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2. Berufsorientierung im Spannungsverhältnis von Bildungs- und Beschäftigungssystem

 

Reetz, Lothar (1999): Zum Zusammenhang von Schlüsselqualifikationen – Kompetenzen – Bildung.

In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, Bd. 37, Bonn 1999, S. 13 - 20.

 

1. Problemstellung

[/S. 32:] In der Berufsbildung hat sich ein Zielsystem etabliert, das aus der Diskussion um die Schlüsselqualifikationen hervorgegangen ist. An dieser Diskussion hat sich die universitäre Berufs- und Wirtschaftspädagogik zunächst nicht sonderlich intensiv beteiligt.

Die erste Diskussionsrunde erfolgte im Anschluss an Mertens' 1973/74 veröffentlichtes Plädoyer für ein Konzept von Schlüsselqualifikationen, dass das arbeitsmarktbezogene Argument der mangelnden Prognostizierbarkeit konkreter Arbeitsanforderungen im Betrieb zum Programm erhob. Wegen der Mängel einer auf Qualifikationsforschungen aufbauenden Prognostik und wegen der so genannten beschleunigten Zerfallszeit von Bildungsinhalten ("Obsoleszenztempo") wollte Mertens die Qualifikationen der Arbeitskräfte flexibilisieren anhand der bekannten vier Typen von Schlüsselqualifikationen:

Basisqualifikation: z. B. Denkschulung;
  Lehrstoffbeispiel: formale Logik
Horizontalqualifikationen: z. B. Informationsnutzung;
  Lehrstoffbeispiel: Bibliothekskunde
Breitenelemente: Spezialkenntnisse, die allgemein bedeutsam geworden sind;
  Lehrstoffbeispiel: Messtechnik
Vintagefaktoren: Inhalte, die die Bildungsdifferenz zwischen den Generationen aufheben sollen;
  Lehrstoffbeispiel: Programmiertechniken

Die damalige Kritik bezog sich vor allem auf Art und Form der vorgeschlagenen Inhalte, da die angestrebten Schlüsselqualifikationen offenbar nicht an komplexen Arbeitsaufgaben und ohne Bezug auf konkrete Arbeitsprozesse an abstrakten Lehrgegenständen wie formale Logik, Netzplantechnik usw. vermittelt werden sollten. Verwiesen wurde kritisch besonders auf die sich dadurch verschärfende Transferproblematik. Die nicht unproblematische These von der schnellen Entwertung konkreten Fachwissens schien einigermaßen plausibel, aber der bloße Austausch derartigen Fachwissens durch abstraktes Schlüsselwissen gab offenbar doch kein didaktisch befriedigendes Programm ab (Boehm et.al. 1974; Elbers et.al. 1975; Reetz 1976). [/S. 33:]

Die zweite Diskussionsrunde gegen Ende der 80er Jahre verschaffte dem Terminus der Schlüsselqualifikationen und dem dahinter sich verbergenden Ansatz mehr berufspädagogische Aufmerksamkeit, erbrachte Begründungsansätze und zeigte bildungspolitische Wirkungen. Gleichwohl verlief die Rezeption der "Schlüsselqualifikationen" in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik zunächst eher zurückhaltend:

"Bevor auf ausbildungspolitischer Ebene curriculare Entscheidungen über ein revidiertes Zielkonzept der Berufserziehung fallen, bevor "Schlüsselqualifikationen" zur verbindlichen Vorgabe für die Ausbildung in Betrieb und Schule erklärt werden, sollte eine gründliche und vorurteilslose Aufklärung des Sachverhaltes erfolgen, auf denen sich die Wortführer der didaktischen Reform beziehen" (Zabeck 1989).

Einer derartigen Aufklärung galten fortan meine Bemühungen, weil ich der Meinung war und bin, dass sich mit dem Konzept der Schlüsselqualifikationen die Chance eröffnet, Berufsbildung auf Basis der Fachbildung für eine fach- und berufsübergreifende Qualifizierung zu öffnen, die beruflichen Lernprozesse in Betrieb und Schule als Förderung der Persönlichkeitsentwicklung zu gestalten und damit auch an die berufspädagogische Tradition der Berufserziehung als "Bildungsprozess" anzuknüpfen.

Um einen solchen berufspädagogischen Anspruch der Persönlichkeitsbildung sichern zu helfen, wurde 1989 auf dem Symposium "Schlüsselqualifikationen - Fachwissen in der Krise?" ein Konzept entworfen, mit dem die Förderung von Schlüsselqualifikationen in den pädagogischen Zusammenhang von "Bildsamkeit und Bestimmung" bzw. von "Entwicklung und Erziehung" gestellt werden konnte:

Dies sind die Titel der beiden Bände der Pädagogischen Anthropologie von Heinrich Roth. Im ersten Band legt Roth die interdisziplinären Befunde über Bildsamkeit und Lernfähigkeit in Form einer pädagogischen Persönlichkeits- und Handlungstheorie vor; im zweiten Band stellt er die Entwicklungs-, Lern- und Erziehungsprozesse dar, die den Menschen im Zuge der Ausformung seiner Selbst-, Sach- und Sozialkompetenz "in die mündige Selbstbestimmung zu führen vermögen" (Roth 1971, S. 17, S. 388 f.). Insgesamt hat Roth hier eine umfassende Entwicklungspädagogik vorgelegt, welche die ihr gebührende Aufmerksamkeit in der Erziehungswissenschaft erst in jüngster Zeit zu finden scheint (Achtenhagen 1996, S. 24; Aufenanger 1992, S. 15 ff.; Bauer 1997, S. 102 f.).

Die ähnliche Verwendung des Kompetenzbegriffes in Roths pädagogischer Anthropologie wie in der Schlüsselqualifikationsdiskussion ist sicher nicht zufällig, [/S. 34:] vor allem wenn man sieht, dass Roth über den von ihm maßgeblich mitbeeinflussten zweiten Deutschen Bildungsrat zur Verbreitung des Kompetenzbegriffes in der Erziehungswissenschaft beigetragen hat (Achtenhagen 1996; Deutscher Bildungsrat 1974, S. 49).

Der Kompetenzbegriff hat in der Schlüsselqualifikationsdiskussion von Anfang an eine wichtige Rolle gespielt. So habe ich z. B. in meinen grundlegenden Aufsätzen zu diesem Thema (Reetz 1989, 1990, S. 17 f.) darauf aufmerksam gemacht, dass die Zielformel der Schlüsselqualifikationen nicht nur qualifikations- und arbeitsmarkttheoretisch oder curriculumtheoretisch, sondern vor allem kompetenztheoretisch zu interpretieren sei.

Inzwischen hat der Kompetenzbegriff Eingang in die Ordnungsmittel der Berufsbildung gefunden (vgl. Stiller 1998). Besonders aber angesichts der ausufernden Verwendung des Kompetenzbegriffes in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik, vornehmlich in der berufspädagogischen Weiterbildungsdiskussion stelle ich mit einiger Verwunderung fest, dass dieser Terminologie nicht annähernd so viel didaktische bzw. ideologiekritische Auseinandersetzung zuteil wird, wie dem Begriff der Schlüsselqualifikationen.

Ich möchte deshalb im Folgenden einige Anmerkungen zur Kompetenz-Thematik machen, die der Klärung des Verhältnisses von Schlüsselqualifikationen - Kompetenz und Bildung dienlich sein könnten (Abschnitt 3).

In Weiterführung dieser Gedanken geht es mir hier dann um die Frage, wie mit der Einbindung der Schlüsselqualifikationen in das Konzept einer Persönlichkeitsentwicklung (Reetz 1990) eine Rückbesinnung auf das pädagogische Grundprinzip der Bildung wirksam werden kann; und zwar in der Weise, dass Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen über die kurzfristigen Qualifizierungsergebnisse hinaus auf Persönlichkeitsförderung des einzelnen Menschen in Richtung beruflich-fachlicher, sozialer und humaner Mündigkeit angelegt sind oder sein sollten.

Dass dieses Postulat, nämlich "die individuelle Förderung der Persönlichkeit ins Zentrum von Lehr-Lernprozessen zu stellen", gegenwärtig Realisierungschancen hat, darauf verweist auch Frank Achtenhagen (Achtenhagen 1996, S. 27) im Kontext seiner Konzeptionierung von "ökonomischer Kompetenz":

"Diese genuin pädagogische Zielsetzung hat ihre eigene Berechtigung und darf nicht instrumentalisiert werden. Das ist deswegen besonders hervorzuheben, weil inzwischen auch die Betriebe immer deutlicher erkennen, dass die umfassende Persönlichkeitsentwicklung eine wichtige Vorbedingung für das Erbringen ausgezeichneter Arbeitsleistung darstellt, so dass man in dieser Perspektive [/S. 35:] von einer "Koinzidenz ökonomischer und pädagogischer Vernunft" sprechen kann" (Deutsche Forschungsgemeinschaft 1990, S. VII).

In diesem Zitat wird auf die sich verdichtende Annahme verwiesen, dass Veränderungen in dem Produktionsformen der großen Industrie wie auch im Dienstleistungssektor zu einer Konstellation geführt haben, in der Qualifikation und Bildung nicht von vornherein als unvereinbare Ansprüche auftreten, sondern eher als einander bedingende komplementäre Größen.

Demgegenüber war es in den 70er Jahren in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik eine der bevorzugten Thesen, dass Persönlichkeitsentwicklung unter restriktiven Bedingungen der betrieblichen Sozialisation kaum möglich sei, dass also der Mensch hinter seinen Werdemöglichkeiten (Bildung) zurückbleiben müsse zugunsten sozialer Anpassung und eng geführter betrieblicher Qualifizierung.

Diese Argumentationsfigur der Berufs- und Wirtschaftspädagogik reicht zurück in die bildungstheoretisch inspirierte langjährige Diskussion um Berufs- und Allgemeinbildung und hängt dadurch zusammen mit einem weiteren Argument bildungstheoretischer Tradition: dem Verweis darauf, dass das Schlüsselqualifikationskonzept formale Bildung bedeute, deshalb abzulehnen, zumindest skeptisch zu beurteilen sei.

Da ich dieser Frage an anderer Stelle ausführlich nachgegangen bin (Reetz 1999), werde ich hierauf nur kurz an entsprechender Stelle eingehen, wenn ich in Abschnitt 4 den Gedanken einer entwicklungspädagogischen Orientierung von Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen am Bildungsbegriff skizziere. Zuvor jedoch möchte ich auf die Aktualität der Schlüsselqualifikationen aus der Perspektive der Qualifikationsforschung aufmerksam machen.

 

2. Zur Aktualität von Schlüsselqualifikationen aus der Perspektive des Beschäftigungssystems

Die entscheidenden Impulse für die Aufnahme von Schlüsselqualifikationen in das Zielsystem der Berufsbildung gingen von dem betrieblichen Partner des dualen Systems aus. Symptomatisch hierfür waren die Aktivitäten der betrieblichen Ausbilder, wie sie etwa in den Jahrestagungen der gewerblichen und kaufmännischen Ausbildungsleiter der 80er Jahre und insbesondere im "Petra"-Projekt der Firma Siemens zum Ausdruck kamen (Boretty et.al. 1988; Litzenberg/ Tripp 1987). Den Hintergrund dieser Aktivitäten bildeten gravierende Veränderungen im Beschäftigungssystem. Sie betrafen vor allem Tätigkeits- und Anforderungsveränderungen aufgrund des beginnenden Wandels der Marktstrukturen und im Zusammenhang der breiten Einführung der neuen Technologien sowie den damit verbundenen organisatorischen Veränderungen in den [/S. 36:] Betrieben. Ähnlich der These Kern/ Schumanns (1984) vom "Ende der Arbeitsteilung" gewerblich-technischer Tätigkeiten prognostizierten Baethge/ Oberbeck 1986 den "Abschied vom Taylorismus". Demnach hat die Einführung von neuen Technologien eine "systemische Rationalisierung" zur Folge, die im gewerblich-technischen Sektor den Facharbeiter zum planenden, steuernden und kontrollierenden "Systemregulierer" werden lässt und die im Dienstleistungssektor eine neue Stufe der Entwicklung von Büroarbeit darstellt. Durch das Zusammenwirken von systemischer Rationalisierung und unmittelbarem EDV-Einsatz ergibt sich für die Büroarbeit eine neue Handlungsstruktur qualifizierter Sachbearbeitung.

Nahezu zehn Jahre später wird immer deutlicher, dass die Bewältigung dieser Handlungsstruktur "eines vielfältigen und hochdifferenzierten Qualifikationsprofils" bedarf (Baethge/ Baethge-Kinsky 1995, S. 150 f.). Zu dem vornehmlich zu rechnen sind:

  • die Fähigkeit zu schneller Datenselektion auf Basis guter Fachkenntnisse und die Fähigkeit, mit den selbstständig analysierten und interpretierten Daten strategisch in der eigenen Organisation und am Markt umzugehen;
  • marktkommunikative und interne sozialkommunikative Fähigkeiten (Kooperation), die die Bedeutung "kommunikativer Kompetenz" markieren;
  • berufsfachlich basierter kritischer Umgang mit dem Computer;
  • Fähigkeit zu "Organisierung der eigenen Arbeit";

Anstelle technisch-organisatorisch determinierter Arbeitsvollzüge treten sichtbar "Selbstorganisation", "Selbstverantwortung" und "sozialkommunikatives Handeln" als Bestandteile der Arbeitsprofile, wie Baethge und Baethge-Kinsky (Baethge/ Baethge-Kinsky 1995, S. 150 ff.) zusammenfassend feststellen.

Man kann also die wachsende Bedeutung, die den Schlüsselqualifikationen in den 80er Jahren beigemessen wurde, als ein Symptom für die zunehmenden Strukturveränderungen unseres Beschäftigungssystems in Richtung Flexibilität betrachten.

In den 90er Jahren setzt sich dieser Trend verstärkt fort: Betriebe sehen sich einem gewaltigen Veränderungsdruck ausgesetzt, der aus der technologischen, der ökonomisch-wettbewerbsmäßigen und der gesellschaftlichen Entwicklung resultiert. [/S. 37:]

Die technologische Entwicklung vor allem der Kommunikationsmedien hat eine Temposteigerung der Informationsübermittlung zur Folge, die zugleich das Wissen über weit entfernte gleichzeitige Geschehnisse erhöht. Damit wachsen Komplexität und Dynamik der Umwelt- und Umfeld-Bedingungen erheblich an.

Davon ist vor allem auch die ökonomische Entwicklung des Wettbewerbs betroffen. Die Betriebe verändern ihre Marktstrategien und betrieblichen Organisationsstrukturen. Dabei geht die Personalentwicklung mit der Organisationsentwicklung eine enge Verbindung ein und wird zur "strategieorientierten" Personalentwicklung (Riekhof 1992; Sattelberger 1991). Im Zuge dieser Entwicklungen werden die im Menschen schlummernden Kräfte und Fähigkeiten zu Kreativität und Selbstorganisation "entdeckt" (Antoni 1992). Die Aktivierung dieser "Human-Ressourcen" wird gar zum "Bestimmungsfaktor für die Wettbewerbsposition" (Laukamm 1992) erklärt.

Man begreift deshalb Unternehmen als lernende Organisationen (Geißler 1994a, 1994b) und mit dem Wandel von Verkäufermärkten zu Käufermärkten orientiert sich die betriebswirtschaftliche Wertschöpfung zunehmend am Kunden. Konzepte von Lean-Production und Lean-Management (Pfeiffer/ Weiss 1994) sowie Business-Prozess-Reengineering (Hammer/ Champy 1994) verschaffen sich auch in Deutschland Geltung und führen zur Abkehr von den traditionellen Organisationsprinzipien, wie sie im Zuge der Massenproduktion nach Ford und Taylor das organisatorische Denken unseres Jahrhunderts beherrscht haben (vgl. auch Lumpe/ Wagner 1997).

Aus berufssoziologischer Sicht charakterisieren Baethge/ Schiersmann (1998; 1999) diese Entwicklungen - nicht generalisierend, sondern in Form von Trendaussagen - als Prozesse der "internen" und der "externen" Flexibilisierung. Demzufolge verlangt die beginnende Globalisierung der Märkte eine innere organisatorische Flexibilisierung, die den "Wandel von einer funktions-/ berufsorientierten zu einer prozessorientierten Betriebs- und Arbeitsorganisation bestimmt". In engem Zusammenhang mit dieser internen Flexibilisierung wird die externe Flexibilisierung gesehen. Sie betrifft die Entstehung neuer Beschäftigungsformen, die nicht mehr durch hohe berufliche Kontinuität, stabile Betriebsbindung und lebenslange Vollerwerbstätigkeit gekennzeichnet sein werden. Tendenzen der Segmentierung verstärken sich.

Im Zuge der internen Flexibilisierung durch stärkere Prozessorientierung ergeben sich auch erhebliche Veränderungen bezüglich des Einsatzes und der Akzentuierung der erforderlichen Qualifikationen:

  • Dezentralisation, Projektförmigkeit und Querfunktionalität der Arbeitsprozesse führen z. B. dazu, dass die "schnelle und jeweils aufgabenbezogene [/S. 38:] Integration unterschiedlicher Fachlichkeiten von entscheidender Bedeutung" wird.

  • Das bedeutet auch, dass an die Flexibilität des Wissens, genauer: an die flexible Verfügbarkeit und Erweiterbarkeit des Wissens, erhöhte Anforderungen zu stellen sind. In diesem Zusammenhang "wachsen die Anforderungen an Selbstständigkeit, Selbstorganisation, Koordinierungs- und Kommunikationsfähigkeit erheblich" (Baethge/ Schiersmann S. 8 f.; Schumann/ Gerst 1996; Gerst 1998).

Insgesamt erhält die Vermittlung von sozial-kommunikativen Kompetenzen in der Aus- und Weiterbildung ein starkes Gewicht.

 

3. Das Konzept der Schlüsselqualifikationen als System von Kompetenzen

Gerade weil die aktuelle Relevanz von "Sozialkompetenz" so hervortritt, dürfte eine Besinnung auf den Zusammenhang der Kompetenzen, ihren Systemcharakter, von Bedeutung sein.

Mein Versuch, Schlüsselqualifikationen mit Bezugnahme auf Roths Pädagogische Anthropologie als ein System von Kompetenzen zu konzeptionieren, geschah unter anderem in der Absicht, die bereits damals ausufernden Listen von "Schlüsselqualifikationen" überprüfbar zu machen und ggf. auf Persönlichkeitspotenziale, eben Kompetenzen, zurückzuführen, die für den Erwerb beruflicher Handlungsfähigkeit als grundlegend zu betrachten sind. Systemcharakter sollte dieses Konzept bekommen einerseits durch die Relationen der Kompetenzen/ Schlüsselqualifikationen zur Zielkategorie der Handlungskompetenz, andererseits durch die Relationen der Kompetenzen untereinander.

Bevor ich jedoch näher darauf eingehe, möchte ich einiges zur begrifflichen Klärung des Verhältnisses von "Schlüsselqualifikationen" und "Kompetenzen" voranstellen.

In pädagogischer Sicht zielt der Begriff der Kompetenz auf menschliche Fähigkeiten, die dem situationsgerechten Handeln zugrunde liegen und dieses erst ermöglichen. So wird mit beruflicher Handlungskompetenz das reife Potenzial beruflicher Fähigkeiten bezeichnet, das es dem Menschen erlaubt, entsprechend den Leistungsanforderungen, die in konkreten beruflichen Situationen gestellt werden, zu handeln. Aus der Sicht des Beschäftigungssystems werden die jeweils nachgefragten, aktuell verwertbaren Fähigkeiten, derartigen Leistungsanforderungen gerecht zu werden, als Qualifikationen bezeichnet. Aus der pädagogischen Perspektive einer Kompetenz bilden die abgeforderten Qualifikationen [/S. 39:] aber nur einen Teil des Potenzials, das mit beruflicher Handlungskompetenz umschrieben wird. Der Kompetenzbegriff ist also gegenüber dem Qualifikationsbegriff nicht nur umfassender, er bringt auch die jeweilige Fähigkeit zur Erzeugung von Verhalten auf Basis von individueller Selbstorganisation stärker zum Ausdruck (Bunk 1994, S. 10; Erpenbeck/ Heyse 1996, S. 38 f.). Dieser, dem pädagogischen Kompetenzbegriff zugehörige Grundgedanke, ist auf Einflüsse der linguistischen Kompetenztheorie Chomskys zurückführbar. Seine Unterscheidung von "Kompetenz" und "Performanz" geht von der Tatsache aus, dass dem Oberflächen-Verhalten (Performanz) des aktuellen Sprechens in der Tiefenstruktur der Person und seines Wissens ein Sprachpotenzial (Kompetenz) zugrunde liegt, aus dem heraus mehr Sätze erzeugt werden können, als jemals tatsächlich geäußert werden (vgl. Witt 1975).

