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3. Berufsorientierung besonderer Gruppen

 

Niemeyer, Beatrix (2002): Begrenzte Auswahl. Berufliche Orientierung von Jugendlichen mit schlechten Startchancen.

In: Schudy, J. (Hrsg.): Berufsorientierung in der Schule. Grundlagen und Praxisbeispiele. Bad Heilbrunn/ Obb. 2002, S. 207 - 220.

[/S. 207:] Jugendliche, die heute in Deutschland die Hauptschule ohne Abschluss verlassen oder eine Förderschule beenden, haben erhebliche Nachteile bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Vor allem in den neuen Bundesländern gilt dies, aber auch für viele erfolgreiche Hauptschul- oder gar RealschulabgängerInnen. Wer, aus welchen Gründen auch immer, nicht unmittelbar nach dem Schulabschluss einen Ausbildungsplatz sucht und findet, gilt als benachteiligt. Berufliche Orientierung bedeutet in dieser biografischen Situation die Wahl zwischen einer Verlängerung der Schulzeit und der Teilnahme an einer der zahlreichen Maßnahmen, die von der Bundesanstalt für Arbeit (BfA) [1] gefördert und von einem breiten Feld außerschulischer Träger der Benachteiligtenförderung angeboten werden. Er (1) kann z. B. ein Berufsvorbereitungsjahr an einer Berufsschule besuchen (68.600 Teilnehmer im Schuljahr 1999/ 2000), um dort im günstigen Fall nachträglich den Hauptschulabschluss zu erwerben; oder er kann an einem außerschulischen Programm (65.428 Teilnehmer) teilnehmen und dort neben einer gezielten Förderung der schulischen Leistung vor allem praktische Erfahrungen in verschiedenen Berufsfeldern sammeln.

Für Jugendliche mit schlechten Startchancen gibt es neben diesen Maßnahmen der Berufsvorbereitung auch die Möglichkeit einer regulären Ausbildung in außerbetrieblichen Werkstätten mit gezielter sozialpädagogischer Unterstützung (67.019 Teilnehmer). Jugendliche, die eine Ausbildung nicht aus eigener Kraft erfolgreich abschließen, können ausbildungsbegleitende Hilfen in Anspruch nehmen (67.468 Teilnehmer, alle Zahlen für das Jahr 2000, Berufsbildungsbericht 2001) und für diejenigen, die Probleme an der zweiten Schwelle haben und nach erfolgreicher GesellInnenprüfung nicht sofort Arbeit finden, wird Hilfe bei der anschließenden [/S. 208:] Suche nach einem Arbeitsplatz angeboten. All diese Angebote werden unter dem Begriff Benachteiligtenförderung subsumiert und bezeichnen ein Subsystem der beruflichen Bildung, das sich in den vergangenen 25 Jahren in Deutschland parallel zum dualen System herkömmlicher Prägung etabliert hat.

Das Ziel der von der BfA geförderten Maßnahmen ist es, Jugendliche auf eine Ausbildung im dualen System vorzubereiten. Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist dabei der Hauptindikator für die so genannte Berufsreife der Hauptschulabschluss, wenngleich die Förderung auch auf die Entwicklung von Sozial- und Selbstkompetenzen abzielt und praktische Erfahrungen in verschiedenen Berufsfeldern ermöglicht, die den Jugendlichen eine Berufswahl ermöglichen sollen, wo die Realität wenig Wahlfreiheit lässt. Neben der sozialen Integration und einer gezielten pädagogischen Vorbereitung auf eine Ausbildung haben diese Maßnahmen also auch die Funktion, regionale Knappheit auf dem Ausbildungsstellenmarkt zu korrigieren. Da zudem der Zugang zu den spezifischen Förderprogrammen an die Identifikation individueller Formen von Benachteiligung gekoppelt ist, ist dieser Bildungsbereich gekennzeichnet durch ein spezifisches Dilemma, das versucht, soziale, bildungspolitische und ökonomische Versäumnisse auf individueller Ebene zu kurieren.

Knapp zehn Prozent aller Ausbildungsverträge wurden im Jahr 2000 in einer außerbetrieblichen Einrichtung abgeschlossen. Insgesamt mündeten fast ein Fünftel aller Schulentlassenen in eine geförderte Maßnahme der Berufsvorbereitung oder der Benachteiligtenförderung. Fast ein Viertel der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge wurden wieder gelöst; von denjenigen, die die Abschlussprüfung erfolgreich ablegen konnten, waren ebenfalls fast ein Viertel (24,3 %) anschließend arbeitslos (ebd., S. 85, 197). Die jüngsten positiven Trends auf dem Ausbildungsstellenmarkt kommen in erster Linie Abiturienten zugute. Nur in den Berufen des Banken-, Versicherungs-, und Reiseverkehrsgewerbes stieg die Zahl der Ausbildungsplätze, in den übrigen Berufen, für die nicht das Abitur als inoffizielle Eingangsvoraussetzung gilt, sank die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze (vgl. BIBB - Forum, 6/2001). Die Zahl der außerbetrieblichen Ausbildungen steigt hingegen seit Jahren konstant an. Allerdings gibt es hier erhebliche regionale Unterschiede, insbesondere zwischen den alten und neuen Bundesländern. In der Praxis hat sich der Einstieg ins Erwerbsleben auch für diejenigen Jugendlichen verzögert, die sich nicht für eine höhere Schulbildung entschieden haben. Während 1970 Auszubildende im Durchschnitt 16,6 Jahre alt waren, sind sie heute 19 Jahre alt.

Diese Zahlen sind Indizien dafür, dass der normative Diskurs der Normalbiografie brüchig geworden ist. Die Vorstellung, dass auf den erfolgreichen Abschluss einer allgemein bildenden Schule eine Ausbildung folgte, die auf [/S. 209:] geradem Weg zur Ergreifung eines Lebensberufes führte, hat ihre Gültigkeit verloren. Dies gilt vor allem für jene Jugendliche, die die Selektionsmechanismen des deutschen (Aus-)Bildungssystems nicht erfolgreich durchlaufen. Für sie gibt es in der Regel keinen direkten Weg in die Berufstätigkeit, statt dessen müssen sie sich über Umwege und Warteschleifen in Maßnahmen mit Drehtüreffekten auf eine ungewisse berufliche Zukunft vorbereiten, in der sich Phasen von Arbeitslosigkeit mit prekären und instabilen Arbeitsverhältnissen abwechseln werden. Das Konzept eines Lebensberufes, das angesichts der technologischen Entwicklung und des Wandels auf dem Arbeitsmarkt ohnehin fragwürdig geworden ist, kann für Jugendliche mit ungünstigen Startchancen heute kein Maßstab mehr sein. Angesichts der in unserer Gesellschaft weiterhin vorherrschenden normativen Kraft des Ausbildungsgedankens gerät dies nicht nur zu einem bildungspolitischen, sondern auch zu einem sozialpolitischen Problem.

Die Idealvorstellung, nach der sich die berufliche Orientierung von Jugendlichen als ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess im Sinne einer fortschreitenden Vorwärtsbewegung vollzöge, ist einer kritischen Revision zu unterziehen. Auf diesem Weg vom Schulabschluss bis zur erfolgreichen Einmündung in den Beruf stehen Jugendlichen längst nicht alle Türen offen, sie treffen auf Stolpersteine, die sie aus dem Takt bringen und sie müssen an vorgegebenen Stellen Hürden in Gestalt von Prüfungen überwinden, die oft endgültig über die weitere Richtung entscheiden. Diese Hindernisse auf dem Weg ins Erwachsenen- und Berufsleben lassen sich durch die Analyse eines modellhaften Prozessverlaufs als kritische Punkte identifizieren, die sich nachteilig auf die Berufschancen von Jugendlichen auswirken. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern wird dabei deutlich, inwieweit diese Hürden durch das Bildungssystem selbst gesetzt und soziokulturell geprägt sind.

 

1. Schlechte Startchancen

Unter dem Paradigma der subjektorientierten individuellen Kompetenzentwicklung wird der Begriff Benachteiligung, der implizit auf die Grenzen der entsprechenden Förderkonzepte verweist, gern vermieden. Statt dessen spricht man lieber von Jugendlichen mit schlechten Startchancen. Doch worin bestehen diese Startchancen, was macht ihre Qualität aus? Um im Bild zu bleiben: welche Gestalt haben die Stolpersteine, wie hoch sind die Hürden und wer verfügt über die Schlüssel für die verschlossenen Türen?

Schon lange bevor ein Jugendlicher eine Entscheidung für (oder gegen) einen Ausbildungsplatz treffen kann, hat er bereits institutionelle, ideologische und soziale Selektions- und Normierungsprozesse durchlebt, die seine [/S. 210:] Chancen auf dem Ausbildungsmarkt wesentlich prägen. Zentrale Bedeutung für den erfolgreichen Verlauf ebenso wie für die Störungen der Bildungsbiografien von Jugendlichen kommt dabei der Rolle und Funktion von Schule zu.

 

1.1 Risikofaktor Schule

Bereits wenn ein Kind zehn Jahre alt ist, entscheiden in den meisten Bundesländern LehrerInnen und Eltern über den weiteren Schulweg und damit auch über die Orientierung in Richtung auf eine höhere, akademische Bildung oder in Richtung auf einen Ausbildungsberuf. Eine positive Veränderung dieser Entscheidung ist später kaum noch möglich, ohne gleichzeitig eine deutliche Verlängerung der (Aus-)Bildungszeit in Kauf zu nehmen.

In einer Gesellschaft, in der Bildung als Kapital und Chance gewertet wird, gerät die zentrale Vermittlungsinstanz Schule zum Risikofaktor, dessen Selektionsmechanismen über zukünftige Chancenverteilung entscheiden. Leistungsdruck und Lernkultur in der Regelschule sind oft schon für Kinder aus intakten sozialen Verhältnissen schwer zu bewältigen, unter verschärften Bedingungen stehen sie positiven Lernerfahrungen und Erfolgserlebnissen erst recht entgegen. Soziale Probleme wirken sich negativ auf das schulische Lernen aus. Jugendlichen, die gestörte Beziehungserfahrungen bewältigen müssen, die erhebliche Geldsorgen haben oder denen Gewalt angetan wurde, gelingt es oft nicht, den schulischen Anforderungen gerecht zu werden; dies gilt auch für Jugendliche, die mit Suchtproblemen kämpfen oder mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Aber auch diejenigen Jugendlichen, in deren kultureller Orientierung eine duale Ausbildung einen weniger zentralen Stellenwert einnimmt oder die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben, sind oft nicht einfach für einen deutschen Hauptschulabschluss zu motivieren.

Allerdings haben die schulischen Bewertungsmechanismen eine so zentrale soziale Orientierungsfunktion, dass sie in hohem Maße entscheidend für eine gelungene Integration in Arbeit geworden sind - bzw. für den sozialen Ausschluss. Auf den ersten Schritten ins Arbeitsleben haben Jugendliche neun oder zehn Jahre Schulerfahrung im Gepäck und insbesondere das letzte Zeugnis kann sich als Ballast erweisen. Für Ausbilder und Arbeitgeber ist es in der Regel das Hauptkriterium für eine erste Einstellungsentscheidung. Hinzu kommt, dass in vielen Berufen die Einstellungsvoraussetzungen in den vergangenen Jahren stetig gestiegen sind, so dass ein mittlerer Bildungsabschluss heute als "Leitwährung" (Storz 1999) gilt, mit der ein Ausbildungsplatz erworben werden kann.

Schule erweist sich in dreierlei Hinsicht als Risikofaktor für Benachteiligungen: Erstens ist das für eine gelungene Integration in Ausbildung und [/S. 211:] Beruf gerade unter erschwerten Bedingungen notwendige Handlungs- und Orientierungswissen nicht Bestandteil der aktuellen Curricula (Warzecha 2001, S. 7). Die Inhalte und Methoden schulischen Lernens sind wenig am Arbeitsleben orientiert (vgl. auch Rademacker 2002) und nicht ausreichend auf die Sozialwelt der Jugendlichen bezogen. Was in der Schule gelehrt wird, erscheint für den Alltag sozial benachteiligter Jugendlicher oft wenig handlungsrelevant. Zweitens befähigen schulspezifische Lernformen und Vermittlungskulturen nicht zu einer selbstständigen, selbstbewussten, kreativen beruflichen Orientierung. Schulische Lernerfahrungen erweisen sich daher oft als schwere Hypothek in der Phase der beruflichen Orientierung. Die Art und Weise, wie Lernprozesse in der Schule als Wissensvermittlung organisiert sind, hat für die Mehrzahl der so genannten benachteiligten Jugendlichen dazu geführt, dass sie sich diesem Bewertungssystem entzogen haben, sei es durch Leistungsverweigerung oder durch gänzliche Schulabstinenz. Drittens schließlich wirken schulspezifische Bewertungssysteme als zentrale soziale Selektionsmechanismen.

 

1.2 Risikofaktor Geschlecht

Männliche Jugendliche haben durchschnittlich schlechtere Bildungsabschlüsse als ihre weiblichen Altersgenossinnen. Sie finden schwerer einen Ausbildungsplatz, obwohl dies eher von ihnen erwartet wird, denn nach wie vor wirkt das Modell des männlichen Familienernähers implizit in vielen Instanzen der geschlechtsspezifischen Sozialisation fort. Oft versuchen sie dieses Dilemma zwischen Verhaltensanforderung und real begrenzten Handlungsmöglichkeiten durch betont männliche Verhaltensmuster für sich zu lösen. Es sind daher in der Mehrzahl männliche Jugendliche, die zur Zielgruppe spezifischer Fördermaßnahmen werden.

Für weibliche Jugendliche stellt sich die Situation am Übergang von Schule in Ausbildung anders dar. Mit den Erziehungs- und Pflegeberufen z. B. stehen ihnen mehr schulische Ausbildungswege offen, die im Einklang mit geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen stehen. Allerdings wirkt sich ihr Geschlecht verstärkt benachteiligend aus, wenn sie unter erschwerten Bedingungen auf den Ausbildungsstellenmarkt treten. "Mädchen zu sein ist am Arbeitsmarkt schlimmer, als keinen Schulabschluss zu haben" (BMBF 1997, S. 21). [/S. 212:] Dies erfahren vor allem junge Migrantinnen oder junge allein erziehende Mütter, für die, zunächst als Modell, gezielte Förderprogramme entwickelt wurden.

 

1.3 Risikofaktor Berufsbildungssystem

Das Modell der dualen Berufsausbildung ist in unserer Gesellschaft überaus dominant. Die berufliche Orientierung Jugendlicher erfolgt in Deutschland stets im Blick auf einen Ausbildungsabschluss. Das wohl strukturierte Berufsbildungssystem erweist sich aber auch als Falle für diejenigen, die den Qualifikationsanforderungen nicht gerecht werden können, denn es erschwert weniger formale Übergänge in Ausbildung und Arbeit. Zudem stellt es junge Menschen zu einem relativ frühen Zeitpunkt vor Zukunftsentscheidungen mit großer Tragweite. In Skandinavien oder Großbritannien erscheint es normaler, dass Jugendliche sich noch nicht auf einen bestimmten Beruf festlegen, sondern sich zuvor in verschiedenen Tätigkeiten erproben möchten, dass sie zunächst eine Phase der Orientierung einfordern, die ihnen eine möglichst vielfältige Einsicht in das Arbeitsleben vermitteln sollte. So ist es für englische Jugendliche normal, nach der Schulzeit eine Zeit lang zu jobben, bevor sie sich auf einen bestimmten Beruf festlegen. In Ländern, deren Ökonomie von kleinen und mittleren Betrieben geprägt ist wie z. B. Griechenland, wird die soziale Integration von Jugendlichen oft durch die Mithilfe in Familienbetrieben gesichert. Andernorts finden - vor allem männliche - Jugendliche eine Beschäftigung auf dem grauen Arbeitsmarkt, mit der sie ihren Lebensunterhalt zumindest kurzfristig sichern können. Entsprechende Modellprogramme in Portugal wenden sich direkt an diese Zielgruppe und versuchen sie für eine Ausbildung zu motivieren.

Die klar geregelten Bahnen des Übergangs von Schule in Ausbildung werden in Deutschland von der Berufsberatung der Arbeitsämter [1] entscheidend mitgestaltet. Die Beratung orientiert sich in aller Regel stärker an den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes als an den individuellen Orientierungen. Mit ihrer Definitionsmacht über Benachteiligung sichert sie schulische und soziale Selektionsprozesse ab. Hinzu kommt, dass die erwachsenen Fachkräfte (Berufsberater, Lehrer, Sozialpädagogen), die den Berufswahlprozess von Jugendlichen begleiten sollen, Normen und Werte transportieren, die ihre eigenen Kenntnisse und Einstellungen über mögliche Ausbildungsberufe widerspiegeln und dadurch dem Entscheidungshorizont benachteiligter Jugendlicher nicht immer angemessen gerecht werden können. Sie orientieren sich implizit noch oft an der Idee des Normalarbeitsverhältnisses einer lebenslangen sozialversicherungspflichtigen Vollzeittätigkeit und nehmen nur selten Alternativen dazu in den Blick. "Bei der Festlegung des Ausbildungsangebotes geben dann letztlich die vermeintlich [/S. 213:] unzureichenden Voraussetzungen der Jugendlichen und traditionelle handwerkliche idealisierende Berufsvorstellungen den Ausschlag. (...) Die Folge ist eine Ausbildung in wenig zukunftsträchtigen Berufen. (...) Trotz der dargestellten starken Personenorientierung in der Sichtweise wird die Ausbildung im Alltag sehr stark von den Anforderungen spezialisierter und veralteter Berufe bestimmt." (Biermann/ Rützel 1996, S. 6)

 

2. Begrenzte Auswahl

Wenn Jugendliche aufgrund ihrer biografischen Situation am Ende ihrer Schulzeit eine Berufswahlentscheidung (noch) nicht treffen können (was sich insbesondere am fehlenden Hauptschulabschluss festmacht), gelten sie als nicht ausbildungsreif. Sie können dann an einer einjährigen Maßnahme zur Berufsvorbereitung teilnehmen. In der Praxis ist dabei zu unterscheiden zwischen dem Besuch eines Ausbildungs- oder Berufsvorbereitungsjahres (AVJ/ BVJ) an einer Berufsschule und der Teilnahme an einer BfA-geförderten Maßnahmen eines freien Trägers. Die Entscheidung darüber, welcher der beiden Wege eingeschlagen wird, ist im Wesentlichen durch die Berufsberatung bestimmt.

Das schulische Berufsvorbereitungsjahr wird dabei durch die ausschließliche Fixierung auf das Nachholen des Hauptschulabschlusses und aufgrund der mangelnden Möglichkeiten einer weitergehenden Qualifizierung oder des Erwerbs von Arbeitserfahrung meist als unproduktive Warteschleife erlebt. "Der Sackgassencharakter des BVJ wird durch eine Doing-Gender-Struktur verstärkt: Die überwiegend geschlechter-homogene Aufteilung der Schülerinnen auf die Berufsschultypen verhindert, eigene Interessen und Fähigkeiten in einem breiteren Spektrum auszuprobieren. Insofern stellt es eine rein kompensatorische Maßnahme mit überdies geringen Vermittlungsquoten dar." (Schneider 2001, S. 3)

Im Kontrast dazu bieten die Maßnahmen außerschulischer Träger der Benachteiligtenförderung von ihrer Intention her eine sinnvollere Möglichkeit, das Berufsleben kennen zu lernen, die eigenen Chancen realistisch auszuloten und die Wahlmöglichkeiten zu vergrößern. Die Teilnahme an diesen Maßnahmen hat jedoch für die Jugendlichen ihren sozialen Preis. Sie ist nur möglich durch die Festschreibung eines "Devianz-Status". Die Bereitstellung von Sonderwegen lässt sich nur legitimieren durch die Identifikation eines Sonderstatus. Die Stigmatisierung als Benachteiligte ist somit zwingende Bedingung für staatliche Intervention und Hilfe (Ulrich 1998, S. 370). Dennoch wächst seit Ende der 70er Jahre die Zahl der Jugendlichen, denen ein Einstieg ins Erwerbsleben nur mit Hilfe zusätzlicher Förderung gelingt, [/S. 214:] kontinuierlich an. Die bunte Landschaft von staatlichen und arbeitsamtgeförderten Maßnahmen fungiert als Brücke zwischen Schule und Beruf mit dem Anspruch, soziale Desintegration zu verhindern und die Jugendlichen individuell auf eine Ausbildung vorzubereiten. Mit hohem finanziellen und pädagogischem Aufwand werden hier die Auswirkungen dominanter Selektionsprinzipien abgefedert und es wird versucht, strukturelle Mängel des Ausbildungssystems auszugleichen. In diesem Kontext von Berufswahl zu sprechen, suggeriert das Vorhandensein eines breiten Angebotes von Wahlmöglichkeiten. Bei genauerem Hinsehen erweist sich diese Vorstellung jedoch als Mythos. Insbesondere für benachteiligte Jugendliche stellt sich der Prozess der Auswahl eher im negativen Sinne als soziale Selektion dar.

Berufswahlentscheidungen von Jugendlichen sind in erster Linie durch ihr soziales Umfeld, die Familie und den Freundeskreis geprägt. Die hier vorherrschenden religiösen und kulturellen Orientierungen, die Vorstellungen über das Rollenverhalten von Männern und Frauen und die konkreten Berufserfahrungen wirken maßgeblich prägend auf die Vorstellung von Jugendlichen über ihre berufliche Zukunft. Gleichwohl besteht bei vielen zunächst eine Diskrepanz zwischen dem "Traumberuf" und den realistisch zu erwartenden Beschäftigungsperspektiven. Oft schätzen Jugendliche das Verhältnis von Arbeitstätigkeit, Entlohnung und Konsum falsch ein. Sie träumen von einem Beruf, bei dem sie viel Geld verdienen, wenig arbeiten und sich nicht dreckig machen. Wie wichtig es ist, in dieser biografischen Phase und unter diesen sozialen Bedingungen Raum und Zeit für eine berufliche Orientierung zu erhalten, zeigt die Tatsache, dass die Mehrheit der TeilnehmerInnen an einjährigen Berufsvorbereitungsmaßnahmen während dieser Zeit den Berufswunsch mindestens einmal ändert. (1) Diese Änderung kommt in der Regel einer realistischen Anpassung an die Gegebenheiten des lokalen Arbeitsmarktes und an die eigenen Potenziale gleich. Betriebspraktika sind dabei von zentraler Bedeutung.

Eine Wahl kann nur treffen, wer eine Auswahl hat. Für die Jugendlichen bedeutete dies, verschiedene Berufsfelder zu kennen und möglichst eigene Erfahrungen darin gemacht zu haben, bevor sie eine Entscheidung treffen. Das in den Fördereinrichtungen bereitgestellte Entscheidungsspektrum ist jedoch nur partiell durch die Gegebenheiten eines aktuellen Ausbildungsstellenmarktes geprägt. Die hauseigenen Angebote für eine praktische berufliche Erprobung sind begrenzt und bieten auch aus geschlechtsspezifischer Perspektive ein erschreckend konventionelles Bild. Eine Befragung des Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) [2] von Trägereinrichtungen für Maßnahmen der überbetrieblichen Berufsausbildung ergab im Jahr 2000, dass überwiegend in herkömmlichen, produktionsorientierten oder kaufmännischen Berufsfeldern ausgebildet wird. Maßnahmen, die Jugendliche an die [/S. 215:] neueren IT- oder Dienstleistungsberufe heranführen, sind vergleichsweise selten (vgl. Linder 2000) (2). Auch die Maßnahmen zur Berufsvorbereitung konzentrieren sich vor allem auf die Berufsfelder Holztechnik, Hauswirtschaft, Wirtschaft und Verwaltung, Metalltechnik, Farbtechnik und Raumgestaltung. (vgl. BIBB-forum 11/2001)

Entsprechend zeigt eine Analyse der Berufe, die von Jugendlichen in überbetrieblichen Ausbildungsverhältnissen gewählt wurden, ein eher traditionelles Bild, das stark von Geschlechterstereotypien geprägt ist. Mädchen wurden vor allem zur Modenäherin, Damenschneiderin, Friseurin und in hauswirtschaftlichen Berufen ausgebildet, Jungen wurden hauptsächlich in metalltechnischen Berufen und in Berufen des Baugewerbes ausgebildet (BIBB 2000). Begrenzte Auswahl und traditionelles Wahlverhalten verstärken wechselseitig bereits existierende Einschränkungen der Ausbildungsmöglichkeiten der Jugendlichen.

 

3. Begrenzte Perspektiventwicklung

Für die Maßnahmen der beruflichen Orientierung ebenso wie für die außerbetriebliche Ausbildung trifft es zu, dass die außerschulischen Träger der Benachteiligtenförderung aufgrund ihrer strukturellen, organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen ein pädagogisches Angebot bereithalten können, das sich grundsätzlich von dem der Schule unterscheidet. Zwar bildet auch hier der Berufsschulunterricht einen wichtigen Baustein, der insbesondere im Hinblick auf den in der Regel von den Jugendlichen nachzuholenden Hauptschulabschluss von großer Bedeutung ist, den zeitlich größeren Anteil haben jedoch praktische Lernerfahrungen. Diese werden nach der Leitidee des handlungsorientierten Lernens (1) konzipiert, sozialpädagogische Aspekte sind systematisch integriert. Sie werden durch Betriebspraktika ergänzt. In enger Kooperation von AusbilderInnen, SozialpädagogInnen und BerufschullehrerInnen kann so eine passgenau auf den einzelnen Jugendlichen ausgerichtete, individuelle Förderung auf dem Weg in Ausbildung und Beruf erreicht werden. Die Bundesanstalt für Arbeit [1] hat in entsprechenden Erlassen (42/96 und 5/99) die finanzielle Förderung der Maßnahmeträger an explizite Qualitätskriterien gekoppelt, zu denen u. a. auch die Ausrichtung der pädagogischen Grundhaltung an den Prinzipien des handlungsorientierten Lernens und eine Kompetenzen fördernde, an der Lebensrealität der [/S. 216:] Jugendlichen orientierte Befähigung zur selbstständigen Lebensführung gehören. Da gleichzeitig die finanzielle Förderung immer nur für die Dauer eines Lehrgangs gesichert ist und die Träger sich regelmäßig in einem Ausschreibungsverfahren der Konkurrenz stellen müssen, wird eine kontinuierliche Qualitätskontrolle und Selbstevaluation sichergestellt, die eine stetige Aktualisierung der Inhalte und Methoden begünstigt - freilich zum Preis von unsicheren und kurzfristigen Arbeitsperspektiven für die pädagogischen MitarbeiterInnen selbst.

