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Beiträge 1970-1979

 

Behrmann, Günter C., Jeismann, Karl Ernst, Süssmuth, Hans (1978): Geschichte und Politik. Didaktische Grundlegung eines kooperativen Unterrichts

 

1. Einleitung

 

1.1 Zur Situation der Didaktik des historischen und politischen Unterrichts

Seit einigen Jahren kündigt sich der Beginn einer neuen Epoche in der Geschichte der deutschen Schule an. Das gilt sowohl für ihre Organisationsformen und ihre Einpassung in die sozialen Veränderungen, für den gesamten Lehrplan wie für den Fachunterricht; es gilt in besonderer Weise für den geschichtlichen und politischen Unterricht.

Den Vorzug, Geschichtsunterricht genießen zu dürfen und politische Aufklärung intentional zu erhalten, hatten in der Geschichte lange Zeit nur die unmittelbar oder mittelbar an der Herrschaft beteiligten Gruppen. Geschichtsunterricht war zunächst der Fürstenerziehung vorbehalten, wurde an den Ritterakademien eingeführt und drang schließlich am Ende des 18. Jahrhunderts in die gelehrten bürgerlichen Schulen ein. Erst spät, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wurde der historisch-biblische Unterricht der Volksschulen nach und nach durch weltlichen Geschichtsunterricht ergänzt. Ein, nicht nur historisch angeleiteter, die je bestehende politische Ordnung wie die Rechte und Pflichten der Bürger behandelnder politischer Unterricht wurde schließlich in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts in den Fächerkanon der Schulen aufgenommen. Zumal im deutschen Schulwesen hielt sich bis in unsere Tage – deutlicher noch im Geschichtsunterricht als im sozialkundlich-politischen Unterricht – eine Zweischichtung: dem "Gebildeten" wurde ein anderes Geschichtsbild in der Schule zuteil als dem "Volk". Der historische Unterricht in den Volksschulen orientierte sich in der Praxis an einem anderen Verständnis der Bürgerrolle als an den Gymnasien. Die Aufhebung dieses Unterschiedes, die der Ausweitung der politischen Grundrechte auf alle Bürger, nunmehr auch die jungen Bürger, nachfolgt, würde allein schon genügen, um die Didaktik des Geschichtsunterrichts, teilweise auch des politischen Unterrichts vor eine neue und notwendige Aufgabe zu stellen. Der politische Unterricht im eigentlichen Sinne beginnt überhaupt erst auf der Basis potentieller demokratischer Teilhabe aller an der politischen Willensbildung. Deshalb wird hier eine didaktische Grundlegung nicht für bestimmte Schularten, sondern für den Geschichts- und Politikunterricht aller Schulen versucht.

In einem ersten Arbeitsvorhaben werden Unterrichtseinheiten für die Sekundarstufe I (einschließlich der Förderstufe) vorgelegt. Sie richten sich gleicherweise an alle Schüler – auch wenn in der Schulorganisation der Länder nach wie vor große äußerliche und innerliche Unterschiede zwischen den Schularten dieser Stufe bestehen. Sie überwinden zu helfen und damit eine breite Fundierung historisch-politischer Bildung aller Heranwachsender ohne schul- oder schichtenspezifische Differenzierung durch den Unterricht voranzutreiben – dies aber auf einem Anspruchsniveau zu versuchen, das der Bedeutung dieser Fundierung entspricht – ist das erste Anliegen dieses Vorhabens. Ein differenzierteres Angebot für die Sekundarstufe II (Leistungs- und Grundkurse) wird folgen. Für Leistungskurse der Sekundarstufe II und für den akademischen Unterricht ist eine Reihe dieses Werkes mit dem Untertitel "Quellen und Forschungen" vorgesehen.(1) [/S. 12:]

Die Herausforderung der Didaktik der Geschichte wie einer von ihr nur um den Preis einer fachwidrigen Verengung der Problemstellung zu trennenden Didaktik der Politik wird verschärft durch die schon oft dargestellten und in ihrer Bedeutung für Wissenschaft und Unterricht gewürdigten besonderen Tatsachen der deutschen Geschichte einerseits, der weltpolitischen Verschiebungen andererseits. Darum muß hier nicht mehr ausgeführt werden, wie der Schock des Verlustes des nationalen Geschichtsbildes nach 1945, wie die schon über die Ereignisse von 1933 und 1918 zurückreichenden Erschütterungen des Vergangenheitsverständnisses dem geschichtlichen und politischen Unterricht in deutschen Schulen die selbstverständlich und unbefragt geltende Basis der geschichtlichen Identität entzogen; es muß nicht mehr dargelegt werden, wie die deutsche Teilung als Symptom einer universalen weltpolitischen Frontenbildung, wie das ständig sich neu Herausbilden unerwarteter und noch schwer faßbarer politisch-geschichtlicher Entwicklungen in einer immer mehr auf Verflechtung und Wechselwirkung entfernter Faktoren tendierenden Welt auch den alten, europäischen Rahmen des nationalen Geschichtsbildes sprengt. Schließlich muß nicht mehr nachgewiesen werden, daß sowohl mit der Entwicklung der Sozialwissenschaften und der Metamorphose der Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren, wie auch mit der erst jüngst wieder erkannten und unmittelbaren Bedeutung historischer Analysen, jene Urteile und Wertungen, welche die politische Gegenwart und die Zukunft mitbetreffen, neu und kontrovers diskutiert werden. Die "Reideologisierung" der politischen Auseinandersetzung macht nicht nur den politischen Unterricht, sondern in gleichem Maße auch den Geschichtsunterricht zu einer Stätte der Auseinandersetzung unterschiedlicher politischer Tendenzen.(2)

Längst ist unter dem Eindruck dieser Vorgänge die Tatsache wieder anerkannt, daß didaktische Konzeptionen des historischen und politischen Unterrichts keine bloß pädagogischen, nur didaktischen Angelegenheiten sind, sondern politische Positionen bezeichnen. Das war auch in der Vergangenheit so, wenngleich eine durch die Erfahrungen nach 1933 nicht ohne Grund den politischen Zugriff abwehrende Didaktik diese enge Verbindung von Politik und Pädagogik leugnen mochte. Indessen ist die bloße Wiederholung der Feststellung des Zusammenhangs zwischen Unterricht und Politik in dieser Allgemeinheit doch schon wieder ein Zeichen der Unschärfe des Denkens geworden. Sie bleibt in ihrer Allgemeinheit entweder leer oder dient der Rechtfertigung unmittelbarer politischer Instrumentalisierung des Unterrichts. Sie kann soweit führen, daß die bloße Konstatierung des Zusammenhangs von Unterricht und Politik – eine Binsenwahrheit – die eigentliche Aufgabe der Didaktik verschleiert: Die Analyse der möglichen und die Begründung der jeweils für richtig und verantwortbar gehaltenen Arten dieses [/S. 13:] Zusammenhangs. Denn nicht der immer existierende Zusammenhang zwischen Pädagogik und Politik an sich, sondern nur die spezifische Art, in der er sich herstellt, ist für die Substanz und für das Profil einer didaktischen Konzeption relevant.(3)

Das mit diesem Band eröffnete Unterrichtswerk versteht sich als ein Versuch, die Konzeption des Geschichtsunterrichts und des politischen Unterrichts auf eine bestimmte Art der Definition des Zusammenhangs zwischen der Didaktik der Fächer und der politischen Funktion des Unterrichts zu gründen; eine Art, das sei vorab bemerkt, die weder die Didaktik zum Instrument einer politischen Tendenz degradiert noch die Pädagogik als "Meisterin" der Politik oder als Ersatz für sie versteht. Bei Wahrung der Eigenständigkeit und relativen Besonderheit jeder der Bereiche von Politik und Pädagogik gilt es, beide – hier im Bereich des historisch-politischen Unterrichts – so zu vermitteln, daß der Unterricht auch im Blick auf die politische Reflexion und das politische Verhalten substantiell und relevant wird, daß zugleich die politische Sphäre pädagogisch unter der Frage erschlossen wird, ob und wie sie offen, also kritisierbar und human, also verantwortbar vor der heranwachsenden Generation erfahren und gehalten werden kann.

Das hier geplante und sukzessiv zu entwickelnde Unterrichtswerk folgt einem flexiblen Konzept, das sehr unterschiedliche didaktische Akzentuierungen und methodische Zugriffe nicht nur erlaubt, sondern für wünschenswert hält. In den einzelnen Unterrichtseinheiten werden die Herausgeber den spezifischen didaktischen Ansatz jeder Einheit genauer ausweisen. In diesem Band wird das Konzept des Werkes als ein Rahmenkonzept vorgestellt, das sowohl die Grenzen, innerhalb deren es sich bewegt, wie die Strukturen, die es in diesem Bewegungsraum für fundamental hält, deutlich erkennbar macht.

Es wird weder ein theoretischer noch ein praktischer Vollständigkeitsanspruch erhoben. Systematische Lücken sind angesichts der Situation der Unterrichtswissenschaften unvermeidbar; es war den Herausgebern sehr bewußt, daß darüber hinaus der gegenwärtige geschichtliche Prozeß selbst die Erarbeitung eines abgerundeten, vollständigen, in toto "gültigen" didaktischen Systems und eines daraus abgeleiteten erschöpfenden Unterrichtswerkes nicht nur fragwürdig, sondern auch unmöglich macht. Herausgeber und Verfasser behalten sich vor, aus der Erfahrung mit den Unterrichtsmodellen ihre didaktische Konzeption zu korrigieren wie umgekehrt aus weiterer theoretischer Bemühung die praktischen Ansätze der Unterrichtseinheiten zu verändern. Sie sind deshalb für Anregungen, Einsprüche, Kritik nicht nur dankbar, sondern darauf angewiesen. [/S. 14:]

 

1.2 Der fachdidaktische Ausgangspunkt

Versucht man, den generellen, fachunspezifischen Ansatz didaktischer Bemühungen nach den wichtigsten Sektoren zu unterscheiden, findet man, das komplexe Faktorenbündel sehr abstrakt zusammenfassend, drei Hauptbereiche:

  • Die Lernsituation im weitesten Sinne, angefangen von der Besonderheit der Individuen über die sozialen Strukturen einer Schulklasse und einer Schulorganisation bis hin zu den gesamtgesellschaftlichen Verflechtungen, in denen der einzelne lebt und die mehr oder weniger seine Lernsituation mitbestimmen. Dies ist das empirisch zu erforschende Feld der Voraussetzungen, in dem jeder Unterricht steht, das ihm Möglichkeiten und Grenzen setzt, zu dessen Faktoren aber auch der Unterricht selbst gehört.
  • Die Zielrichtung und Zwecksetzung des Unterrichts, also die Vorstellung davon, was durch den Lernprozeß als positiv gesehene Veränderung bewirkt werden soll: Steigerung des Wissens, Entwicklung des Könnens, Wandel oder Verbesserung des Verhaltens der einzelnen, dadurch aber – als Hoffnung – auch der sozialen Gruppe, in denen sie sich befinden. Dies ist eine letztlich normativ zu setzende Richtung des erzieherischen Handelns. Vielfältig gebrochen, in unterschiedlichem Bewusstseins grad beim Lehrenden ist diese Setzung nicht wegzudenken; sie bestimmt die Gesamtplanung und die einzelnen Schritte des Unterrichts.
  • Die Mannigfaltigkeit der Mittel und Verfahren unmittelbaren unterrichtlichen Handelns, die Fülle der Aktionen und Reaktionen während der Durchführung und direkten Organisationen der Lernvorgänge. Dies ist die pragmatische Ebene des Unterrichts, das unmittelbare, mit seinen unverschiebbaren Forderungen sich aufdrängende, den Lehrer in Handlungszwang setzende tägliche Aktionsfeld. Hier kann nicht gewartet werden, bis über die empirischen Voraussetzungen und die normativen Entscheidungen "endgültige" Klarheit herrscht; in einem immer vorläufigen Bewußtseinsgrad muß der Lehrer darum improvisieren, intuitiv aus dem Augenblick entscheiden. Hier liegt die notwendig bleibende Lücke und Grenze rationaler didaktischer Vorbereitung. Sie fordert von jedem Lehrer persönlich pädagogisches Einfühlungsvermögen, menschlichen Takt, methodische Phantasie, kurz: nicht vorher einplanbare Spontaneität. So bleibt dem Lehrer ein breiter und tiefer Entfaltungsraum, den keine Didaktik ausloten und durch Planung ersetzen kann, in dem gleichwohl die wichtigste und nachhaltigste Wirkung des Unterrichts gegründet ist. Das Vermögen des Lehrers, in spontaner Reaktion und intuitivem Einfall zweckentsprechend unterrichtlich und erzieherisch zu handeln, wächst erfahrungsgemäß in dem Maße, wie die Didaktik ihm den breiten Raum des empirisch, normativ und pragmatisch rational zu Erschließenden verdeutlicht und damit dem persönlichen erzieherischen und unterrichtlichen Handeln erst den klaren und bewußten Rahmen gibt, in dem es sich entfalten kann.

Die allgemeine Didaktik und Unterrichtsforschung hat die Erschließung dieses didaktischen Feldes von verschiedenen Seiten her versucht. Dabei hat sich gezeigt, daß die Wahl des Ansatzes das spezifische Profil des didaktischen Vorstellungsmodells bestimmte, so daß man – ohne Rücksicht auf das Fach, auf den spezifischen Gegenstand des Unterrichts – bestimmte Modelle und Typen von Didaktik beschreiben konnte.(4) [/S. 15:]

Sieht man die allgemeinen didaktischen Modelle bis hin zu den Konstruktionen der Curriculumtheorie genauer an, fällt auf, daß sie, obgleich je nach Ansatz dieser oder jener Art von Fachwissenschaft näher verbunden als der anderen, doch eigentümlich leer bleiben. Die Verallgemeinerung des Zugriffs auf Unterricht schlechthin läßt, ungeachtet der Versuche, hier und da das Modell zu exemplifizieren, den Gegenstand des Unterrichts selbst gleichsam durch die Löcher eines Siebes fallen. Da nun aber der Lerngegenstand, die Sache, um die es im Unterricht gehen soll, nicht auswechselbare und zufällige Zutat, sondern ein das gesamte Bedingungsfeld des Unterrichts mitbestimmendes und spezifisch einrichtendes Element ist, erweist es sich als unmöglich, der allgemeinen Didaktik nur ein fachspezifisches Additum anzufügen, um den didaktischen Zugriff zu komplettieren. Vielmehr strukturiert der Gegenstand des Unterrichts die drei oben skizzierten Sektoren didaktischer Bemühungen in je besonderer Weise. Die individuellen und sozialen Voraussetzungen des Unterrichts, seine Ziel- und Zwecksetzung ebenso wie seine pragmatische Durchführung lassen sich nicht untersuchen, planend oder handelnd angehen, ohne daß von vornherein der Inhalt des Unterrichts mitbedacht wird. Das gilt gerade auch im Hinblick auf die außerschulischen Bedingungen individueller und sozialer Art, die zu bestimmten Lerngegenständen nicht nur mehr oder weniger Affinitäten oder Aversionen, sondern auch ganz deutlich unterscheidbare von Fach zu Fach unterschiedlich zu gewichtende Voraussetzungen darstellen. Gerade für den historisch-politischen Unterricht hat die Art, in der sich in der Gesellschaft auf unterschiedliche Weise Geschichtsvorstellungen, politische Überzeugungen und Einschätzungen politischer Handlungsmöglichkeiten zu bilden pflegen, eine wesentliche Bedeutung.

So wird der Ruf nach der "Fachdidaktik" als Ergänzung der Curriculumentwicklung um so lauter, je mehr es darum geht, konkreten Unterricht zu planen, Lehrpläne inhaltlich zu begründen und praktisch umzusetzen. Die Entwicklung der Curriculumplanung hat die Forderung nach der Entwicklung der Fachdidaktik aus sich selbst hervorgetrieben.(5)

An diesem Punkte setzt der Versuch dieses Unterrichtswerks an. Der Gegenstand des Lernens wird hier zum Ausgangspunkt der didaktischen Reflexion und Planung genommen. Indem er dem Gegenstand des Unterrichts wieder die Aufmerksamkeit zuwendet, die ihm – nicht zum Nutzen der didaktischen Forschung und Planung – in den letzten Jahren häufig entzogen wurde, wendet sich dieser Versuch jedoch nicht ab von den wichtigen und nicht mehr zu übergehenden Ergebnissen und Problemstellungen der Curriculumforschung. Was auf diesem Felde an Gespreiztheiten und Anmaßungen, an Irrtümern und bisweilen grotesken Einseitigkeiten ins Kraut geschossen ist, darf nicht zum Anlaß werden, die nicht zu leugnenden Einsichten und Bewusstseinsschärfungen mit über Bord zu werfen, welche die curriculare Forschung der letzten 10 Jahre gebracht hat. Deshalb sei gleich zu Anfang betont, daß der Ausgang vom Gegenstand des Unterrichts hier nicht einen Rückfall in didaktische Konzeptionen meint, die der frohen Hoffnung waren, daß die Beherrschung des Faches – was immer damit gemeint sei – die beste, ja die einzig [/S. 16:] richtige Didaktik darstelle. Das rem tene, verba sequuntur, in dem ja ein Wahrheitskern steckt, führt sich, zur herrschenden didaktischen Maxime erklärt, selbst ad absurdum.

Besteht man auf der Eigenständigkeit eines fachdidaktischen Ansatzes, will man dem Gegenstand des Lernens, und damit dem Lernen selbst eine Bedeutung und Dignität zurückgeben, zeigt sich allerdings sogleich, daß der Begriff des "Faches", mit dem der Gegenstand des Lernens in einen Lernplan transponiert wird, in einen sehr viel weiteren Horizont gestellt werden muß, als es der des Lehrplans, als es der der Schule überhaupt ist (s. dazu unten S. 55 ff.). Es zeigt sich, daß der Begriff "Fach" ein schulisch verkürzter Ausdruck für eine bestimmte Dimension persönlichen wie allgemeinen Daseins ist, daß eine Fachdidaktik also ihre Grundlage in dieser, die Schule weit übergreifenden gegenwärtigen Wirklichkeit zu suchen hat, wenn sie ihrem eigenen Anspruch gerecht werden will.

 

1.3 Zum Zusammenhang zwischen historischem und politischem Unterricht

1.3.1 Allgemeine didaktische Überschneidungen und Ergänzungen

Versucht man in Kürze, die Aufgaben des Geschichtsunterrichts von denen des Politikunterrichts abzugrenzen und zugleich die Berührungs- oder Überschneidungsflächen zu bezeichnen, läßt sich etwa folgendes sagen:

Das Sachgebiet des Politikunterrichts liegt in der Gegenwart im weitesten Sinne, in ihren staatlichen, regionalen, kommunalen Strukturen, sozialen, wirtschaftlichen Zuständen, theoretischen Deutungsmustern ihres Selbstverständnisses und praktischen Verhaltensweisen der Menschen – jenseits der "res privatae" – in ihren Umweltverhältnissen. Sein Ziel muß es sein, eine zugleich kritische und qualifizierte Befähigung zu vermitteln, diese Gegenwartsverhältnisse zu erkennen, anzuleiten zum Finden und Bestimmen eines eigenen Standortes, zu helfen bei der Entwicklung von Verhaltensweisen, die sowohl den Gegebenheiten wie den Herausforderungen der Gegenwart adäquat sind und soweit wie möglich auf verantwortbaren Entscheidungsprozessen beruhen. Da sowohl die Verhältnisse wie deren Interpretation, die Kategorien des Erkennens und die Muster des Verhaltens nicht statisch ein für allemal gegeben sind, sondern sich unter wechselnden Bedingungen im historischen Prozeß herausgebildet haben und sich in ihm weiter verändern, kann ein seinen eigenen Ansatz begreifender Politikunterricht nicht ohne historische Standortbestimmung der eigenen Möglichkeiten und des eigenen Wollens auskommen; er kann die gewünschten Qualifikationen nicht unter Verzicht auf die Erkenntnis ihrer Historizität vermitteln. Er ist keine normative "Ewigkeitskunde", sondern historische Gegenwartskunde. Deshalb ist die Geschichtlichkeit eine der unumgehbaren Kategorien des politischen Unterrichts – als eine Bedingung der Erkenntnis gegenwärtiger Verhältnisse und der Möglichkeit, sich in ihnen zu orientieren und selbst zu bestimmen, nicht aber um der historischen Erkenntnis vergangenen Lebens an sich gehört die geschichtliche Dimension zum politischen Unterricht.(6) [/S. 17:]

Der Geschichtsunterricht hingegen hat eine sowohl durch die zeitliche Tiefe wie durch die umfassendere, nicht durch das Politische allein zu erschöpfende Thematik menschlichen Lebens eine potentiell sehr viel weitere Gegenständlichkeit. Eine Auswahl dessen als Kenntnis und sekundäre Erfahrung zu überliefern, was menschliches Leben im Läufe der Zeit individuell und kollektiv sein konnte und was es an Spuren hinterließ, die Möglichkeiten und Perspektiven in der Folge der Veränderung, in Vielfalt, Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit zur Anschauung zu bringen und in die Reflexion zu heben, ist eine Aufgabe, die dem Geschichtsunterricht kein anderes Fach ungeachtet der historischen Dimension, die im zugeordnet sein mag, abnehmen kann. Die Fähigkeit, Vergangenes als etwas anderes, an sich selbst Interessantes und durch Verwandtschaft oder Gegensätzlichkeit das eigene Dasein Bereicherndes anzuerkennen, ist nun schon im weitesten Sinne eine Qualifikation sowohl humaner wie auch politischer Bildung. Der Gefahr des Sich-Verlierens im Unendlichen des geschichtlichen Daseins und des Verlustes an Fähigkeit zur Gewichtung muß der Geschichtsunterricht innerhalb der begrenzten Zeit, die ihm zur Verfügung steht, dadurch begegnen, daß er neben der Vermittlung des Vielfältigen und Fremden im energischen Zugriff die Genese unserer eigenen Gegenwart und ihrer im weitesten Sinne politischen Verhältnisse aufzeigt, mit denen es der Politikunterricht unmittelbar zu tun hat. Im Ernstnehmen der "Vorgeschichte der Gegenwart" werden die Gegenwartsverhältnisse nicht nur besser verstanden; sie werden auch als ein in Kontroversen Gewordenes aufgefaßt und in ihrem gegenwärtigen Spannungszustand begriffen, so daß die Vorstellung nicht Raum greifen kann, es mit festen und unveränderlichen Gegebenheiten in der Gegenwart zu tun zu haben.

Daß die Zustände der Gegenwart Übergangszustände sind, daß sie sich nicht nur ändern, sondern daß sie auch veränderbar, d. h. menschlichem Planen und Handeln unterworfen sind, ist eine Einsicht, die politisches Grundverhalten beeinflussen kann. Aber die nicht minder wichtige Kehrseite dieser Erkenntnis ist die, daß die gewordenen Zustände eben nicht beliebig veränderbar sind, daß in Vergangenheit und Gegenwart gründende Bedingungen vielfältigster Art nicht nur das Handeln, auch schon das Planen und Denken eingrenzen, vor Hindernisse oder auch in Antinomien führen; daß geschichtliches Handeln immer im Prozeß – d. h. unter wechselnden und nicht sicher vorhersehbaren Bedingungen – vor sich geht und unter Umständen in seinen Ergebnissen weit von den Zielen und Motiven der Handelnden oder Fordernden abweicht; daß unkalkulierbare Nebenwirkungen sich in den Vordergrund drängen können.

Beides, die Möglichkeiten und die Bedingungen wie Grenzen des politischen Handelns, müssen und können im Geschichtsunterricht deshalb besonders einsichtig gemacht werden, weil uns die Geschichte abgelaufene Vorgänge und Handlungsstränge vor Augen stellt und es möglich macht, Motive und Begründungen für das Handeln, Bedingungen und Begrenzungen, Strategien und Wirkungen oder Ergebnisse politischen Handelns im Zusammenhang zu sehen. Insofern wäre ein auf diesen Blickpunkt hin angesetzter Geschichtsunterricht auch am entferntesten Beispiel eine politische Fallstudie.

Aber auch insofern, als der Geschichtsunterricht die nicht realisierten Alternativen, gescheitertes Denken und Handeln innerhalb der Vorgeschichte der Gegenwart aufzeigt, [/S. 18:] kann er die Möglichkeit und Bedingtheit politischen Handelns verdeutlichen, zu Vergleich und Urteil anregen und so dem politischen Verständnis eine tiefere und differenziertere Perspektive geben, als es ohne die historische Dimension einem rein präsentistischen Politikunterricht möglich wäre. In dieser Weise können sich gerade durch die Verbindung mit dem geschichtlichen Unterricht die Möglichkeiten, Befürchtungen und Hoffnungen der Gegenwart im Horizont der vergangenen wie der "kommenden Geschichte" (Wittram) begreifen.

Jenseits der unpolitischen Verhaltensweisen des Aktionismus oder der frustrierten Abstinenz kann in der Verbindung von politischem und historischem Unterricht besonnenes, auf Kenntnis, Urteil, Entscheidung gegründetes, illusionsloses politisches Verhalten vorbereitet werden.

Zu bestimmten, in konkreten Situationen zu realisierenden, inhaltlich umschriebenen Verhaltensweisen oder gar Handlungen kann der Geschichtsunterricht weder generelle noch spezielle Anleitungen geben, wenn er nicht das preisgeben will, was er in die politische Bildung mit gedecktem Wechsel einbringen kann: er kann für politische Verhaltensweisen und Entscheidungen einen Horizont von Kenntnis und historischer Perspektive bereitstellen, breitere Grundlagen und besseres Verständnis der unterschiedlichen oder gegensätzlichen Entscheidungen und Verhaltensweisen in der Gegenwart liefern, er soll "konditionieren" zum Begreifen der spannungsreichen politischen Positionen der eigenen Zeit, ihres relativen Rechts, ihrer jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Bedingtheiten. Indem er die Möglichkeit, selbstbewußt und begründet Positionen zu beziehen mit dem Vermögen vermittelt, andere Positionen zu begreifen, wird er selbst unmittelbar zum politischen Unterricht. Er kann diese Funktion aber nur wahrnehmen, wenn ihm die erkennende Distanz, die Besonnenheit als didaktische Grundkategorie gewahrt bleibt, die es .erlaubt, unmittelbare Gegenwart in den historischen Zusammenhang zu rücken. Das Engagement des Geschichtsunterrichts ist eben diese Besonnenheit, und nichts wäre falscher und würde die politische Bildung mehr reduzieren, als wenn diese Besonnenheit als Mangel an Engagement verketzert oder aufgegeben würde.

So bedarf der politische Unterricht in seinem direkteren Zugriff der Ergänzung durch den Geschichtsunterricht – der Geschichtsunterricht seinerseits des zielgerichteten, schärferen Zugriffs des politischen Unterrichts auf die Gegenwart. Indem sich beide ergänzen, halten sie auch ihre möglichen Fehlentwicklungen in Schranken.

Diese Skizze des Gegenstandes und der Berührungspunkte von Geschichtsunterricht und politischem Unterricht entbehrt zweifellos der Trennschärfe. Es scheint so zu sein, daß der Zusammenhang zwischen historischem und politischem Unterricht im allgemeinen unbestritten ist, daß aber Versuche, aus dieser allgemeinen Ansicht eindeutige curriculare Konsequenzen zu ziehen, theoretisch willkürlich und unbefriedigend geblieben sind. War es in der Vergangenheit über lange Strecken so, daß vornehmlich dem Geschichtsunterricht zugleich die politische Bildung zugewiesen wurde, so gibt es in der Gegenwart Versuche, den Geschichtsunterricht einem didaktisch strukturell gegitterten Feld der Gesellschaftslehre einzugliedern. Die scharfe Kontroverse um diese Umkehrung des Verhältnisses zwischen geschichtlichem und politischem Unterricht hat zweifellos die Diskussionen beflügelt und die Positionen klarer hervortreten lassen. Sie hat aber auch gezeigt, daß ein ohne theoretische Vorentscheidungen und ohne Willkür aufzustellendes systematisches Schema einer Integration von Geschichts- und Politikunterricht nicht in [/S. 19:] Sicht ist.(7) Der unbewußt schon resignative Versuch andererseits, unter der Ausblendung von Geschichte zunächst einmal einen Politikunterricht für sich zu begründen und zu exemplifizieren, zeigt immer mehr die Schwächen, die im historischen Defizit dieses Ansatzes begründet sind.

Es ist wiederholt dargelegt worden, daß die Beziehungen zwischen Gegenstand und Methoden der Politikwissenschaft einerseits, der Geschichtswissenschaft andererseits so komplex, zugleich so gegenstands-, aspekt- und methodenabhängig sind, daß die Zeit für eine theoretisch haltbare Fundierung wissenschaftlicher und didaktischer Integrationsvorhaben zwischen historischem und politischem wissenschaftlichen Zugriff keineswegs erreicht ist. Die alte, vorübergehend anerkannte Scheidung zwischen "idiographischem", individuellen Prozeß beschreibendem und systematischem, generelle Formationen analysierendem Verfahren, das erste der Geschichtswissenschaft, das zweite der politischen und Sozialwissenschaft zugeordnet, ist längst aufgegeben. Auch der chronologische Ort ist kein verläßlicher Gradmesser dafür, ob wir es mit einem politischen oder historischen Gegenstand zu tun haben. Der Zeitgeschichte ist Gegenwärtiges zugewiesen; die Geschichte älterer Epochen bezieht sich virtuell in Frageanlaß und Problematisierung auf den Horizont unserer Zeit; selbst die Zukunft – als zweifellos "historische Dimension" – ist zwar nicht als Erforschbares gegeben, aber als Gewolltes und Eingeschätztes ein Regulativ der Historie. Auf der anderen Seite kennt die Politikwissenschaft längst nicht mehr die Begrenzung auf ein punktuell Gegenwärtiges, sie greift zum Vergleich wie zur Genese auf Vergangenes zurück und hat, nach vorübergehender Ausblendung historischer Kategorien, die Geschichte wieder als Politik im Prozeß entdeckt. Wie Geschichte sich in einer zweifellos nicht allgemein gültigen, aber wichtigen Auffassung als "historische Sozialwissenschaft" verstehen kann, so kann auch die Politikwissenschaft je nach Gegenstand, Methode und Erkenntniswillen – und nicht nur im Hinblick auf die Zeitgeschichte – zu einer politischen Geschichtswissenschaft werden.

1.3.2 Variable Kombination als pragmatischer Weg der Verbindung von historischem und politischem Unterricht

Aus dieser multiperspektivischen und flexiblen Verbindung zwischen Politikwissenschaft und Geschichtswissenschaft, deren Zusammenhang sich je nach Gegenstand und Methode immer neu konstituiert, müssen für den Zusammenhang zwischen Geschichtsunterricht und politischem Unterricht Konsequenzen gezogen werden. Ohne eine theoretisch umfassende Basis der curricularen Verbindung ein einheitliches Konzept der Integration zu liefern und sich der Gefahr auszusetzen, gewaltsam wissenschaftstheoretische und didaktische Dekrete zu erlassen, schlägt das vorliegende Werk einen pragmatischen, gegenstands- und methodenbezogenen Weg ein: Die Akzentuierung des Unterrichts erfolgt im Hinblick auf Thema und Fragestellung so, daß entweder im Sinne eines Politikunterrichts gegenwärtig Politisches unmittelbar aufgegriffen oder im historischen Ansatz die Vergegenwärtigung des Vergangenen in Zustand und Prozeß zum Schwerpunkt wird; im ersten Fall wird die historische Dimension, im zweiten Fall die aufs gegenwärtig Politische zielende Bedeutung des Themas mit erarbeitet. In jedem Fall aber sind die methodischen Denkansätze oder die den Transfer ermöglichenden kategorialen Denkformen [/S. 20:] in den Unterrichtsbeispielen angelegt und entwickelt, die es erlauben, Geschichte und Gegenwart, Politisches und Historisches unterscheidend und urteilend miteinander in Beziehung zu setzen.