Im Unterschied zu Chomsky geht man in der Pädagogik davon aus, dass auch die zugrunde liegende Tiefenstruktur der Kompetenz nicht angeboren, sondern erworben ist. Ihre Erforschung ist vor allem Piaget und den ihm verbundenen kognitiven Lern- und Entwicklungstheoretikern zu verdanken. Sie richten ihr Hauptaugenmerk auf den Erwerb von Kompetenzen als Folge von Entwicklungs- bzw. Lernprozessen. Wenn man den Sachverhalt der Erzeugung von Sprachhandeln auf berufliches Handeln schlechthin bezieht, kann man von Erschließungsfähigkeit oder - bildkräftiger - von Schlüsselfähigkeit sprechen. Da diese Fähigkeit auf die Generierung von verwertbaren Verhaltensweisen (Qualifikationen) gerichtet ist, liegt es nahe, von Schlüsselqualifikationen zu sprechen; und dies, obwohl in diesem Sprachmodell nicht die anforderungs- und situationsnahen Qualifikationen, sondern eher die personennahen gleichwohl auch in Relation zu Handlungssituationen befindlichen Kompetenzen das generierende und erschließende Potenzial darstellen. Kath hat aus ähnlichen Erwägungen heraus daher 1990 vorgeschlagen, von "Schlüsseldispositionen" zu sprechen (vgl. auch Erpenbeck/ Heyse 1996, S. 36). Mit anderen Worten: Der Terminus "Schlüsselqualifikationen" gibt zu Missverständnissen Anlass, weil er seiner Bedeutung nach nicht Qualifikationen sondern Kompetenzen intendiert. Er ist aber eine - wie sich gezeigt hat - recht wirksame Metapher, den dahinter stehenden Kompetenzgedanken transportieren zu helfen. Nun hat diese bereits eine sozialnormative Bedeutung erlangt, so dass man sie als Bestandteil einer "öffentlichen Semantik" ansehen kann (Jutzi 1997, S. 307). Die in dieser Semantik enthaltenen Bedeutungen weisen eine große Bandbreite auf: Einerseits erhalten recht enge Qualifikationen - wie z. B. im Siemens-Projekt PETRA (Boretti et.al. 1988) - den Status von "Schlüsselqualifikationen", andererseits werden auch Personeigenschaften, die von beruflichem Handeln losgelöst erscheinen, als Schlüsselqualifikationen bezeichnet (Jutzi 1997, S. 319 ff.). Auf diese Weise kommen dann ausgedehnte Schlüsselqualifikations-Listen zustande, deren Volumen gelegentlich kritisch gegen das Konzept überhaupt eingewandt wird. [/S. 40:]

Die öffentliche Semantik findet ihren Niederschlag in der Diktion der Ordnungsmittel der Berufsbildung. Hierzu heißt es pragmatisch eindeutig: "Der Begriff Schlüsselqualifikationen wird im Zusammenhang mit Neuordnungen von Ausbildungsberufen synonym für methodische, soziale und personale Kompetenzen thematisiert und operationalisiert" (Stiller 1998; Reisse 1997).

Nun darf die Kodifizierung der das Schlüsselqualifikationskonzept bestimmenden Kompetenztrias (Methoden-, Sozial-, humane Selbstkompetenz) in den Ordnungsmitteln nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Operationalisierung dieser Kompetenzen noch immer eine zu lösende Aufgabe bleibt. Dass es sich dabei nicht um die gleiche Art der Operationalisierung handeln kann, die die seinerzeit vorherrschende behavioristische, also performanzorientierte Lernzielprogrammatik bestimmte, liegt an der Komplexität des Kompetenzbegriffes, dessen Auftreten zu Beginn der 70er Jahre ja zugleich auch ein sich änderndes Lehr- und Lernziel-Verständnis mit sich brachte, nachdem der Deutsche Bildungsrat 1974 Kompetenzen als Ziele von Lernprozessen herausgestellt hatte. Vielfach geht es also eher um Konkretisierung, um "Kleinschreiben" der großen Ziele und um Sequenzierung der Lerninhalte und Teilziele in Form von Aufgabenstellungen, die Grundlage der Kompetenzen sind (Meyer 1975, S. 59).

Die von mir - in Anlehnung an Roth - bevorzugte Systematik von Sach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz kann auch als Einstieg in eine "Operationalisierung" und Aufklärung über die "wechselseitige Bedingtheit" (Achtenhagen 1996, S. 24) der kompetenzbeschreibenden Kategorien gesehen werden.

Betrachtet man in diesem Zusammenhang z. B. die Schlüsselqualifikations-Systematik, die dem Hamburger Modellversuch "Schlüsselqualifikationen für Kaufleute im Einzelhandel" zugrunde gelegt wurde (Schopf 1992), so wird eine Komplexionshierarchie erkennbar, die vertikal auf die Zielkategorie der Handlungskompetenz bezogen ist und die horizontal die Relationen der Kompetenzen untereinander andeutet. [/S. 41:]

Abb. 1

Handlungs-Kompetenz
 
Selbst-

Sach-/ Methoden-

Kompetenz

Sozial-
 
Schlüsselqualifikationen
 

Persönlich-

charakterliche

Grundfähigkeiten

Allgemeine kognitive

Leistungsfähigkeit

Kommunikative

Fähigkeiten

 
  • Initiative
  • Verantwortung

  • Fähigkeit zur Erfassung komplexer Situationen (Denken in Zusammenhängen)
  • Problemlösungsfähigkeit

  • Kooperationsfähigkeit sozial-kommunikativ)
  • Verhandlungsfähigkeit (marktkommunikativ)

 

So erscheint plausibel, dass z. B. "Verhandlungsfähigkeit" als marktkommunikative Fähigkeit eine Spielart von Kommunikationsfähigkeit bzw. ein Indikator von Sozialkompetenz sein kann. Andererseits überlagert diese "vertikale" Zuordnung (gemäß einer eher nach Abstraktionsgraden gestuften Merkmalshierarchie) die "horizontalen" Relationen, etwa zwischen Sach- und Methodenkompetenz und zwischen den anderen Kompetenzvarianten.

Diese Beziehungen ließen sich etwa folgendermaßen skizzieren:

Sachkompetenz betrifft die allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit des Individuums, d. h., die Fähigkeit zu sacheinsichtigem und problemlösendem Denken und Handeln.

Mit dem Begriff wird also auf die Fähigkeit verwiesen, sachstrukturelles und strategisches Handlungswissen so aufeinander zu beziehen, dass Problemlösungen in spezifischen Bereichen anforderungsgerecht gelingen.

Eine Erweiterung der Sachkompetenz ergibt sich durch Ausformung situativ erlernter, gleichwohl übergreifender Strategien und Heurismen (Findungs- und Lösungsverfahren). Ein breites und flexibles Inventar an Handlungsalgorithmen und Heurismen begründet Methodenkompetenz. Sie beruht im Wesentlichen darauf, dass jemand seine Sachkompetenz auf gut ausgebauter epistemischer und heuristischer Wissensstruktur gründen kann (Doerner 1987). Als Merkmal der Kreativität wird angesehen, wenn jemand über ein breites und gut ausgebautes [/S. 42:] Inventar von Heurismen verfügt und selbst ad hoc neue Heurismen erstellen kann. Damit haben wir auch den Kern dessen bloßgelegt, was wir (kreative) Methodenkompetenz nennen können. Von ihr ist zu sprechen, wenn das Anwenden können unterschiedlichster Verfahrensweisen auf der Fähigkeit basiert, über ein breites Repertoire von Heurismen zu verfügen und dies bei Bedarf durch Neukonstruktionen zu erweitern.

Das von Frank Achtenhagen vorgestellte Konzept zur "Entwicklung ökonomischer Kompetenz als Zielkategorien des Rechnungswesens" kann als Ausdruck von Sachkompetenz und von fachspezifischer Methodenkompetenz angesehen werden, wobei auch die Vernetzungen zu Sozial- und Selbstkompetenz deutlich erkennbar werden. Denn: Sach- und methodengerechtes Handeln allein entsprechen nicht schon mündiger Handlungskompetenz. Handeln muss auch sozial vertretbar und moralisch verantwortbar sein; d. h., Handlungskompetenz als Fähigkeit zu mündigem Handeln umschließt auch Sozialkompetenz und humane Selbstkompetenz (vgl. Erpenbeck/ Heyse 1996, S. 39).

Sozialkompetenz betrifft ebenso kooperatives und solidarisches, wie sozialkritisches und kommunikatives Handeln können. Kommunikative Kompetenz zielt auf Fähigkeiten zu diskursiver Verständigung möglichst unter den Bedingungen symmetrischer (chancengleicher) Kommunikation.

Selbstkompetenz betrifft die Fähigkeit zu moralisch selbstbestimmtem humanen Handeln. Dazu gehört neben der Behauptung eines positiven Selbstkonzeptes (Selbstbildes) vor allem die Entwicklung zu moralischer Urteilsfähigkeit.

Diese Zusammenhänge werden z. B. unter anderem thematisiert in den Untersuchungen zur kommunikativen Kompetenz bei Van Buer 1995, Van Buer/ Matthäus (1994) und Wittmann (1996; 1998). Mit Bezugnahme auf Habermas (1981) wird am Beispiel des "gelungenen" marktkommunikativen Verkäuferhandelns (bei Bank-/ und Einzelhandelskaufleuten) der konflikthafte Dualismus von strategischem und auf Konsensbildung und kommunikativem Handeln verdeutlicht (Van Buer/ Matthäus 1994, S. 74 f.; Wittmann 1998).

Wenn man diese beiden "Grundrichtungen" kommunikativen Handelns operationalisierend in die didaktische Ebene transformiert, so tritt der Zusammenhang von kommunikativer Sozialkompetenz und humaner Selbstkompetenz zutage: Ein Beispiel hierfür bieten die von dem St. Gallener Wirtschaftsethiker P. Ulrich herausgegebenen Lehreinheiten zum Thema "Ethik in Wirtschaft und Gesellschaft", die u. a. auch die Dilemma-Fallstudie zum Widerstreit zwischen ökonomisch-strategischem und human bestimmtem kommunikativem Handeln beim Verkaufen enthält (Ulrich 1996, S. 105 ff.). Es handelt sich bei diesem fallbasierten Lernarrangement um curriculare Inhalte und Anlässe, mit denen [/S. 43:] versucht werden kann, moralische Urteils- und Handlungsfähigkeit - etwa gemäß dem Kohlbergschen Stufenaufbau - durch reflexives "Sich-Bilden" höher zu entwickeln (Oser/ Althoff 1992, S. 41 ff.).

Das entspräche der Aufgabe, die z. B. Zabeck der wirtschaftsberuflichen Erziehung stellt, der zufolge der einzelne Mensch dazu befähigt werden soll, "den ökonomischen Aspekt zu beachten und ihn im Handeln in Verantwortung zu relativieren" (Zabeck 1991, S. 535). Eine solche - auch in der Geschichte der Pädagogik und ihrer Bildungstheorie tief verwurzelte - Aufgabenstellung, erhält allerdings in jüngst veröffentlichten wirtschaftspädagogischen Forschungen und Empfehlungen zur "Kompetenzentwicklung" eine Alternative: Beck (1996) und Beck et. al. (1998) haben in ihren Untersuchungen bei Versicherungslehrlingen herausgefunden, dass ihre Probanden in privaten Situationen anders, nämlich im Sinne Kohlbergs ethisch anspruchsvoller urteilen, als in marktbezogenen Situationen (Segmentierungsthese). Die Autoren nehmen ihre Befunde zum Anlass, zu fordern, "dass junge Auszubildende lernen sollen, moralisch zu differenzieren, sich etwa in marktbezogenen Kontexten am strategischen Prinzip der Stufe 2 zu orientieren, in teambezogenen Kontexten dagegen an den Prinzipien von Stufe 3 und 4" (Beck et. al. 1998, S. 208).

Logik und Konsequenzen einer solchen marktorientierten Moral können an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Hier geht es in erster Linie um die Verdeutlichung des Zusammenhanges von Ziel komplexen innerhalb einer Systematik von Schlüsselqualifikationen, in diesem Falle um den Zusammenhang von sachbezogen ökonomischer, sozialer und moralischer Kompetenz.

Mit der Feststellung, dass ein Zusammenhang zwischen Kompetenzen besteht und dass sich dieser in der konkreten lernenden Auseinandersetzung mit relevanten komplexen Lehr-Lern-Arrangements entfaltet, bleibt die Frage nach pädagogischen Aufbauprinzipien von Kompetenzentwicklung noch nicht beantwortet.

Auch die unter dem Etikett "Kompetenzentwicklung" vor allem in der betrieblichen Weiterbildung stark zunehmenden Veröffentlichungen lassen Auskünfte hierüber vielfach vermissen (Kompetenzentwicklung '96; '97). Die derzeitige kompetenzorientierte Wende stehe deutlich in der Tradition wirtschaftswissenschaftlicher und arbeitspsychologischer Konzeptionen, stellt Arnold kritisch fest. Der Kompetenzentwicklungsbegriff werde in diesem Sprachzusammenhang kaum als eine auf Identitätsentwicklung bezogene pädagogische Kategorie verwendet. So bleibe auch "die Frage einer erforderlichen bzw. möglichen Wertorientierung im Lernprozess" ungeklärt (Arnold 1997, S. 289 f.). [/S. 44:]

Ähnlich kritisch sehen Baethge/ Schiersmann das neue Weiterbildungs-Label "Kompetenzentwicklung": "Dieses Spiel mit Begriffen mag eine richtige Auswirkung der veränderten Anforderungen in Richtung stärkerer Selbstorganisation und Gestaltungsfähigkeiten beschreiben und es ist unbestritten, dass einer subjektbezogenen Gestaltung von Bildungsprozessen große Bedeutung ... zukommt. Es stellt sich dennoch die Frage, ob es klug ist, vorschnell den Begriff der Bildung über Bord zu werfen und ihn durch einen Begriff zu ersetzen, der eher einer (psychologischen, L. R.) Persönlichkeits- als einer Bildungstheorie zuzuordnen ist" (Baethge/ Schiersmann 1999, S. 19).

 

4. Zur entwicklungspädagogischen Orientierung von Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen am Bildungsbegriff

Der Hinweis auf den Begriff der Bildung ist vor allem auch deshalb plausibel, weil das deutsche Bildungsprinzip ja den Entwicklungsgedanken enthält, im Sinne der Entelechie des Menschen als die - mit Goethe zu sprechen - "geprägte Form, die lebend sich entwickelt".

Seit Sprangers und Kerschensteiners - eher auf Goethes Wilhelm Meister als auf W. v. Humboldt zurückgehender Deutung des Verhältnisses von Berufs- und Allgemeinbildung im Sinne einer Entwicklungssequenz hat der Entwicklungsgedanke in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik wenig Resonanz gefunden. Vielmehr beherrschte das Räsonnement um die "Dichotomie" von Beruf/ Qualifikation und Bildung die Diskussion (Arnold 1994; 1996; Reetz 1999).

Demgegenüber wird in der neueren bildungstheoretischen Diskussion (Koch/ Marotzki/ Schäfer 1997) wieder der prozessuale Charakter von Bildung hervorgehoben. Bildung wird dabei im Kontext, von neueren Lern- und Entwicklungstheorien als "gerichteter Transformationsprozess der Grundstrukturen im Umgang mit sich selbst und mit sozialer und natürlicher Welt" gesehen (a. a. O. S. 9). In diesem Zusammenhang wird eine bildungstheoretisch-prozessuale Lerntheorie skizziert, zu deren Fundierung explizit auf Heinrich Roths Pädagogische Anthropologie zurückgegriffen wird (Bauer 1997, S. 102 f.). Dies geschieht vor allem deshalb, weil Roth darin einen interdisziplinär angelegten entwicklungspädagogischen Ansatz formuliert hat, der auf den Begriffen der Persönlichkeit, des Lernens und der Entwicklung basiert (Aufenanger 1992, S. 18). Das bedeutet, dass hier - anders als in manchen Konzepten zur "Kompetenzentwicklung" - "Kompetenzen" in den Zusammenhang von Persönlichkeitsentwicklung als Persönlichkeitsbildung gestellt werden.

In der genannten Tradition des prozessualen Bildungsgedankens stehend entwirft Roth seine Theorie menschlichen Handelns als Entwicklung. Er sieht [/S. 45:] dabei die "entscheidenden Fortschrittsstufen der menschlichen Handlungsfähigkeit" (S. 446) in der Abfolge einer Entwicklung, die auf der Basis frühkindlicher Erfahrung, "sich Ziele setzen zu können und die Mittel dafür zu entdecken" vom

  • "Erlernen sacheinsichtigen Verhaltens (Entwicklung und Erziehung zu Sachkompetenz und intellektueller Mündigkeit)" - über

  • das "Erlernen sozialeinsichtigen Verhaltens und Handelns (Entwicklung und Erziehung zu sozialkompetenter und sozialer Mündigkeit)" - zum

  • "Erlernen werteinsichtigen Verhaltens und Handelns (Entwicklung und Erziehung zu Selbstkompetenz und moralischer Mündigkeit)" führt (S. 448).

Selbstkompetenz im Sinne moralischer Mündigkeit baut demzufolge auf sachkompetent-intellektueller und sozialer Mündigkeit auf (S. 382, S. 389). Um das Individuum auf den Weg dorthin in konstruktive Bahnen zu lenken, stellt sich zuerst die Aufgabe, in der Auseinandersetzung mit den Sachen "die Sachkompetenz des Kindes zu erhöhen, die ihm die Meisterung der Dinge in der äußeren Natur ermöglicht" (S. 456). Gleichwohl ist der intelligent-sacheinsichtig handlungsfähige Mensch "als solcher noch nicht sozial-handlungsfähig". Er muss auch lernen - und dies möglichst gleichzeitig - seine Handlungen nach Maßstäben zu beurteilen, die als den Mitmenschen "Schaden zufügend" oder "Schaden von ihm wendend" bezeichnet werden können (S. 482). Andererseits sei erforderlich, dass der Handelnde über Sacheinsicht und Sachkompetenz verfügen können muss, um überhaupt sozialeinsichtig handeln zu können (S. 482).

Damit gibt sich ein gegenseitiges Fundierungsverhältnis der Kompetenzen, in dem der Sachkompetenz eine lernsequenziell grundlegende Funktion zukommt. Diese grundlegende Funktion, die der Sachkompetenz und damit dem Sach- und Fachwissen in diesem Ansatz zuteil wird, widerspricht Ansätzen, die einer funktionalen formalen Bildung zu neigen (Lehmsick 1926), in denen die Bedeutung der Wissensinhalte auf "Lernanlässe" reduziert werden (Brater 1997, S. 162).

Sie zeigt aber auch deutlich, dass ein Schlüsselqualifikationskonzept auf kompetenz-theoretisch-entwicklungspädagogischer Basis der Vorwurf inhaltsbeliebiger formaler Bildung nicht treffen kann, wobei auf die Lehmensicksche Unterscheidung zwischen funktionaler, kategorialer und methodischer Formalbildung und ihre transfertheoretischen Bedingungen und Möglichkeiten verwiesen sei (vgl. Reetz 1999). [/S. 46:]

Die Konzeptionierung von Schlüsselqualifikationen respektive -Kompetenzen als Persönlichkeitsbildung legt es also nahe, dem Gedanken der Persönlichkeitsentwicklung mehr Raum zu geben. Dabei wäre ein Entwicklungsbegriff ins Auge zu fassen, der nicht nur an der Kindheits- und Jugendphase als Zusammenfassung von biologischer Reifung und Lernen orientiert ist, sondern der in analoger Beziehung zum "Lebenslangen Lernen" gesehen wird.