Diese Rahmenbedingungen sind ein Grund dafür, dass diese Einrichtungen eine größere Integrativkraft entfalten können als Schule und andere (Berufs-)Bildungsinstitutionen. Weit wirkungsvoller ist jedoch, dass sie Jugendliche gezielter ansprechen und ihnen in praktischen Kontexten unmittelbar positive Lernerlebnisse vermitteln können. Die pädagogische Programmatik ist gekennzeichnet durch:

  • Kompetenzorientierung,
  • Handlungsorientierung,
  • Praxisorientierung,
  • sinnstiftende Lernkontexte,
  • realitätsnahe Arbeitserfahrungen,
  • Lebensweltorientierung,
  • Nutzung von Lerngruppen als Ressource,
  • aktive und gestaltende Teilhabe der Jugendlichen. (vgl. Niemeyer 2001, 2002)

Handlungsorientierung als Leitprinzip für die Gestaltung von Lernprozessen zielt darauf ab, dass die Jugendlichen in einer Lernumgebung, die sie als sinnvoll erfahren, befähigt werden, selbstständig die sechs Schritte einer vollständigen beruflichen Handlung (Informieren, Planen, Entscheiden, Ausführen, Kontrollieren und abschließendes Bewerten) zu vollziehen. Planvolles Handeln und die Aneignung problemlösender Fähigkeiten werden in den Mittelpunkt des Lernprozesses gestellt. Bei der Beantwortung der entsprechenden Fragen, was getan werden soll, wie vorzugehen ist, welche Hilfsmittel eventuell benötigt werden, ebenso wie bei der praktischen Ausführung eines Arbeitsauftrages und der anschließenden Bewertung des Ergebnisses und der Reflexion der eigenen Arbeit im Hinblick darauf, was ggf. beim nächsten Mal besser zu machen sei, sind andere Jugendliche von großer Hilfe. Selbstständigkeit und Sozialverhalten werden in Lerngruppen gefördert, man lernt von- und miteinander. Ein solcher Ansatz baut auf ein verändertes Selbstverständnis der pädagogischen MitarbeiterInnen und weist ihnen neue Rollen innerhalb des Lernarrangements zu. Statt zu belehren und vorzumachen stellen sie nun konstruktive Fragen, beraten die Jugendlichen bei der [/S. 217:] Lösungssuche oder moderieren Gruppenprozesse, um die selbstständigen Lernaktivitäten der Jugendlichen zu fördern. Eine weitere Herausforderung besteht darin, Lernsituationen zu gestalten, die es den Jugendlichen ermöglichen, auf bereits entwickelte Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten zurückzugreifen. "Die Erfahrung, etwas zu wissen und zu können, ist der Ausgangspunkt für die (Weiter-)Entwicklung von Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl und damit auch die Basis für einen neuen, anderen Zugang zum Lernen." (INBAS 1998, S. 44). Zur Förderung der Berufsreife gehört auch die Entwicklung sozialer und personaler Kompetenzen, die zu einer selbstständigen, aktiven und gestaltenden sozialen Teilhabe befähigen. Bei der Wahl der Methoden sind die PädagogInnen dabei sehr frei und können auf Konzepte aus dem ökologischen, künstlerisch-kreativen, freizeitpädagogischen, sportlichen und interkulturellen Bereich zurückgreifen. Lernprozesse lassen sich leichter initiieren, wenn sie einen Bezug zur Lebenswelt der Jugendlichen haben, d. h. wenn Aufgaben oder Themenstellungen gewählt werden, mit denen die Jugendlichen eigene Erfahrungen verknüpfen können oder wenn ihre Lebenswelt zum Ziel von Erkundungen wird, aber auch wenn Eltern oder andere Bezugspersonen und -gruppen in die begleitende Arbeit des Maßnahmekonzeptes mit einbezogen werden (ebd., S. 48).

Obwohl auch in dem weiten Feld der Benachteiligtenförderung in der Praxis pädagogischer Anspruch und Wirklichkeit nicht immer deckungsgleich sind, kann hier doch gezielter darauf hingewirkt werden, Lernblockaden abzubauen, zur Qualifizierung zu motivieren und Lernerfolge zu vermitteln. Nicht zuletzt die Koppelung der Förderung an pädagogische Qualitätskriterien verhindert, dass sich pädagogische Trägheiten und strukturelle Verkrustungen herausbilden. Selbst angesichts tendenziell sinkender Jugendarbeitslosigkeitszahlen wird Benachteiligtenförderung mittlerweile als "Daueraufgabe und integraler Bestandteil der Berufsausbildung" betrachtet (Berufsbildungsbericht 2001, S. 12). Benachteiligtenförderung kann zwar schulischen Defiziten mit adäquateren Mitteln begegnen, gleichwohl sind den pädagogischen Ansprüchen in der Praxis oft Grenzen gesetzt - vor allem durch die Gegebenheit des Arbeitsmarktes. Berufliche Orientierung bedeutet daher auch, darauf hinzuwirken, dass die Jugendlichen ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt realistisch einschätzen und an dieser Einsicht nicht scheitern. Die alltägliche Herausforderung der PädagogInnen besteht darin, diesen widersprüchlichen Prozess auszuhalten und auszugleichen. [/S. 218:]

 

4. Zusammenfassung

Im deutschen Bildungssystem fällt die Berufswahlentscheidung (nicht nur) für benachteiligte Jugendliche in eine sozio-biografische Phase, die auf Orientierung, Erprobung und Horizonterweiterung angelegt ist. Langfristige, scheinbar endgültige Festlegungen können als Verhaltenszumutung interpretiert werden. Die psycho-sozialen Prozesse dieser Altersphase sind auf die Entwicklung und Stabilisierung von Identität, Intimität und Unabhängigkeit (Evans 1998, S. 7) gerichtet. Eine Berufswahl, zumal unter stark eingeschränkten Bedingungen, wirkt dem entgegen.

Schule verstärkt mit ihren Lernpraktiken und Bewertungsmechanismen soziale Formen von Benachteiligungen und bringt selbst Formen von Benachteiligung hervor. Sie wirkt damit für einen erfolgreichen Übergang in Ausbildung und Beruf kontraproduktiv. Eine Öffnung der Lerninhalte in Richtung auf das Arbeitsleben, eine praktische Aufbereitung von Lerninhalten oder Lernumgebungen, die Eigenständigkeit und selbstständige Entscheidungen fördern, werden bislang lediglich in Modellversuchen in geringer Zahl erprobt (vgl. auch Rademacker 2002).

Möglichkeiten einer gezielten und vertieften Berufsorientierung für benachteiligte Jugendliche sind systematisch ausgegliedert aus allen schulischen Angeboten. Dies gilt sowohl für die allgemein bildenden Schulen als auch für die Berufsschulen.

Die starke Strukturierung des deutschen Ausbildungssystems lässt kaum Umwege und Abweichungen zu. Der Hauptschulabschluss als Mindestzugangsvoraussetzung, das geregelte duale Ausbildungssystem mit Zwischen- und Abschlussprüfung stellt zwar einerseits hohe Qualifizierungsstandards sicher, trägt jedoch andererseits dazu bei, dass gerade Jugendlichen mit schlechten Startchancen Türen verschlossen bleiben oder vor der Nase zugeschlagen werden. Das faktisch weiterhin existierende Beratungsmonopol des Arbeitsamtes [1] modifiziert die entsprechenden Selektionsprozesse, ohne sie rückgängig zu machen.

Angebote zur Berufsvorbereitung sind ein grundlegender Bestandteil der außerschulischen Maßnahmen zur Benachteiligtenförderung im Allgemeinen. Durch ihre kulturelle Orientierung am dualen System und an traditionellen Berufskonzepten werden sie zwar in ihren Zielen eingeengt - praktische Erfahrungen können die Jugendlichen hier nur in begrenzten Berufsfeldern sammeln - durch ihre spezifische pädagogische Ausrichtung und durch eine Vernetzung im regionalen Arbeitsmarkt bieten sie jedoch eine ungleich bessere Möglichkeit für Jugendliche, berufliche und persönliche Perspektiven zu entwickeln und zu erproben als allgemein bildende oder berufliche Schulen. [/S. 219:]

Innerhalb eines mittlerweile 25-jährigen Erfahrungszeitraums ist von den Trägern eine spezifische Professionalität entwickelt worden, die sich durch Praxis- und Handlungsorientierung sowie durch Methodenvielfalt auszeichnet. Die pädagogischen Prinzipien wie Subjektorientierung, individuelle Lernrhythmen, Ganzheitlichkeit und handlungsorientierte Vermittlungsmethoden müssen nicht mehr mit den Defiziten der Jugendlichen begründet werden (Biermann 1996, S. 19), sondern betonen Kompetenzen und Stärken. Bislang arbeitet dieser Bereich jedoch weitgehend autonom parallel zu den etablierten Berufsbildungsinstitutionen, ohne dass die hier akkumulierte Expertise systematisch für andere Bildungsträger fruchtbar gemacht würde. Sowohl das detailgenaue Wissen um die Zielgruppe als auch das hier entwickelte umfangreiche Methodenrepertoire wäre durchaus auch in anderen Kontexten nutzbar. Sinnvoller als mit einer Abfolge von wechselseitigen Schuldzuweisungen und Verbesserungsvorschlägen die Polarisierung von Schule und Jugendberufshilfe aufrechtzuerhalten, wäre es grenzüberschreitende Ansätze, wie sie bereits gelegentlich modellhaft entwickelt wurden, weiter zu verfolgen und auch auf institutioneller Ebene voneinander zu lernen.

 

Anmerkungen

1) Ich benutze in diesem Text bewusst die männliche Form, um zum Ausdruck zu bringen, dass es sich überwiegend um männliche Jugendliche handelt, die am Übergang von Schule in Beruf besondere Schwierigkeiten haben.

2) Handlungsorientierung gilt als zentrales Prinzip der beruflichen Bildung in Deutschland, wobei das Interpretationsspektrum des Begriffs und die methodische Umsetzung in die Praxis sehr breit ist. Eine Erläuterung des Begriffs unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Zielgruppe der benachteiligten Jugendlichen findet sich in Niemeyer 2001.

 

Literatur

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Biermann, Horst (1996): "Neue Formen der Arbeitsorganisation und ihre Auswirkung auf die Berufsbildung", in: Berufliche Rehabilitation 10 (1996), S. 2-21

Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) (2000): Förderung von Benachteiligten in der beruflichen Bildung durch Erweiterung des Berufswahlspektrums, Dokumentation des Expertengesprächs am 28. November 2000

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Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (Hrsg.) (2001): Berufsbildungsbericht 2001, Bonn

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Linder, Ute (2000): Das Berufsspektrum in der Berufsvorbereitung, in: GPC-Expertengespräch "Erweiterung des Berufswahlspektrums", Bibb 2000, S. f

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Hecker, Ursula (2000): Ausbildungsabbruch als Problemlösung? Überlegungen zu vorzeitigem Ausstieg aus der Ausbildung.

In: BIBB (Hrsg.): Jugendliche in Ausbildung und Beruf. Bonn 2000, S. 55 - 66.

[/S. 55:] Für viele junge Menschen wird der Eintritt in die Arbeitswelt häufig zu einem Fehlstart, wenn sich zeigt, dass die Berufsrealität eine ganz andere ist, als ursprünglich erwartet. Die Zahl der Vertragslösungen liegt, trotz knapper Lehrstellen, nach wie vor auf einem hohen Niveau. Nachdem zwischen 1994 und 1997 eine leicht abnehmende Tendenz erkennbar war, ist 1998 wieder ein leichter Anstieg bei den Vertragslösungen zu beobachten. Vorzeitig gelöst wurden 1998 insgesamt 134.683 Ausbildungsverträge, das sind 22,6 Prozent. Bundesweit wird damit knapp jeder vierte Ausbildungsvertrag wieder gelöst. Knapp die Hälfte der Vertragslösungen findet im ersten Ausbildungsjahr statt; davon wiederum gut die Hälfte bereits in der Probezeit.

Besonders groß ist die Rate der Vertragsauflösungen im Handwerk mit 28 Prozent und bei den Freien Berufen mit 27 Prozent. Eine auffallend hohe Ausbildungszufriedenheit scheint im öffentlichen Dienst vorzuliegen. Hier haben nur 6,5 Prozent der Auszubildenden ihre Lehre vorzeitig beendet.

Die Spannweite der Vertragslösungen zwischen den einzelnen Bundesländern ist ebenfalls erheblich. Sie reicht von hohen Lösungsraten mit knapp 30 % in den Ländern Bremen (28 %) und Berlin (27 %) bis unter 20 % in den Ländern Bayern (18 %), Sachsen und Baden-Württemberg (jeweils 19 %).

 

Tabelle 1: Anteil der vorzeitig gelösten Ausbildungsverträge an den neu abgeschlossenen Verträgen (1) nach Ausbildungsbereichen 1993 bis 1998
Neue und alte Bundesländer insgesamt - in Prozent -
Ausbildungsbereiche
1994
1995
1996
1997
1998
Industrie und Hande
21,3
20,2
19,4
18,1
18,7
Handwerk
29,9
29,2
26,7
26,3
27,9
Öffentlicher Dienst
7,1
7,5
6,3
6,8
6,5
Landwirtschaft
24,5
24,2
23,1
22,3
23,0
Freie Berufe
29,1
28,6
25,5
25,8
26,8
Sonstige Hauswirtschaft, Seeschifffahrt
22,6
27,9
23,0
22,0
22,1
Alle Bereiche
24,7
24,2
22,6
21,8
22,6

 

Der, wenn auch nur leichte, Anstieg bei den vorzeitigen Vertragslösungen ist um so bedauerlicher als nach einer Erhebung des Bundesinstituts für Berufsbildung [2] sich die Chancen für Vertragslöser im Vergleich zu früher deutlich verschlechtert haben (Alex u. a. 1997). So ist der Anteil der Ausbildungswechsler, d. h. Auszubildende, die nach der Vertragslösung wieder eine neue Ausbildung aufnehmen, merklich zurückgegangen (von 46 % 1990 auf 39 % 1995/96). Im [/S. 56:] Gegenzug hat sich der Anteil der Abbrecher, die im Anschluss arbeitslos waren bzw. Gelegenheitsjobs ausübten, erheblich ausgeweitet (von 20 % 1990 auf 37 % 1995/96). Damit zeichnet sich ab, dass der Abbruch einer Ausbildung für die Jugendlichen derzeit häufig zu einem endgültigen Herausfallen aus dem beruflichen Bildungssystem führt, mit den meist negativen Folgen einer beruflichen Perspektive als An- und Ungelernter (Puhlmann 1994).

In diesem Zusammenhang ist allerdings auch darauf hinzuweisen, dass eine vorzeitige Vertragslösung nicht immer eine Katastrophe bedeuten muss. In vielen Fällen ist sie eine sinnvolle berufliche Umorientierung, insbesondere wenn der Beruf/ Betrieb nicht den Vorstellungen oder den Ansprüchen an die Qualität der Ausbildung entspricht (Grieger/ Hensge 1992). Vertragslösungen vor diesem Hintergrund sind häufig mit einem Betriebs- und/ oder Berufswechsel bzw. mit einem Übergang in andere Bildungswege verbunden. Dennoch ist auch hier in den meisten Fällen ein Einschnitt in den beruflichen Lebensweg der betroffenen Jugendlichen zu verzeichnen. Ausbildungsabbrüche beruhen selten auf Ad-hoc-Entscheidungen. In der Regel sind sie der Schlusspunkt eines länger andauernden Prozesses, der häufig mit negativen Erfahrungen, Konflikten und Problemen, sowohl für den Jugendlichen aber auch für den Betrieb, verbunden ist (Hensge 1984).

Das Abbruchgeschehen ist aus der Sicht der Auszubildenden im Allgemeinen gekennzeichnet durch ein ganzes Bündel von teilweise mit einander verbundenen Gründen (Fassmann 1998). Nach bislang durchgeführten Studien über die Ursachen von Ausbildungsabbruch lassen sich vor allem Probleme im sozialen Kontext, insbesondere dem Verhältnis zu den Ausbildern und Kollegen, in betriebsstrukturellen Aspekten der Ausbildung sowie in einer falschen Berufswahl festmachen (vgl. Grieger 1981 und Hensge 1987). Ein Teil dieser Gründe könnte durch bessere Vorabinformationen über den Ausbildungsberuf und die anfallenden Tätigkeiten, durch größeres Engagement und Kompromissbereitschaft sowohl aufseiten der Auszubildenden und der Betriebe vermieden werden.

Die vorliegende Analyse setzt nicht erst beim Ausbildungsabbruch an, sondern fragt Auszubildende, ob sie einen Abbruch ihrer derzeitigen Ausbildung in Erwägung ziehen und welche Gründe sie zu dieser Überlegung veranlassen. Da betriebsbedingte Ursachen in erheblichem Maße zu den Vertragslösungen führen, gilt das besondere Augenmerk den aktuellen betrieblichen Ausbildungsgegebenheiten, wie sie von den Jugendlichen eingeschätzt und erfahren werden. Dadurch können weitere Hinweise gewonnen werden, welche Ereignisse und Faktoren in der Ausbildung die Gefahr eines Abbruchs in sich bergen. Grundlage hierfür sind Ergebnisse des Forschungsprojektes "Ausbildung aus der Sicht der Auszubildenden". [/S. 57:]

 

1. Wer denkt an den Ausbildungsabbruch?

Zum Zeitpunkt der Befragung dachte jede(r) 10. Auszubildende ernsthaft daran, die Ausbildung abzubrechen. Das ist, gemessen an den oben dargestellten tatsächlichen Lösungsraten, eine deutlich geringere Quote. Diese Abweichungen lassen sich vor allem durch die unterschiedlichen Erfassungsmethoden erklären. Während in der Statistik die Abbrecher kumulativ über den Zeitraum eines Jahres erfasst werden, handelt es sich bei der Befragung der Auszubildenden um eine Querschnittsbefragung mit einem festen Befragungszeitpunkt. Auszubildende, die der Ausbildung bereits den Rücken gekehrt haben, tauchen in der Untersuchungspopulation nicht mehr auf, es sei denn, sie haben eine neue Ausbildung begonnen.

Ähnlich wie in der Vertragslösungsstatistik sinkt auch bei den befragten Auszubildenden im Laufe der Ausbildung die Neigung zum Ausbildungsabbruch: Während im ersten Ausbildungsjahr noch 13 Prozent ernsthaft darüber nachdenken, sind es im dritten und vierten Ausbildungsjahr nur noch sieben Prozent. Hierbei handelt es sich um einen Selektions- bzw. Optimierungsprozess. Jugendliche, die es bis zum dritten bzw. vierten Ausbildungsjahr gebracht haben, dürften ihre Lehre nicht ohne weiteres vorzeitig beenden, selbst wenn die Ausbildung nicht immer ideal ist oder nach ihren Vorstellungen verläuft. Vielmehr versuchen sie das bisher "Geleistete" durch einen Abschluss zu belegen. Es sei denn, die betrieblichen Bedingungen sind nicht mehr tragbar, der Ausbildungserfolg ist sowieso in Frage gestellt oder private Probleme zwingen dazu. Jugendliche im ersten Lehrjahr, insbesondere in der Probezeit, haben dagegen noch nicht so viel investiert. Sie sind eher bereit, wenn ihnen die Ausbildung nicht gefällt, dies zu korrigieren und sich möglichst rasch beruflich neu zu orientieren, insbesondere wenn sich bessere Alternativen ergeben. Denn mit der Ausbildung werden wichtige Weichen für die berufliche Integration und damit für das zukünftige Erwerbsleben gestellt.

Die Spannweite zwischen den befragten Ausbildungsberufen reicht von zwei Prozent bis 16 Prozent. Besonders häufig stellt sich die Frage nach Abbruch der Ausbildung bei den Friseur(inn)en (16 %) und den Einzelhandelskaufleuten (15 %). Beides sind Berufe mit traditionell hohen Lösungsquoten. Einen Gegenpol bilden die Energieelektroniker/ -innen sowie die Industriekaufleute: Mit zwei bzw. vier Prozent steht bei ihnen eine Vertragslösung nur selten zur Diskussion.

Darüber hinaus zeigt sich: Je besser die schulische Vorbildung der Auszubildenden, um so seltener denken sie an eine vorzeitige Lösung ihrer Ausbildung. So erwägen 14 Prozent der Auszubildenden mit Hauptschulniveau einen Abbruch, bei den Abiturienten machen sich lediglich fünf Prozent darüber Gedanken. Der Hintergrund dürfte sein, dass die Entscheidungsspielräume bei der Wahl des Berufes und des Ausbildungsbetriebes für die Hauptschüler stärker eingeschränkt sind, häufig begrenzt auf Ausbildungsplätze mit geringerer systematischer Qualifizierung und restriktiveren Bedingungen (vgl. Grieger/ Hensge 1992). Die besser vorgebildeten Jugendlichen unterliegen geringeren Restriktionen, bekommen meist anspruchsvollere Aufgaben zugewiesen, können ihre Interessen besser artikulieren und erhalten dadurch letztendlich größere Aufmerksamkeit, Bestätigung und Zuwendung (vgl. Zielke 1998). Hierzu beispielhaft die Anmerkung eines Abiturienten auf dem Fragebogen: "Sehr gute Ausbildungsstätte, viel Rückmeldung mit Lob; gutes Arbeitsklima, sehr hohe Anforderungen (finde ich positiv); viel selbstständiges Arbeiten." Diese Faktoren sind es, die sich in besonderem Maße auf die Motivation und Ausbildungszufriedenheit auswirken und einen erheblichen Einfluss darauf haben, ob eine Ausbildung erfolgreich beendet oder vorzeitig gelöst wird (vgl. Jungkunz 1996). Von den Auszubildenden, [/S. 58:] die angeben, dass sie mit ihrer Ausbildung "sehr unzufrieden" sind, denken 60 Prozent ernsthaft an eine vorzeitige Vertragslösung. Im Abbruch der Ausbildung sehen sie sozusagen die letzte Konsequenz, diese unbefriedigende Situation zu beenden. Unter den "sehr zufriedenen" Auszubildenden stellen lediglich sechs Prozent solche Überlegungen an.

Gleichzeitig belegen die Angaben der Befragten, dass die Ausbildung nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird. Viele Auszubildenden bemühen sich, ihre Lehre trotz Schwierigkeiten zu beenden. Drei Viertel der "überwiegend unzufrieden" Auszubildenden denken nicht daran, vorzeitig aufzuhören. Selbst von denjenigen, die erhebliche Probleme haben und die ihre Ausbildung als "ganz unbefriedigend" erleben, geben immerhin noch 40 Prozent an, dass der Abbruch für sie keine Alternative bedeutet: "Dass wir wenigstens eine Ausbildung haben! Deshalb ziehen wir das ja durch. Ich könnte glatt aufhören!" (Gruppendiskussion mit Arzthelferinnen im dritten Lehrjahr). Die Zurückhaltung vieler Auszubildender, trotz unbefriedigender Ausbildungssituation auszuharren und die Ausbildung erfolgreich zu beenden, deutet auf die hohe Wertschätzung eines Berufsabschlusses bei den Jugendlichen hin (vgl. Jugendwerk der deutschen Shell (Hrsg.) 1997). Außerdem kann dies als Indiz dafür gewertet werden, dass die Auszubildenden ihre beruflichen Chancen nach dem Abbruch eher negativ einschätzen bzw. keine bessere Alternative zu ihrer, wenn auch unbefriedigenden, Ausbildung sehen.

 

2. Gründe für Abbruchüberlegungen

Auszubildende, die einen Abbruch der Ausbildung erwägen, machen dafür in erster Linie Schwierigkeiten mit Ausbildern und Vorgesetzten verantwortlich (44 %). Frauen nennen diese Faktoren häufiger. Überdurchschnittlich oft wird diese Begründung von Auszubildenden in mittleren und kleineren Betrieben mit weniger als 50 Beschäftigten genannt.

Von entscheidender Bedeutung zeigt sich dieses Problem bei angehenden Arzthelferinnen, die überwiegend in kleinen Praxen eng mit der Sprechstundenhelferin oder dem Arzt zusammenarbeiten müssen. Für 80 Prozent der potenziellen Abbrecherinnen in diesem Beruf zählt das schlechte Verhältnis zum/ zur Vorgesetzten als Grund für ihre Abbruchüberlegungen (Hecker 1999). Auch rund zwei Drittel der Bürokaufleute in Kleinbetrieben machen das soziale Klima zwischen Auszubildenden und Vorgesetzten für ihre Überlegung verantwortlich, ihr Ausbildungsverhältnis zu kündigen.

Gerade in kleineren Betrieben, wo man sich nicht aus dem Wege gehen kann, kommt es auf eine möglichst reibungslose und konfliktfreie Zusammenarbeit an. So positiv es sein kann, wenn eine Art familiäres Vertrauensverhältnis zwischen Ausbildern/ -innen und Auszubildenden besteht, in dem durchaus Konflikte ausgetragen und bereinigt werden, so schwierig wird es, wenn dieses Vertrauensverhältnis gestört ist. Oftmals bleibt den Auszubildenden dann nur die Kündigung. Anders sieht es in größeren oder Großbetrieben aus: Treten hier Schwierigkeiten mit Vorgesetzten/ Ausbildern auf, können sich die Jugendlichen auch an andere Bezugspersonen wenden, die in den Konflikten vermitteln oder zur Entschärfung beitragen können (Hecker 1989). So betonen in Großbetrieben (500 und mehr Beschäftigte) lediglich 31 Prozent der potenziellen Ausbildungsabbrecher Schwierigkeiten mit den Vorgesetzten, aber 55 Prozent in Kleinbetrieben (unter 10 Beschäftigte). [/S. 59:]

Von älteren Auszubildenden, insbesondere den Abiturienten unter ihnen, werden negative Erfahrungen mit Ausbildern und Vorgesetzten ebenfalls verstärkt im Zusammenhang mit ihren Abbruchüberlegungen gebracht: So haben 50 Prozent der über 21-jährigen damit Probleme aber nur 37 Prozent der unter 18jährigen. Mit zunehmendem Alter und/ oder höherer Qualifikation verändert sich die Motivationsstruktur und Anspruchshaltung der Auszubildenden. Allerdings wird dies in vielen Betrieben noch nicht erkannt und damit auch keine entsprechenden erwachsenengerechte Konzepte und Umgangsformen in der Ausbildung entwickelt. Ein 22-jähriger Auszubildender drückt dies folgendermaßen aus: "Es könnten vor allem die Ausbilder ausgetauscht werden, da sie ungenügende pädagogische Fähigkeiten haben, charakterliche Schwäche vorweisen und ein Desinteresse an den Tag bringen, das an Faulheit grenzt."

