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4. Auflösungstendenzen von Beruf

Beruf als Element der Arbeitsgesellschaft kann nur so stabil sein wie die Arbeitsgesellschaft selbst. Marx wurde schon erwähnt als Kritiker berufsbezogener "überzogener" Arbeitsteiligkeit, die zur Entfremdung führe. Auch heute, nach einigen Jahrzehnten Arbeitspsychologie und Arbeitswissenschaft mit dem Idealbild der umfassenden, breit angelegten, persönlichkeitsförderlichen Arbeitstätigkeit, werden enge Arbeitsvorgaben mit eingegrenzter beruflicher Struktur eher als überholt angesehen. Insbesondere anspruchsvolle Aufgaben ließen sich nicht mehr in traditioneller Weise in eher eng abgegrenzte Berufe gießen.

Daneben geht Beck (1996: 140) noch weiter, wenn er in allen nachindustriellen Gesellschaften einen Kapitalismus ohne eine Dominanz von Erwerbsarbeit heraufziehen sieht. Er hält den bevorstehenden Aufschwung der Dienstleistungsgesellschaft für einen der Mythen, die die Debatte von diesem Phänomen abschirme. Der Verlust der Arbeitsplätze führe in eine Situation, die durch Unsicherheit - ein Signum der Zeit - gekennzeichnet sei. Der "Beruf fürs Leben" drohe auszusterben. "Dass damit eine Wertewelt - die Welt der auf Erwerbsarbeit zentrierten Gesellschaft - untergeht, will niemand wahrhaben."

Stirbt aber mit dem stabilen Lebensberuf der Beruf - im deutschen Sinne und im deutschen Sprachraum mit dem ihm eigenen Verständnis - schlechthin? Sind Arbeitsmarkt, Arbeitsplätze, Qualifikationsprofile, Statusmuster, Ausbildungen, Weiterbildungen in Kategorien jenseits der Termini zu beschreiben, die gemeinhin "Beruf" genannt werden? Steht und fällt der Beruf mit seiner Ganzheitlichkeit sowie seiner Dauerhaftigkeit oder lässt er sich reduzieren auf jene konstitutiven, jedweder Erwerbsarbeit eigentümlichen Elemente, wie sie anderwärts unter "Job" oder "Occupation" subsumiert werden? Wird also das bewährte Normalarbeitsverhältnis obsolet? Stirbt der Beruf als allgemeine Kategorie aus, während in Nischen die Profession - im klassischen Sinne als monopolisierte Dienstleistung mit streng geregeltem Zugang über akademische/staatliche Examina - überlebt?

Wenn der Beruf am Ende wäre (Geissler/Orthey 1998), dann könnte sich dies in den folgenden Aspekten zeigen.

 

4.1 Verlust der Dauerhaftigkeit

Ganz offensichtlich wird das Signet "Dauerhaftigkeit" für das Phänomen Beruf derzeit in Frage gestellt. Einvernehmen besteht darüber, dass die Zeiten dahin sind, in denen der Beruf einmal erlernt wird, den man dann - so eine Bezeichnung aus der Schweiz aus den 70er Jahren - in "Berufstreue" bis zum Ruhestand ausübt. "Der Begriff des Berufs vor allem spiegelt in dynamischen Gesellschaften nicht mehr den Inhalt oder die Anforderungen einer Position im Erwerbsleben wider. Besser brauchbare Kategorien stehen in der Erwerbsstatistik jedoch nicht zur Verfügung." (Mertens 1974: 38). Und schon im Jahresgutachten 1965 hat der Sachverständigenrat [1] zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung formuliert a.a.O.: 161 f.):

"Eine Ausbildung, die sich auf einen Lebensabschnitt beschränkt, kann der Entwicklung des Wissens und dem Wandel der beruflichen Anforderungen nur unvollkommen gerecht werden ... Maßnahmen, die Fortbildung und Umschulung anregen, erleichtern und begünstigen, werden deshalb in Zukunft für ein angemessenes Wirtschaftswachstum kaum entbehrlich sein. ... angemessenes Wachstum erfordert den Wandel der Strukturen, der Wandel der Strukturen jedoch Menschen..., die ihn treiben und ihn tragen. Die "zünftlerische" Vorstellung von einem Beruf, dem man gleichsam von der Wiege bis zur Bahre verpflichtet ist, wird der Zukunft noch weniger gerecht als der Gegenwart."