Es ist in diesem Band versucht worden, sowohl für den Geschichtsunterricht wie für den politischen Unterricht einen selbständig ansetzenden, aber jeweils auf den anderen verweisenden didaktischen Begründungs- und Handlungsrahmen zu entwickeln; innerhalb dieses didaktischen Rahmens werden die Themen aufeinander bezogen oder miteinander verbunden. Diese Beziehung ergibt sich je nach dem Gegenstand in unterschiedlicher Weise:

  • Historische und politische Unterrichtsbeispiele stehen in relativer Selbständigkeit nebeneinander. Eine direkte Verbindung wird nicht intendiert – lediglich über die Entwicklung von Denkformen und methodischen Zugriffen stellt sich eine mittelbare Beziehung her. Diese Selbständigkeit ist als Möglichkeit deshalb notwendig, weil der Zwang, bei jedem Thema im Unterricht die zwar latent vorhandene, aber nicht immer im Mittelpunkt des Zielrahmens stehende und oft sehr vermittelte Verbindung zwischen Politik und Geschichte herzustellen, zur Verkrampfung führen muß. (Beispiel: Völkerwanderungen, Entdeckungen, Kolonisationen – Probleme der Entwicklungsländer).
  • Historische und politische Themen sind vom Gegenstand her eng aufeinander bezogen: Eine geschichtliche Unterrichtsreihe bietet die Gelegenheit, ein politisches Phänomen in der Gegenwart genauer zu analysieren oder umgekehrt. Diese Verbindung ist die eines curricularen Nacheinanders, in dem ein Fach den Gegenstand des anderen aufgreift und auf seine Weise vertieft. (Beispiel: "Industrielle Revolution" – "Kapitalismus")
  • Historischer und politischer Zugriff sind in einem Thema verbunden. Die "Integration" erfolgt durch das Zusammentreffen der gleichermaßen politisch gegenwärtigen wie historischen Bedeutung und Auffassung des Themas; das Erkennen gegenwärtiger Verhältnisse und das Begreifen historischer Prozesse sind unlösbar miteinander verbunden. Eine solche Unterrichtsreihe geht genetisch von der Vergangenheit auf die Gegenwart zu ("Kinderarbeit und Kinderschutz in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert"), setzt regressiv an einer gegenwärtigen Erscheinung an und sucht ihre historischen Bedingungen auf ("Marxistische Revolutionen in der dritten Welt") oder versucht komparativ am historischen Anderen das gegenwärtig Eigene begreiflich zu machen und umgekehrt. ("Grenzen in der Geschichte")

Auf diese Weise erscheint es am ehesten möglich, ohne Zwang, bei breitester Mitentscheidung über Thema und Methode durch den Lehrer wie durch die Lerngruppe im Unterricht den Zusammenhang zwischen Geschichte und Politik herzustellen, den beide in der Realität haben. Kein "Fach" braucht sich hier dem anderen zu unterwerfen, keins sich vom anderen zu isolieren. Auch das unterrichtstechnisch schwierige Problem der Stundenzumessung läßt sich durch dieses Konzept der relativ variablen Unterrichtsreihen, die unterschiedliche Formen der Kooperation herstellen, am ehesten lösen. Diese Aufbereitung der Gegenstände des politischen und historischen Unterrichts und die Verschränkung der Ziele läßt abwechselnd getrennten Fachunterricht ebenso zu wie Epochenunterricht oder einen kombinierten und konzentrierten Gesamtunterricht im gesellschaftswissenschaftlichen Unterrichtsfeld. [/S. 21:]

Der Explikation des didaktischen Ansatzes folgt in diesem Band eine Zusammenstellung der Themen des politischen und historischen Unterrichts. (4) Dabei werden in Rückbeziehung auf die Begründungen sowohl die Inhalte, die unterschiedlichen methodischen Zugangsformen und die Verbindungsmöglichkeiten der Themen kenntlich gemacht – im Rahmen des Versuchs, durch eine den Jahrgängen – wenngleich nicht streng – zugeordnete Folge von Unterrichtseinheiten ein Curriculum des geschichtlichen und politischen Unterrichts zu erstellen.

Erfolgt die Zusammenstellung eines Curriculums des historischen und politischen Unterrichts in pragmatischer Weise nach unterschiedlich eng dem Geschichtsunterricht bzw. dem politischen Unterricht zuzuordnenden Themen, so darf diese praktisch notwendige Form der Anordnung doch nicht ein vordergründiges Bild vom Zusammenhang zwischen geschichtlicher und politischer Bildung erzeugen: es sind letztlich nicht die Themen selbst, die diesen Zusammenhang konstituieren – oder sie sind es doch nicht vornehmlich. Ob im Geschichtsunterricht politische Bildung mitgeprägt wird, ist nicht so sehr eine Frage des behandelten Gegenstandes – etwa seiner Zeitnähe – sondern eine Frage des geistigen Zugriffs, der didaktischen Grundkategorien. Das gleiche gilt umgekehrt. Darum wird in diesem Werk der tiefere, über die Kenntnis- und Wissensvermittlung in die Sphäre der Denk- und Urteilsfähigkeiten wie der Wertsetzungen reichende Zusammenhang zwischen historischer und politischer Bildung nicht zuerst im Thematischen gesehen und gesucht; vielmehr findet er sich jenseits der Zuordnung von Themen im spezifischen, dem Gegenstand des historischen und politischen Unterrichts angemessenen Grundgefüge didaktischer Kategorien. Ist es – wie unten näher ausgeführt wird – der enge Zusammenhang zwischen Vergangenheitsbewußtsein, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektive, welcher sowohl das reflektierte historische wie das aus bloßer Reaktion erlöste politische Denken und Urteilen bezeichnet, so ist darin der – unterrichtlich zu explizierende – Zusammenhang von Wissen und Erkennen, Beurteilen, Bewerten und Sich-Verhalten mit gesetzt. In der Einübung dieses Denk- und Orientierungsverhaltens an Themen, welche durch die Fragenotwendigkeiten unserer Zeit ebenso wie durch die historisch auf uns gekommenen staunenswerten und weiterwirkenden Phänomene vergangenen Daseins "pro-voziert" werden, liegt ungeachtet unterschiedlicher Akzentsetzungen und wissenschaftsystematischer Zugriffe die eigentliche Verbindung zwischen historischem und politischem Unterricht.(8) Sie realisiert sich durch didaktische Strukturierung und Methode in einem permanenten, grundlegenden und nicht nach Stunden oder Unterrichtseinheiten abzuzirkelnden Prozeß. Die thematische Zuordnung ist nur das curricular beschreibbare, organisatorisch aufweisbare Mittel, diese Verbindung in unterschiedlicher Inhaltsbezogenheit zu konkretisieren. (vgl. unter 4.1.5)

 

Anmerkungen

(1) Zur Unterschiedlichkeit des vermittelten Geschichtsbildes vgl. die in ihren Deutungen und Wertungen der Motive zweifellos dogmatisch einseitige, in der Bestandsaufnahme aber nicht zu übergehende Untersuchung von Karla Fohrbeck, Andreas J. Wiesand, Renate Zahar (1971).

(2) Zur Diskussion dieser Problematik vgl. Gerd-Klaus Kaltenbrunner (1975); Gerhard Schulz (1973); Géza Alföldy, Ferdinand Seibt, Albrecht Timm (1973); Jochen Huhn (1975); Rolf Schörken (1974); Arnold Sywottek (1974); Werner Conze (1972).

(3) Vgl. dazu insbesondere die durch die Hessischen Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre ausgelöste intensive Diskussion: Gerd Köhler, Ernst Reuter (1973); Bernhard Vogel (1974); Wolfgang Hilligen (1973).

(4) Herwig Blankertz (1975). Vgl. auch die instruktive Auseinandersetzung mit didaktischen Ansätzen unterschiedlicher Art bei Wolfgang Hilligen (1975); vgl. auch Joachim Rohlfes (1971).

(5) Vgl. Herwig Blankertz (1973a). Darin ders. (1973b)

(6) Vgl. Joachim Rohlfes, Hermann Körner (1970), S. 36 ff.; Hermann Giesecke (1972), S. 151 ff.; Bernhard Sutor (1973), S. 36 ff., 99-106, 331 f. Interessanterweise finden sich bei Wolfgang Hilligen (1975) und Rolf Schörken (1974) keine expliziten Ausführungen über die Frage des Zusammenhangs zwischen dem historischen und politischen Unterricht. In den didaktischen Begründungsteilen dieses Bandes gehen die Verfasser detaillierter auf die gegenseitigen politischen bzw. historischen Implikationen des Geschichts- und Politikunterrichts ein, wie sie in der Konzeption dieses Ansatzes erscheinen.

(7) Vgl. Maek-Gérard, Eva; Muhlack, Ulrich; Zitzlaff, Dietrich (1974)

(8) Immer noch unübertroffen ist der Aufsatz von Friedrich J. Lucas (1966). Das folgende didaktische Konzept des Geschichtsunterrichts verdankt diesem Aufsatz Anregungen und wichtige Hinweise.

 

Literatur

Alföldy, Géza; Seibt, Ferdinand; Timm, Albrecht, Hg. (1973): Probleme der Geschichtswissenschaft. Düsseldorf.

Blankertz, Herwig (1973a): Fachdidaktische Curriculumforschung – Strukturansätze für Geschichte, Deutsch, Biologie, Bochum.

Blankertz, Herwig (1973b): Die fachdidaktisch orientierte Curriculumforschung und die Entwicklung von Strukturgittern. In: Blankertz, Herwig, Fachdidaktische Curriculumforschung – Strukturansätze für Geschichte, Deutsch, Biologie, Bochum

Blankertz, Herwig (1975): Theorien und Modelle der Didaktik. 10. Auflage. München.

Conze, Werner, Hg. (1972): Theorie der Geschichtswissenschaft und Praxis des Geschichtsunterrichts. Stuttgart.

Fohrbeck, Karla; Wiesand, Andreas J.; Zahar, Renate (1971): Heile Welt und Dritte Welt, Medien und politischer Unterricht. Opladen.

Giesecke, Hermann [1] (1972): Didaktik der politischen Bildung. 7. Auflage. München.

Hilligen, Wolfgang (1973): Dreimal Emanzipation. Ansätze für einen Vergleich der neuen Richtlinien für den politischen Unterricht in Hessen und Nordrhein-Westfalen sowie in Rheinland-Pfalz. In: Gegenwartskunde, 22 (1973) 3, S. 271 ff.

Hilligen, Wolfgang (1975): Zur Didaktik des politischen Unterrichts 1. Wissenschaftliche Voraussetzungen, Didaktische Konzeptionen, Praxisbezug. Ein Studienbuch. Opladen.

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1. Zur politischen Begründung des Geschichtsunterrichts in einem demokratischen Gemeinwesen

1. Im Vergleich zum politischen Unterricht ist die didaktische Diskussion und Theoriebildung für den Geschichtsunterricht sehr viel weniger weit entwickelt. Es gibt z. B. noch keine zusammenfassenden Darstellungen sowie historisch-kritische Aufarbeitungen bisheriger Entwürfe (1). Das kann auch ein Vorteil sein, insofern vielleicht die nun notwendigen Überlegungen unbefangener geführt werden können; denn es ist keineswegs sicher, dass der z. T. gewaltige fachdidaktische Aufwand dem politischen Unterricht auch immer genützt hat, teilweise scheint er sich auch ihm gegenüber verselbständigt zu haben. Längst nämlich hat sich die didaktische Diskussion des politischen Unterrichts gelöst von der Aufgabe, Erkenntnisfortschritte zu leisten, indem der jeweils vorliegende Problemstand Zug um Zug verbessert wird. Statt dessen stehen sich "Richtungen" und "ideologische Parteiungen" gegenüber, die einander nicht mehr zum Zwecke des Erkenntnisfortschritts befragen, sondern eher an Abgrenzung interessiert sind. Das hängt keineswegs nur mit der inzwischen eingetretenen politischen Polarisierung zusammen, sondern auch mit der fachdidaktischen Professionalisierung und Spezialisierung, die offenbar notwendigerweise ein gewisses Maß der Energie in die eigene Profilierung und Abgrenzung investieren muss. Vielleicht erklärt sich daraus auch die Tendenz, für die didaktische Grundlegung relativ beliebige "erkenntnisleitende Interessen" anzusetzen, wobei die Beliebigkeit gerade im Verzicht auf historische Reflexion begründest ist; die bisher vorliegende Diskussion wird nicht aufgegriffen, sondern durch schlichte Neusetzungen einfach außer Kraft gesetzt (2).

2. Es erscheint mir also schon aus methodischen Gründen sinnvoll, die Überlegungen zu einer historischen Didaktik noch einmal dort beginnen zu lassen, wo sie zum erstenmal systematisch entwickelt wurden: bei Erich Weniger (3). Seine Überlegungen zum Geschichtsunterricht stehen im größeren Zusammenhang seiner Bemühungen, eine Theorie für den Lehrplan der Schule überhaupt zu entwickeln. Warum gibt es in den Schulen eigentlich bestimmte Fächer und andere nicht? Und aus welchen Gründen werden irgendwann neue Fächer eingeführt? Weniger suchte die Antwort auf diese Fragen, indem er die Entstehung der Fächer historisch zurückverfolgte. Und dabei zeigte sich ihm, dass neue Schulfächer immer dann eingeführt werden, wenn eine sogenannte "Bildungsmacht" im politisch-gesellschaftlichen Leben so mächtig geworden ist, dass sie vor den Heranwachsenden in der Schule repräsentiert sein wollte. Zu diesen Bildungsmächten gehörten unter anderem der Staat, die Kirchen und die Wirtschaft. Im Geschichtsunterricht nun wende sich der Staat mit seinen Ansprüchen an die junge Generation, und zwar unter dem Gesichtspunkt, dass die nachwachsende Generation ja künftig die Verantwortung für diesen Staat werde übernehmen müssen. "Der Gegenstand des Geschichtsunterrichts war immer auf den Bereich der künftigen Verantwortung bezogen und eingegrenzt. Der Geschichtsunterricht sollte die geschichtlichen Voraussetzungen erarbeiten, unter denen die jeweilige Verantwortung stand, und damit der heranwachsenden Generation das Rüstzeug mitgeben, dass sie zur Bewältigung der vor ihr liegenden Aufgaben braucht" (4). Im Geschichtsunterricht komme also der Selbsterhaltungswille des Staates gegenüber der heranwachsenden Generation zum Ausdruck, er ist für Weniger die eigentliche Einführung der jungen Generation in die Politik; seine Aufgabe ist, die "Lebensgeschichte" des Staates produktiv, aber eben nicht historisch beliebig fortzuschreiben.

3. Wenn man bei diesem Gedanken heute noch einmal ansetzt, darf man sich nicht beirren lassen von zeitbedingten bzw. personbedingten Irrtümern und Einseitigkeiten, son- [/ S. 150:] dern muss zwischen dem Prinzipiellen und dem historisch zu Modifizierenden unterscheiden. Ich halte Wenigers prinzipielle These nicht nur nach wie vor für richtig, sondern auch für die einzige Möglichkeit, die Notwendigkeit des Geschichtsunterrichts in den Schulen überzeugend zu begründen; dieser Argumentation kann man jedoch nur dann folgen, wenn man Wenigers Konzept konsequent, und d. h. auch: in der historischen Verlängerung, zu Ende führt.

4. Weniger hatte bereits einige andere Begründungsversuche für den Geschichtsunterricht überzeugend zurückgewiesen, die gleichwohl später immer wieder eine Rolle spielen sollten. Das betraf zunächst die Rolle der Geschichtswissenschaft. Sie könne als solche den historischen Unterricht nicht begründen, sie sei nicht selbst das, was sich im Geschichtsunterricht repräsentiert, weil sie ausschließlich der historischen Wahrheitsfindung verpflichtet sei und nicht dem Selbsterhaltungswillen des Staates; sie sei für den Geschichtsunterricht nur Mittel zum Zweck, also methodologisches und materiales Repertoire. Auch psychologisch-anthropologische Begründungen könnten nicht überzeugen, wie, dass man in der Begegnung mit der Geschichte notwendige Aspekte der Bildung (heute würde man eher sagen: der Identität) erfahre. Es lasse sich nämlich zeigen, dass alle solche Bildungsmomente bzw. Tugenden oder menschlichen Grunderfahrungen auch in anderen Fächern bzw. in der Begegnung mit anderen kulturellen Objektivationen entstehen könnten (z. B. Literatur, Theater, Kino) und jedenfalls nicht spezifisch aus dem Geschichtsunterricht erwüchsen. Darauf hatte Theodor Litt schon in seinem Buch "Geschichte und Leben" (Leipzig 1918) hingewiesen.

Diese Kritik trifft - so scheint mir - auch manche gegenwärtigen Versuche, historischen Unterricht als notwendig für die Identitätsbildung des Schülers zu verstehen - jedenfalls dann und insofern, als solche Begründungen lediglich von der Anthropologie des Schülers ausgehen und nicht auch von seinen politischen Pflichten und Aufgaben. Dieser Einwand gilt übrigens über den Geschichtsunterricht hinaus für alle gegenwärtigen didaktischen Konzepte, die kultu- [/ S. 151:] rellen, beruflichen und politischen Lernziele einseitig aus den subjektiven Dimensionen der Bedürfnisse, Motivationen und Interessen herleiten wollen - was oft nur eine naive Fortsetzung der alten "Pädagogik vom Kinde aus" ist - und dabei übersehen, dass solche Lernziele auch von den objektiven Ansprüchen her, die diesen Bedürfnissen usw. zunächst einmal gleichgültig gegenüberstehen, formuliert werden müssen. Kommunikationstheoretische, identitätstheoretische und auch psychoanalytisch orientierte didaktisch-methodische Konzepte drohen die Einsicht zum Verschwinden zu bringen, dass realitätsbezogene und deshalb lohnende Lernprozesse die grundsätzliche Spannung zwischen subjektiven Bedürfnissen und den Ansprüchen der diesen gegenüber prinzipiell gleichgültigen objektiven Realitäten aushalten und produktiv bearbeiten müssen (5).

5. Die prinzipielle Zustimmung zum Ansatz von Weniger macht zugleich seine Weiterentwicklung nötig. Die Grenzen seiner Argumentation müssen überschritten werden. Da ist zunächst zu klären, warum der Geschichtsunterricht die ihm von Weniger gesetzte Aufgabe von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr hat wahrnehmen können, sondern durch einen zusätzlichen politischen Unterricht ergänzt bzw. seit Ende der 50er Jahre teilweise fast ersetzt worden ist. Weniger hat sich schwer damit getan, nach 1945 den politischen Unterricht in seinen Begründungszusammenhang des Geschichtsunterrichts einzubeziehen. Grund dafür war seine Überlegung, dass die Jugend noch nicht im Ernst der politischen Kämpfe und Entscheidungen stehe, weshalb es auch keinen Sinn habe, sie in der Schule mit aktuellen politischen Kontroversen zu befassen. Deshalb könne der historisch-politische Unterricht nur propädeutische Funktion haben, auf künftige Verantwortung vorbereiten, indem er gerade in Distanz zur Aktualität das Repertoire für die politische Besinnung aus der Geschichte nehme; dabei ging es Weniger keineswegs um einseitige historische Informationen im Sinne etwa der "staatstragenden Mächte", sondern durchaus um die Darlegung der staatlichen und gesellschaftlichen Widersprüche -aber eben nicht mit dem Ziel jeweils [/ S. 152:] aktueller politischer Stellungnahmen der Schüler. Angesichts mancher Entwicklungen an Schulen und Hochschulen in den letzten Jahren, angesichts leichtfüßiger politischer Stellungnahmen mit wenig Distanz und noch weniger Nachdenken mag Wenigers Auffassung nachträglich gerechtfertigt erscheinen. Dennoch beruhte sie auf Voraussetzungen, die nicht mehr gültig sind.

6. Politische Verantwortung war für Weniger unmittelbar staatsbezogen (aktives und passives Wahlrecht; Wehrdienst), nicht auch gesellschaftsbezogen, wobei die traditionelle Trennung von Staat und Gesellschaft vorausgesetzt wurde. Unabhängig nun von der Frage, wie das Verhältnis von Staat und Gesellschaft zu definieren sei - worüber es auch heute noch keineswegs Konsens gibt - , dürfte Einigkeit darüber herrschen, dass im politisch-historischen Unterricht auch die nichtstaatlichen politisch-relevanten Mächte angemessen präsentiert sein müssen; das ergibt sich allein schon aus ihrer objektiven Bedeutung für das Gemeinwesen. Gesellschaftlichen Verantwortlichkeiten sind aber auch Jugendliche schon ausgesetzt - z. B. im Beruf und in Schulen und Hochschulen. Das heißt: In dem Augenblick, wo man den Blick vom Staatswesen auf das demokratische Gemeinwesen im ganzen richtet, entfällt Wenigers Voraussetzung, dass der historische Unterricht als ein politischer nur propädeutische Bedeutung haben könne. Aber noch eine weitere Konsequenz wird sichtbar. Für die Ausdehnung des Begriffs Verantwortung auf die gesellschaftlichen Bezüge der Jugendlichen reicht der Geschichtsunterricht nicht mehr aus. Selbst wenn er stärker sozialgeschichtlich (statt einseitig staatsgeschichtlich) orientiert wäre, könnte er den komplexen Zusammenhang der gegenwärtigen politisch-gesellschaftlichen Strukturen und Beziehungen nicht hinreichend erschließen. Wäre dies möglich, so wären Wissenschaften wie Politikwissenschaft und Soziologie überflüssig, und ihre Aufgaben könnten von der Historie mit erledigt werden. Die von Weniger formulierte Funktion des historischen Unterrichts muss also ergänzt werden durch kognitive Modelle der aktuell-bezogenen Politikwissenschaft und Soziologie, [/ S. 153:] die Gleichzeitigkeit der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen zum Ausdruck bringen (6).

7. Wenigers Vorstellung von der politischen Exterritorialität des Jugendalters wurde ferner in dem Maße hinfällig, wie die soziale Funktion der Familie und ihre Sozialisationsfunktion sich änderten. Je mehr die soziale und ökonomische Autonomie der bürgerlichen Familie durch vielfältige bürokratisierte Verflechtungen mit der Gesamtgesellschaft beschnitten wurde, und je weniger der Vater noch als Garant bzw. Vertreter der politischen und gesellschaftlichen Interessen der Familie gelten konnte, um so mehr wurden die jugendlichen Mitglieder der Familie selbst auch politisch-gesellschaftliche Subjekte. (Ein vielleicht extremes, aber anschauliches Beispiel: Durch die Stipendienvorschriften mehr oder weniger aufgezwungene Unterhaltsprozesse von - wenn auch erwachsenen - Kindern gegen ihre Eltern). Weniger sah im Jugendlichen nicht das politisch isolierte Individuum, den isolierten einzelnen Pflichten- und Rechtenträger, wie es sich heute etwa im Bild des "Rollen-Ensembles" ausdrückt, er sah ihn vielmehr als Teil eines Sozialverbandes, nämlich der Familie. Die ökonomische und soziale Emanzipation der Jugendlichen von ihren Familien machte sie nun notwendig auch - relativ unabhängig von ihrem Alter - zu politisch-gesellschaftlichen Subjekten, also zu Menschen, die selbst für ihre gesellschaftlichen Interessen eintreten müssen und nicht mehr damit rechnen können, dass dies irgend jemand sozusagen "naturwüchsig" für sie tut (7).

8. Die Bedeutung, die Weniger allein dem Geschichtsunterricht beimaß, hatte ferner zur Voraussetzung, dass es so etwas wie Geschichtsbewusstsein überhaupt in nennenswertem Ausmaß in der Bevölkerung gab, dass das alltägliche, private und öffentliche Leben auch in einem historischen Kontinuum gelebt, erlebt und interpretiert wurde; dass Zukunft als verantwortliche Fortschreibung von Vergangenheit und Gegenwart angesehen wurde. Eine wesentliche Bedingung der Möglichkeit für ein derartiges Geschichtsbewusstsein ist offenbar wiederum eine bestimmte Familienkonstellation. [/ S. 154:] Es hängt nämlich davon ab, inwieweit die Menschen sich selbst biographisch, oder besser: in der Sequenz von Generationen in ihrer Familie erleben. Die zunehmende Vergesellschaftung der Familie, die zunehmende Aushöhlung ihrer "naturwüchsigen" Funktionen, die Aufsaugung vieler ihrer Aufgaben durch gesamtgesellschaftliche Rechts- und Fürsorgemaßnahmen zerstören auch notwendigerweise die unmittelbare Erfahrungsbasis für historische Prozesse. Wo es keine biographische Verbindlichkeit gibt, kann es auch kein historisches Bewusstsein geben - es sei denn als professionell und artifiziell konstruiertes.

9. Diese Tendenz wird noch dadurch unterstützt, dass die grundlegenden Prinzipien der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, die ihrer Natur nach ahistorisch sind, sich inzwischen radikal durchgesetzt haben gegen anderwertige - z. B. religiöse - Prinzipien. Die Prinzipien der technologischen Effizienz, des wirtschaftlichen Wachstums und des maximalen Profits sind ahistorisch in dem Sinne, dass ihr jeweils fortgeschrittener Stand den zurückliegenden, aus dem er hervorgegangen ist, nicht nur überflüssig macht und zum "Wegwerfen" verurteilt, er bedarf des voraufgegangenen nicht einmal zu seiner Rechtfertigung oder auch nur Erklärung. Eine neue Produktionsmethode macht die alte überflüssig, die Umkehrung kommt nicht in Frage: dass etwa frühere Methoden besser sein könnten als neuere. Die Annahme, das Frühere könne auch das Bessere sein, kann nur dann erwogen werden, wenn andere Prinzipien für "Fortschritt" eingeführt werden, z. B. solche der Lebensqualität oder der Humanisierung der Arbeit, die den eben genannten Prinzipien entgegengesetzt werden müssen und von daher nicht zu legitimieren sind, sondern ihrer eigenen Legitimation bedürfen.

Ähnlich verhält es sich mit den für die herrschenden gesellschaftlichen Prinzipien benötigten humanen Dispositionen: Die Kategorien der individuellen Leistung, des individuellen Wettbewerbs, der sozialen Mobilität, des Rollenhandelns, ja sogar der "balancierenden Identität" (Krappmann) sind gegenüber biographisch-familiären wie auch historischen Prozessen prinzipiell gleichgültig (8).

[/ S. 155:] Weder die anthropologischen noch die technologisch-ökonomischen Prinzipien unseres gesellschaftlichen Lebens benötigen historisches Bewusstsein, vermögen dieses allenfalls als eine Art von Luxus zu dulden oder lieber noch als funktionalen "Reibungsverlust" zu verhindern. Wenn man also die Herausarbeitung von historischem Bewusstsein in den Schulen fordert, muss man dafür andere Kategorien und Kriterien ins Feld führen als die eben genannten. Einen derartigen Versuch hat z. B. die "kritische Theorie" unternommen, indem sie die realen Lebensverhältnisse - und damit auch jene obengenannten Prinzipien - kritisch konfrontiert mit den Prinzipien und Versprechungen, die am Beginn der bürgerlichen Gesellschaft formuliert wurden (z. B. höchstmögliche Individuation und Entfaltung des Individuums; Mündigkeit).

10. Wenn es nach Weniger darum geht, im Geschichtsunterricht die "Lebensgeschichte" des Staates zu präsentieren mit dem Ziel, sein weiteres Schicksal der nachkommenden Generation zu überantworten, dann muss der Begriff des Staates als eines demokratischen präzisiert werden: Weniger hatte seine Thesen nur formal begründet, das heißt ohne nähere Ausführung zu den Besonderheiten des demokratischen Staates. Ob dieser nämlich historisch verstanden werden muss, hängt davon ab, wie man seine Aufgabe definiert. Wenn der Staat z. B. lediglich als "Krisenmanager" fungieren soll, als oberste Ordnungsmacht für die Regelung widersprüchlicher gesellschaftlicher Interessen, benötigt man zu seinem Verständnis und zur verantwortlichen Partizipation an ihm kein historisches Bewusstsein, sondern eher "zeitlose" funktionale Verständnismodelle, wie das Modell der "demokratischen Spielregeln" oder das "Rollen-Modell". In diesem Falle genügt es; wenn sich der Staat nach jenen technologisch-ökonomischen ahistorischen Prinzipien konstituiert.

Nur wenn man unterstellt, dass der demokratische Staat sich gerade dadurch auszeichnet, dass er für sein Handeln anderen normativen Bedingungen unterliegt, die einerseits ganz bestimmte Qualitäten im Umgang mit und in der Für- [/ S. 156:] sorge für die Bürger zur Folge haben, andererseits aber auch ganz bestimmte qualitative Anforderungen an das Bewusstsein der Bürger voraussetzen (z. B. Mündigkeit), wird historisches Bewusstsein nötig, allerdings dann eben ein solches, das die ahistorischen technologisch-ökonomischen Prinzipien transzendiert, sich von ihnen kritisch distanziert. Im Grunde müsste über dieses letztere Verständnis des Staates als eines demokratischen in unserem Lande Konsens sein. Allerdings hätte dies unter anderem zur Folge, dass eine Theorie des Geschichtsunterrichts ohne Aufarbeitung der kritischen Theorie nicht möglich ist, weil und insofern diese eine ausformulierte Theorie zur Kritik der bloß technologisch-ökonomischen Effizienz-Rationalität angeboten hat.

Das bedeutet nicht, dass man die "kritische Theorie" im ganzen, sozusagen als "ideologischen Überbau" übernehmen muss, aber wohl, dass man sie in ihren grundsätzlichen Frageansätzen ernst nehmen muß. Insofern sind alle wissenschaftstheoretischen Polarisierungen, die kritische Theorie als Nicht-Wissenschaft, als Ideologie, als parteiliche Einseitigkeit denunzieren - wenngleich derlei Vorwürfe auch immer wieder im Detail überprüft werden müssen - nicht nur unsinnig. Sie zerstören auch die einzig überzeugende Möglichkeit der Neubegründung eines historischen Unterrichts; denn um es noch einmal zu betonen: Weder aus den herrschenden aktuellen gesellschaftlichen Prinzipien, noch aus herrschenden funktionalen Verhaltensmodellen für die Bürger (z. B. Rollen-Theorie), noch aus den vorherrschenden wissenschaftstheoretischen Richtungen wie Positivismus, kritischer Rationalismus und Systemtheorie lässt sich auch nur die Vernünftigkeit eines historischen Bewusstseins, geschweige denn seine Notwendigkeit ableiten. Dies geht vielmehr nur, wenn man die grundlegenden normativen Prinzipien des demokratischen Staates und der demokratischen Gesellschaft (Grundrechte; Menschenrechte; soziale Solidarität; Mitbestimmung; Mündigkeit; Freiheit; Gleichberechtigung, Sozialpflichtigkeit des Eigentums usw.), die er für sich in Anspruch nimmt, nicht als solche versteht, die ein für allemal realisiert seien, sondern als solche, deren Sinn angesichts sich wandelnder Realitäten und Handlungs- [/ S. 157:] zwänge immer neu gefunden werden muss. Und diese Reflexion auf den praktischen Sinn jener Prinzipien ist nur möglich mit der Durchbrechung des "Schleiers" der Aktualität, durch historische Transzendierung und Vergewisserung.

