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Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke / Volker Brattig: Berufsabklärende und -vorbereitende Maßnahmen in Berufsbildungswerken vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen.

In diesem Beitrag werden die berufsabklärenden und berufsvorbereitenden Maßnahmen der Berufsbildungswerke [1] charakterisiert und Auswirkungen neu gefasster sozialpolitischer Vorgaben auf diese Maßnahmen herausgestellt. Es ergeben sich aus diesen Auswirkungen Fragen, deren Beantwortung neue Impulse für die Konzeption dieser Maßnahmen geben können. Dieser Beitrag gliedert sich folgendermaßen:

  • Sozialpolitische Gesetzgebung
Verständnis von Behinderung
Verständnis von gesellschaftlicher Integration
Verständnis von Fordern und Fördern
  • Differenzierte Gestaltungsmöglichkeiten
Grundprinzipien
Qualitätsstandards
Konzeptionelle Unterschiede
  • Entwicklungsperspektiven
Aus Kostenträger Sicht
Aus Sicht der Teilnehmer
Aus sicht der Einrichtungen
 

1. Sozialpolitische Gesetzgebung

Die sozialpolitische Gesetzgebung der letzten Jahre äußerte sich unser Wirkungsfeld betreffend in der Fassung des SGB III und SGB IX. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang aber auch das Job-Aqktiv-Gesetz. Die Leitgedanken dieser Gesetzgebung lassen sich in folgender Weise darstellen:

  • In der aktuellen Gesetzgebung fand ein weiterentwickeltes Verständnis von Behinderung Niederschlag, wie es von der World Health Organisation [2] (WHO) vertreten wird. Die WHO sieht die Notwendigkeit, Behinderung nicht nur personenbezogen zu sehen, sondern auch gesellschaftlich zu betrachten. Der Mensch wird als ein "biopsychosoziales" Wesen angesehen. Seine Gesundheit kann durch Schädigung körperlicher Strukturen und Funktionen, durch Beeinträchtigung seiner Aktivitäten und durch Einschränkungen bezüglich seiner gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten gestört sein. Diesem Ansatz folgend kann Gesundheit dadurch weitgehend wieder hergestellt werden, dass gesellschaftliche Bedingungen geschaffen werden, die die negativen Auswirkungen von körperlichen und sonstigen Schädigungen oder Aktivitätsbeeinträchtigungen mindern. Rehabilitationsarbeit bedeutet nicht nur den einzelnen Menschen zu fördern, sondern auch gesellschaftspolitisch zu handeln.

  • Gesellschaftliche Integration wird in der neuen sozialpolitischen Gesetzgebung durch zwei zentrale Aspekte definiert: Selbstbestimmung und Teilhabe. Selbstbestimmung ist umfassend gemeint. Die Menschen, die Rehabilitationsmaßnahmen in Anspruch nehmen wollen, erhalten nicht nur die Möglichkeit, Rehabilitationseinrichtungen zu wählen, sondern sie können auch die Maßnahmegestaltung mit beeinflussen. Maßnahmen werden im zunehmenden Maße individualisiert gestaltet werden müssen. Vereinbarungen zwischen Rehabilitationseinrichtungen und Rehabilitanden erhalten eine höhere Bedeutung, als sie bisslang genossen. Die Interessenvertretung auf der Ebene der einzelnen Betroffenen und ihrer Zusammenschlüsse zum Beispiel in Form von Selbsthilfegruppen kann an Bedeutung gewinnen. Der Aspekt der Teilhabe verstärkt den Anspruch auf einen Arbeitsplatz und selbstständige Lebensführung. Arbeit und Wohnen muss weitgehend barrierefrei gestaltet werden, um die Auswirkungen gesundheitlicher Störungen gering zu halten.