Neben den betriebs-klimatischen Faktoren wird die falsche Berufswahl als wichtiger Grund für eine Vertragslösung von den Auszubildenden genannt. 42 Prozent der möglichen Ausbildungsabbrecher betonen, dass der Ausbildungsberuf nicht ihren Vorstellungen entspricht. Häufig ist dies ein Indiz für mangelnde Informationen über den (zum Teil unfreiwillig) gewählten Ausbildungsberuf. Meist stellt sich erst in der täglichen Ausbildungspraxis heraus, ob der Beruf den eigenen Vorstellungen und Neigungen entspricht (Feller 1995). Besonders schwer wiegt dieser Grund bei Industriemechanikern/ -innen (zwei Drittel). Aber auch Bank- und Industriekaufleute, die einen Abbruch erwägen, haben mit ihrer Ausbildung oftmals andere Vorstellungen verbunden. Entsprechend häufig nennen diese Auszubildenden auch andere Berufswünsche. Der Abbruch wird als Chance für eine berufliche Neuorientierung gesehen, zum Teil in Form einer fachschulischen bzw. hochschulischen Berufsqualifikation.

Finanzielle Aspekte sind für Abbruchüberlegungen ebenfalls von Bedeutung. Sie werden von einem Drittel der potenziellen Abbrecher genannt - insbesondere von Auszubildenden in Berufen mit niedrigeren Ausbildungsvergütungen wie z. B. Friseur/ -in (51 %) und Elektroinstallateur/ -in (46 %). In diese Überlegungen dürften, neben der Unzufriedenheit mit dem aktuellen Ausbildungsentgelt, möglicherweise auch die späteren Verdienstaussichten als Fachkraft einfließen. Bei einer geschlechtsspezifischen Betrachtung zeigt sich, dass die jungen Männer wesentlich häufiger finanzielle Gründe als Abbruchursache nennen. Finanzielle Motive spielen auch eine größere Rolle bei ausländischen Auszubildenden sowie besonders bei Auszubildenden in außerbetrieblichen Einrichtungen, bei Gruppen also mit einem in der Regel geringeren Ausbildungsentgelt. Ebenso dürften unsichere Berufsperspektiven, d. h. geringere Chancen für die Einmündung in ein späteres (ausbildungsadäquates) Arbeitsverhältnis eine Rolle spielen. Welche Bedeutung finanzielle Aspekte bei den abbruchgefährdeten Jugendlichen haben, lässt sich u. a. daran ablesen, dass in dieser Gruppe wesentlich mehr Jugendliche noch einer Nebentätigkeit nachgehen, um sich den Lebensunterhalt zu finanzieren, als bei Auszubildenden, die nicht an Abbruch denken.

Von ihrer Ausbildung überfordert fühlen sich 16 Prozent der potenziellen Ausbildungsabbrecher/ -innen. Dies ist ein Abbruchgrund, der verstärkt von Auszubildenden im dritten und vierten Ausbildungsjahr angegeben wird. Das Gefühl, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein, kann als Indiz dafür gewertet werden, dass die Leistungsanforderungen im Verlauf der Ausbildung gestiegen sind. Zum anderen kann es dem zunehmenden Prüfungsdruck gegen Ende der Ausbildung geschuldet sein. Die Angst vor Misserfolg bei der Prüfung führt dann bei einem Teil der Auszubildenden dazu, dass sie bereits im Vorfeld die Ausbildung abbrechen oder zumindest entsprechende Überlegungen anstellen. Jugendliche mit niedrigerer schulischer Vorbildung tun sich schwerer, den Anforderungen der Berufsausbildung gerecht zu werden (vgl. Zielke 1998), ebenso ausländische Jugendliche. Gründe hierfür dürften vor allem in [/S. 60:] einer geringeren Sprachkompetenz und, damit oftmals einhergehend, in schulischen Defiziten zu suchen sein (vgl. Beer-Kern 1993).

Gesundheitliche Gründe veranlassen 15 Prozent zu Abbruchüberlegungen. Ein Grund, der tendenziell häufiger von Gas- und Wasserinstallateuren, Kraftfahrzeugmechanikern, Malern und Lackierern sowie Elektroinstallateuren angeführt wird. Hierbei handelt es sich vor allem um Berufe im gewerblich-technischen Bereich, bei denen von stärkeren körperlichen Arbeitsanforderungen und allergenen Belastungen ausgegangen werden kann.

Für weitere 15 Prozent sind private Gründe ausschlaggebend. Diese Motive werden öfter von Auszubildenden, die in der Regel mit den berufsinhaltlichen bzw. betrieblichen Rahmenbedingungen zufrieden sind, genannt. Eine enge Korrelation besteht bei dieser Gruppe allerdings auch mit finanziellen Aspekten. Zwischen den Geschlechtern liegen keine signifikanten Unterschiede vor.

Für viele Jugendliche, die ihrer derzeitigen Ausbildung den Rücken kehren wollen, würde dies ihren Angaben zufolge allerdings noch kein endgültiger Verzicht auf eine berufliche Bildung oder auf eine weitere schulische bzw. hochschulische Qualifizierung bedeuten. Vielmehr läuft der erwogene Ausbildungsabbruch auf eine Veränderung der beruflichen Orientierung hinaus: Knapp ein Drittel strebt eine Ausbildung in einem anderen Beruf an und zieht damit die Konsequenzen aus einer falschen Berufswahl. Weitere 12 Prozent planen einen so genannten "Abbruch nach oben" zur weiterführenden Qualifizierung außerhalb des dualen Systems. Sie sehen in einer schulischen bzw. hochschulischen Ausbildung eine Verbesserung ihrer Arbeitsmarktchancen.

Der Wechsel in eine andere Ausbildung korreliert stark mit der Ausbildungsdauer und wird vor allem von Befragten im ersten Lehrjahr genannt (35 %). Aber auch ausländische Jugendliche versprechen sich verstärkt von einem Ausbildungswechsel bessere Berufschancen. Dies gilt für Auszubildende aus Großbetrieben (500 und mehr Beschäftigte) ebenso, wie für solche aus außer- und überbetrieblichen Einrichtungen. Insbesondere bei der letztgenannten Gruppe, bei der gut jede(r) Zweite mit Abbruchüberlegungen darüber nachdenkt, in einem anderen Beruf einen Neuanfang zu starten, dürfte der Wunsch nach Einmündung in eine reguläre betriebliche Ausbildung mit im Vordergrund stehen. Bei den Auszubildenden in Großbetrieben spricht vieles dafür, dass ein geplanter Berufswechsel sogar im gleichen Betrieb vollzogen werden kann.

Der Übergang in eine schulische bzw. hochschulische Ausbildung wird, entsprechend ihren schulischen Voraussetzungen, in erster Linie von Abiturienten (46 %) sowie Auszubildenden mit Fachhochschulreife (27 %) genannt. Diese höheren Bildungsaspirationen stehen vor allem für Bank- und Industriekaufleute sowie für Energieelektroniker - also Berufe mit bereits hohem Bildungsniveau der Auszubildenden - zur Diskussion. Die berufliche Umorientierung dient der weiterführenden Qualifizierung und damit der Optimierung von Arbeitsmarktchancen. Gleichzeitig wird mit dieser Option der Schritt in den beruflichen Alltag, der so genannte "Ernst des Lebens", auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Denn im Vergleich zu schulischen und hochschulischen Bildungsgängen ist die betriebliche Lehre eher als Einmündung in betriebliche Sozialstrukturen mit einem stärker sanktionierten Anpassungsdruck zu verstehen.

Lediglich jede(r) zehnte potenzielle Abbrecher erwägt den völligen Ausstieg aus der beruflichen Qualifizierung und möchte sofort eine (ungelernte) Arbeit aufnehmen. Die Angaben der Jugendlichen belegen hierbei einen engen Zusammenhang mit finanziellen Motiven. Die sofortige Arbeitsaufnahme wird vor allem von männlichen Jugendlichen in größeren [/S. 61:] Ausbildungsbetrieben angegeben und basiert möglicherweise auf der Annahme und Erfahrung, dass der Betrieb, auch ohne abgeschlossene Ausbildung, vielfältige Arbeitsmöglichkeiten bietet. Eine stärkere "drop-out"-Rate zeichnet sich bei Auszubildenden in außerbetrieblichen Einrichtungen ab: Knapp ein Viertel nennt die Arbeitsaufnahme als Grund für einen möglichen Abbruch. Es scheint, als versprächen sich diese Jugendlichen keine positiven Auswirkungen von einem qualifizierten Berufsabschluss auf ihre späteren Berufs- und Arbeitsmarktchancen, vermutlich sehen sie eher geringe Möglichkeiten, im erlernten Beruf etwas zu finden. Sie betrachten die außerbetriebliche Ausbildung eher als vergeudete Zeit bei geringem Einkommen.

Insgesamt zeigt die Vielzahl der genannten Gründe im Zusammenhang mit der Überlegung, die Ausbildung vorzeitig zu beenden, dass in der Regel nicht nur ein Motiv dafür geltend gemacht wird. Vielmehr handelt es sich hier um eine Vielzahl einander bedingender Gründe, die zu den Abbruchüberlegungen bei den Auszubildenden geführt haben (vgl. Hecker 1989). Damit bestätigen die Angaben der Auszubildenden auch Ergebnisse von Untersuchungen über vollzogene Ausbildungsabbrüche.

 

3. Soziales Klima und betriebliche Ausbildungsbedingungen im Vergleich

Nach vorliegenden Untersuchungsergebnissen orientiert sich der Ausbildungsabbruch in erster Linie am aktuell wahrgenommenen Ausbildungsgeschehen. Dabei spielen neben den zwischenmenschlichen, betriebsklimatischen Problemen auch die berufsinhaltliche Seite und die betrieblichen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle (vgl. Hensge 1984 und 1987). Neben den genannten Gründen für eine mögliche vorzeitige Lösung der Ausbildung sollen deshalb die betrieblichen Ausbildungsbedingungen und -erfahrungen der potenziellen Abbrecher mit denen der anderen Auszubildenden, die nicht an Abbruch denken verglichen werden. Ziel hierbei ist es, herauszuarbeiten, ob es in der Einschätzung des Ausbildungsgeschehens zu unterschiedlichen Bewertungen zwischen den beiden Gruppen kommt.

Das soziale Klima im Betrieb, besonders das Verhältnis zum Vorgesetzten bzw. zum Ausbilder ist ein maßgeblicher Indikator für Ausbildungszufriedenheit und Motivation und hat damit auch Auswirkungen auf die Bereitschaft, eine Ausbildung abzubrechen.

Nach einer Analyse des sozialen Kontextes bei den befragten Auszubildenden zeigt sich, dass von den abbruchgefährdeten Auszubildenden 60 Prozent "häufig oder manchmal" Probleme mit ihren Vorgesetzten/ Ausbildern haben, während dies lediglich von einem Viertel der Vergleichsgruppe angegeben wird. Auch mit Kollegen/ -innen haben sie mehr als doppelt so häufig Schwierigkeiten, als die Vergleichsgruppe. Das soziale Klima der Auszubildenden untereinander wird von den potenziellen Abbrechern ebenfalls doppelt so häufig als belastend empfunden als von der Vergleichsgruppe. [/S. 62:]

 

Abb. 1

Quelle: BIBB Projekt 1.4001 "Ausbildung aus Sicht von Auszubildenden"

 

Wenn Schwierigkeiten mit Vorgesetzten/ Ausbildern auftreten, so wird vor allem das autoritäre Verhalten angeführt sowie die Nichteinhaltung von Regeln und Vorschriften, deretwegen es zu Auseinandersetzungen kommt. Hierzu beispielhaft einige Anmerkungen von Auszubildenden: "Das Lernziel interessiert die Ausbilder fast gar nicht. Hauptsache arbeiten! Am besten alles alleine machen ohne zu fragen! Perfekte Azubis! Habe selbst Ehrgeiz, deshalb gute Noten aber ansonsten herrscht Frust und Desinteresse durch ungerechte Behandlung." (Abiturient, 27 Jahre) oder "Ich fühle mich ausgenutzt von meinem Ausbilder. Wenn man mal etwas falsch gemacht hat, darf man gleich putzen." (Realschülerin, 19 Jahre). Für Probleme sowohl im Kollegenkreis als auch mit den anderen Auszubildenden wird überwiegend unsolidarisches Verhalten verantwortlich gemacht.

Auf die pädagogisch-soziale Gestaltung der Ausbildung bezogen schätzen die potenziellen Abbrecher alle erfragten Bereichen deutlich ungünstiger ein als die Vergleichsgruppe (siehe folgende Grafik). Besonders gravierend sind die Unterschiede in den auf den Arbeitsinhalt bezogenen Aussagen wie: "Verrichtung ausbildungsfremder Tätigkeiten" und Vermittlung eines "umfassenden Überblickes über alle beruflichen Anforderungen". Die potenziellen Abbrecher betonen doppelt so häufig wie die Vergleichsgruppe, dass sie manchmal auch Arbeiten verrichten müssen, die nicht zur Ausbildung gehörten, ein Aspekt, der die Jugendlichen besonders stört: "Es sollte eine Kontrolle geben, dass wirklich ausgebildet und nicht ausgebeutet wird. Zum Kaffeekochen, Müllentsorgen, Blumen gießen etc. brauche ich kein Abitur oder drei Jahre Ausbildung!" (Abiturientin, 21 Jahre) oder "Ich finde gut, dass ich die einzige Auszubildende bin, d. h. im Büro. Dadurch bekomme ich alles mit und muss zum größten Teil selbstständig arbeiten. Ich finde nicht gut, dass ich jetzt alle Putzarbeiten (spülen, Fenster putzen, Regale abwaschen, kehren, Ausstellungsraum putzen und Blumen gießen) machen muss, weil mein Chef unsere Putzfrau geschmissen hat und ich ja billiger bin." (Hauptschülerin, 19 Jahre)

Von den Auszubildenden, die nicht an einen Ausbildungsabbruch denken, sind 78 Prozent der Überzeugung, dass sie einen umfassenden Überblick über alle Anforderungen im Betrieb bekommen. Diese Einschätzung teilen aber nur 55 Prozent der potenziellen Abbrecher. "Ich bin seit 7 Monaten 'in Spüle'. Wenn ich etwas anderes mache, ist es Kartoffeln schälen, Salat putzen, Frühstücksvorbereitung oder ab und zu Kaffeegeschäft. So kann ich die Prüfung nie schaffen. Man lernt nichts!" (Realschülerin, 19 Jahre) [/S. 63:]

Auch auf der Ebene der pädagogischen Betreuung fühlt sich diese Gruppe deutlich benachteiligt: Für gute Leistungen werden sie seltener gelobt als die Vergleichsgruppe (41 %, gegenüber 64 %). Außerdem gibt gut jede(r) dritte Auszubildende, die/ der sich mit dem Ausbildungsabbruch beschäftigt, an, dass es niemanden gebe, der sich für seine/ ihre Ausbildung richtig verantwortlich fühle (Vergleichsgruppe: 13 %). "Niemand fühlt sich im Betrieb verantwortlich für mich; jeder gibt mir eher Aufgaben, die überwiegend nicht zu meiner Ausbildung gehören: Die Schuld hierfür liegt beim Chef; der keinen Ausbilder bestimmt hat." (Abiturientin, 20 Jahre)

Wenn sie etwas falsch gemacht haben, erhalten sie seltener eine Rückmeldung durch die Ausbilder und Hinweise, wie man es besser machen könnte, als Auszubildende, die nicht an den Abbruch denken. Dieses Gefühl der unzureichenden Betreuung wird auch noch dadurch unterstrichen, dass die Ausbilder und Betreuer im Schnitt nur 55 Minuten am Tag für sie aufwenden; das sind 25 Minuten weniger als bei der Vergleichsgruppe. Sie haben darüber hinaus seltener die Gelegenheit einzelne Arbeitsschritte und Handgriffe einzuüben bzw. auch mal etwas selbstständig auszuprobieren.

Die abbruchgefährdeten Auszubildenden erhalten seltener eine systematische und planmäßige Ausbildung. Lediglich 32 Prozent betonen, dass sich ihre Ausbildung "voll und ganz" bzw. "weitgehend" am Ausbildungsplan orientiert, gegenüber 55 Prozent bei der Vergleichsgruppe. Sie haben außerdem seltener die Möglichkeit berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten in der Ausbildung zu erwerben, insbesondere auf dem Gebiet moderner Techniken und Organisationsformen. Lediglich beim Kundenumgang und im Bereich Entsorgung und Umweltschutz liegen sie vorne. Nach Einschätzung der potenziellen Abbrecher misst man in ihrem Betrieb den (erfragten) Sozial- und Fachkompetenzen einen geringeren Wert bei als bei der Vergleichsgruppe. Weniger Wert wird bei ihnen vor allem auf Team- und Gruppenarbeit, auf Fremdsprachenkenntnisse, auf Selbstständigkeit und Eigeninitiative sowie auf die Entwicklung eigener Ideen gelegt.

Bei den betrieblichen Unterweisungsformen zeigt sich, dass die unzufriedenen Auszubildenden etwas häufiger noch nach der traditionellen Methode "Zuschauen und Nachmachen" ausgebildet werden, bei über 50 Prozent steht jedoch die selbstständige und eigenverantwortliche Bearbeitung von Arbeitsaufträgen im Vordergrund. Ähnlich wie die Vergleichsgruppe betonen rund 70 Prozent der potenziellen Abbrecher, dass sie in ihrem Ausbildungsalltag auch Tätigkeiten verrichten, die sie "genau so gut und schnell ausführen wie eine Fachkraft". Vor diesem Hintergrund ist u. a. die negative Einschätzung zu werten, wonach 75 Prozent ihre Ausbildungsvergütung, gemessen an ihren Leistungen, als zu niedrig einstufen. Bei der Vergleichsgruppe sind es 62 Prozent. Die größere Unzufriedenheit der potenziellen Abbrecher mit ihrer Vergütung dürfte verstärkt auch darauf zurückzuführen sein, dass sie, wie bereits dargestellt, wesentlich häufiger aus Berufen kommen, in denen niedrigere Ausbildungsvergütungen bezahlt werden. "Es macht Spaß! Nur viel zu wenig Vergütung. Wir arbeiten genauso viel wie Gesellen und haben zusätzlich noch viele Kosten wegen der Ausbildung (z. B. Tickets, Lernmaterial, Schulmaterial)." (Realschülerin, 17 Jahre)

Insgesamt wird deutlich, dass der betriebliche Background bei denjenigen Auszubildenden, die an den Abbruch ihrer Ausbildung denken, sich deutlich ungünstiger darstellt als bei der Vergleichsgruppe. Sowohl was die sozialen und zwischenmenschlichen Aspekte, aber auch betriebliche Rahmenbedingungen und Qualität der Ausbildung selbst anbelangt, fühlt sich diese Gruppe mit erheblich mehr Mängeln und Problemen konfrontiert, die das Ausbildungsverhältnis belasten. [/S. 64:]

 

Abb. 2

 

[/S. 65:]

 

4. Fazit

Der Eintritt der jungen Menschen in die Arbeitswelt gerät häufig zum Fehlstart: Trotz angespannter Ausbildungsstellensituation beendet immer noch knapp ein Viertel aller Auszubildenden vorzeitig die Ausbildung. Selbst wenn es sich bei den Vertragslösungen in der Mehrzahl um einen Betriebs- bzw. Berufswechsel oder einen Übergang in andere Bildungswege und damit um eine berufliche Umorientierung handelt, haftet dem Abbruch das Stigma des Scheiterns an. Dem Abbruch geht in der Regel eine längere konfliktreiche, mit Unsicherheiten behaftete Phase voraus, die zu erheblichen Reibungsverlusten führt. Nicht selten wirkt sich dies negativ auf das Selbstbewusstsein der Jugendlichen aus, weil es als Scheitern erlebt wird, als Eingeständnis einer Fehlentscheidung. Insbesondere wenn die Vertragslösung von Seiten des Betriebes erfolgt, wird sie den Jugendlichen häufig als mangelnde Anpassungsleistung bzw. gar als Unfähigkeit angelastet. Besonders problematisch wird der vorzeitige Ausstieg dann, wenn die Ausbildung ersatzlos beendet, d. h. auf eine weitere Ausbildung verzichtet wird. Denn nach wie vor eröffnet der Abschluss einer Ausbildung im dualen System gute Chancen für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt.

Neben der subjektiven Bedeutung für die Jugendlichen sind aber auch die negativen Auswirkungen für den ausbildenden Betrieb beträchtlich. Insbesondere für kleinere Betriebe bedeutet ein Ausbildungsabbruch: aktuell meist nicht genutzte Ausbildungsressourcen, den Verlust von Arbeitskapazität und verlorenen Qualifizierungsaufwand, erheblicher zusätzlicher Aufwand, um einen neuen Auszubildenden zu suchen sowie evtl. spätere Engpässe beim Fachkräftenachwuchs. Sowohl im Interesse der Betriebe als auch der Auszubildenden muss deshalb verstärkt nach Wegen gesucht werden, um vorzeitige Vertragslösungen deutlich zu mindern.

In der Mehrzahl erfolgt die Zahl der Vertragslösungen auf Veranlassung der Auszubildenden, die in der Regel gleich mehrere Gründe dafür geltend machen. Einer der Hauptgründe, die falsche Berufswahl, ließe sich sicherlich durch bessere Information und Beratung der Jugendlichen über den künftigen Beruf reduzieren. Neben der Berufsberatung der Arbeitsämter zählen hierzu mehr und bessere Berufsinformationen bereits in den allgemein bildenden Schulen, verstärktes Angebot an Praktika, um den Jugendlichen einen ersten Einblick in den Berufsalltag zu vermitteln, intensivere Beratung durch die Betriebe im Rahmen der Bewerbungsverfahren, in dem auch negative Aspekte der Ausbildung angesprochen werden müssen, sowie verstärkt Hinweise auf Eignung und erforderliche Kompetenzen.

Aber auch während der Ausbildung kann in den Betrieben einiges getan werden, um vorzeitige Vertragslösungen zu vermeiden. So werden von den befragten Auszubildenden in erster Linie das schlechte Klima zum Ausbilder/ Vorgesetzten für ihre Überlegungen, die Ausbildung abzubrechen geltend gemacht. Neben diesen gestörten Kommunikationsbeziehungen spricht vieles dafür, dass auch organisatorische und betriebliche Rahmenbedingungen die Abbruchüberlegungen beeinflussen. Dies zeigt auch die vergleichende Analyse zwischen den Auszubildenden, die sich mit dem Gedanken an einen Abbruch der Ausbildung beschäftigen und den anderen Auszubildenden, für die der Abbruch nicht zur Diskussion steht. Bei den potenziellen Abbrechern liegen deutlich ungünstigere Ausbildungsbedingungen vor, sowohl was die pädagogische und soziale Betreuung, aber auch was die berufsinhaltliche Seite anbelangt: Diese Auszubildenden werden häufiger mit ausbildungsfremden Tätigkeiten betraut; es wird Ihnen seltener die Möglichkeit zu selbstständigem Ausprobieren und Einüben von Arbeitsaufgaben geboten, gleichzeitig erhalten sie weniger Unterstützung und Betreuung im betrieblichen Lernprozess. Insgesamt fühlen sie sich ungenügend auf den Beruf vorbereitet. Ein Teil dieser Mängel ließe sich durch bessere pädagogische Vorbereitung und Qualifikation des Ausbildungspersonals beheben. Ein wichtiges Ziel wäre dabei neben der inhaltlichen Verbesserung der Ausbildungsqualität vor allem die Verbesserung des Ausbildungsklimas und die Intensivierung der individuellen Betreuung, um frühzeitig Probleme bei den Auszubildenden zu erkennen und Unterstützung und Hilfen anbieten zu können. Hier liegt es u. a. in der Verantwortung der zuständigen Kammern, im Rahmen ihrer Aufsichts- und Kontrollfunktion den Betrieben verstärkt Hilfestellungen anzubieten.

 

Anmerkungen

(1) Die Zahl der Vertragslösungen wird bezogen auf die durchschnittliche Zahl neuer Verträge (Erhebung zum 31.12.) aus den vier letzten Jahren, vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2000.
 

Literatur

Alex, L.; Menk, A.; Schiemann, M. (1997): Vorzeitige Lösung von Ausbildungsverträgen. In: BWP 4/1997.

Beer-Kern, D. (1993): Schulbildung junger Migranten. Berichte zur Beruflichen Bildung, Heft 166/1993 Berlin.

Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.)(2000): Berufsbildungsbericht 2000, Bonn.

Faßmann, H. (1998): Das Abbrecherproblem - die Probleme der Abbrecher. In: Informationen für die Beratungs- und Vermittlungsdienste der Bundesanstalt für Arbeit - (ibv), Heft 34/1998.

Feller, G. (1995): Duale Ausbildung: Image und Realität. Eine Bestandsaufnahme aus Lernersicht. Materialien zur beruflichen Bildung, Bonn.

Grieger, D. (1981): Wer bricht ab? Berufsausbildungsabbrecher im Vergleich zu Jungarbeitern und Auszubildenden. Berichte zur beruflichen Bildung, Heft 38/1981, Berlin.

Grieger, D.; Hensge, K. (1992): Ausbildungsabbrüche - unvermeidbar? In: Berufsbildung, Heft 17/1992.

Hecker, U. (1989): Betriebliche Ausbildung: Berufszufriedenheit und Probleme. Eine bundesweite Repräsentativbefragung von Auszubildenden ab dem zweiten Lehrjahr. Berichte zur beruflichen Bildung, Heft 106/1989, Berlin.