11. Historischer Unterricht kann nicht mehr wie früher die Reproduktion des "Zeitgeistes" sein, er könnte nur gegen ihn betrieben werden, als dessen Kritik und Aufklärung. Insofern hat sich - etwa im Vergleich zu den 50er Jahren - die öffentliche Einschätzung des politischen Unterrichts einerseits und des historischen Unterrichts andererseits gründlich verändert. Galt nämlich früher der politische Unterricht als kritischer Störenfried des auf Identifizierung mit den konservativen Mächten und Traditionen bedachten historischen Unterrichts (9), so scheint heute der politische Unterricht sehr viel selbstverständlicher gesellschaftlich integriert und anerkannt zu sein als der Geschichtsunterricht. In dem Maße jedoch, wie der politische Unterricht sich von der historischen Dimension getrennt hat - und diese Tendenz scheint sich zu verstärken - , müssen sich auch die Zweifel an seiner kritisch-emanzipatorischen Tendenz und Wirkung melden (10).

Notwendig ist der historische Unterricht jedoch als Kritik der gegenwärtigen Gesellschaft, ihrer Leitbilder, Normen und Programme - als ständiger Hinweis auf Alternativen; auf die Gemachtheit der gesellschaftlichen Realität und damit auf ihre Veränderbarkeit; auf die Kontinuität und zugleich Wandelbarkeit herrschender Ideologien; auf die gleichbleibenden und sich verändernden Formen menschlicher Unterdrückung und Ausbeutung; auf die Nicht-Selbstverständlichkeit des scheinbar Selbstverständlichen usw.

12. Für Weniger kam es im Geschichtsunterricht darauf an, die Geschichte des Volkes den Heranwachsenden im Zusammenhang zu erzählen, im Sinne einer in sich kontingenten Präsentation der Tradition, in die neue Generation verantwortlich "einsteigen" soll. Nicht einmal für die Oberstufe des Gymnasiums wollte er ein kritisches Quellenstudium.

[/ S. 158:] Diese Vorstellung hatte jedoch zur Voraussetzung, dass es möglich und konsensfähig sei, durch den Geschichtsunterricht eine Art von "Geschichtsbild" zu präsentieren, das trotz aller Widersprüche - die Weniger durchaus sah - als Einheitliches der jungen Generation angeboten werden könne. Das ist jedoch nur in einer Gesellschaft möglich, die sich ihrer Traditionen noch ziemlich sicher ist bzw. die in der Lage ist, bestimmte dem widersprechende Traditionen (z. B. der Arbeiterbewegung) auszuklammern oder zu "kanalisieren" - z. B. dadurch, dass diese "störende" Tradition lediglich in Form der staatlichen "Sozialpolitik" aufgenommen wird.

Eine demokratische Staats- und Gesellschaftsverfassung darf jedoch unter Berücksichtigung der Pluralität von Traditionen, die in sie eingegangen sind, kein offizielles Geschichtsbild mehr vermitteln, muss vielmehr ihre "Lebensgeschichte" von Tabus freihalten und zur Disposition stellen, um auf diese Weise von jeder neuen Generation wieder eine demokratische Tradition erarbeiten zu lassen; denn es ist nicht einmal sicher, dass so, wie die Geschichte des demokratischen Gemeinwesens bisher verlaufen ist, sie im ganzen demokratisch-"fortschrittlich" verlaufen ist. Weniger nahm dies offensichtlich an, wenn er meinte, die Tradition als Einheit durch den Lehrer präsentieren zu können. Aber die kritische Theorie hat demgegenüber den begründeten Verdacht geweckt, dass es möglicherweise auch um die Wiederbelebung verschütteter Traditionen gehen müsse, nicht nur um die Fortschreibung dessen, was sich durchgesetzt hat.

13. Auch die Rolle der Geschichtswissenschaft im historischen Unterricht muss man heute anders sehen als Erich Weniger. Richtig bleibt zwar, dass sie den Geschichtsunterricht nicht konstituieren kann, aber die Frage ist, wie denn mit den historischen Stoffen im Unterricht verfahren werden soll, wenn ein einverständliches "Geschichtsbild" durch den Lehrer nicht mehr präsentiert werden kann. Die Antwort kann nur lauten, dass nun die Schüler selbst bzw. die Unterrichtsgemeinschaft von Lehrern und Schülern die Erarbeitung eines Geschichtsbildes vornehmen müssen, sie [/ S. 159:] müssen selbst die historische Rekonstruktion leisten mit der unausweichlichen Folge, dass dabei mehrdeutige "Geschichtsbilder" zustande kommen bzw. dass der Konsens über die "demokratische Lebensgeschichte" des Gemeinwesens nicht Ausgangspunkt, sondern allenfalls Ergebnis des Unterrichts sein kann. Die Interpretationen müssen gleichsam "freigegeben" werden für die unterrichtliche Bearbeitung.

In dieser Situation erhält die Geschichtswissenschaft eine neue Funktion. Ihre Methoden der Erkenntnisgewinnung werden nun in wenn auch elementarisierter Form für den Geschichtsunterricht benötigt, soll dieser nicht beliebig werden; denn alle Methoden sorgfältigen Nachdenkens über historische Entwicklungen sind auch historisch-wissenschaftliche Methoden, wobei allerdings die Umkehrung nicht gilt: Nicht alle historisch-wissenschaftlichen Methoden können auch in der Schule Verwendung finden, das ergibt sich aus dem spezifischen didaktischen Auftrag des schulischen Unterrichts, Komplexität zu reduzieren. Die Verpflichtung auf die wissenschaftsorientierten Methoden des Nachdenkens und Arbeitens ist nach der Unmöglichkeit, noch weiter komplette Geschichtsbilder zu lehren, die einzige konsensfähige Basis für den Geschichtsunterricht, also auch dafür, die in der Geschichtswissenschaft selbst vorliegenden unterschiedlichen Interpretationen der historischen Sachverhalte und Entwicklungen im Schulunterricht "auszuhalten".

Anders als in Wenigers Konzept ist eine öffentliche Legitimierung des Geschichtsunterrichts ohne Bezugnahme auf den wissenschaftlichen Standard nicht mehr möglich, und das gilt sowohl für die objektive Seite (Lebensgeschichte des demokratischen Gemeinwesens) wie auch für die subjektive Seite (historische Selbstaufklärung zum Zwecke der Mündigkeit). Sowohl für den politischen Unterricht wie auch für den Geschichtsunterricht ist der Weg zum Subjektivismus und zur Indoktrination sehr kurz geworden, er kann nur vermieden werden von der formalen Seite her, also von der Art und Weise, wie man zu einem Ergebnis gekommen ist. Das Lernergebnis selbst gibt keine Möglichkeit zur öffentlichen Rechtfertigung mehr ab. Angesichts [/ S. 160:] der auch im Geschichtsunterricht zunehmenden Tendenz, Lernziele zu setzen und zu realisieren, kann dieser Punkt nicht genügend ins Bewusstsein genommen werden: dass nämlich gerade dadurch die Legitimationsprobleme nicht gelöst, sondern nur verstärkt bzw. sogar hergestellt werden. Wahrscheinlich wird man sich in Zukunft daran gewöhnen müssen, dass es zwischen Wissenschaftsdidaktik und Schuldidaktik nur noch graduelle, keine prinzipiellen Unterschiede mehr geben kann (11).

Damit ist aber nur die kognitiv-unterrichtliche Seite des Problems angesprochen, wie man verhindern kann, dass die Freigabe pluralistischer Interpretationen der "Lebensgeschichte" des Staates nicht beliebig wird, dem Lehrer z. B. Tür und Tor öffnet, im Geschichtsunterricht seine eigenen politisch-historischen Urteile und Vorurteile unkontrolliert an die Schaler weiterzugeben. Der zweite Gesichtspunkt ist, dass die fachwissenschaftliche Qualifikation des Lehrers unter diesen neuen Bedingungen konstitutiv für den Legitimationszusammenhang wird. Und dies nicht nur in dem Sinne, dass die fachwissenschaftliche Qualifikation eine Funktion der fachdidaktischen Qualifikation ist und von dieser her zu begrenzen wäre. Vielmehr muss er zumindest auch in der Lage sein, die Gegenstände, die er unterrichtet, hinsichtlich der damit verbundenen wertenden Urteile für sich selbst argumentativ diskutieren zu können. Er muss also - prinzipiell unabhängig von seiner beruflichen Aufgabe - historisch-wissenschaftlich "gebildet" sein.

Eine dritte wichtige Bedingung, die Pluralität der Interpretation nicht beliebig werden zu lassen, sind bestimmte Möglichkeiten für die Kommunikationsstruktur des Unterrichts. Die Frage ist ja, ob und in welchem Maße die kommunikativen Bedingungen überhaupt zulassen, dass auch die Schüler von der Freigabe der Interpretation profitieren können und nicht nur ihre Lehrer. Es ist wohl kein Zweifel, dass kommunikations- und interaktionstheoretische Überlegungen und Konzepte in den letzten Jahren in der Erziehungswissenschaft ein so großes Interesse gefunden haben. Das hängt zweifellos auch mit dieser Legitimationsproblematik zusammen (12). Allerdings droht auch hier bereits die Ge- [/ S. 161:] fahr der Verabsolutierung eines wichtigen Gesichtspunktes. In dem Maße nämlich, wie sich solche Überlegungen von den anderen beiden hier genannten Bedingungen isolieren, führen sie auch nur wieder zu einem pädagogisch-provinziellen Rückzug auf die menschliche Unmittelbarkeit.

 

2. Aspekte einer historisch-didaktischen Theorie

1. Nach der grundsätzlichen Auseinandersetzung mit Wenigers Konzept sollen nun einige zwar immer noch allgemeine, aber doch wenigstens strategische Gesichtspunkte für eine historische Didaktik erörtert werden. Die zentrale Aufgabe des Geschichtsunterrichts, so hat sich gezeigt, ist die Rekonstruktion der "Biographie" des gegenwärtigen demokratischen Gemeinwesens. Es geht also um die Frage, wie dieser Staat und diese Gesellschaft, ihre verfassungsmäßigen Prinzipien, ihre charakteristischen Institutionen und Regelungen entstanden sind; welche Ursachen ihrer Entstehung und Entwicklung zugrunde liegen, welche Probleme sie gelöst haben und welche nicht, und welche sie neu geschaffen haben; wer aus welchen Gründen die Gegner des Demokratisierungsprozesses waren und welche entscheidenden Krisen das demokratische Gemeinwesen wie überstanden hat. Ein solcher historischer Unterricht, der an der "Biographie" der gegenwärtigen Gesellschaft orientiert ist und der damit seinen Gegenwartsbezug gleich mitsetzt und ihn nicht durch alle möglichen Spekulationen zusätzlich einführen muss, erklärt nicht nur positiv, "wie es gekommen ist" - was bereits wieder in die Nähe eines "Geschichtsbildes" gelangen würde - , sondern auch kritisch, "warum es nicht anders gekommen ist" bzw. warum und wodurch eine bestimmte Intention oder Bewegung nicht zum Erfolg gekommen ist.

Die letztere, kritische Erklärungsabsicht ergibt sich u. a. aus der Tatsache, dass der Demokratisierungsprozess, wie er etwa zur Formulierung des Grundgesetzes geführt hat, nicht linear-fortschrittlich verlaufen ist, sondern auch in Krisen und teilweise barbarischen Rückschritten, sowie aus der weiteren Tatsache, dass der Demokratisierungsprozess teil- [/ S. 162:] weise erheblich verzögert worden und auch heute noch nicht zu seinem Ende gekommen ist. Dabei steht die Leitvorstellung "Demokratisierung" durchaus selbst zur Diskussion. Wie aktuelle politische Auseinandersetzungen zeigen, z. B. die Diskussion um den Begriff "Emanzipation", gibt es darüber nicht ohne weiteres einen Konsens. Unterschiedliche klassen- und schichtspezifische Erfahrungen und Interpretationen müssen ernst genommen werden, eine bewusste Konvention kann nicht vorausgesetzt werden, sondern wäre gerade u. a. durch Geschichtsunterricht herzustellen und zu ermöglichen. Würde man die historischen Prozesse, die zur gegenwärtigen staatlich-gesellschaftlichen Verfassung geführt haben, unaufgeklärt auf sich beruhen lassen, so würden die spezifisch demokratischen Kriterien der Verfassung zusammenschrumpfen auf formale Regeln für die Bildung und Kontrolle von Macht und für die Austragung von Konflikten. Ohne historisches Bewusstsein müssen über kurz oder lang demokratische Normen und Prinzipien zum Verschwinden kommen.

2. Es geht aber auch um die historische Selbstaufklärung der Individuen zum Zwecke ihrer Mündigkeit, also um die Aufklärung ihrer aktuellen Wünsche, Bedürfnisse, Intentionen, Probleme und Konflikte. Über eine ganze Reihe von für die Gegenwart bedeutsamen historischen Zusammenhängen gibt es immer schon eine Vor-Einstellung oder ein mehr oder weniger diffuses Konglomerat von Vorstellungen. Ganz falsch wäre die Annahme, historisches Bewusstsein müsse vom Nullpunkt an erst aufgebaut und hergestellt werden. Historische Voreinstellungen sind vielmehr - sei es in verbalisierbarer Form, sei es in Form kollektiv-bewusster oder kollektiv-unbewusster Vorstellungen und Einstellungen - immer schon vorhanden und werden im Verlauf der Sozialisation mitgelernt.

Aufgabe der historisch-didaktischen Grundlagenforschung wäre u. a., solche vorhandenen Einstellungen und Vorstellungen genauer zu untersuchen, denn sie müssen ein wichtiger didaktischer Ausgangspunkt sein: Geschichtsunterricht besteht in der Konfrontation dieser Vor-einstellun- [/ S. 163:] gen mit wissenschaftlich-historischen Erkenntnissen und Methoden. Dazu jedoch reichen solche Untersuchungen nicht mehr aus, die sich mit verbalisierbaren historischen Kenntnissen und Vorstellungen befassen. Während es nämlich etwa in den 50er Jahren noch darum ging, durch den Nationalsozialismus geprägte, aber in hohem Maße verbalisierbare und deshalb auch argumentierbare falsche historische Vorstellungen zu korrigieren, hat es heute mehr und mehr den Anschein, als ob überhaupt keine historischen Vorstellungen, Interessen und Kenntnisse bei einem immer größeren Teil der Bevölkerung und vor allem der heranwachsenden Generation mehr vorhanden seien. Bis in die mittelständische Studentenschaft hinein ist dieser historische Bewusstseinsschwund festzustellen - nicht zuletzt in der weit verbreiteten Unfähigkeit unter sog. "linken" Theoretikern, im Rahmen der historisch-materialistischen Prämissen historisch konkret zu argumentieren.

Jedoch wäre es ein Irrtum anzunehmen, historisches Bewusstsein und historische Vorstellungen könnten einfach ersatzlos ausfallen. Wo früher verbalisierbares historisches Bewusstsein saß, ist nun keineswegs eine Leerstelle. Das Problem ist vielmehr gerade, dass diese scheinbare Leerstelle nun ausgefüllt ist durch der rationalen Argumentation nicht mehr ohne weiteres zugängliche "Selbstverständlichkeiten". Zu diesen gehört z. B. die Vorstellung vom eindimensionalen "Fortschritt", wonach das Frühere eben auch das Schlechtere ist - eine Vorstellung, die durch einen unhistorisch-technologischen Wissenschaftsbetrieb fleißig genährt und geradezu offiziös gemacht wird. Ferner gehören dazu eine Reihe kollektiver Ressentiments und Anteile der herrschenden Ideologien, die überhaupt nur als eine Art von abgesunkenem historischen Bewusstsein erklärt werden können, z. B. gerade für Deutschland typische anti-kommunistische, anti-gewerkschaftliche Komplexe, tiefsitzendes Misstrauen gegen die Arbeiterbewegung und deren Funktionäre sowie gegen die Fähigkeit und Ziele organisierter Arbeitnehmerinteressen; gegen Räteähnliche politische Organisationsmuster und die "Politik der Straße". Jede politische Kontroverse in der Gegenwart enthält solche und andere [/ S. 164:] Anteile von "abgesunkenen historischen Erfahrungen", die das Verhalten bestimmen und als unaufgeklärte der privaten und gesellschaftlichen Vernunft im Wege stehen. Sie haben eher die Qualität von kollektiven Ängsten angenommen, als dass sie sich wie früher in verbalisierbaren "Geschichtsbildern" artikulieren könnten. Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch die Analyse von solchen Produkten der Unterhaltungsindustrie, die auf historischen Stoffen beruhen, und deren Beliebtheit ja nicht zuletzt darauf basiert, dass sie beim Publikum eine bestimmte Vorstellungswelt ansprechen.

3. Didaktische Ansatzpunkte für den historischen Unterricht sind also einerseits die wie auch immer konfusen, unaufgeklärten historischen Vorstellungen der im Unterricht agierenden Lehrer und Schüler, andererseits die Biographie der staatlich-gesellschaftlichen Verfassung selbst, soweit sie jedenfalls die gegenwärtigen politisch-ideologischen Auseinandersetzungen unausgesprochen oder ausgesprochen mit bestimmen. Solche Vorstellungen werden durch Konfrontation mit historisch-wissenschaftlichen Forschungen und Ergebnissen in wenn auch reduzierter und exemplarischer Form bearbeitet. Die Lernchancen sind also in der Differenz zwischen den subjektiven Vorannahmen und Voreinstellungen einerseits und den einschlägigen objektivierten wissenschaftlichen Verfahren und Produktionen andererseits angelegt. So früh wie möglich, d. h., wie es der Bildungsgang erlaubt, sollte dies sich auch durch die "Begegnung mit den Originalen" ausdrücken. In den unteren Bildungsstufen muss der Lehrer wie eh und je den objektiven Aspekt in geeigneter Weise repräsentieren und vermitteln. Systematische Lehre bleibt weiterhin nötig, aber die Notwendigkeit zur Reduktion der Komplexität muss sich rechtfertigen gegenüber der Forderung nach einer angemessenen Vermittlung von Subjektivität und Objektivität.

Nun reichen alle diese Vorüberlegungen nicht aus, eine unstreitige Stoffauswahl und einen eindeutigen Katalog von Lernzielen zu deduzieren. Derartige Hoffnungen haben sich auch für den politischen Unterricht in den letzten Jahren [/ S. 165:] zerschlagen. Die umfangreichen curricular orientierten Legitimationsversuche etwa in den neuen Hessischen und Nordrhein-westfälischen Richtlinien konnten sich zwar teilweise konkretisieren, aber zu deren Lernziel- und Stoffvorschlägen ließen sich auch unter Berücksichtigung der dafür gesetzten allgemeinen Prinzipien eine Reihe logisch gleichwertiger Alternativen finden. Mit anderen Worten: Das Problem der unterrichtlichen Konkretion ist nur dadurch zu lösen, dass man den offensichtlich nicht weiter einzugrenzenden Unbestimmbarkeitsspielraum zwischen den leitenden Prinzipien und der Konkretisierung durch pragmatische Konventionen ausfüllt.

Überhaupt ist ja die Erwartung, in unseren Schulen müsse überall in denselben Jahrgängen das gleiche gelernt werden, eine fixe Idee der Schulverwaltungen. Es ist jedenfalls nichts, was in einem erkennbaren Interesse der Selbstaufklärung der Schüler bzw. der Aufklärung des Gemeinwesens läge. Auch im Sinne einer notwendigen didaktischen Reihenfolge, dass man erst dieses lernen müsse, um dann jenes verstehen zu können, führen derartige Konkretisierungen nicht weiter. Auch die Psychologie der Altersstufen gibt dafür weniger her, als man lange angenommen hat, und auch die moderne Lernpsychologie kann dafür allenfalls allgemeine Hinweise geben. Selbst die Spekulation auf die Motivationen der Schüler und auf ihre jeweiligen Lerninteressen bringt nicht viel ein, weil erstens "Motivationen" und "Interessen" sehr plastische und daher anpassungsfähige Persönlichkeitsvariablen sind und weil zweitens die Aufgabe des Schulunterrichts nicht nur sein kann, vorhandene Motivationen und Interessen zu befriedigen, sondern auch, durch Konfrontation mit diesen neue bzw. präzisierte entstehen zu lassen. Ein Schulunterricht, der allzu naiv auf die vorhandenen Motivationen setzt, macht diese nur parasitär und verhindert ihre Herausarbeitung und Entfaltung. Nur in dem Maße, wie sie mit objektiven Ansprüchen konfrontiert werden, werden sie auch ernst genommen. Die für historische Bearbeitungen nötigen intellektuellen Fähigkeiten sind zumindest nicht größer, als sie für viele Fächer ganz selbstverständlich gefordert werden. Würde man sich [/ S. 166:] für den historischen Unterricht von der Vorstellung lösen, es komme dabei wesentlich auf "Gesinnungsbildung" oder "Gemütsbildung" oder auf ein bestimmtes "Verhalten" an, dann fiele es auch leichter, die kognitiven Chancen deutlicher zu machen und ungenierter zu nutzen.

Nur im Sinne einer zweckmäßigen pragmatischen Vereinbarung, und nicht als Deduktion aus einer unbestreitbaren Theorie, lässt sich die an und für sich unbegrenzte Vielfalt von Möglichkeiten und Variationen für den historischen Unterricht auf vier miteinander zusammenhängende didaktische Leitgesichtspunkte eingrenzen, die man vielleicht als ein allgemeines didaktisches Strukturmuster ansehen könnte:

  • den wissenschaftlich -formalen Aspekt;
  • den ereignisgeschichtlich-analytischen Aspekt;
  • den strukturgeschichtlich-synthetischen und schließlich
  • den aktuell genetischen Aspekt.

4. Von der Bedeutung der formalen Aspekte für die öffentliche Legitimierbarkeit des Geschichtsunterrichts war schon die Rede. Diese Aspekte lassen sich vielleicht folgendermaßen operationalisieren:

  1. Zwischen der Erkenntnis von Tatsachen und dem Spielraum der Interpretation dieser Tatsachen unterscheiden lernen;
  2. lernen, dass die Interpretation von historischen Tatsachen und Ereignissen zwar standort- und interessengebunden ist, sich aber gleichwohl dem Anspruch der Wahrheit aussetzen muss;
  3. die Bedeutung und unterschiedliche Aussagefähigkeit von Quellen erkennen lernen.

Dies wäre ein Minimalkatalog, der realisierbar ist, wenn man bedenkt, dass diese formalen Kriterien durchaus aus der unmittelbaren Lebenserfahrung der Schüler erklärt werden können. Nicht fremd ist ihnen die Erfahrung, dass es einen Unterschied zwischen Tatsachen und ihren Interpretationen gibt; dass man geneigt ist, Interpretationen so vorzunehmen, dass sie einem "in den Kram passen"; dass z. B. eine offizielle Erklärung des Schulleiters eine andere "Quell- [/ S. 167:] enqualität" hat als die Ansichten der Freunde über die Schule usw. Wahrscheinlich ist es sehr viel leichter, solche formalen Aspekte zu begreifen, als komplexe historische Ereignisse zu erfassen.

5. Im Hinblick auf die "Biographie" der staatlich-gesellschaftlichen Verfassung lässt sich eine Reihe von historischen "Schlüsselereignissen" als besonders relevant für die Bearbeitung im Unterricht vereinbaren, und zwar solche, die einerseits für die gegenwärtige historische Lage wichtig gewesen sind, und die andererseits deutlich die allgemeine Konfliktlage zwischen demokratischen und antidemokratischen Tendenzen und Interessen bzw. - falls diese Entgegensetzung zu problematisch erscheint - zwischen unterschiedlichen Interessenlagen und Konzeptionen überhaupt widerspiegeln. Zu einem solchen "Ereignis-Kanon" können etwa gehören: Die Französische Revolution; die Stein-Hardenbergschen Reformen; das Jahr 1848; das Sozialistengesetz; die Bismarcksche Sozialpolitik; der Erste Weltkrieg; die Russische Revolution; die Deutsche Revolution 1918/19 und die Entstehung der Weimarer Republik; die Weltwirtschaftskrise; die nationalsozialistische Machtergreifung; die Nürnberger Gesetze; der Zweite Weltkrieg; das Potsdamer Abkommen. Manches spräche dafür, auch noch Ereignisse vor der Französischen Revolution mit einzubeziehen, z. B. die Reformation, die Bauernkriege, den Dreißigjährigen Krieg usw. Auch solche Ereignisse könnten mit guten Gründen als wichtig für die "Biographie" der demokratischen Verfassung angesehen werden. Jedoch ist noch einmal zu betonen, dass es für die Auswahl einer solchen Ereignis-Kette kein hinreichend konkretisierbares Prinzip gibt.

Aber nicht nur die Zahl solcher Schlüsselereignisse ließe sich vermehren, sofern die begrenzte Zahl der dafür zur Verfügung stehenden Unterrichtsstunden dies zulässt; vielmehr wären auch andere "Klassen" von Ereignissen nicht weniger plausibel, z. B. schulpolitische, wie die preußischen Regulative und das preußische Volksschulunterhaltungsgesetz von 1906, sowie weitere Daten aus der Geschichte der Arbeiterbewegung. Je nachdem, welche Position jemand im histori- [/ S. 168:] schen Kontext des Demokratisierungsprozesses und in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen einnimmt, wird er auch eine bestimmte Ereignis-Reihe favorisieren.

Solche unterschiedlichen Konzeptionen lassen sich zwar rational diskutieren, spiegeln sie doch nur aktuelle ideologische Kontroversen wider, aber es hätte wenig Sinn, für den Schulunterricht auf Durchsetzung dieser oder jener Position zu setzen. Vielmehr muss der Schulunterricht der Pluralität einander widerstreitender, im Rahmen des Grundgesetzes zulässiger demokratischer Konzeptionen und Interessenlagen Rechnung tragen. Daraus folgt, dass durch Richtlinien nur ein Teil der Ereignisse zur Behandlung im Unterricht vorgeschrieben werden kann, dass weitere zur Disposition der "pädagogischen Basis" gestellt werden müssen. Mit anderen Worten: Staatliche Richtlinien können nur Kompromisse anbieten, und sie sollten sich davor hüten, sich darüber hinaus eine prinzipielle inhaltliche Legitimation zu geben.

6. Nun sind "Ereignisse" in der eben beschriebenen Form in zweierlei Hinsicht noch unscharf definiert. Erstens hinsichtlich ihres Umfanges, denn bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass es sich immer schon um einen Komplex bzw. um eine Sequenz von Ereignissen handelt. Diese Schwierigkeit gilt jedoch für die Bearbeitung politischer Konflikte im Unterricht genauso und kann nur im konkreten Unterricht selbst definitorisch gelöst werden, im Sinne einer genaueren Bestimmung der gemeinsamen Aufgabe. Zweitens ist noch unklar, was "Bearbeitung" dieser Ereignisse eigentlich heißen soll. "Bearbeiten" heißt, begründete Fragen stellen an einen Sachverhalt bzw. an seine Interpretation. Sind solche Fragen prinzipieller Art, d. h. können sie sinnvoll immer wieder an Gegenstände mit gemeinsamen Merkmalen, z. B. an historische Ereignisse, gestellt werden, so handelt es sich um Kategorien. Welche Fragen man stellen will, hängt von dem Interesse ab, das man einem bestimmten Gegenstand gegenüber hat. Insofern kann die Auswahl von Kategorien mit einer gewissen Beliebigkeit erfolgen. [/ S. 169:] Sehr viel weniger beliebig - weil auf dem Spielraum der formalen methodischen Regeln festgelegt - ist die Beziehung von Frage (Kategorie) und Antwort. Die Beliebigkeit der Kategorien-Wahl wird jedoch weiter eingeschränkt und zugleich genauer determiniert durch die für den historischen Unterricht angenommenen Leitvorstellungen (Bearbeitung der individuellen historischen Vorstellungen einerseits und Bearbeitung der historischen Biographie der demokratischen Verfassung mit dem Ziel ihrer weiteren Realisierung andererseits). Unter diesem Aspekt nämlich müssen im Prinzip die gleichen Kategorien auch für historische Ereignisse relevant sein, die für die Analyse gegenwärtiger politischer Konflikte Geltung beanspruchen können. Die Verwendung gleicher Kategorien gäbe zudem die Möglichkeit, den politischen Unterricht mit dem historischen strukturell zu verbinden.

Ich schlage also vor zu prüfen, ob die von mir für den politischen Unterricht entwickelten Kategorien (Macht; Recht; Solidarität; Ideologie; Konkretheit; Konflikt; Mitbestimmung; Funktionszusammenhang; Geschichtlichkeit; Menschenwürde) (13) nicht auch die grundlegenden analytischen Kategorien für die Bearbeitung der historischen "Schlüsselereignisse" sein könnten. Lediglich die Kategorie des subjektiven "Interesses" ließe sich nicht unmittelbar, sondern nur hypothetisch verwenden, etwa in dem Sinne: Welche Stellung hätte ich (der Schüler) damals eingenommen, und was wäre mein Interesse gewesen? Diese Kategorien - ihre mögliche Modifizierung schließe ich jetzt mit ein - scheinen mir auch den historisch-wissenschaftlichen Analysen zugrunde zu liegen, sind also insofern "eigenständige", keine unzulässig pädagogisierten Kategorien. Die Chance ihrer didaktischen Verwendung bestünde nicht nur darin, dass zwischen historischem und politischem Unterricht vermittelt werden könnte, sondern auch darin, dass einerseits zwischen der objektiven und subjektiven Aufgabe des Geschichtsunterrichts und andererseits zwischen Gegenwart und Geschichte vermittelt werden könnte. Diese Kategorien sind nämlich Leitfragen von heutigen Individuen, gerichtet an den objektiven Prozess der, staatlich-gesell- [/ S. 170:] schaftlichen Demokratisierung, und zwar so, dass sie nur vom Standpunkt des jeweiligen historischen "Schlüsselereignisses" her bearbeitet und beantwortet werden können. Wäre also eine solche Verwendung von Kategorien möglich und akzeptierbar, dann ergäbe sich die Aussicht, den Komplex des historischen und politischen Unterrichts einerseits für die Erkenntnisfähigkeit der Schüler reduziert genug, andererseits aber auch differenziert und "materialtreu" genug zu organisieren.

7. Für den historischen Unterricht stellt sich dasselbe Problem wie für den politischen Unterricht, nämlich wie man von einer Analyse politischer Konflikte bzw. von historischen Ereignissen zu einem Vorstellungszusammenhang über die Gesamtgesellschaft gelangen kann. Dies ist nicht einfach induktiv möglich, nämlich so, dass man die Konfliktanalysen nur genügend weit verlängert. Vielmehr muss die gesamtgesellschaftliche Struktur unmittelbar in den Blick genommen werden. Dafür bietet sich im Geschichtsunterricht die strukturgeschichtliche Betrachtungsweise an. Deren Modelle sind nicht nur nützlich für den Komplex "Gesamtgesellschaft" (z. B. Feudalismus; Frühkapitalismus; Spätkapitalismus), sondern auch für die Entwicklung gesellschaftlicher Teilbereiche (z. B. "Familie", vom "ganzen Haus" bis zur gegenwärtigen Kleinfamilie). Allerdings sind sie auch nicht unproblematisch, weil sie die Faszination des definitiv und knapp und bündig Erkannten auszustrahlen vermögen, während sie tatsächlich jedoch nur idealtypische Konstrukte und Abstraktionen sein und sich erst durch die Analyse von Ereignissen mit Leben füllen können. Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, wie verführerisch bis hin zum Verlust jeder Art von historischer Sensibilität solche Modelle wirken können, und schon aus diesem Grunde kann es nur um die Kombination und wechselseitige Ergänzung von ereignisgeschichtlichen und strukturgeschichtlichen Betrachtungen gehen.