Hierbei gewinnen neuere entwicklungspädagogische Ansätze (Aufenanger 1992; Bauer 1997; Garz 1999; Gruschka/ Kutscha 1983; Oser/ Gmünder 1988; Peukert 1979) und entwicklungspsychologische Theorien besondere Bedeutung. Dies gilt vor allem für strukturgenetische Ansätze im Anschluss an Piaget. Flammer (1988, S. 318) stellt bei der Sichtung solcher Entwicklungstheorien bzw. -Ansätze heraus, dass Handeln (Brandstedter 1985) und Problemlösen (Case 1985) zu den wichtigsten Entwicklungsbedingungen beim Aufbau von Kompetenzen gehören. Weiterhin zeigen Ansätze, die struktur- und soziogenetische Betrachtung und Forschung miteinander verbinden, dass insbesondere soziale Interaktionen konstitutiven Charakter für Entwicklung und entwicklungsbezogenes Lernen haben (Aufenager 1992; Doise 1978).

Dabei hat sich erwiesen, dass die Teilnahme an Sozialinteraktionen mit soziokognitiven Konflikten wichtige Bedingungen für die Herausbildung von Kompetenzen darstellen.

Die didaktischen Konsequenzen der Theorien und Befunde liegen in der Öffnung didaktischen Denkens und Handelns für Entwicklungsprozesse, die im Kontext von Sozialisationsprozessen als Prozesse des Lernens und Lehrens zu erforschen und als Bildungsprozesse zu konzipieren sind. Dabei sprechen die Befunde im starken Maße für didaktische Konzepte mit sozial-interaktiven handlungs- und problemorientierten komplexen Lehr-Lern-Arrangements (vgl. z. B. Achtenhagen/ John 1992; Tramm/ Rebmann 1997).

Evaluationen zeigen, dass die kognitiven, emotionalen und sozialen Kompetenzen sich messbar positiv entwickeln in Richtung der angestrebten Förderung der Persönlichkeit (Achtenhagen 1995). Möglicherweise könnte die Etablierung von "Entwicklungssequenzen", die nach strukturgenetischen Vorbild gestuft sind, den didaktischen Bezug zur Bildung im Sinne von Persönlichkeitsentwicklung verstärken. Dabei können dann Lehr-/ Lern-Arrangements, die ein "Lernhandeln in komplexen Situationen" erlauben (Achtenhagen/John 1992), zunehmend "Entwicklungsaufgaben" (Havighurst 1948; Flammer 1988, S. 305 f.) integrieren, wie überhaupt Lehr-Lern-Prozesse über die Förderung beruflicher Handlungskompetenz hinaus "die personale Entwicklung der Individuen zu stützen und zu gewährleisten" haben (Achtenhagen 1994, S. 191). [/S. 47:]

 

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1. Einleitung

In den Diskussionen um zukünftige Anforderungen an Fachkräfte unterschiedlicher Berufsbereiche sind seit einigen Jahren Veränderungen im Qualifikationsverständnis zu verzeichnen. Gefordert werden breitere fachliche Qualifikationen und zusätzliche Kompetenzen, die zumeist unter dem Begriff "Schlüsselqualifikationen" zusammengefasst werden. Als Leitbilder erscheinen zunehmend FacharbeiterInnen und Fachangestellte, die Zusammenhänge verstehen, auf nicht vorherbestimmbare Situationen kompetent reagieren, kommunikations- und kooperationsfähig sind, Entscheidungen treffen, Kritik üben und sich nach Maßgabe wechselnder Anforderungen weiterbilden und spezialisieren.

Hintergrund veränderter Qualifikationsanforderungen ist der Strukturwandel in Produktion, Verwaltung und Dienstleistung. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien, veränderte Marktbedingungen und neue bzw. wiederentdeckte Formen der Organisations- und Arbeitsgestaltung führen zumindest in einigen Bereichen des Beschäftigungssystems zu einem veränderten Stellenwert der verbleibenden menschlichen Arbeit. Dieser Wandel wird in wissenschaftlichen und arbeitspolitischen Diskussionen unter Formeln wie "neue Produktionskonzepte", "systemische Rationalisierung", "Organisationsentwicklung" und mittlerweile auch "Lean-Production" gefasst (1). Sie repräsentieren die Abkehr von einer Sichtweise, in der Produktion und Verwaltung durch fortschreitenden Technikeinsatz voll automatisiert und von menschlicher Arbeitsleistung weitgehend "befreit" sein werden. Obwohl durch die Technisierung weiterhin Arbeitsplätze verloren gehen, wurde vielfach - gerade mit der Verbreitung der IuK-Technik und durch erhöhte Anforderungen an die Flexibilität der Unternehmen - deutlich, dass personengebundene Kompetenzen der Beschäftigten für den Arbeitsprozess unerlässlich sind.

Auffällig ist, dass die Etiketten, mit denen der Wandel der Qualifikationsanforderungen vor allem in der Wirtschaftspublizistik aber auch - mit größerer Zurückhaltung - in den wissenschaftlichen Bezugsdisziplinen belegt wird, vielfach den Zielen einer Bildungsreform ähneln, die an gesellschaftlichen Widerständen, institutionellem Beharrungsvermögen und bürokratischen Hemmnissen weitgehend gescheitert ist. Viele Anforderungen, die heute an Arbeitskräfte gestellt werden, weisen hohe Affinitäten zu Idealen der Bildungsreform auf: Selbstständigkeit, Denken in Zusammenhängen, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit und - in der Debatte seltener benannt - die Kritikfähigkeit.

Die veränderten Qualifikationsanforderungen schlagen sich auch in einer Neuorientierung der Berufsausbildung nieder. Seit der Neuordnung der industriellen Metall und Elektroberufe, die 1987 in Kraft trat, wird in neuen Ausbildungsordnungen die Anforderung gestellt, dass die Auszubildenden zur Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit befähigt werden, die "insbesondere selbstständiges Planen, Durchführen und Kontrollieren einschließt". Facharbeits und Fachangestelltenberufe werden nicht mehr als ausschließlich ausführende Berufe auf der Basis eines Kanons von fachlichen Kenntnissen und Fähigkeiten aufgefasst, sondern als Berufe, die ein relativ hohes, wenn auch in den Ausbildungsordnungen nicht näher präzisiertes Maß an Selbstständigkeit erfordern. Eine Konkretisierung und Umsetzung wird jedoch seit einigen Jahren im Rahmen von Modellversuchen in der Berufsausbildung verfolgt, die zentral auf die Förderung von Schlüsselqualifikationen zielen. Die hier angewandten Methoden, Sozial- und Organisationsformen des Lernens weisen ihrerseits eine relative Nähe zur schulischen Reformdiskussion auf. Dies gilt in besonders hohem Maße für die Projektmethode, die in einigen Betrieben zum Eckpfeiler der Ausbildung geworden ist.

Die Veränderungen der Anforderungsprofile und einer in ersten Ansätzen darauf bezogenen Ausbildung haben in den letzten Jahren zu einer Neubewertung des Verhältnisses von Bildung, Arbeit und speziell der Berufsausbildung geführt. Wurden von kritischen PädagogInnen und SoziologInnen - durchaus im Einklang mit der traditionellen Pädagogik - seit Ende der 60er Jahre vornehmlich die Vereinseitigungen und Restriktionen der Berufsausbildung im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung behandelt und kritisiert (in der Berufsausbildung geht es darum, die "Lernenden in eine vorgegebene Norm einzupassen"; Brater 1987: 122), so ist in den letzten Jahren ein deutlicher Perspektivenwechsel festzustellen. Für viele BeobachterInnen mit einem vormals kritisch-distanzierten Verhältnis zu den Entwicklungstendenzen der Erwerbsarbeit und zur betrieblichen Berufsausbildung

  • zeichnet sich mittlerweile eine "Koinzidenz ökonomischer und pädagogischer Vernunft" (Achtenhagen 1990: VII) ab;
  • kann "in dem Konzept der 'Schlüsselqualifikationen' ... auch eine neue Bezeichnung für das gesehen werden ..., was früher als Bildung bzw. genauer: als Persönlichkeitsbildung konzipiert worden war" (Arnold 1993: 95);
  • führt, "konsequent weitergedacht, die wirtschaftliche Bedarfsorientierung zur Forderung nach einer autonomen (Persönlichkeits-)Bildung. Diese Anforderung macht Berufsbildung perspektivisch zur allgemeinen Menschenbildung" (Brater 1987: 133);
  • besteht die Chance, "den lange Zeit unversöhnlichen Gegensatz zwischen Bildung und Arbeit abzumildern, vielleicht auch zu überwinden, ohne fortbestehende Spannungen zu leugnen" (Baethge 1988: 18).

Diese Einschätzungen beziehen sich allerdings auf eine gerade erst einsetzende Entwicklung zu veränderten Qualifikationsanforderungen und neuen Konzepten der Berufsausbildung. Die dominante betriebliche Praxis in Ausbildung und Beruf bleibt hinter den neuen Leitbildern deutlich zurück (2). Dementsprechend geht es den zitierten Autoren vor allem um die Identifikation von Chancen für eine Annäherung von Bildung, Ausbildung und Beruf und um die Entwicklung einer Bildungs- und Ausbildungspolitik, die geeignet sein könnte, eine solche Annäherung zu fördern. Der Blick auf positive Ansätze wird daher in der Regel mit Hinweisen auf den vorläufigen Charakter von Überlegungen und auf neue Risiken ergänzt. Zu befürchten sind unter anderem eine verschärfte Segmentierung und Spaltung beruflicher Perspektiven zu Lasten von Problemgruppen am Arbeitsmarkt sowie Tendenzen, Bildung für betriebs- und volkswirtschaftliche Anforderungen zu funktionalisieren. Darüber hinaus ist in Rechnung zu stellen, dass Schlüsselqualifikationen im betrieblichen Kontext mit anderen Verhaltenserwartungen verbunden sein können, als in bildungspolitischen Reformansätzen. Prinzipiell liegt hier die Vermutung nahe, dass der Gebrauch von Schlüsselqualifikationen in vielen Betrieben seine Grenze in der Befolgung betrieblicher Normen findet, die prinzipiell nicht hinterfragt und reflexiv gehandhabt werden dürfen. Eine derartige Verkürzung ließe eine kritische Abgrenzung schulischer Lernprozesse von betrieblichen Erwartungen an Schlüsselqualifikationen notwendig erscheinen.

Die derzeitige Praxis in den Schulen rechtfertigt jedoch die Annahme, dass die Unterrichtspraxis in den Schulen noch hinter einem funktional verkürzten Begriff von Schlüsselqualifikationen zurückbleibt. Der Wandel im Beschäftigungssystem trifft auf ein Bildungssystem, das in vielen Strukturelementen eher dem überkommenen tayloristischen Arbeitsteilungsprinzip entspricht als den - bislang noch minoritären - ganzheitlicheren und kooperativen Aufgabenzuschnitten in der Erwerbsarbeit. Zentrale Qualifikationsanforderungen und die Ziele der reformierten Ausbildung stehen in offensichtlichem Widerspruch zu einem schulischen Lernen, das zu drei Vierteln unter die Kategorie "Frontalunterricht" subsumiert werden muss (Hage u. a. 1985: 149), in dem Kooperation in der Klasse, in der Gruppe oder mit PartnerInnen nur einen untergeordneten Stellenwert besitzt, in dem selbstständige SchülerInnentätigkeit marginal ist (vgl. ebd., 47), Hierarchien festgeschrieben sind und Unterrichtsinhalte zentral festgelegt werden. Hier drängt sich fast zwangsläufig die These auf, dass die veränderten Rahmenbedingungen der Erwerbsarbeit inhaltliche, methodische und organisatorische Veränderungen in den Schulen erfordern.

Die weitere Verfolgung dieser These zwingt jedoch vorab zu einigen Klarstellungen zum Verhältnis von Bildungssystem und Beschäftigungssystem. Im Unterschied zu einem für die GEW in Nordrhein-Westfalen von den Politikwissenschaftlern Lehner und Widmaier erstellten Gutachten wird dieses Verhältnis hier nicht als einseitige Subordination der Bildung unter ökonomische Anforderungen einer "modernen Industriegesellschaft" (vgl. Lehner/Widmaier 1992) gefasst (3). Ich gehe demgegenüber von einem eigenständigen Bildungsauftrag der Schulen aus, der sich auf die Persönlichkeitsentwicklung von Schülerinnen und Schülern richtet. Eine Berücksichtigung ökonomisch begründeter Anforderungen ist zwar mit Blick auf individuelle und gesellschaftliche Reproduktionsinteressen erforderlich. Sie müssen allerdings im Bildungssystem selbst unter Berücksichtigung (fach-)wissenschaftlicher, (fach-)didaktischer und politischer Kriterien und Diskussionen selektiert und gewichtet werden. Sie sind nicht unreflektiert und unmittelbar aus Forderungen "der" Wirtschaft abzuleiten - zumal dort auch sehr unterschiedliche Positionen vertreten werden. Gleichzeitig und gleichgewichtig müssen in bildungspolitischen Reformkonzeptionen zudem ökologische, psychologische, kulturelle und politische Modernisierungsrisiken in den Blick genommen werden (vgl. Jacke/Simoleit/Lemmermöhle-Thüsing/Feldhoff 1993). Reformkonzeptionen, die diese Anforderungen aufnehmen, werden sich nicht darin erschöpfen, wesentliche Prinzipien einer modernisierten Produktion auf die Schule zu übertragen (vgl. Lehner/Widmaier 1992: 151 ff.) oder - wie in der Diskussion über Krise und Autonomie der Schulen gelegentlich anzutreffen - einer neuartigen Angleichung der Schule an neoliberale Leitbilder das Wort zu reden.

 

2. Der Wandel der Qualifikationsanforderungen - ein Prozess mit offenem Ausgang

Die Beschäftigung mit dem Wandel der Qualifikationsanforderungen und den möglichen Konsequenzen für Bildung und Bildungspolitik scheint einem Dilemma unterworfen, das sich in besonderer Weise an der Diskussion um das Gutachten von Lehner/Widmaier zeigt. Obwohl seit einigen Jahren gerade auch aus den Reihen der IndustriesoziologInnen Vorstöße zu einer Neubewertung im Verhältnis von Arbeit und Bildung unternommen wurden, kam eine größere Debatte erst in Gang, als besagtes Gutachten in der Öffentlichkeit bekannt wurde. Die veränderten Qualifikationsanforderungen werden allem Anschein nach erst dann in breiteren bildungspolitischen Diskussionen wirksam, wenn sie mit der Behauptung eines scharfen Entwicklungsbruches, einer eindeutigen ökonomischen Logik und der Androhung einer weitgehenden Reorganisation im Bildungssystem verknüpft werden. Weniger apodiktische und deterministische Sichtweisen werden demgegenüber eher selten aufgegriffen, obwohl sie in der Regel weit höhere Gestaltungsmöglichkeiten für die Akteure im Bildungssystem selbst beinhalten und das Risiko einer Funktionalisierung von Bildung hier entsprechend geringer anzusetzen ist. Obwohl zu erwarten ist, dass die folgenden Ausführungen entgegen der Intention PädagogInnen und BildungspolitikerInnen von Handlungsdruck entlasten, werde ich die fehlende Eindeutigkeit zukünftiger Qualifikationsanforderungen herausstellen. Die Konsequenz besteht aber weder in einer Schule nach dem Prinzip "anything goes" noch in einer Fortführung der bisherigen Praxis. Es geht vielmehr darum, gerade diese Unsicherheiten für eine Bildungsreform zu nutzen, die sich nicht darauf beschränkt, das Beschäftigungssystem mit einem anforderungsgerechten Qualifikationspotenzial zu versorgen, sondern u. a. darauf zielt, die positiven Ansätze zu einer ganzheitlicheren Arbeitsorganisation mit höheren Autonomiespielräumen für alle Beschäftigten aktiv zu fördern.

Schon der Blick auf die industriesoziologische Forschung der letzten zehn Jahre reicht aus, um der Vorstellung eindeutiger und unmittelbar operationalisierbarer Anforderungen des Beschäftigungssystems an die Qualifikationen der zukünftig Beschäftigten infrage zu stellen. Zwar identifizierten Kern/Schumann 1984 in "Das Ende der Arbeitsteilung?" ein neues Rationalisierungsparadigma, das eine Abkehr von restriktiver Arbeitsgestaltung zugunsten ganzheitlicherer Aufgabenzuschnitte signalisierte, empirisch nachweisbar waren "Neue Produktionskonzepte" jedoch nur in einigen industriellen Kernsektoren (Automobilindustrie, Werkzeugmaschinenbau und Chemische Industrie) und zeigten sich auch dort keineswegs an allen Arbeitsplätzen. Dem stehen Industrien gegenüber, in denen sich zumindest kein umfassender Paradigmenwechsel, sondern bestenfalls Mischformen zwischen überkommenen und neuen Produktionskonzepten abzeichneten. In die Betrachtung einbezogen wurde zudem das wachsende Heer der Arbeitslosen, deren (Re)-Integration in das Beschäftigungssystem sich gerade bei ganzheitlichen Aufgabenzuschnitten immer schwieriger gestalten werde. Entsprechend der differenzierten Sicht unterschieden Kern/Schumann zwischen Rationalisierungsgewinnern, -duldern und -verlierern. Lässt schon diese Unterscheidung erahnen, dass sich daraus kaum eindeutige Konsequenzen für das Bildungssystem ableiten lassen, so wird diese Schwierigkeit mit Blick auf die inhaltlichen Bestimmungen neuer Produktionskonzepte noch deutlicher. Zwar ist relativ klar zu beschreiben, dass eine Arbeitsorganisation mit überwiegend restriktiver Arbeitsorganisation unter den veränderten Bedingungen von Markt, Technik und Organisation in wesentlichen Bereichen des Beschäftigungssystems nicht mehr trägt, die Konkretisierung neuer Produktionskonzepte und der damit einhergehenden Qualifikationsanforderungen ist schon bei Kern/Schumann weniger präzise. Die diesbezüglichen Unsicherheiten sind in den nachfolgenden Kontroversen und in anderen Untersuchungen eher noch größer geworden. Auch Schumann u. a. relativieren nach gut zehn Jahren ihren vorsichtigen Optimismus noch einmal: "Was sich vor zehn Jahren in den ersten Spurenelementen andeutete und in eine klare Richtung zu drängen schien, erweist sich als eine in vielen Bereichen höchst zähflüssige, weit verästelte, auch gegenläufige Entwicklung, die nur in einigen Strängen halbwegs verlässlich, in anderen allenfalls höchst vorläufig zu antizipieren ist" (Schumann u. a. 1994: 11).