Der hier konstatierte Verzicht auf den Lebensberuf entspricht der Erfahrung, dass das Attribut "lebenslange Stabilität der Beschäftigung" als eine dem Beruf zugeschriebene Funktion, schon seit Jahrzehnten nicht eingelöst worden ist oder werden konnte. Die Mobilitätsforschung des IAB [2] (siehe dazu Hofbauer 1972 und 1981, Kaiser 1972 und 1975) hat immer wieder darauf hingewiesen, in welch großem Ausmaß - vor allem unterhalb der akademischen Berufe - Berufswechsel zum Alltag geworden ist. Zu Beginn der 90er Jahre waren von den betrieblich ausgebildeten Fachkräften nur 55% im erlernten oder in einem diesem verwandten Beruf beschäftigt, von den Übrigen, die in andere Tätigkeiten eingemündet sind, konnte nur jede(r) Dritte Wissen, Können und Erfahrung aus dem erlernten Beruf nutzen. Dies bedeutet, dass 30% aller Absolventen einer Berufsausbildung auf BBiG-Niveau einen Erwerbsweg hinter sich haben, in dem ihre in der Ausbildung erworbenen Qualifikationen weitgehend oder völlig entwertet worden sind.

Aus diesen Entwicklungen wird die Forderung abgeleitet, Berufsqualifikation und Berufsabgrenzung offen zu halten, laufende Aktualisierungen vorzunehmen und Beruflichkeit auf eine breite Basis langfristig stabiler und damit eher allgemeinerer Inhalte zu beziehen, statt auf ad hoc eingebrachte spezielle Verrichtungen. Unklar ist, wie in diesem Zusammenhang die Wirkung des Strukturwandels und der berufsspezifischen Arbeitsmärkte einzuschätzen ist. In der Mobilitätsforschung wird deutlich, dass es auf die Werthaltungen im Umfeld der Erwerbstätigkeit ankommt, und dass möglicherweise die Betriebstreue und der Verbleib im regionalen Bezug höher bewertet werden als die Treue zum Beruf.

 

4.2 Gefährdungen beruflicher Identität

Würde auf Berufe im Erwerbsleben verzichtet oder gingen sie, aus welchen Gründen auch immer verloren, dann stünde auch die berufliche und personale Identität, die über den Beruf und die dort erlebte Selbstverwirklichung und Sinnerfüllung gestiftet wird, zur Disposition. Bislang war der Beruf ein Signet dafür, wo jemand Experte sei, wovon er/sie etwas verstehe, wo Kompetenz, Routine und Erfahrung, ja Könnerschaft vorhanden sei, die ständig auch durch hohe Arbeitsleistung bewiesen werde. Damit sind - meist dem Facharbeiter zugeschriebene, in allen anderen Statusbereichen ebenfalls relevante - Eigenschaften verbunden, beispielsweise die Verantwortung für die Produktqualität, die Identifikation mit dem Produkt oder dem Betrieb. Deutlich wird dies in der tiefen Verachtung jeglicher Art von "Pfusch", mit der auch der Berufsstolz ausgedrückt wird.

Möglicherweise werden hier glorifizierende Strukturen und Werte aus dem Handwerksbereich in die Gegenwart übertragen, die in der betrieblichen Wirklichkeit mit rigiden Vorgaben und hoher Arbeitsteiligkeit nur am Rande bedeutsam waren und jetzt - wo die Einsatzflexibilität auch innerhalb der Unternehmen über traditionelle Berufsgrenzen hinweg eine wichtige Rolle spielt - kurzerhand abgestoßen werden.

