bleibt, die dem gestaltenden Zugriff der SchülerInnen (und auch der LehrerInnen) in (fast) jeder Hinsicht entzogen ist, wird die Wahrnehmung von Gestaltungsspielräumen und die Entwicklung von Gestaltungskompetenzen eher zufällig bleiben.
  • Die von den Auszubildenden im Rückblick auf die allgemein bildenden Schulen besonders kritisierten Verstöße gegen ihre Ansprüche auf befriedigende sozial kommunikative Beziehungen zu den LehrerInnen verweisen nicht nur auf die Notwendigkeit einer Revision überkommener Methoden und Sozialformen des Unterrichts. Die Realisierung der Ansprüche setzt eine Verbesserung der Betreuungsrelationen und ein pädagogisches Selbstverständnis der LehrerInnen voraus und ist - nebenbei bemerkt - mit einer konsequenten Modularisierung des Unterrichts und einer Schule nach dem Muster der flexiblen Fertigung (vgl. Lehner/Widmaier 1992) absolut inkompatibel.
  • Die Verengungen der gesellschaftlichen Perspektive selbst in der reformierten Ausbildung stellt auch Anforderungen an die allgemein bildenden Schulen. Es gilt, die grundsätzlich positiven schulischen Ansätze zu einer Entwicklung politisch-moralischer Urteilsfähigkeit durch explizite Bezüge zu beruflichen Handlungssituationen zu ergänzen, zu erweitern und eine gelegentliche Verengung gesellschaftlicher Problemlagen auf individuelle Verhaltensanforderungen zu überwinden.
  • Die Dominanz kognitiver Wissensvermittlung in individualisierten Lernprozessen muss zugunsten eigenständigen und sozialen Lernens in der Gruppe zurückgenommen werden. Nur so wird der Erkenntnis Rechnung getragen, dass "der beste Lehrmeister für soziale Handlungskompetenz und politische Engagementbereitschaft immer noch die unmittelbare Anschauung und das unmittelbare Sich-Auseinandersetzen mit der eigenen Umwelt ist" (Baethge 1990: 58).

Die nur angedeuteten bildungspolitischen Forderungen sind - obwohl sie von PraktikerInnen möglicherweise dennoch als Zumutung empfunden werden - sicherlich weniger spektakulär und originell als der Ruf nach einem deregulierten Schulsystem, das wesentliche Prinzipien einer modernisierten Produktion übernimmt. Sie sind nicht einmal neu. Es gibt nur neue Gründe sie durchzusetzen.