Gegen diese nüchterne und differenzierte Betrachtung, die sich in fast allen industriesoziologischen Untersuchungen der letzten Jahre zeigt, steht der ungebrochene Fortschrittsoptimismus von Lehner/Widmaier. Auch sie gehen zunächst von verschiedenen Entwicklungsalternativen aus. Einer zentralistischen, automatisierten Massenproduktion mit geringen Qualifikationsanforderungen und restriktiven Arbeitsbedingungen werden "anthropozentrische Produktionssysteme" gegenübergestellt, die durch hohe Autonomiespielräume, flache Hierarchien, die "Delegation von Planungs-, Steuerungs- und Kontrollfunktionen", "stark reduzierte Arbeitsteilung" und eine kontinuierliche Weiterbildung der Beschäftigten gekennzeichnet sind (Lehner/Widmaier 1992: 57 f.). Die Gutachter lassen keine Zweifel daran, dass der "anthropozentrische Pfad" ökonomisch und sozial gleichermaßen wünschenswert und rational ist. Trotz dieser Eindeutigkeit müssen sie jedoch einräumen, dass entsprechende Produktionssysteme - sie sprechen hier von einem "Diffusions-Paradox" - bislang noch minoritär sind (vgl. ebd.: 53 u. 63 f.). Das "Diffusions-Paradox" wird allerdings nicht aufgelöst, d. h. auf seine Ursachen und Dauerhaftigkeit überprüft. Die Gutachter scheinen sich darauf zu verlassen, dass sich auch in den Unternehmen die "rationale" Variante durchsetzt. Zum zentralen Hebel der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung wird das Bildungssystem. In der bildungsökonomischen Optik des Gutachtens besteht das Grundproblem darin, den "Output" des Bildungssystems so zu organisieren, dass dem "raschen und weitreichenden wirtschaftlichen und sozialen Wandel" (Lehner/Widmaier 1992, S. 2) "Humanressourcen" zur Verfügung gestellt werden. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, ihre ökologische Erneuerung und die Zukunftssicherung individueller beruflicher Chancen sind danach zentral an die Qualifikationen und die schulische Bildung der zukünftig Beschäftigten gekoppelt. Dabei unterbleiben - neben einer komplexeren gesellschaftlichen Funktionsbestimmung von Bildung - die Berücksichtigung möglicher negativer Begleiterscheinungen "anthropozentrischer Produktionssysteme" und Überlegungen zu den Aufgaben des Bildungssystems unter den Bedingungen des "Diffusions-Paradoxes".

In der industriesoziologischen Diskussion wird demgegenüber seit langem auf die (möglichen) negativen Effekte neuer Arbeitseinsatzkonzepte hingewiesen. Dazu gehören

  • "Arbeitsintensivierung;
  • Gruppendruck und -konkurrenz, entsolidarisierende Individualisierungsprozesse;
  • Ausschluss von Leistungsschwächeren;
  • Identifikationszumutungen bzw. gleichsam 'totale' Einvernahmen der Gesamtperson für das Unternehmen und die Arbeitsaufgaben;
  • Schuld-Selbstzuschreibung der Individuen bei unzulänglichen Arbeitsergebnissen;
  • Segmentierung der Belegschaften nach Qualifikationen, Arbeitsbedingungen und Arbeitsplatzsicherheit;
  • Interessendurchsetzung und -wahrung als individuelle oder positionsspezifische Angelegenheit der individuellen qualifizierten Beschäftigten (oder nur auf sich selbst bezogener Gruppen)" (Simoleit/Jacke/Feldhoff 1994: 38).

Es liegt auf der Hand, dass Individuen, die in ihrer Arbeitssituation mit solchen Effekten konfrontiert werden, über Qualifikationen und Kompetenzen verfügen müssen, die sich nicht in Begriffen wie "Lernfähigkeit", "Flexibilität" und "Mobilität" erschöpfen. Auch die Konkretisierung der von den Gutachtern geforderten Kompetenzen wie "Problemlösungsfähigkeit, Teamwork, Lernfähigkeit" erfährt ganz andere Akzente. Sie fügen sich unter diesen Bedingungen nicht nahtlos in einen modernisierten Produktionsprozess, sondern wenden sich ggf. kritisch dagegen.

Die Notwendigkeit kritischer, (arbeits)-politischer Aktivitäten im Betrieb, die bei Lehner/Widmaier ebenso unberücksichtigt bleibt, wie in vielen öffentlichen Bekundungen zur Bedeutung von Schlüsselqualifikationen, wird unabdingbar, wenn das konstatierte "Diffusions-Paradox" bestehen bleibt. Ein Fortbestehen überkommener und restriktiver Arbeitseinsatzkonzepte gegen die ökonomische und soziale Rationalität erfordert kein beliebig abrufbares Verhaltensrepertoire oder einseitige Anpassungsleistungen an den Strukturwandel. Gefordert ist eine Handlungskompetenz, die ausgehend von einem Bewusstsein der (durchaus begrenzten) Veränderbarkeit betrieblicher Strukturen und einer gehörigen Frustrationstoleranz in den Fähigkeiten zum Erkennen und Nutzen von Gestaltungsoptionen, Regelungs- und Kontrolllücken sowie zum Erkennen, Artikulieren, Verhandeln und Durchsetzen individueller und kollektiver Interessen besteht. In dieser Perspektive hängt die zukünftige Arbeitsteilungsstruktur in den Betrieben und dadurch vermittelt auch der ökonomische Strukturwandel u. a. von der Fähigkeit der Beschäftigten ab, initiativ zu werden und einen Beitrag zur Veränderung traditioneller betrieblicher Strukturen zu leisten.

Besonders zu beachten sind in diesem Zusammenhang die strukturellen Barrieren, die bislang dafür verantwortlich sind, dass sich neue Arbeitsteilungsstrukturen trotz vielfach (plausibel) behaupteter Vorteile für die Effizienz von Unternehmen und eine gleichzeitig humanere Arbeit nur zögerlich durchsetzen. Es existiert offenbar keine eindeutige Logik, die zu einer umfassenderen Nutzung von Qualifikationen der Beschäftigten, flacheren betrieblichen Hierarchien und teilautonomer Gruppenarbeit führen muss oder - unter der Voraussetzung rationaler Managemententscheidungen und gleichermaßen rationaler bildungspolitischer Weichenstellungen - führen müsste. Der Betrieb kann nicht als Organisation aufgefasst werden, in der sich "Systemzwänge" oder "Rationalitäten" - seien sie technologischer oder ökonomischer Art - ungebrochen durchsetzen, sondern als ein Handlungsfeld, das bestimmt oder beeinflusst ist durch Interessen, Handlungen und Handlungspotenziale betrieblicher Akteure, durch die vorhandene Arbeitsorganisation und Qualifikationsstruktur, durch arbeitsrechtliche und tarifvertragliche Regelungen, durch die bereits vorhandenen Technologien, durch "paradigmatische Nutzungslinien" (Rolf 1989: 140) neuer Technologien sowie durch die ökonomischen Voraussetzungen, in die auch wirtschafts-, sozial- und technologiepolitische Entscheidungen eingehen.

Auswirkungen von Bildung auf den Strukturwandel der Arbeit

Mit der Berücksichtigung komplexerer Wechselwirkungen relativiert sich zunächst die Bedeutung von Bildungsprozessen für den Strukturwandel der Arbeit. Vor dem Hintergrund der vielfältigen Faktoren, die auf die betrieblichen Umstrukturierungsprozesse einwirken, ist festzustellen, dass der Einfluss bildungspolitischer Weichenstellungen auf die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung und auf die Arbeitsorganisation in den Betrieben nur sehr vermittelt sein kann. Die Durchsetzung von Arbeitseinsatzkonzepten, die zugleich eine höhere Effizienz und eine humanere Arbeit ermöglichen, hängt nicht ausschließlich von den Qualifikationen und Kompetenzen der Beschäftigten und den Vorleistungen der Schulen ab. Aus einer Perspektive, die Bildungspolitik auch als Gesellschaftspolitik begreift, stellt sich dennoch die Frage, welches Bildungskonzept einen aktiven Beitrag dazu leisten kann, "die sich heute - und zwar vermutlich nur für eine begrenzte Zeit - eröffnenden Chancen zu nutzen, neue, gleichzeitig effiziente und mit den grundlegenden Werten unserer Gesellschaft in Einklang stehende Formen von Arbeit und Zusammenarbeit zu entwickeln" (Lutz 1988: 64).

Theoretische Ansätze, die unter Rückgriff auf Ableitungs- oder Abbildungsmodelle Reformvorschläge für das Bildungssystem aus Strukturen und Prozessen des Beschäftigungssystems herleiten, verfehlen hier nicht nur komplexere gesellschaftliche Anforderungen an Bildung. Sie greifen auch - zumal wenn sie die Ergebnisse von Bildungsprozessen noch weiter auf beliebig abrufbare Qualifikationen verkürzen - ökonomisch zu kurz. Beispielhaft für einen derartigen Zugriff ist eine perspektivische Verengung auf Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen an die Beschäftigten. Bildung wird damit auf eine Zulieferfunktion für gesetzte Anforderungen der Arbeitswelt und damit auf eine reaktive Funktion reduziert. Aktiv gestalterische Elemente bleiben dabei unberücksichtigt (4).

Die ökonomische Überhöhung von Bildung bei gleichzeitiger Verkürzung auf die Zulieferfunktionen hat nicht nur - bei Forderungen nach mehr, weniger oder effizienterer Bildung - unmittelbare Folgen für das Bildungssystem, sondern wirkt indirekt auf das Beschäftigungssystem zurück. Obwohl Bildung und Bildungspolitik nur vermittelt auf betriebliche Prozesse und Strukturen wirken, sind vielschichtige Interdependenzbeziehungen zwischen dem Bildungs- und dem Beschäftigungssystem wirksam (5). Ich werde im folgenden zwei Aspekte herausgreifen, an denen deutlich wird, dass sich Prozesse im Bildungssystem auf das Beschäftigungssystem auswirken und in denen dem Bildungssystem zugleich eine aktive Rolle zukommt. Es geht zum einen um die Nachfrage und Nutzung von Qualifikationen im Beschäftigungssystem in Reaktion auf das Qualifikationsangebot am Ausbildungsstellenmarkt und zum anderen um betriebliche Konsequenzen aus veränderten arbeitsbezogenen Wertvorstellungen in der jungen Generation, die u. a. als Folge schulischer Sozialisation anzusehen sind. Die Frage, ob höhere Qualifikationsanforderungen exklusiv an eine ArbeiterInnen- und Angestelltenelite oder auf breiter Ebene gestellt werden, lässt sich vor diesem Hintergrund auch als eine bildungspolitische Frage begreifen. Der zukünftige Qualifikationsbedarf im Beschäftigungssystem ist nicht von der Struktur des Bildungssystems und den darin praktizierten Organisationsformen, Inhalten, Methoden und Sozialformen des Lernens abzukoppeln. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die hierarchische Struktur der Qualifikationsanforderungen und der Arbeitsorganisation.

Hinweise darauf, dass das Qualifikationsangebot des Bildungssystems durchaus Einfluss auf die Arbeitsorganisation und d. h. auch auf die weitere Qualifikationsnachfrage durch das Beschäftigungssystem hat, enthalten seit den 70er Jahren die Arbeiten von Burkhart Lutz. Im deutsch - französischen Vergleich stellte er einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Arbeitsorganisation in den Betrieben und der Struktur des Bildungssystems fest. Ein Fazit der empirischen Untersuchungen und der daraus abgeleiteten Interdependenzthese ist, dass "jegliche Form vertikaler - bildungshierarchischer - Differenzierung von Bildungsgängen über kurz oder lang in Form vertiefter vertikaler Arbeitsteilung und infolgedessen Vergrößerung von Ungleichheit der Berufs- und Lebenschancen ins Beschäftigungssystem durchschlägt" (Lutz 1976: 150). Entgegen üblichen Argumentationsmustern wird hier die empirisch und theoretisch untermauerte Auffassung vertreten, dass das Beschäftigungssystem auf die Angebotsstruktur des Bildungssystems reagiert und sie in der Folgezeit durch eine entsprechende Qualifikationsnachfrage stützt (6). Diese lange Zeit umstrittene Sicht wurde in den folgenden Jahren durch einige industriesoziologische Studien empirisch gestützt. So stellten Baethge u. a. schon 1980 fest, dass die Betriebe zunehmend dazu übergingen, "die Abiturienten in die 'normale' Lehre mit hineinzunehmen, aber ihr spezifisches Leistungsvermögen zur Differenzierung und Hierarchisierung von praktischen Ausbildungsgängen zu nutzen" (Baethge u. a. 1980: 341). Der Einsatz von Abiturienten wurde dabei nicht mit gestiegenen Qualifikationsanforderungen besonders begründet (vgl. ebd.: 342). Es handelte sich hier offenbar um einen Mitnahmeeffekt, der jedoch eine "zunehmende Differenzierung der Hierarchie-Ebenen" (ebd.: 343) möglich erscheinen lässt und der in der Folgezeit auch entsprechend zu einer "Differenzierung der Ausbildungsgänge" nach Maßgabe des Qualifikationsangebotes am Ausbildungsstellenmarkt genutzt wurde (Baethge/Oberbeck 1986: 334). Das Qualifikationsangebot und darauf reagierende betriebliche Rekrutierungsstrategien generieren so einerseits eine dauerhafte Nachfrage nach höheren Schulabschlüssen in bestimmten, besonders angesehenen Berufen (insbes. bei Bank-, Versicherungs- und Industriekaufleuten) und führen andererseits zu einer vertieften hierarchischen Differenzierung von Ausbildungsberufen.

Die Einflüsse des Qualifikationsangebotes auf das Beschäftigungssystem beschränken sich jedoch nicht auf personalpolitische Rekrutierungsstrategien und eine darüber vermittelte Nachfrage nach höheren Abschlüssen. Folgt man einem Erklärungsmuster, dass insbesondere in einigen Arbeiten aus dem Soziologischen Forschungsinstitut in Göttingen (SOFI) vertreten wird, entfalten die durch das Bildungssystem mitgeprägten Kompetenzen und Orientierungen der Beschäftigten im Rahmen innerbetrieblicher Reorganisationsprozesse ein arbeitspolitisches Gewicht. Danach bringen Jugendliche beim Eintritt in die Arbeitswelt "stärker entfaltete und gefestigte Ansprüche mit, die sie auch in der Arbeit geltend machen" (Voskamp/Wittke 1992: 31). Die höheren Ansprüche resultieren - so Baethge - in erheblichem Maße aus der Bildungsexpansion. Das längere Verweilen im Bildungssystem "fördert individualistische Identitätsbildungsmuster und führt auch zur emotionalen Stabilisierung des 'Eigensinns' der Subjekte" (Baethge 1991: 12). Baethge und Voskamp/Wittke gehen davon aus, dass die steigenden Ansprüche an die Qualität der Arbeit ein Maß erreicht haben, das die Betriebe zur Reaktion drängt (7). Hintergrund ist die in vielen Arbeitsbereichen zunehmende Notwendigkeit einer Identifikation mit der Tätigkeit und einer Intentionalität der Aufgabenerfüllung. Die zunehmende Bedeutung subjektgebundener Tätigkeiten im Kontext neuer Rationalisierungsstrategien verbietet die rigide Missachtung von arbeitsbezogenen Ansprüchen der Beschäftigten und erfordert stattdessen zu einem gewissen Grade ihre Berücksichtigung durch "Zugeständnisse an Eigenverantwortlichkeit, Kompetenz und Status" durch die Unternehmen (Baethge 1991: 13).

Neben solchen Anpassungsreaktionen der Betriebe muss zusätzlich eine weitere und direktere Wirkung der Arbeitsorientierungen von Beschäftigten auf die Arbeitsorganisation in Rechnung gestellt werden. Mit der Verabschiedung vermeintlicher Logiken und Determinismen in der Industriesoziologie sind in den letzten Jahren die Handlungsspielräume betrieblicher Akteure immer wieder in den Mittelpunkt gerückt worden. Die Arbeitsorganisation wird im allgemeinen nicht mehr, wie früher üblich, aus Notwendigkeiten der Technologie oder der Ökonomie einlinear abgeleitet. Technologien und Märkte setzen der Gestaltbarkeit der Arbeitsorganisation sicherlich Grenzen, erzeugen einen erheblichen Druck zu höherer Effizienz und wirken so leistungsverdichtend. Sie werden aber gleichzeitig auch als Faktoren angesehen, die Gestaltungsoptionen innerhalb bestimmter Entscheidungskorridore eröffnen. Flexible Märkte und flexible einsetzbare Technologien fördern - je nach Branche und Marktsegment in unterschiedlichem Maße - eine flexible Unternehmensorganisation mit einer dezentralen Entscheidungskompetenz. Welche Organisationsstrukturen sich jedoch letztlich durchsetzen, ist keine Frage von technischen oder ökonomischen Logiken und Modellen, sondern auch Ergebnis von Gestaltungs- und Aushandlungsprozessen im Betrieb, in die allerdings vielfältige außerbetriebliche Einflüsse hineinwirken. In diesem Zusammenhang ist immer wieder von einer "Politisierung" der betrieblichen Sozialbeziehungen die Rede (z. B.: Heidenreich/Schmidt 1990; Hirsch-Kreinsen u. a. 1990; Ortmann u. a. 1990). Trotz nachhaltig ungleicher Möglichkeiten der Durchsetzung von Interessen kann davon ausgegangen werden, dass Einflussmöglichkeiten auf allen Ebenen der betrieblichen Hierarchie bestehen. Dieses gilt sowohl für zielgerichtete, offene und formelle Strategien zur Veränderung betrieblicher Arbeitsteilungsstrukturen unter Nutzung etablierter Interessenvertretungsmuster, als auch und vermutlich in größerem Umfang für naturwüchsige, "heimliche" und informelle Aktivitäten (8). Von besonderer Bedeutung für den zweiten Aktivitätstyp ist hier die Möglichkeit für die FacharbeiterInnen und Fachangestellten, Regelungs- und Kontrolllücken im Arbeitsprozess zu nutzen und eine "aktive Beeinflussung der Arbeitsorganisation 'von unten'" (Voskamp/Wittke 1992: 31) zu bewirken. Trotz vielfältiger Verhaltens- und Verfahrensvorschriften sowie geregelter Verantwortlichkeiten verbleiben z. T. erhebliche Grauzonen, die von den Beschäftigten prinzipiell zur Erweiterung individueller und gruppenkollektiver Zuständigkeiten genutzt werden können. Zwar sind solche Möglichkeiten allgemein zu unterstellen, sie treten jedoch in Umbruchphasen - eine solche liegt zurzeit unstrittig vor - besonders hervor.

Die allenthalben diagnostizierten arbeitspolitischen Handlungsmöglichkeiten werden allerdings überwiegend nicht oder mit einer Tendenz genutzt, die im Hinblick auf die Überwindung überkommener Strukturen ambivalent einzuschätzen ist. So stellen z. B. Pries u. a. fest, dass "zwar die technischen Voraussetzungen immer freier genutzt werden können, die betrieblichen Akteure aber die übrigen, vor allem die sozialen Bedingungen der Arbeitsgestaltung nur unzureichend zu erkennen bzw. zu nutzen vermögen" (Pries u. a. 1989: 21). Der Blick auf vorhandene Chancen gestaltender Einflussnahme wird u. a. verstellt durch

  • die immer noch vorherrschende technokratische Vorstellung, technischer Wandel sei ein quasi naturgesetzlicher und damit nicht zu gestaltender Vorgang;
  • Dogmen und verfestigte Wertvorstellungen einer "ausschließlich zentralen Plan und Durchführbarkeit von technischen Innovationen" oder der "oft schon zwanghaft zu nennende Glaube, Arbeit ... rationalisieren zu müssen" (Rolf 1989: 140);
  • die bewusstseinsprägenden Formen der überkommenen Arbeitsorganisation und der damit verbundenen Definition von Arbeitsrollen, die alle Beteiligten offenbar nur unter Schwierigkeiten überwinden können (9) (vgl. Sydow 1989: 24; bezogen auf Betriebs und Personalräte vgl. Baethge/Oberbeck 1986: 397; Thomas 1989: 191).