8. Einen weiteren wichtigen Zugang zu historischen Prozessen bietet die politisch-didaktische Kategorie der "Ge [/ S. 171:] schichtlichkeit" bei der Analyse aktueller politischer Konflikte, die dadurch in ihrer historischen Genese rekonstruiert werden. Lange Zeit schien dieser aktuell-genetische Aspekt der einzig notwendige zu sein, weil er auf lange Sicht zu erweisen schien, welche historischen Fakten und Traditionen für die Einsicht in gegenwärtige und zukünftige Probleme benötigt würden. Jedoch hat sich nicht zuletzt in der Diskussion neuer Richtlinien gezeigt, dass allein von diesem Zugang her die historischen Rekonstruktionen keine Tiefe gewinnen, keinen eigenständigen Argumentationszusammenhang abgeben können. Historische Informationen würden einseitig in Dienst genommen für aktuelle Erkenntniszwecke, ohne dass sie auch zu deren kritischer Gegen-Instanz werden könnten. Bewiesen würde sozusagen immer nur noch einmal, was vorher schon klar ist.

9. Die hier vorgeschlagene Mehrdimensionalität des Geschichtsunterrichts macht auch den Weg frei für neue unterrichtsmethodische Varianten. Die von Erich Weniger vertretene Konzeption bot da wenig Variationsmöglichkeiten, kaum mehr als den Frontalunterricht des Lehrers. Nun geht es aber nicht mehr nur um die optimale Vermittlung historischer Stoffe, sondern auch um die Bearbeitung individueller und kollektiver, d. h. ideologisch gewordener gegenwärtiger Vorstellungen über historische Ereignisse und Zusammenhänge sowie um den Umgang mit Originalmaterial. Nicht nur steht z. B. zur Debatte, wie die nationalistische Machtergreifung wirklich gewesen ist, sondern auch, wie sie in der nicht-professionellen öffentlichen Diskussion, in programmatischen politischen Erklärungen etwa oder in aktuellen politischen Begründungszusammenhängen erscheint. Unter diesen Umständen bieten sich auch neue unterrichtsmethodische Variationen an, ohne dass sie krampfhaft inszeniert werden müssten, z. B. für recherchierende Kleingruppen, so dass sich der historische Unterricht auch methodisch dem politischen Unterricht weitgehend annähern könnte (14).

[/ S. 172:]
10. Die hier vorgeschlagene Mehrdimensionalität von ereignisgeschichtlich-analytischen, strukturgeschichtlich-synthetischen, und aktuell-genetischen Aspekten einerseits und von individuellen bzw. kollektiven gegenwärtigen Vorstellungszusammenhängen andererseits mag zunächst deshalb unbefriedigend erscheinen, weil sie nicht zu einer überzeugenden "Theorie des Geschichtsunterrichts" integriert ist. Ähnliche Vorwürfe sind auch immer schon gegen meine didaktische Konzeption des politischen Unterrichts erhoben worden, ohne dass es bisher gelungen wäre, das Bemühen nach einheitlicher und systematischer didaktischer Theorie entscheidend weiterzutreiben.

Meine Ansicht ist, dass didaktische Theoriebildung unter den gegenwärtigen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen von einem bestimmten Punkt der Perfektion an ins Gegenteil umschlägt, nämlich entweder zu blutleeren technologischen Unterrichtsprojekten führt, oder aber das verbaut, was da vermittelt werden soll. Didaktische Theorien müssen sich deshalb wohl bescheiden, mehr oder weniger pragmatische Konstrukte mit "mittlerer Reichweite" zu bleiben. Für den Geschichtsunterricht heißt das, dass ein in sich zusammenhängendes Geschichtsbild im staatlich monopolisierten Schulwesen nicht mehr verbindlich gemacht werden kann. Lediglich gesellschaftliche Partikularitäten wie Kirchen oder Gewerkschaften können ihren Anhängern noch eine solche Gesamtinterpretation in ihren eigenen außerschulischen Bildungsveranstaltungen anbieten. Die Schule jedoch hat es mit parteilich-konkurrierenden Interpretationen zu tun, nicht nur mit politischen, sondern auch mit wissenschaftlichen. Daraus folgt, dass sich die didaktischen Überlegungen auf die Modalitäten der intellektuellen Bearbeitung, also auf die subjektive Seite der Lern- und Studierprozesse, verlagern müssen. Die Organisation der intellektuellen Arbeitsprozesse hat Vorrang vor der Planung der Endergebnisse, das Geschichtsbild als Inbegriff der in sich plausibel strukturierten historischen Vorstellungen kann nur das Ergebnis des je subjektiven Lern- und Studierprozesses selbst sein. Es kann und darf nicht curricular antizipiert werden. Ein moderner Geschichtsunterricht kann [/ S. 173:] nicht "einheitlicher" sein, als es die moderne internationale Geschichtswissenschaft selbst ist, und man sollte sich endlich - und nicht nur im Fach Geschichte - von der Vorstellung befreien, in die Schule dürfe nur das Unumstrittene Einzug halten. Das Umstrittene als eben dieses im Unterricht zu behandeln und es auf eine konsensfähige Weise zu behandeln, ist eines demokratischen Staates und einer staatlich monopolisierten Schule durchaus nicht unwürdig.

11. Die bisherigen Überlegungen bezogen sich auf einen politisch begründeten Geschichtsunterricht, der als solcher kaum hinter die Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft zeitlich zurückgehen kann. Darin liegt eine Einseitigkeit, die zum Schluss wenigstens noch angedeutet werden soll. Historischer Unterricht ließe sich nämlich nicht nur begründen aus der politischen Partizipation - wovon in diesem Artikel die Rede war - , sondern auch aus der kulturellen Partizipation. Historische Tradition begegnet uns ja auf mannigfaltige Weise: Der Tourismus z. B. schafft Begegnungen mit den Zeugnissen verschiedener Kulturen und gesellschaftlicher Formationen und mit Lebensauffassungen, die sich von den unseren unterscheiden. Das Fernsehen berichtet über Minderheiten, die früheren und uns auf Anhieb völlig unverständlichen Kulturen angehören. Und das Verständnis für Gastarbeiter in unserem Lande wäre sicher größer, wenn wir wenigstens eine Ahnung von deren spezifischen gesellschaftlichen und kulturellen Traditionen hätten. Aber vielleicht wäre dies eher eine Aufgabe für die historischen Dimensionen anderer kultureller Fächer in der Schule.

 

Anmerkungen

(1) Vgl. Berger, Th., Geschichtsdidaktik, in: b:e 8/1977, S. 53 ff. - Süssmuth, H. (Hrsg.), Geschichtsunterricht ohne Zukunft? 2 Bände, Stuttgart 1972 - Herbst, K., Didaktik des Geschichtsunterrichts zwischen Traditionalismus und Reformismus, Hannover 1977.

(2) Dieses Verfahren wurde "modisch" Ende der sechziger Jahre durch solche "anti-kapitalistischen" Positionen, die Kritik [/ S. 174:] an ihren sogenannten "bürgerlichen" Gegenpositionen antithetisch-alternativ und undialektisch im Sinne einer Abgrenzung und nicht einer ständig notwendig bleibenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung formulierten, wobei das Ausgegrenzte dann auch für die eigene Argumentation überflüssig gemacht wurde. Inzwischen haben auch konservative Positionen diese Mode übernommen, wie z. B. an der pauschalen Diffamierung der "kritischen Theorie" zu erkennen ist. Allerdings gab es auch Versuche, unterschiedliche Positionen wissenschaftlich-argumentativ auszutragen, um auf diese Weise zum wenigstens praktischen Konsens zu kommen. Vgl. etwa die Arbeit der nordrhein-westfälischen Richtlinienkommission: Schörken, R. (Hrsg.), Curriculum "Politik", Opladen 1974.

(3) Ich stütze mich hier vor allem auf: Weniger, E., Neue Wege im Geschichtsunterricht (1949), 3. Aufl. 1965, Frankfurt 1965 sowie auf die gründliche Darstellung und Interpretation bei: Blankertz, H., Hoffmann, D., Geschichtsunterricht und politische Bildung, in: Dahmer, I./Klafki, W., Geisteswissenschaftliche Pädagogik am Ausgang ihrer Epoche - Erich Weniger, Weinheim o. J., S. 175 ff.

(4) Weniger, E., Neue Wege..., S. 28

(5) Diese Kritik ist ausführlicher begründet in einer Diskussion mit den Autoren der NRW-Richtlinien Politik. Giesecke, H., u. a.: Pädagogische und politische Funktionen von Richtlinien, in: Neue Sammlung, 2/1974, S. 84 ff.

(6) Von heute aus gesehen ist vielleicht nicht unwichtig daran zu erinnern dass die Frage, ob zum traditionellen Geschichtsunterricht nicht ein eigenständiger politischer Unterricht hinzutreten müsse, seinerzeit allein unter "Konservativen" ausgetragen wurde. Jedenfalls unterschieden sich die politisch-ideologischen Grundpositionen von F. Messerschmid und A. Bergsträsser, die damals den politischen Unterricht favorisierten, nicht erkennbar von der Erich Wenigers. "Linke" Positionen kamen erst etwa Mitte der sechziger Jahre zur Geltung.

(7) Der Zusammenhang der hier skizzierten Veränderungen - insbesondere die neue Rolle des Jugendlichen in Familie und Öffentlichkeit - erklärt im übrigen auch noch einmal die Notwendigkeit und die didaktische Fruchtbarkeit konfliktorientierter Ansätze in der Politischen Bildung. Unter anderen Bedingungen - z. B. Anfang der fünfziger Jahre - hätten diese nicht einmal bei den Schülern eine nennenswerte Chance gehabt.

(8) Als Beispiel für diesen Zusammenhang mag die Doppeldeutigkeit des Postulats nach "lebenslangem Lernen" dienen. Einerseits soll es der Souveränität der Menschen nützen, insofern [/ S. 175:] diese sich gewandelten gesellschaftlichen Verhältnissen anpassen können. Andererseits aber ist der leitende Maßstab für diese Anpassung der Wandel der Verhältnisse und z. B. nicht auch die biographische Integrationsfähigkeit der geforderten Anpassung, im Gegenteil: Wenn die subjektiven Möglichkeiten den objektiven Erwartungen nicht entsprechen, wirkt dies diskriminierend - wenn z. B. Arbeitnehmer mit Rücksicht auf ihre familiäre und persönliche Kontinuität sich weigern, ihren Wohnsitz immer dorthin zu verlegen, wo sich zufällig gerade ein Arbeitsplatz anbietet. Insofern das Postulat des "lebenslangen Lernens" der biographischen Kontinuität gleichgültig gegenübersteht, macht es das bisher Gelernte und Gelebte zu etwas, das der Person bloß äußerlich bleibt und jederzeit zum "Wegwerfen" verurteilt sein kann. In diesem Sinne sind die herrschenden technologisch-ökonomischen Prinzipien der gesellschaftlichen Entwicklung inzwischen weitgehend durchgeschlagen auf Sozialisations-Karrieren, die sie nach ihrem Bilde präformieren.

(9) Die tatsächliche Geschichte des historischen Unterrichts in Deutschland muss hier aus Raumgründen ausgeblendet bleiben, die Rede ist hier nur von Wenigers didaktischem Konzept. Aber der "konservative" Charakter der deutschen Geschichtswissenschaft nach der Reichsgründung und auch des Geschichtsunterrichts zumindest bis Mitte der sechziger Jahre dürfte heute kaum mehr strittig sein. Auch dies war für manche "konservative" Autoren ein Argument für die Einführung eines eigenständigen politischen Unterrichts. Vgl. etwa Besson, W., Zur gegenwärtigen Krise der deutschen Geschichtswissenschaft, in: Gesellschaft-Staat-Erziehung, 3/1963, S. 302 ff.

(10) Solche Bedenken entzündeten sich z. B. an der Diskussion der Hessischen Rahmenrichtlinien "Gesellschaftslehre". Vgl. dazu Giesecke, H., Neue Hessische Rahmenrichtlinien für den Lernbereich "Gesellschaftslehre, Sekundarstufe I", in: Neue Sammlung, 2/1973, S. 130 ff.

(11) Auch dieses Problem gilt keineswegs nur für den Geschichtsunterricht, sondern zumindest für alle diejenigen Schulfächer, für die normative Inhalte konstitutiv sind, die innerhalb eines gesellschaftlich zugelassenen Rahmens entschieden werden dürfen. Ausführlicher dazu: Giesecke, H., Die Schule als pluralistische Dienstleistung. und das Konsensproblem in der politischen Bildung, in: Schiele, S./Schneider, H. (Hrsg.), Das Konsensproblem in der politischen Bildung, Stuttgart 1977, S. 56 ff.

(12) Vgl. u. a.: Mollenhauer, K., Theorien zum Erziehungsprozess, München 1972. Ulich, D., Pädagogische Interaktion, Weinheim 1976.

[/ S. 176:]

(13) Vgl. Giesecke, H., Didaktik der politischen Bildung, 10. Aufl. München 1976.

(14) Vgl. Giesecke, H., Methodik des politischen Unterrichts. München: Juventa, 3. Aufl. 1975 - Auch methodische Variationen wie Rollenspiel, Planspiel, Tribunal, Produktion lassen sich - vom Standpunkt des jeweiligen historischen Ereignisses aus - verwenden.
 

Literatur

Berger, Thomas (1977): Geschichtsdidaktik. In: b:e. 1977 (8), Seite: 53 ff.

Besson, W. (1963): Zur gegenwärtigen Krise der deutschen Geschichtswissenschaft. In: Gesellschaft-Staat-Erziehung. Jg. 8 (3), Seite: 302 ff.

Blankertz, Herwig, Hoffmann, Dietrich (1968): Geschichtsunterricht und politische Bildung. In: Dahmer, Illse; Klafki, Wolfgang (Hg.): Geisteswissenschaftliche Pädagogik am Ausgang ihrer Epoche - Erich Weniger. Weinheim [u.a.]: Beltz [3], Seite: 175 ff.

Giesecke, Hermann [1] (1973): Neue Hessische Rahmenrichtlinien für den Lernbereich "Gesellschaftslehre, Sekundarstufe I". In: Neue Sammlung. Jg. 13 (2), Seite:130 ff.

Giesecke, Hermann [1] u. a. (1974): Pädagogische und politische Funktionen von Richtlinien. In: Neue Sammlung. 1974 (2), Seite: 84 ff.

Giesecke, Hermann [1] (1975): Methodik des politischen Unterrichts, 3. Aufl. München: Juventa [4].

Giesecke, Hermann [1] (1976): Didaktik der politischen Bildung, 10. Aufl. München: Juventa [4].

Giesecke, Hermann [1] (1977): Die Schule als pluralistische Dienstleistung. und das Konsensproblem in der politischen Bildung. In: Schiele, Siegfried; Schneider, H. (Hg.): Das Konsensproblem in der politischen Bildung. Stuttgart, Seite: 56 ff.

Herbst, Karin (1977): Didaktik des Geschichtsunterrichts zwischen Traditionalismus und Reformismus. Hannover: Schroedel [5].

Mollenhauer, Klaus (1972): Theorien zum Erziehungsprozess. München: Juventa [4].

Schörken, Rolf (Hg.) (1974): Curriculum "Politik". Opladen: Leske [6].

Süssmuth, Hans (Hg.) (1972): Geschichtsunterricht ohne Zukunft? 2 Bände. Stuttgart: Klett [7].

Ulich, Dieter (1976): Pädagogische Interaktion. Weinheim: Beltz [3].

Weniger, Erich (1965): Neue Wege im Geschichtsunterricht (1949), 3. Aufl. Frankfurt am Main: Schulte-Bulmke.

 

Ergänzung fehlender Vornamen im Literaturverzeichnis (Blankertz u.a. 1968) durch sowi-online.

 


 

 

Jeismann, Karl-Ernst; Kosthorst, Erich (1979): Geschichte und Gesellschaftslehre. Die Stellung der Geschichte in den Rahmenrichtlinien für die Sekundarstufe I in Hessen und den Rahmenlehrplänen für die Gesamtschulen in Nordrhein Westfalen. Eine Kritik

 

I. Gesellschaftslehre (Hessen) bzw. Gesellschaft/Politik (NW) als Kernstück der Innovation durch Gesamtschulen - Das Problem der Integration

Die Gesamtschulen in Hessen und NW, ursprünglich als Schulversuch deklariert, können längst nicht mehr als pädagogische Experimente gelten - sie sind nach den Aussagen der verantwortlichen Kultusminister und ihrer Mitarbeiter die Regelschulen der Zukunft. Mit ihnen wurden nach eigenem Anspruch nicht etwa nur Reformen in die Wege geleitet, sondern "schrittweise durchzuführende ,Innovationen' an der Gesamtstruktur des Bildungswesens" (NW. Vorwort, S. 2).

Ein Kernstück der Innovation ist die Erneuerung der Lehrpläne von Grund auf (NW. Vorwort, S. 3); in ihrem Zentrum steht die Integration der bisher selbständigen bzw. kooperierenden Schulfächer Geschichte, Sozialkunde, Geographie und Arbeitslehre zu einem einheitlichen Lernbereich "Gesellschaftslehre" (Hessen) oder "Gesellschaft/Politik" (NW), mit dem die generell intendierte Befähigung der Schüler zur "Teilnahme an der produktiven Gestaltung gesellschaftlicher Realität" in erster Linie erreicht werden soll (H. S. 7; NW. S. 1).

Die folgende Untersuchung fragt nach dem Stellenwert der Geschichte in diesem zentralen Lernbereich der künfti- [/S. 30:] gen Regelschule. Die Antwort auf diese Frage ist für unsere Schule und unsere Gesellschaft von höchster Bedeutung. Mit der Analyse wird jedoch, das sei gegenüber möglichen Missverständnissen ausdrücklich gesagt, keineswegs das Konzept der Gesamtschule als solcher mit ihrer fundamentalen Zielsetzung des "Abbaus bestehender Chancenungleichheit der Schüler" und der "Vermittlung sozialintegrativer Lerninhalte und eines entsprechenden Verhaltens" (NW. Vorwort, S. 9/10) infrage gestellt.

Vorweg sei ebenfalls erklärt, dass die Integration der Geschichte in ein mehrere sozialwissenschaftliche Teilbereiche umfassendes allgemeines Unterrichtsfeld Gesellschaft/Politik als ein notwendiger Versuch zur didaktischen Zusammenführung von einander korrespondierenden Wissenschaften begrüßt wird. Eine unerlässliche Forderung an jede Art von Integration bleibt jedoch, die Integrationsfaktoren in ihrem je spezifischen Potential nicht auszulöschen, sondern interdependent zur Entfaltung kommen zu lassen, was u. a. auch bedeutet, das Interaktions- und Spannungsfeld der zugehörigen Wissenschaften zu erhalten. Es sei ausdrücklich vermerkt, dass die "Rahmenrichtlinien" (Hessen) wie auch die "Rahmenlehrpläne" (NW) angesichts der schwierigen theoretischen und praktischen Probleme der intendierten Integration den beteiligten Lehrern aus wohlbegründetem Pragmatismus eine Schonfrist, einen Lernprozess zubilligen und "Koordination" dort gestatten (H. S. 41; NW. S. V), wo das Maximalprogramm der Integration organisatorisch und personell noch nicht durchführbar ist. Die Begründung für die didaktische Notwendigkeit der Integration sowie ihrer zeitweiligen Suspendierung erfolgt in den hessischen Richtlinien in auffälligem Unterschied zum lapidaren Befehlston der NW-Lehrpläne in einer vorsichtigen, differenzierten und verbindlichen (demokratischen) Sprechweise. Gegenüber der im hessischen Plan vorgenommenen Wortwahl "Verschränkung", "gemeinsamer Bezugsrahmen" (H. S. 11), "Unmöglichkeit jeden Versuchs, Gesellschaftslehre auf der Systematik einer der beteiligten Fachdisziplinen zu begründen" (H. S.13), dekretiert der NW-Plan: "Unterricht im Lernbereich G/P ist grundsätzlich auf Voll- [/S. 31:] integration ausgerichtet und auszurichten" (NW. S. IV).

Die mit diesem dubiosen Begriff "Vollintegration" sich beim Leser sofort herstellende Assoziation eines totalen Zugriffs verfehlt nicht etwa den gemeinten Sachverhalt, sondern trifft, wie sich in der Begriffserläuterung (und später im unterrichtspraktischen Teil) zeigt, das Gemeinte leider nur zu genau: "Damit [mit der "Vollintegration"] ist weder die Addition eines Nacheinander oder Nebeneinander noch eine Kooperation von im Prinzip selbständigen Einheiten gemeint, sondern eine spezielle Qualität: das einheitliche, ungeteilte Ganze" (NW. S. IV). Aus dieser Setzung der Gesellschaftslehre und also auch der Gesellschaft als eines solchen "ungeteilten Ganzen" folgt zwangsläufig das Postulat der Eliminierung fachspezifischer Elemente oder Teilbereiche und ihre Reduktion auf "Aspekte". Die Zulassung von "Koordination" als Surrogat von "Integration" wird im NW-Plan wiederum im lakonischen Kommandoton verkündet - ohne weitere Kommentierung und vor allem ohne nähere pädagogische Dispositionen, wie sie der Hessen-Plan in Rücksicht auf eben nur langsam zu verändernde Vorgegebenheiten vornimmt. Was in den hessischen Richtlinien eher verhüllt und indirekt spürbar ist, das offenbart der Sprechstil der NW-Planer dagegen als Missbilligung einer verkehrten Welt.

In der Mystifikation einer "Vollintegration", eines "einheitlichen, ungeteilten Ganzen" liegt die Verschmelzung der unterschiedlichen Elemente der Gesellschaft und der Ebenen ihrer Analyse. Darin gehen die NW-Rahmenpläne weit über die hessischen Richtlinien hinaus: "Unterricht im Lernbereich Gesellschaft/Politik ist ein Unterricht, der politologische, sozialpsychologische, anthropologische, juristische ökonomische, geographische, historische und andere Aspekte gesellschaftlicher Realität und Möglichkeit in ihrer Komplexität und Interdependenz aufgreifen, einsichtig machen und handlungsrelevant erarbeiten will" (NW. S. I). Dieser voluminöse Satz mit seinem Universalanspruch wäre in den Formulierungen der hessischen Richtlinien so noch nicht vorstellbar. Die NW-Rahmenpläne, die die Rahmenrichtlinien Hessens im übrigen als Modell zu kopieren vorgeben [/S. 32:] (NW. S. III), haben, das lässt sich also schon jetzt sagen, Tendenzen ihres Vorbilds in einem Maximalsinn zu einer Aspekt-Didaktik ausgezogen. Was ist nun die Integrationsmitte, auf die fachspezifische Aspekte hingeordnet werden? Als "oberstes Lernziel" ist dem integrierten Lernbereich Gesellschaftslehre bzw. Gesellschaft/Politik aufgegeben: "Die Befähigung zur Selbst- und Mitbestimmung" (H. S. 7 f.; NW. S. 1 f.). Dieses Ziel ist kein aus Wissenschaft abgeleitetes und auch nicht ableitbares Postulat, sondern eine (wie die hessischen Planer im Unterschied zu den nordrhein-westfälischen ausdrücklich hervorheben) politische, am Demokratiegebot des Grundgesetzes orientierte Setzung. Mit der, politisch-legitim, letztlich auf der Vernunftfähigkeit aller Menschen gegründeten Zielsetzung der "optimale(n) Teilhabe des einzelnen an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen" als "an die Aufhebung ungleicher Lebenschancen geknüpft(e)" (NW. S. 1) Aufgabe ist die politisch-pädagogische Einstellung des Leitziels in den von weither kommenden geschichtlichen Emanzipationsprozess gegeben. Ob dies den Planern bewusst ist, muss freilich bezweifelt werden; sie sprechen den Zusammenhang weder hier noch später an. Im Gegenteil, wo von Geschichte im allgemeinen und geschichtlicher Situation im besonderen die Rede ist, da werden anstelle der emanzipatorischen Potenzen die negativen Erscheinungen in den Vordergrund gerückt: Geschichte als Ansammlung abgelebter Strukturen, Geschichtswissenschaft und Geschichtsbewusstsein als ideologisches Weltbewusstsein, das von der Soziologie destruiert werden muss, das ist - trotz mancher Gegenbeteuerungen - der Grundtenor der Aussagen insgesamt. Eindeutig ist die Dominanz einer unhistorischen Soziologie, deren Provenienz im Diffusen bleibt.

Im Diffusen bleibt nun aber vor allem das "oberste Lernziel", "die Befähigung zur Selbst- und Mitbestimmung". Die Verfasser wissen das selbst und konzedieren, dass die jeweilig mit diesem Lernziel verbundenen Inhalte nur in Beziehung zu konkreten "Anwendungssituationen" deutlich werden. Was aber in bestimmten und nicht vorwegnehmbaren Situationen "Selbstbestimmung oder soziale Gerechtig- [/S. 33:] keit" (zwei Begriffe, die hier fast synonym gebraucht werden, aber in Opposition stehen können) jeweils bedeuten, ist nicht festlegbar. So geraten die Verfasser beim Versuch, das oberste Lernziel zu differenzieren, notwendig in das Dilemma jeder normativen Didaktik. Sie geben sich so, als ob die Unterrichtsentscheidungen aus den obersten Setzungen ableitbar wären. "Tatsächlich aber sind die didaktisch-methodischen Entscheidungsgründe durch viele Faktoren mitbedingt, die nicht aus Sinnormen, wie sie als philosophisch explizierte Vernunftpostulate, als religiös-theologisch ausgelegte Offenbarungswahrheiten oder als Weltanschauungen mit politisch-gesellschaftlichen Zielen auftreten, abgeleitet werden können" (1). Innerhalb des Spielraums der "Sinnormen" sind aber nicht nur verschiedene didaktische Konzeptionen möglich, vielmehr sind hier die Sinnormen so vage, dass sie sogleich ambivalent und kontrovers auslegbar sind. Auch die Verfasser dieser Richtlinien sind der Deduktionsproblematik (2) insofern erlegen, als ihre einzelnen Lernziele keineswegs durch Berufung auf die oberste Setzung gerechtfertigt werden können, sondern jeweils selbst wieder ganz bestimmten Auslegungen dieser Setzung verpflichtet sind, die nun aber nicht mehr begründet, sondern unterschwellig eingeführt werden. Ließen die alten normativen Didaktikmodelle unter dem weiten Deckmantel des obersten "Bildungszieles" dem Lehrer Freiheit, die Stoffpläne hinsichtlich der an den Unterrichtsgegenständen zu gewinnenden Einsichten variabel auszulegen, so ist hier, in einer "lernzielorientierten" normativen Didaktik der Lehrer sehr viel strenger an die Einsicht der Richtlinienverfasser und an ihre Auslegung der obersten Norm gebunden - bis in die untersten Lernziele, bis in die empfohlenen oder vorgeschriebenen und zugelieferten Materialien hinein. Auf diese Weise entsteht eine scheinbar wissenschaftlich abgeleitete, in Wahrheit aber irrationale - d. h. im Entscheidenden der Diskussion und Offenlegung entzogene - Diktatur gesetzter Lernzielketten (3).

Eine so angesetzte politisch-normative Didaktik könnte nun kritisiert werden von den politischen Grundentscheidungen her - nicht von der allerobersten Norm, die min- [/S. 34:] destens verbal wohl in den meisten politischen Systemen der Welt Applaus findet -, sondern von den in den einzelnen Ausführungen, Frageansätzen, Blickausrichtungen, Lernzielformulierungen, Vorbehalten, Materialhinweisen usw. versteckten konkreten politischen Entscheidungen. Es wäre zu fragen, ob hier nicht eine Sicht vom Zustand wie von Veränderungstendenzen der Gesellschaft zugrunde liegt, die sich sehr viel genauer ausweisen müsste, ehe sie in Form von ministeriellen Richtlinien allen Schulen auferlegt werden dürfte. Es hat bisweilen den Anschein, als ob hier ein dialektisches Denkmuster durchschlägt, das die Schüler in der Gegenwart die Gesellschaft als ein schichten-/ klassen-/gruppenantagonistisches Modell sehen lehrt, in dem alles Denken nur Mittel im Kampf aller gegen alle ist - dass aber mit dem Zauberwort "Veränderung" die Richtung auf ein Harmoniemodell des Ausgleichs aller Ungleichheit, der sozialen Gerechtigkeit wie der Selbst- und Mitbestimmung zugleich eingeschlagen wird.

Aber hier geht es nicht um die Auseinandersetzung mit den nur diffus erkennbaren Konturen der Ausfüllung der obersten Norm, des "Demokratiegebotes". Gewiss ist richtig, dass eine politisch normative Didaktik zunächst in ihren politischen Setzungen zu kritisieren ist; hier geht es sehr viel bescheidener lediglich um die Untersuchung der didaktischen Dignität, also der Frage, ob die Entwürfe, gemessen an ihren eigenen Intentionen, stichhaltig sind. Die Frage nach der "Parteilichkeit" bleibt also aus dem Spiel.

In diesem Zusammenhang lässt sich hier schon die Hauptfrage umreißen, die sich immer wieder herandrängt: Ist die Zurückweisung der fachwissenschaftlichen Aspekte hinter eine politisch-didaktische Setzung nicht ein vielleicht unbewusst gebrauchtes Mittel, Instanzen der Kritik an einem im einzelnen voluntaristisch gesetzten Unterrichtsmodell auszuschalten? Denn die Reduzierung der Gesellschaftsvorstellung auf die konfliktträchtigen Antagonismen (ein allenfalls historisch verständlicher Gegenschlag gegen die "Institutionenkunde") und die Destruktion der Geschichte zum Instrumentarium für Orientierung oder Legitimierung von Gegenwartsaktionen findet in den systematischen wie hi- [/S. 35:] storischen Sozialwissenschaften ein Widerstandspotential gegen verzerrende Einseitigkeiten. Die Erfahrung, dass in der neueren Geschichte "Veränderungen" immer dann regressive, reaktionäre Veränderungen waren, wenn sie die Wissenschaften mediatisierten - unter welchen politischen Vorentscheidungen immer -, zwingt zu einer kritischen Untersuchung von Richtlinien und Lehrplänen, die sich ausdrücklich als Ableitungen aus einer politischen Norm zu erkennen geben. Hier geschieht das unter Begrenzung auf die Funktion, die der Geschichtswissenschaft und dem Geschichtsunterricht in dem neuen politischen Rahmenfach zugewiesen wird.

Das Geschichtsverständnis und die in ihm begründete gesellschaftliche Rollenzuweisung für Geschichtswissenschaft und Geschichtsunterricht innerhalb der Gesellschaftslehre artikulieren sich programmatisch in den allgemeinen Ausführungen zum "Arbeitsschwerpunkt Geschichte" (H. S. 18-30) bzw. zum "Historischen Aspekt" (NW. S. 15-20) und in der unterrichtspraktischen "Strukturierung der Lernfelder" (H. S. 47-311) bzw. "Unterrichtsorganisation" (NW. S. 29-131) (4).