  • Aus sozialpolitischer Sicht wird Förderung in den unterschiedlichsten Rahmenbedingungen zunehmend mit dem Prinzip des Forderns verbunden. So werden Vorgaben für die Integration von Arbeitslosen zur Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt neu gefasst. Ebenso werden im Bereich der Rehabilitation mit dem SGB III neue Anforderungen gestellt, indem Rehabilitationsmaßnahmen nur noch nach dem Prinzip "so viel Hilfe wie nötig und so wenig als möglich" angeboten werden sollen. Die gestellten Anforderungen beinhalten, dass die geförderten Personen einen größtmöglichen persönlichen Beitrag leisten, um die Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen. Die Anforderungen ihrerseits sind - dem Geiste nach - nahezu ausschließlich auf die vorgegebenen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausgerichtet. An dieser Stelle besteht teilweise ein Spannungsverhältnis zu dem neuen Verständnis von Behindertsein, das ja gerade auch fordert, betriebliche Bedingungen in der Weise zu verändern, dass sich aus Behinderung ergebende Einschränkungen verringert oder ganz abgebaut werden können.

 

2. Differenzierte Gestaltungsmöglichkeiten

In der aktuellen Diskussion haben sich neue Begrifflichkeiten wie Assessment und Profiling etabliert. Sie wurden auf politischer Ebene insbesondere durch die Drucksache des Bundestages 14/6944 eingeführt. Sie sollten auf die notwendigen Verbesserungen bei der Vermittlung von arbeitslosen oder von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmern durch Eignungserfassung und Abstimmung auf die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt hinwirken. Diese Anregungen wirken sich nun auch auf den Bereich der Rehabilitation aus, in dem es bereits Maßnahmen wie Arbeitserprobung, Berufsfindung und Förderlehrgänge gab und gibt. Für diese Maßnahmen gab es konzeptuelle Vorgaben, die für die Förderlehrgänge nach wie vor über einen Runderlass geregelt sind (vgl. Bundesanstalt für Arbeit 1996). Für Arbeitserprobung und Berufsfindung wurde der entsprechende Runderlass nicht fortgeschrieben, aber es existieren wissenschaftlich abgesicherte Konzepte (vgl. Wöhrl/ Klammer/ Dijkstra 1987).

  • Die Grundprinzipien von Arbeitserprobung und Berufsfindung sind multidisziplinäre Diagnostik, pädagogisch aufbereitete Lernfelder, Beobachtungs- und Beurteilungssysteme, interdisziplinäre Beratung und Empfehlungsfindung, Plausibilität der Aufgabenstellungen für die Teilnehmer, kontinuierliche Rückmeldung über die Bewertung und Aussagefähigkeit von Aufgaben sowie das Einbeziehen der Teilnehmer in den gesamten Prozess. Für berufspädagogische Erprobungen in beiden Maßnahmen wurden verschiedene von Experten aus der beruflichen Rehabilitation ausgewählte berufsfeldtypische Aufgaben zusammengestellt, durch die individuelle Lernprozesse initiiert und überprüft werden können. Die Bearbeitung sollte keine einschlägigen beruflichen Vorerfahrungen erfordern. Diese Aufgaben sind im Schweregrad differenziert und decken die Breite der Berufsfelder ab. Sie ermöglichen, Aussagen zu verschiedenen Anforderungsniveaus und Ausbildungsgängen der Berufsfelder zu treffen. Sozialpädagogisch relevante Verhaltensaspekte sind ebenfalls durch Experten aus der beruflichen Rehabilitation abgestimmt, um lebenspraktische und soziale Verhaltenskompetenzen der Teilnehmer bezogen auf die Bewältigung zukünftiger Ausbildungen zu erfassen. Rehabilitationsmedizinische und -psychologische Befunderhebung und Unterstützung im Maßnahmeprozess vervollständigen die ganzheitliche Erfassung und Vermittlung von Ergebnissen. Die Komplexität der Maßnahme, die das Erfassen nicht nur von Eignung sondern auch von Neigung und Belastbarkeit ermöglicht, verlangt nach einer systematischen Organisation von interdisziplinärer Zusammenarbeit und Einbeziehung der Teilnehmer. Die Heterogenität der durch sehr verschiedene psychosoziale Entwicklungsbedingungen bewirkten persönlichen Entwicklungsstände verlangt nach einer sehr differenzierten Vorgehensweise, um sie so weitgehend wie möglich mit einbeziehen zu können sowie einen individuellen Maßnahmeverlauf zu ermöglichen.