Der eher skeptische Blick auf die Nutzung vorhandener Handlungs- und Gestaltungsspielräume durch betriebliche Akteure bedeutet nicht, dass sie gänzlich unterbleibt. Insbesondere jungen Fachkräften in Produktion und Verwaltung wird - von betrieblichen Akteuren, die im Rahmen des Projektes "Berufsorientierung" befragt wurden und in der einschlägigen Forschungsliteratur - bescheinigt, dass sie ihre Zuständigkeiten aktiv zu erweitern suchen. Solche Aktivitäten sind jedoch oft ausgesprochen ambivalent. Sie wirken einerseits beschleunigend auf Tendenzen zur Erweiterung von Arbeitsautonomie und Verantwortungsübernahme durch FacharbeiterInnen und Fachangestellte. Andererseits handelt es sich oft um individualistische Strategien, die sich zwar gegen vorhandene Arbeitsstrukturen und Hierarchien wenden, sie aber gleichzeitig durch Aufstiegsorientierungen auch stabilisieren. So kommen Voskamp/Wittke zwar zu dem Ergebnis, dass "die Arbeitsstrukturen sich durch die aktive Mitwirkung der 'Facharbeiter neuen Typs' bereits sehr viel weiterreichend gewandelt haben, als offizielle Konzepte vermuten lassen" (Voskamp/ Wittke 1992: 32). Die mit dem selbstbewussten Auftreten einhergehenden sozialen Spannungen werfen jedoch Probleme auf. Es kommt "typischerweise" zu Konfliktlinien "zwischen Jung und Alt" (ebd.). Aus der Produktion wird von Konflikten zwischen jungen Facharbeiter(Inne)n und älteren Einrichtern berichtet, "die um ihren sozialen Besitzstand fürchten müssen" (ebd.). Im Rahmen der Forschungsarbeiten im Projekt "Berufsorientierung" sind wir mehrfach und besonders ausgeprägt im Bereich der Unternehmensverwaltung auf solche Konflikte gestoßen. Die methodischen und analytischen Fähigkeiten junger Fachkräfte, ihre Tendenz vorgegebene Arbeitsstrukturen zu hinterfragen und ihre oft höheren Qualifikationen im Umgang mit IuK-Technologien stellen die tradierten Verfahren und Leistungsanforderungen und damit den Status der älteren Kolleginnen infrage, die darauf mit Abwehrhaltungen reagieren. Die mit der Restrukturierung der Arbeit einhergehende Tendenz der Leistungsverdichtung (und die Überforderung vieler älterer ArbeitnehmerInnen) kann den Auszubildenden und AusbildungsabsolventInnen eine positive Erfahrung und Selbstbestätigung vermitteln, da sie von vornherein für die neuen technischen Mittel und umfassendere Aufgabenzuschnitte ausgebildet werden. Hier gibt es deutliche Parallelen zu Untersuchungen von Littek/Heisig (1986). Danach sind viele junge, hoch qualifizierte Angestellte die (vorläufigen und relativen) Gewinner von Rationalisierungsmaßnahmen und treiben dabei Spaltungstendenzen innerhalb der Gruppe der Angestellten voran: "Das Management braucht nur die Rahmendaten vorzugeben, damit jüngere und qualifiziertere Angestellte aktiv werden und ihre älteren und geringer qualifizierten Kollegen unter Verhaltens und Anpassungszwänge setzen" (ebd.:246).

Hier zeigt sich exemplarisch die Kehrseite individueller arbeitsbezogener Ansprüche. Kritik an unbefriedigenden Arbeitsverhältnissen äußert sich überwiegend in "individuellen Aktivitäten zur Korrektur" (Baethge 1991: 16), d. h. in Konkurrenzverhalten und einer Aufstiegsorientierung, die immer ausgeprägter zu akademischer Bildung tendiert - oder auch nur in der "inneren Kündigung". Diese Strategien führen jedoch im Grundsatz zu einer Stabilisierung überkommener Hierarchien und Statusansprüche im Beschäftigungssystem, die auch aus ökonomischer Perspektive zunehmend fragwürdig werden.

Es wäre sicherlich verfehlt, die Dominanz individualistischer Strategien primär oder einseitig als Folge der schulischen Sozialisation zu begreifen. Hier greifen (zumindest) der Funktionswandel der Familie, die Ausdehnung vorberuflicher Sozialisation und Individualisierungsprozesse in der Erwerbsarbeit ineinander. Unabhängig von Ursachen- oder gar Schuldzuschreibungen ist jedoch die These einer Ambivalenz schulischer Sozialisation kaum von der Hand zu weisen. Sie trägt - als emanzipatorisches Moment - dazu bei, dass sich der "Eigensinn" der Subjekte gegen Formen der Fremdbestimmung im Arbeitsleben richtet (vgl. ebd.). Sie fördert jedoch gleichzeitig eine Dominanz der persönlichen gegenüber der sozialen Identität, die durchaus repressive Funktionen der betrieblichen Organisation stützen kann. Subjektive Ansprüche Dritter oder ökologische, soziale und ethische Prinzipien einer humanen Gesellschaft sind nicht unbedingt in den individualistischen Handlungshorizont eingelassen.

 

3. Schlüsselqualifikationen in der reformierten Ausbildungspraxis

Im Projekt "Berufsorientierung für eine neue Ausbildung im Betrieb" wurden vor dem Hintergrund veränderter Anforderungen in Ausbildung und Beruf Untersuchungen in 8 Ausbildungsabteilungen von insgesamt fünf Unternehmen durchgeführt. Die ausgewählten Unternehmen repräsentieren nicht den Durchschnitt der ausbildenden Unternehmen. Sie wurden ausgewählt, weil sie ihre Ausbildung inhaltlich, methodisch und organisatorisch an neuen Arbeitseinsatzkonzepten orientiert haben. Mit dieser Ausrichtung der Forschungsarbeiten sollte die Gefahr umgangen werden, eine rückständige Praxis in Beruf und Berufsausbildung zum Maßstab bildungspolitischer Überlegungen zu nehmen. Die Untersuchungen richteten sich u. a. auf zwei Fragestellungen:

  • Welche besonderen Akzentuierungen und ggf. Verkürzungen treten im Verständnis der Schlüsselqualifikationen in solchen Betrieben auf, deren Ausbildungskonzepte offensiv auf qualifizierte und breit angelegte Arbeitszuschnitte in einem kooperativen Arbeitszusammenhang ausgelegt sind?
  • Welche Probleme ergeben sich beim Übergang aus herkömmlichen Schulen in eine Berufs(aus)bildung, die durch neue Methoden und Organisationsformen der Ausbildung (z. B. Projekte, Leittext, entdeckendes Lernen und Gruppenarbeit) versucht, auf veränderte Qualifikationsanforderungen vorzubereiten?

Die unter dem Begriff "Schlüsselqualifikationen" subsumierten Befähigungen, Zielsetzungen und Funktionsbestimmungen können zunächst als offen für unterschiedliche Funktionen und Interpretationen aufgefasst werden. Bestimmte interessenpolitische Deutungen sind damit nicht zwingend verbunden. Daraus resultiert einerseits die Gefahr einer ökonomisch funktionalistischen Verkürzung und Instrumentalisierung. Andererseits enthalten die Qualifikationsziele und die damit verbundenen Ausbildungsreformen ein emanzipatorisches Potenzial. Im Vergleich zur bisherigen Berufsausbildung liegen ihnen ein komplexerer Begriff beruflichen Handelns und Elemente einer Persönlichkeitsbildung zugrunde. Sie sind insofern "ganzheitlicher" konzipiert.

Gegen eine Verengung auf funktionale Erfordernisse im Beruf wurde im Projekt "Berufsorientierung" in Aufnahme und Weiterführung vorhandener Ansätze (Schumann u. a. 1982, Fricke/Schuchardt 1985, Negt 1990) ein multiperspektivisches und interessenbezogenes Konzept von Schlüsselqualifikationen entwickelt. Analytisch unterschieden werden die Arbeitskraftperspektive, die Subjektperspektive und die gesellschaftliche Perspektive. Die Arbeitskraftperspektive zielt auf die Möglichkeiten des Verkaufs, der Erhaltung, der Optimierung und der Wertsteigerung der Arbeitskraft, als Existenzressource der Beschäftigten für sich selbst und für das Unternehmen. Die Subjektperspektive betrifft die Gesamtperson und die Beschäftigten als kollektive Akteure, ihre Identität und Würde und ihre "eigensinnigen" Entfaltungs- und Handlungsmöglichkeiten. Die gesellschaftliche Perspektive überschreitet die Begrenzung einer selbstreferentiellen Fixierung auf das eigene Unternehmen oder eines durch die Funktion bzw. die fachlich-berufliche Rolle eingeschränkten Relevanzbereiches und Realitätsausschnittes und umfasst die darüber hinausgehenden politischen Konsequenzen und Möglichkeiten beruflichen Handelns (vgl. dazu ausführlich: Simoleit/Feldhoff/Jacke 1991 und Simoleit/Jacke/Feldhoff 1994).

Eine wichtige Frage im Hinblick auf die bildungspolitische Bewertung der Ausbildungsreform und auf daraus abzuleitende Konsequenzen für die allgemein bildenden Schulen richtet sich auf die Berücksichtigung und Akzentuierung dieser Perspektiven in der reformorientierten betrieblichen Berufsausbildung. Von zentralem Interesse war hier, ob die Beschränkung der traditionellen Ausbildung auf eine Arbeitskraftperspektive, die sich zudem ausschließlich auf spezifische betriebliche Interessen richtete, überwunden wird und Subjektinteressen der Auszubildenden sowie Ansprüche aus der gesellschaftlichen Perspektive Berücksichtigung finden. Dabei war nicht nur zu untersuchen, ob die Ausbildung Freiräume für subjektive Ansprüche und z. B. für die Diskussion politischer Fragen gewährt, sondern ob die Ausbildung auch darauf gerichtet ist, Qualifikationen und Kompetenzen zu vermitteln, die diesen Perspektiven zuzuordnen sind. Im Hinblick auf die Subjektperspektive geht es dabei z. B. um die Förderung von Kompetenzen zur Wahrnehmung, Artikulation, Aushandlung und Durchsetzung von Interessen in betrieblichen Entscheidungsprozessen. Die gesellschaftliche Perspektive wurde in den Untersuchungen schwerpunktmäßig auf die Vermittlung und Förderung ökologischer Kompetenzen bezogen.

Die Ergebnisse (10) sind im Hinblick auf die Berücksichtigung der genannten Perspektiven ambivalent. Unproblematisch erscheint die Berücksichtigung der Arbeitskraftperspektive der Auszubildenden. Anzeichen für eine Ausbildung, die sich nur auf einen kurzfristigen betriebsspezifischen Qualifikationsbedarf richtet und die Interessen der Auszubildenden am Erwerb umfassender und betriebsunabhängiger Qualifikationen unberücksichtigt lässt, haben wir nicht vorgefunden. Die Notwendigkeit einer Förderung von Schlüsselqualifikationen ist im Kern in allen Betrieben unbestritten, auch wenn die Unschärfe des Begriffs aus verschiedenen Perspektiven kritisiert wurde. In der Ausbildungspraxis werden z. B. selbstständiges Vorgehen in der Arbeit, Kooperationsfähigkeit, methodisches Vorgehen und selbstständige Informationsbeschaffung mit Sozialformen und Methoden wie Gruppenarbeit, Leittext, Projekt, Junioren und Übungsfirmen, Plan und Rollenspiele oder systematische Erkundungen gefördert. Wenngleich traditionelle Ausbildungselemente (Ausbilderzentrierung, Vormachen-Nachmachen, Frontalunterricht) in einigen Untersuchungsbetrieben - entgegen der jeweiligen Konzeption - immer noch einen erheblichen Anteil ausmachen, kann festgehalten werden, dass reformorientierte Methoden in einigen Ausbildungsabteilungen bereits deutlich dominant sind. Auch in den übrigen Fällen wird ein weiterer Ausbau angestrebt. Die Reformbestrebungen in der betrieblichen Berufsausbildung und die veränderten Qualifikationsbestimmungen sind - bezogen auf die Arbeitskraftperspektive - relevante empirische Tatbestände und nicht nur legitimatorische Rhetorik.

Weniger eindeutig sind die Ergebnisse zur Berücksichtigung der Subjektperspektive in der reformorientierten Ausbildungspraxis. Die Handlungsspielräume im Arbeits- und Lernprozess werden von den Auszubildenden selbst, je nach Betrieb unterschiedlich, aber überwiegend positiv eingeschätzt. Einer Entwicklung, Verfolgung und Aushandlung individueller und gruppenkollektiver Interessen durch die Auszubildenden stehen die Ausbildungsverantwortlichen in den meisten Fällen aufgeschlossen gegenüber. Dies gilt vor allem für die Entwicklung von Projektideen und eigenständigen Problemlösungen. In dieser Hinsicht ist die Ausbildungsreform nicht nur ökonomisch bestimmt, sondern gleichzeitig auch Ergebnis professioneller, berufspädagogisch begründeter Reforminitiativen. Der Rekurs auf den betrieblichen Bedarf wird besonders von den Ausbildungsleitungen durch eine Orientierung an ganzheitlichen Formen der Arbeitskraftnutzung oder an der Mitgestaltung der Arbeitssituation durch die Beschäftigten vielfach ergänzt. Hier wird oft mit einer Tauschlogik argumentiert, die sich wie folgt zusammenfassen lässt (11):

Wenn das Unternehmen von den Beschäftigten erwartet, dass sie nicht nur festgelegte Operationen vollziehen, sondern mitdenken, für die Qualität des Produktes einstehen und Verantwortung übernehmen, müssen entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden. Unerlässlich sind Freiräume und Beteiligungsmöglichkeiten für die Beschäftigten zur Sicherung individuell befriedigender Arbeitsbedingungen. Die Identifikation mit der Arbeitsaufgabe kann nicht über materielle Anreize oder aufgesetzte Konzepte einer "Corporate-Identity" gesichert werden.

Die überwiegend praktizierte Offenheit gegenüber Gestaltungsinitiativen ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einer aktiven Förderung gestaltungsbezogener Kompetenzen. Eine gezielte Förderung und Entwicklung von Kompetenzen und Qualifikationen, die auf die Sicherung und Erweiterung von Autonomiespielräumen und individuelle oder kollektive Einflussnahmen zielt, konnte nur in zwei der acht Ausbildungsabteilungen festgestellt werden. Hier setzt insbesondere ein montan mitbestimmtes Unternehmen Maßstäbe für eine zukünftige Ausbildung. Vorgefundene Beispiele für Gestaltungsaktivitäten von Auszubildenden, die durch Ausbildungsleitungen und AusbilderInnen in zwei Unternehmen aktiv gefördert und bisweilen geradezu provoziert wurden, sind:

  • eine Ermunterung zur Entwicklung eigener Projektideen für die Ausbildung und Hilfestellung bei der Realisierung;
  • die Einplanung von Reflexionsphasen in der Ausbildung mit dem ausdrücklichen Ziel, die Ausbildung zu verändern. In einem Unternehmen werden die Auszubildenden darüber hinaus sogar zu Überlegungen darüber ermuntert, wie die Arbeitsorganisation in Fachabteilungen außerhalb der Ausbildung verändert werden könnte. Diese Vorgehensweise hat in der betrieblichen Hierarchie und in den jeweiligen Fachabteilungen erhebliche, aber letztlich erfolglose Widerstände gegen die reformierte Ausbildung hervorgerufen;
  • eine Durchführung von Ausbildungsprojekten, in denen die Auszubildenden eigene arbeitsbezogene Forderungen zu systematischen Gestaltungsvorschlägen ausarbeiten (z. B. Ausbildungsprojekte zur Durchsetzung von Gleitzeit für Auszubildende);
  • die Ermunterung, sich aktiv für die Verfolgung eigener Interessen einzusetzen und dabei tradierte betriebliche Verhaltensnormen und Interessenvertretungsmuster nicht unreflektiert zu übernehmen. Das schließt eine Rückendeckung der Ausbildungsleitung bei begrenzten Regelverstößen der Auszubildenden ein;
  • die Durchführung künstlerischer Projekte in der Ausbildung.

Eindeutig defizitär stellt sich dagegen die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Perspektive dar. Zwar wird zumeist eine Offenheit gegenüber Reflexionen gesellschaftlicher Bezüge von Arbeit und Beruf postuliert. Das ist insofern als Fortschritt zu bewerten, als z. B. die Berücksichtigung von Umweltproblemen bis vor einigen Jahren in vielen Unternehmen und auch gelegentlich bei Betriebsräten und Gewerkschaften auf z. T. aggressive Ablehnung stieß. Die positive Einstellung der Ausbildungsverantwortlichen wird aber in der Ausbildungspraxis überwiegend (noch) nicht oder nur verkürzt eingelöst. Von den Akteuren selbst werden für die Thematisierung gesellschaftlich relevanter Themen und Problemlagen nur wenige Beispiele benannt. Von AusbilderInnen und insbesondere den AusbildungsleiterInnen wird zwar im Zusammenhang mit ökologischen Themen auf relativ hohe Standards bei der Verwendung (oder Vermeidung) problematischer Stoffe in den Ausbildungsabteilungen selbst verwiesen. Der Lern- und Handlungsmodus der Auszubildenden ist jedoch auf das unreflektierte Befolgen einer Norm der Vermeidung bestimmter "geächteter" Stoffe und Produkte gerichtet. Die Problematik wird in einigen Fällen - insbesondere im Rahmen der Ausbildung am Arbeitsplatz - noch einmal auf eine Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften reduziert. Eine systematische Reflexion ökologischer Risiken, die mit der jeweils spezifischen beruflichen Arbeit im Betrieb verbunden sind, findet demgegenüber in der Ausbildung einiger Unternehmen nicht, in anderen nur in Ansätzen statt - z. B. im Verlauf sozialpädagogischer Wochen. Perspektiven auf einen aktiven Beitrag von Berufstätigen zur Vermeidung von Umweltrisiken reichen zumeist nur bis zu einer - sicherlich notwendigen - Umgehung von Plastikbechern oder Tipp-Ex. Die Behandlung von Umweltrisiken klammert, von wenigen und zudem ungeplanten Ausnahmen abgesehen, die im Unternehmen hergestellten Produkte durchgängig aus. Beispiele für eine Integration ökologischer und fachlicher Kompetenzen haben wir - außer im unmittelbaren Zusammenhang mit Arbeitsschutzvorschriften - in keinem Fall vorgefunden. In einigen Fällen wird das Thema "Ökologie" darüber hinaus mit einem deutlichen Bezug auf die Privatsphäre behandelt. Umweltkriterien bleiben für die Auszubildenden auf diese Weise aufgesetzt und werden nicht in die Vorstellung von einer eigenen künftigen Berufspraxis integriert.

 

4. "Die Ausbildung hier ist so, wie man sich die Schule wünschen würde" - Die allgemein bildenden Schulen in der Kritik betrieblicher Akteure

Zum Verhältnis von Schlüsselqualifikationen, Ausbildungsreform und Allgemeinbildendem Schulsystem zeigen sich vor dem Hintergrund der Untersuchungen zwei zentrale Problemlagen. Erstens kritisieren viele InterviewpartnerInnen - darunter die meisten Auszubildenden - Defizite in der schulischen Förderung von Schlüsselqualifikationen. Zweitens konnten insbesondere bei AusbildungsanfängerInnen keinerlei Anzeichen dafür gefunden werden, dass in den Schulen Vorstellungen über Strukturmerkmale und die Gestaltbarkeit der betrieblichen Arbeitssituation entwickelt wurden.

Die betrieblichen Ausbildungsfachleute kritisieren in diesem Zusammenhang die aus ihrer Sicht traditionalistische didaktische, methodische und unterrichtsorganisatorische Praxis der Schulen. Das derzeitige Übergewicht frontaler Unterrichtsmethoden und auf Reproduktion zielender Wissensvermittlung in allgemein bildenden Schulen erweisen sich in ihrer Sicht als Barriere für die Förderung von Schlüsselqualifikationen im Betrieb. Betriebliche Ausbildungskonzeptionen sehen sich in vielen Fällen AusbildungsanfängerInnen gegenüber, deren Orientierungen in der Tendenz auf eine Aufgabenerfüllung nach Anweisung gerichtet sind. Geradezu exemplarisch für die Kritik an den Orientierungen der AusbildungsanfängerInnen sind die nachfolgend wiedergegebenen Ausführungen eines Ausbildungsleiters in einem Zulieferbetrieb der Elektroindustrie (2000 Beschäftigte). Er vertritt eine Ausbildungskonzeption, in der selbstständiges und eigenverantwortliches Arbeiten und Lernen gefördert werden soll, die aber im Hinblick auf die Mitgestaltung von Arbeit und Technik eher indifferent angelegt ist.