Hecker, U. (1999): Arzthelferinnen in der Ausbildung - Erfahrungen und Einschätzungen. In: BWP 2/1999.

Hensge, K. (1984): Gründe und Folgen des Ausbildungsabbruchs. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Band 80, Heft 1/1984.

Hensge, K. (1987): Ausbildungsabbruch im Berufsverlauf - Eine berufsbiographische Studie. Berichte zur beruflichen Bildung, Heft 87/1987, Berlin.

Jugendwerk der deutschen Shell (Hrsg.) (1997): Jugend' 97 - Zukunftsperspektiven, gesellschaftliches Engagement, politische Orientierungen. 12. Shell Jugendstudie. Opladen.

Jungkunz, D. (1996): Zufriedenheit von Auszubildenden mit ihrer Berufsausbildung. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik. 92. Band, Heft 4/1996.

Puhlmann, A. (1994): Berufsausbildung - Lebensmuster ohne Wert? Zur Berufslosigkeit junger Erwachsener in den alten und neuen Bundesländern. In: Puhlmann, A.: Junge Erwachsene ohne Berufsausbildung. Lebenslagen, Berufsorientierungen und neue Qualifizierungsansätze. Tagungen und Expertengespräche zur beruflichen Bildung, Heft 20. Hrsg.: Bundesinstitut für Berufsbildung. Bielefeld.

Zielke, D. (1998): Die Ursachen des Ausbildungserfolgs aus Schülersicht. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 94. Band, Heft 3/1998.

 

Granato, Mona/ Schittenhelm, Karin (2003): Wege in eine berufliche Ausbildung: Berufsorientierung, Strategien und Chancen junger Frauen an der ersten Schwelle.

Die Konzentration junger Frauen in bestimmten und nur wenigen Berufssparten und ihre immer noch unterdurchschnittliche Partizipation an Ausbildungen, die Chancen eröffnen, führt zu der Frage, wie der Prozess des Übergangs von Schule und Ausbildung bei jungen Frauen verläuft.

Eine geringe Teilhabe junger Frauen in gewerblich-technischen Berufen - das gilt seit Neuerem auch für IT-Ausbildungsberufe - wird in der Diskussion häufig mit ihrer geschlechtsspezifischen Berufswahl in Zusammenhang gebracht. Mangelndes Interesse von Schulabgängerinnen an technischen Berufsfeldern sowie die Hinwendung zu so genannten "frauenspezifischen" Ausbildungsberufen werden immer wieder erörtert.

Zur Erklärung werden unterschiedliche Annahmen herangezogen. Die These, dass eine schwierige Lage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu einer Restabilisierung traditioneller Orientierungen in den Lebensentwürfen junger Frauen führt, ist bisher jedoch nicht durch empirische Untersuchungen belegt. Demgegenüber steht die Annahme, dass die Berufswahl junger Frauen in engem Zusammenhang mit den gegebenen Möglichkeiten im Ausbildungssektor zu sehen ist.

Faktisch ist jedoch über die Prozesse der Berufsorientierung und Berufswahl der heutigen Generation von Schulabgängerinnen wenig bekannt.

Zu fragen ist daher, wie Schulabgängerinnen ihre Handlungschancen wahrnehmen und mit welchen Orientierungen und Strategien sie angesichts der Bedingungen, die sie vorfinden den Übergang zwischen Schule und Ausbildung gestalten.

Aus diesen Überlegungen heraus greift der vorliegende Beitrag folgende zentrale Fragen auf: Welche beruflichen Orientierungen und Strategien entwickeln junge Frauen, um den Übergang in eine Ausbildung zu bewältigen und welche Partizipationschancen finden sie vor?

Der Übergang junger Frauen zwischen Schule und Ausbildung ist mit wachsenden Handlungsspielräumen einerseits und zunehmenden Risiken andererseits verbunden. Mit Blick auf die Heterogenität der heutigen Generation von Schulabgängerinnen behandelt der folgende Beitrag auch die Frage, in welcher Weise sich entsprechende Chancen und Risiken zwischen Schulabgängerinnen aus den neuen und alten Bundesländern sowie ausländischer Herkunft unterschiedlich verteilen.

Im Anschluss an eine einleitende Diskussion über Thesen zum Berufswahlprozess junger Frauen (1) werden die Übergangsprozesse und die damit verbundenen Orientierungen und Strategien an der ersten Schwelle exemplarisch analysiert (2). Weitere Themenschwerpunkte sind die Bedeutung berufs- und familienbezogener Lebenspläne (3) sowie die Partizipationschancen junger Frauen an beruflicher Ausbildung, insbesondere im dualen System (4). Abschließend werden Fördermöglichkeiten junger Frauen im Übergang Schule - Ausbildung erörtert (5).

 

1. Thesen zur Berufswahl und Berufsorientierung junger Frauen heute

Angesichts der zunehmenden Vielfalt möglicher Lebensentwürfe und sozialer Lagen junger Frauen in Deutschland stellen Schulabgängerinnen eine in vieler Hinsicht heterogene Gruppe dar. Neben Unterschieden in Lebensstilen, Chancen und Bedingungen sind regionale Ungleichheiten sowie Transformations- und Migrationsprozesse Ursachen für die Ausdifferenzierung sozialer Lagen.

Nicht abschließend beantwortet ist jedoch, wie sich diese auswirken auf die Berufswahl und den Übergang junger Frauen von der Schule in eine Ausbildung bzw. in den Beruf.

Die Einmündung junger Frauen in Ausbildung und Beruf ist ein komplexer Vorgang, der sich gegenüber früher tendenziell über einen längeren Zeitraum ausdehnt und zunehmend mehr einzelne Stationen beinhaltet. Er kann Phasen der Orientierungssuche und Aufenthalte in berufsvorbereitenden Maßnahmen, Zeiten des "Unversorgtseins" und der Kindererziehung umfassen.

Ob dabei der Zugang zu einer beruflichen Ausbildung gelingt, ist für heutige Schulabgänger/ -innen ungewisser geworden. Der schulische Abschluss allein ist nicht ausschlaggebend dafür, wie junge Frauen einen Übergang in eine berufliche Ausbildung finden. Neben Einrichtungen schulischer und beruflicher Bildung gelten Einflüsse in der Familie (Hoose/ Vorholt 1997) sowie auch seitens Gleichaltriger (Granato/ Schittenhelm 2000) als maßgeblich und gehören neben Praktika und ersten Arbeitserfahrungen zum Umfeld einer vorberuflichen Sozialisation.

Der Übergang zwischen Schule und beruflicher Ausbildung ist auch abhängig von der Art und Weise, wie junge Frauen in dieser Phase die Erfahrungen der Möglichkeiten und Grenzen, die sich am Ausbildungsmarkt bieten, bewältigen. So stellt Krüger (1993) zur Diskussion, dass die Einmündung junger Frauen in so genannte "frauenspezifische" Ausbildungsberufe keinesfalls immer auf ihre berufliche Orientierung zurückzuführen ist. Vielmehr resultiert sie u. a. aus einer Verarbeitung eingeschränkter Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.

Bei Längsschnitt-Untersuchungen in der Bundesrepublik zu Einstellungen von Jugendlichen im Verlauf von Übergängen in den 80er Jahren wurde aufgezeigt, dass sich die Optionen, die junge Frauen während ihrer Such- und Orientierungsprozesse im Vorfeld einer Berufsausbildung ins Auge fassen, zunehmend verengen (Heinz u. a. 1987). Ähnliche Ergebnisse belegen dies gleichfalls für junge Frauen aus den neuen Bundesländern (Heyn/ Schnabel/ Roeder 1997).

Demnach wäre die Einmündung und Konzentration junger Frauen unterschiedlicher Zielgruppen in so genannte "frauenspezifische" Berufe nicht (allein) eine Folge ihrer Berufswahl, sondern auch des gegebenen Ausbildungsstellenmarktes, d. h. der Schwierigkeit, Orientierungen auch angesichts fehlender Ausbildungsstellen umsetzen zu können.

Wie unterschiedlich Prozesse der Entwicklung beruflicher Orientierungen und Strategien bei der heutigen Generation von Schulabgängerinnen verlaufen können, legt - vor dem Hintergrund der oben genannten These - der folgende Abschnitt dar.

 

2. Übergangsprozesse junger Frauen an der ersten Schwelle: Berufliche Orientierungen und Strategien

Anhand vergleichender Fallanalysen, die junge Frauen aus Migrantenfamilien sowie aus ost- und westdeutschen Familien einbeziehen, werden exemplarisch berufliche Orientierungen sowie Strategien des Berufwahlverhaltens, die Entwicklung berufsbiografischer Entwürfe und mögliche Verlaufsformen des Übergangs junger Frauen an der ersten Schwelle aufgezeigt. (1)

 

2.1 Berufliche Orientierungen junger Frauen in der Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen und Bedingungen des Wohnumfelds

Berufliche Orientierungen junger Frauen werden u. a. durch den Austausch mit Gleichaltrigen und durch das Aufwachsen mit den Lebensbedingungen in ihrem Wohnumfeld vermittelt. Auch Sozialisationsprozesse unter Gleichaltrigen aus der Schule oder dem Stadtteil tragen zur Entwicklung eigener Orientierungen und Strategien bei. Die jeweiligen sozialen Bedingungen beeinflussen diese Entwicklung.

Orientierung an weiblichen Bezugspersonen aus dem persönlichen Umfeld: Die im sozialen Umfeld praktizierten Lösungen bilden den Kontext für die Entwicklung eigener Handlungsstrategien.

Die Orientierung an anderen jungen Frauen kann bei Schulabgängerinnen eine Einmündung in so genannte "Frauenberufe" begünstigen: Bei den befragten jungen Frauen zeigt sich wiederholt eine Orientierung an weiblichen Bezugspersonen in ihrem sozialen Umfeld. Diese jungen Frauen wählen einen Beruf, den sie bei ihrer Schwester oder Freundin beobachten können oder sie entwickeln eine gemeinsame Orientierung im Freundinnenkreis hin zu Berufen, die als interessant und erreichbar gelten. Dies führt dazu, dass diese jungen Frauen fast durchweg in so genannte "frauenspezifische" Ausbildungsberufe, wie zum Beispiel in den Beruf der Erzieherin oder Krankenschwester, einmünden. Die Orientierung an den Erfahrungen anderer junger Frauen hat in diesen Fällen zur Folge, dass sie sich innerhalb eines begrenzten Spektrums bewegen und die Konzentration in spezifischen Berufen bzw. Berufsfeldern verstärkt wird. Dabei bilden die im sozialen Umfeld praktizierten Lösungen den Kontext für die Entwicklung eigener Handlungsstrategien.

Gegenentwurf: Junge Frauen grenzen sich von den Orientierungen weiblicher Bezugspersonen ihres Umfelds ab.

Aus der weiteren Analyse ergibt sich demgegenüber, dass junge Frauen sich auch zu etwas anderem entschließen können - gerade angesichts dessen, was sie in ihrer Umgebung wahrnehmen. Auch hier spielt die Anteilnahme an den im unmittelbaren Umfeld vorgefundenen Möglichkeiten eine Rolle. Allerdings wollen die Mädchen in diesen Fällen nicht nachahmen, sondern suchen bewusst nach anderen Möglichkeiten. Wiederholt zeigt sich dabei, dass solche Schritte in der Familie oder im sonstigen Umfeld unterstützt werden: Es gibt z. B. Eltern, eventuell auch ältere Geschwister, die für die Jüngeren etwas anderes wollen, als sie selber vorgefunden haben.

Offensichtliche Beispiele für ein solches Abgrenzungsverhalten gegenüber vorgelebten Handlungsentwürfen sind diejenigen jungen Frauen der Befragung, die sich für gewerblich-technische Berufe entschieden haben. Junge Frauen aus Migrantenfamilien, die anders als ältere Geschwister einen höheren Schulabschluss anstreben, um einen qualifizierten Beruf erlernen zu können, bilden ein weiteres Beispiel. Eine solche Bildungs- und Berufsorientierung ist auch mit einer bewussten Absage gegenüber sozialen Vorurteilen verbunden.

 

2.2 Berufliche Orientierungen junger Frauen unter schwierigen Ausbildungsmarktbedingungen

Die Einbindung in ein soziales Umfeld kann für Schulabgängerinnen eine Unterstützung in einer Lebensphase sein, in der sie aus institutionalisierten Zusammenhängen zumindest vorübergehend herausfallen. Wenn es sich um marginalisierte Milieus, soziale Brennpunkte oder um Regionen mit schlechten Standortbedingungen handelt, kann eine solche Einbindung jedoch eine potenzielle Grenze für eigene Handlungsspielräume bedeuten.

Orientierung an Bezugspersonen aus dem persönlichen Umfeld unter schwierigen Ausbildungsmarktbedingungen

Unter schwierigen Arbeitsmarktbedingungen können Orientierungen von Schulabgängerinnen am eigenen Umfeld bzw. an Personen des Umfelds in der Phase der Berufswahl zu weiteren Einschränkungen ihres Handlungsspielraums beitragen: Die Erfahrung von schwierigen Bedingungen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt kann dazu führen, dass sich die eigenen Maßstäbe an eine Umgebung angleichen, in der viele Gleichaltrige keinen Ausbildungsplatz erhalten und die Elterngeneration (zum Teil) arbeitslos ist. Ausbildungslosigkeit, Arbeitslosigkeit oder chancengeminderte Ausbildungsgänge können unter diesen Bedingungen akzeptabel erscheinen. Selbst eine Ausbildung mit geringen Übernahmechancen wird hingenommen, wenn die Ausbildungsmarktlage als aussichtslos eingeschätzt wird.

So wird z. B. bei jungen Frauen, die an Förderlehrgängen der Jugendberufshilfe teilnehmen, deutlich, wie ambivalent ihre Orientierung an anderen Gleichaltrigen in derselben Lage ist. Zwar erleben sie, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind und erfahren so Unterstützung. Gleichzeitig kann die Orientierung an den Gelegenheiten innerhalb dieses Umfeldes aber auch verhindern, dass sie die notwendige Mobilität aufbringen, um ihre Chancen zu verbessern (Schittenhelm 1998). So laufen sie Gefahr, im Maßnahmen- und Hilfesystem zu verbleiben - weit entfernt von einem Einstieg in eine anerkannte Ausbildung. (2)

Auch die Einmündung in einen Ausbildungsberuf, der ursprünglich nicht angestrebt wurde, kann vor dem Hintergrund eines schwierigen Ausbildungsmarktes zu einer positiven Bewertung der Ausbildungsstelle führen, wenngleich ein beruflicher Einstieg im jetzigen Ausbildungsberuf als chancenlos eingeschätzt wird. Durch die Bewertung der eigenen Situation als unveränderbar, vertun die jungen Frauen Potenziale, um doch noch eine Ausbildungsalternative mit Zukunftsaussichten zu suchen.

Dies lässt sich am Beispiel einer Gruppe von Schulabgängerinnen mit Realschulabschluss zeigen, die nicht im Wunschberuf unterkommen. Ihren derzeitigen Ausbildungsberuf der Bäckereifachverkäuferin schätzen sie als aussichtslos ein, da sie beobachten, wie alle ihre Vorgängerinnen nicht übernommen, sondern durch neue Auszubildende ersetzt wurden. Doch angesichts der knappen Lehrstellensituation in ihrer Umgebung sehen sie für sich selbst keine Alternative. Dabei beurteilen sie ihre Situation im Vergleich zu arbeitslosen Jugendlichen ihrer Umgebung und sind froh, "überhaupt etwas zu haben".

Die Deutungsangebote und Lösungsstrategien, die im sozialen Umfeld praktiziert werden, bilden auch hier den Kontext für eigene Handlungsstrategien. In einem Umfeld, in dem die Lage allgemein als aussichtslos gilt, verschieben sich die Maßstäbe dergestalt, dass die jungen Frauen Möglichkeiten, in eine Ausbildung mit Übernahmechancen einzumünden, nicht mehr wahrnehmen: Sie schätzen ihre eigene Situation als unveränderbar ein und ziehen keine positiven Alternativen mehr in Betracht.

Orientierungen an Freizeit und privaten Lebensentwürfen als Form des Rückzug aus dem Qualifizierungsprozess

Bei den befragten Schulabgängerinnen ist unter bestimmten Bedingungen auch ein Rückzug aus den Bereichen Schule, Ausbildung und Beruf zu beobachten. Die Möglichkeit der Existenzsicherung über eine Familiengründung alternativ zu einem Beruf besteht für die jungen Frauen in den betreffenden Fällen nicht. Statt dessen zeigen sich andere Formen eines Rückzugs von berufsbezogenen Lebensplänen: Junge Frauen können als Alternative dazu auf Aktivitäten in Gruppen von ebenfalls marginalisierten Jugendlichen ausweichen.

Anhand von Fallstudien bei jungen Müttern, die in der Abschlussklasse oder unmittelbar nach dem Abgang von der Schule ein Kind bekommen, ließ sich zeigen, dass eine Orientierung an tradierten familiären Lebensformen für diese Schulabgängerinnen nicht mehr möglich war. Stattdessen nahmen sie sozialstaatliche Hilfe in Anspruch; dabei erfolgte der Einstieg in die Qualifizierungsphase später und über die Jugendberufshilfe (Schittenhelm 1998).

Insgesamt weisen diese Ergebnisse darauf hin, dass heute für junge Frauen mit ungünstigen Bildungsabschlüssen oder unter schwierigen Ausbildungsbedingungen weder der Eintritt in eine anerkannte berufliche Qualifizierung noch der Rückzug auf eine Familiengründung als gesichert gelten können.

 

2.3 Strategien junger Frauen angesichts schwieriger Erfahrungen im bisherigen Übergang Schule - Ausbildung

Die Erfahrungen früherer Etappen ihres Übergangs von Schule in Ausbildung und die Art und Weise, wie junge Frauen Schwierigkeiten verarbeiten, wirken sich gleichfalls auf weitere Strategien und Bewältigungsversuche aus.

"Handeln aus der Not" als Bewältigung von Misserfolgen: "Hauptsache eine Ausbildung"

Erleben junge Frauen bei der Realisierung der eigenen Ausbildungsziele Misserfolge, kann dies zu einer Orientierung an den verbleibenden Möglichkeiten führen, die bis hin zur Aufgabe der eigenen Wünsche und Interessen geht. In solchen Fällen lässt sich beobachten, dass junge Frauen nach dem Motto "Hauptsache eine Ausbildung" vorgehen.

Dabei zeigt sich in der vorliegenden Untersuchung folgendes Verlaufsmuster: Der Ausbildungseinstieg ist durch eine Abfolge von Misserfolgen gekennzeichnet; die jungen Frauen geben mehr und mehr eigene Wünsche und Interessen an einem Beruf auf und orientieren sich an den wenigen vorhandenen Möglichkeiten, bis hin zum kleinsten möglichen Nenner für sich selbst. Diese Orientierung, die sich unter dem Stichwort: "Hauptsache eine Ausbildung" zusammenfassen lässt, ist bereits aus früheren Untersuchungen bekannt (Heinz u. a. 1987, Seus 1993). Eine Folge hiervon ist - wie bereits in den vorigen Abschnitten dargestellt -, dass junge Frauen in Ausbildungsberufe mit geringeren Anforderungen aber auch geringeren Chancen oder in den zweiten Ausbildungsmarkt einmünden, nachdem bisherige Ausbildungsziele über Bord geworfen wurden.

Orientierungen am Umfeld und Handeln aus der Not heraus können dazu beitragen, dass junge Frauen ihre eigenen Perspektiven auf die unmittelbaren und erreichbar erscheinenden Optionen einschränken.

"Step by Step": schrittweise Realisierung eigener beruflicher Ziele und Wünsche

Als Gegenbeispiel zu einem schrittweisen Abbau von Motivation und einem Rückzug von den eigenen beruflichen Wünschen lassen sich Verlaufsmuster erkennen, die - ohne "glatte" Übergangsverläufe darzustellen - zu einem von den jungen Frauen positiv bewerteten Einstieg in eine Ausbildung führen. Auch in diesen Fällen machen junge Frauen wiederholt Versuche, ihre Ausbildungsziele zu realisieren; der Einstieg in eine Ausbildung kommt nur über Praktika und vorbereitende Lehrgänge zustande. Es handelt sich dabei um junge Frauen, denen zwar kein schneller oder direkter Einstieg gelingt, allerdings versuchen sie, schrittweise eine Ausbildung nach ihren Wünschen und Interessen zu erreichen. Ein Beispiel dafür aus der vorliegenden Untersuchung sind Auszubildende im Beruf der Krankenschwester, die zunächst eine Fülle von Absagen bekamen, daraufhin Praktika bei Ärzten und im Krankenhaus absolvierten und schließlich nach dem Besuch einer Vorschule einen Ausbildungsplatz in einer Klinik erhalten haben. Im Prozess der Einmündung in einen Beruf ist es ihnen möglich, eine berufliche Orientierung zu entwickeln, die schrittweise stabilisiert und umgesetzt werden konnte.

 

2.4 Fazit: Berufliche Orientierungen und Strategien junger Frauen an der ersten Schwelle sind auch immer ein Ergebnis des bisherigen Verlaufs am Übergang Schule - Ausbildung

Junge Frauen können also den Einstieg in eine Ausbildung je nach bisherigem Verlauf des Übergangs als Erfolg oder als eine Reihe von Misserfolgen und als Aufgabe bisheriger Wünsche erleben.

Der Ablauf der einzelnen Etappen und die Art und Weise, wie Schulabgängerinnen ihre bisherigen Erfahrungen verarbeiten ist ausschlaggebend dafür, wie sie weitere Schritte bewältigen. Entscheidend für diesen Verlauf ist daher, ob junge Frauen den Einstieg in eine Ausbildung als Erfolg erleben, der das eigene Selbstvertrauen stärkt oder als Misserfolg bewerten, der mit dem Verlust von Vertrauen in die eigenen Handlungschancen einhergeht. Je nachdem kann es zu einem Rückzug, zu Neu- und Umorientierungen oder auch zu einer Stabilisierung beruflicher Orientierungen wie des Übergangsprozesses kommen.

Berufliche Orientierungen und Strategien junger Frauen sind damit auch für die heutige Generation von Schulabgängerinnen nicht nur Voraussetzung, sondern immer auch Ergebnis bisheriger Abläufe am Übergang Schule - Ausbildung und der dabei gebotenen Chancen und Gelegenheiten. Ausschlaggebend ist die Art und Weise, wie junge Frauen diese bewältigen und daraus weitere Strategien für ihren Einstieg in eine Ausbildung entwickeln.

Bewältigungsformen, die zu einer Selbstbeschränkung bei der Entwicklung beruflicher Perspektiven führen, wirken sich ungünstig auf den weiteren Verlauf von Statusübergängen aus. Umgekehrt gibt es auch bei nicht geradlinig verlaufenden Einmündungsprozessen an der ersten Schwelle Bewältigungsformen, die zu einem Versuch führen, die eigenen Qualifizierungsziele letztendlich doch schrittweise zu realisieren.

Gerade bei nicht geradlinigen Übergängen und schwierigen Ausbildungsmarktbedingungen ist es daher von Bedeutung, ob junge Frauen die Gelegenheit haben, während der Stationen im Vorfeld einer Ausbildung und im Verlauf von Neu- und Umorientierungen schrittweise einen realistischen beruflichen Handlungsentwurf zu entwickeln und eine entsprechende Motivation aufzubauen. So stellt sich z. B. bei Orientierungen am unmittelbaren Umfeld und bei Handeln aus der Not heraus, die bei jungen Frauen zu einer Einschränkung ihrer Perspektiven auf die unmittelbar erreichbaren Optionen beitragen können, die Frage nach der Verarbeitung von Misserfolgen. Das Verständnis in diese Dynamik von Misserfolgen und daraus resultierenden weiteren Einschränkungen der ohnehin geringen Handlungschancen kann dazu beitragen, rechtzeitig Angebote bereitzustellen, die den jungen Frauen im Umgang mit problematischen Erfahrungen Unterstützung bieten.

 

3. Berufliche Orientierungen junger Frauen: die Bedeutung von berufs- und familienbezogenen Lebensplänen

Immer wieder nimmt die These, dass eine schwierige Lage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu einer Restabilisierung traditioneller Orientierungen in den Lebensentwürfen junger Frauen führt, einen breiten Raum in öffentlichen Diskussionen ein. Es stellt sich daher die Frage, welchen Stellenwert Ausbildung, Beruf und Familienplanung im Leben junger Frauen heute haben und welche Vorstellungen Schulabgängerinnen über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie entwickelt haben. Diesen Fragen geht eine bundesweite Untersuchung von Auszubildenden in den alten wie neuen Ländern nach. (3)

 

3.1 Stellenwert von Ausbildung und Beruf

Ausbildung und Beruf haben im Leben junger Frauen einen hohen Stellenwert. Das sind zentrale Ergebnisse nicht nur der vorliegenden bundesweiten Befragung von jungen Frauen in Ausbildung. (4)

Berufsarbeit steht gerade für weibliche Auszubildende in Ostdeutschland an vorderster Stelle ihrer Lebensplanung.

"Wenn ich viel Geld hätte, würde ich versuchen, damit beruflich weiterzukommen. (...) aber ohne Arbeit - nein. Ich war drei Monate arbeitslos, das hat mir gereicht" (w, Ost). (5)

Im dritten Ausbildungsjahr betonen weibliche Auszubildende in Ostdeutschland, wie wichtig es ist, durch eine Arbeit die eigene Existenz zu sichern: Für 80 % stehen "überhaupt eine Arbeit finden" und die Sicherheit des Arbeitsplatzes auf Platz eins der Erwartungen an das künftige Berufsleben. Als dritten Aspekt nennen 74 % der jungen Frauen gute Verdienstmöglichkeiten.

"Bei uns in der Firma spielen zur Zeit alle Lotto. Wenn ich im Lotto gewinnen würde, würde ich das gar nicht erzählen. Und dann wäre ich so ehrgeizig, in meinem Beruf erst einmal weiter zu kommen (...)" (w, Ost).

61 % der weiblichen Auszubildenden im Osten können sich auch bei gegebener materieller Absicherung ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen. "Spaß" aber auch "Zufriedenheit" mit der Arbeit stehen an zweiter Stelle der Kriterienliste für die Berufsarbeit. Zudem halten zwei Drittel der jungen Frauen im Osten eine "interessante Arbeit" für sehr wichtig (69 %).