    Zu den Grundprinzipien in Fördermaßnahmen (F1, F2, F3 und F4) gehört, ein breites Berufswahlspektrum anzubieten. Das breite Spektrum dient zum einen als Grundlage für eine Entscheidungsfindung und zum anderen für eine individuell ausgerichtete Förderung. Das Lernen erfolgt ganzheitlich und die pädagogische Vorgehensweise richtet sich an einer Kompetenz- und nicht an Defizitorientierung aus. Ausbildungsmotivation gilt es aufzubauen und berufsfeldtypische fachpraktische und fachtheoretische Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten zu vermitteln sowie betriebliche Erfahrungen zu ermöglichen. Es sollten allerdings keine Ausbildungsinhalte vorweg genommen werden. Berufsfeldübergreifende Kompetenzen wie soziale Handlungskompetenzen und ein angemessenes Arbeitsverhalten sind differenziert aufzubauen. Konkretere inhaltliche Vorgaben über die Prinzipien der Projektarbeit und Betriebspraktika hinaus werden nicht gesetzt. Aber es wird das Prinzip der Modularisierung gefordert, um eine flexible am Teilnehmern ausgerichtete Lehrgangsgestaltung zu ermöglichen. Die berufspädagogischen Inhalte müssen also zum einen nach der Art von Bausteinen, die auf einander bezogen sind, geplant werden. Zum anderen müssen bei dieser Planung alle anderen Fachlichkeiten, die zur interdisziplinären Zusammenarbeit notwendig sind, wie Sozial- und Sonderpädagogik, Psychologie und je nach Klientel auch Medizin mit einbezogen werden. Ein organisierter kontinuierlicher interdisziplinärer Austausch gewährleistet ein hohes Beurteilungsniveau, da subjektive Fehlerquellen minimiert werden.

    Profiling kann als ein systematisierter Ansatz verstanden werden, die persönlichen Voraussetzungen eines Menschen in beruflicher Hinsicht zu erfassen, mit den erhobenen Angeboten des Arbeitsmarktes abzugleichen und daraus eine Vermittlungsempfehlung abzuleiten. Benannte die Arbeitsvermittlung früher nur ihr bekannte Arbeitsgesuche, wird jetzt verlangt, dass der Arbeitssuchende auch tatsächlich den Anforderungen des Stellengesuchs entspricht. Zu den Grundprinzipien des Profilings zählen mit Blick auf betriebliche Nachfrage die aktuellen persönlichen Qualifikationen und Kenntnisse, sowie die Leistungsbereitschaft und Weiterbildungsmotivation zu erfassen. Das Erfassen dieser individuellen Voraussetzungen erfolgt in der Regel über Gespräche, Unterlagen oder Tests. Auf der Grundlage dieser Erfassung wird eine obligatorische individuelle Chancenabschätzung vorgenommen. Es geht also um eine Prognoseerstellung durch Eignungsfeststellung mit dem Ziel, eine Vereinbarung über das Vorgehen zu treffen, wie ein Arbeitsplatz erfolgreich gefunden und eingenommen werden kann.

    Unter Assessment Center firmieren verschiedene Ansätze. Zu den Grundprinzipien von Assessment Center gehört, Eignungsaussagen anhand verschiedener Aufgabensituationen, in denen Teilnehmer nach festgesetzten Kriterien beobachtet und beurteilt werden, zu treffen. Die Aufgabenstellungen müssen Anforderungen enthalten, für deren Bewältigung die Teilnehmer die abzuklärenden Eignungen einsetzen müssen. Die Aufgabenstellungen des Assessment Centers sollen also einen engen nachvollziehbaren Bezug zu den zukünftigen (Arbeits-) Tätigkeiten haben. Die Beobachtungen sollen überprüfbar und beschreibbar sein. Die Beobachter werden vor ihrem Einsatz geschult. Die Auswertungen der Beobachtungen werden zwischen den Beobachtern abgestimmt und in einem Ergebnisbericht formuliert. Die Teilnehmer werden über die Ziele und den Ablauf des Assessment Centers in Kenntnis gesetzt. Sie werden während des Assessment Centers über die Teilergebnisse sowie an dessen Ende über das Gesamtergebnis informiert. Assessment Center können so aufgebaut sein, dass Ergebnisse aus einem ersten Assessment Center zu einer gezielten Trainingsmaßnahme führen, nach deren Abschluss die Teilnehmer in einem folgenden Assessment Center wieder ihre Eignung unter Beweis stellen können.