 

II. Die hessischen Rahmenrichtlinien für die Gesellschaftslehre, Sekundarstufe I, Teil A

 

1. Das didaktische Modell

Die "Integration" bislang selbständig unterrichteter Fächer, die hinsichtlich ihrer Methoden, Kategorien und Aussagen auf eine Fachwissenschaft rückbeziehbar blieben, in einen Gesamtlernbereich, der nunmehr von einer politisch-didaktischen Vorentscheidung her strukturiert wird, bezeichnet das Kernproblem dieser Richtlinien: die Frage, ob rationale, am Wissenschaftsstand kontrollierbare Lerninhalte und -methoden politische Vorentscheidungen differenzierter reflektierbar machen können oder nicht.

Der Ansatz ist eindeutig geprägt vom Primat einer politischen Zielvorstellung; Didaktik ist die Fortsetzung der Poli- [/S. 36:] tik mit pädagogischen Mitteln. Nun ist gegen die Beziehung der "Gesellschaftslehre" auf die "Gesellschaft", der Erziehung auf die Verfassung grundsätzlich nichts einzuwenden: der Zusammenhang beider gehört seit Aristoteles zur immer wieder formulierten politischen Grunderkenntnis (5). Aber entscheidend ist die Art, in der dieser Zusammenhang hergestellt wird. Man erkennt das Problem deutlicher, wenn man es - das kann hier nur andeutend geschehen - in seinen historischen Zusammenhang rückt.

Das didaktische Modell der direkten politischen Funktion der Erziehung, wie es in der Bundesrepublik wieder vorzudringen scheint, wird am deutlichsten in den Jakobinischen Erziehungsplänen der französischen Revolution. Das "Demokratiegebot" der neu geschaffenen Verfassung soll aus den Gesetzen in die Gemüter getragen werden, und zwar unmittelbar. Ziel aller Erziehung soll sein das "richtige" politische Verhalten und Handeln. Wissen und Einsicht bleiben dem normativ vorgesetzten Handeln untergeordnet, d. h. sind nicht Voraussetzung oder Kritik politischer Entscheidungen sondern deren Legitimation. Die "eigentümliche Wissenschaftsfeindlichkeit" (6) dieses didaktischen Modells ist Konsequenz des Misstrauens in die Freiheit - nicht nur des Individuums, sondern auch der kommenden Entwicklung; die eigene Doktrin darf daher nicht der freien und unberechenbaren wissenschaftlichen Untersuchung ausgesetzt werden, die Heranwachsenden müssen zur Gewissheit und Sicherheit ihres Tuns, nicht zur kritischen und zweifelnden Prüfung erzogen werden. "Der Staat will nicht, dass die Geister und Gemüter irre gehen; darum führt und leitet er sie, indem er sie mit seinen Lehren panzert. Der Mensch bedarf einer Kräftigung des Zusammengehörigkeitsgedankens, er bedarf einer Theorie, die ihm Ursprung und Beschaffenheit der Wesen erklärt, ihm seinen Platz und seine Rolle in der Welt anweist" (7).

Unverkennbar, dass in diesem Modell das ältere, religiös fundierte, dogmatische Sozialisationsprinzip säkularisiert wieder aufgenommen wurde. Deshalb eignete es sich auch nicht nur für den demokratischen Zentralismus jakobinischer Prägung, sondern gleichermaßen für konträre Inhalte: [/S. 37:] der napoleonische Cäsarismus konnte es ebenso übernehmen wie die deutsche Pädagogik der Restauration oder des nationalen Staates mit imperialistischer Sendungsidee; dass es heute unter den verschiedensten Etiketten kräftig weiterlebt, braucht nicht erst gezeigt zu werden.

Diesem Typus stand aber ebenfalls schon in der Französischen Revolution ein anderer gegenüber. Es gehört zum europäischen Demokratiebegriff - und das ist sein Widerstandspotential gegen den despotischen Demokratismus - nicht nur das Postulat der Gleichheit, sondern als Basis dieses Postulats der Begriff der Autonomie, der Mündigkeit, der Selbstverantwortlichkeit des Menschen, und zwar jedes einzelnen. Selbstbestimmung aber ist nur denkbar als eigene Tätigkeit; eigene Tätigkeit kann nur Folge eigener Entscheidung und also eigener Denkfähigkeit sein. Von diesem Ansatz her versteht sich ein Erziehungsmodell, das auf Entwicklung der Urteilsfähigkeit abzielt. Entwicklung der Urteilsfähigkeit aber ist nicht anders mehr möglich als durch Rückgriff auf wissenschaftliche Methoden des Denkens. So durchbricht dieses Modell den Kurzschluss zwischen Theorie und Praxis und baut wissenschaftliche Bildung als den Weg zur Selbstbefreiung des Menschen an zentraler Stelle in den Unterricht ein. Condorcets Erziehungsplan ist dafür das deutlichste Beispiel (8). Kant und Humboldt versuchten - vergeblich - diese Erziehungsvorstellung zu realisieren. Sie unterlagen der direkten politisch-pädagogischen Aktion der Restauration, so wie Condorcet den Jakobinern und diese wiederum dem imperialen Cäsarismus.

Dieses zweite Modell ist nun keineswegs unpolitisch. Aber es ist nur möglich in einer freien Demokratie - d. h. bei einer Gesellschaftsverfassung, die sich nicht auf ein geschlossenes System einer politischen Theorie stützen muss, sondern die es vermag, unterschiedlichen Positionen Spielraum zu geben - nicht notgedrungen, sondern als Quintessenz der Auffassung, dass nur Vielfalt und Selbsttätigkeit den Prozess der Humanisierung vorwärtstreiben können; eine Gesellschaftsverfassung, die sich selbst in Frage zu stellen bereit ist und gerade zu diesem Zweck der freien Wissenschaft bedarf; die es zulässt, geradezu verlangt, dass der zur [/S. 38:] Selbstbestimmung gebildete Mensch die Verfassung an sich prüft (9); eine Verfassung, die nur an einer Grenze politischer "Veränderung" Halt gebieten muss: dort, wo dieser Grundsatz der Selbstverantwortlichkeit, der Selbstbestimmung, der Freiheit der Prüfung und Kritik selbst zugunsten einer normativen politischen Dogmatik aufgehoben werden soll.

Diese hier extrem vereinfachten Positionen zeigen den Antagonismus aller Konzeptionen der öffentlichen Erziehung seit dem späten 18. Jahrhundert. Auf der breiten Skala der Zwischen- und Mischformen ordnet sich bewusst oder unbewusst jeder didaktische Ansatz ein.

Wo stehen die hessischen Richtlinien?

Grob gesagt: sie reflektieren diesen Antagonismus nicht und schwanken zwischen beiden Positionen im einzelnen hin und her, haben im ganzen aber eine deutliche Schlagseite zur "Überzeugungsdidaktik", der Verpflichtung aller auf ein vorinterpretiertes Gesellschaftsbild. Das zeigt sich schon im Ansatz der Aufgliederung: Von einer politischen Maxime, aus der das oberste Lernziel in seinen drei Dimensionen: Erkennen - Urteilen - Handeln (H. S. 9) mit ausgesprochener Priorität des Handelns gewonnen wird, gehen sie über zu einer Aufgliederung des Gesamtgebietes in "Lernfelder". Wenn man die etwas unklaren Ausführungen richtig versteht, strukturieren diese "Lernfelder" den Unterricht, indem sie als vorgebliche Sektoren der Gesellschaftserfahrung den Rahmen für die Einordnung von Lernsituationen geben. Denn die Wissenschaftssystematik ist als didaktisch ungeeignete Struktur deklariert. So hatte schon Eduard Spranger im Leiden an der modernen, wissenschaftsorientierten Welt seine "Heimatkunde" (10) gegen die Wissenschaftssystematik konzipiert als das "einheitliche, ungeteilte Ganze" (NW. S. IV). Aber das ist nur die eine Seite. Im politischen Ansatz der Rückbeziehung auf das Grundgesetz steckt ja notwendig das Prinzip der Selbstbestimmung, und man sieht es immer wieder an verschiedenen Stellen durchbrechen, aber rudimentär und nicht klar ausgewiesen (H. S. 7). Die Wissenschaftsfeindlichkeit des Ansatzes wird durchkreuzt von einer nicht näher reflektierten, selektiven Aus- [/S. 39:] geliefertheit an Wissenschaft. Die Lernfelder sind ja keineswegs Erfahrungszentren; sie sind im Grunde selbst Wissenschaftsdisziplinen, die das komplexe Erfahrungsfeld bereits abstrahieren: Sozialisationsforschung - Wirtschaftswissenschaften - und zwei Disziplinen der Politikwissenschaft: Innere Politik und Internationale Beziehungen. So stellt sich heraus, dass im Grunde unter dem Anspruch des Primats politischer Didaktik der Begründung entzogene und willkürlich aus dem Bewusstseinsstand der Verfasser zitierte Wissenschaftssegmente soziologischer und teilweise wirtschaftswissenschaftlicher und politikwissenschaftlicher Provenienz sich hervordrängen. Steckt hinter dem Zurückdrängen der "Fächer" und der ihnen zugeordneten Wissenschaften also nichts als ein neuer "Streit der Fakultäten"?

Die Verfasser meinen es wohl nicht so. Sie unterwerfen die wirkliche oder die verlangte Erfahrung einer Vierteilung, die als Erkenntniszusammenhang deklariert das neue Einheitsfach strukturiert. Erst innerhalb dieser Vierteilung werden dann jeweils die Wissenschaften - Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaft, Geographie - nach ihrem möglichen didaktischen Wert befragt, sie werden zu "Arbeitsbereichen" oder zu "Aspekten". Ob sie selbst lernzielbestimmend sein dürfen, wird im Hessenplan nicht ganz deutlich (H. S. 13); in NW wird es strikt abgelehnt, ganz im Sinne der unten zu zeigenden Tendenzverschiebung (NW. S. 11).

So anspruchsvoll also diese Richtlinien mit einem scheinbar ganz neuen Ansatz daherkommen - so hilflos verwirrt ist die Grundkonzeption.

Wie nimmt sich nun in diesem Rahmen der "didaktischen" Vorentscheidungen der "Arbeitsschwerpunkt Geschichte" aus?

 

2. Der "Arbeitsschwerpunkt Geschichte"

Die Lektüre der Ausführungen zum Arbeitsschwerpunkt Geschichte hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Der Sprachgestus reklamiert einen erheblichen Anspruch der Selbstgewissheit über das, was Geschichtsunterricht und [/S. 40:] Geschichtswissenschaft sein müssen und nicht sein dürfen; diesem Anspruch kontrastiert merkwürdig die verworrene Gedankenführung und die strukturelle Unklarheit der Aussagen sowie die offensichtlich weithin fehlende Sachkompetenz der Verfasser hinsichtlich des wissenschaftlichen und theoretischen Hintergrunds ihrer Behauptungen. Es muss wohl in der Tat eine rein "politische" Entscheidung des Kultusministeriums gewesen sein, Fachwissenschaftler und Fachdidaktiker von der Erarbeitung auszuschließen (s. u. Anm. 20). Politisch deuten könnte man auch die Ambivalenz der Formulierungen, die sich genauer Festlegung durch einen assoziativ reihenden Stil entzieht ("nicht allein", "darüber hinaus", "auch"). Die Wichtigkeit eines solchen Papiers verlangt eigentlich eine Satz für Satz fortschreitende genaue Analyse von Inhalt und Sprache: das aber wäre ein Kommentar, der den Umfang der Richtlinien übertreffen würde. Hier können nur einige Bemerkungen zu wesentlichen Punkten gemacht werden.

a. Die "zentrale Aufgabe" und deren Begründung

Volle Zustimmung kann die Formulierung der "zentralen Aufgabe" finden, "ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein aufzubauen" (H. S. 21); nur ist diese Formulierung für sich eine Leerformel und besagt nicht viel anderes als etwa die ältere Zielforderung des "historischen Verständnisses". Es kommt also alles darauf an, wie diese begründet und wie sie nach diesem Ansatz angegriffen werden soll.

Wie sieht ein solches Geschichtsbewusstsein aus? Wie kommt es zustande? Da sind zunächst die Abgrenzungen: der Angriff gegen eine antiquarische Geschichtsauffassung, die meint, "objektiv gesicherte Daten und Tatsachen, die unabhängig von unserem Bewusstsein, von unserer jeweiligen gesellschaftlichen Interessenlage existieren", als abgeschlossene Vergangenheit repräsentieren zu können (H. S. 19). Das hier angesprochene, sehr komplizierte erkenntnistheoretische Problem, das seit dem Nominalismus-Realis- [/S. 41:] mus-Streit des Mittelalters geführt wird, ist für die Verfasser gelöst. "Die in letzter Zeit intensiv geführte erkenntnistheoretische Diskussion" habe eine solche Vorstellung als "objektivistischen Irrtum" erwiesen. Diese Bemerkung ist angesichts der differenzierten und keineswegs abgeschlossenen Auseinandersetzung mindestens spaßig (11). Offenbar kennen die Vf. das Problem nicht, sonst könnten sie nicht Banalitäten als Erkenntnisstand ausgeben. Da waren alte Didaktiker kenntnis- und gedankenreicher. Sie unterschieden sehr wohl zwischen der Geschichte selbst, die ohne unser Zutun existiert und von der wir nicht nur in bestimmter Absicht geschriebene, ideologieverdächtige Quellen ("Tradition"), sondern auch "Überreste" haben - und unserem Wissen von Geschichte, das in einem schwer zu analysierenden Oszillationsprozess zwischen der Überlieferung und ihrer Deutung entsteht (12). Auf einen salto mortale vom "objektivistischen Irrtum" in eine präsentistische Instrumentalisierung von Geschichtsbewusstsein lässt sich die anspruchsvolle zentrale Aufgabe nicht begründen. Das Muster der Ideologiekritik schlägt hier überall durch, und zwar in seiner vulgären Form, die sich der Untersuchungen der Wissenssoziologie oder der Arbeiten über das Problem der "Ideologie" nicht mehr versichert. So ist Geschichte als Bewusstsein stets nur Geschichte für uns, klassen- oder schichtenspezifisch, interessegebunden verstanden, im Dienste irgendeiner Absicht, Legitimierungsmaterial (H. S. 27).

Nun bleibt nicht aus, dass die Verfasser bei dieser Sicht auf das alte Problem des Relativismus stoßen. Gibt es denn überhaupt keine mindestens relativ gültigen Aussagen über die Vergangenheit? Bezeichnend ist nun, dass nicht dieses Problem an sich ernst genommen wird, sondern nur die Tatsache oder die Vermutung zählt, dass die Schüler bei einer solchen Geschichtssicht jedes Interesse an der Geschichte verlören. Da das aber nun nicht sein darf, weil ja Aussagen über Geschichte politische Kampfmittel sind, muss also ein Ausweg gefunden werden. Und nun bietet sich die Geschichtswissenschaft an: mit Hilfe ihrer wissenschaftlichen Methoden ist eine Überwindung der Beliebigkeit möglich; Aussagen müssen der wissenschaftlichen Quellenkritik standhalten (H. S. 20). [/S. 42:] Zwar bleibt unerfindlich, wieso die wissenschaftliche Quellenkritik unter den sonst hier gemachten Voraussetzungen in der Lage sein soll, die allgemeine Ideologiegebundenheit zu durchbrechen. Hier springt man aus dem einen theoretischen Zusammenhang in den anderen. Nachdem man zunächst einen halb rezipierten Habermas vorstellte und die generelle Interessegebundenheit der Erkenntnis nachdrücklich vor Augen rückte, greift man nun zurück auf das Prinzip der Wertfreiheit der Wissenschaft und bietet ein Stückchen Max Weberschen Gedankengutes: Geschichtliche Reflexion kann keineswegs Entscheidungen vorwegnehmen, aus ihr sind nicht Handlungsanweisungen abzuleiten; sie kann aber, indem sie die Bedingungen gegenwärtiger Verhältnisse erhellt, zur Rationalität der Entscheidungen beitragen (H. S. 20).

Der Leser, der auch dieser Meinung ist, fragt sich verwundert, was denn nun gilt und wie eins zusammen mit dem anderen gelten soll. Einerseits wird die Wissenschaft dem Interesse nachgeordnet, andererseits als Kritikinstanz davon getrennt. Ist es einfach eine unklare Position, die nicht konsequent auf das Denkmuster setzt, dass jede Wissenschaft letztlich nichts anderes sei als Politik? Von dieser Denkform her ließe sich ja das "Jakobinische" Didaktikmodell "rechtfertigen". Oder ist es so, dass lediglich die für sich und in ihrer Begrenzung richtige Erkenntnis der Standortgebundenheit und Instrumentalisierbarkeit historischer Aussagen hier als didaktisches Prinzip verabsolutiert wird?

Man wird das letztere annehmen dürfen. Aber es hat fatale Konsequenzen. Denn nach der Feststellung, dass die Geschichtswissenschaft die Verfahren liefere, die interessengebundene Beliebigkeit von Aussagen auf ihre Berechtigung zurückzuführen, müsste konsequenterweise nun entwickelt werden, wie es möglich ist, Schüler die Grundelemente dieses kritischen Verfahrens handhaben zu lehren, damit sie instrumentalisierten Geschichtsaussagen gegenüber nicht hilflos bleiben. Denn was sonst wäre Befähigung zu "reflektiertem Geschichtsbewusstsein", als die Mittel der Reflexion anwenden zu lehren? Genau das geschieht aber nicht. Die Aussage über die Geschichtswissenschaft als kritisches Verfahren [/S. 43:] bleibt folgenlos. Der Gedankengang pendelt um diese Konsequenz herum und gerät wieder in das Gleis der unausweichlichen Ideologiegebundenheit aller Erkenntnis. So kann man auch nirgends sehen, wie nach diesem Konzept ein didaktischer Weg zu finden sein soll, der zur "zentralen Aufgabe" hinführt. Statt dessen werden dann fragwürdige Vermutungen über Erwartungshaltungen der Schüler geboten, die als didaktische Ausgangspunkte dienen sollen: nun gut, aber wozu Ausgangspunkte, wenn kein Weg zum Ziel führt?

Ganz deutlich muss eingewandt werden: ein didaktischer Ansatz, der versäumt, Fähigkeiten zu entwickeln, die es erlauben, historische Verhältnisse überhaupt erst einmal soweit wie möglich objektiv - d. h. quellen- und standortkritisch - für sich zu untersuchen und aufzunehmen, kann nicht zur Rationalisierung politischer Entscheidungen beitragen. Die zusammenfassend formulierten Aufgaben am Schluss hängen in der Luft (H. S. 30).

Man geht wohl nicht fehl, wenn man das Entfremdungsverhältnis, in dem die Verfasser zur Wissenschaft stehen, für diese eigentümlich unklaren Verwirrungen des didaktischen Ansatzes verantwortlich macht - warum sonst scheuen sie im Arbeitsbereich Geschichte vor den Folgerungen zurück, die sich aus der eigenen Behauptung ergeben, die im Arbeitsbereich Sozialwissenschaften wenigstens annähernd anerkannt sind: nämlich die Wissenschaft zu befragen, was sie "zur Vermittlung von erschließenden Kategorien und grundlegenden Erkenntnissen beizutragen" habe- wenngleich auch hier diese Kategorien "einer didaktischen Überprüfung" unterzogen werden sollen. Ein seltsamer Gedanke: Didaktik als Metawissenschaft, die wissenschaftliche Kategorien an "Erfahrungen der Schüler" prüfen will (H. S. 13)!

b. "Veränderung" und "Kontinuität"

Es ist eine wichtige und im Lernprozess zu thematisierende Einsicht, dass die Gegenwart und ihre Verhältnisse nichts unabänderlich Gegebenes sind, sondern im historischen [/S. 44:] Prozess von Menschen herbeigeführt und also nur ein Moment dieses Prozesses sind. Zu Recht wird dem Arbeitsbereich Geschichte zugewiesen, "Veränderung erfahrbar zu machen" (H. S. 23). Wenn in den gesamten Richtlinien nun immer wieder das Prinzip Veränderung sehr stark betont wird, man also annehmen darf, dass unter dem Primat des politischen Ansatzes ein Verhalten bewirkt werden soll, das die Gegenwart überwindet, so wäre nun dringend erforderlich - unter dem Lernziel der Rationalisierung von Entscheidungen durch geschichtliche Reflexion -, dass dieser zentrale Begriff nicht einfach immer wieder formal wiederholt würde. Veränderungen in der Geschichte können vielfältiger Art sein. Nicht immer ist von vornherein zu sagen, inwieweit sie Progression (unter dem Postulat des Demokratie- und Selbstbestimmungsgebots), inwieweit sie Regression sind. Veränderung an sich kann fragwürdig sein. Diese Ambivalenz von Veränderung, von der die Geschichte so ausdrücklich zu sagen weiß, kommt nirgends in den Blick. Zwar heißt es richtig, man dürfe keine "isolierte Erfahrung von Veränderung" vermitteln - aber was heißt das genau? Man kann vermuten, dass die an anderer Stelle ausdrücklich erwähnte historische Komplexität, "die Vielschichtigkeit der Bedingungen", Veränderungen als Gesamtphänomene verständlich machen soll (H. S. 24), dass die Vielschichtigkeit es verbietet, durch Vereinfachungen eine "unwandelbare Gesetzmäßigkeit" vorzutäuschen, die von der "vielschichtigen historischen Analyse" befreie (H. S. 24). Wenn das ernst gemeint ist, müssten wiederum die Instrumente solcher Analyse didaktisch thematisiert werden. Aber die folgenden Fragestellungen gehen über die Grundanalyse hinweg und bezeichnen wieder genau die Interessegebundenheit von Veränderungen allein: ihre Bedingungen, Möglichkeiten, Richtungen - der Bestand gesellschaftlicher Wirklichkeit, in den sie eingreifen - werden an sich nicht ernst genommen. Man hat den Verdacht, dass der Begriff "Veränderung" von vornherein positiv im Sinne "gesellschaftlicher Weiterentwicklung" interpretiert wird.

Er verstärkt sich durch die Art, wie der Begriff Kontinuität verwendet ist. Er sei mitgesetzt mit dem Begriff Verän- [/S. 45:] derung - aber wie? "Im Unterricht" stelle sich Kontinuität her, "indem nach Bedingungen für Veränderung gefragt wird" (H. S. 23). Das bleibt Behauptung. Der Lehrer möge sie verstehen und auf seine Weise lehren, wie solche Bedingungen fassbar sind. Dass auch der Begriff Kontinuität ambivalent ist, dass Kontinuität ebenso sehr Antrieb wie Hemmnis von Veränderung sein kann - das ist gar nicht im Blick. Wie soll aber bei so unklaren Schlüsselbegriffen die hohe Forderung an Lehrer und Schüler eingelöst werden, die Kriterien der Stoffauswahl selbst zu "thematisieren" - ein richtiger Anspruch; nur, wenn er mit unzulänglichen Mitteln erfüllt werden soll, wird er schlimmere Wirkungen zeigen als das als "ahistorisch" beschriebene Kontinuitätsbewusstsein, das aus einem chronologischen Durchgang erwachsen soll (H. S. 23).

c. Die Kritik an anderen Ansätzen

Die Ablehnung des "chronologischen Durchgangs" ist inzwischen eine allgemein verbreitete Forderung; man kann sie unterstützen; nur muss man wissen, dass damit ein dem Prinzip der Veränderung querlaufender Ansatz gewählt wird. Und so geht es auch gar nicht um Ablehnung der Chronologie schlechthin: Alle Unterrichtsthemen dieses Plans folgen dem Prinzip der "relativen Chronologie", was wohl heißen soll, dass der Unterricht Schwerpunkte setzt und Zwischenräume auslässt. Nur, das tat der Geschichtsunterricht schon immer. Und dass chronologisches Vorgehen Gegenwartsbezug nicht ausschließt, dass Gegenwartsbezug eine Sache der Fragestellung ist, wissen die Verfasser an anderer Stelle selbst. Verwechselten sie vielleicht den Aufbau mancher Schulbücher mit dem Unterricht?

Der Angriff gegen den personalisierenden Geschichtsunterricht ist ein Scheibenschießen auf Pappkameraden. Wenn ein Lehrer heute noch so verfährt, helfen auch keine neuen Richtlinien. Aber die Begründung für diese Ablehnung ist nun wieder bezeichnend für den gesamten Ansatz: Nicht weil ein solcher Unterricht den geschichtlichen Sach- [/S. 46:] verhalten nicht gerecht wird, also objektiv falsch ist - oder besser: insofern er für bestimmte Zeiten in unterschiedlichem Grade objektiv falsch ist -, ist er abzulehnen; abzulehnen ist er, weil er dem politischen Erziehungsziel widerspricht, weil er "das Gefühl individueller Ohnmacht verstärkt" (H. S. 25). (Tut er das wirklich, gibt er nicht vielmehr eine falsche Vorstellung von individueller Macht?) Nicht das wissenschaftlich zu prüfende Wahrheitskriterium zählt, sondern die "Auswirkung" (H. S. 25). Heißt das auch, dass ein Geschichtsunterricht, der erwünschte politisch-didaktische Wirkungen hat, eben deshalb schon gerechtfertigt ist? Das passte vortrefflich zum instrumentalisierten Begriff des Geschichtsbewusstseins: es dient dazu, "Urteile und daraus folgende Entscheidungen abzusichern" (H. S. 27).

Die Ablehnung des "thematischen Längsschnittes" wird mit guten Gründen gerechtfertigt. Solche Längsschnitte isolieren in der Tat Einzelphänomene, die nur im "gesellschaftlichen Kontext" gesehen werden sollten. Wissen die Verfasser, wie schwer diese Forderung, wird sie ernst genommen, einzulösen ist? Sie müssten es spätestens bei der Konstruktion der eigenen Unterrichtseinheiten gemerkt haben. Was sie dort tun, ist das Musterbeispiel thematischer Längsschnitte unter den vier Lernfeldern; zwar wird im allgemeinen Teil das unbehagliche Gefühl, gegen eigene Prinzipien zu verstoßen, noch durch alibihafte Hinweise auf herzustellende Zusammenhänge verdrängt (H. S. 23, 28 f.). Dann schwindet es mehr und mehr. Man lese im 4. Lernfeld etwa die Hinweise zur Behandlung des Krieges oder der Stellung des Militärs (H. S. 295 f.). Und wie soll in der 5./6. und 7./8. Jahrgangsstufe zu den thematischen Längsschnitten zum Erziehungswesen der gesamte Kontext geliefert werden?

Richtlinien sind keine Theorie des Geschichtsunterrichts, keine Manifeste guter Meinung oder hübscher Vorstellungen. Sie haben die Pflicht des Realitätsbezuges. Sonst sind sie intellektuell unredlich, indem sie Wunschbilder gegen die Wirklichkeit ausspielen. Es muss die Frage nach der Stundenzahl erlaubt sein, die in diesem Fächerverbund für den historischen Arbeitsbereich zur Verfügung stehen soll. [/S. 47:] Solange, wie in NW, im Höchstfall insgesamt vier Wochenstunden in den Gesamtschulen, in Realschulen und Gymnasien eher weniger Stunden für das gesamte integrierte Fach Gesellschaftslehre angesetzt sind, wird allein aus pragmatischen Gründen über den didaktischen Ansatz und seine Ausführungen in Teil B nicht mehr zu reden sein - es sei denn, man habe gar nicht verstanden, was zur Erarbeitung der genannten Einsichten gehört. Die Materialhinweise in Teil B und die Ankündigung in der Vorbemerkung S. 5 lassen allerdings Schlimmes befürchten.

d. Der "Gegenwartsbezug"

Hier herrscht zunächst eine fröhliche Selbstgewissheit: Beschäftigung mit Geschichte kann sich nur legitimieren (vor wem? dem gesunden Gesellschaftsverstand?) "durch einen Nachweis [!] ihrer Beziehung zu den jeweils relevanten politisch-gesellschaftlichen Problemen" (H. S. 19). Wer aber entscheidet darüber, was relevant ist? Die Schülererwartung? Die wirkliche oder die, die er haben sollte? Wo ist hier der Bezug auf eine eindeutige Gesellschaftsanalyse, die es erlauben würde, auf diese Weise gesichert in die Geschichte zurückzufragen? Angesichts der wissenschaftstheoretischen Diskussion über "Relevanz" kann man hier von bloßem Gerede sprechen, ohne unhöflich zu werden (13). Es herrscht hier ein krasser und unreflektierter Neopositivismus. So geht's, wenn man die Tradition der Wissenschaft für sich nicht ernst nimmt und nur noch als Maßnahmen zur Interessensicherung begreifen kann - weder die sog. "bürgerliche" noch die "marxistische" mit ihren Spielarten, die weiß, dass gegenwärtige Veränderung nur zu erkennen und zu beurteilen ist durch eine Positionsbestimmung der Gegenwart im Gesamtfeld der Geschichte. So kann nicht überzeugen, wenn von "wechselseitiger Verschränkung von Gegenwart und Geschichte" gesprochen wird (H. S. 21): ist doch auch hier Geschichte nicht als Geschichte, sondern nur als Wirkung auf die Gegenwartsfragen gemeint.

Wäre man nun konsequent, müsste man einen präsentisti- [/S. 48:] schen Zugriff entwickeln. Aber sogleich schlägt der Gedankengang wieder Haken. Die Ausführungen S. 21 sind geeignet, den Leser vollends zu verwirren. Nachdem man liest, was der Gegenwartsbezug nicht heißen kann, nachdem eine unverständliche didaktische Aporie konstruiert, der chronologische Durchgang sowie der thematische Längsschnitt abgelehnt sind, kommt dann die Erklärung: "unmittelbar erfahrene Verhältnisse in ihren historischen Bedingungen" müssten "fassbar" werden (H. S. 23). Da sind denn nun wieder die Lernfelder als Gebiete gesellschaftlicher Erfahrung zur Hand und definieren den Gegenwartsbezug: Der Schüler "erfährt" Erziehung, Wirtschaft, öffentliche Aufgaben und zwischengesellschaftliche Beziehungen. In dieser Vierteilung ist die Geschichte zu befragen, das gibt Gegenwartsbezug (H. S. 28)!

Im Grunde ist hier nichts anderes gesagt, als dass der historische Ansatz struktur- und sozialgeschichtlich aufzufassen ist - nur, dass nun die Vierteilung in die Lernfelder die Zusammenhänge zerschneidet, die man doch herstellen möchte. Eine sektorielle Typologie von Gesellschaften ist eigentlich gemeint - und die Ausführungen in Teil B bestätigen das.

Dieser Art von "Gegenwartsbezug" liegt ein soziologisch-systematischer Zugriff auf die Geschichte zugrunde: eine Erscheinung, die durchaus ihre partielle Berechtigung auch in der Wissenschaftsentwicklung hat. Nur kommt in der konkreten Ausfüllung dieses Ansatzes gerade das Prozesshafte der geschichtlichen Welt zu kurz. Nirgends sind die bedeutenden Wandlungen von Gesellschaft ausdrücklich thematisiert und in ihrer Vielschichtigkeit zum Unterrichtsgegenstand geworden; vielmehr reiht sich statisch Bild an Bild - zwar Andersartigkeit, aber nicht eigentlich Veränderung zeigend. Es ist eigenartig, dass die bedeutenden Revolutionen nirgendwo in ihrem ganzen Umfang zum Thema werden - mit einer Ausnahme: der industriellen Revolution in England, die aber auch nur sektoriell behandelt werden soll.