Welch hohen Stellenwert Erwerbsarbeit insbesondere für junge Frauen in den neuen Ländern hat, zeigt, wie bedeutsam für sie Anerkennung und Ansehen durch bzw. im Beruf sind: Häufiger als ihre männlichen Arbeitskollegen betonen sie, wie wichtig es ist, dass ihre Arbeit anerkannt (72 %) und gerecht beurteilt (69 %) wird, aber auch, dass sie später einen angesehenen Beruf ausüben können (50 %).

In der Frage beruflicher Erwartungen rangieren bei weiblichen Auszubildenden im Westen Sicherheits-, Reproduktions- und Leistungskriterien auf Platz zwei nach persönlichen Sinnkriterien wie Spaß an der Arbeit und Zufriedenheit. Das Kriterium "Spaß an der Arbeit" ist jungen Frauen im Westen wichtiger als der männlichen Vergleichsgruppe - ähnlich zu dem Anteil der Auszubildenden im Osten.

 

Tab. 1: Wenn Sie an Ihr künftiges berufliches Lebens denken: Welche Erwartungen haben Sie da? - sehr wichtig - in %
Sehr wichtig
Alle Auszubildenden
Weibliche Auszubildende Ost
Weibliche Auszubildende West
überhaupt eine Arbeit zu bekommen.
61
77
60
dass Ihr Arbeitsplatz auf alle Fälle gesichert ist?
59
83
50
dass Ihnen Ihre Arbeit Spaß macht?
67
79
67
dass Sie später mit Ihrem Arbeitsplatz zufrieden sind?
63
75
62
dass Sie gut bezahlt werden?
56
74
46
dass Sie Ihre Arbeit gut machen?
57
71
55
dass Ihre Arbeit anerkannt wird?
44
72
40
dass Sie einen angesehenen Beruf haben?
29
50
27
dass Ihnen Ihre Arbeit möglichst viel Freizeit lässt?
26
26
31
gerechte Beurteilung
52
69
50

Quelle: BIBB Forschungsprojekt JuB (vgl. Granato 2000b).

 

Im Vergleich zu jungen Frauen in Westdeutschland räumen die Befragten in Ostdeutschland einer Vielzahl von Aspekten für die künftige Berufsarbeit eine vergleichsweise höhere Priorität ein. Dies gilt für Sicherheits-, Reproduktions- und Leistungskriterien genauso wie für Spaß an der Arbeit und Zufriedenheit. Auch ein hoher Verdienst ist jungen Frauen im Osten erheblich häufiger sehr wichtig als jungen Frauen im Westen. Im direkten Vergleich zeigt sich, dass bei weiblichen Auszubildenden in den neuen Ländern Sicherheitsaspekte an erster Stelle rangieren, dicht gefolgt von Spaß an der Arbeit, in den alten Ländern umgekehrt.

Auch für Schulabgängerinnen aus Migrantenfamilien haben berufliche Ausbildung und zukünftiger Beruf einen zentralen Stellenwert. Berufliche Qualifizierung ist für die große Mehrheit (75 %) der Schulabgängerinnen ausländischer Nationalität sehr wichtig - so die Ergebnisse einer bundesweiten Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung [2] (vgl. Granato 1999, 1999a). Ebenso halten es 84 % der Schulabgängerinnen ausländischer Herkunft für sehr wichtig, dass eine Frau einen Beruf erlernt und über ein eigenes Einkommen verfügt - ohne Unterschiede nach Nationalität. 58 % der Schulabgängerinnen wollen einen Beruf erlernen, genauso häufig wie die jungen Männer. Alternativ orientieren sie sich an einem Studium (11 %) oder am Besuch weiterführender Schulen (8 %) (Granato 1999).

An der ersten Schwelle weisen Schulabgängerinnen ausländischer Herkunft ein großes Engagement auf und unternehmen erhebliche Anstrengungen, um ihre Berufsziele auch tatsächlich zu erreichen: Sie verfolgen ihre Qualifizierungsziele konsequent und verwenden dabei unterschiedliche Strategien. Rund 90 % der Schulabgängerinnen türkischer aber auch italienischer, spanischer und portugiesischer Nationalität, die nach Abschluss der allgemein bildenden Schule eine berufliche Ausbildung aufnehmen wollten, haben sich auf eine Ausbildungsstelle beworben (Granato 1999).

Diese Ergebnisse widerlegen gängige Klischees, Mädchen ausländischer Herkunft würden sich seltener als Jungen für berufliche Qualifikation interessieren, denn Schulabgängerinnen bewerten häufiger als männliche Schulabgänger Berufsausbildung als sehr wichtig. Dieser Unterschied verstärkt sich noch mit steigendem Bildungsabschluss.

 

3.2 Vereinbarkeit beruflicher und familiärer Lebenspläne

Untersucht man den Zusammenhang zwischen beruflichen und familiären Lebensplänen, stellt sich erst die Frage, welche familiären Lebenspläne junge Frauen entwickelt haben.

Für zwei Drittel der jungen Frauen im Osten und für die Hälfte der jungen Frauen im Westen (53 %) sind Kinder fester Bestandteil ihrer Lebensplanung. Dabei möchte rund die Hälfte der weiblichen Auszubildenden später sicher heiraten - junge Frauen in den neuen Ländern häufiger als in den alten (weibliche Auszubildende Ost 55 %, West 47 %, vgl. Granato 2000b).

Allerdings zeigen empirische Untersuchungen, dass die Realisierung der Familiengründung bei jungen Frauen in Ost und West innerhalb der eigenen Biografie verschoben wird. Dies geschieht in Abhängigkeit davon, wie ihnen eine Stabilisierung im Berufsleben gelingt (Seidenspinner u. a. 1996, S. 216).

Unterschiede in den Vorstellungen und Präferenzen wie Familie und Beruf vereinbart werden können, zeigen sich zwischen weiblichen Auszubildenden in Ost und West. Diese Unterschiede sind jedoch besonders deutlich zwischen weiblichen und männlichen Auszubildenden im Westen.

Rund 80 Prozent der jungen Frauen - und Männer - in den neuen Ländern bevorzugen die ganztägige Erwerbstätigkeit beider Partner und die gleichgewichtige Aufteilung der Familien- und Hausarbeit. Andere Vereinbarkeitskonzepte finden dagegen eine sehr viel geringere Zustimmung.

Im Westen befürworten junge Frauen zwei Modelle: Die gleichgewichtige Aufteilung der häuslichen und familiären Aufgaben zwischen den Partnern wird entweder mit einer Teilzeitarbeit für beide (55 %) oder mit einer Vollzeiterwerbstätigkeit von Frau und Mann kombiniert (53 %). Jede dritte junge Frau findet hier auch an dem Modell der alleinigen Erwerbsarbeit des Partners Gefallen (36 %). Deutlich anders denken dagegen junge Männer in den westlichen Ländern, wie die folgende Tabelle darlegt (vgl. Granato 2000b).

 

Tab. 2: Wenn Sie einmal an Ihre künftige Familiensituation denken: Wie würden Sie am liebsten zwischen sich und Ihrer Partnerin/ Ihrem Partner Beruf, Hausarbeit und Kindererziehung aufteilen? - in % - Mehrfachnennungen möglich
 
männlich
weiblich
Ost
West
Ost
West
Beide arbeiten ganztags und teilen Hausarbeit und Kindererziehung.
80
41
78
53
Beide arbeiten Teilzeit und teilen Hausarbeit und Kindererziehung.
15
41
23
55
Nur Mann arbeitet, Frau macht ganz oder überwiegend Hausarbeit und Kindererziehung.
27
53
24
36
Nur Frau arbeitet, Mann macht ganz oder überwiegend Hausarbeit und Kindererziehung.
3
9
3
12
Mann soll im Beruf mehr, dafür zu Hause weniger arbeiten.
32
46
28
34
Frau soll im Beruf mehr, dafür zu Hause weniger arbeiten.
3
8
3
14

Quelle: BIBB Forschungsprojekt JuB (vgl. Granato 2000b).

 

Heirat ist für die große Mehrheit junger Frauen - für 85 % im Osten und 75 % im Westen - kein Grund, längere Zeit die Arbeit zu unterbrechen. Selbst im Falle eines Lottogewinns würde nicht einmal die Hälfte der jungen Frauen in Ausbildung längere Zeit die Erwerbstätigkeit unterbrechen, im Osten gerade jede Dritte. Nur die Geburt des ersten bzw. weiterer Kinder stellt für eine große Mehrheit junger Frauen in Ausbildung einen Grund für eine längere Unterbrechung dar (weibliche Auszubildende Ost 77 %, West 85 %). Dass dies gerade jungen Frauen im Osten nicht leicht fällt, zeigt ihre zurückhaltende Zustimmung, wenn es darum geht, "sich vorübergehend ganz dem Privatleben/ der Familie zu widmen". Dem stimmen nur 38 % der weiblichen Auszubildenden im Osten, jedoch 56 % der jungen Frauen im Westen zu.

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Frauen und Männer richten sich - gerade im Osten - auf lebenslange Erwerbsarbeit ein. Das bei weitem bevorzugte Modell bleibt in den neuen Bundesländern die ganztägige Berufsarbeit beider Partner und die Aufteilung von Hausarbeit und Kindererziehung. Während sich im Osten die Präferenzen junger Frauen und Männer am Ende der Ausbildung im Wesentlichen auf ein Vereinbarkeitskonzept konzentrieren, orientieren sich angehende Fachkräfte im Westen weniger an einem Modell als an einer Reihe unterschiedlicher Vorstellungen. Dabei zeigt es sich, dass die Auffassungen junger Frauen und Männer im Westen über die Vereinbarkeitsfrage zum Teil stark divergieren.

Die Mehrheit junger Frauen aus Migrantenfamilien wünscht Beruf und Familie realisieren zu können. Hierbei sind verschiedene lebenszeitliche Arrangements vorstellbar. Eine Orientierung, die sich ausschließlich an familiären Lebensplänen ausrichtet, ist bei Schulabgängerinnen ausländischer Herkunft kaum vorhanden. Lediglich wenn der Prozess des Übergangs von Schule in Ausbildung bzw. Beruf von ständigen Misserfolgen begleitet ist, kann sich bei Schulabgängerinnen mit Migrationshintergrund eine familiäre Orientierung herausbilden und durchsetzen: Familiengründung ist in diesem Falle eine "second best"-Strategie, um in der Umgebung doch noch als erfolgreich gelten zu können (Stanger 1994). Berufliche Pläne werden dabei meist nicht endgültig aufgegeben, sondern zeitlich verschoben.

Die Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede in den aktuellen Orientierungen junger Frauen dürfen über eines nicht hinwegtäuschen: Die biografischen Vergleichshorizonte, die jungen Frauen für ihre eigene Lebensplanung zur Verfügung stehen, unterscheiden sich bei den verschiedenen Zielgruppen z. T. erheblich. Während bei jungen Frauen ostdeutscher Herkunft die Lebensplanung der Müttergeneration mit stabilen Beschäftigungen und einer ausgebauten öffentlichen Betreuung für Kinder unter drei Jahren verbunden war, sind sie selbst vor völlig andere Bedingungen gestellt. Junge Frauen aus Migrantenfamilien, die mit einem Schulabschluss eine berufliche Ausbildung anstreben, finden ebenfalls ungesichertere Bedingungen vor als die erste Generation der Migranten. Im Verhältnis zu ihren Müttern, die in der Regel ungelernten Berufstätigkeiten nachgingen, sind sie zwar im Begriff einen Bildungsaufstieg zu vollziehen - allerdings ohne günstige Bedingungen auf dem Ausbildungsmarkt vorzufinden, trotz ihrer Schulabschlüsse.

 

3.3 Familiäre versus berufliche Lebensplanung?

Eine alleinige Orientierung an familiären Lebensplänen stellt, wie die vorliegenden Untersuchungsergebnisse belegen, für die große Mehrheit der heutigen Generation von Schulabgängerinnen keine Alternative dar. Sie kann sich für einen Teil derjenigen, die sich großen Schwierigkeiten beim Übergang in eine Ausbildung gegenübersehen, als eine "second best" Strategie darstellen, beinhaltet jedoch meistens lediglich eine zeitliche Verschiebung der eigenen Qualifizierungspläne. Junge Frauen aller Zielgruppen möchten in je unterschiedlichen zeitlichen und innerfamiliären Konstellationen Beruf und Familie miteinander in Einklang bringen.

Die These, dass eine schwierige Lage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu einer Restabilisierung traditioneller Muster in den Lebensentwürfen junger Frauen führt (vgl. Diezinger 1991), lässt sich für die hier betrachteten Zielgruppen von Schulabgängerinnen nicht empirisch belegen: Weder junge Frauen aus ost- bzw. westdeutschen Familien noch junge Frauen aus eingewanderten Herkunftsfamilien neigen dazu, ihre Ausbildungs- und Berufsziele aufzugeben und stattdessen ausschließlich familienbezogene Lebenspläne zu verfolgen. Auch am Beispiel von Teilnehmerinnen in Förderlehrgängen der Jugendberufshilfe wird deutlich, dass eine schwierige Lage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt die betreffenden jungen Frauen nicht notwendigerweise davon abhält, ihre an Ausbildung und Beruf orientierten Pläne zu verfolgen (Schittenhelm 1998). Die Ergebnisse der Fallstudien (vgl. Abschnitt 2) weisen gleichfalls darauf hin, mit welchem Engagement, Durchhaltevermögen und unterschiedlichen Strategien sich Schulabgängerinnen für den Zugang zu einer qualifizierten Berufsausbildung einsetzen, auch unter schwierigen Ausbildungsmarktbedingungen.

Mangelndes Interesse junger Frauen an einer beruflichen Ausbildung ist daher bei allen betrachteten Zielgruppen als eine Ursache für die (schwierige) Umsetzung ihrer beruflichen Ziele auszuschließen. Im Gegenteil haben Ausbildung und Beruf im Leben junger Frauen einen zentralen Stellenwert - auch unter schwierigen Ausbildungs- und Arbeitsmarktbedingungen.

Die Erkenntnisse von Berufs- und Frauenforschung an diesem Punkt weisen deutlich in eine Richtung: Während Männer eher vom Zusammenwirken von Beruf und Familie profitieren, ist für die Lebensentwürfe und Chancen von Frauen die Kombination selten unterstützend, häufig aber erschwerend (Krüger 1995). Insbesondere in der Phase des Übergangs von der Ausbildung in den Beruf prallen für Frauen die gegensteuernden Wirkungen aufeinander.

 

4. Chancen junger Frauen beim Übergang von der Schule in eine duale Ausbildung

Die Ergebnisse im folgenden Abschnitt stützen sich einerseits auf Auswertungen bundesweiter Statistiken und sind andererseits Resultat überregionaler Untersuchungen und Studien. Die Ergebnisse werden thesenartig zusammengefasst

 

4.1 Neun von zehn jungen Frauen im Alter von 25-30 Jahren haben eine abgeschlossene berufliche Ausbildung. Das zeigt, dass es für junge Frauen heute selbstverständlich ist, einen Beruf zu erlernen.

Eine abgeschlossene berufliche Erstausbildung ist für die meisten jungen Frauen in Deutschland Teil ihrer Bildungs- und Berufsbiografie. Jedoch bleibt 2000 - nach Auswertungen des Mikrozensus - rund jede zehnte junge Frau deutscher Nationalität im Alter zwischen 20-30 Jahren ohne einen anerkannten Berufsabschluss (w: 12 %; m: 10 %). Bei jungen Frauen aus Migrantenfamilien ist dieser Anteil mit 43 % erheblich höher (m: 34 %). (6)

Die Gründe für die geringen Ausbildungschancen junger Frauen ausländischer Herkunft sind jedoch kaum - wie eine Reihe von Forschungsergebnissen und der vorige Abschnitt zeigen - in restriktiven persönlichen oder familiären Einstellungen gegenüber einer beruflichen Zukunftsplanung zu finden. Im Vergleich zu ihrer hohen Motivation, an einer beruflichen Ausbildung zu partizipieren, sind jedoch ihre Chancen auf eine duale Ausbildung und damit auf eine tragfähige Integration auf dem Arbeitsmarkt eingeschränkt (s. u.).

 

4.2 Nach wie vor besteht ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Interessen junger Frauen und ihren Chancen im dualen System. Mädchen sind weiterhin unterrepräsentiert.

Ausbildung und Beruf sind im Leben junger Frauen zentral. Die Mehrheit wünscht Ausbildung, Beruf und Familie realisieren zu können. So beabsichtigen rund zwei von drei jungen Frauen unmittelbar oder mittelbar nach dem Schulabschluss eine duale Ausbildung aufzunehmen (Fischer/ Schulte 2001). Ähnlich hoch liegt der Anteil von Schulabgängerinnen ausländischer Herkunft mit dieser beruflichen Planung (vgl. 3.1).

Doch nur rund 40 % der Auszubildenden im dualen System sind weiblichen Geschlechts.

Junge Frauen nutzen zwar auch häufiger als junge Männer Bildungsangebote von Vollzeitberufsschulen, die einen anerkannten Berufsabschluss ermöglichen, sie münden aber zum Teil auch in Bildungsgänge der Berufsschulen, die nicht zu einem anerkannten Berufsabschluss führen, sondern "Warteschleifen" bedeuten.

  • 48 % der Bewerber um eine Ausbildungsstelle bei der Bundesanstalt für Arbeit [1]in 2001/ 2002 sind junge Frauen. Genauso hoch ist ihr Anteil bei den unversorgten Lehrstellenbewerbern. Das heißt trotz besserer Schulabschlüsse als die männliche Vergleichsgruppe bleiben Schulabgängerinnen gleich häufig wie männliche Schulabgänger ohne eine Lehrstelle. (7)
  • Rund 55 % der jungen Frauen eines Altersjahrgangs durchlaufen 2000 eine Ausbildung im dualen System - rund 75 % ist der Anteil bei den jungen Männern. Deutlich darunter mit 33 % liegt der Anteil junger Frauen mit ausländischem Pass, denen es gelingt in eine duale Ausbildung einzumünden und damit seltener als männliche Jugendliche ausländischer Herkunft (44 %), aber auch wesentlich seltener als junge deutsche Frauen.

Das duale System bietet männlichen Schulabgängern auch weiterhin deutlich bessere Chancen einer qualifizierten Berufsausbildung als jungen Frauen, obgleich Schulabgängerinnen - deutscher wie ausländischer Nationalität - häufiger weiterführende Schulabschlüsse erreichen als die jeweilige männliche Vergleichsgruppe (Berufsbildungsbericht 2000).

 

4.3 Die ungünstige Entwicklung am betrieblichen Ausbildungsmarkt in Ostdeutschland bedeutet für hier ansässige junge Frauen, dass sie zu größeren Teilen auf eine nichtbetriebliche Ausbildung und damit oft auf den zweiten Ausbildungsmarkt an

Schulabgängerinnen in den neuen Bundesländern haben ein starkes Interesse unmittelbar nach der Schule eine duale Ausbildung zu beginnen (49 %) - häufiger als Schulabgängerinnen in den alten Ländern (34 %; Fischer/ Schulte 2001). Sie stehen mit guten bis zum Teil sehr guten schulischen Bildungsabschlüssen dennoch recht häufig vor der Wahl, eine Berufsausbildung in einer außerbetrieblichen Lernstätte zu beginnen (Ulrich 2001) oder mangels anderer Alternativen weiterführende schulische Bildungsgänge zu besuchen. Die vorliegenden Strukturdaten zur Berufsausbildung nach dem Arbeitsfördergesetz zeigen zudem, dass bei jungen Frauen in außerbetrieblichen Einrichtungen diejenigen mit Schulabschuss (Hauptschule und höher) überwiegen, während im Vergleich dazu bei den jungen Männern die Teilnehmer ohne Schulabschuss in der Mehrzahl sind (Schittenhelm 1998, S. 297).

 

4.4 Die geschlechtsspezifische Segmentierung des Ausbildungsmarktes trifft junge Frauen stärker als junge Männer, denn 60 % der Berufe sind bis heute männlich dominiert.

In den letzten Jahren ist es nicht gelungen, die Teilhabe von Mädchen in gewerblich-technischen Berufen zu steigern.

Über 60 % der Berufe sind männlich dominiert bzw. überwiegend männlich besetzt, rund 20 % der Ausbildungsberufe sind von Frauen dominiert bzw. überwiegend von ihnen besetzt. Gemischt besetzte Berufe, in denen junge Frauen und Männer in ungefähr gleichen Anteilen ausgebildet werden, sind mit rund 10 % eindeutig in der Minderheit (Berufsbildungsbericht 2000).

Erwartungen, man könne die Teilhabe junger Frauen in gewerblich-technischen Berufen steigern, diese Berufe für Frauen öffnen und den Anteil weiblicher Auszubildenden erhöhen, haben sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: Im Westen geht der Anteil junger Frauen in männlich dominierten Berufen seit einigen Jahren zurück und beträgt 9 % (2000). Gerade in den Handwerksberufen wie Kraftfahrzeugmechaniker/ -in, Tischler/ -in, Maler/ -in und Lackierer/ -in ist die Quote weiblicher Auszubildender rückgängig. (8) Dies gilt auch für eine Reihe industrieller Fertigungsberufe: So ist z. B. der Anteil junger Frauen im Ausbildungsberuf Geräte- und Feinwerktechnik von 9,0 % (1990) auf 5,7 % (2000) gesunken.

Die Segmentierung des Ausbildungsmarktes zeigt sich in den einzelnen Ausbildungsbereichen erneut. Im Vergleich zu ihrem bereits verhältnismäßig niedrigen Anteil von knapp 40 % im dualen System ist der Anteil junger Frauen an allen Auszubildenden des Handwerks mit 22 % besonders gering.

Im vergleichsweise kleinen Segment der freien Berufe sind junge Frauen in Ost und West dagegen fast unter sich. Auch im öffentlichen Dienst, der insgesamt nur knapp 3 % aller Ausbildungsplätze bietet, sind sie mit einer knappen Zweidrittelmehrheit stark vertreten.

Die wenigen jungen Frauen ausländischer Nationalität, denen ein Einstieg in das duale System gelingt, werden im Vergleich zu jungen Frauen in Westdeutschland seltener im Bereich von Industrie und Handel ausgebildet. Stärker vertreten sind sie dagegen bei den freien Berufen.

 

Tab. 3: Anteil weiblicher Auszubildender an allen Auszubildenden nach Ausbildungsbereichen 2000 in %
Anteil weiblicher Auszubildender an den Wirtschaftsbereichen
Weibliche Auszubildende West
Weibliche Auszubildende Ost
Ausländische weibliche Auszubildende
Industrie und Handel
42,6
45,3
38,8
Handwerk
22,8
18,7
24,0
Freie Berufe
95,7
94,7
98,0
Öffentlicher Dienst
63,6
67,2
73,6
Landwirtschaft
26,9
32,3
20,0
Insgesamt
41,5
38,3
41,0

Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 3; Berechnungen des BIBB.

 

4.5 Junge Männer konzentrieren sich stärker in männlich dominierten Berufen als junge Frauen in weiblich dominierten Berufen.

Die geschlechtsspezifische Einmündung in Ausbildungsberufe betrifft demnach junge Männer wie Frauen. Nur gibt es mehr männlich als weiblich dominierte Berufe und somit mehr Ausbildungsmöglichkeiten für junge Männer.

75 % der jungen Männer erhalten eine berufliche Qualifizierung in einem männlich dominierten Ausbildungsberuf, 42 % der jungen Frauen in einem weiblich dominierten Beruf (vgl. Freistaat Thüringen (Hrsg.) (2001), Kap. 1.6). Der Anteil junger Männer, der in gemischt besetzten Berufen eine Ausbildung durchläuft, ist kleiner als bei jungen Frauen. Auch dringen Männer mit rund 6 % seltener in überwiegend weiblich besetzte bzw. dominierte Ausbildungsbereiche ein als umgekehrt Frauen mit 19 % in überwiegend männlich besetzte bzw. dominierte Ausbildungsdomänen. Die These einer geschlechtsspezifischen Einmündung in Ausbildungsberufe trifft damit auf junge Männer deutlich stärker zu als auf junge Frauen.

 

Tab. 4: Verteilung weiblicher und männlicher Auszubildender 2000 auf weiblich- bzw. männlich dominierte Ausbildungsberufe in %
 

Weibliche Auszubil-
dende West

Männliche Auszubil- dende West

Weibliche Auszubil-
dende Ost

Männliche Auszubil-
dende Ost

Alle weiblichen Auszubil-
denden

Alle männlichen Auszubil-
denden

Männlich dominierte Berufe

0 - 20 % weibliche Azubis

9
73
19
84
11
74

Überwiegend männlich besetzte Berufe

20 % - 40 % weibliche Azubis

8
9
6
5
8
8

Gemischt besetzte Berufe

40 % - 60 % weibliche Azubis

25
12
21
6
24
11

Überwiegend weiblich besetzte Berufe

60 % - 80 % weibliche Azubis

15
4
19
3
16
4

Weiblich dominierte Berufe

80 % - 100 % weibliche Azubis

44
2
36
2
42
2
Insgesamt
100
100
100
100
100
100

Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 3; Berechnungen des BIBB.

 

Im Osten liegt der Frauenanteil in männlich dominierten Berufen mit 19 % doppelt so hoch wie im Westen. Schulabgängerinnen in den neuen Ländern erhalten häufiger als in den alten Ländern eine Ausbildung in landwirtschaftlichen Berufen oder Gastronomieberufen, die zu den männlich dominierten Berufen gehören. In den gewerblich-technischen Berufen ist der Frauenanteil im Osten jedoch etwa so niedrig wie im Westen (Berufsbildungsbericht 2001). (9)

Unterschiede bestehen nach Ost und West bei den weiblich dominierten Berufen: Der Anteil junger Frauen in frauentypischen Ausbildungsberufen liegt im Osten mit 36 % unter dem junger Frauen im Westen mit 44 %, da der Dienstleistungs- und Bürobereich in den neuen Ländern noch nicht den Umfang wie in den alten Bundesländern erreicht hat. Dies spiegelt sich auch darin, dass im Osten nur rund jeder zwanzigste (weibliche bzw. männliche) Auszubildende im Bereich der freien Berufe ausgebildet wird, im Westen aber jede(r) Zehnte.