Die AusbildungsanfängerInnen "wissen also nichts mit dieser Freiheit anzufangen, sich selbst zu organisieren, und sie wollen es z. T. auch nicht. Sie wollen einfach ihre Arbeit vorgegeben kriegen. Das ist auch wieder die Mentalität, die sie in der Schule gelernt haben. Diese Arbeit wird gemacht und dann ist Pause und dann ist eine andere Arbeit und dafür wird gelernt - aber nicht dafür, dass man sich auf lange Sicht selbst organisiert. Und das ist etwas, was uns Schwierigkeiten macht... Sie erwarten fertige Informationen". Wenn sie selbst planen und sich Informationen und Arbeitsmittel selbst beschaffen sollen, verläuft das nach der Devise, "'wieso, wieso soll ich das machen, es sind doch Ausbilder da? Sie sagen es zwar nicht, aber so ist die Denkweise'".

Diese Kritik an der rezeptiven Lernhaltung von AusbildungsanfängerInnen wurde in vielen Interviews (und von allen AusbildungsleiterInnen) geübt und zumeist explizit mit dem Hinweis verbunden, dass man sich nicht über die Leistungsbereitschaft von Auszubildenden beschweren wolle. Wenn sie eine Vorgabe bekommen - so der zitierte Ausbildungsleiter - arbeiten sie, "dass es nur so kracht". Die hier kritisierte Lern- und Arbeitshaltung kollidiert selbst mit den keineswegs avantgardistischen Definitionen von beruflicher Handlungskompetenz in den neu geordneten Ausbildungsberufen, die selbstständig planende, durchführende und kontrollierende FacharbeiterInnen und Fachangestellte fordern. Die Ergebnisse vorberuflicher Sozialisation sind damit zu Beginn der Ausbildung schon in der Arbeitskraftperspektive mit den beruflichen Anforderungen kaum zu vereinbaren.

Eine Zuspitzung erfährt die Kritik in den Ausbildungsabteilungen, in denen versucht wird, Gestaltungskompetenz in der Ausbildung aktiv zu fördern und zwar unabhängig davon, ob das eher aus einer gewerkschaftsnahen Position erfolgt, die an den Ansprüchen der Beschäftigten ansetzt, oder ob hier eher das betriebliche Interesse an der optimalen Nutzung der produktiven Kompetenzen der Beschäftigten gesehen wird. Kritisiert werden in besonderem Maße die LehrerInnenzentrierung des Unterrichts, die bürokratische Organisation von Schulen und das Lernen im 45 Minuten Takt im schulischen Fächerkanon. Der kaufmännische Ausbildungsleiter eines Stahlwerkes (5000 Beschäftigte) äußert sich in diesem Zusammenhang wie folgt:

"Die Lehrer (...) gehen nur als Einzelkämpfer durch die Gegend... Durch die Konstruktion, dass sie allein vor einer Klasse mit Unterrichtseinheiten von 45 Minuten stehen, die ganz bestimmten Fächern zugeordnet sind, dass sie einen ganz bestimmten Stoffplan bearbeiten müssen, können die Lehrer eigentlich nicht das vorführen und die Schüler das erfahren lassen, was nachher in dem betrieblichen Alltag im Berufsleben stattfindet. Im betrieblichen Alltag sieht es genau so nicht mehr aus." Methoden und Organisationsformen der Schule passten "zu den alten, klassischen Betriebsstrukturen", zum Taylorismus, aber "in dem Maße, in dem sich die Situation im Berufsleben zunehmend verändert, passen die schulischen Vorerfahrungen nicht mehr dazu". Die Auszubildenden "kommen offensichtlich immer mit dem Hintergedanken, sie sind das absolut schwächste Glied, haben nichts zu sagen, müssen alles schlucken, müssen alles hinnehmen, was sich in solch einem Betrieb innerhalb der Ausbildung aber auch später als Mitarbeiter abspielt".

AusbilderInnen und Ausbildungssituation werden - fälschlicherweise - gleichgesetzt "mit der Funktion und mit der Situation, die sie zwischen sich und den Lehrern kennen gelernt haben, bei der ... eine ganz eindeutige Machtposition aufseiten des Lehrers" bestand. Trotz aller Bemühungen "dauert es eine ganze Weile bis sie merken und sich wirklich sicher sind, dass es anders funktioniert, als sie es bisher gewohnt waren".

Im Mittelpunkt einer solchen Kritik steht zumeist die Autoritätsfixierung der Auszubildenden und eine Haltung, die betriebliche Strukturen als unveränderbar ansieht (12). Diese Auffassung bestätigt sich in Interviews mit Auszubildenden. Sofern die Ausbildung selbst nicht ein Denken in Alternativen fördert, neigen sie dazu, die betrieblichen Strukturen, in denen sie sich gerade befinden, als von ihnen generell nicht beeinflussbar anzusehen (13). Diese Haltung trägt dazu bei, dass vorhandene Spielräume zur subjektiv befriedigenden Gestaltung der Arbeitssituation ungenutzt bleiben.

Dieser ernüchternden Sicht der Resultate vorberuflicher und damit sehr wesentlich schulischer Sozialisation in der Arbeitskraft- und der Subjektperspektive steht eine insgesamt positive Einschätzung in der gesellschaftlichen Perspektive gegenüber. Den AusbildungsanfängerInnen wird überwiegend eine hohe Sensibilität gegenüber ökologischen Risiken oder Problemen von Rüstungsproduktion und -export bescheinigt, die jedoch - wie in Einklang mit der einschlägigen Forschung bisweilen kritisch vermerkt wird - nicht unbedingt handlungsrelevant wird. Offen bleibt, ob sich in dieser Diskrepanz u. a. eine von manchen Auszubildenden kritisierte "Übersättigung" und eine anscheinend auch in den Schulen mitunter - z. B. durch die Reduktion von Umweltproblemen auf individuelle (Konsum-)Handlungen - praktizierte Individualisierung gesellschaftlicher Probleme zeigt.

Die Äußerungen der Auszubildenden zu ihren Lernerfahrungen in Schule und Betrieb sind fast ausschließlich von einer überaus positiven und bisweilen überschwänglichen Haltung gegenüber der betrieblichen Ausbildung und einer negativen und in einigen Fällen vernichtenden Kritik an den allgemein bildenden Schulen gekennzeichnet. Selbst Auszubildende, die hier zurückhaltender argumentieren und sich in Gruppeninterviews gegen zu scharfe Schulkritiken wenden, stellen den negativen Eindruck ihrer KollegInnen nicht in Abrede, sondern verweisen auf die Rahmenbedingungen schulischen Lernens, die einen produktiven und subjektiv befriedigenden Lernprozess oft nicht zulassen. Zur Erklärung werden die in der Ausbildung wesentlich besseren Betreuungsrelationen und äußere Zänge angeführt, denen die Schule unterworfen ist (Lehrpläne, Selektionszwang). Positiv bewertete Schulerfahrungen werden nur selten beschrieben und mit dem Hinweis auf einzelne, besonders engagierte LehrerInnen oder auf eine reformpädagogische Praxis der entsprechenden Schule (Waldorfschule, einige Gesamtschulen) wiederum relativiert. Das Urteil der Auszubildenden weicht auch in denjenigen Unternehmen kaum von der allgemeinen Tendenz ab, in denen traditionelle Orientierungen die Ausbildungspraxis (noch) in erheblichem Maße prägen. Die Kritik der Auszubildenden - sie wird oft eingeleitet durch die spontane Aussage im Betrieb sei "alles viel lockerer" - richtet sich gegen einen Schule, die in ihrer Sicht gekennzeichnet ist durch

  • eine zu starke Dominanz der LehrerInnen;
  • isoliertes Arbeiten und Lernen;
  • ein Lernen, das auf Selektion und nicht auf Förderung zielt;
  • einen geringen Grad selbstständigen oder selbst gesteuerten Lernens;
  • geringe Möglichkeiten, eigene Interessen entwickeln zu können;
  • LehrerInnen, die wegen Überlastung oder aus bloßem Desinteresse dem Lernprozess der SchülerInnen gleichgültig gegenüberstehen;
  • LehrerInnen, die SchülerInnen nur in ihrer Rolle als Objekt schulischen Lernens sehen und nicht bereit oder imstande sind der gesamten Person Beachtung zu schenken;
  • eine Fächerzentrierung, die nur die Vermittlung isolierter Kenntnisse zulässt;
  • einen Lernprozess, der primär auf die Reproduktion von Wissen und nur selten auf "Verstehen" gerichtet ist;
  • eine übermäßige Stofffülle.

Unter den genannten Kritikpunkten werden besonders häufig diejenigen benannt, in denen Klagen über unbefriedigende sozial kommunikative Beziehungen zu LehrerInnen zum Ausdruck kommen. Während die Schule rückblickend zumeist in Begriffen eines entfremdeten Lernprozesses beschrieben wird, heben die Auszubildenden an ihrer Ausbildung die Motivationseffekte neuer Ausbildungsmethoden, höhere Handlungsspielräume und die Einschätzung hervor, dass sie sich in der Ausbildung als ganze Person ernstgenommen und akzeptiert fühlen. Als exemplarisch für Vergleiche von traditioneller Schule und reformorientierter Ausbildung kann die folgende Aussage einer Auszubildenden gelten: "Die Ausbildung hier ist so, wie man sich die Schule wünschen würde" (14).

5. Forderungen an die allgemein bildenden Schulen

Ausgehend von den vorangegangenen Überlegungen lassen sich im Hinblick auf das allgemein bildende Schulsystem die nachfolgend thesenhaft aufgeführten Forderungen formulieren. Sie können allerdings nicht unmittelbar aus Entwicklungen im Beschäftigungssystem oder aus Übergangsproblemen an der ersten Schwelle abgeleitet werden und sind mithin weder in einem logischen Sinn zwingend, noch wird damit ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Da es sich jedoch im Wesentlichen um alte - aber nach wie vor aktuelle - bildungspolitische Forderungen handelt, erscheint es mir nicht notwendig auf (vorgebliche) Logiken und Sachnotwendigkeiten zu rekurrieren.

  • Eine Enthierarchisierung des Bildungssystems gehört weiterhin auf die bildungspolitische Tagesordnung. Eine ökonomisch und gesellschaftspolitisch gleichermaßen wünschbare Entwicklung zu ganzheitlicheren Arbeitsprozessen wird durch die hierarchische Differenzierung im Bildungssystem nachhaltig erschwert. Die vorhandenen hierarchischen Strukturen im Bildungssystem stützen eine Konzentration anspruchsvollerer Tätigkeiten in den oberen Beschäftigungssegmenten.
  • Die vorherrschende Methodik und Organisation des Schulunterrichts ist revisionsbedürftig. Die derzeitige Praxis fördert rezeptive Lernhaltungen der SchülerInnen und steht damit im doppelten Widerspruch zu ökonomisch bestimmten Flexibilitätsanforderungen an das Individuum und zur aktiven Mitgestaltung der Arbeitssituation durch die Beschäftigten.
  • Die Defizite im Erkennen und Nutzen von Handlungsspielräumen und -alternativen durch die betrieblichen Akteure und insbesondere die fehlenden Vorstellungen der AusbildungsanfängerInnen von der grundsätzlichen Gestaltbarkeit betrieblicher Strukturen erfordern Veränderungen im unmittelbaren Bereich schulischer Berufsorientierung. Hier stellt sich die Anforderung, betriebliche Strukturen, ihre Veränderungen im historischen Prozess, ihre grundsätzliche Veränderbarkeit, aber auch die strukturkonservierenden Kräfte in höherem Maße als bisher transparent zu machen sowie individuelle und kollektive Handlungsmöglichkeiten zu diskutieren. Ein berufsorientierender Unterricht, der sich ausschließlich als Hilfe zur Berufswahl (miß-) versteht oder sich auf die Vermittlung berufsrelevanter Fertigkeiten und Kenntnissen im engeren Sinne beschränkt, bleibt hinter dem Ziel einer sozialverträglichen Gestaltung von Arbeit und Technik zurück.
  • Die problematischen Orientierungen der SchulabsolventInnen weisen m. E. erheblich über den Bereich der Berufsorientierung hinaus. Wendet man auf die Praxis schulischen Lernens Kriterien an, die Hoff/Lappe/Lempert (1982) für (Arbeits-)Situationen formulieren, in denen Handlungs- und damit auch Gestaltungsfähigkeiten entwickelt werden können, so fällt auf, dass Schulen in den meisten Fällen eher restriktiv organisiert sind. Die Zeitstruktur des Unterrichtes wird von Stundenplänen und Lehrkräften festgelegt. Der Bewegungsraum der SchülerInnen reicht nur außerhalb der Unterrichtszeit über den Klassenraum hinaus. Gruppenarbeit und Kooperation treten hinter Einzelarbeit und Konkurrenz zurück und die Festlegung von Unterrichtszielen durch Kultusbürokratien ist der Einflussnahme durch die einzelne Schule weitgehend entzogen. Solange die Schule eine Organisation bleibt, die dem gestaltenden Zugriff der SchülerInnen (und auch der LehrerInnen) in (fast) jeder Hinsicht entzogen ist, wird die Wahrnehmung von Gestaltungsspielräumen und die Entwicklung von Gestaltungskompetenzen eher zufällig bleiben.
  • Die von den Auszubildenden im Rückblick auf die allgemein bildenden Schulen besonders kritisierten Verstöße gegen ihre Ansprüche auf befriedigende sozial kommunikative Beziehungen zu den LehrerInnen verweisen nicht nur auf die Notwendigkeit einer Revision überkommener Methoden und Sozialformen des Unterrichts. Die Realisierung der Ansprüche setzt eine Verbesserung der Betreuungsrelationen und ein pädagogisches Selbstverständnis der LehrerInnen voraus und ist - nebenbei bemerkt - mit einer konsequenten Modularisierung des Unterrichts und einer Schule nach dem Muster der flexiblen Fertigung (vgl. Lehner/Widmaier 1992) absolut inkompatibel.
  • Die Verengungen der gesellschaftlichen Perspektive selbst in der reformierten Ausbildung stellt auch Anforderungen an die allgemein bildenden Schulen. Es gilt, die grundsätzlich positiven schulischen Ansätze zu einer Entwicklung politisch-moralischer Urteilsfähigkeit durch explizite Bezüge zu beruflichen Handlungssituationen zu ergänzen, zu erweitern und eine gelegentliche Verengung gesellschaftlicher Problemlagen auf individuelle Verhaltensanforderungen zu überwinden.
  • Die Dominanz kognitiver Wissensvermittlung in individualisierten Lernprozessen muss zugunsten eigenständigen und sozialen Lernens in der Gruppe zurückgenommen werden. Nur so wird der Erkenntnis Rechnung getragen, dass "der beste Lehrmeister für soziale Handlungskompetenz und politische Engagementbereitschaft immer noch die unmittelbare Anschauung und das unmittelbare Sich-Auseinandersetzen mit der eigenen Umwelt ist" (Baethge 1990: 58).

Die nur angedeuteten bildungspolitischen Forderungen sind - obwohl sie von PraktikerInnen möglicherweise dennoch als Zumutung empfunden werden - sicherlich weniger spektakulär und originell als der Ruf nach einem deregulierten Schulsystem, das wesentliche Prinzipien einer modernisierten Produktion übernimmt. Sie sind nicht einmal neu. Es gibt nur neue Gründe sie durchzusetzen.

 

Anmerkungen

Dieser Aufsatz basiert auf Vorarbeiten, die der Verfasser gemeinsam mit Jürgen Simoleit und Jürgen Feldhoff (Projektleiter) im Forschungsprojekt "Berufsorientierung für eine neue Ausbildung im Betrieb" am Forschungsschwerpunkt "Zukunft der Arbeit", Fakultät für Soziologie, Universität Bielefeld, durchgeführt hat. Das gilt insbesondere für die unten angeführten empirischen Befunde. Das Projekt wurde von der Hans-Böckler-Stiftung und dem Ministerium für Wissenschaft und Forschung NRW gefördert.

1) Mit den genannten Ansätzen gehen sehr unterschiedliche Vorstellungen von der arbeitspolitischen Stellung der Beschäftigten in modernisierten Arbeitsprozessen einher. Die Pole bilden hier die "Neuen Produktionskonzepte" (Kern/Schumann 1984) und die "Lean-Production". Erstere schließen - jedenfalls in der von Kern/Schumann favorisierten Variante - an die Debatten um die Humanisierung der Arbeit an, während letztere - trotz der Forderung nach flacheren Hierarchien und Gruppenarbeit - die Arbeitskraft eher als Größe behandelt, die auf neue Weise fungibel ist.

2) Nach einer Erhebung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) aus dem Jahr 1991 werden in ca. 60% der Ausbildungsbetriebe überwiegend traditionelle Ausbildungsmethoden angewandt (Vormachen - Nachmachen, Frontalunterricht; vgl. Berufsbildungsbericht 1993). Eindeutig dem reformerischen Spektrum der Ausbildung neigen nur ca. 7,5% der Betriebe zu (Projektmethode, Gruppenarbeit, Leittext), während die mit ca. 33% stark vertretene Methode "auftragsbezogenes Lernen" nach Erfahrungen aus dem Projekt "Berufsorientierung" nicht eindeutig zuzuordnen ist. Zumindest ein Korrelat hat die Vorstellung von einer beruflichen Bildung in größeren Unternehmen allerdings bereits. Hier gibt es inzwischen - so der Eindruck aus den Projektarbeiten - kaum noch Ausbildungsabteilungen oder -werkstätten, sondern nur noch "Betriebliche Bildungswesen".

3) Zu einer ausführlichen Kritik an Lehner/Widmaier vgl. Jacke/Simoleit/Lemmermöhle-Thüsing/Feldhoff (1993).

4) Dies gilt nicht nur für Positionen, die mit ökonomischen Argumenten eine Bildungsreform vorantreiben wollen, sondern in gleichem Maße für die populärere, aber einem ähnlichen Grundmuster verpflichtete Sichtweise, die Bildung vornehmlich unter Kostengesichtspunkten behandelt.

5) Zu den analytischen Dimensionen von Abstimmungsprozessen zwischen Bildungssystem und Beschäftigungssystem vgl. Timmermann 1988.

6) Einen ähnlichen Zusammenhang haben offenbar auch Lehner/Widmaier mit ihrer durchaus unterstützenswerten Forderung nach einer Enthierarchisierung des Bildungssystems vor Augen (vgl. Lehner/Widmaier 1992: 100).

7) Auch einige der im Rahmen des Projektes "Berufsorientierung" befragten AusbildungsleiterInnen sehen die Reformtendenzen in der Berufsausbildung nicht nur als Reaktion auf veränderte Qualifikationsanforderungen der Betriebe, sondern auch als Ergebnis eines Wandels arbeitsbezogener Wertvorstellungen, dem mit erhöhter Kooperation und erweiterten Autonomiespielräumen Rechnung getragen werde.

8) Selbst tayloristische Formen der Arbeitsorganisation könnten nicht funktionieren, "wenn die Individuen darin nicht ein illegales Ausmaß an Eigeninitiative" an den Tag legten (Volpert 1987: 147; s. a. Schuchardt 1985: 31).

9) Dieses zeigte sich z. B. in Beteiligungsprojekten: "Wird die Gestaltung vorrangig von der Anschauung der bisherigen Arbeitsabläufe der BenutzerInnen bestimmt, so werden die herkömmlichen Formen der Informationsverwaltung, z. B. Formblätter, unverändert in automatisierte Strukturen übersetzt" (Mehl u. a. 1989: 127).

10) Eine umfassende Darstellung des Untersuchungsansatzes und der Ergebnisse wird im Sommer 1994 vorliegen; zur theoretischen Konzeption vgl. Simoleit/Jacke/Feldhoff 1994.

11) Ein Teil der lang gedienten AusbilderInnen zeigt sich hier allerdings reserviert. Bei ihnen dominieren Ängste vor dem Störpotenzial subjektiver Orientierungen für einen geregelten Ablauf von Arbeits- und Ausbildungsprozessen.