Damit bleibt ein Zentralbegriff der Richtlinien dort unabgedeckt, wo er allein auszufüllen wäre, im historischen [/S. 49:] Bereich. Die Lernfelder erweisen sich als ungeeignet, geradezu als hemmende Begrenzungen für die Aufarbeitung historischer Erfahrung von Veränderung ebenso wie für die historische Erkenntnis von Strukturen. Akzeptabel als vorläufige heuristische Aspekte bei der Erschließung von gesellschaftlichen Zusammenhängen, werden sie als unterrichtsorganisierende Grenzen zum Hindernis von Erkenntnis.

Diese Hinweise mögen genügen, um die Unklarheiten und Widersprüchlichkeiten des grundsätzlichen Ansatzes der Richtlinien zu zeigen. Man muss fragen, in welche der sich kreuzenden Richtungen sich die Praxis bewegen wird, welche Dynamik in diesem Knäuel von Setzungen liegt. Der Blick auf die Rahmenlehrpläne für die Gesamtschulen in NW, die diese Richtlinien ab- und fortschreiben, zeigt eine bereits realisierte negative Möglichkeit der Veränderung und Interpretation dieses Ansatzes.

 

III. Die Rahmenlehrpläne für die Gesamtschulen in NW ? "Historischer Aspekt"

 

1. Das Phänomen der Erosion

Das anfangs bereits konstatierte Gefälle von den Rahmenrichtlinien Hessens zu den das hessische Vorbild kopierenden Rahmenlehrplänen NW's hat, wie sich beim Detail-Vergleich zeigt, zu einer Erosion der differenzierten und auf die fachwissenschaftliche Diskussion wenigstens noch hinweisenden Aussagen des Hessen-Plans geführt. In diesem Erosionsprozess sind dabei mehr als nur Facetten abgeschliffen, Nuancen eingeebnet worden; an entscheidend wichtigen Stellen sind nicht nur Vergröberungen und Simplifikationen, sondern auch substantielle Veränderungen festzustellen. Freilich hat nicht allein die Widersprüchlichkeit der Hessen-Richtlinien sich einem radikalen Zugriff nur zu leicht dargeboten; es liegen außerdem Tendenzen in ihnen selbst, die im Maximalsinn auszuziehen geradezu provozieren mussten.

Wenn schon der "Differenzierung der allgemeinen Lern- [/S. 50:] ziele unter fachspezifischen Aspekten" im Hessen-Plan in der Hauptsache nur eine negative Funktion zugewiesen wird, nämlich dies, zu verhindern, "dass bei Unterricht in Einzelfächern die angestrebten Erkenntniszusammenhänge getrennt werden... .", dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn die gröberen Planer in NW die fachspezifischen "Arbeitsschwerpunkte" Hessens überhaupt aufgeben und stattdessen nur noch "fachspezifische Aspekte" auf die soziologische Leitschiene projizieren. Die hessischen Aussagen zur Differenzierung verschärfend fügen sie hinzu: "die in den einzelnen fachspezifischen Aspekten formulierten, an der obersten Zielsetzung orientierten Ziele dürfen nicht als unterrichtsbezogene Lernziele missverstanden werden" (NW. S. 11). Was sind sie dann - versehentlich stehen gebliebene Reste eines Denkens, das sich erst auf dem Wege der Emanzipation von Wissenschaft befindet?

Die Minderung der spezifischen historischen Gewichte wird bereits an der im Vergleich mit dem hessischen Vorbild sofort ins Auge fallenden beträchtlichen Verkürzung der grundlegenden Ausführungen zum "Historischen Aspekt" erkennbar (NW S. 15-20, H., S. 18-30).

Dass die Geschichtswissenschaft im allgemeinen, ihr inzwischen fortgeschrittener wissenschaftstheoretischer Diskussionsstand im besonderen im Bewusstsein der NW-Planer keine Rolle spielen, wäre weniger auffallend, hätten sie sich bei der Beschreibung des "Historischen Aspekts" wenigstens in den Hauptzügen an das Hessische Modell gehalten. Die Defizienz eines eigenen reflektiert-geschichtlichen Bewusstseins hat sie bei ihrem Willen zur Verselbständigung, zur Originalität, zur "Verbesserung" der Vorlage dazu gebracht, die im hessischen Grundsatzteil wenigstens intentional proklamierte Grundfunktion geschichtlicher Unterweisung, den Aufbau eines reflektierten Geschichtsbewusstseins (14), gänzlich aus dem Auge zu verlieren.

Auf die im Hessenplan erst am Ende eines langen Gedankenganges deklarierte "Funktion" der Geschichte läuft man in NW gleich am Anfang schnurstracks zu. Das Omelett wird serviert, ohne dass man zuvor die Eier zerschlagen und umgerührt hätte: "Die in der obersten Zielsetzung erhobe- [/S. 51:] ne Forderung nach Verwirklichung von Selbst- und Mitbestimmung muss in Beziehung gesetzt werden zum Bewusstsein der Betroffenen, d. h. wie sie ihre Möglichkeiten, diese Forderung zu realisieren, einschätzen." "Zur angemessenen Einschätzung dieser Möglichkeiten muss ein G/P-Unterricht unter historischem Aspekt anstreben:

  1. das individuelle Geschichtsbewusstsein wesentlich als Ergebnis vor- und außerschulischer und schichtenspezifischer Einflüsse erkennbar zu machen,
  2. gegenwärtige wirtschaftliche, politische und kulturelle Verhältnisse in ihrer historischen Entstehung und Entwicklung und damit als veränderbar zu zeigen und
  3. Voraussetzungen und Folgen politischen Handelns zu klären" (NW. S. 15).

So einfach ist das: Es werde Licht, und es ward Licht. Entweder haben wir es hier mit dem Selbstbewusstsein von Demiurgen oder mit den Schöpfern von Plänen zu tun, die die Sache nicht ernst nehmen bzw. nicht ernst nehmen können, weil ihnen selbst ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein abgeht. Dass sie ohne Kontakt mit der modernen Geschichtswissenschaft, ohne eine Ahnung davon, dass sie es hier mit einer historisch-kritischen Sozialwissenschaft zu tun haben würden, nicht in der Lage waren, Kategorien zu entwickeln, zeigt sich in den folgenden Detailausführungen zum "Individuelle(n) Geschichtsbewusstsein" (NW. S.15-17), zur "Veränderbarkeit gesellschaftlicher Verhältnisse" (NW. S. 17-19) und zu den "Voraussetzungen politischen Handelns" (NW. S. 19-20) auf eine makabre Weise: Es finden sich keine argumentativen Bemühungen wie noch im Hessen-Plan, sondern nur noch Setzungen. Die Instrumentalisierung der Geschichte hat sich gegenüber den hessischen Richtlinien noch verschärft - hier im allgemeinen Teil im Dienste vage bezeichneter gesellschaftlicher Zwecke; im unterrichtspraktischen Teil, wie noch zu zeigen ist, im Dienste einer eindimensionalen, Alternativen ausblendenden Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Das politisch-pädagogische Überzeugungsmodell wird zur Katechismusdidaktik. [/S. 52:]

 

2. "Individuelle" Vorurteilsverfallenheit - "Objektive" historische Bedingungen - gesellschaftliche "Veränderbarkeit"

"Individuelles Geschichtsbewusstsein" erscheint nicht als vorwissenschaftliche Erfahrung, die im Geschichtsunterricht zu rationalisieren wäre, sondern allein als Ergebnis von "Vorurteilen, Normen und emotionalen Einstellungen", die nicht nach Wahrheit und Begründbarkeit befragt werden und also von vornherein als Negativ-Syndrom gelten. "Einstellungen" haben eine individuelle und soziale Absicherungs- und Rechtfertigungsfunktion, die "überprüft" (S. 17) - mit anderen Worten: entlarvt - werden muss. Der Unterricht G/P hat mit diesem sog. Historischen Aspekt permanent falsches Weltbewusstsein zu destruieren. "Prüfungs"-Kriterium ist ein nebuloser Praxisbegriff.

Selbstverständlich sind Geschichtserfahrung, Geschichtswissenschaft und Geschichtsunterricht an "erkenntnisleitende Interessen" angekoppelt (Habermas). Aber die Rückkoppelung auf die Geschichte führt die "disziplinierte Wahrheitssuche" (Rothfels), woher sie auch immer ansetzen mag, in der Begegnung mit sperrigen, unbequemen Tatsachen zu Urteilskorrekturen, ggf. zur Transzendierung der aus der Gegenwart mitgebrachten Begrifflichkeit. So vermag auch der marxistische Historiker dem "bürgerlichen" die Erkenntnis von Teilwahrheiten durchaus zuzugestehen und vice versa dieser jenem. Auf den Unterschied zwischen Genese und Geltung wissenschaftlicher Aussagen hat unlängst Thomas Nipperdey eindrücklich verwiesen (15). Von der in dieser Hinsicht emanzipatorischen Funktion eines reflektierten Umgangs mit der Geschichte ist in den Ausführungen zum "Historischen Aspekt" nirgends die Rede.

Sollten die vom Diktat einer totalen Ideologieverfallenheit der Historie betroffenen Lehrer und Schüler bewegt worden sein, jegliches Zutrauen in eine wie auch immer relative Möglichkeit objektiver, wahrer, durch Geschichtswissenschaft vermittelter Einsichten aufzugeben, so werden sie einige Seiten später von den NW-Rahmenplänen (S. 20) ohne jede Begründung auf das Gegenteil verpflichtet: Im Kapitel [/S. 53:] "Voraussetzungen politischen Handelns" erscheinen plötzlich "objektive Entwicklungstendenzen", "objektive Bedingungen", die man kennen muss und auf die hin das "subjektive Handeln" auszurichten ist, weil "historische Veränderungen aus dem Einklang von subjektivem Handeln und objektiven Bedingungen bewirkt werden" (S. 20). Wie man zu dieser "Kenntnis" (so heißt es im Text statt: Erkenntnis) gelangen kann, dass es dafür fachspezifische Methoden gibt, welcher Art sie sind und wie sie in Lernzielbestimmungen umgesetzt werden können, davon ist im Rahmenlehrplan keine Rede. (In einen generellen Lernzielimperativ übertragen, würde der zweideutige Gedankengang des Rahmenplans sich so darstellen: Du sollst Dein Handeln an objektiven Bedingungen orientieren, die Du zwar nicht selbst erkennen kannst, die Dir aber zur Kenntnis gebracht werden!) Auch an dieser Stelle enthüllt sich also ein Dezisionismus, für den die Geschichte nichts weiter als ein abrufbares Sortiment von Stützmaterialien ist.

Mit der im zweiten Abschnitt der generellen Ausführungen im NW-Plan der historischen Analyse zugeschriebenen Leistung, ein "Bewusstsein der Veränderbarkeit aller gesellschaftlicher Verhältnisse" zu bewirken, ist ein richtiger Sachverhalt herausgestellt, der dann aber sofort wieder durch Verabsolutierung pervertiert wird. Die Veränderung wird zum Fetisch, die Frage nach ihrer Vernünftigkeit bzw. Unvernunft kommt nicht in den Blick. Geschichtliche Sensibilität, die in der Lage ist, die "neuen Schnittlinien progressiver und bewahrender Interessen zu erkennen", wie sie der geschichtsbewusste Bundeskanzler jüngst in seiner Regierungserklärung für die "neue Mitte" forderte, ist bei den Verfassern der Lehrpläne G/P nicht zu entdecken. Infolgedessen fehlen völlig Lernziele, die sich auf die Einsicht gründen, dass unsere Gesellschaft im Laufe langer Geschichte in Kämpfen und Leiden errungene Dinge - Freiheiten etwa - nicht wieder verlieren darf, also bewahren muss. Es fehlt eben das Bewusstsein der Dialektik von Tradition und Fortschritt, das dem modernen "bürgerlichen" Historiker ebenso selbstverständlich ist wie dem marxistischen.

Dem Defizit an wissenschaftlich begründeten Elementen, [/S. 54:] die den Aufbau eines reflektierten Geschichtsbewusstseins zum Zwecke einer rationalen Einschätzung gegenwärtiger gesellschaftlicher Verhältnisse konstituieren könnten, steht eine Summe von universalen didaktischen Postulaten gegenüber, die den intellektuell redlichen Lehrer, der sie im Unterricht realisieren soll, frustrieren oder empören werden. Dafür abschließend als Beispiel folgender Schlusssatz aus dem zweiten Kapitel des "Historischen Aspekts": "An der Analyse verschiedener Situationen soll der Schüler auch die Fähigkeit entwickeln können, jede Form von Abhängigkeit auf ihre Rechtfertigung zu befragen und die Abhängigkeit, die tatsächlich besteht, von derjenigen zu unterscheiden, die notwendig ist, um auf dem jeweils erreichten Stand aller wissenschaftlichen, technischen und ökonomischen Möglichkeiten Existenz und Entwicklung der Gesellschaft und ihrer Individuen zu sichern." In dem hier verkündeten Lernziel einer omnipotenten Kompetenz (für Schüler!) meldet sich ein Anspruch, der entweder hybrid oder läppisch zu nennen ist. Mit einer solchen Donquichotterie (16) politischer Bildung wird die notwendige Emanzipation schon im Ansatz verfehlt. Nach der Lektüre solcher Passagen ist man versucht, die Rahmenlehrpläne endgültig beiseite zu legen. Dennoch sei ihr Anspruch am unterrichtspraktischen Teil (S. 29-131) exemplarisch überprüft; vielleicht dass hier die stillschweigende Korrektur überhöhter didaktischer Programmatik erfolgt.

 

IV. Der unterrichtspraktische Teil. Schwerpunkt Geschichte

Im folgenden sollen zunächst einige Bemerkungen zu der Aufbereitung historischen Materials in den hessischen Richtlinien gemacht werden, die sich ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit auf die Lernfelder I, III und IV beziehen. Im Lernfeld II - Wirtschaft - liegt der stärkste historische Anspruch der Richtlinien. Deshalb wird an diesem Lernfeld in einem zweiten Abschnitt noch einmal ein Vergleich der hessischen Richtlinien mit den NW-Rahmenplänen skizziert. [/S. 55:]

 

1. Zu den Lernfeldern Sozialisation (I), Öffentliche Aufgaben (III) und Intergesellschaftliche Konflikte (IV) in den hessischen Rahmenrichtlinien

Es ist den Verfassern wohl bewusst, dass Erziehung und Schule nur aus dem Kontext der gesellschaftlichen Gesamtverhältnisse verstehbar sind. Wenn dennoch unter dem Lernziel der Einsicht in die Veränderbarkeit heutiger Sozialisationsformen die Erziehung für sich thematisiert wird - und zwar in kleinen Querschnitten von der griechischen Antike bis ins 19. Jahrhundert -, so geschieht das, was im grundsätzlichen Teil abgelehnt wird: eine Isolierung von nur noch als kurios erscheinenden vergangenen Erziehungsformen. Zwar soll - das wird sogar durch eine Graphik (H. S. 29) verdeutlicht - irgendwann in den beiden Schuljahren 5/6 durch Aufarbeitung der anderen Lernfelder doch ein Gesamtzusammenhang hergestellt werden: aber das Auseinanderreißen des Themas "antike Gesellschaftsformen" lässt genau das nicht zu, was die Verfasser als vielschichtige historische Analyse fordern (17). Es gilt für dieses Vorgehen das gleiche, was sie dem chronologischen Durchgang vorwerfen: der Stoff, den man später braucht, ist längst vergessen (H. S. 22).

Dieser Einwand gilt nun nicht etwa nur für dieses Beispiel; er trifft die Anlage des Unterrichts überhaupt. Sie verhindert eine Gesamtanalyse und erschwert gerade den wichtigsten Lerneffekt des Geschichtsunterrichts: die Erkenntnis der Interdependenz von politischen, sozialen, ökonomischen, kulturellen Faktoren. Die vorweg entschiedene Vierteilung der Aspekte lässt das eigentliche Lernpotential der Geschichte nicht oder nur sehr gebrochen zur Geltung kommen. Das im allgemeinen Teil proklamierte Strukturprinzip als Kern von Gegenwartsbezug wird damit wieder in Frage gestellt, um so mehr, als es ausdrücklich heißt, dass die Beispiele nicht in den Zusammenhang ihrer Zeit gerückt werden sollen (H. S. 61 f.). Damit wird Geschichte zum großen Raritätenkasten; weder Struktur noch Prozess werden erfahrbar. Das wird im vierten Lernfeld am krassesten deutlich: dort ist z. B. unter dem Aspekt "Krieg" nur noch abrufbares [/S. 56:] Beispielmaterial aufgeführt. Die großen Revolutionen sind nur noch "Beispiele", die sich "anbieten", die Rolle des Militärs zu erkennen (H. S. 297).

Dieser erste grundsätzliche Einwand wird noch verstärkt durch die Diktatur der Lernziele, die hier nicht in Wechselwirkung mit dem historischen Potential und seiner Aussagekraft einerseits, mit den Methoden rationaler Befragung des Materials andererseits entwickelt werden, sondern die vorweg verordnet sind. Auf diese Weise ist "lernzielorientierter Unterricht" denaturiert.

Es ist schlechterdings nicht einzusehen, warum die hier vorgelegten Konstruktionen einem Geschichtsunterricht vorzuziehen sein sollen, der in sozial- und strukturgeschichtlichem Zugriff z. B. "die Ablösung der ersten Demokratie in Deutschland durch den Faschismus" (H. S. 237) (18) als ein Thema aufgreift und es in seinen wichtigsten Aspekten zusammenhängend erarbeitet: Dann erst gewinnen z. B. besondere Erziehungsformen in Bünden und Schule, die wirtschaftlichen Verhältnisse, die politischen Institutionen und die politische Psychologie der verschiedenen Gruppen sowie die institutionellen Regelungen miteinander Aussagekraft für die Erkenntnis eines Prozesses regressiver Veränderung von Gesellschaft. Nur in diesem Kontext sind die Problematisierungen möglich, von denen man sich den Transfer historischer Einsichten in politische Reflexionsfähigkeit erhoffen kann.

Zerschlagung der bedeutenden historischen Themen und der sie konstituierenden Zusammenhänge in Manipelformation öffnet die Tür zur Manipulation. Man könnte einwenden, dass dies durchaus nicht der Fall sein müsste; dass eine Unterrichtsorganisation möglich sei, die doch durch Zusammenschiebung der historischen Themenstichworte zur Strukturanalyse vorstößt. Wenn das so ist, dann liegt es jedenfalls nicht im Ansatz der Richtlinien. Dass es nicht so sein soll, zeigt die sorgfältige Aufsplitterung von Aspekten; die gelegentlichen Hinweise auf Rückgriffe haben Alibifunktion. Dass es nicht so sein kann, zeigen nun die zitierten Materialien, die "als Grundlage für die Arbeit der Gruppen" gedacht sind (H. S. 5). [/S. 57:]

Damit ist ein Punkt berührt, der in doppelter Weise die Diskrepanz zwischen Grundsatzformulierungen und praktischer Ausführung betrifft. Richtlinien müssen ja nicht Literaturhinweise, Verweise auf Arbeitsmaterialien geben. Wenn sie es trotzdem tun, dann zeigen diese Hinweise besser als die Erörterungen über Grundlegung oder Ausführung des Unterrichts, welcher Bewusstseinsstand und welche Tendenz eigentlich hinter solchen Richtlinien stehen. Die Hinweise zu den einzelnen Themenstichworten sind ein Sammelsurium von Titeln, die, ungenau und unterschiedlich zitiert, Konzeptlosigkeit und mangelnden Informationsstand offenbaren; für wissenschaftlich ausgebildete Lehrer sind sie, an so anspruchsvoller Stelle veröffentlicht, ein Skandalon. Nicht nur fehlt die wichtigste wissenschaftliche Literatur zu den Abschnitten; es wird am keiner Stelle der Angaben zu geschichtlichen Themen die Literatur für die unterschiedlichen Zwecke (Lehrervorbereitung, Schülerreferate usw.) gewichtet. Wenn auf dieser Basis - die die Verfasser ausdrücklich als ihren Informationsstand bezeichnen (H. S. 5) - Unterricht gegeben wird, kann von "vielschichtiger historischer Analyse", wie sie gefordert wird, nicht die Rede sein. Wir ersparen uns, die Defizite anzuführen. Nur als Beispiel sei hingewiesen auf die Materialien zum Themenstichwort "Schule als Institution in historischer Sicht". Die Verfasser kommen zu der seltsamen Bemerkung, dass "konkrete Materialhinweise schwer zugänglich" seien. Nur Bungerts Buch, "Die Odyssee der Lehrerschaft" fällt ihnen neben Wilhelm Buschs "Lehrer Lämpel" ein (H. S. 67). Nun ist offenkundig, dass gerade zur Erziehungsgeschichte eine Vielzahl von leicht zugänglichen Quellensammlungen und neuerer Literatur vorliegt (19). Man darf gespannt sein, welches Material in "Auszügen" vorgelegt werden wird.

Dies ist ein weiteres Zeichen der Wissenschaftsfremdheit und der Unterordnung historischen Materials unter politisch fixierte Ziele. Mit gleichem Ergebnis kann man alle Hinweise zu Themen durchgehen - und es ist schon fast zu harmlos anzunehmen, dass sich in den Materialangaben wirklich der Informationsstand der Bearbeiter spiegelt (H. S. 5). Es ist nicht auszudenken, welche Manipulationsmöglichkei- [/S. 58:] ten über festgelegte Lernziele und selektierte Information, durch Lieferung von Unterrichtsmaterial und durch wissenschaftlich nicht mehr reflektierte, trotz verhüllender Sprache sehr massive "Parteilichkeit" in Richtlinienformulierungen sich anbieten, wenn das wissenschaftliche Studium der Lehrer allgemein auf sechs Semester beschränkt werden würde.

Die aufgeführten Materialien zeigen aber noch ein anderes Charakteristikum, das den Widerspruch zwischen allgemeinen Ausführungen und unterrichtspraktischem Teil deutlich macht. Als Materialien werden z. B. Lykurg für die Erziehung in Sparta, Parzival für ritterliche Erziehung angegeben und Heinrich Manns Roman "Der Untertan" (nach der Häufigkeit der Zitierung wohl die Standardlektüre der Verfasser über das 2. Kaiserreich) für bürgerliche Erziehung. Da man nun nicht annehmen kann, dass in den Klassen 5/6 Plutarchs Kunstform, seine "Interessen" und sein Aussagewille über eine Zeit, die für ihn mehr als ein halbes Jahrtausend zurücklag, erarbeitet werden kann und soll, bleibt der Schluss, dass die Verfasser dem "objektivistischen Irrtum" erliegen und die jeweiligen Bedingungen der Aussage, sobald sie nicht mehr allgemein reden können, vergessen. Es soll doch wohl die "Erziehung" Dietrich Heßlings, wie sie im Roman H. Manns "Der Untertan" beschrieben wird, als Material für die Wirklichkeit ausgegeben werden - sonst wäre ja der Hinweis auf das erste Kapitel unsinnig. Diese bewusst und mit bestimmter politischer Absicht kunstvoll stilisierte Biographie naiv als Quelle zu nehmen für die Erziehung am Ende der Bismarckzeit - das zeugt nicht von einem reflektierten Geschichtsverständnis. Nach dem eigenen Anspruch müssten die Schüler in der Jahrgangsstufe 5/6 diesen Roman in seiner politischen Tendenz im Jahre 1918 vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs des monarchischen Staates als eine politische Satire und Kampfschrift begreifen; selbst hochfliegender pädagogischer Optimismus wird ihnen das nicht zutrauen. Es ist nun zu ahnen, warum man auf die didaktische Aufbereitung fachwissenschaftlicher Methoden verzichtet: man kennt sie entweder nicht oder will sie nicht verbreiten, weil es dann nicht mehr möglich ist, Dichtung [/S. 59:] für Wahrheit auszugeben, anders ausgedrückt: vorgesetzte Lernziele zu erreichen. So fällt man hinter die vergangenen zweihundert Jahre der Wissenschaftsgeschichte zurück. Aber es war ja eine "politische" Entscheidung, Fachverbände und Hochschulen nicht zu beteiligen (20).

Wie eine solche Entscheidung sich in Unterrichtssteuerung umsetzen kann, die den Rückbezug auf die Fachwissenschaft durchkreuzt, soll durch einen letzten Hinweis noch einmal verdeutlicht werden. Die Materialhinweise zum Themenstichwort "Militär und Innenpolitik" wissen an Literatur außer der von Wehler herausgegebenen Aufsatzsammlung Kehrs nichts anzugeben, soweit es die innenpolitische Rolle des Militärs in Deutschland vor 1914 betrifft. Aber den bekannten Passus aus der Rede Oldenburg-Januschaus, den weiß man wohl und zitiert ihn wörtlich - das einzige Quellenzitat überhaupt -, bringt ihn als Unterrichtsmaterial handlich an den Lehrer heran: ohne Zitatnachweis (man könnte ja weiterlesen!), ohne Hinweis auf die kritische Reflexion dieser extremen Aussage im Verfassungskontext. Sie wird zum repräsentativen Zeugnis der inneren Struktur des zweiten Reiches verfälscht.

So sieht der Beitrag der Geschichte zum politischen Ziel dieses didaktischen Entwurfs aus, wenn man auf die praktischen Anweisungen sieht. Allerdings - das alles wird ja nur zur "Diskussion" gestellt (H. S. 298). Wie die Rahmenlehrpläne in NW ihr Muster in dieser Hinsicht noch übertreffen, soll am Lernfeld II gezeigt werden.

 

2. Das Lernfeld Wirtschaft (II) in den hessischen Rahmenrichtlinien und seine "Modifikation" im Arbeitsbereich Wirtschaft der NW-Rahmenlehrpläne

a. Die Funktion geschichtlicher Themen

Da die moderne Industriegesellschaft die geschichtlichste von allen Gesellschaften ist, kann sie nicht ohne geschichtliche Strukturvergleiche und ohne Hilfe langfristiger Konstellationsanalysen begriffen werden; in soziologischer Beschreibung allein ist sie keineswegs erfassbar. Daraus folgt, [/S. 60:] dass die Befähigung zur Beteiligung an der permanenten Aufgabe der Humanisierung dieser Industriegesellschaft ohne ein historisch fundiertes Problembewusstsein nicht möglich ist.

Beim Versuch der didaktischen Strukturierung des Arbeitsbereichs Wirtschaft haben denn auch die Rahmenrichtlinien (Hessen) und Rahmenlehrpläne (NW) geschichtliche Teilstücke eingebaut - so etwa: "Stände im Mittelalter" (H. S. 150, 5./6. Jahrgangsstufe), "Klassen und Schichten im 19. Jahrhundert" (H. S. 150, 5./6. JgSt.) "Grundherrschaft" (H. S. 157 f., 7./8. JgSt.), "Entwicklung des städtischen Gewerbes" (H. S. 159 f., 7./8. JgSt.), "Industrielle Revolution" (H. S. 162-165, 7./8. JgSt.), "Aufbauphase der Wirtschaft nach 1945" (H. S. 181 f., 9./10. JgSt.). Die NW-Rahmenlehrpläne enthalten in der Übersicht über die Jahrgänge 5-10 (S. 92-94) vergleichbare Themenstichworte; eine Ausfaltung in "Lernzielzusammenhänge" liegt vorerst nur für den 5./6. Jg. vor (NW-Plan, S. 95-103).

Bei näherem Zusehen zeigt sich freilich, dass die Lernziele im vorhinein geschichtsfern festgelegt wurden. Erst nachträglich wird dann das jeweils als passend erscheinende historische Material abgerufen, so daß es nur eine Demonstrations-, aber keine Korrektivfunktion mehr erfüllt. Im Grunde stehen also auch hier wieder alle Ergebnisse des Unterrichts bereits von vornherein fest, die Lernziele sind die Leitschienen eines "statischen" Lernablaufs. Um einen dynamischen Lernprozess in Gang zu bringen, bedürfte es einer historisch-politischen Didaktik, die sich in einer gemeinsamen Anstrengung von Lehrenden und Lernenden um die Aufhellung von Fragen bemüht, so dass Resultate nicht durch Lernzieldiktate, sondern durch Verschränkung soziologischer und historischer Arbeitsmethoden zustande kommen. "Aspekte", die nichts anderes sind als zu politisch-didaktischen Zwecken vorfabrizierte Sehschlitze, eröffnen keinen Blick auf den Horizont der Geschichte - sie bringen nur noch isolierte, unverbindliche und unverbindbare Stücke zu Gesicht. [/S. 61:]

b. Lernziele und "Lernziele"

Über diese allgemeinen Feststellungen hinaus ist nunmehr nach der Realisierung des obersten Lernziels im konkreten Lernfeld/Arbeitsbereich Wirtschaft zu fragen. Der hessische Plan bemüht sich auch in diesem Fall um eine differenziertere Bestandsaufnahme der komplexen Lernzielzusammenhänge. Mit Recht wird bei der Problemausfaltung die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik Deutschland ausführlich erörtert. Ihre kritische Betrachtung - hier "übrigens einmal in enger Verschränkung mit der historischen Genese" - schließt wesentliche Kategorien auf, Reformen und Alternativen werden anvisiert, ohne dass den Schülern etwa eine "Systemüberwindung" suggeriert würde - das Leitziel der Befähigung zur Selbst- und Mitbestimmung wird hier ernstgenommen.

Ganz anders verhält es sich bei der Planungsgruppe NW. Hier wird massiv indoktriniert. Ein milderes Urteil würde den Sachverhalt beschönigen. An dieser Stelle kann man auch nicht mehr von einem von Hessen nach NW laufenden Erosionsprozess sprechen, hier ist das hessische Modell schlechthin verfälscht worden. Die behauptete "Übereinstimmung mit den Grundzügen der Vorlage", die Behauptung einer lediglich "sektoriell bzw. punktuell modifizierte(n) Fassung" (NW, Vorbemerkungen, S. III) kann danach nicht mehr aufrechterhalten werden.

Während die hessischen Planer die Marktwirtschaft durchaus ernsthaft zur Debatte stellen, haben die Verfasser der NW-Pläne sie bereits - sozial hin, sozial her - in aller Stille hingerichtet und beerdigt. Nicht dass sie keine Freunde dieser Wirtschaftsverfassung sind, ist ihnen vorzuwerfen, sondern dass sie der Axiomatik des Lernbereichs G/P entgegen dem Gegner - um im Bilde zu bleiben - nicht öffentlich (d. h. im Unterricht) einen fairen Prozess machen, wozu außer Anklägern auch Verteidiger gehören. Mit der Verfahrensweise der NW-Rahmenpläne ist eine Grenze überschritten, jenseits derer eine wissenschaftliche Auseinandersetzung kaum noch möglich ist.

In den hessischen Rahmenrichtlinien wird im Lernfeld [/S. 62:] Wirtschaft bei der Beschreibung des "Lernzielzusammenhangs 1: Voraussetzungen und Bedingungen der Produktion" die Frage der Bedürfnisbefriedigung und im Zusammenhang damit die der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel erörtert und folgende Aufgabe gestellt: "Bezogen auf die Wirtschaftsverfassung der BRD müsste dabei auch geprüft werden, inwieweit die soziale Marktwirtschaft in Theorie und Praxis gewährleistet, dass die Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse (z. B. im Infrastrukturbereich; Schulbau, Krankenhäuser, Kindergärten; Arbeitszeitverkürzung) zum Maßstab von Produktions- und Investitionsentscheidungen wird" (H. S. 134).