  • Kriterien für eine qualitative Beurteilung von Arbeitserprobungs- und Berufsfindungsmaßnahmen wurden nach einer Fortschreibung des im Rahmen des Forschungsberichtes vorliegenden Konzeptes vorgeschlagen. Die Beurteilung kann nach folgenden Kriterien erfolgen: Maßnahmebezogene, personelle, ausstattungsbezogene und auswertungsbezogene (vgl. Brattig 1998). Die Maßnahmen sollten zur individuellen Gestaltung in Grunderprobung im Sinne eines Screenings und Facherprobungen im Sinne einer vertieften berufsfeldorientierten Abklärung modularisiert sein. In Berufsfindungsmaßnahmen sollten die Grunderprobungen in mindestens fünf Berufsfeldern und die Facherprobungen in drei Berufsfeldern erfolgen. Die pädagogische Aufgabengestaltungen sollte Lern- und Überprüfungscharakter haben und keine Testsituation darstellen. Eine hohe Intersubjektivität wird durch die Vorgabe von Beobachtungskriterien und Teambesprechungen gewährleistet. Die ganzheitliche Erfassung der Teilnehmer erfordert eine multidisziplinäre Zusammensetzung des Teams. Schließlich wird eine angemessene Dokumentation verlangt. Die personellen Voraussetzungen bezogen sich auf eine rehabilitationsspezifische Qualifikation aller beteiligten Fachkräfte und der besonderen Fähigkeit zur interdisziplinären Zusammenarbeit. Die Anzahl der berufspädagogischen Fachkräfte muss eine Kleingruppengröße ermöglichen. Bei den ausstattungsbezogenen Standards werden unter anderem eine berufsfeldtypische Ausstattung von Arbeitsräumen und Arbeitsplätzen verlangt, um einen hohen Übereinstimmungsgrad bei der Aufgabengestaltungen und -durchführung mit den Anforderungen im jeweiligen Berufsfeld zu ermöglichen. Die auswertungsbezogenen Standards beinhalten eine katamnestische Datenerhebung und -Auswertung, sowie die Nachbefragung der Teilnehmer.

    Für Förderlehrgänge werden bislang keine expliziten qualitativen Beurteilungskriterien benannt. Solche Kriterien können aber aus dem erwähnten Runderlass abgeleitet werden. Die Gestaltung der Maßnahme ist in folgende Phasen unterteilt: Orientierung und Motivierung, Vertiefung sowie Stabilisierung und Ablösung. Modularisierung zur Ermöglichung individueller Lehrgangsverläufe. Sicherstellen der Durchlässigkeit für weiterführende Maßnahmen. Zu den Standards gehört auch die Berufswahlkomponente mit der Vorgabe der Anzahl der Berufsfelder, eines kontinuierlichen Beratungsangebotes und der Einbeziehung des örtlichen Arbeitsamtes. Die Anwendung eines individuellen Förderplans, der Zielsetzungen erfasst, die notwendige Betreuung umschreibt, methodische Vorgehen festhält und Verlaufs- / Erfolgskontrolle regelt. Außerdem werden zielgruppenorientierte Gruppengröße definiert. Bei der Festlegung der Gruppengröße können zusätzlich besondere behinderungsbedingte Anforderungen der spezifischen Teilnehmergruppe berücksichtigt werden. In personeller Hinsicht werden von den pädagogischen Mitarbeitenden neben den verschiedenen fachlichen Qualifikationen auch rehabilitationsspezifische Erfahrungen erwartet. Außerdem wird von einer multidisziplinären Zusammensetzung der Teams ausgegangen. Standards zur Ausstattung müssen berufsfeldtypisch sein, darüber hinaus muss zur praxisorientierten Anwendung auch Informations- und Kommunikationstechnologie vorhanden sein. Offenbleiben Standards zur Evaluation.