Die Modelle persönlichkeitsförderlicher Arbeitsgestaltung versuchen zwar durchaus, die berufsfachlich strukturierte Identität zu erhalten oder neu aufzubauen, doch sie stützen sich nicht auf traditionelle Berufsabgrenzungen, sondern [/S. 451:] empfehlen Aufgaben- und Tätigkeitsstrukturen, die oftmals quer zu überkommenen Berufen liegen. Daraus ergibt sich in der ersten Runde eine Tendenz zum Verzicht auf - konventionell - abgegrenzte Berufe. In einer zweiten Runde werden neue Berufsschneidungen vorgeschlagen, die der jeweiligen Aufgabenmischung und Arbeitsteiligkeit eher entsprechen. Diese Modelle haben aber die Tendenz zur Anreicherung und zunehmenden Komplexität der Aufgaben, sodass nur das obere Segment der Erwerbstätigen in der Lage ist, diese anspruchsvollen Strukturen abzudecken. Für das untere Segment ergeben sich aber Probleme: Gerade jene Personen, die den Beruf nötig als identitätsstiftendes Element brauchten, da sie in anderen Gesellschaftsbereichen nicht in der Lage waren, auf feste Einbindungen zurückzugreifen oder sie aufzubauen, verlieren offenbar mit der anspruchsvollen Neudefinition der Arbeitsstrukturen den einzigen noch zugänglichen Identifikationsanker und werden auf wenig identitätsstiftende Jobs mit kurzfristigen und flachen Aufgabenfeldern verwiesen.

 

4.3 Abkopplung von Berufsausbildung und Berufstätigkeit

Nach dem deutschen Berufsbildungsgesetz ist im Konsens der Sozialpartner festgelegt, in welcher Bündelung Arbeitsaufgaben und die ihnen zugehörigen Verrichtungen, den ökonomischen Notwendigkeiten folgend, als Ausbildungsordnungen etabliert werden sollen, um danach in einer meist dreijährigen Lehrzeit Jugendliche so zu qualifizieren, dass sie nach Abschluss dieser Ausbildung voll einsatzfähig sind, und zwar in der Weise, dass sie Arbeitsaufgaben leisten können, die nach den Tarifvereinbarungen für Facharbeiter bzw. qualifizierte Angestellte festgelegt sind.

Stünden wir am Ende des Berufs, wie dies bei Hesse (1972: 130 f.) konstatiert wird, dann müssen die bisherigen Vorstellungen, dass die spezifischen Qualifikationserwartungen der Betriebe mit spezifischen Arbeitsleistungen über das Scharnier Ausbildungsberuf verknüpft werden können, damit über "planvoll konstruierte Muster zur Qualifizierung und zum Tausch von Arbeitskraft" die Interessen der Unternehmen an der Beschaffung von Arbeitskraft abgedeckt werden, aufgegeben werden. Das Ende der Berufsform der Arbeit würde dann beschleunigt, wenn die Unternehmen ihre Arbeitskräfte nicht durch eigene Ausbildung von Nachwuchs nach dem Berufsbildungsgesetz rekrutieren, sondern andere Wege suchen und nutzen. Jenseits der Berufsform entstünden lediglich modulare Qualifikationsbündel, die auf einem offenen Markt in variabel angebotene Jobs eingebracht werden könnten. Damit ist die Vorstellung nicht mehr relevant, dass die berufsbezogenen Ausbildungsangebote der Betriebe Indikatoren dafür seien, dass die jeweiligen Profile dem betriebsinternen Bedarf an Fachkräften entsprächen und - zumindest tendenziell - eine Option für die Übernahme als Fachkraft darstellten.

Wenn Facharbeit die Berufsform verliert, dann muss dies auch für die Berufsausbildung gelten:

  • Die Berufsausbildung entfernt sich von beruflichen Inhalten, sie wird zur allgemeinen Bildung, zur Basis für die Übernahme wechselnder ad hoc Aufgaben. Damit werden Qualifikationen bedeutsamer, die eine Grundlage für flexiblen Einsatz bilden könnten. Fachliche Inhalte werden im Rahmen kurzer Einarbeitung vermittelt, sodass auf der Seite der betrieblichen Organisation fordistische Strukturen aufleben müssen mit erheblicher Arbeitsteiligkeit. Einige Ansätze im Bereich der Null-Fehler-Produktion zeigen durchaus diesen Trend, indem die Möglichkeit, Fehler zu machen, durch instrumentelle Gestaltung der Arbeitsumgebung reduziert wird, was zugleich Flexibilitätsspielräume der dort arbeitenden Menschen einengt.
  • Schulische Berufsausbildung - von den Berufsfachschulen bis hin zu Hochschulen - müsste eine Struktur ohne Rückgriff auf spezifische Zielberufe aufbauen, in der fachliche Elemente in beliebiger Kombination modular angeboten würden. Ihr Verwertungszusammenhang bliebe offen, die Muster zeigten eine hohe Variabilität. Signale aus dem Beschäftigungssystem in ihrer zeitlichen Dynamik führten zu Instabilitäten. Um dies handhabbar zu machen, bedarf es neuer Aggregationsmuster, die allerdings jenseits von Beruf derzeit nicht erkennbar sind.
  • Die Berufsorientierung und Berufsberatung stünde zur Disposition, da in dieser Phase keine solide Basis für Beruflichkeit in Erwerbsstrukturen hoher Veränderungsintensität gelegt werden könnte. Schulabgänger müssten sich in einer unüberschaubaren Vielfalt von Tätigkeitsstrukturen mit ihren jeweiligen Spezialqualifizierungen zurechtfinden, während sie beim Vorhandensein von aggregierten beruflichen Mustern mit zugeordneter umfassender Einstiegsausbildung überschaubare Strukturen vorfinden würden.
 

4.4 Erosion der Berufsausbildung

Die große Vielfalt der Ausbildungsgänge dürfte eine Folge veränderter Bedarfsstrukturen im Beschäftigungssystem sein. Immer häufiger werden - geboren aus singulären Bedarfsaussagen - zusätzliche Kombinationen von Qualifikationselementen zu neuen Berufsausbildungen zusammengesetzt. Dabei handelt es sich nur selten um völlig neue Qualifikationselemente, sondern meist um eine neue Mischung verstreut bereits vorhandener Elemente im Sinne aktueller Forderungen. Die Probleme beim Übergang aus der Ausbildung in die Erwerbstätigkeit haben die Autonomie der Ausbildung reduziert, da Ausbildungen immer spezifischer auf den aktuellen Bedarf hin ausgerichtet werden. Qualifikationen und ihre Vermittlung werden zunehmend unter dem unmittelbaren Verwertungsaspekt gesehen.

Wenn richtig ist, dass sich die Spezialisierung weiter erhöht, dann ist es nur plausibel, wenn auch die Vielfalt der angebotenen Berufsausbildungen zunimmt. Dies erfolgt vor allem im schulischen Bereich durch immer neue Kombinationen. Dort dienen Spezialisierungen der Abgrenzung, sie werden im Marketing privater Bildungsträger intensiv genutzt und sind oft Profilierungselement für die Lehrenden und Organisatoren.

In der Dualen Ausbildung existiert dagegen ein Bedarf nach Straffung, weil die Betriebe klare und übersichtliche Vorgaben benötigen und die Berufsschule berufsspezifische Angebote regional nur bei einer ausreichenden Zahl von Auszubildenden im jeweiligen Beruf verwirklichen kann. Bei dieser Erosion wird der Berufsbegriff gern umgangen, denn dieser signalisiert in der Ausbildung immer noch eine gewisse Abrundung und eine umfassende Basis der gebündelten Qualifikationsziele. Die erste Stufe dazu ist die Entfernung der Ausbildungsabschlussbezeichnung von der Bezeichnung des Zielberufs. Es ist bezeichnend, dass seit fast zwei Jahrzehnten Ausbildungsordnungen verabschiedet werden, die Berufsbezeichnungen transportieren, die den Voraussetzungen von Klarheit, Prägnanz und Kürze eklatant widersprechen. So sind erhebliche Veränderungen erfolgt (siehe dazu BIBB 1997, Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe), beispielsweise:

[/S. 452:]

  • früher: Weber/in - heute: Textilmaschinenführer/in, - Weberei
  • früher: Konditor/in - heute: Fachkraft für Süßwarentechnik (mit Ausbildung in vier Fachrichtungen)
  • früher: Elektroinstallateur/in - heute: Industrieelektroniker/in, Fachrichtung Gerätetechnik.