12) Die hier behauptete Fixierung auf Autoritäten und vorgefundene Strukturen mag als Widerspruch zu Untersuchungsergebnissen erscheinen, wonach jugendliche ArbeitnehmerInnen hohe kommunikative und arbeitsinhaltliche Ansprüche an die Arbeit stellen (vgl. Baethge u. a. 1988) und ihre Ansprüche durch die expansive Nutzung von Regelungs- und Kontrolllücken teilweise realisieren (s. o.). Die Ergebnisse des Projektes "Berufsorientierung" widersprechen dem jedoch nicht. Die Jugendlichen formulieren in der Tat hohe Ansprüche an die Arbeit, verfolgen sie jedoch ganz überwiegend nach gesellschaftlich vorgezeichneten, individualisierten Mustern. Sie streben vor allem eine formale Weiterbildung oder ein Studium an.

13) Diese Haltung zeigt sich nicht nur gegenüber betrieblichen Strukturen, sondern paradoxerweise auch bei Fragen zu Veränderungsmöglichkeiten der Unterrichtspraxis in allgemein bildenden Schulen. Obwohl die Schulkritik überraschend einmütig ist (s. u.), ist ein Teil der Auszubildenden nicht in der Lage, auch nur minimale Veränderungsvorstellungen zu formulieren.

14) In diesem Zusammenhang ist nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass die positive Einschätzung der Ausbildung nicht in gleicher Weise für die anschließende Berufspraxis gilt. Die Ausbildung befindet sich zumeist in einer Vorreiterfunktion für betriebliche Umstrukturierungen. Daraus resultierende Übergangsprobleme von der Ausbildung in ein Beschäftigungsverhältnis werden von den Ausbildungsverantwortlichen nicht nur in Kauf genommen, sondern sind bis zu einem gewissen Grade erwünscht, weil sie den Veränderungsdruck auf tradierte betriebliche Stuckaturen erhöhen. Hier wird in gewisser Weise mit Ausbildungskonzeptionen Arbeitspolitik im Betrieb gemacht, ohne dass deren Richtung von den Unternehmensleitungen eindeutig festgelegt ist. Die Ausbildungsabteilungen sind in der Auswahl von Inhalten, Methoden und Organisationsformen der Ausbildung relativ autonom.

 

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Famulla, Gerd-E. (2001): Berufsorientierung als Bildungsaufgabe im Strukturwandel von Ausbildung, Arbeit und Beruf - Das Programm "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben" aus Sicht der wissenschaftlichen Begleitung

 

1. Entstehungszusammenhang des Programms "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben" ("SWA-Programm")

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung [1] fördert in Zusammenarbeit mit den Ländern und den Sozialpartnern und mit Unterstützung durch den Europäischen Sozialfonds [2] neue Wege zur Verbesserung der Berufsorientierung und Arbeitsfähigkeit von Jugendlichen. Durch ein besseres Zusammenspiel von Schulen, weiterführenden Bildungseinrichtungen, Unternehmen, Gewerkschaften und Kommunen soll der Übergang von der Schule in das Berufsleben verbessert werden. Gefördert werden insbesondere Projekte, die für das jeweils federführende Land innovativ sind. Es gibt daher eine große Vielfalt an Kooperationspartnern und -formen, Zielgruppen und thematischen Schwerpunkten in den Projekten. Derzeit werden 34 Projekte gefördert (Stand: Januar 2003). Einige Projekte arbeiten in länderübergreifenden Verbünden zusammen.

Zu dem Programm ist im Frühjahr 2000 auf der Grundlage einer EU-weiten Ausschreibung eine wissenschaftliche Begleitung eingerichtet worden, die Aufgaben der Beratung und Evaluation, der Organisation von Fachtagungen und der Vernetzung der Projekte via Internet übernommen hat.

Obwohl die wissenschaftliche Begleitung ihre Sachkompetenzen zum Thema Übergang Schule - Beruf einbringt, liegt ihre vordringliche Aufgabe nicht in der direkten Praxisunterstützung der Projekte. Hier wäre sie schon von ihrer Arbeitskapazität her überfordert, zudem sind die Praxisexperten in den Projekten selbst anzutreffen. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt vielmehr in der Beratung bei der Sicherung überprüfbarer Projektergebnisse und deren Evaluation im Hinblick auf die Programmziele.

Es sei hier ausdrücklich vermerkt, dass gleichwohl auch die wissenschaftliche Begleitung ein grundlegendes Interesse an einem verstärkten öffentlichen Diskurs über Probleme und neue Wege der Jugendlichen beim Übergang in Arbeit und Beruf hat. Sie hängt insofern nicht der Illusion wertneutraler Wissenschaftlichkeit an, sondern sieht sich zumal bei der Programmevaluation in einer besonderen Verantwortung, die der Evaluationsforscher Lösel wie folgt beschreibt: "Wenn Programmevaluation ein Prozess ist, durch den eine Gesellschaft über sich selbst lernt, dann ist ihr Ausbau eng mit dem Gedanken einer offenen selbstkritischen und experimentierenden Gesellschaft verknüpft" (Lösel 1991, S. 91).

Im weiteren werden drei zentrale Herausforderungen zu Ausbildung, Arbeit und Beruf näher bestimmt, vor deren Hintergrund sich das Programm bewegt. Sodann wird der für das Programm zentrale Begriff der "Berufsorientierung" näher erläutert. Anschließend werden die Konturen eines neuen Verständnisses von Berufsorientierung verdeutlicht, wie es sich im Programm "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben" [3] abzeichnet (vgl. näher hierzu die demnächst erscheinenden "Zwischenergebnisse" des Programms; im Internet abrufbar unter swa-programm.de/dokumentation).

 

2. Das Engagement des Bundes mit einem Förderprogramm im Bereich der Berufsorientierung?

Zunächst einmal ist das Programm ein Beleg dafür, dass zur Bewältigung des gegenwärtig stattfindenden strukturellen Wandels in Arbeit und Beruf bildungspolitische Initiativen allein im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung nicht ausreichen. Vielmehr scheint es notwendig, neben den wiederholten Anstrengungen zur Überwindung der Ausbildungsstellenknappheit an der "ersten Schwelle" zusätzliche und neue Maßnahmen zu ergreifen, um angesichts wachsender technologischer, ökonomischer und ökologischer Herausforderungen dreierlei stärker zu fördern: erstens die Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen, zweitens die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe und schließlich drittens die Lehrkompetenzen an den Schulen im Bereich der Berufsvorbildung.

Die Berufsorientierung ist bei aller Unterschiedlichkeit in der Wahrnehmung dieser Aufgabe Bestandteil der Lehrpläne in den allgemein bildenden Schulen. Weiterhin ist die Berufsorientierung ein Teil des Dienstleistungsangebots und gesetzlicher Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit. Das heißt, der Schule obliegt die allgemeine Berufswahlvorbereitung, der Berufsberatung obliegt die Vorbereitung der individuellen Berufs- und Ausbildungsentscheidungen (vgl. Bundesanstalt für Arbeit 1999).

Das spezifische Engagement des Bundes im Rahmen des vorliegenden Programms erklärt sich aus der aktuellen Sorge um die Sicherung der Zukunftschancen der Jugend in Ausbildung und Beruf. Hintergrund sind die Herausforderungen und Probleme, denen sich die Jugendlichen beim Übergang von der Schule in Ausbildung, Studium und Beruf in wachsendem Maße gegenübersehen. Diese Probleme machen die Berufsorientierung zu einer erweiterten, anspruchsvollen Aufgabe. Sie erfordern neue und koordinierte Anstrengungen im Bereich der Schulen und Betriebe, aber auch der weiteren mitverantwortlichen Akteure wie Eltern, Arbeitsverwaltung, Wissenschaft und Politik.

 

3. Drei zentrale Herausforderungen an Ausbildung, Arbeit und Beruf

Drei zentrale Herausforderungen beeinflussen maßgeblich den Erfolg pädagogischen und politischen Handelns wie auch des Programms "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben" beim Übergang der Jugendlichen von der Schule in Ausbildung und Beruf.

 

3.1 Erste Herausforderung: Die Sicherung eines auswahlfähigen betrieblichen Ausbildungsplatzangebots

Wie im Berufsbildungsbericht 2002 festgestellt wird, haben sich die Ausbildungschancen der Jugendlichen im Jahre 2001 gegenüber dem Vorjahr um 1,3% bzw. 7841 weniger abgeschlossenen Ausbildungsverträgen verschlechtert. Gleichzeitig kam der öffentlich finanzierten Ausbildung durch außerbetriebliche Ausbildung sowie im Rahmen von Sonderprogrammen und durch das "Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit" auch im Jahr 2001 eine große Bedeutung zu. Ihr Anteil an der Gesamtzahl aller neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge lag in den neuen Ländern und Berlin bei 28,3% (2000: 26,9%), in den alten Ländern bei 4,0% (2000: 4,1%) (vgl. BMBF 2002, S. 5 ff).

Rechnet man zu der Zahl der unversorgt gebliebenen Jugendlichen noch diejenigen Jugendlichen hinzu, die gern eine Ausbildung absolvieren würden, aber aufgrund schulischer Leistungen keine Lehrstelle erhalten oder sich gar nicht erst beworben haben, so bleibt eine erhebliche Zahl von Jugendlichen in so genannten Warteschleifen im Berufsvorbildungs- oder Berufsgrundbildungsjahr oder hat die Hoffnung auf eine Lehrstelle ganz aufgegeben (vgl. Enggruber 1997, S. 203).

Die Gewerkschaften nennen in ihrem Sondervotum zum Berufsbildungsbericht 2000 eine Zahl von circa 200.000 Jugendlichen, die nach den Erfahrungen der Vorjahre trotz ihres Wunsches nach Ausbildung im kommenden Jahre keinen Ausbildungsplatz finden werden (vgl. GewBipol 3/4-2000).

Aus Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung [4] wissen wir, dass rund 1,6 Millionen junge Erwachsene in der Altersgruppe zwischen 20 und 29 Jahren Un- oder Angelernte sind (vgl. Kloas 1996, S. 23). Zugleich wissen wir aufgrund von Erhebungen des Emnid-Instituts [5], dass 42 Prozent dieser jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss an einer Nachqualifizierung interessiert sind (vgl. Emnid 1991, S. 12). Vielleicht ahnen sie etwas davon, dass der Bedarf an Beschäftigten ohne Ausbildungsabschluss sich weiter verringern wird, und zwar bis zum Jahre 2010 von heute etwa 20 auf 10 Prozent (vgl. Enggruber 1997, S. 204).

Wie immer man diese Zahlen im Einzelnen hin- und herwenden mag, sie sind zumindest ein nachdrücklicher Hinweis darauf, dass das quantitative Lehrstellenproblem auch für die nächsten Jahre noch nicht als gelöst anzusehen ist. Selbst das derzeit quantitativ annähernd ausgeglichene Verhältnis von angebotenen zu nachgefragten Ausbildungsplätzen verfehlt noch deutlich die Marke von 12,5 % Überangebot, das erst die anerkannten Auswahlmöglichkeiten bieten würde (vgl. in diesem Sinne auch Pütz 2003). Das Defizit an betrieblichen Ausbildungsplätzen ist um so gravierender, als (1) die betriebliche Ausbildung im dualen System entscheidende Vorteile gegenüber schulischen oder anderen öffentlich finanzierten Ausbildungsmaßnahmen aufweist, und (2) grundsätzlich jeder junge Mensch, wenn er nicht im medizinischen Sinne geistig behindert ist, die Möglichkeit zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung haben soll, wozu ihm gegebenenfalls adäquate sozialpädagogische Unterstützung und eine verlängerte Ausbildungsdauer einzuräumen ist (vgl. von Bothmer 1996, S. 72; Strikker 1991, S. VIIf).

Fazit: Die Sicherung eines auswahlfähigen Ausbildungsplatzangebots ist aus sozial-, bildungs- und arbeitspolitischen Gründen geboten. Das Programm "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben", das innovative Maßnahmen an der "ersten Schwelle" zum Arbeitsmarkt fördert, kann betriebliche wie staatliche Maßnahmen zur Verbesserung der quantitativen Lehrstellensituation nicht ersetzen. Letztere bleiben auf absehbare Zeit notwendig, um auch eher qualitativ orientierte Programme wie "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben [3]" schließlich erfolgreich werden zu lassen.

 

3.2 Zweite Herausforderung: Die Sicherung von Erwerbsarbeit für alle Erwerbsfähigen trotz der anhaltenden Erosion des "Normalarbeitsverhältnisses"

Seit den siebziger Jahren gibt es in der Bundesrepublik einen Trend von einem standardisierten System lebenslanger Ganztagsarbeit im Betrieb hin zu einem System pluralisierter, flexibler, dezentraler Beschäftigung (vgl. Beck 1986). Bereits heute sind nur noch weniger als die Hälfte aller Erwerbspersonen in einem so genannten Normalarbeitsverhältnis beschäftigt (vgl. Oschmiansky/ Schmid 2000, S. 4), bei dem eine fachlich qualifizierte Arbeit mit voller Stundenzahl ausgeübt und mit vollem tariflichen Entgelt bezahlt wird, in dem gesetzlicher Kündigungsschutz besteht und volle Urlaubs- und Rentenansprüche gesichert sind. Auf die anderen Erwerbspersonen trifft hingegen die Realität zeitweiser oder anhaltender Erwerbsarbeitslosigkeit sowie flexibler Beschäftigungsverhältnisse zu. Auch wenn man durchaus noch nicht vom Verschwinden der Normalarbeit sprechen kann und aufgrund der neuen Arbeitsformen und -verhältnissen wie dem "Arbeitskraftunternehmer" (vgl. Voß/ Pongratz 1998) oder dem "Scheinselbstständigen" (vgl. Reindl 2000) die Verallgemeinerung und Zukunftsfähigkeit mit guten Gründen bestritten werden kann, dürften wir erst am Beginn der Suche nach einem ausgewogenen Verhältnis ökonomisch bestimmter Flexibilität und sozialpolitisch notwendiger Sicherheit nach "Flexicurity" stehen (vgl. Keller/ Seifert 2000).

Immerhin hat die Erosion des "Normalarbeitsverhältnisses" auch dazu geführt, dass zunehmend Formen von Eigenarbeit (etwa im Privathaushalt) und öffentlicher Arbeit (etwa als Engagement in der Kommunalpolitik) als Alternativen zur Erwerbsarbeit diskutiert werden. Doch alle Anzeichen deuten darauf hin, dass diese Formen von Arbeit auf längere Sicht weniger als Alternativen, sondern eher in einem engen wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis zur Erwerbsarbeit zu sehen sind (vgl. Wagner/ Gensior 1999, S. 57ff).

Weil die Erwerbsarbeit zumeist unbezahlte Hausarbeit zur Voraussetzung hat, bleibt die Aufgabe der Umverteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit, das heißt vor allem der Erwerbs- und Hausarbeit, zwischen den Geschlechtern auf der Tagesordnung. Doch ein "Ende der Erwerbs-Arbeitsgesellschaft" ist deshalb nicht in Sicht. Dieses Ende würde auch durch mehr "Geschlechterdemokratie" und einen "Geschlechtervertrag" zur Neuverteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit (Hausarbeit und Erwerbsarbeit) noch nicht herbeigeführt, auch wenn sich darin eine stärkere gesellschaftliche Anerkennung von Erziehungs- und Pflegearbeit ausdrückt und der Benachteiligung von Mädchen und jungen Frauen bei der bislang stark geschlechtsspezifisch geprägten Berufswahl die wesentliche Grundlage entzogen würde (vgl. näher hierzu Lemmermöhle 2001).

Festzustellen ist heute die weitere Verlagerung von Erwerbstätigkeiten: vom industriellen Bereich in den Dienstleistungsbereich, von der Normalarbeit zu den anderen Erwerbsformen wie geringfügige Beschäftigung, Werkvertrags- und Leiharbeit bis hin zur so genannten neuen Selbstständigkeit etwa in der Form der "Ich-AG". Oschmiansky/ Schmid vom Wissenschaftszentrum Berlin plädieren für eine "institutionelle Absicherung von Übergängen zwischen den verschiedenen Erwerbsformen, um soziale Ausschließung zu vermeiden und zu einer Neuverteilung der Arbeit bei gleichzeitiger Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit beizutragen" (Oschmiansky/ Schmid 2000, S. 5; als Beispiel für die erfolgreiche Neuregelung von "Übergängen" dient die dänische Qualifikations-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik; vgl. hierzu Braun 2003).

Trotz des Rückgangs der Erwerbsquote im Normalarbeitsverhältnis und der Zunahme anderer Erwerbsarbeitsformen mit höheren sozialen Risiken bis hin zur sozialen Ausschließung bleibt die Erwerbsarbeit auch im Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft die anerkannteste Form der Arbeit. Insofern bewegen wir uns weiterhin in der historischen Form "Wirtschaftsgesellschaft" (vgl. Polanyi 1979), in der die vor allem ökonomisch determinierte Erwerbsarbeit das "organisierende Zentrum" der Lebensführung bildet. Durch sie werden für Individuum und Gesellschaft zugleich Wohlstand möglich, aber auch Problemlagen erzeugt, die zum Teil durch "Familienarbeit" bzw. Sozialpolitik wiederum kompensiert werden müssen (vgl. Famulla 1990).

Fazit: Bei der Berufsorientierung in der Schule sollte ein erweiterter Arbeitsbegriff zugrunde gelegt werden, der neben der Erwerbsarbeit die Hausarbeit und Bürgerarbeit umfasst. In der Wirtschaftsgesellschaft bildet die Erwerbsarbeit das organisierende Zentrum der Lebensführung, eine Auseinandersetzung mit ihren ökonomischen und sozialen Bedingungen ist unabdingbar (Aneignung arbeits- und berufsbezogener Wirtschaftskenntnisse).

 

3.3 Dritte Herausforderung: Die Sicherung der Berufsform von Arbeit im Sinne von "beruflicher Handlungsfähigkeit" bei gleichzeitigem Abschied vom "Lebensberuf"

Diese Herausforderung enthält nur scheinbar ein Paradox. Nicht von der berufsförmigen Arbeit gilt es Abschied zu nehmen, sondern von der Annahme, den Ausbildungsberuf ein ganzes Leben lang, womöglich noch in einem einzigen Betrieb ausüben zu können. Die veränderten und sich rascher wandelnden Qualifikationsanforderungen des Beschäftigungssystems müssen mit den Bildungs-, Arbeits- und Lebensansprüchen der Menschen, insbesondere der Jugendlichen, in Einklang gebracht werden. Immer häufiger wird heute die Frage gestellt, ob dieser Abstimmungs- und Anpassungsprozess im Rahmen der beruflich organisierten und qualifizierten Arbeit noch zu schaffen ist oder ob der Beruf "out" ist und mit dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, vom Facharbeiter zum Wissensarbeiter ("Symbolanalytiker") seine Brücken- und Integrationsfunktion verliert, wie etwa der Berufssoziologe Martin Baethge meint (vgl. Baethge 1996)?

Zur Rolle des Berufs bei der Abstimmung zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Auch gibt es verschiedene Reformkonzepte (vom Bundesinstitut für Berufliche Bildung, vom Deutschen Industrie- und Handelstag wie auch von den Handwerkskammern), um eine bessere Anpassung zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem zu ermöglichen. Danach geht die Tendenz langfristig dahin, Berufsausbildung stärker auf die Vermittlung theoretisch anspruchsvoller und extrafunktionaler Kompetenzen zu konzentrieren. Es soll eine berufliche Grundqualifikation vermittelt werden, auf der ein stärker am Arbeitsmarkt bzw. an betrieblichen Anforderungen orientiertes und gestaltbares System der beruflichen Weiterbildung aufsetzt (vgl. in diesem Sinne auch Rebmann u. a. 1998, S. 64).

Neben der Bündelung von Arbeitsanforderungen zu marktfähigen Qualifikationen mittels Ausbildungsordnungen ist die wichtige psychosoziale Funktion des Berufs hervorzuheben, wenn man danach fragt, welchen Beitrag Berufsvor- und ausbildung für die Integration der Jugendlichen in die Gesellschaft leisten. Über den Beruf werden ja nicht nur marktfähige Qualifikationen gebündelt, Wertorientierungen und Haltungen vermittelt, gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung erreicht, über den Beruf und die Berufswahl werden "Lebenspläne" entwickelt. Es scheint, als ob die meisten hiermit auch gut fahren: Nach einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft würden immerhin 73 Prozent aller Ausgebildeten im Westen und 80 Prozent aller Ausgebildeten im Osten die gleiche Ausbildung noch einmal wählen (vgl. iwd 46/1999, S. 6).