 

4.6 Eine Frauen benachteiligende Konzentration auf dem Ausbildungsstellenmarkt zeigt sich auch darin, dass über die Hälfte der weiblichen Auszubildenden in nur 10 Berufen ausgebildet wird.

Die geschlechtsspezifische Segmentierung des Ausbildungsmarktes wird auch in der hohen Konzentration auf wenige Ausbildungsberufe deutlich: 54 % der jungen Frauen werden in nur 10 Berufen ausgebildet, bei den jungen Männern sind es nur 36 %, die sich auf 10 Berufe konzentrieren.

Junge Frauen werden am häufigsten zur Bürokauffrau ausgebildet, gefolgt von den Ausbildungsberufen Kauffrau im Einzelhandel und Arzthelferin. Im Vergleich zum Westen hat im Osten die Ausbildung als Arzt- oder Zahnarzthelferin eine untergeordnete Bedeutung. Stärker vertreten als in den alten Bundesländern sind hier hingegen weibliche Auszubildende in den Berufen Einzelhandelskauffrau und Verkäuferin, aber auch als Restaurant- oder Hotelfachfrau.

 

Tab. 5: Anteil weiblicher Auszubildender in den 10 am stärksten besetzten Berufen 2000 in %
 
Weibliche Auszubildende West
Weibliche Auszubildende Ost
Ausländ. Auszubildende *)
Weibliche Auszubildende alle
Bürokauffrau
7,6
9,7
-
8,0
Arzthelferin
7,7
/
12,1
6,7
Zahnarzthelferin
5,9
/
8,3
5,3
Kauffrau im Einzelhandel
6,5
8,7
15,5
6,9
Friseurin
6,2
5,7
14,9
6,1
Industriekauffrau
5,6
/
-
5,0
Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk
4,6
4,1
-
4,5
Bankkauffrau
4,2
/
-
3,8
Kauffrau Bürokommunikation
3,7
4,3
-
3,8
Rechtsanwalts- (Notar-)fachangestellte
4,1
2,9
 
3,9
Verkäuferin
/
5,3
 
/
Restaurantfachfrau
/
4,2
 
/
Hotelfachfrau  
3,5
   
Köchin
/
3,9
-
/
Die 4 am stärksten besetzten Berufe zusammen
27,7
28,2
50,8
26,9
Die 10 am stärksten besetzten Berufe zusammen
56,1
52,3
-
54,0

Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11 Reihe 3 2000; Berechnungen des BIBB.

*) Da bei ausländischen Jugendlichen keine Differenzierung nach Geschlecht möglich ist, sind die 4 am stärksten besetzten Berufe, bei denen von einer starken weiblichen Dominanz ausgegangen wird, ausgewiesen.

 
 

4.7 Die hohe Konzentration junger Frauen ausländischer Herkunft in wenigen Berufen ist Kennzeichen einer doppelten Ausbildungsmarktsegmentierung.

Das weibliche Ausbildungsmarktsegment erfährt bei Frauen ausländischer Herkunft eine weitere, zusätzliche Segmentierung und Verengung auf noch weniger Berufe

Die Berufe, in die junge Frauen ausländischer Herkunft überproportional einmünden, sind in der Regel gekennzeichnet durch vergleichsweise ungünstige Arbeitszeiten bzw. Arbeitsbedingungen, geringere Verdienstmöglichkeiten, geringere Aufstiegschancen und oftmals geringere Übernahmechancen und damit ein höheres Arbeitsplatzrisiko.

Betriebe rekrutieren junge Frauen aus Migrantenfamilien verstärkt bei einem Mangel an anderen Bewerberinnen oder bei einem betrieblichen Eigeninteresse an der Ausbildung einer Fachkraft mit bilingualer bzw. interkultureller Kompetenz.

Die Konzentration auf wenige Ausbildungsberufe ist bei jungen Frauen ausländischer Herkunft erheblich höher als bei der inländischen Vergleichsgruppe: 51 % der jungen Frauen ausländischer Herkunft münden in nur vier Ausbildungsberufe. Dagegen sind es nur 28 % bei jungen westdeutschen Frauen.

Bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz konkurrieren junge Frauen ausländischer Herkunft auf einem engen Ausbildungsmarktsegment mit deutschen Schulabgängerinnen, die häufiger über weiterführende Schulabschlüsse verfügen. Mädchen ausländischer Herkunft erhalten deshalb eher eine berufliche Qualifizierung in Berufen und Wirtschaftsbereichen, an denen Schulabgängerinnen deutscher Nationalität weniger interessiert sind. So münden im Jahr 2000 15 % der ausländischen weiblichen Auszubildenden in eine Ausbildung als Friseurin, 12 % in eine als Arzthelferin und weitere 8 % in eine als Zahnarzthelferin. Daneben hat die Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau zunehmend Bedeutung. Auch 2000 hat jede siebte junge Frau, die eine Ausbildung als Friseurin erhält, einen ausländischen Pass (15 %).

 

4.8 Junge deutsche Frauen konnten sich bislang in "klassischen" Dienstleistungsberufen stärker etablieren als in gewerblich-technischen Berufen.

Auch in den neuen Medien- und Serviceberufen haben sie einen bedeutenden Anteil. Ihre Teilhabe in den neuen IT-Berufen hingegen liegt weit darunter.

Während sich junge deutsche Frauen in einer Ausbildung im Bereich der neuen Medien- und Serviceberufe mit 53 % bzw. 51 % vergleichsweise gut behaupten können, ist der Anteil derjenigen, die in den IT-Berufen ausgebildet werden mit 14 % vergleichsweise gering. Dabei bilden gerade die vier IT-Berufe mit rund 40.000 Ausbildungsplätzen die größte Gruppe (vgl. auch Werner 2000). Etwas höher liegt ihr Anteil im Osten mit 18 % aller Auszubildenden (West 14 %). Verschwindend gering ist demgegenüber der Anteil Jugendlicher ausländischer Herkunft: Mit 3 % sind sie in den neuen Berufen kaum vertreten, der Anteil junger Frauen ausländischer Herkunft dürfte hier erwartungsgemäß noch niedriger liegen. (10)

 

Tab. 6: Anteil weiblicher Auszubildende in den neu entwickelten Berufen 2000 in %
Anteil weiblicher Auszubildende
Weibliche Auszubildende West
Weibliche Auszubildende Ost
Weibliche Auszubildende alle
4 Neue IT-Berufe
13,7
17,5
14,2
- Informations- u. Telekommunikationssystem- Elektroniker/ -in
3,7
5,6
4,0
- Fachinformatiker/ -in
11,2
13,1
11,4
- Informatikkaufleute
20,7
29,8
21,9
- Informations- und Telekommunikationssystemkaufleute
28,7
35,4
29,6
Neue Medienberufe
51,4
59,9
52,6
Neue Service-Berufe
48,5
59,8
50,9
Neue Bauberufe
/
0,5
0,3
Sonstige neue Berufe
4,1
5,2
4,4
Neue Berufe alle
24,7
29,4
25,5

Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11 Reihe 3; Berechnungen des BIBB.

 

4.9 Jungen Frauen aus Migrantenfamilien erhalten am ehesten in denjenigen Berufen im Dienstleistungsbereich eine Ausbildung, für die sich junge Deutsche weniger interessieren.

Ihnen ist es bislang nicht gelungen, eine ihrem Bevölkerungsanteil entsprechende Teilhabe an den "klassischen" Berufen des Dienstleistungssektors wie beispielsweise in den kaufmännischen Berufen zu erhalten. Noch viel geringer sind ihre Chancen bei den neuen Informations- und Kommunikationsberufen.

Besonders klein sind die Ausbildungschancen junger Frauen ausländischer Herkunft in bestimmten kaufmännischen Berufen, wie z. B. der Bank- oder Versicherungskauffrau. Gleichfalls unzureichend ist ihr Zugang zum öffentlichen Dienst: Von allen Auszubildenden im öffentlichen Dienst hat nur jede bzw. jeder 30. Auszubildende einen ausländischen Pass.

Jugendliche ausländischer Herkunft haben mit 6 % in den neuen Serviceberufen und mit je 3 % in den Medien- und IT-Berufen kaum Chancen. Noch niedriger dürfte der Anteil junger Frauen ausländischer Herkunft in diesen Berufen sein (vgl. Fußnote 11).

 

5. Fördermöglichkeiten für junge Frauen an der ersten Schwelle

Aus allen vorliegenden Untersuchungen wird deutlich: Berufswahl ist eine komplexe und lang andauernde Entwicklung. Berufsorientierung beginnt bereits in der Kindheit, erstreckt sich über die Schulzeit hinweg und umfasst die Phasen des Übergangs an der ersten und zweiten Schwelle. Die Notwendigkeit richtungsweisender Bildungsentscheidungen ist mit der Berufswahl an der ersten Schwelle jedoch bei weitem nicht abgeschlossen.

Angesichts der wachsenden Wichtigkeit lebenslangen Lernens für die eigene berufliche Entwicklung, gewinnt berufliche Weiterbildung immens an Bedeutung und damit auch die Notwendigkeit von Berufswege- und Bildungsentscheidungen nach Beendigung der beruflichen Erstausbildung. Somit werden "Berufswahlkompetenzen", die die Entscheidungsfindung vorbereiten, zunehmend zu Fähigkeiten, die den Berufsweg wie das lebenslange Lernen des Einzelnen dauerhaft begleiten.

Dies gilt insbesondere für junge Frauen, da sie zum einen teilweise nicht in Ausbildungsberufe ihrer ersten Wahl einmünden, zum anderen häufig in Berufen ausgebildet werden, die als "Zuverdienerberufe" gelten. Für die Zeit nach Abschluss der beruflichen Erstausbildung sind sie daher in besonderer Weise von Prozessen der beruflichen Weiterentwicklung und Umorientierung betroffen. Dies macht die Betrachtung von Berufswahl als langfristigen Prozess, der mehrere Lebensphasen umspannt, gerade bei (jungen) Frauen besonders notwendig.

Das Potenzial junger Frauen nutzen

Aufgrund der demografischen Entwicklung ist schon heute absehbar, dass Auszubildende und junge Fachkräfte in wenigen Jahren in Ostdeutschland und spätestens in zehn Jahren auch in Westdeutschland Mangelware sein werden (Brosi u. a. 2001). Angesichts dieser demografischen Veränderungen gilt es bereits heute, das vorhandene Qualifizierungs- und Arbeitskräftepotenzial auszuschöpfen: (Junge) Frauen bilden eine erhebliche, schulisch gut vorgebildete Ressource, deren Kompetenzen und Profile es auch für gewerblich-technische Berufe bzw. für Berufe der Informationstechnologie auszuschöpfen gilt.

Für Betriebe, die bereits jetzt in manchen Regionen - wie Bayern und Baden-Württemberg - einen Facharbeitermangel beklagen, sind junge Frauen ein Nachwuchspotenzial, das es zu fördern gilt. Die attraktive Gestaltung von Ausbildungsplätzen und die stärkere Gewinnung von Schulabgängerinnen auch in technikorientierten Berufen stellen hier eine bildungspolitische Herausforderung aller beteiligten Akteure dar.

Hindernisse beim Zugang zu technischen Berufen beseitigen: Einstellungstests und Auswahlverfahren der Betriebe geschlechtssensibel gestalten

Einstellungstests und Auswahlverfahren von Betrieben in gewerblich-technischen wie bei IT-Berufen sind vielfach noch von geschlechtsspezifischen Mustern geprägt (Dietzen/ Westhoff 2001). Demnach werden Bewerberinnen eher in kaufmännisch orientierten Berufen bevorzugt, männliche Bewerber in technisch orientierten Berufen. Darauf weisen beispielsweise auch die Ausbildungsquoten junger Frauen in den vier IT-Berufen hin (vgl. Punkt 4.8).

Wollen Betriebe das Potenzial und die Kompetenzen junger Frauen stärker in technisch orientierten Berufen nutzen, so sind Einstellungstests wie betriebliche Auswahlverfahren darauf hin zu überprüfen, inwieweit sie noch implizit oder explizit Elemente enthalten, die eine geschlechtsspezifische Auswahl bedingen. Eine geschlechtssensible Überarbeitung von Einstellungstests und betrieblichen Auswahlverfahren kann einen Beitrag dazu leisten, den Anteil junger Frauen in technischen Berufen zu erhöhen (Puhlmann 2001).

Die Stärkung von (jungen) Frauen in technisch orientierten Berufen sollte in Betrieben nicht als einzelne Fördermaßnahme dastehen, sondern in eine allgemeine Unternehmensstrategie der Personalförderung eingebunden sein (vgl. Westhoff/ Dietzen 2001).

Am Potenzial junger Frauen ansetzen

Schulische und außerschulische Berufsorientierung können in stärkerem Maße als bisher junge Frauen und ihre individuellen Vorstellungen von Lebens- und Berufsplanung unterstützen, d. h. sie dabei unterstützen eine Gesamtbiografie zu entwerfen, eigene Lebensentwürfe zu entwickeln, und sie konsequent zu verfolgen. Vorrangig ist es, die Stärken junger Frauen herauszuarbeiten und bewusst zu machen, um ihr Selbstbewusstsein zu fördern. Dieses gilt es unter Einbeziehung ihrer individuellen sowie - bei jungen Frauen mit Migrationshintergrund - ihrer migrationsspezifischen biografischen Erfahrungen zu erreichen. Anders ausgedrückt: Es geht um die Förderung ihrer Wahrnehmung und die Verarbeitung ihrer biografischen Erfahrungen im Prozess von Berufswahl und Lebensplanung (vgl. auch Lemmermöhle u. a. 1997).

Am Potenzial junger Frauen ansetzen bedeutet für die Ausbildung selbst, dass sich Lernprozesse in der Ausbildung stärker an den Herangehensweisen junger Frauen orientieren. Gerade in technisch orientierten Berufen sollten Ausbildungskonzepte stärker an den (Lern-) Voraussetzungen und dem individuellen Umgang junger Frauen mit Technik ansetzen. Hierfür ist auch das Ausbildungspersonal entsprechend zu schulen und einzusetzen (s. u.).

Eine frühzeitige Förderung von Berufswahlkompetenzen

Um das Potenzial junger Frauen in einer langfristig angelegten Bildungslaufbahnberatung (s. u.) nutzen zu können und ihre Kompetenzen für weitere Berufsentscheidungen im Sinne eines lebenslangen Lernens zu fördern, ist es wichtig, frühzeitig in der Schule bei Schülerinnen (und Schülern) im Rahmen des Fachs Arbeitslehre "Berufswahlkompetenzen" zu fördern, d. h. die Fähigkeiten zur Selbsteinschätzung, zur Entscheidungsfindung und zur Berufsplanung zu entwickeln (vgl. OECD 2002). (11)

Innovative Ansätze, die eine solche vorberufliche Handlungskompetenz fördern, werden zur Zeit z. B. im Rahmen des Programms "Schule - Wirtschaft/ Arbeitsleben" [7] erprobt (vgl. BA/ BMBF 2002). Eine breitere Umsetzung innovativer Konzepte und Ansätze, die frühzeitig die Berufswahlkompetenzen von Schülerinnen (und Schülern) aber auch von Schulabgängerinnen (und Schulabgängern) stärken, ist wünschenswert im Anschluss an ihre Erprobung und Evaluierung.

Eine langfristig angelegte Bildungslaufbahnberatung

Notwendig ist eine langfristig angelegte Bildungslaufbahnberatung ergänzend zur bisherigen Berufsberatung, die sich an schulischer und beruflicher Bildung orientiert und eine Beratung von Mädchen ausgehend von ihren individuellen Bildungsvoraussetzungen und den von ihnen gewünschten Bildungszielen ermöglicht.

Es hat sich z. B. bei Mädchen türkischer Nationalität gezeigt, dass sie insbesondere dann erfolgreich bei der Realisierung ihrer Berufspläne waren, wenn im angestrebten Beruf ihre schulischen Voraussetzungen und die Eingangsvoraussetzungen der Betriebe für den Ausbildungsberuf übereinstimmten. Lag eine (zu) große Diskrepanz zwischen den individuellen Voraussetzungen und den Leistungsanforderungen bzw. den (formalen) Einstellungskriterien der Betriebe vor, führte dies eher zu Misserfolg (Stanger 1994).

Nur eine langfristig angelegte Bildungslaufbahnberatung kann Möglichkeiten aufzeigen, um weiterführende Schul- und Bildungsabschlüsse zu erwerben, um doch den angestrebten "Traumberuf" zu erreichen oder die hinter dem "Traumberuf" stehenden Ansprüche reflektieren zu helfen. Erst in dieser Auseinandersetzung und Reflexion erhalten Mädchen die Chance, ihre mit dem Zielberuf verbundenen Vorstellungen sowie die Realisierbarkeit ihres Wunsches zu überprüfen. Dies aber ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine (mögliche) tragfähige berufliche Umorientierung.

Neue Perspektiven eröffnen

Angesichts bestehender geschlechtsspezifischer Barrieren ist es im Rahmen einer Bildungslaufbahnberatung auch notwendig, Schülerinnen und Schulabgängerinnen Informationen und Gelegenheiten zu bieten, die ein breiteres Berufswahlspektrum fördern.

Das kann auch bedeuten, "Gegenangebote" zu vorherrschenden Orientierungen zu vermitteln: die Möglichkeit von Berufen im technischen Bereich und damit verknüpft anderer Berufswege, muss für junge Frauen stärker erfahrbar werden, etwa durch Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern dieser Branchen, durch Workshops oder durch Praktika.

So meinen beispielsweise zwei von drei Betrieben in der IT-Branche, dass ein Mehr an technikorientierten Betriebspraktika eine Möglichkeit darstellt, um junge Frauen für eine Ausbildung in einem IT-Beruf zu gewinnen (Dietzen/ Westhoff 2001; s. u.). Im Rahmen des Programms "Schule - Wirtschaft/ Arbeitsleben" [7] sind solche betreuten Betriebspraktika für Schülerinnen - und Schüler - vorgesehen, insbesondere im Bereich naturwissenschaftlich-technischer Berufe (BA/ BMBF 2002).

Orientierungsprojekte als Unterstützung

Orientierungsprojekte bieten im Rahmen einer langfristig angelegten Bildungslaufbahnberatung die Möglichkeit einer zeitlich kompakten und komprimierten Berufsinformation und Berufsorientierung und können junge Frauen bei ihrer Berufswahl unterstützen.

Im Rahmen eines solchen kompakten Seminars können junge Frauen die eigenen Interessen, Fähigkeiten und Potenziale ausloten. Dabei besteht die Chance, sich über Fragen der Berufswahl mit anderen Jugendlichen auf Lehrstellensuche bzw. mit Auszubildenden auszutauschen. Zudem kann im Rahmen von Orientierungsprojekten das Potenzial junger Frauen herausgearbeitet und ihre Berufswahlkompetenzen gestärkt werden.

Sicherheit im Umgang mit dem Computer ist bei der Berufsorientierung unterstützend

Eine aktuelle OECD-Studie zur Bildungssituation in Deutschland stellt eine unterdurchschnittliche Ausstattung mit Computern an deutschen Schulen (12) und eine (große) Unsicherheit von Schülern in Deutschland im Umgang mit PCs fest. (13) Dabei tun sich Schülerinnen im Umgang mit dem PC besonders schwer. (14)

Auch wenn zu berücksichtigen ist, dass Mädchen bzw. junge Frauen in der Einschätzung ihrer naturwissenschaftlichen bzw. technischen Fähigkeiten und Kompetenzen vorsichtiger bzw. ehrlicher sind als Jungen, bleibt die Tatsache bestehen, dass neben dem sehr deutlichen Unterschied zwischen Schülerinnen und Schülern in der Einschätzung der Sicherheit im Umgang mit dem PC auch erhebliche Unterschiede zwischen Schülerinnen in Deutschland und anderen OECD-Staaten bestehen. So haben in einigen OECD-Ländern Mädchen eine deutlich bessere Einschätzung ihrer Sicherheit im Umgang mit dem PC als in Deutschland (vgl. BA/ BMBF 2002).

Neben der technischen Ausstattung an Schulen mit Computern ist auch der Umgang von Schülerinnen mit PCs erheblich zu verbessern und diese Kompetenzen für die Phase der Berufsorientierung und Berufswahl nutzbar zu machen. Der sichere Umgang mit dem Computer als Informations- und Kommunikationsmittel kann sich in der Berufsorientierung und Berufswahl als unterstützend herausstellen: Zwar sollte dies nicht überbewertet werden - denn allein mit Hilfe von Computerkenntnissen ist die Berufswahl nur schwerlich zu meistern - jedoch auch nicht unterschätzt werden. Denn die große Unsicherheit, die nach der OECD-Studie vor allem bei Schülerinnen in Deutschland im Umgang mit Computern besteht, kann ein Handicap in der Phase der Berufsorientierung und Berufswahl bedeuten. Von Vorteil könnten sich daher integrierte Ansätze erweisen, die in der Schule ansetzen und die Vermittlung von grundlegenden Kenntnissen und Fähigkeiten im Umgang mit den elektronischen Informations- und Kommunikationsmitteln mit Fragen der Berufsorientierung und Berufswahl verbinden. Langfristig angelegten Konzepten ist hierbei der Vorzug zu geben.

Ausbildung in IT-Berufen stärken

Die Zufriedenheit junger Frauen und Männer mit ihrer Ausbildung in einem IT-Beruf ist ähnlich hoch - obwohl nur die Hälfte der weiblichen Auszubildenden im IT-Bereich im Wunschberuf ausgebildet wird (Dietzen/ Westhoff 2001). Das ist ein Hinweis darauf, dass das Engagement junger Frauen in Ausbildung nicht gering sein kann - im Gegenteil.

Um eine Entwicklung der IT-Branche zu einem männlich dominierten Ausbildungsbereich zu verhindern und die dauerhafte Öffnung auch der technikorientierten IT-Berufe für Frauen zu erreichen bzw. zu sichern, sollte die Förderung junger Frauen in den technikorientierten IT-Berufen vorrangig zwei Hauptzielrichtungen verfolgen: Erstens den Zugang der Bewerberinnen zu einer IT-Ausbildung unterstützen - und im Vorfeld die Betriebe hierfür zu gewinnen - und zweitens das Interesse von Schülerinnen und Schulabgängerinnen an einer solchen Ausbildung erhöhen bzw. stärken.

Aus Sicht der in einer BIBB-Studie befragten Betriebe finden folgende Möglichkeiten eine breite Zustimmung, um junge Frauen für eine Ausbildung in einem IT-Beruf zu gewinnen: die Durchführung von mehr technikorientierten Betriebspraktika (64 %) sowie die Kontakte zu jungen Frauen in Schule und Berufsberatung (61 %). Andere Möglichkeiten werden hingegen sehr viel seltener genannt (Dietzen/ Westhoff 2001).

Dies lässt darauf schließen, dass Betriebe davon ausgehen, dass die geringe Ausbildungsbeteiligung von jungen Frauen in IT-Berufen vorrangig auf die Phase der Berufswahl/ Berufsorientierung bzw. das mangelnde Interesse junger Frauen an technischen Berufen zurückzuführen ist (Dietzen/ Westhoff 2001). Dass dies jedoch nicht die einzige Ursache für die niedrige Ausbildungsquote junger Frauen in IT-Berufen sein kann, zeigt sich an der hohen Quote von Bewerberinnen im Vergleich zu den Einstellungen in Ausbildung: In den technikorientierten IT-Berufen bewerben sich doppelt so viel junge Frauen auf eine Ausbildungsstelle wie eingestellt werden (Dietzen/ Westhoff 2001).

Ein anderer Grund, den wiederum die Betriebe sehr verhalten nennen, sind - wie bereits dargestellt - wenig geschlechtssensible Einstellungstests und Auswahlverfahren. Nur 8 % der befragten Unternehmen gehen davon aus, dass verbesserte Eignungstests und Auswahlverfahren dazu beitragen können, junge Frauen für IT-Berufe zu gewinnen (Dietzen/ Westhoff 2001). Die Sensibilisierung von Betrieben für geschlechtssensible Einstellungstests und Auswahlverfahren ist daher ein wichtiger und unerlässlicher Schritt, um Betriebe für eine stärkere Ausbildung junger Frauen in technikorientierten Berufen und namentlich in IT-Berufen zu gewinnen.

Ausbilderinnen in der Ausbildung stärken

Das Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern in der Teilhabe am dualen System spiegelt sich auch bei den Ausbildenden wider. So beträgt der Anteil der Ausbilderinnen in der Ausbildung nur rund ein Viertel. Sollen mehr junge Frauen für eine Ausbildung in technikorientierten Berufen gewonnen werden, so ist eine stärkere Einbeziehung von Frauen als Ausbilderinnen notwendig (Puhlmann 2001). Neben ihrer Vorbildfunktion für junge Frauen in Ausbildung können sie als Ausbildungs(mit)verantwortliche auch bei der Auswahl der Auszubildenden sowie bei der Gestaltung von Lernprozessen im Sinne einer stärkeren Beteiligung junger Frauen mitwirken.

Dem entgegen glauben nur 11 % der Betriebe, dass ein Mehr an Ausbilderinnen dazu beitragen kann, junge Frauen stärker für IT-Berufe zu gewinnen (Dietzen/ Westhoff 2001). Dies weist darauf hin, dass in dieser Hinsicht Überzeugungsarbeit und Anstrengungen bei Betrieben nicht nur von Seiten der Wirtschaftsverbände erforderlich sind.

Zudem ist das Ausbildungspersonal gerade in technisch orientierten Berufen stärker für die Belange weiblicher Auszubildender wie z. B. für ihre individuellen Lernvoraussetzungen und Lernstrategien zu sensibilisieren und zu schulen, um die Fähigkeiten von Frauen auch im technischen Bereich besser auszuschöpfen.

Außerbetriebliche Ausbildung qualitativ sichern und öffnen

Außerbetriebliche Ausbildungen müssen einer doppelten Anforderung entsprechen: eine dem bestehenden Arbeitsmarkt zeitgemäße Ausbildung vermitteln und die betreffenden Zielgruppen entsprechend ihrem Bedarf im Rahmen einer sozialpädagogischen Betreuung fördern. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass gerade junge Frauen, insbesondere aus den neuen Bundesländern, meist nicht zu den "klassischen" Zielgruppen sozialer Arbeit gehören, sondern mehrheitlich zur Zielgruppe der so genannten "Marktbenachteiligten". Meist besteht hier das wirkliche Problem darin, dass in einer Region nicht genügend betriebliche Ausbildungsplätze existieren oder junge Frauen in der Vergabe benachteiligt sind.