Diese Wortungetüme sind Ergebnis einer differenzierten Optimierung von Qualifikationselementen, sie sind aber nicht transportabel für die Identifikation mit einer Rolle in der Gesellschaft. Es ist bedeutsam, dass im Gegensatz zu diesen ausdifferenzierten und spezialisierten Ausbildungsabschlussbezeichnungen die umgangssprachlichen Kurzformen wie beispielsweise "Mechaniker", "Kaufmann" oder "Elektroniker" immer häufiger bei Befragungen genannt werden. Offenbar lässt sich nur so berufliche Identität signalisieren.

Eine zweite Stufe bei dieser Zersplitterung wird durch die neue Kombination von Berufsinhalten ausgelöst. Immer wieder werden additiv zusätzliche Inhalte auf bestehende Ausbildungen aufgesetzt, bis sie ein inhomogenes Spektrum von Inhalten darstellen, das keine Identifikationsrelevanz mehr hat. Bindestrich- und Hybridberufe für integrative Aufgabenlösung, Aufbau- und Doppelausbildungen sowie die Ergänzung des Qualifikationsprofils durch Fort- und Weiterbildungen führen zu individuellen Qualifikationsmustern, die in dieser Vielfalt weder von den Erwerbstätigen noch von den Arbeitsorganisatoren überblickt werden können. Neben der inhaltsbezogenen Differenzierung der Ausbildungsabschlussbezeichnungen ist auch zu beobachten, dass ähnliche Ausbildungen mit unterschiedlichen Etiketten versehen werden.

Der Vorschlag, offene dynamische Berufsbilder zu schaffen (Heidegger/Rauner 1997: 20 ff.), führt ebenfalls zu einer neuen Vielfalt, die die Orientierung erschwert. So sollen nur 50 bis 60% der Inhalte betrieblicher Ausbildung als Kern bundeseinheitlich geregelt werden, 20 bis 30% betriebs- und regionalspezifisches Anwendungswissen und 20 bis 30% arbeitsplatz- und betriebsbezogenes Zusatzwissen sollen individuell ergänzt werden. Die Auszubildenden wären also - was ihre Qualifikationsbasis anbetrifft - nur im Bereich der Kerninhalte vergleichbar, die Arbeitgeber müssten zusätzlich analysieren, wann und wo der/die Bewerber/in diese Ausbildung absolviert hat, welcher Betriebsbezug in der Ausbildung wirkte und dabei die möglichen Lücken und ihren Ausgleich bedenken. Die heutige Regulierung mit bundeseinheitlichen Abschlussprofilen wäre ersetzt durch ein Spektrum verschiedener Profile, ohne dass dies durch die Abschlussbezeichnung deutlich würde. Dieses Modell ist eher dort relevant, wo Auszubildende unmittelbar an innerbetrieblichen Spezifika angepasst werden sollen, nicht für einen breiten Arbeitsmarkt. Dies macht Sinn vor allem dann, wenn auch alle Ausgebildeten im Betrieb übernommen würden, doch die erkennbare Entwicklung ist eher gegenläufig.

So ist es durchaus relevant, wenn durch die Öffnung der Ausbildung Mobilität gefördert werden kann. Ein Verzicht auf tradierte Beruflichkeit (siehe dazu die Übersichten 1 und 2) könnte Rekrutierungsstrategien fördern, wie sie aus dem anglo-amerikanischen Raum berichtet werden, bei denen die Frage, ob sich jemand einen Job, also eine spezifische Tätigkeit, die nicht im Rahmen eines mehrdimensional verorteten Berufes geleistet wird, zutraut, ob er/sie in knapper Zeit mit der Aufgabe zurechtkomme, neben der Sozial- und Humankompetenz über die Jobchancen entscheide. Ausbildung für die Erwerbsarbeit reduziert sich damit auf eine Sozialisation, die die nötige Handlungskompetenz aufzubauen hätte.