    Für Profiling sind keine Kriterien bekannt. Für Assessment Center gibt es Anregungen für Qualitätskriterien, die über die Qualitätskriterien des "Arbeitskreises für Assessment Center" hinausgehen. Die Qualitätskriterien des Arbeitskreises haben schon teilweise Berücksichtigung in der Darstellung der Grundprinzipien gefunden. Die darüber hinausgehenden Kriterien beziehen sich auf eine prozessual angelegte Diagnostik, geschulte Assessoren und eine wissenschaftlich abgesicherte Evaluation durch die Gewährleistung von verschiedenen Formen von Validität und Reliabilität.
  • Konzeptionelle Unterschiede werde ich nun im Wesentlichen zwischen den Maßnahmen zum einen der Arbeitserprobung, Berufsfindung und des Förderlehrgangs und zum anderen des Profilings und Assessment Centers skizzieren.

    Arbeitserprobung Berufsfindung und Förderlehrgang haben ihren Ausgangspunkt für die Konzeptbildung in der pädagogischen Erprobung und Förderung auf die Ausbildung hin. Das Erfassen des Lernpotenzials sowie des Lern- und Arbeitsverhaltens der Rehabilitanden in fachlicher und überfachlicher Hinsicht - einschließlich des Sozialverhaltens - steht bei Arbeitserprobungen und Berufsfindungen im Mittelpunkt. Die persönlichen Voraussetzungen werden anhand von differenzierten und auf einander aufbauenden Aufgabestellungen erfasst, auf die die Rehabilitanden hingeführt werden. Dies Vorgehen schließt Übungs- und Trainingsphasen ein. Individuelle Lernvorgänge werden in der Gruppe im Sinne von Arbeitsvorgängen angelegt, wie sie berufsfeldtypisch sind. Jeder Rehabilitand wird individuell erprobt und ist doch in einen gemeinsamen Arbeitsablauf mit einbezogen. Es wird ein hoher Selbsterfahrungsanteil ermöglicht, da berufsfeldtypische Aufgaben nicht nur über die eigene Arbeit während der Erprobungssituation erfahrbar sind, sondern auch durch das Wahrnehmen der Arbeit der anderen in der Gruppe. Die Rehabilitanden haben die Möglichkeit, sich ihrem persönlichen Entwicklungstempo entsprechend zu entfalten. Dies gilt umso mehr, als dass eine berufliche Empfehlung am Schluss der Maßnahme getroffen wird, sodass auch sich spät zeigende Kompetenzen berücksichtigt werden können. Denn weniger die Dauer der Maßnahme als vielmehr ihr Ablauf wird individuell gestaltet. Vielen Rehabilitanden, die zu Beginn dieser Maßnahmen aus sehr unterschiedlichen Gründen in einer kritischen Entwicklungsphase stecken, sind auf eine Berufswahlentscheidung nicht primär eingestellt. Sie sind dann nicht entsprechend ihren Möglichkeiten leistungsfähig. Fällt deshalb das Ergebnis in einem Berufsfeld nicht leistungsgerecht aus, kann eine wiederholte - zumeist - verkürzte Erprobung Klarheit bringen. Die berufspädagogische Erprobung wird ergänzt durch die Lernsituation in der Berufsschule. Auch in dieser Hinsicht wird die spätere Ausbildungssituation abgebildet. Spezielle Motivations-, Lern- und Leistungseinstellungen werden erkennbar und können bei der Prognose berücksichtigt werden. Aus sozialpädagogischer Sicht werden verhaltensnah persönliche Voraussetzungen und Entwicklungsfähigkeit erfasst. Durch medizinische und psychologische Betreuung und Beratung werden sowohl das persönliche Eignungs- und Neigungspotenzial als auch die Bewältigungsstrategien abgeklärt und begleitend beraterisch vermittelt beziehungsweise stabilisiert. Für den konzeptionellen Ansatz im Förderlehrgang gilt in analoger Weise derselbe Grundsatz. Auch hier steht zum einen der Entwicklungsgedanke von Leistungsfähigkeit, Einsatzbereitschaft, Belastbarkeit und Interesse sowie die möglichst weitgehend nachgestellte Ausbildungssituation, indem zum Beispiel im kaufmännischen Bereich durch Übungsbüros und im handwerklichen Bereich mit entsprechenden Aufgabenprojekten vergleichbare pädagogische Lernsituationen geschaffen werden.