Insofern müssen außerbetriebliche Ausbildungen konkreter auf verschiedene Zielgruppen abgestimmt werden, auf Personen, die sozialpädagogischer Betreuung bedürfen sowie auf die Belange von Personen, die lediglich in einer gegebenen Ausbildungs- und Arbeitsmarktlage aufgrund bestehender Vergabepraktiken oder Standortbedingungen benachteiligt sind. Für alle Zielgruppen gilt es, passende Angebote zu schaffen. Dabei ist zu vermeiden, dass Angebote von neuem benachteiligend wirken, indem sie als zweitklassige Berufsausbildung gelten und mit Stigmatisierungen verbunden sind (vgl. Ulrich 2001).

Zudem gilt es für alle Zielgruppen, das Spektrum der Ausbildungsberufe, die im Rahmen der außerbetrieblichen Ausbildung für junge Frauen zur Verfügung stehen, deutlich auszuweiten. Vorliegende Analysen zeigen, dass im Rahmen der Benachteiligtenförderung junge Frauen im Kern nur in 12-15 Berufen ausgebildet werden (vgl. Kollatz 2001).

Die Öffnung der außerbetrieblichen Ausbildung für Ausbildungsberufe in anderen Berufsfeldern, die Sicherung der Qualität außerbetrieblicher Ausbildung sowie die Erhöhung der Chancen von Auszubildenden aus außerbetrieblicher Ausbildung an der zweiten Schwelle erfordern auch eine erheblich stärkere Verzahnung von betrieblicher und außerbetrieblicher Ausbildung als bisher. Unterschiedliche Modelle der Verknüpfung von betrieblicher und außerbetrieblicher Ausbildung, die bereits erprobt sind, sollten deutlich häufiger - den Bedarfslagen der unterschiedlichen Zielgruppen entsprechend - umgesetzt werden: sei es, dass die fachpraktische Ausbildung in einem Stufenmodell sukzessive in den Betrieb verlagert wird, sei es, dass sie von Anfang an im Betrieb erfolgt. (15)

Insbesondere diese zweite Form der Verknüpfung außerbetrieblicher mit betrieblicher Ausbildung erlaubt es, die Palette der Ausbildungsberufe auszuweiten. Sie ist vornehmlich für diejenigen jungen Frauen mit weiterführenden Bildungsabschlüssen geeignet, die aufgrund der Ausbildungsmarktlage keine Ausbildungsstelle gefunden haben. Hingegen bietet das Stufenmodell den Vorteil, dass sich gerade Schulabgängerinnen mit weniger günstigen schulischen Voraussetzungen bzw. mit Lernschwierigkeiten in den Lehrwerkstätten des Bildungsträgers allmählich an die Anforderungen einer Ausbildung gewöhnen können. (16)

Steigerung der beruflichen Ausbildung junger Frauen mit Migrationshintergrund

Die vorliegenden Analysen zeigen, dass 43 % der jungen Frauen ausländischer Nationalität im Alter von 20-30 Jahren ohne einen anerkannten Berufsabschluss bleiben - häufiger als die männliche Vergleichsgruppe und viermal so oft wie junge deutsche Frauen, obgleich Schulabgängerinnen mit ausländischem Pass häufiger als die männliche Vergleichsgruppe einen (weiterführenden) Schulabschluss erreichen. Ein Mangel an ausbildungsinteressierten jungen Frauen mit Migrationshintergrund kann aufgrund der vorliegenden Untersuchungen nicht festgestellt werden. Wesentlich schwieriger ist es, Betriebe zu finden, die bereit sind, (weibliche) Jugendliche aus Migrantenfamilien auszubilden - aus unterschiedlichen Gründen (vgl. Granato 2002).

Angesichts des stagnierenden Zugangs junger Frauen ausländischer Nationalität zu einer Berufsausbildung sowie der katastrophalen Lage junger Frauen ohne Berufsabschluss aus Migrantenfamilien, ist es eine vorrangige bildungspolitische Aufgabe allen jungen Frauen mit Migrationshintergrund einen qualifizierten Berufsabschluss zu ermöglichen.

Das Integrationsangebot für dieses knappe Drittel der jungen Frauen in Deutschland - der heutigen Generation von Schülerinnen und Schulabgängerinnen mit Migrationshintergrund - muss erheblich verbessert werden, wenn sie eine faire Chance auf eine berufliche Qualifikation und damit auf eine berufliche Integration erhalten sollen.

So wird die programmatische Forderung "Ausbildung für alle" zwar von allen gesellschaftlichen Gruppen mitgetragen. Wesentlich sind dabei allerdings die Anstrengungen der Sozialpartner und der Bundesregierung im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit mit dem Ziel allen ausbildungswilligen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anzubieten. Die Aktivitäten zur Verbesserung der Ausbildungschancen von jungen Migrantinnen und Migranten bilden hierbei einen Schwerpunkt. Im neuen Programm "Kompetenzen fördern" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung [8] hat die Bundesregierung deswegen auch diesen Akzent gesetzt: Ein eigener Innovationsbereich zielt auf die Verbesserung der beruflichen Qualifizierung junger Migrantinnen und Migranten. (17)

Die Heterogenität der Lebenslagen junger Frauen (und Männer) mit Migrationshintergrund und ihre je unterschiedlichen Lernvoraussetzungen verlangen mehrdimensionale Ansätze und Maßnahmen. Zielgruppenspezifische und differenzierte Maßnahmen müssen insbesondere in folgenden Bereichen vorgesehen bzw. umgesetzt werden (vgl. Alt/ Granato 2001):

  1. Verbesserung der Chancen beim Übergang Schule - Beruf,
  2. Verbesserung des Zugangs zu einer betrieblichen Ausbildung,
  3. Ausbildungserfolg in der Berufsausbildung sichern: Unterstützung im Ausbildungsverlauf,
  4. Berufliche Nachqualifizierung,
  5. Interkulturelle Öffnung der beruflichen Bildung.
    Deutlich zu verbessern sind jedoch auch ihre Chancen bei der
  6. Beruflichen Eingliederung und beruflichen Weiterbildung (vgl. Granato 2000c).

Dies sind auch zentrale Arbeitsschwerpunkte der "Initiativstelle Berufliche Qualifizierung von Migrantinnen und Migranten" (IBQM) [9], die für die Umsetzung des Programms "Kompetenzen fördern" in diesem Bereich (Innovationsbereich IV) im Bundesinstitut für Berufsbildung [2] eingerichtet wurde (vgl. Granato/ Schapfel-Kaiser 2002 sowie IBQM (Hrsg.) 2002).

 

Anmerkungen

1) Die Erhebung "Soziale Lage, Lebensstil und Orientierungen junger Frauen zwischen Schule und Beruf in interkulturell vergleichender Forschungsperspektive" beruht auf Gruppendiskussionen und Einzelinterviews und wurde 1998-1999 am Institut für Schulpädagogik und Bildungssoziologie der Freien Universität Berlin durchgeführt. Auf der Grundlage von Fallstudien wird untersucht, in welcher Weise junge Frauen im Kontext ihrer milieuspezifischen Lebensverhältnisse mit Konflikten und Risiken im Verlauf der Einmündung in Ausbildung und Beruf umgehen. Berlin als eine eher strukturschwache Region eignet sich dabei in besonderer Weise, um exemplarisch die speziellen Bedingungen junger Frauen in städtischen Ballungszentren aufzuzeigen. Ausführlicher zu Ergebnissen und Methodik der qualitativen Untersuchung vgl. Schittenhelm 2001, 2000.

2) Sie erfahren dadurch zwar mit Gleichaltrigen ihres Umfelds eine gemeinsame Sozialisation, jedoch verläuft diese in Richtung eingeschränkter beruflicher Chancen. Dies kann mit Ostendorf (1986) als eine gemeinsame Selbstsozialisation in eingeschränkte soziale Chancen bezeichnet werden.

3) Diese Ergebnisse beruhen auf einer Panel-Untersuchung von Auszubildenden in Ost und West. Das Forschungsprojekt "Jugend und Berufsbildung in Deutschland" wurde im Bundesinstitut für Berufsbildung [2] durchgeführt. Jugendliche ausländischer Herkunft sind in dieser Untersuchung nicht explizit ausgewiesen. Zu den Ergebnissen, vgl. Granato 2000a, b, zu methodischen Fragen der Befragung vgl. Granato, Hecker 2000.

4) Für weitere wissenschaftliche Ergebnisse zur Vereinbarkeitsfrage, zur Gestaltung beruflicher und familiärer Lebensformen wie zu Chancen junger Frauen und Männer in Ausbildung und Beruf vgl. die Auswertung vorhandener Umfragen durch Cornelißen u. a. 2002.

5) Diese und das folgende Zitat sind den Gruppendiskussionen mit Jugendlichen in Ost und West entnommen (vgl. SINUS 1996).

6) Anteil der jungen Erwachsenen ohne anerkannten Berufsabschluss in der Altersgruppe der jungen Erwachsenen von 20 bis 29 Jahren im Bundesgebiet West und Berlin (West), vgl. hierzu www.bibb.de/reader/fram_fo1.htm [10]

7) Bei den Arbeitsämtern gemeldete Bewerber für Berufsausbildungsstellen Oktober 2001 bis September 2002: Weibliche Bewerber nach Schulabschluss 4,2 % ohne Hauptschulabschluss, 28,3 % mit Hauptschulabschluss, 52,1 % mittlerer Abschluss, 14,2 % (Fach-)Hochschulreife. Männliche Bewerber nach Schulabschluss 8,3 % ohne Hauptschulabschluss, 36,9 % mit Hauptschulabschluss, 45,7 % mittlerer Abschluss, 8,0 % (Fach-) Hochschulreife.

8) Der Anteil junger Frauen in einer Ausbildung zur Tischler/ -in ist zwischen 1990 und 2000 von 10,2 % auf 7 % zurückgegangen.

9) Aussagen zu dem Anteil junger Frauen ausländischer Nationalität in weiblich bzw. männlich dominierten Berufen sind nicht möglich, da die Statistik den Anteil ausländischer junger Frauen und Männer an den einzelnen Ausbildungsberufen nicht ausweist.

10) Aussagen zum Anteil junger Frauen ausländischer Nationalität in den IT-Berufen bzw. in den anderen neuen Berufen sind aufgrund der eingeschränkten statistischen Datenlage nicht möglich.

11) Für differenziertere Vorschläge zur Förderung von Berufswahlkompetenzen vgl. u. a. OECD 2002.

12) An Schulen in Deutschland kommt rund ein Computer auf 22 Schüler, im OECD-Durchschnitt steht ein PC 13 Schülern zur Verfügung (vgl. BMBF 2002).

13) Deutsche Schüler fühlen sich im Vergleich zu Schülern aus anderen OECD-Ländern unsicherer im Umgang mit dem PC. Sie liegen in ihrer Selbsteinschätzung unter dem OECD-Durchschnitt von 0,0 (vgl. BMBF 2002).

14) Die Selbsteinschätzung der Jungen liegt bei -0,07. Schülerinnen in Deutschland schätzen sich im Umgang mit dem PC besonders unsicher ein. Ihr Wert liegt bei -0,53 (vgl. BMBF 2002).

15) Aus den im Rahmen einer Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung [2] durchgeführten explorativen Fallstudien wird deutlich, dass es bei den von den Bildungsträgern praktizierten Ansätzen zur Verzahnung von außerbetrieblicher und betrieblicher Ausbildung zwar eine Vielzahl von Organisationsformen gibt, die sich jedoch auf diese zwei Strukturtypen zurückführen lassen (vgl. Zimmermann 2002).

16) Zu weiteren Vor- wie Nachteilen des jeweiligen Modells vgl. Zimmermann 2002.

17) Im Herbst 2001 startete das Programm: "Kompetenzen fördern - Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen mit besonderem Förderbedarf" [11] des Bundesministeriums für Bildung und Forschung [8]. Es hat eine 5-jährige Laufzeit und zielt auf die "Ausbildung für alle" und damit auf die Integration von Zielgruppen mit besonderem Förderbedarf in die duale Ausbildung. Das Programm setzt die Ziele des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit bezüglich der Benachteiligtenförderung und der Förderung von Migrantinnen und Migranten in vier Innovationsbereichen um (vgl. BMBF (Hrsg.) 2001; Arbeitsgruppe "Aus- und Weiterbildung" im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit 2000)

 

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Granato, Mona (2001): Qualifizierungspotenziale in Deutschland nutzen: Jugendliche mit Migrationshintergrund und berufliche Ausbildung.

Granato, Mona (2001): Qualifizierungspotenziale in Deutschland nutzen: Jugendliche mit Migrationshintergrund und berufliche Ausbildung.

Die Zeiten sind vorbei, in denen Migration in Politik und Öffentlichkeit eine gesellschaftliche Randerscheinung darstellte. Der folgende Beitrag handelt von einem Drittel der Kinder, die heute in der Bundesrepublik Deutschland leben und davon, ob wir ihre und unsere Zukunftschancen nutzen oder vertun.

"Langfristig Wohlstand sichern. Humanitär handeln. Miteinander leben." Das sind die Grundprinzipien, auf die sich die Zuwanderungskommission unter Vorsitz der ehemaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth verständigt hat.

Deutlicher als die handelnden Politiker bisher hat die Zuwanderungskommission der Bundesregierung darauf hingewiesen, dass gerade die Anstrengungen in Richtung gesellschaftliche Integration und tatsächliche Einbürgerung von Migranten einen neuen Schub brauchen. Bestätigt wird dies zudem durch die neuesten Ergebnisse der PISA-Studie, die auf erhebliche Schwächen im Schulsystem hinweisen.

Was not tut, ist eine umfassende Qualifizierungsoffensive, die in den Blick nimmt, dass etwa ein Drittel aller Kinder in Westdeutschland und insbesondere in den Ballungsgebieten, Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund sind.

In der Bundesrepublik leben über 7 Millionen Menschen mit ausländischem Pass und über 2 Millionen Spätaussiedler, die zwar die deutsche Staatsangehörigkeit haben, aber gleichfalls Zuwanderer sind. Es gibt darüber hinaus viele hunderttausend Eingebürgerte. Es besteht ein erhebliches Interesse daran, diese und andere Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund sozial und ökonomisch zu integrieren. Das gilt insbesondere auch für die junge Generation.

Um Chancengleichheit zu realisieren, sind Bildung, Ausbildung und Weiterbildung, aber auch gleiche Chancen beim Zugang zum Arbeitsmarkt zentral.

Ein großer Teil der Jugendlichen ausländischer Herkunft - und auf sie bezieht sich überwiegend die nachfolgende Analyse (s. u.) - ist bereits in Deutschland aufgewachsen. Vielfach kennen sie das Heimatland der Eltern bzw. Großeltern aus dem Urlaub, aus Erzählungen oder Medien. Die Mehrheit ist in Deutschland fest verankert und hat einen Platz in der Gesellschaft gefunden: Jugendliche ausländischer Herkunft sind Teil der pluralisierten Lebenswelten von Jugendlichen in Deutschland.

12 % der Kinder in Westdeutschland haben einen ausländischen Pass, über 7 % stammen aus binationalen Ehen. Rechnet man noch die Kinder hinzu, deren Eltern als Aussiedler zwar einen deutschen Pass haben aber gleichfalls zugewandert sind sowie die Kinder, deren Eltern eingebürgert sind und einen Migrationshintergrund haben, so sprechen wir heute von rund einem knappen Drittel der Kinder in Deutschland, die mit mindestens einem Eltern- oder Großelternteil einen Migrationshintergrund besitzen: Ihre Eingliederung in Berufsausbildung, Berufsleben und Gesellschaft ist zumindest für die Ballungsgebiete und die westdeutschen Bundesländer quantitativ und qualitativ eine zentrale gesellschaftspolitische Herausforderung. Qualifizierung und gesellschaftliche Integration gehören zusammen.

Angesichts der zu erwartenden enormen demografischen "Lücke" und der Prognosen zur Entwicklung des Ausbildungsstellenmarktes bzw. des Arbeitskräftebedarfs ist schon heute deutlich: Zuwanderung alleine genügt nicht, um den Arbeitskräftebedarf in den nächsten Jahren zu decken. Deswegen gilt es, das Arbeitskräftepotenzial im Inland stärker als bisher auszuschöpfen und vor allem zu qualifizieren (vgl. ausführlich Bethscheider u. a. 2001).

Sektoral und regional unterschiedlich ist bereits heute ein Rückgang an Bewerbern um Ausbildungsstellen und ein Anteil an unbesetzten Lehrstellen festzustellen.

So bleibt beispielsweise im Handwerk, trotz eines bundesweiten Angebotsrückgangs an Ausbildungsstellen, bereits heute jeder 18. Ausbildungsplatz unbesetzt. Der Bewerbermangel ist seit einiger Zeit insbesondere in Süddeutschland spürbar (Brosi u. a. 2001). Aufgrund der demografischen Entwicklung ist schon jetzt absehbar, dass in wenigen Jahren Auszubildende und junge Fachkräfte in Ostdeutschland Mangelware sein werden. In den westlichen Ländern tritt dies mit wenigen Jahren Zeitverzögerung ein.

Daher ist bereits jetzt das Ausbildungs- und Qualifikationspotenzial von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund stärker als bisher auszuschöpfen, sollen nicht perspektivisch gesehen, soziale Spannungen in Ballungsgebieten zunehmen und gleichzeitig erhebliche wirtschaftliche Einschnitte durch Facharbeitermangel die Folge sein.

Das Potenzial Jugendlicher mit Migrationshintergrund für die berufliche Ausbildung haben auch die Bündnispartner im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit [13], d. h. Bundesregierung, Unternehmerverbände und Gewerkschaften erkannt. In ihrem Beschluss zur "Aus- und Weiterbildung junger Migrantinnen und Migranten" fordern sie die Betriebe auf, das Potenzial von Jugendlichen mit Migrationshintergrund stärker als bisher für eine betriebliche Erstausbildung zu nutzen. Sie betonen, dass das interkulturelle Kapital der Jugendlichen von Betrieben bisher zu wenig erkannt und genutzt wird. Gleichzeitig fordern sie Betriebe auf, ihre bisherige Zurückhaltung gegenüber Jugendlichen mit ausländischem Pass zu revidieren, ihre Vorbehalte aufzugeben und diese verstärkt in der Ausbildung zu berücksichtigen. Es gilt jetzt, die Beschlüsse der Bündnispartner konsequent umzusetzen.

Eine der größten Schwierigkeiten im Vorfeld der Berufsausbildung von jungen Menschen mit Migrationshintergrund ist es, überhaupt einen Ausbildungsplatz zu bekommen, trotz Interesse der Jugendlichen. Alle Untersuchungen zeigen: Ein Mangel an ausbildungsinteressierten Schulabgängerinnen und Schulabgängern ausländischer Herkunft kann nicht festgestellt werden. Auch der Unterstützung durch die Eltern können sich die Jugendlichen überwiegend gewiss sein.

Wesentlich problematischer ist es nach wie vor, genügend Betriebe zu finden, die bereit sind, Jugendliche ausländischer oder anderer ethnischer Herkunft auszubilden.

Der vorliegende Beitrag analysiert daher die Chancen Jugendlicher ausländischer Herkunft in der Berufsausbildung (1), Hemmnisse und Schwierigkeiten beim Erhalt eines Ausbildungsplatzes (2), Möglichkeiten, den Ausbildungserfolg von Jugendlichen im Verlauf der Ausbildung zu sichern (3) sowie die Qualifikationsentwicklung junger Erwachsener zu fördern (4).

Da zur Bevölkerungsgruppe "Jugendliche mit Migrationshintergrund insgesamt" kaum statistische Angaben bzw. Untersuchungen existieren, konzentriert sich die folgende Analyse auf einen Teil dieser Gruppe, auf Jugendliche ausländischer Nationalität, da hier entsprechendes statistisches Material vorhanden ist. Die Schlussfolgerungen gelten jedoch für alle Jugendlichen mit Migrationshintergrund, auch und gerade für Jugendliche aus Aussiedlerfamilien.

 

1. Chancen ausländischer Jugendlicher in der beruflichen Bildung

Die Ausbildungschancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund haben sich in den letzten Jahren nicht verbessert.

Die Chancen junger Menschen aus Migrantenfamilien auf eine berufliche Erstausbildung und damit auch ihre Chancen auf eine berufliche Integration haben sich in den letzten Jahren nicht verbessert - im Gegenteil. Seit einiger Zeit ist der Anteil junger Menschen ausländischer Herkunft in einer beruflichen Ausbildung sogar rückläufig bzw. stagniert.

Liegt der Anteil Jugendlicher ausländischer Herkunft, die in eine berufliche Ausbildung im dualen System einmünden, 1986 noch bei 25 %, so steigt die Ausbildungsquote bis 1994 deutlich auf 44 % an, ist seither jedoch im Sinken begriffen. 1998 erreicht die Ausbildungsquote ausländischer Jugendlicher mit 38 % gerade den Stand von 1991. 1999 ist mit 39 % eine leichte Besserung festzustellen; inwieweit dies eine Trendwende darstellt, bleibt abzuwarten.

Ein Rückgang der Partizipation an beruflicher Ausbildung und damit auch der Chancen auf eine berufliche Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist u. a. zurückzuführen auf ein im Durchschnitt der letzten Jahre rückläufiges betriebliches Ausbildungsangebot, was nicht nur aber in besonderem Maße junge Menschen aus Migrantenfamilien trifft (Granato/ Werner 1999).

Die Chancen von Schulabgängern ausländischer Herkunft auf eine berufliche Ausbildung haben mit den Verbesserungen ihrer Schulabschlüsse im letzten Jahrzehnt nicht Schritt gehalten. Die Chancen Jugendlicher ausländischer Herkunft auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz sind nach wie vor wesentlich geringer als bei deutschen Jugendlichen.

Die Chancen von Schulabgängern ausländischer Herkunft an einer beruflichen Ausbildung haben mit den Verbesserungen ihrer Schulabschlüsse nicht Schritt gehalten. So haben 81 % der Schulabgänger ausländischer Nationalität 1999 einen Schulabschluss. Einen Realschulabschluss haben 29 % erreicht, die Hochschulreife 11 %. 41 % schließen die allgemein bildende Schule in Deutschland mit dem Hauptschulabschluss ab. Doch nur 39 % der Jugendlichen erhalten einen Ausbildungsplatz im dualen System. (1)

Obgleich sich die Schulabschlüsse ausländischer Jugendlicher seit Mitte der 80er Jahre kontinuierlich verbessert haben, hat dies kaum eine nachhaltige Auswirkung auf ihre Ausbildungschancen.

Wiewohl sich der Trend zu höheren Schulabschlüssen - seit 1993 zwar verlangsamt - auch weiter fortsetzt, hat sich im letzten Jahrzehnt der Abstand zwischen Schulabschlüssen deutscher und ausländischer Jugendlicher nicht wesentlich verringert, da auch bei deutschen Schulabgängern eine stetige Hinwendung zu höheren Abschlüssen festzustellen ist (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2001, S. 78).

Die Chancen auf einen Ausbildungsplatz und damit auf eine qualifizierte Berufsausbildung sind für Jugendliche ausländischer Herkunft im Vergleich zu deutschen Jugendlichen wesentlich geringer. Insgesamt erhalten 1999 nur 39 % der Jugendlichen ausländischer Herkunft aber 68 % der jungen Deutschen eine Ausbildung im dualen System.

Trotz besserer Schulabschlüsse sind junge Frauen beim Zugang zum dualen System besonders benachteiligt.

Trotz besserer Schulabschlüsse im Vergleich zur männlichen Vergleichsgruppe und einem hohen Engagement an der ersten Schwelle haben 1999 nur 33 % der jungen Frauen mit ausländischem Pass Zugang zu einer Ausbildung im dualen System - seltener als männliche Jugendliche ausländischer Herkunft (44 %), aber auch wesentlich seltener als junge deutsche Frauen (57 %). (78 % der jungen Männer deutscher Nationalität durchlaufen 1999 eine Ausbildung im dualen System.)

Ungeachtet verbesserter Bildungsabschlüsse hat sich in den letzten Jahren der Anteil junger Frauen ausländischer Nationalität an einer Ausbildung im dualen System kaum erhöht. Liegt ihre Ausbildungsbeteiligung 1986 noch bei 17 %, so steigt sie bis 1994 auf 34 % an und ist seither jedoch leicht im Sinken begriffen. 1998 erreicht die Ausbildungsbeteiligung ausländischer junger Frauen mit 32 % gerade den Stand, der schon 1991/ 92 festzustellen war. Auch hier ist 1999 eine leichte Besserung festzustellen (33 %) (vgl. Granato 2000b).

Große Differenzen bestehen in der Ausbildungsbeteiligung zwischen Jugendlichen ausländischer Herkunft.

Jugendliche ausländischer Herkunft stellen keine homogene Gruppe dar. Im Hinblick auf die Chancen eines Zugangs zu dualer Ausbildung existieren große regionale Unterschiede, aber auch Differenzen nach der Herkunft und dem Migrationshintergrund. Mit statistischen Daten belegbar sind die Unterschiede nach der Nationalität. So liegt die Ausbildungsbeteiligung spanischer Jugendlicher im dualen System mit 79 % höher als bei deutschen Jugendlichen in Westdeutschland (68 %) - dies gilt für Mädchen und Jungen. Während italienische und portugiesische Mädchen und Jungen eine mittlere Position einnehmen, liegt der Anteil Jugendlicher türkischer Nationalität, die sich in einer Berufsausbildung befinden mit 42 % (1998) weiterhin niedriger als bei anderen genannten Nationalitäten.

Das Interesse von Schulabgängern ausländischer Herkunft an einer qualifizierten Berufsausbildung ist nach wie vor hoch.

Die Ausbildungsleistung der Wirtschaftsbereiche für junge Menschen ausländischer Herkunft ist sehr unterschiedlich, teilweise drastisch zu niedrig. Besondere Anstrengungen sind im öffentlichen Dienst zu unternehmen.

Rund 80.000 Schulabgänger ausländischer Herkunft haben sich 1999 allein bei den Arbeitsämtern um eine Ausbildungsstelle beworben. Damit ist der Anteil gegenüber den Vorjahren gleich hoch geblieben. Zu Beginn des Ausbildungsjahres 1999 waren noch über 4.000 ausländische Jugendliche ohne Lehrstelle, das war rund ein Fünftel aller unversorgten Jugendlichen.