Fazit: Für den "Übergang von der Schule in das Wirtschaftsleben" behält der Beruf seine Leitfunktion. In einer dynamischen Arbeitswelt, die von einer zunehmenden Dynamisierung und Auflösungstendenzen im Status der Erwerbstätigen geprägt ist, kommt dem "Beruf als Identifikationsanker" eine steigende Bedeutung zu (vgl. in diesem Sinne Dostal 2002). Dem steht nicht entgegen, dass die Kategorie des Berufs in der beruflichen Bildung zunehmend in der Zielformel "berufliche Handlungsfähigkeit" und hierzu gehöriger Einzelkompetenzen konkretisiert wird. Allenfalls wird hierdurch ein erheblicher Reformbedarf signalisiert, was die Gewichte und die Formen der Aneignung der als notwendig erkannten Sach-, Sozial-, Methoden- und Selbstkompetenz angeht.

 

4. "Berufsorientierung" ist mehr als "Berufswahlfähigkeit"

Welche Folgerungen ergeben sich nun aus diesen drei zentralen Herausforderungen an Arbeit und Beruf für den Übergang an der "ersten Schwelle"? Die strukturellen Veränderungen innerhalb der Erwerbsarbeit - Stichworte: Mikroelektronik, Dienstleistungen, Internationalisierung, Flexibilisierung - haben zwar eine erneute Diskussion um die Zukunft und Reform des dualen Systems der Berufsbildung angestoßen. Für die Phase der Berufsvorbildung haben sie jedoch noch keine vergleichbaren Veränderungsimpulse ausgelöst. Deutlich wird dies daran, dass mit den "alten" Begriffen wie "Berufswahlfähigkeit", "Ausbildungsfähigkeit" und "Arbeitsmarktfähigkeit" allein das Verhältnis von geänderten subjektiven Interessenlagen der Jugendlichen bei der Berufswahl einerseits und den neuen Herausforderungen der Arbeitswelt andererseits nicht mehr angemessen bezeichnet werden kann. "Berufswahlfähigkeit" verengt die wichtige Kategorie des Berufs als Schnittpunkt objektiver Arbeitsmarkterfordernisse und subjektiver Entwicklungsbedürfnisse in und mit der Arbeit. "Ausbildungsfähigkeit" verengt die Wahrnehmung und Stärkung der Kompetenzen von Jugendlichen zu sehr auf die Erfordernisse des Beschäftigungssystems. Der Begriff "Berufsorientierung" scheint noch am wenigsten vorbelastet, wenn auch bislang eher ein "dünnes Abstraktum".

Nimmt man den Begriff "Berufsorientierung" gleichwohl als eine Art Suchbegriff, um die neue Situation am Übergang Schule-Arbeitsleben und vor allem die neu zu entwickelnden oder zu stärkenden Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern näher bestimmen zu können, so muss hier auch mehr als das traditionelle Verständnis von "Berufswahlfähigkeit" gemeint sein (zu einem erweiterten Begriff von Berufsorientierung, bei dem die Berufswahlvorbereitung nur eine von vier Dimensionen bezeichnet vgl. auch Schudy 2002). Unter "Berufswahlfähigkeit" konnte man bis weit in die siebziger Jahre hinein noch die Fähigkeit verstehen, sich unter genauer Kenntnis seiner Wünsche und Fertigkeiten wie auch des zumeist regionalen betrieblichen Ausbildungsplatzangebots für einen "Lebensberuf" entscheiden zu können.

Aus der Jugendforschung wie auch aus Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Schober/ Gaworek 1996; Fobe/ Minx 1996) wissen wir von der hohen Bedeutung, die Ausbildung und Beruf nach wie vor für die Jugendlichen haben. Zugleich ist zu konstatieren, dass die Gestaltung der Berufsbiografie weniger nach vorgegebenen Mustern verläuft, sondern zunehmend in die Entscheidung und Verantwortung des Einzelnen gelegt ist und die Berufswahl, als ein anhaltender, stufenweiser Prozess von Qualifikations- und Arbeitsplatzentscheidungen zu verstehen ist. Berufsorientierung wandelt sich von der gesteuerten Orientierung auf den Lebensberuf zu einer eigenverantwortlichen Berufswahl als Prozess, wobei man versucht, auf jeder Stufe Optionen für mehrere berufliche Alternativen zu erlangen.

Diese neue Art der Berufsorientierung, zu der das Entwerfen eines eigenen Zukunftskonzepts ebenso wie das Wissen um die betrieblichen Flexibilitätserfordernisse gehört, macht eine stärkere Kooperation zwischen Schule und Wirtschaft erforderlich. Hierzu sind bei Wahrung und Akzeptanz aller Unterschiede in den Zielsetzungen beider Bereiche innovative Impulse gefragt, wie sie vom Programm "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben" gewünscht und gefördert werden (vgl. hierzu Programm "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben": Zwischenbericht, Flensburg/ Bielefeld 2001).

Die Abstimmung zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem ist kein eigengesetzlicher Prozess, sondern Resultat von Gestaltungsprozessen der beteiligten Akteure. Hieraus erwächst für die Jugendlichen zugleich eine wachsende Eigenverantwortung auch für die Gestaltung der eigenen Arbeits- und Berufsbiografie. Gefordert sind hierauf bezogene neue Curricula sowie Lehr- und Lernmethoden, die besonders auf die Förderung von Selbstständigkeit, Team- und Kommunikationsfähigkeit orientieren.

Förderprogramme, Initiativen und unterstützende Maßnahmen seitens der arbeits- und bildungspolitisch Verantwortlichen können helfen, die Suche nach neuen Wegen zur Gestaltung von Berufs- und Erwerbsarbeit bereits in der Phase der Berufsvorbildung mit nachhaltiger Wirkung beginnen zu können.

Für die Jugendlichen ergeben sich hieraus je nach Qualifikationsvoraussetzungen unterschiedliche Probleme, aber auch Chancen. Nach den Prognosen der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung wird insbesondere für gering Qualifizierte das Arbeitsplatzangebot weiter schrumpfen. Aber auch höher Qualifizierte in abhängiger Beschäftigung werden nicht mehr die Sicherheit des Arbeitsplatzes vorfinden, die für sie bis in die siebziger Jahre anzutreffen war (vgl. Jansen 2000). Daraus folgt für die pädagogisch und politisch Verantwortlichen im Bereich der Berufsorientierung an allgemein bildenden Schulen, sich einerseits stärker als bisher auf die so genannten besonderen Gruppen ("Benachteiligte") zu konzentrieren und andererseits der Befähigung zum selbstständigen, eigen- und sozial verantwortlichen Handeln bis hin zur Option auf unternehmerische Selbstständigkeit ein größeres Gewicht einzuräumen.

Vor dem Hintergrund der vorstehenden Anmerkungen zum Wandel in der Berufs- und Arbeitswelt ist die Konkretion und Anwendung der Ziele und Förderkriterien zu verstehen, die sich aus dem Rahmenkonzept des Förderprogramms "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben" ergeben und die für die Beratung und Begutachtung der einzelnen Projekte bedeutsam sind. Bei diesen Kriterien wird dem Aspekt "Berufsorientierung" angesichts des Wandels der Arbeits- und Berufswelt ein besonderes Gewicht zugemessen. Zugleich wurde und wird im Einzelnen gefragt, ob und welchen spezifischen Beitrag die Projekte etwa zur Stärkung der Ausbildungsfähigkeit von Mädchen leisten, ob und wie die Vermittlung ökonomischer Grundkenntnisse angestrebt wird, welchen innovativen Beitrag das einzelne Projekt vor dem Hintergrund bereits laufender Maßnahmen im jeweiligen Bundesland leistet und wie die überregionale Kooperation, der Transfer von Projektergebnissen und die Vernetzung dieses Projektes mit anderen Projekten des Programms und darüber hinaus realisiert wird.

 

5. Gegenstände des Programms "Schule-Wirtschaft/Arbeitsleben"

Selbstverständlich musste mit dem Programm "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben" bei der "bildungswirksamen Hinführung zur modernen Arbeitswelt" nicht noch einmal da angefangen werden, wo im Jahre 1964 der Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen schon die Arbeitslehre als "Eingangsstufe des beruflichen Bildungsweges" konzipierte. Seither gab es zu diesem Thema nicht nur eine Textflut von circa 8.000 Titeln, über 50 Schulversuche und zahlreiche Kongresse. Es sind in allen Bundesländern auf den Ebenen Lehrplan, Lehrerausbildung sowie Unterrichtspraxis institutionelle und curriculare Maßnahmen ergriffen worden, um diesen wichtigen Bereich im allgemein bildenden Schulbereich zu regeln (zur Darstellung und Kritik vgl. Ziefuss 1993).

Gleichwohl werden der Stellenwert der Arbeitslehre bzw. der Berufsvorbildung in der Schule, die Lehrerausbildung wie auch die Stundentafel hierzu weithin und schon seit längerem als defizitär beklagt. Hinzu kommt, dass auf den oben angeführten Strukturwandel der Arbeit mit seinen zentralen Herausforderungen auch neue inhaltliche Antworten im Rahmen der Berufsvorbildung gefunden werden müssen.

Das Programm "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben" kann als eine solche systematische und anspruchsvolle, in vielen Teilen auch verallgemeinerbare, Antwortsuche verstanden werden, wenn man sich das Rahmenkonzept sowie die Gegenstände der bewilligten Projekte vergegenwärtigt. Nach dem Rahmenkonzept des SWA-Programms steht die Förderung innovativer Projekte zur Verbesserung des Übergangs von der Schule in das Berufsleben im Zentrum.

Gegenstand der Innovation können recht unterschiedliche Inhalte sein. Im Bereich der Berufsorientierung beziehen sich die wichtigsten Innovationsinhalte auf methodische (z. B. Lehr-/ Lernarrangements), personale (z. B. Kompetenzentwicklung) oder organisatorische Aspekte (z. B. Stundentafel). In der Praxis sind diese Aspekte kaum zu trennen, da beispielsweise für die Entwicklung neuer Lernarrangements auch organisatorische und personelle Veränderungen notwendig sein können. Eine Innovation muss dabei nicht etwas im globalen Maßstab grundsätzlich Neues sein, sondern kann auch eine Neuerung oder Veränderung in einer bestimmten Region oder für bestimmte Nutzergruppen bedeuten, die in anderen Kontexten bereits seit längerem eingeführt ist. So besteht eine innovative Aufgabe für SWA-Projekte darin, Maßnahmen so umzubauen und so zu kombinieren, dass sie zweckdienlich und effektiv eingesetzt werden können (Beispiel: Betriebspraktikum) und so zu organisieren, dass sie alltagstauglich werden (Beispiel: Qualitätsmanagement an Schulen).

Das Gros der Projekte verfolgt als Hauptziel zu etwa gleichen Teilen entweder Veränderungen auf der personalen Ebene bei den Jugendlichen und den Lehrkräften oder der methodischen Ebene, also der Form der Vermittlung von Erkenntnissen. Innovationen auf organisatorischer Ebene stehen bisher nur bei wenigen Projekten im Vordergrund.

Die Projekte sind bei aller Gemeinsamkeit in der Verfolgung des Oberziels (Entwicklung innovativer und nachhaltig wirksamer Maßnahmen zur Stärkung der Kompetenzen von Jugendlichen beim Übergang von der Schule in das Berufsleben) im Hinblick auf Ausgangsbedingungen, spezifische Projektziele, Gegenstände und Maßnahmen kaum vergleichbar. Zum breiten Spektrum der Projektgegenstände gehören:

  • die Entwicklung eines Berufswahlpasses und flexibel einsetzbare Handreichungen zur Berufswahl;
  • die Durchführung systematisch vorbereiteter und begleiteter kontinuierlicher Praxistage;
  • die anspruchsvolle Bearbeitung realer betrieblicher Aufgaben durch Schülergruppen;
  • die Implementierung von individuell zugeschnittenen Förderpraktika;
  • die Einrichtung von Projektgruppen, in denen lernschwache oder schulaversive Schülerinnen und Schüler durch Lehrerteams in Produktions- und Dienstleistungsprojekten betreut werden;
  • die Entwicklung internetgestützter Bildungsangebote zur Berufswahlvorbereitung für Schülerinnen und Schüler sowie für Lehrerinnen und Lehrer;
  • die mediendidaktische Aufbereitung und interaktive Bearbeitung von Themen der Arbeitswelt;
  • die stärkere Einbeziehung von Fachleuten aus der Wirtschaft als Mentorinnen und Mentoren für die Beratung und Begleitung von Jugendlichen bei der Gestaltung ihrer Berufsbiografien;
  • die Schaffung von Korporationsverbünden zwischen Schulen und Unternehmen;
  • die Vernetzung von Projekten, Initiativen und Akteuren der Berufsorientierung durch "Agenturen" auf Landesebene;
  • die Einführung von schulischem Qualitätsmanagement zur Verbesserung der Startchancen in den Beruf;
  • die modellhafte Entwicklung von Schulprofilen mit besonderem Gewicht auf einen erfolgreichen Übergang in Ausbildung und Beruf
  • und neue Kooperationsformen zwischen Schulen, Hochschulen und Unternehmen, um Jugendliche in ihrer Entscheidungsfähigkeit bei der Ausbildung und Berufswahl zu unterstützen.

Zieht man nach etwa drei Jahren Laufzeit ein erstes Zwischenfazit zur Arbeit im Programm "Schule-Wirtschaft/ Arbeitsleben", zeichnen sich die Umrisse oder zumindest Akzente eines neuen Verständnisses von Berufsorientierung ab.

6. Konturen eines neuen Verständnisses von Berufsorientierung

Aus fachlicher Sicht und vor einer Erörterung von Schlussfolgerungen aus der bisherigen Programmarbeit können die möglichen Konturen eines veränderten Verständnisses von Berufsorientierung bezeichnet werden:

  • Schülerinnen und Schüler werden stärker als "handelnde Subjekte" einbezogen, indem die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer wie auch andere Akteure zunehmend in die Rolle von Moderatorinnen und Moderatoren schlüpfen und durch Anwendung veränderter Lehr- und Lernformen bei ersten betrieblichen Arbeitserfahrungen sowie bei der Entwicklung eines eigenen Zukunftskonzepts unterstützend tätig sind.
  • Die Stärkung von Selbstständigkeit und Eigenverantwortung als die heute vielleicht wichtigsten Kompetenzen im Arbeitsleben ist als Aufgabe nicht erst in Ausbildung und Beruf sondern bereits in der allgemein bildenden Schule erkannt. Ansätze hierzu finden sich in einer Reihe von Projekten des SWA-Programms. In der Organisation aufgabenbezogener Betriebspraktika, über die Arbeit an betrieblichen Problemstellungen bis hin zur Existenzgründung wird in vielen Projekten das Arbeitshandeln in einen Zusammenhang mit der betrieblichen Wertschöpfung gestellt und als Leistung erkannt und anerkannt.
  • Es wird Berufswahl als Prozess begriffen, indem der Übergang an der so genannten ersten Schwelle nicht punktualisiert, sondern flexibilisiert wird, indem die bisherige Stundentafel modifiziert, individuelle Orientierung und Lernplanung ermöglicht und die einzelnen selbst entwickelten Schritte in die Ausbildung mit einem Berufswahlpass dokumentiert werden. Mit der Flexibilisierung der Übergangsphase zeichnen sich vor allem erhöhte Chancen für die so genannten Benachteiligten ab, deren Integration in das Erwerbsleben sich zumeist nur als sozialpädagogisch und unterrichtsfachlich begleiteter Prozess vorstellen lässt.
  • Kooperation und Vernetzung: Weil eine nachhaltige Verbesserung der Berufsorientierung durch die Schule allein nicht zu leisten ist, werden in einer Reihe von Projekten gemeinsame Anstrengungen von Schulen, Betrieben, Berufsberatungen und Eltern ("Kooperation") in organisatorisch verankerter Form ("Vernetzung") unternommen.

Aufgrund bisheriger Erfahrungen und Erkenntnisse konnten bereits neue Akzente bei der Programmgestaltung gesetzt und die Durchführung der neuen Projekte verbessert werden. In der zweiten Projektrunde sind vor allem Themen wie planmäßige Gründung und Organisation von Netzwerken, der Transfer von Projektideen und -ergebnissen, das systematische Vorantreiben von Schulentwicklungsprozessen und die Beschäftigung mit besonderen Gruppen stärker in den Vordergrund gerückt.

 

6. Konturen eines neuen Verständnisses von Berufsorientierung

Aus fachlicher Sicht und vor einer Erörterung von Schlussfolgerungen aus der bisherigen Programmarbeit können die möglichen Konturen eines veränderten Verständnisses von Berufsorientierung bezeichnet werden:

  • Schülerinnen und Schüler werden stärker als "handelnde Subjekte" einbezogen, indem die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer wie auch andere Akteure zunehmend in die Rolle von Moderatorinnen und Moderatoren schlüpfen und durch Anwendung veränderter Lehr- und Lernformen bei ersten betrieblichen Arbeitserfahrungen sowie bei der Entwicklung eines eigenen Zukunftskonzepts unterstützend tätig sind.
  • Die Stärkung von Selbstständigkeit und Eigenverantwortung als die heute vielleicht wichtigsten Kompetenzen im Arbeitsleben ist als Aufgabe nicht erst in Ausbildung und Beruf sondern bereits in der allgemein bildenden Schule erkannt. Ansätze hierzu finden sich in einer Reihe von Projekten des SWA-Programms. In der Organisation aufgabenbezogener Betriebspraktika, über die Arbeit an betrieblichen Problemstellungen bis hin zur Existenzgründung wird in vielen Projekten das Arbeitshandeln in einen Zusammenhang mit der betrieblichen Wertschöpfung gestellt und als Leistung erkannt und anerkannt.
  • Es wird Berufswahl als Prozess begriffen, indem der Übergang an der so genannten ersten Schwelle nicht punktualisiert, sondern flexibilisiert wird, indem die bisherige Stundentafel modifiziert, individuelle Orientierung und Lernplanung ermöglicht und die einzelnen selbst entwickelten Schritte in die Ausbildung mit einem Berufswahlpass dokumentiert werden. Mit der Flexibilisierung der Übergangsphase zeichnen sich vor allem erhöhte Chancen für die so genannten Benachteiligten ab, deren Integration in das Erwerbsleben sich zumeist nur als sozialpädagogisch und unterrichtsfachlich begleiteter Prozess vorstellen lässt.
  • Kooperation und Vernetzung: Weil eine nachhaltige Verbesserung der Berufsorientierung durch die Schule allein nicht zu leisten ist, werden in einer Reihe von Projekten gemeinsame Anstrengungen von Schulen, Betrieben, Berufsberatungen und Eltern ("Kooperation") in organisatorisch verankerter Form ("Vernetzung") unternommen.

Aufgrund bisheriger Erfahrungen und Erkenntnisse konnten bereits neue Akzente bei der Programmgestaltung gesetzt und die Durchführung der neuen Projekte verbessert werden. In der zweiten Projektrunde sind vor allem Themen wie planmäßige Gründung und Organisation von Netzwerken, der Transfer von Projektideen und -ergebnissen, das systematische Vorantreiben von Schulentwicklungsprozessen und die Beschäftigung mit besonderen Gruppen stärker in den Vordergrund gerückt.

 

Literatur

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Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt.

Bothmer, Henrik von (1996): Benachteiligte Jugendliche - chancenlos? In: Modernisierungsbedarf und Innovationsfähigkeit der beruflichen Bildung. Gesprächskreis Arbeit und Soziales Nr. 65. Hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn.

Braun, Thorsten (2003): Ein neues Modell für Flexicurity - der dänische Arbeitsmarkt. In: WSI-Mitteilungen, Heft 2, 92-99.

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[3] http://www.swa-programm.de/
[4] http://www.bibb.de/
[5] http://www.tns-emnid.com/index1.html
[6] http://www.swa-programm.de