    Da das Profiling als neuer Rahmen für Beratungssituationen zu verstehen ist, wird an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen. Demgegenüber soll aber das Konzept von Assessment skizziert werden. Das Assessment Center hebt darauf ab, an von Experten eingeschätzten Beispielaufgaben in einer vorgegebenen Situation die Eignung von Teilnehmern zu erfassen. Es sollen auch sich in der Situation zeigende Entwicklungspotenziale berücksichtigt werden, die dann in einem weiteren Assessment Center überprüft werden. Die Teilnehmer müssen also in dieser Situation ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen können, soll es nicht zu falschen Einschätzungen kommen. Sie müssen über eine hohe Motivation verfügen, den "Ernstcharakter" erkennen und keine ausgeprägte Misserfolgseinstellung haben. Der konzeptionelle Grundgedanke ist also, eine Testsituation zugrunde zu legen, die einen hoch abgesicherten Beispielcharakter hat und eine möglichst zutreffende Prognose ermöglicht. Die Wurzeln dieses Ansatzes liegen in der psychologischen Forschung, die zum Ziel hatte, weitgehend zuverlässig eine Auswahl der Besten zu gewährleisten. Es wird also ein anderer Ansatz aufgegriffen.
 

3. Entwicklungsperspektiven

Die bisherige Gestaltung der berufsabklärenden und berufsvorbereitenden Maßnahmen haben eine fortwährende Anpassung ihres Ablaufes und ihrer Inhalte erfahren, ohne ihre grundsätzliche Konzeption zu verändern. So ist die Flexibilisierung des Ablaufes, um individuellen Anforderungen besser gerecht zu werden, erhöht worden. Eine zentrale Bedeutung nimmt dabei der Ansatz der Modularisierung ein, der nicht immer explizit benannt wird. In verschiedenen Versionen erfolgt die Durchführung in den Berufsbildungswerken, sodass sich die Konzepte als anpassungsfähig an die verschiedenen Rehabilitanden Gruppen und organisatorischen Bedingungen der Einrichtungen erwiesen haben und erweisen. Die inhaltlichen Aufgabenstellungen sind in den einzelnen Einrichtungen an die veränderten Ausbildungsinhalte und im weiteren an die veränderten Arbeitsplatzanforderungen ausgerichtet worden. Die Entwicklungen sind in erster Linie durch die Einrichtungen initiiert und umgesetzt worden, wobei für die Fördermaßnahmen ein Rahmen vorgegeben war, der bei den anderen beiden Maßnahmen nicht fortgeschrieben wurde. Mit Profiling und Assessment Center werden nun zwei Ansätze neu in den Rehabilitationsbereich eingebracht. Sie geben neue Impulse und eröffnen neue Chancen, die geprüft werden müssen.

  • Aus Sicht der Einrichtungen können also mit Profiling und Assessment Center neue Teilnehmergruppen angesprochen werden, die bislang nicht von den Angeboten in Berufsbildungswerken profitieren. Es gilt also neue strategische Überlegungen anzustellen und umzusetzen. Die Einrichtungen können aber auch von der Kombination von Aspekten der verschiedenen Maßnahmen Nutzen ziehen, in dem sie ihren bisherigen Bestand auf der Grundlage neuer Anregungen einer kritischen Reflexion unterziehen. Hierzu lassen sich eine Reihe von geeigneten Fragestellungen entwickeln, die einer sorgfältigen Analyse und Bewertung bedürfen. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer vernetzten Rehabilitationsplanung.