Jugendliche ausländischer Nationalität sind in der beruflichen Ausbildung weit unter ihrem Bevölkerungsanteil vertreten. Nur 7 % der Auszubildenden im dualen System haben einen ausländischen Pass, während unter den Jugendlichen im Alter von 15-18 Jahren rund 12 % nichtdeutscher Herkunft sind (Bundesgebiet West).

In allen Ausbildungsbereichen werden Jugendliche ausländischer Herkunft im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil unterdurchschnittlich ausgebildet. Das gilt in Industrie und Handel mit 7 %, aber auch in den Freien Berufe (2000: 9 %) und im Handwerk (8 %), wobei im Handwerk die Quote seit einigen Jahren rückläufig ist (1994: 12 %, 1997: 10 %, 1999: 9 %).

Nach wie vor ist es jedoch der öffentliche Dienst, dessen Ausbildungsleistung am geringsten ist: Gerade 3 % der Auszubildenden haben eine nichtdeutsche Staatsangehörigkeit.

Bereits jetzt sind erhebliche regionale Unterschiede in der Ausbildungsleistung der Wirtschaftsbereiche festzustellen. Diese sind zum Teil die ersten Vorboten der sich bundesweit ankündigenden demografischen Lücke.

So bilden beispielsweise das Handwerk in Baden-Württemberg mit 15 %, in Hessen mit 13 % und in Hamburg mit 12 % bereits heute über dem Bundesdurchschnitt Jugendliche ausländischer Herkunft aus (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2001, S. 78).

Jugendliche ausländischer Herkunft haben am ehesten in den Ausbildungsberufen eine Chance, die für junge Deutsche nicht mehr so attraktiv sind.

Auch heute noch haben Mädchen und Jungen ausländischer Herkunft am ehesten Ausbildungschancen in den Berufen, die für Deutsche weniger attraktiv sind, wie z. B. Berufe im Bauhandwerk, als Friseurin usw.

Diese Berufe sind in der Regel gekennzeichnet durch vergleichsweise ungünstige Arbeitszeiten bzw. Arbeitsbedingungen, geringere Verdienstmöglichkeiten, geringere Aufstiegschancen und oftmals geringere Übernahmechancen und ein höheres Arbeitsplatzrisiko.

Jugendliche ausländischer Herkunft werden häufig in folgenden Ausbildungsberufen ausgebildet:

Tabelle 1: Anteil der Auszubildenden ausländischer Nationalität
an allen Auszubildenden des Berufs 2000 Bundesgebiet West
- in Prozent -

  • Friseur/ -in
16,3
  • Verkäufer/ -in
13,8
  • Maler/ -in und Lackierer/ -in
11,3
  • Arzthelfer/ -in
11,1
  • Kauffrau/ -mann im Einzelhandel
10,3
  • Zahnarzthelfer/ -in
10,0
  • Kraftfahrzeugmechaniker/ -in
8,0
  • Elektroinstallateur/ -in
7,9
  • Bürokauffrau/ -mann (IH/ Hw)
7,2
  • Kauffrau/ -mann im Groß- und Außenhandel
6,8

Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11 Reihe 3, 2000, Berechnungen des BIBB; vgl. auch Werner 2000.

 

Die Chancen Jugendlicher ausländischer Herkunft in den neuen Berufen müssen deutlich verbessert werden.

Der expandierende Wirtschaftsbereich neu entwickelter Berufe im Rahmen der Informations- und Kommunikationsmedien bietet ein interessantes Betätigungsfeld mit guten Qualifizierungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Hier existieren mittlerweile 60.000 Ausbildungsplätze (Werner 2000). Sehr gering ist demgegenüber mit 4 % der Anteil von Jugendlichen ausländischer Herkunft in diesen Berufen (2000).

Mit 6 % in den Serviceberufen und 3 % in den Medienberufen ist die Aussicht von Jugendlichen ausländischer Nationalität in diesen Branchen unterproportional. Vergleichbares gilt für die neuen IT-Berufe, wo sie mit 3 % gleichfalls stark unterdurchschnittlich eine Ausbildung erhalten.

Tabelle 2: Anteil der Auszubildenden mit ausländischem Pass an allen Auszubildenden in
den neu entwickelten Berufen 1998 und 2000 Bundesgebiet West
- absolut und in Prozent -
 

Auszubildende

ausländ. Nationalität

1998

Anteil

Auszubildende

ausländ. Nationalität

1998

Anteil

Auszubildende

ausländ. Nationalität

2000

4 neue IT-Berufe
402
3,3
3,4
  • Informations- und Telekommunikationssystem- Elektroniker/ -in
104
4,0
3,0
  • Fachinformatiker/ -in
161
3,1
3,3
  • Informatikkaufleute
60
3,2
2,9
  • Informations- und Telekommunikationssystemkaufleute
77
4,1
4,8
Neue Medienberufe
117
2,6
2,6
Neue Service-Berufe
264
6,1
6,4
Neue Bauberufe
59
25,5
16,9
Sonstige neue Berufe
252
8,2
6,2
Neue Berufe alle
1094
4,5
4,3

Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 3, 1998 und 2000; Berechnungen des BIBB.

 

In den beruflichen Schulen sind Jugendliche ausländischer Nationalität überproportional in den Schularten vertreten, die nicht zu einem anerkannten Berufsabschluss führen. Häufig stellen diese Ausbildungsgänge "Warteschleifen" dar und sind Ausdruck des Verdrängungswettbewerbs auf dem betrieblichen Ausbildungsmarkt.

Im Berufsvorbereitungsjahr und im Berufsgrundbildungsjahr hat 1999 jeder sechste Schüler einen ausländischen Pass. Diese werden häufig als Ausweichmöglichkeiten bei mangelnden Lehrstellen genutzt. Insbesondere in den weiterführenden Zweigen des berufsbildenden Schulsystems, die in der Regel den Abschluss einer Lehre voraussetzen, sind Jugendliche ausländischer Herkunft stark unterproportional vertreten (z. B. Fachoberschule 7,1 %, Fachschule 3,9 %). In den Berufsfachschulen, die zu einem berufsbildenden Abschluss führen (können) beträgt der Anteil der Schüler ausländischer Nationalität rund 10 % und hat sich damit ihrem Bevölkerungsanteil angenähert (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2001, S. 84).

Die Potenziale von Jugendlichen mit Migrationshintergrund müssen stärker anerkannt und genutzt werden.

In den Einstellungsverfahren werden interkulturelle und bilinguale Kompetenzen von Ausbildungsplatzbewerbern ausländischer Herkunft noch immer zu wenig erkannt und anerkannt. Selbst in Wirtschaftszweigen mit Bedarf an interkulturellem und mehrsprachigem Fachpersonal, so im Bereich der personalen Dienstleistungen, aber auch in Branchen mit einem hohen Anteil an Kunden ausländischer Nationalität, wie in Beratungsinstitutionen, im Banken- und Versicherungsgewerbe sowie im Servicebereich für ausländische Unternehmen in Deutschland, werden Jugendliche ausländischer Herkunft noch zu selten als Auszubildende und junge Fachkräfte nachgefragt.

 

2. Hemmnisse von Jugendlichen mit Migrationshintergrund beim Zugang zu einer beruflichen Bildung

Eine der größten Hemmnisse im Vorfeld der Berufsausbildung ist es für Jugendliche mit Migrationshintergrund überhaupt einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Ein Mangel an ausbildungsinteressierten Schulabgängerinnen und Schulabgängern ausländischer Herkunft kann nicht festgestellt werden. Auch der Unterstützung durch die Eltern können sich die Jugendlichen überwiegend gewiss sein. Wesentlich problematischer ist es nach wie vor, Betriebe zu finden, die bereit sind, Jugendliche ausländischer oder anderer ethnischer Herkunft auszubilden.

Hierfür gibt es unterschiedliche Ursachen und Gründe. Exemplarisch werden hier eine Reihe von zentralen Ursachen thematisiert, die den Übergang Jugendlicher aus Migrantenfamilien von der Schule in eine Ausbildung und den Zugang zu einer betrieblichen Ausbildung erschweren und behindern.

Noch immer gibt es Betriebe, die durch ihre Selektionsmechanismen und Auswahlkriterien Ausbildungsplatzbewerber ausländischer Nationalität benachteiligen. Dem muss durch Beratung und gemeinsame Initiativen von Verbänden, Gewerkschaften und Arbeitsverwaltung entgegengewirkt werden.

 

a) Weniger häufig als Deutsche können Jugendliche mit Migrationshintergrund betriebsinterne Netzwerke für eine Einstellung nutzen. Sie können den betriebsinternen Arbeitsmarkt weniger nutzen, da ihre Eltern aufgrund ihrer betrieblichen Positionen seltener über ein gutes Informationsnetz und Kontakte innerhalb des Betriebs verfügen.

Dazu ein Hinweis: Deutsche Auszubildende geben wesentlich häufiger als Auszubildende ausländischer Nationalität an, den persönlichen Beziehungen der Eltern die Ausbildungsstelle zu verdanken.

 

b) Negativ wirken sich die in Betrieben verwendeten schriftlichen Testverfahren für die Ausbildungsbeteiligung von ausländischen Jugendlichen aus.

Diese angeblich "kulturneutralen" schriftlichen Testverfahren benachteiligen Jugendliche mit Migrationshintergrund. Sie haben zusätzlich den Mangel, wie wissenschaftliche Untersuchungen festgestellt haben, dass sie nur von geringem prognostischen Wert im Hinblick auf den Ausbildungserfolg der Jugendlichen sind.

 

c) Ein weiteres Ausbildungshemmnis sind Vorurteile von Personalchefs vor allem gegenüber jungen Menschen türkischer Nationalität, insbesondere gegenüber jungen Frauen.

Vor allem Betriebe, die bislang keinen Jugendlichen ausländischer Nationalität ausgebildet haben 'befürchten' Schwierigkeiten, sei es mit Sprachproblemen, sei es mit ausländerfeindlichen Vorurteilen von Kunden bzw. Mitarbeitern (Schaub 1991).

Diese Befürchtungen haben sich jedoch bei Betrieben mit Ausbildungserfahrung mit dieser Zielgruppe als unbegründet erwiesen.

Zudem nutzen Betriebe, wenn es einmal zu Schwierigkeiten in der Ausbildung eines Jugendlichen mit Migrationshintergrund kommt - aufgrund mangelnder Information - zu wenig ausbildungsbegleitende Hilfen und betriebliche Maßnahmen zur Förderung von Nachwuchskräften aus Migrantenfamilien.

 

d) Die Zurückhaltung von Betrieben und Verwaltungen aufgrund von Diskriminierung sind eine zusätzliche Schwierigkeit beim Zugang Jugendlicher ausländischer Herkunft zu einem Ausbildungsplatz.

Jugendliche aus Migrantenfamilien sind beim Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt durch ethnische Diskriminierung zusätzlich benachteiligt. Eine im Auftrag der ILO durchgeführte Studie belegt empirisch eindrucksvoll die ethnische Diskriminierung von Fachkräften ausländischer Herkunft mit einem in Deutschland erworbenen anerkannten Berufsabschluss beim Zugang zu einer ihrer Ausbildung entsprechenden Berufstätigkeit in Deutschland.

Vergleichbares gilt auch für den Zugang zu einer betrieblichen Berufsausbildung: Jugendliche ausländischer Herkunft - so die Ergebnisse einer Studie, die im Auftrag des BIBB [2] durchgeführt wurde - sind beim Zugang zu einer Berufsausbildung sowohl quantitativ als auch qualitativ aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit benachteiligt (Schaub 1991). Sie erhalten - im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil im Bundesgebiet West - unterdurchschnittlich Zugang zu einer (betrieblichen) Ausbildung im dualen System insgesamt und zudem sind sie stark unterproportional in zukunftsorientierten Berufen z. B. der IT-Branche aber auch des kaufmännischen Bereichs vertreten.

 

e) Schulabgänger ausländischer Herkunft konkurrieren mit deutschen Schulabgängern um qualifizierte betriebliche Ausbildungsplätze.

Im Vergleich zu deutschen Schulabgängern verfügen Jugendliche mit Migrationshintergrund seltener über mittlere Reife und Abitur. Sie konkurrieren daher z. T. mit schulisch besser vorgebildeten deutschen Schulabgängern um qualifizierte betriebliche Ausbildungsplätze in attraktiven gewerblich-technischen, kaufmännischen wie Dienstleistungsberufen. Die betrieblichen Auswahlkriterien und Rekrutierungsverfahren wie die sogenannten kulturneutralen Tests (s. o.) wirken sich hier doppelt benachteiligend aus, da zu den o. g. Ausgrenzungsmechanismen hinzukommt, dass die besonderen Potenziale von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, wie interkulturelle Basiskompetenzen und eine - mindestens in Ansätzen ausgebildete - Zweisprachigkeit als Auswahlkriterien und im Rekrutierungsverfahren nur selten berücksichtigt werden.

Die bestehenden Beratungsmöglichkeiten beim Übergang von der Schule in eine Ausbildung bieten Jugendlichen meist nicht hinreichend Vorschläge für eine längerfristig angelegte Bildungslaufbahn und Berufsperspektive.

Zudem sind Ausbildungsplatzbewerber ausländischer Herkunft wie deutsche Schulabgänger mit und ohne Hauptschulabschluss bei der Suche nach Ausbildungsplätzen stärker auf die Angebote der Arbeitsverwaltung angewiesen, da sie wesentlich seltener auf familiäre Netzwerke zurückgreifen können. Übrigens nehmen Schulabgänger ausländischer Nationalität das Beratungsangebot der Arbeitsämter [1] vergleichsweise stark in Anspruch.

 

3. Ausbildungserfolg im Verlauf der Berufsausbildung sichern

Neue Initiativen zur besseren beruflichen und Ausbildungsintegration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund müssen darauf angelegt sein, bisher vernachlässigte Potenziale besser auszuschöpfen und Chancen zu verbessern.

Wichtig ist es hier, unterschiedliche Bildungsvoraussetzungen und die Heterogenität in den Lebenslagen dieser Zielgruppe ähnlich wie bei deutschen Jugendlichen zu berücksichtigen (vgl. ausführlich Alt/ Granato 2001, Granato 2000).

  1. Eine Mehrheit dieser Jugendlichen hat erfolgreich eine schulische Entwicklung vergleichbar mit Jugendlichen deutscher Nationalität durchlaufen, vergleichbare Schulabschlüsse erreicht und kann daher ohne weitere Unterstützung eine Berufsausbildung erfolgreich abschließen, wenn sie einen Ausbildungsplatz finden.
  2. Ein Teil der Jugendlichen benötigt aber, um eine Berufsausbildung erfolgreich bestehen zu können, zusätzliche Unterstützung im Verlauf der Ausbildung.

Dies gilt insbesondere für Schulabgänger ohne und mit Hauptschulabschluss, die zum Teil bereits lange in Deutschland sind.

Erhalten diese Jugendlichen im Verlauf der Ausbildung eine kontinuierliche Unterstützung, so sind sie in der Lage die Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Unterstützung benötigen sie insbesondere im Fachtheoretischen.

 

4. Das Qualifikations- und Arbeitsmarktpotenzial von jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund fördern

Ein besonderes Qualifikationspotenzial, das bislang kaum ausgeschöpft wird und gleichzeitig eine Arbeitsmarktreserve darstellt, sind junge Erwachsene mit Migrationshintergrund im Alter von 20-30 Jahren.

Die geringeren Chancen von Jugendlichen mit ausländischem Pass auf eine qualifizierte Berufsausbildung spiegeln sich auch darin wider, dass sie wesentlich häufiger als die deutsche Vergleichsgruppe ohne anerkannten Berufsabschluss bleiben: Neueste Auswertungen des Statistischen Bundesamtes [14] dokumentieren, dass 1998: 40 % der 20- bis unter 30-jährigen Jugendlichen ausländischer Nationalität ohne Berufsabschluss bleiben (m: 37 %, w: 43 %) und nur 12 % der deutschen Vergleichsgruppe (m: 10 %, w: 13 %) (dazu auch Troltsch 1999).

Auch dieses Qualifikationspotenzial - so ein weiterer Beschluss der Bündnispartner - gilt es zu nutzen und den jungen Erwachsenen im Wege der Nachqualifizierung das Nachholen eines anerkannten Berufsabschlusses zu ermöglichen. Die meisten der jungen Erwachsenen besitzen bereits berufliche Erfahrungen und haben Kompetenzen in der Arbeitswelt erworben, an denen geeignete Maßnahmen ansetzen können.

Wie Untersuchungen des BIBB [2] zeigen, sind junge Erwachsene ausländischer Nationalität - Frauen wie Männer - stark an einer (qualifizierten) Erwerbsarbeit interessiert (Granato 2000b). Um ihnen eine tragfähige und dauerhafte berufliche Integration zu ermöglichen, benötigen sie den Abschluss einer anerkannten Berufsausbildung.

Hier gilt es die im Verlauf der Modellversuchsreihe "Nachqualifizierung" des Bundesinstituts für Berufsbildung entwickelten Konzepte (z. B. Davids (Hrsg.) 1998), für diese Zielgruppe zu erproben und - stärker als bisher - flächendeckend zu fördern (Bundesministerium für Bildung und Forschung u. a. (Hrsg.) 1999). In diesem Zusammenhang ist die Externenprüfung ein wichtiges Instrument (vgl. Hecker 1994).

Auch spät eingereiste Jugendliche und nachziehende junge Erwachsene verdienen ein besseres Angebot zur Nachqualifizierung in anerkannten Berufen.

Modellversuche haben gezeigt, dass junge Ausländer wie Aussiedler, die erst als Jugendliche oder junge Erwachsene einreisen, bei entsprechender Förderung, eine anerkannte berufliche Erstausbildung erfolgreich durchlaufen und abschließen.

Haben sie in ihrem Heimatland eine in sich geschlossene Schullaufbahn absolviert, so haben sie "systematisches Lernen" gelernt, besitzen eine hohe muttersprachliche Kompetenz, z. T. Erfahrungen im Erlernen einer Fremdsprache und sind oft stark bildungsmotiviert (Beer 1992). Auf der Grundlage ihrer guten muttersprachlichen Kenntnisse meistern sie, bei entsprechend kontinuierlicher sprachlicher und fachlicher Unterstützung oftmals in kurzer Zeit die sprachlichen und theoretischen Herausforderungen einer Berufsausbildung erfolgreich.

Eine Schwierigkeit besteht nach wie vor darin, dass Betriebe bisher zu selten bereit sind, Jugendliche dieser Zielgruppe auszubilden und die bestehenden Fördermöglichkeiten der Bundesanstalt für Arbeit [1] wie ausbildungsbegleitende Hilfen zu wenig kennen (Granato 2000b; Alt/ Granato 2001).

 

5. Chancengleichheit sichern - Integration durch Qualifikation

Soll die gesellschaftliche Zielsetzung einer Integration durch Qualifikation der jüngeren Generation mit Migrationshintergrund nicht politisches Statement bleiben, sondern tatsächlich realisiert werden, so sind erhebliche Anstrengungen aller gesellschaftlichen Kräfte notwendig.

Die Heterogenität der Zielgruppe Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund und die damit verbundenen komplexen Problemkonstellationen verlangen mehrdimensionale Ansätze und Maßnahmen; hierbei stellt der Spracherwerb jeweils nur eine Dimension dar. Zielgruppenspezifische und differenzierte Maßnahmen müssen u. a. in folgenden Bereichen vorgesehen bzw. umgesetzt werden (vgl. ausführlich Granato 2000; Alt/ Granato 2001):

  1. Verbesserung der Chancen beim Übergang Schule - Ausbildung,
  2. Verbesserung des Zugangs zu einer betrieblichen Ausbildung,
  3. Ausbildungserfolg in der Berufsausbildung: Unterstützung im Ausbildungsverlauf,
  4. Berufliche Nachqualifizierung,
  5. Interkulturelle Öffnung der beruflichen Bildung,
  6. Berufliche Eingliederung und
  7. Berufliche Weiterbildung.

Erst wenn Jugendliche aus Migrantenfamilien entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil in allen Branchen und Berufen die Möglichkeit der Teilnahme an einer beruflichen Ausbildung erhalten, kann von Chancengleichheit auf dem Ausbildungsstellenmarkt gesprochen werden. Erst wenn (junge) Menschen aus Migrantenfamilien in allen Branchen und Berufen und auf allen Hierarchieebenen die Möglichkeit der Teilnahme am Erwerbsleben erhalten, kann von Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt gesprochen werden.

Der Weg zur Chancengleichheit ist noch immer weit. Um so zentraler ist es, Kräfte zu bündeln und weitere Ressourcen zu aktivieren, um Chancengleichheit und gleichberechtigte Partizipation von (jungen) Menschen mit Migrationshintergrund in Ausbildung und Beruf konsequent zu realisieren.

 

Anmerkungen

1) Bei diesen für das Bundesgebiet West geltenden Angaben ist jedoch zu beachten, dass durch den Anstieg der Zahl der Einbürgerungen in den letzten Jahren - gerade bei Jugendlichen türkischer Staatsangehörigkeit - ein zunehmender Teil der Jugendlichen aus der Statistik derjenigen mit ausländischer Staatsangehörigkeit herausfällt (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2001). Dies kann zu Ungenauigkeiten in den o. g. Angaben führen.
 

Literatur

Alt, Christel; Granato Mona (2001): Berufliche Bildung einschließlich Nachqualifizierung junger Erwachsener mit Migrationshintergrund. In: Forum Bildung (Hrsg.): Bildung und Qualifizierung von Migrantinnen und Migranten - Anhörung des Forum Bildung am 21. Juni 2001 in Berlin. Materialien des Forum Bildung 11. Forum Bildung, Bonn

Arbeitsgruppe "Aus- und Weiterbildung" im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit (2000): Beschluss vom 26. Juni 2000 zur Aus- und Weiterbildung von Migrantinnen und Migranten. In: ibv, Nr. 35 vom 30.August 2000, S. 3473 ff.

Beer, Dagmar (1992): Lern- und Integrationsprozess ausländischer Jugendlicher in der Berufsausbildung. Bundesinstitut für Berufsbildung. Berlin

Bethscheider, Monika; Granato, Mona; Kath, Folkmar; Settelmeyer, Anke (2001): Grenzenlos zum Erfolg - Das wirtschaftliche Potential Zugewanderter. Beitrag zum Gesellentag der Handwerkskammer Dortmund 2001 (unveröffentlichtes Manuskript). Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn

Brosi, Walter; Troltsch, Klaus; Ulrich, Joachim Gerd (2001): Rückblick auf den Ausbildungsstellenmarkt 2000. In: Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.) (2001): Nachfrage Jugendlicher nach Ausbildungsplätzen. Analysen und Prognosen 2000-2015. Forschung spezial 2. Bonn

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2001): Berufsbildungsbericht 2001. Bonn

Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bundesinstitut für Berufsbildung, Bundesanstalt für Arbeit, Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt und Sozialpolitik GmbH (INBAS) (Hrsg.) (1999): Neue Wege zum Berufsabschluss - ein Handbuch zur berufsbegleitenden Nachqualifizierung an- und ungelernter (junger) Erwachsener. Bonn, Berl, Nürnberg, Frankfurt a.M.

Davids, Sabine (Hrsg.) (1998): Modul für Modul zum Berufsabschluss. Berufsbegleitende Nachqualifizierung zwischen Flexibilität und Qualitätssicherung. Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.): Berichte zur beruflichen Bildung, Bielefeld

Granato, Mona; Werner, Rudolf (1999): Sinkende Ausbildungschancen für Jugendliche mit ausländischem Pass: motiviert, engagiert und dennoch weniger Chancen? In: Vermittlungsdienste der Bundesanstalt für Arbeit, Nr. 16

Granato, Mona (2000): Förderung der Teilhabe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Ausbildung und Beruf. In: Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.): Berufsausbildung Jugendlicher ausländischer Herkunft. Pressereferat. Veröffentlichungen und Materialien aus dem BIBB. Pressereferat, Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn. Bestellung über pr@bibb.de [12]

Granato, Mona (2000a): Junge Frauen zwischen Schule und Ausbildung. Chancen junger Frauen aus Migrantenfamilien. In: Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.): Jugendliche in Ausbildung und Beruf. Ergebnisse, Veröffentlichungen und Materialien aus dem BIBB. Pressereferat, Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn. Bestellung über pr@bibb.de [12]

Granato, Mona (2000b): Junge späteingereiste Frauen: Chancen und Möglichkeiten für eine berufliche Qualifizierung. In: Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren, Jugendliche und Stiftung SPI (Hrsg.) (2000): Mädchen in sozialen Brennpunkten. Berlin, Bonn

Hecker, Ursula (1994): Externenprüfung - eine Chance zum nachträglichen Berufsabschluss. Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.): Berufsausbildung nachholen. Wege zum nachträglichen Berufsabschluss für ungelernte (junge) Erwachsene. Ergebnisse, Veröffentlichungen und Materialien aus dem BIBB, Berlin, S. 49-60

Müller, Annette (1996): Förderkonzept Deutsch als Zweitsprache im ausbildungsbegleitenden Deutschunterricht; S. 13-20. In: Bildungsarbeit in der Zweitsprache Deutsch Nr. 3

Schaub, Günther (1991): Betriebliche Rekrutierungsstrategien und Selektionsmechanismen für die Ausbildung und Beschäftigung junger Ausländer. Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.). Berlin

Sprachverband Deutsch für Ausländische Arbeitnehmer (Hrsg.) (1998): Artikel zum Thema berufsorientierter/ berufsbezogener Deutschunterricht. Stand Oktober 1998, Mainz

Troltsch, Klaus (1999): Jugendliche ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Struktur und Biographiemerkmale. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Heft 5

Unabhängige Kommission Zuwanderung (2001): Zuwanderung gestalten, Integration fördern. Bericht der Unabhängigen Kommission "Zuwanderung". Berlin

Unabhängige Kommission Zuwanderung (2001a): Zuwanderung gestalten - Integration fördern, Zusammenfassung.. Bericht der Unabhängigen Kommission "Zuwanderung". Berlin

Werner, Rudolf (2000): 30.000 Ausbildungsverträge in neu entwickelten Berufen. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Heft 2

 
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