Dieser Satz wurde in den Rahmenlehrplänen von NW wie folgt geändert: "Bezogen auf die Wirtschaftsverfassung der BRD müsste dabei auch geprüft werden, inwieweit das Prinzip der Gewinnoptimierung in einer erwerbswirtschaftlich bestimmten Wirtschaftsordnung erschwert bzw. verhindert, dass die Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse (z. B. Schulbau, Krankenhäuser, Kindergärten) zum [als?] Maßstab bei Produktions- und Investitionsentscheidungen im notwendigen Umfange berücksichtigt wird (LZ. 1-14)" (NW. S. 81).

Die hier vorgenommene Umpolung bedarf keines weiteren Kommentars. Ihr Sinn ist eindeutig. Folgerichtig ist dann auch die völlige Eliminierung des im Hessen-Plan ausführlich erörterten Spannungsfeldes "Soziale Marktwirtschaft". Denn auf die Konkretisierung der oben geforderten "Prüfung" käme es nun an - gemäß der Selbstbestimmungsnorm, gemäß dem Gebot der Wissenschaftlichkeit, gemäß der Fundamentalforderung jeder rationalen Didaktik. Anstelle der in den hessischen Richtlinien auf zwei Druckseiten skizzierten historischen und ökonomischen Probleme der Marktwirtschaft (S. 136 und 137) enthält der NW-Rahmenplan nur noch acht Zeilen darüber, in denen der konkrete Gegenstand in leeren Redensarten verflüchtigt ist. Warum diese merkwürdige Zurückhaltung? Es gibt nur zwei mögliche Antworten: entweder weil die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik nicht einmal mehr einer Debatte für wertgehalten wird oder aus Tarnungsgründen. [/S. 63:]

Die Prämissen und die Konsequenzen der Umpolung werden in Einschüben versteckt, die sich erst bei einem sorgfältigen Vergleich der Lehrpläne erkennen lassen. Dafür einige hervorstechende Beispiele:

Die hessischen Rahmenrichtlinien formulieren unter der Überschrift "Konflikte und Krisen" (Lernzielzusammenhang 3): "Die Beschreibung wirtschaftlicher Abläufe wird erst lernrelevant, wenn die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen miteinbezogen werden, durch welche die jetzige und spätere Stellung des Schülers im Wirtschaftsprozess bestimmt wird (Arbeit - Konsum - Freizeit). Da dieser Zusammenhang auf ein zentrales Moment gesellschaftlicher Interessenauseinandersetzung verweist, müssen Erklärungsmodelle für wirtschaftliche Vorgänge daraufhin untersucht werden, welche Vorstellungen sie über deren Voraussetzungen, Abläufe und Auswirkungen vermitteln" (H. S. 130).

Dieser Absatz ist in den NW-Plänen durch mehrere Einschübe (hier zwecks Kenntlichmachung kursiv gesetzt) in einen anderen Aggregatzustand gebracht worden. Der NW-Text lautet: "Die Beschreibung wirtschaftlicher Abläufe und ihrer widersprüchlichen Entwicklung wird erst lernrelevant, wenn... Da dieser Zusammenhang auf ein zentrales Moment gesellschaftlicher Interessenauseinandersetzung (Kapital - Arbeit) verweist, müssen die Erklärungsmodelle, die in diesem Bereich auftreten, auf ihren Rechtfertigungscharakter hin untersucht werden" (NW. S. 82).

Im Anschluss an den oben zitierten Hessen-Text werden dort Untersuchungsaufgaben formuliert, u. a. sollen untersucht werden: "monokausale Erklärungen sozioökonomischer Zusammenhänge (z. B. Schuld an inflationären Tendenzen ist allein die Währungspolitik der Regierung, Lohn-Preisspirale...)." Die NW-Planer formulieren die Untersuchungsaufgabe in folgender Weise um: "Erklärungsversuche; die sozioökonomische Zusammenhänge in voneinander isolierte Teilbereiche auflösen", um dann in einer in den hessischen Richtlinien nicht enthaltenen längeren Darstellung die Wettbewerbsthese ad absurdum zu führen und den Manipulationscharakter von Erklärungen aufzuweisen, durch [/S. 64:] welche "der Gegensatz zwischen Unternehmerinteressen und den Interessen der Arbeitnehmer ... verdeckt" wird (NW. S. 82 und S. 83).

Eingeschoben in die hessische Vorlage haben die NW-Planer weiterhin die folgenden Lernziele 5 und 6: "5. lernen, dass Geld und Sachvermögen nur durch Arbeit im Produktionsprozess entsteht und sich vermehrt; 6. lernen, dass ein untrennbarer Zusammenhang besteht zwischen den Formen der Produktion und der Verteilung bzw. Aneignung der wirtschaftlichen Güter."

Neben den Einschüben finden sich im NW-Plan charakteristische Auslassungen wie z. B. folgende: Das erste Lernziel in Hessen lautet: "erkennen, dass die Grundstrukturen gesellschaftlicher Wirklichkeit ökonomisch mitbedingt sind (auch unter Berücksichtigung der Mobilität sozialer Gruppen)" (H. S. 134). Im NW-Plan heißt es stattdessen: "erkennen, dass . . . ökonomisch bedingt sind" (NW. S. 85). Mit einem Federstrich ist die in Hessen vertretene Interdependenz der gesellschaftlichen Bereiche aus der Welt geschafft und an ihrer Stelle die Priorität der ökonomischen Faktoren gesetzt worden.

Die hessischen Richtlinien wollen im Lernzielzusammenhang 3 u. a. ausdrücklich untersucht wissen "die Behauptung, bei einer Sozialisierung der Verfügungsgewalt würde die Wirtschaft krisenfrei funktionieren" (H. S. 139). Diese Aufgabe fehlt im NW-Plan ebenso wie der im Lernfeld 3 des Hessen-Plans (Öffentliche Aufgaben) skizzierte kritische Ansatz, der nicht nur die gesellschaftlichen Binnenverhältnisse (BRD), sondern auch die gesellschaftlichen Gegenbilder unter die Lupe genommen haben und den Schülern bewusst machen will, was es bedeutet, "wenn in einer Gesellschaft die für die Schüler meist selbstverständlichen institutionellen und verfassungsrechtlichen Sicherungen zur Wahrnehmung unterschiedlicher Interessen fehlen (Pressefreiheit; Mehrparteiensystem; Gewerkschaften; unabhängige Rechtsprechung u. a.)" (H. S. 196).

Ausgelassen sind in den NW-Rahmenplänen. schließlich die hessischen Lernziele 17 und 18:

"17. lernen, die wirtschaftliche Entwicklung der BRD im [/S. 65:] Zusammenhang mit den binnen- und außenwirtschaftlichen Bedingungen nach 1945 zu sehen,

18. die besonderen Bedingungen der Aufbauphase unter Berücksichtigung der politischen Verhältnisse entwickeln zu können" (H. S. 138).

Die Aussparung dieser Lernziele in den NW-Plänen ist gemäß der unverkennbaren dogmatischen Intention logisch durchaus folgerichtig: wo das Urteil für Lehrer und Schüler von vornherein festzustehen hat, da bedarf es keiner differenzierten Erörterung des historischen Kontextes der sozialen Marktwirtschaft mehr; Geschichte als potentielle Ideologiekritik ist unerwünscht.

Die "Soziale Marktwirtschaft" ist sicherlich nicht sakrosankt, sie muss am Sozialstaatspostulat des Grundgesetzes gemessen werden. Man kann als Bürger dieses Staates Verfechter eines demokratischen Sozialismus sein und braucht als Lehrer keinen Hehl aus einer solchen Überzeugung zu machen. Unerträglich ist aber jede Art von Indoktrinierung, erst recht einer unterschwellig pädagogischen, wie sie der NW-Rahmenlehrplan Gesellschaft/Politik vornimmt.

Was wollen die NW-Planer an die Stelle der schlechten Wirklichkeit setzen? Wie sieht die bessere Gesellschaft, wie sieht der bessere Staat aus? Darüber ist nichts Genaues ausgesagt. Manche Indizien sprechen dafür, dass die NW-Lehrplaner eine klassen- und schichtenlose, konfliktfreie Gruppengesellschaft als Ziel im Auge haben, in der partikulare Interessenvertretungen nicht mehr möglich und notwendig sind. Mit dieser vagen Alternative stehen die NW-Rahmenpläne in der Linie einer traditionellen politischen Pädagogik in Deutschland, die in der Sehnsucht nach Harmonie der Idee der "gemeinschaftlichen Vergesellschaftung" verfallen bleibt (21) - mit einem spezifischen Qualitätsunterschied: sie ist anderswo bereits klarer und deutlicher vertreten worden. Wohin diese irrationale Doktrin der "Systemüberwindung" uns führen könnte, haben die Verfasser der Lehrpläne geradezu klassisch vorgeführt: zur Unterdrückung anderer Anschauungen, zur pädagogischen Annullierung des Rechts auf Autonomie. [/S. 66:]

 

V. Fazit

Es ist unbestritten, dass Geschichtswissenschaft und Geschichtsunterricht in der industriellen Gesellschaft mit neu zu organisierenden Ansätzen - in Lernzielen, Lernpotential, Lernverfahren - und in Kooperation mit anderen gesellschaftswissenschaftlichen Fächern eine bedeutsame Aufgabe zur Steigerung von Rationalität und Humanität als Voraussetzungen verantwortlicher Selbst- und Mitbestimmung zu leisten haben. Unbestritten ist auch, dass diese vorhandenen neuen Ansätze bislang noch nirgends in ein überzeugendes System gebracht sind. Noch fehlt eine Alternative zu den hier kritisierten Lehrplänen in gleich geschlossener Form.

Wenn diese Lehrpläne ein Verdienst haben, so dies, die Notwendigkeit der Alternative unübersehbar zu fordern. Denn sie machen das Potential, das in der Aufarbeitung der Geschichte zu dem oben genannten Ziel liegt, unwirksam.

Es ist ihnen zum Vorwurf zu machen die Eliminierung des kritischen Potentials wissenschaftlicher Reflexion zugunsten nichtdurchreflektierter Voreinstellungen und diffuser Ausgangs- und Zielpunkte hinsichtlich der Vorstellung von gegenwärtiger Gesellschaft und ihrer Veränderung. Sie lassen die Einsicht vermissen, dass es die Aufgabe der Schule in der demokratischen Gesellschaft ist, nicht die Heranwachsenden mit - wie immer begründeten - Meinungen und Sichtweisen zu umstellen und ihnen diese als die "wahre" Wirklichkeit auszugeben, sondern ihnen die Denkformen, Begriffe, Fragestellungen, Fertigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln, die nötig sind, um selbst zu verantwortende Entscheidungen treffen zu können. Unterricht ist nicht Propaganda oder Agitation. Wo das vergessen oder wegdiskutiert wird, entsteht ein Unterrichtsmodell, das missbrauchbar ist von autoritären und totalitären - undemokratischen - Erziehungs- und Verfassungssystemen, mag es selbst sich auch als "demokratisch" missverstehen, Solche "demokratische" Erziehung kann Demokratie nicht erhalten oder hervorbringen. Erziehung für die Demokratie ist heute, in einer wissenschaftsgeleiteten und wissenschaftsbedürftigen Welt, nicht [/S. 67:] mehr denkbar durch Zurückdrängung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Fragestellungen hinter scheinbar vorrangige didaktisch-politische Entscheidungen, durch die Priorität direkter Verhaltensschulung über die Befähigung zu selbständiger Urteilsbildung.

Es kommt vielmehr darauf an, den zweifellos schwieriger gewordenen Prozess der Gewinnung und Verarbeitung von Informationen, der Urteilsfindung und Verhaltensbegründung durch die didaktisch verantwortete und überprüfte weitere Hineinnahme des in der Wissenschaft aufgearbeiteten Erkenntnis- und Problemstandes zu ermöglichen. Diese Anstrengung durch den Rückzug auf eine politisch-didaktisch vorweggedeutete Welt zu umgehen und nur passende Teilerkenntnisse zuzulassen, führt in eine didaktische und politische Sackgasse, ist Rückschritt, Regression, mag sie auch im progressivsten Vokabular auftreten. Das irrationale Element, in den hessischen Richtlinien schon greifbar, in den nordrhein-westfälischen Rahmenlehrplänen dominierend, ist eben dieser Rückzug vor der komplizierter werdenden, wissenschaftlich verantwortbaren Deutung der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in die großen, "einfachen" Schneisen politischer Sehnsucht - Nostalgie auf didaktisch (22). Regressiv ist die Weigerung, sich und die Schüler den großen Kontroversen, auch den Aporien der Gegenwart auszusetzen; regressiv ist die Selbstgewissheit und die Ungebrochenheit des eigenen Anspruchs, ist das verhüllt, aber zugleich penetrant sich vordrängende Sendungsbewusstsein einer Gruppe von neuen Praeceptores Germaniae; Regression zeigt schließlich das mit einem solchen Anspruch kontrastierende Niveau der Ausführungen wie des wissenschaftlichen Informationsstandes.

Autoritär und gerade nicht im Sinne der selbst in Anspruch genommenen Ziele aber ist die Methode, sehr eng führende und den Unterricht weithin vorprogrammierende Richtlinien zu erlassen. Wer auch nur ein wenig aus der Geschichte der Versuche zu Schulreformen gelernt hat, müsste wissen, dass es nur einen Weg gibt, in einem Staate, der nicht ein Staat des Gesinnungszwanges sein will, Reformen in diesem verflochtenen Gebiet erfolgreich anzusetzen: den [/S. 68:] Weg der Überzeugung, der vollen Mitbeteiligung der am Erziehungsprozess Beteiligten (23), der Diskussion und des Geltenslassens von unterschiedlichen Positionen und des gewiss nicht einfachen, aber durchaus möglichen Findens eines Consensus. Aber dazu gehört neben Geduld auch die Einsicht, dass man möglicherweise mit seiner eigenen Konzeption nur eine Teilwahrheit gefasst hat, die zur Unwahrheit wird, wenn sie sich absolutsetzt.

In der didaktischen Literatur wie in der Praxis des Unterrichts und der Lehrerausbildung gibt es eine Vielzahl von Modellen, Versuchen und Anregungen, die die Schwächen des alten Geschichtsunterrichts überwunden und neue Konzeptionen entwickelt haben. Eine gut beratene Unterrichtspolitik würde nicht auserlesene, geschlossene Zirkel mit der Erarbeitung von Programmen beauftragen, die dann als Erlasse erscheinen; sie würde vielmehr die Möglichkeiten vermehren, dass die im Gang befindliche vielfältige Reform im Bereich der Fächer der Gesellschaftslehre sich selbst weiter ausbreiten und durchsetzen kann. Nicht Klausuren von genehmen brain-trusts, sondern offene Tagungen, Fortbildungs- und Versuchsmöglichkeiten für alle Lehrer und an allen Schulen müsste eine Kultusbehörde, in dem Wissen, dass sie in paedagogigicis kein Mandat, keine innere Legitimation für Programme, sondern nur die Pflicht hat, für die Möglichkeit der Entwicklung aller Potenzen zu sorgen, die - im Rahmen unserer Verfassung - an der Verbesserung des Unterrichts arbeiten. Das ist unbequemer als der Umgang mit selbstberufenen Kommissionen, aber das eben wäre - nach unserem Verständnis - demokratisch.

Sehr nachdrücklich muss man fordern, dass diesen Konzeptionen eine wissenschaftsbezogene Didaktik für eine moderne, demokratische Schule entgegengesetzt wird. Gerade wenn man der Ansicht ist - wie die Verfasser -, dass unserer Gesellschaft eine integrierte und zugleich differenzierte Gesamtschule Not tut, ist die Art, in der in einer solchen allgemeinen Schule unterrichtet wird, von höchster Bedeutung.

Diesen Richtlinien muss ein Konzept entgegengesetzt werden, das jene verstreuten und unklaren Ansätze, die in den hessischen Richtlinien immerhin zu finden sind, auf- [/S. 69:] nimmt und ausbaut, die zur Rationalität des Denkens, Urteilens und Verhaltens durch Reflexion auf Geschichte beitragen könnten; die Rahmenlehrpläne von NW führen genau in die entgegengesetzte Richtung. Eine "Vollintegration", wie sie dort propagiert wird, ist nichts anderes als die Liquidation der Möglichkeit, aus aufgearbeiteter Vergangenheit zu lernen. Vor diesen Plänen ist nicht nur aus wissenschaftlicher und didaktischer, sondern auch aus politischer Verantwortung zu warnen. "Nur im Bewusstsein und im Horizont geschichtlicher Erfahrung kann gewonnene Wahrheit, erreichte Freiheit bewahrt und behütet werden, kann erkannt werden, was zu tun sei, dass sie nicht wieder verschwänden. So sicher wir nicht so frei sind, wie wir sollten, und also fortzuschreiten haben, so sicher haben wir Freiheiten zu verlieren, also zu verteidigen, zu verspielen, also zu bewahren. Wir sind von Rückfällen bedroht, und so ist dem Fortschritt geschichtliches Bewusstsein nicht entgegengesetzt, vielmehr gehört es konstitutiv zu ihm. Wir brauchen geschichtliches Bewusstsein nicht zur Legitimation von Privilegien, sondern zur Sensibilisierung gegen Regressionen, die ja stets unter dem Schein des Fortschritts auftreten" (24).

 

VI. Anmerkungen

(*) Nachweise hinfort im Text zitiert als (H. S. ...) und (NW. S. ...). Die hessischen Rahmenrichtlinien liegen gedruckt vor (die Ausführungen zum "Arbeitsschwerpunkt Geschichte" siehe auch in GWU [8], 23 [1972] H. 10, S. 613-623); die Rahmenlehrpläne von NW sind erhältlich bei der "Informations- und Dokumentationsstelle für den Gesamtschulversuch NW", 46 Dortmund, Lindemannstraße 80 (Ausdrücklich sei darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um die Entwürfe für ein eigenständiges Fach Politik handelt, wie sie im sog. "Schörken-Plan" vorgelegt wurden.)

(1) H. Blankertz: Theorien und Modelle der Didaktik, München 2. Aufl. 1969b, S. 19 f.

(2) Vgl. H. L. Meyer: Das ungelöste Deduktionsproblem in der Curriculumforschung. In: Curriculumrevision, Möglichkeiten und Grenzen. Hrsg. v. F. Achtenhagen und H. L. Meyer. München 1971, S. 107 ff. [/S. 70:]

(3) Man müsste einmal die Zahl der Lernziele aller Grade feststellen: in den NW-Plänen, die nur die Klassen 5/6 vollständig ausführen, sind es über 160, in den hessischen Richtlinien noch mehr. Demgegenüber verschlägt die Versicherung im NW-Rahmenlehrplan, er solle keine "Zwangsmaßnahme" sein (NW.S. VI) wenig. Auch gegen den subjektiven Willen der Verfasser gerät dieser Ansatz dazu und widerspricht in der Tat "der obersten Zielsetzung eben dieses Rahmenlehrplans, nämlich der Selbst- und Mitbestimmung" (NW. S. VI).

(4) Die Lehrplaner offenbaren allerdings freimütig (in Hessen in vorsichtiger Ausdrucksweise, S. 12; in NW massiver, S. 11), dass die "Differenzierung der allgemeinen Lernziele unter fachspezifischen Aspekten" lediglich als ein Zugeständnis an eine noch unzulängliche Schulwirklichkeit anzusehen ist, die, so lange die Optimallösung der vorgestellten Integration noch nicht möglich ist, verhindern soll, "dass bei Unterricht in Einzelfächern die angestrebten Erkenntniszusammenhänge getrennt werden ...". Die Fachwissenschaften behalten in diesem Zusammenhang nach den hessischen Aussagen noch eine wichtige Funktion. In NW sind sie von "nachgeordneter Bedeutung" (NW. S. I). Im Widerspruch dazu werden ein paar Seiten später im NW-Plan (S. 11) dann doch bei der Beschreibung des "Sozialwissenschaftlichen Aspekts" der "Politologie wie Soziologie eine entscheidende Rolle als Hintergrundwissenschaften [sic!] des G/P-Unterrichts" zugewiesen. Auch "Sozialwissenschaften wie Wirtschaftswissenschaft, Rechtswissenschaft, Sozialpsychologie usw.," dürfen "wesentliche Aspekte" beisteuern - die Geschichtswissenschaft wird nicht nur hier nicht, wo es ja auch kaum zu erwarten wäre, sondern auch an keiner anderen Stelle, selbst nicht im Kapitel "Historischer Aspekt", überhaupt nur erwähnt.

(5) Vgl. den Beginn des 8. Buches der "Politik"

(6) W. U. Drechsel: Erziehung und Schule in der Französischen Revolution (Frankfurter Beiträge zur Pädagogik) Frankfurt 1969, S. 40

(7) H. Taine: Die Entstehung des modernen Frankreichs. Deutsch von L. Katscher, 2. Bd., 3. Abt., Leipzig o. J., (3. Aufl.) S. 105

(8) "Bericht und Entwurf einer Verordnung über die allgemeine Organisation des öffentlichen Unterrichtswesens" (1792) - Mit einer Einleitung von H. H. Schepp. Hrsg. in "Kleine pädagogische Texte", Bd. 36, Weinheim 1966

(9) Vgl. W. v. Humboldt: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen (1792). Werke in fünf Bänden. Hrsg. v. A. Flitner und K. Giel. Darmstadt 1960, Bd. I, S. 106

(10) E. Spranger: Der Bildungswert der Heimatkunde. (1923) Verlag Reclam, Stuttgart. 3. Aufl. 1962, S.16, S. 24 "Alles wird zur Hilfswissenschaft" einer "durchgängigen Lebensgemeinschaft" [/S. 71:]

(11) Nur drei Bücher seien genannt, deren Lektüre sehr schnell verdeutlicht, wie leichthin mit erkenntnistheoretischen Problemen umgegangen wird: A. Schaff: Geschichte und Wahrheit. Wien 1970; H. J. Marrou: De la connaissance historique. Paris 1959; K. G. Faber: Theorie der Geschichtswissenschaft. München 1971

(12) z. B. E. Wilmans: Geschichtsunterricht. Grundlegung seiner Methode. Stuttgart 1949, S. 11 ff.

(13) Vgl. Th. Nipperdey: über Relevanz; Geschichte in Wissenschaft und Unterricht [8] 23 (1972), S. 577-596

(14) Diese und alle folgenden Hervorhebungen von uns.

(15) s. o. Anm. 13

(16) Vgl. dazu die differenzierten Ausführungen von G. Thoma: "Zur Strukturierung der ,politischen Dimension' des Unterrichts im Teilbereich der allgemeinen Gesellschaftslehre an der Kollegstufe". In: Kollegstufe NW, Schriftenreihe des KM, Heft 17, Düsseldorf 1972, S. 161

(17) Die Skizze (S. 29) täuscht außerdem den Leser, denn in Teil B ist das im Lernfeld III ausgewiesene Thema nirgends vermerkt, und die Pfeile führen ins Leere.

(18) Vgl. für den Unterschied zwischen H. und NW. gerade an diesem Punkt die Veränderung zur unredlichen Großsprecherei: NW (S. 38) schlägt vor "eine umfassende Faschismustheorie (Adorno, Nolte, Bloch)"

(19) Wenn schon nichts anderes, hätten hier wenigstens angegeben werden müssen: H. Blankertz: Bildung im Zeitalter der großen Industrie. Hannover 1969a; die leicht zugänglichen Quellenausgaben des Beltz [3] Verlages (Kl. pädagog. Texte); Quellen zur deutschen Schulgeschichte seit 1800, hrsg. von H. Giese, Berlin 1961; Quellen zur Geschichte der Erziehung, ausgew. von K. H. Günther u. a., Berlin 5. Aufl. 1968

(20) s. FAZ, 27. 2. 73, die Erklärung der an der Ausarbeitung der Richtlinien beteiligten OSchR Ingrid Haller: in der "Erstphase" der Diskussion seien Fachverbände und Hochschulen nicht beteiligt worden. "Das war eine politische Entscheidung". Man darf annehmen, dass die Erstphase bis in die Druckfassung hineinreichte.

(21) Zu diesem hier nur angedeuteten Sachverhalt siehe die soeben erschienene Untersuchung von Günter C. Behrmann: "Soziales System und politische Sozialisation. Eine Kritik der politischen Pädagogik". Stuttgart 1972. Vgl. dazu die Rezension von Christian Graf von Krockow: "Eine Grundlagen-Kritik der politischen Pädagogik". In: Gesellschaft - Staat - Erziehung, 17. Jg./1972, Heft 6/Dezember, S. 381-384

(22) Man darf sich durch das progressive Vokabular nicht täuschen lassen: In der Abwendung von der wissenschaftlichen Überprüfbarkeit und der Hinwendung zu einer politischen Mission besteht - ungeachtet des konträren Inhalts der politischen [/S. 72:] Zielvorstellungen und des umgekehrten Vorzeichens der bildungspolitischen Absichten - in der Grundfigur des Ansatzes offenbar eine Analogie zu dem Weg, den deutsche "Volkserzieher" schon einmal vor hundert Jahren eingeschlagen haben, als sie sich in Zivilisationskritik steigerten und der "verderbten", "zersplitterten", "falsches Wissen" verbreitenden Bildungsorganisation den Kampf für die völkische (gesellschaftliche) Erneuerung ansagten. Nicht nur die Strategie ist ähnlich: "Aufstellung überspannter Erwartungen und Ideale, eine(r) verzerrte(n), überkritische(n) Darlegung der bestehenden Zustände und eine(r) Ausarbeitung konkreter Reformen" (Fritz Stern: Kulturpessimismus als politische Gefahr. Bern, Stuttgart 1963, S. 101; über das Vorgehen Paul de Lagardes); auch substantielle Parallelen zeigen sich in der fortschreitenden Wissenschaftsfeindlichkeit und insbesondere einer Ablehnung der kritischen Aufarbeitung der Geschichte, einer die "Spontaneität" erstickenden Beschäftigung mit Vergangenheit, stattdessen die Instrumentalisierung von Geschichte im Dienst der eigenen Vision (a. a. O. zu Langbehn, S. 215 ff.)

(23) Am Schluss der Rahmenlehrpläne von NW zeigt sich, wie solche "Mitarbeit" aussehen darf; durch Vorgabe von Fragetabellen wird jede grundsätzliche Kritik abgebogen und zugleich eine Kontrolle eingebaut: In welcher Unterrichtsreihe, bei welchem Unterrichtsverfahren, mit welchen Materialien welche Lernziele erreicht oder nicht erreicht wurden, muss der Lehrer aufführen. Hat er vorgeschriebene Unterrichtsreihen nicht behandelt - oder andere besprochen - muss er Begründungen angeben. Erst nach solcher Disziplinierung möglicher Kritik sind auch "sonstige Bemerkungen", "zusammenfassende (was?) Stellungnahmen" erwünscht - alles in allem ein Beispiel für die arcana imperii autoritärer Verwaltungspraktiken, kaum noch verhüllt vom demokratischen Schafspelz.

(24) K. Gründer: Perspektiven für eine Theorie der Geschichtswissenschaft. In: Saeculum XXII, 1971/2-3, S. 112

 

Literatur

Behrmann, Günter C. [9] (1972): Soziales System und politische Sozialisation. Eine Kritik der politischen Pädagogik. Stuttgart: Kohlhammer [10].

Blankertz, Herwig (1969a): Bildung im Zeitalter der großen Industrie. Hannover: Schroedel [5].

Blankertz, Herwig (1969b): Theorien und Modelle der Didaktik, 2. Aufl. München: Juventa [4].

Drechsel, Wiltrud Ulrike (1969): Erziehung und Schule in der Französischen Revolution (Frankfurter Beiträge zur Pädagogik). Frankfurt am Main: Diesterweg.

Faber, Karl-Georg (1971): Theorie der Geschichtswissenschaft. München: Beck.

FAZ [11], 27. 2. 1973: Die Erklärung der an der Ausarbeitung der Richtlinien beteiligten OSchR Ingrid Haller.

Geschichte in Wissenschaft und Unterricht [8], Jg. 23. 1972. (10), 613-623.

Giese, Gerhardt (1961): Quellen zur deutschen Schulgeschichte seit 1800. Berlin [u.a.]: Musterschmidt.

Gründer, Karlfried (1971): Perspektiven für eine Theorie der Geschichtswissenschaft. In: Saeculum XXII, (2-3), Seite 112.

Günther, Karl-Heinz (1968): Quellen zur Geschichte der Erziehung, Aufl. Berlin: Volk und Wissen.

Humboldt, Wilhelm von (1960): Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen (1792). Werke in fünf Bänden. In: Flitner, A.; Giel, K. (Hg.): Bd. I.. Darmstadt.

Kleine pädagogische Texte. Weinheim: Beltz [3].

Krockow, Christian von (1972): Eine Grundlagen-Kritik der politischen Pädagogik. In: Gesellschaft - Staat - Erziehung, Jg. 17 (6), Seiten 381 - 384.

Marrou, Henri Irénée (1959): De la connaissance historique. Paris: Ed. du Seuil.

Meyer, Hilbert L. (1971): Das ungelöste Deduktionsproblem in der Curriculumforschung. In: Achtenhagen, Frank; Meyer, Hilbert L. (Hg.): Curriculumrevision, Möglichkeiten und Grenzen. München: Koesel, Seiten 107 ff.

Nipperdey, Thomas (1972): In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht [8], Jg. 23, Seiten 577 - 596.

Schaff, Adam (1970): Geschichte und Wahrheit. Wien: Europa.

Schepp, Heinz -Hermann (1966): Bericht und Entwurf einer Verordnung über die allgemeine Organisation des öffentlichen Unterrichtswesens (1792). In: Kleine pädagogische Texte, Bd. 36. Weinheim: Beltz [3].

Spranger, Eduard (1962): Der Bildungswert der Heimatkunde. 3. Aufl. Stuttgart: Reclam [12].

Stern, Fritz (1963): Kulturpessimismus als politische Gefahr. Bern, Stuttgart: Scherz.

Taine, Hippolyte: Die Entstehung des modernen Frankreichs. Deutsch von L. Katscher, 2. Bd., 3. Abt., Leipzig o. J., (3. Aufl.).

Thoma, G. (1972): Zur Strukturierung der ‘politischen Dimension’ des Unterrichts im Teilbereich der allgemeinen Gesellschaftslehre an der Kollegstufe. In: Kollegstufe NW, Schriftenreihe des KM (17), Düsseldorf , Seite 161.

Wilmans, E. (1949): Geschichtsunterricht. Grundlegung seiner Methode. Stuttgart: Klett [7].