Darüber hinaus werden mögliche Perspektiven aus der Sicht der Kostenträger und Teilnehmer vermutet, die Beachtung finden sollten.

  • Aus Sicht der Rehabilitationsträger ergeben sich verschiedene Aspekte. Sie werden zum einen Vorteile bei den Gestaltungen von Maßnahmen sehen, die durch eine Fokussierung auf die Erprobung beispielhafter Arbeitssituationen zu einer verkürzten Zeitdauer führen. Eine Effektivitätssteigerung ergibt sich aber nur dann, wenn die Prognose gleich sicher wie bei Maßnahmen ist, die einen Rahmen geben, bei dem berücksichtigt werden kann, dass die Persönlichkeitsentwicklung der Teilnehmer beeinträchtigt ist, sie überwiegend kein altersentsprechend gefestigtes Selbstbild haben, ihre Selbsteinschätzung durch die besonderen Entwicklungsbedingungen beeinträchtigt und die Behinderung oft nicht angemessen verarbeitet ist. Sie müssen an ihrem Entwicklungsstand abgeholt werden und ihnen gilt es, einen Rahmen zu geben, der Entwicklungsmöglichkeiten einschließt. Dieser Rahmen muss allerdings flexibel individuelle Abläufe ermöglichen, wozu eine geeignete und weiterentwickelte Modularisierung beiträgt. Zum Zweiten werden Träger daran interessiert sein, dass durch eine kontinuierliche Überprüfung der inhaltlichen Aufgabenstellungen ihre Aktualität bezogen auf Ausbildungs- und Arbeitsanforderungen gewährleistet ist, dies erfordert eine systematische und kontinuierliche Überprüfung der Inhalte. Zum Dritten wird vonseiten der Träger ein Interesse daran bestehen, auf der Basis vorhandener Ansätze Qualitätskriterien und deren Überprüfung zu definieren. Viertens erwarten Träger eine Evaluation der Abschlüsse, für die es allerdings unter Beteiligung der Einrichtungen angemessene Vorgaben zu bestimmen gilt.

  • Aus Sicht der Teilnehmer werden sich Änderungen ergeben, die in Richtung einer selbstbestimmten Einflussnahme auf Maßnahmen gehen. Hier wird sich ein neuer Bedarf an Beratung über Maßnahmen und ihren Inhalten ergeben, der sowohl zu Beginn als auch im Laufe der Maßnahme zunehmen wird. Der persönliche Entwicklungsstand und das Lebensalter der Teilnehmer wird es notwendig machen, auch das mögliche Einbeziehen von Erziehungsberechtigten oder betreuenden Personen zu berücksichtigen. Neue Teilnehmergruppen können Interesse finden. Das Angebot des Assessment Center könnte zur verbesserten betrieblichen Arbeitsplatzplanung und -besetzung genutzt werden, sodass sich sowohl Arbeitnehmer als auch Betriebe dafür interessieren können.

 

Literatur

Brattig, V. (1998): Qualitätsstandards für Berufsfindungs- und Arbeitserprobungsmaßnahmen. In: Berufliche Rehabilitation. Beiträge zur beruflichen und sozialen Eingliederung junger Menschen mit Behinderungen. Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke (Hrsg.). Ausgabe 3/98, S. 176, Freiburg

Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.)(1996): Dienstblatt Runderlass 42/96. Nürnberg

Wöhrl, H.-G./ Klammer, W./ Dijkstra, J. (1987): Berufsfindung und Arbeitserprobung als berufswahlunterstützende und eignungsdiagnostische Maßnahmen für behinderte Jugendliche: Abschlußbericht zum Projekt "Revision, Entwicklung und Erprobung von Aufgaben-, Beobachtungs- und Beurteilungssystemen für die Berufsfindung/Arbeitserprobung in Berufsbildungswerken". Forschungsbericht 156. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.). Bonn

 

 
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Quell-URL (modified on 14/01/2013 - 15:15): https://sowi-online.de/node/682

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