Parallel dazu ist dann aber zu erwarten, dass es weiterhin Semi- und Vollprofessionen gibt, bei denen schon wegen der Qualität der Leistungen auf "Professionals" (eine alte deutsche Bezeichnung war "Professionist") nicht verzichtet werden kann. In diesem Segment bleiben berufsbezogene Qualifizierungsmodelle mit spezifischer Berufseinmündung im Rahmen der angebotenen Arbeitsplätze erhalten, die Tendenz geht hier eher in eine enger gebündelte Grundausbildungsstruktur mit erst anschließender Spezialisierung.

 

4.5 Steigende Flexibilitätsanforderungen

Grund- und Ausgangshypothese jeglicher Berufsentscheidung ist (siehe dazu Übersicht 2) eine niveauadäquate Einstufung mit der Option der Verbesserung von Qualifikation und Status. Die Aufforderung zu flexiblem Verhalten ist vielfach mit der Mahnung verbunden, es sei überholt, an dieser Verknüpfung festzuhalten, da Statusverbesserungen zukünftig eher jenseits des erlernten Berufs zu finden seien. Die Flexibilitätsforschung hat dazu die Rolle der Marktseiten beschrieben, also Flexibilität

  • als Beweglichkeit (Mobilität) der Arbeitnehmer zwischen beruflichen Positionen,
  • als Strategien der Beschäftiger, im Sinne beruflicher Substitution auf gegebenen Arbeitsplätzen Kräfte aus unterschiedlichen Vorberufen einsetzen zu können.

Wesentliche Befunde dazu sind, dass die Berufsverwandtschaft die meisten Bewegungen von Absolventen zwischen Ausbildungs- und Ausübungsberufen erklärt. Dass es aber durchaus viele Berufsfelder gibt (sog. Erwachsenenberufe), zu denen keine spezifischen Ausbildungen angeboten werden und die nur durch Realisierung beruflicher Mobilität erreicht werden. Und dass schließlich in manchen Berufen Erstausbildungen gefordert werden, die dann als Basis für deren spezifische Fachbildung vorausgesetzt werden.

Weitere Informationen zur beruflichen Flexibilität ergeben sich aus den Aufstiegsketten, in denen aus Fachberufen in globale Managementaufgaben umgestiegen wird, ohne dass die Kenntnisse und Erfahrungen aus dem Grundberuf aufgeben oder obsolet würden, und schließlich dient Flexibilität und Mobilität dem Ausgleich im Arbeitsmarkt, soweit nicht unüberbrückbare Rigiditäten auftreten.

Angesichts der ausgewählten Formen flexiblen Verhaltens wurde zwischen funktionaler und dysfunktionaler Mobilität unterschieden (Hofbauer 1973). Maßstab für die Unterscheidung war das Ausmaß, in dem Berufswechsler Fertigkeiten und Kenntnisse aus dem Vorberuf im Übergangsberuf anwenden können, was als Transferqualität der Berufsqualifikation beschrieben wurde. Trotz aller Verschiebungen zwischen Qualifikation und Berufsverlauf werden Grundmuster erkennbar, in denen die Stabilität der Beschäftigung in Kombination mit dem Verbleib in der Heimatregion dominant erscheinen. So wird Berufswechsel ohne Wechsel des Arbeitgebers und der Region ohne besondere Probleme realisiert, während er bei Änderung auch des Arbeitgebers und der Region - möglicherweise durch Arbeitslosigkeit erzwungen - eher negativ eingeschätzt wird.

Die Flexibilitätskalküle der Betriebe und der Berufstätigen selbst berücksichtigen die Berufszuweisung und die jeweilige [/S. 453:] Berufsausbildung. Dass häufig der Verbleib im Beruf, insbesondere im eng abgegrenzten Beruf, anderen Bedingungen geopfert wird, heißt nicht, dass der Beruf seine Bedeutung verlieren muss, sondern dass es noch weitere Rahmenbedingungen gibt, die berufliche Strukturen überlagern.

 
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Quell-URL (modified on 14/01/2013 - 15:15): https://sowi-online.de/node/440

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