 

Pandel, Hans-Jürgen (1978): Integration durch Eigenständigkeit? Zum didaktischen Zusammenhang von Gegenwartsproblemen und fachspezifischen Erkenntnisweisen

Um die Möglichkeiten einer pädagogisch notwendigen Zusammenarbeit von Sozialkunde, Geographie und Geschichte zum Zwecke der politischen Bildung zu erörtern, wähle ich im folgenden als theoretische Prämisse einen fachdidaktischen Bezugsrahmen (1). Fachdidaktik begreife ich dabei weder als schiere Unterrichtstechnologie noch als fachenthobene allgemeine Didaktik, sondern als Reflexionsinstanz, die darauf gerichtet ist, den gesellschaftlichen Relevanzanspruch und die faktische Relevanzwirkung der Fachwissenschaften auf Lernprozesse in Form von Emanzipationsprozessen der lernenden Subjekte einzulösen. Ausdruck für diesen Anspruch ist die beobachtbare Tendenz der Fachdidaktiken, sich als kritische wissenschaftliche Instanzen mehr und mehr zwischen Fachwissenschaften und Schule einerseits und zwischen Staat und Schule andererseits zu schieben. Die Fachdidaktiken wären der theoretisch geeignete und legitime Ort, die Ansprüche von Schuladministrationen und Wissenschaften in reflektierter Parteinahme für den Schüler zu prüfen. Das gilt auch für die Forderung nach Kooperation, Integration und Eigenständigkeit der Schulfächer.

Weder Vertreter der Fachwissenschaften, des Staates, der Schulpraxis noch der Standesverbände konnten bisher eine Lösung dieses Problems anbieten. Es wurden weder befriedigende Integrationskonzepte vorgelegt, noch wurden überzeugende Nachweise für deren Unmöglichkeit erbracht. Die Antworten wurden nämlich auf Ebenen gesucht, auf denen sie m. E. nicht zu finden sind. Das Problem der Integration, Kooperation und Eigenständigkeit der Unterrichtsfächer im Rahmen der politischen Bildung ist weder ein [/S. 347:] wissenschaftsorganisatorisches oder ein bildungspolitisches, sondern ein didaktisches Problem. Diese Problemkonstellation brachte deshalb auch Richtlinienverfasser und um Integration bemühte Schulpraktiker immer wieder in Schwierigkeiten. Sie waren (und sind es wohl noch immer) gezwungen, einen fachdidaktischen Diskussionsstand zu antizipieren, der heute noch nicht erreicht ist. So existiert z. B. noch immer keine einzige fachdidaktische Monographie des Integrationsproblems.

Der Anspruch der Fachdidaktiken, diejenigen Probleme zu lösen, die bisher als bloße wissenschaftsorganisatorische und bildungspolitische Fragen angesehen wurden, hat ihnen heftige Kritik eingetragen. Ihnen wird die Legitimation, Ziele zu formulieren, als ein "hybrider" Anspruch abgesprochen (2); weiterhin wird ihnen vorgeworfen, nur eine &quotsich zum Heilsmythos steigernde Didaktik" könne das Integrationsproblem lösen wollen (3). Trotz dieser Argumente, die als wenig überzeugende Gegenvorschläge die sich potentiell im Vierjahreszyklus der Wahlen erneuernde staatliche Dezision und eine personengebundene Wissenschaftlerethik für Interdisziplinarität empfehlen, halte ich an dem Konzept einer wissenschaftstheoretisch aufgeklärten und um Erkenntnisweisen zentrierten Didaktik als Sozialwissenschaft fest.

Eine fachdidaktische Bestandsaufnahme des Integrationsproblems (in dem eben skizzierten Sinne von Fachdidaktik) müßte sich m. E. auf drei Argumentations- und Diskussionszusammenhänge beziehen: auf die curriculare Diskussion, wie sie sich nach Abschluß der Richtlinienkontroversen zeigt, auf den innerwissenschaftlichen Diskussionsstand der Fachwissenschaften und auf die Ergebnisse der Wissenschafts- und Erkenntnistheorie. Die Fachdidaktiken lassen sich gegenwärtig stärker auf die Reflexion ihrer facheigenen Grundlagen ein und gewinnen zunehmend an kategorialer Festigkeit. Der innerwissenschaftliche Diskussionsstand in den Fachwissenschaften, der gekennzeichnet ist durch Tendenzen und Versuche einer sozialwissenschaftlichen Fundierung sowie einer explizit gemachten gesellschaftstheoretischen Orientierung der Disziplinen, ergibt [/S. 348:] (eventuell) neue Perspektiven für die didaktische Diskussion (Geschichte als Historische Sozialwissenschaft, Geographie als Sozialgeographie bzw. als Raumwissenschaft). Ein für die Didaktik noch unerschlossener Argumentationszusammenhang liegt in der Wissenschaftstheorie vor. Von der "Wissenschafts-Wissenschaft" haben die Didaktiken bisher kaum Kenntnis genommen.

 

1. Wissenschaftstheorie

Der Begriff "Fachdidaktik" verweist nicht nur darauf, daß Fachdidaktik selbst ein Fach ist, sondern kennzeichnet auch ihre Bezogenheit auf andere Fächer. Eine Überprüfung der Bedingungen für die Möglichkeiten einer Integration von Fächern muß sich deshalb über Voraussetzung, Struktur und Logik von "Fächern" Klarheit verschaffen. Jenseits ihres organisatorischen Status als Institutionen begründen sie sich in ihrem wissenschaftshistorischen Prozeß auf gegenstandstheoretischer, methodologischer und konstitutionstheoretischer Ebene. Von diesen drei sich durchdringenden Ebenen soll geprüft werden, welche hemmenden oder fördernden Bedingungen für eine Integration vorliegen.

 

1.1 Gegenstandstheoretische Ebene

Integration wird erleichtert durch die gegenstandstheoretische Einsicht, daß die einzelnen Fachdisziplinen sich nicht durch eine besondere Dignität ihres dinglich verstandenen oder phänomenologisch wahrgenommenen Gegenstandes unterscheiden. Gegenstände von Wissenschaft sind nicht irgendwelche von vornherein gegebenen Klassen von separaten Phänomenen. Die Verschiedenheit der Wissenschaften resultiert nicht daraus, daß sie einen bestimmten vorgängig gegebenen Gegenstand, eine bestimmte exklusive Klasse von Phänomenen, zu ihrem ausschließlich von ihnen zu untersuchenden Gegenstand machen. Auf alle Dinge, Personen und Ereignisse in der Welt können sich alle Wissenschaften forschend beziehen. Da die Vergangenheit kein Monopolobjekt der Geschichtswissenschaft und die Gegenwart keines der Politologie oder Soziologie ist, kann jede vergangene, [/S. 349:] gegenwärtige und zukünftige Gesellschaft von allen diesen Disziplinen zum Objekt ihrer Forschung gemacht werden (4). Ein Blick auf die neuere Disziplin der Friedens- und Konfliktforschung macht deutlich, daß ein Fach nicht lediglich durch einen konkretistisch gefaßten "Gegenstand" definiert wird. "Kriege" und "Konflikte" waren und sind "Gegenstände" etablierter Disziplinen. Die Friedens- und Konfliktforschung geht diese Gegenstände unter eigenen, neueren Fragestellungen an, wenn sie nach den gesellschaftlichen Bedingungen des Friedens, der strukturellen Gewalt oder nach der organisierten Friedenslosigkeit fragt. Ähnlich verhält es sich mit den Gegenständen "Geschichte" und "Vergangenheit". Auch sie ergeben allein keine tragfähige Basis zur Definition einer bestimmten Wissenschaft. Mit dem Gegenstand "Zeitgeschichte" befassen sich Politologie, Soziologie und Geschichtswissenschaft gleichermaßen, ohne daß dabei deren Verfahrensweisen oder deren Antworten, die sie auf ihre unterschiedlichen Frageweisen erhalten, identisch werden (5). Auf dem Gebiet der Zeitgeschichte ist in den letzten Jahren das Nebeneinander unterschiedlicher Disziplinen kaum strittig gewesen. Die Geschichtswissenschaft konnte aber die übrigen Bereiche der Vergangenheit mit gutem Grund um so mehr als ihr Monopolobjekt betrachten, als sich die Soziologie in Methode und in den von ihr gewählten Erkenntnisbereichen immer mehr enthistorisierte. Die Zahl der historisch gerichteten soziologischen Untersuchungen nimmt gegenwärtig aber merklich zu (Norbert Elias, Klaus Eder, Karlheinz Messelken) (6). Damit werden alle klassischen Entgegensetzungen, die vom dinglichen oder phänomenologischen Gegenstand her Geschichtswissenschaft und systematisierende Sozialwissenschaften zu unterscheiden suchten, immer unschärfer: Vergangenheit vs. Gegenwart, Geschichte vs. Gesellschaft, Geschichte vs. Politik, "res gestae" vs. "res gerendae" verlieren immer mehr ihre analytische Trennschärfe (vorausgesetzt, daß sie sie jemals besessen haben). Das gilt auch für die Formalgegenstände Individuelles vs. Allgemeines und Raum vs. Zeit. Ohne den hohen Stellenwert von Individuellem oder [/S. 350:] von Zeit für die Geschichtswissenschaft in Abrede stellen zu wollen, kann der Historiker weder individuelle Ereignisse noch Zeitphänomene für sich reklamieren. Politologische und soziologische Fallstudien befassen sich ebenso mit Individuellem wie Psychologie, Psychiatrie und Soziologie mit der Zeit (7). Historiker und Geographen, die die Praxis ihrer Disziplin reflektieren, machen deutlich, daß ihre Wissenschaften sich nicht durch einen vorab gegebenen Gegenstand definieren (8). So schreibt der Historiker Reinhart Koselleck: "In der Praxis ist das Objekt der Historie alles oder nichts, denn ungefähr alles kann sie durch ihre Fragestellung zum historischen Gegenstand deklarieren. Nichts entgeht der historischen Perspektive" (9). Noch konkreter faßt es Fred K. Schaefer für die Geographie: "Demnach muß die Geographie ihre Aufmerksamkeit auf die räumliche Anordnung der Phänomene in einem Gebiet, und nicht so sehr auf die Phänomene selbst richten ... Nichträumliche Beziehungen, die sich unter den Phänomenen eines Gebietes finden, sind Untersuchungsgegenstand anderer Spezialisten wie der Geologen, Anthropologen oder Ökonomen ..." (10). Die "physischen Manifestationen wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Sachverhalte [bilden] keine selbständige Gegenstandskategorie", sondern sind "Beobachtungsgrundlage, welche die Analyse der eigentlichen Problemkategorie erleichtert" (11). Werner Hofmann hatte bereits vor Jahren die Definition einer Wissenschaft von einem Gegenstand her verworfen: "Wissenschaft ist durch nichts außer ihr Gegebenes, gleichsam dinglich, gesichert" (12). Folgt man dieser Argumentation, so fehlt einem Fach Gesellschaftslehre der wissenschaftstheoretisch gesicherte Zugriff, sofern man es vom "Gegenstand Gesellschaft" her konzipieren will. Trotzdem ist mit diesem Argument kein Einwand gegen die didaktische Forderung vorgebracht, Gesellschaft zum Gegenstand von Unterricht zu machen. Da der Gegenstand Gesellschaft nicht unabhängig vom Erkennenden schlicht objektivistisch gegeben ist, kann er nur über die unterschiedlichen fachspezifischen Frage- und Erkenntnisweisen erschlossen werden (13). [/S. 351:]

 

1.2 Methodologische Ebene

Integration wird erschwert durch die Einsicht in den gegenstandskonstitutiven Charakter der wissenschaftlichen Methoden. Die Einheitswissenschaft mit der Einheitsmethode ist ein wissenschafts-konservativer, positivistischer Traum geblieben. Im Positivismusstreit wurde offenbar, daß sich die Einheit der Wissenschaft durch das Verfahren nicht herstellen läßt. Allerdings sind Methoden nicht einer einzigen Fachwissenschaft zu eigen, sondern einer Fächergruppe. Die an der politischen Bildung im engeren Sinne beteiligten Fächer sind nicht einer einzigen, sondern mehreren Methoden verpflichtet. Keines dieser einzelnen Fächer ist methodologisch autonom; ihre Methoden sind vielmehr integraler Bestandteil einer allgemeinen Methodologie aller Sozialwissenschaften. Eine Reduzierung auf eine oder wenige Methoden - z. B. durch den Ausschluß der Hermeneutik -‚ um durch größere Einheitlichkeit Integrationsvoraussetzungen zu schaffen, ist ohne Erkenntnisverlust nicht möglich. Da diese Methoden emanzipationsermöglichendes Denken befördern sollen, wenn sie gelehrt werden, ist ihre Reduktion auf eine sogenannte Einheitsmethode mit gravierenden didaktischen Gefahren verbunden: Den Schülern werden Erkenntnismöglichkeiten vorenthalten. Mit "Methoden (historischer, politologischer, soziologischer, psychologischer etc.) Erkenntnis" sind jene Operationen der geistigen Auseinandersetzung mit den "Repräsentationsmodi der Gegenständlichkeit" (14) gemeint, die zu fachspezifischen Aussagen führen. Den Methoden, verstanden als folgerichtige Denkoperationen, liegt eine bestimmte Erkenntnisabsicht und damit eine bestimmte Aussageintention zugrunde. Der Schüler sollte daher nicht in erster Linie Wissensbestände lernen, sondern die "Wege des Fragens und Urteilens" (15). Insofern sind die Methoden der Erkenntnis Aneignungsform en oder Verfahrensweisen des Nachdenkens über Gegenstände, die durch das Verfahren des Nachdenkens erst konstituiert werden. Diese Erkenntnisweisen sind in der didaktischen Literatur ein bislang kaum diskutierter Bereich (16). Untersuchungen über diejenigen Erkenntnisweisen, denen sich ein Schüler bedie[/S. 352:]nen muß, wenn er für das "Fach", in dem er diese Erkenntnisweisen anwendet, zu fachspezifischen Aussagen kommen will, fehlen noch. Da diese Erkenntnisweisen für die einzelnen Wissenschaften grundlegend sind, können sie von den Didaktikern nicht (mehr) beliebig entworfen oder verändert werden. Sie sind vielmehr in den Wissenschaften "vorgezeichnet". In dem Bereich der Didaktiken der Sozialkunde, Geographie und Geschichte - einschließlich ihrer Bezugsdisziplinen - haben wir es vorwiegend mit vier unterscheidbaren Erkenntnisweisen zu tun, die unterschiedliche Erkenntnismöglichkeiten bieten:

  • die historisch-hermeneutische Verfahrensweise,
  • die kritisch-dialektische Verfahrensweise,
  • die empirisch-analytische Verfahrensweise,
  • die quantitativ-statistische Verfahrensweise.

Wenn durch die Unmöglichkeit einer Universalmethode die Integration nicht gerade erleichtert wird, so bieten die unterschiedlichen Verfahrensweisen doch die Grundlage für weitere Überlegungen. Auf dem Hintergrund dieser gegenstandskonstitutiven Verfahrens- und Erkenntnisweisen lassen sich m. E. weiterführende Aussagen über Kooperation, Integration und Eigenständigkeit der Unterrichtsfächer treffen. Geht man in der Analyse der Kooperations-Integrations-Problematik auf die fach(bereichs)spezifischen Erkenntnisweisen als Arten wissenschaftlichen Arbeitens zurück, so stellt sich die Frage der Zusammenarbeit der Unterrichtsfächer anders dar, als sie bisher diskutiert wurde. Die isolierenden Fächergrenzen sind nämlich in einer gewissen Weise bereits durchbrochen - und zwar durch die Erkenntnisweisen, "die sich zwar weitgehend, aber nicht vollständig mit Fächerbereichen im institutionellen Sinne decken bzw. zu decken brauchen" (17). Diese Erkenntnisweisen finden wir nur schwerpunktmäßig in den einzelnen Disziplinen. Selbst die einzelnen akademischen Schulen und Forschungsrichtungen innerhalb einer Disziplin bedienen sich unterschiedlicher Erkenntnisweisen, so daß die Verwandtschaft zu einem Nachbarfach der Disziplin oft eher erkennbar ist als zu einer anderen akademischen Schule innerhalb der eigenen Disziplin. [/S. 353:]

 

1.3 Konstitutionstheoretische Ebene

Die in einem Integrationsprozeß nicht einschmelzbaren Elemente sind die wissenschaftlichen Frageweisen, durch die sich die Wissenschaften erst konstituieren. Fächer konstituieren sich durch eine bestimmte Weise des Fragens und der daraus folgenden Art des Nachdenkens. Fächer sind folglich Denkweisen. Die jeweils spezifischen Frageweisen sind es, die die Eigen-Art der Wissenschaftsdisziplinen ausmachen. Wenn die Wissenschaften sich nicht durch die Ausrichtung auf separate Gegenstände konstituieren, sondern durch die Frageweisen, müssen sie sich mittels dieser Frageweisen ihren Gegenstand als Objekt möglicher Erkenntnis begrifflich erzeugen. Der Objektbereich des Fragens und Forschens wird im wesentlichen durch die Frageweise konstruktiv hergestellt (18). Erkenntnisgegenstände der Wissenschaft, die durch die "kategoriale Formung der Gegenstandsbereiche" (19) entstehen, sind somit nicht primär vorgegeben, sondern erst sekundär durch Wissenschaft konstituiert (20). Von den jeweiligen spezifischen konstitutiven Fragestellungen ausgehend, werden im Forschungsprozeß in empirischer und logischer Analyse systematische Aussagen über Zusammenhänge von Bereichen der Wirklichkeit oder systematische Aussagen über das System der Aussagen selbst gefunden (Disziplin und Metadisziplin). "Fächer" sind also "die verschiedenen objektiv möglichen und üblichen Weisen, die Welt zu begreifen und deren Ergebnisse" zu verstehen (21). Wirklichkeit wird auf eine spezifische Art erfaßt und denkend geordnet (22). Diese Definition von Fach macht keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Schul-Fach und Wissenschafts-Fach. Sie geht vielmehr davon aus, daß die Denkweisen in beiden Bereichen prinzipiell richtungsgleich und in ihrer Spezifik identisch sind. Forschungslogik und Unterrichtslogik werden dadurch aber nicht gleichgesetzt. Die Logik der Forschung folgt, wenn sie einmal von gesellschaftlich-praktischen Problemen ausgegangen ist, auch wissenschaftsimmanenter Gesetzlichkeit. Sie erbringt Ergebnisse des Faches, die von der Didaktik daraufhin befragt werden müssen, ob sie als Unterrichtsgegen[/S. 354:]stände geeignet sind, Wirklichkeit - und das heißt in diesem Falle: die Gegenwart und absehbare Zukunft des Schülers innerhalb einer historisch-gesellschaftlichen Konstellation - durch bestimmte Denkweisen zu begreifen und denkend zu ordnen (23). Fachwissenschaft ist damit ein "zumindest prinzipiell richtungsgleiches Verfolgen der auch im vorwissenschaftlichen Streben ... wirksamen Fragen" (24). Wenn aus praktischem Bedürfnis sich spezifische Fragen herausgebildet haben, die mit rational gesicherten und verfeinerten Methoden in den Fachwissenschaften fortgesetzt werden, kann ein Verzicht auf diese Betrachtungsweisen nur durch einen Verzicht auf bestimmte gesellschaftlich-praktische Erfahrung erkauft werden. Aus dem erkenntnistheoretischen Primat der Frageweisen folgt, daß sie sich nicht mit beliebigen Methoden verbinden lassen. Erkenntnismethoden (Verfahrensweisen und Forschungstechniken) müssen vielmehr mit den Frageweisen kompatibel sein, denn der Gegenstand wird nicht nur durch die Frageweise konstituiert, sondern er wird auch durch die Erkenntnismethoden mitkonstituiert. Verfahrensweisen und Untersuchungstechniken, derer sich die Erkenntnisweisen bedienen müssen, schlagen auf die Frageweise zurück und können, falls dieser Zusammenhang vernachlässigt wird, eine ganz andere als durch diese Frage angestrebte Aussageintention erzeugen.

 

2 Sozialwissenschaften als Bezugsdisziplinen

Sozialwissenschaften sind diejenigen Disziplinen, die ihre durch die eigene Fragestellung erzeugte faktische Wirkung auf die soziale Lebenspraxis reflektiert in ihr Forschungsinteresse aufgenommen haben. Eine abschließende Entscheidung darüber, ob die Geschichtswissenschaft und die Geographie sich insgesamt als Sozialwissenschaften begreifen, ist noch nicht in Sicht. Diese Frage ist für die Didaktiken von großem Interesse, da sie Konsequenzen für methodologische Probleme, für das Selbstverständnis, die Erkenntnisinteressen und die gesellschaftstheoretische Orien[/S. 355:]tierung nach sich zieht. Der Charakter der Didaktiken kann dagegen unabhängig davon definiert werden, wie die Bezugsdisziplinen sich entscheiden. Wenn die Didaktiken nicht "Kunst" oder "Technik", sondern Wissenschaften sein wollen - und vieles spricht dafür, daß sie gegenwärtig auf dem Wege sind, ihr Paradigma als Wissenschaft zu formulieren -‚ dann bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als sich selbst als Sozialwissenschaften zu verstehen. Didaktiken sind, auch als Didaktiken von Naturwissenschaften, unweigerlich Sozialwissenschaften. Sie können und müssen deshalb auch mit den Begriffen der Sozialwissenschaften untersucht werden.

 

2.1 Sozialwissenschaft: Integration oder Spezialisierung

Die Hoffnung, der Forderung nach Integration durch eine sozialwissenschaftliche Umorientierung der Fachdisziplinen nachzukommen, hat sich bisher nicht erfüllt. Der Begriff "Sozialwissenschaften" legt eine Addition kompatibler und homogener Disziplinen nahe und täuschte in der Diskussion um das Fach (!) Gesellschaftslehre über die Unterschiede der einzelnen Sozialwissenschaften hinweg. Wenn politische Bildung in den Sozialwissenschaften ihre Bezugsdisziplinen hat (und eine Alternative dazu zeichnet sich zumindest im Augenblick nicht ab), ist sie darauf angewiesen, daß die einzelnen Disziplinen ihr mit einer Umorientierung die entsprechenden Vorgaben machen. In der Diskussion um die sozialwissenschaftliche Umorientierung ist aber auf eine gravierende Differenz zu achten: Es ist von eminenter Bedeutung, ob die Disziplin sich als Ganzes als Sozialwissenschaft begreift, oder ob damit nur eine Spezialdisziplin (Sozialgeschichte, Sozialgeographie) neben anderen Spezialdisziplinen (Mittelalterliche Geschichte, Wirtschaftsgeographie) gemeint ist. Bezieht sich das Verständnis als Sozialwissenschaft nur auf eine dieser Spezialdisziplinen, so hat das für die Integrationsproblematik tiefgreifende Folgen. Die Umorientierung und Definition als Sozialwissenschaft kann nämlich nicht durch Amputation, durch eine radikale Abtrennung einzelner Wissenschaftsgebiete erfolgen. Teilbereiche (Wirtschafts- und Sozialgeographie, Wirtschafts- und [/S. 356:] Sozialgeschichte) können nicht als fortschrittlichste Varianten der Gesamtdisziplin angesehen werden, um dann durch Zusammenfassung dieser Teilbereiche das Integrationsproblem zu "lösen". Die Widersprüchlichkeit einer solchen Integrationsstrategie ist offenkundig. Im Bemühen, sich nicht in enge Fächerungen einsperren zu lassen, gründet eine so verfahrende Didaktik sich nicht auf eine (!) "breite" Sozialwissenschaft als Bezugswissenschaft, sondern auf enge Spezialdisziplinen. Anstatt die isolierenden Wände der Zellen zu beseitigen, sind sie nur enger gezogen worden.

 

2.2 Darstellungsformen

Die Diskussion um die theoretischen Prämissen und um das Selbstverständnis als Sozialwissenschaft brachte für die Frage der Integration insofern eine positive Rückwirkung auf die Didaktiken, als sich die Formen, in denen sich die Darstellung der fachwissenschaftlichen Ergebnisse vollzog, nicht als Essentials der Disziplinen erwiesen. So erfuhren die didaktischen Darstellungsformen - chronologischer Durchgang, Länderkunde, Fallprinzip -‚ die in ihrer Heterogenität immer ein Integrationshemmnis darstellten, keine Unterstützung durch die bisherige Grundlagendiskussion. Sie erwiesen sich lediglich als traditionelle Vorlieben. Eine bestimmte Art des Denkens, das sich als ein Denken vom Out-put des Forschungsprozesses her charakterisieren läßt, hat die Darstellungsformen zu einem Integrationshemmnis ersten Ranges werden lassen. Es standen immer die Ergebnisse des Forschungsprozesses im Vordergrund, nicht dessen Fragestellungen. Im Fachunterricht sollten diese Ergebnisse gelernt werden und nicht das Fach als Frage- und Denkweise. Demzufolge sind auch im Bereich der politischen Bildung die Beiträge der einzelnen Fächer vorwiegend von den Ergebnissen der (fachwissenschaftlichen) Forschung her bestimmt worden. Fach und Forschungsergebnis wurden gleichgesetzt. Erschwerend (für die Integrationsproblematik) kommt noch hinzu, daß die Forschungsergebnisse die Summe der im historischen Prozeß des Forschens aufgehäuften Resultate sind, die zudem teilweise Antworten auf bereits vergangene historische Situationen darstel[/S. 357:]len. Während in der Vergangenheit die Unterrichtsfächer Geschichte und Geographie im Materiellen der kumulierten Forschungsergebnisse verharrten, trieb die Sozialkunde die Entmaterialisierung der Bildungsprozesse auf die Spitze. Das Fallprinzip verband sich bei vielen Sozialkundedidaktikern immer mit der These von der Austauschbarkeit der Inhalte. Darin, daß die Inhalte völlig sekundär seien, wurde die Didaktik der Sozialkunde noch von der Curriculumtheorie bestärkt, indem diese die Inhalte in ein instrumentelles Verhältnis zu den Zielen setzte. Das Nachdenken über Integrationsmöglichkeiten mußte sich zwangsläufig festlaufen: Geographen und Historiker beharrten auf ihren in bestimmten Darstellungsformen angeordneten Inhalten. Die Sozialkundedidaktiker insistierten zwar nicht auf bestimmte Inhalte, aber sie bestanden darauf, daß man nicht auf bestimmten Inhalten beharren dürfe - diese aber müßten kasuistisch dargestellt werden. Die Unzulänglichkeit dieser isolierenden, traditionellen Darstellungsformen, die durch ihre Erstarrung den Kernbereich jeder Didaktik, die Auswahltheorie, suspendierten, ist inzwischen hinreichend bekannt. In der didaktischen Reflexion haben diese Formen keinen Stellenwert mehr. Es bleibt aber (selbstkritisch) anzumerken, daß in der Schulpraxis weitgehend noch nach diesen Darstellungsformen verfahren wird, da die methodische Phantasie der (Hochschul-)Didaktiker keine alternativen, prinzipiell auf Integration angelegten Darstellungsformen bereitzustellen vermochte.

 

2.3 Erkenntnisinteressen

Ihre Selbstdefinition als Sozialwissenschaften mit einer explizit gemachten gesellschaftstheoretischen Orientierung läßt die Einzeldisziplinen zwar nicht in einer einzigen Wissenschaft aufgehen, verpflichtet sie aber auf ein gemeinsames (emanzipatorisches?) Erkenntnisinteresse. Dieses Erkenntnisinteresse stellt in doppelter Hinsicht ein notwendiges Vermittlungsglied zur politischen Bildung dar. Gravierende Differenzen zwischen den einzelnen Sozialwissenschaften, die einer Zusammenarbeit hemmend im Wege [/S. 358:] stehen, können damit ebenso abgebaut werden wie zwischen den Sozialwissenschaften und den Didaktiken. Ohne diese Gemeinsamkeit in dem Erkenntnisinteresse wird das Verhältnis von Wissenschaft und politischer Bildung ein gewalttätiges Unternehmen, das in Schülerköpfe etwas hineinpraktiziert, was mit den aktuellen und zukünftigen Interessen der Schüler nicht zu vereinbaren ist. Der bisherige und noch andauernde Widerstand gegen den erkenntnistheoretischen Begriff des Erkenntnisinteresses ist in erster Linie durch die damit verknüpften Folgerungen motiviert. Ausgewiesenes Erkenntnisinteresse bedeutet, den Gegenwartsbezug allen Fragens und Forschens anzuerkennen, und das heißt wiederum, Gegenwart als Prinzip der Auswahl von Forschungsobjekten und Unterrichtsinhalten zu akzeptieren. Für Theorie und Logik der Sozialwissenschaften ist das keine neue Erkenntnis. Daß die Auswahl von Forschungsgegenständen von den Wertentscheidungen der Fragenden abhängt, hatte bereits Max Weber gezeigt, indem er darauf hinwies, daß nur interessierende Merkmale gesellschaftlicher Wirklichkeit zum Untersuchungsgegenstand gemacht werden können. Die Einsicht in den Zusammenhang von Erkenntnisinteressen, Gegenwart und Auswahl wurde bisher immer mit dem Vorwurf mangelnder Wissenschaftlichkeit abgelehnt. In diesem Punkt scheint sich durch die zunehmende geschichtstheoretische Diskussion eine Wende anzubahnen: Integration wird erleichtert durch die sich immer mehr durchsetzende Einsicht in die Gegenwartsbezogenheit der Geschichte (sowie von Wissenschaft überhaupt). Daß der Gegenwartsbezug die Wissenschaftlichkeit der Geschichtswissenschaft keineswegs aufhebt, wurde in letzter Zeit mehrfach von der Geschichtstheorie belegt. "Perspektivität und Objektivität" (Wolfgang J. Mommsen) sowie "Objektivität und Praxisbezug" (Jörn Rüsen) sind in der Geschichtswissenschaft keine einander widersprechenden und einander ausschließenden Faktoren. Sie gehören vielmehr unverbrüchlich zusammen (25). Damit scheint sich eine innerwissenschaftliche Entwicklung anzubahnen, die der Geschichte die Gegenwart wiederzugewinnen hilft. [/S. 359:]

 

3. Didaktik

Neben den bisher aufgezeigten, stärker wissenschaftstheoretisch und fachwissenschaftlich orientierten Vorschlägen zum Integrationsproblem lassen sich auch drei didaktische Lösungsstrategien benennen. Diese Ansätze versuchen, durch die Betonung der sozialen Komplexität, durch die Formulierung von "allgemeinen" Lernzielen und durch die Umschreibung von Lernfeldern die unterschiedlichen Fächer zusammenzubinden oder durch den Rückgriff auf ein "vorfachliches" Orientierungssystem einander zuzuordnen. Obwohl diese Lösungsstrategien ihrem Ansatz nach überfachlich und allgemein sein sollen, wurden unter der Hand die Fachwissenschaften - gegen den Willen der diese Ansätze vertretenden Autoren - doch wieder zum bestimmenden Moment.

 

3.1 Soziale Komplexität und Aspekt

Ein nicht realisierbarer Integrationsansatz ergibt sich aus der Zuordnung von "Komplexität" und "Aspekt". Inhalte der politischen Bildung sind vieldimensional und können deshalb unter den jeweils verschiedenen fachspezifischen Sichtweisen betrachtet werden. Diese Einsicht ist in der Literatur unter die Begriffe "Komplexität" und "Aspekt" gefaßt worden. Die Gleichberechtigung der verschiedenen Sichtweisen bei der Analyse gesellschaftlicher Sachverhalte ist prinzipiell möglich und auch anzuerkennen. Die verschiedenen Sichtweisen sind im didaktischen Sinne keineswegs gleichwertig. So wie der Inhalt "Autoritätsfixierung" unter dem Aspekt "Mythos Hindenburg" oder "Fixierung an den Führer" behandelt werden kann, kann der Inhalt "Gastarbeiter" auch unter dem sozialpsychologischen Aspekt der "Vorurteilsbereitschaft" angegangen werden. Damit werden aber keinesfalls die Problembereiche "Faschismus" und "Lohnarbeit des Subproletariats" miterledigt. Die Isolierung und Betonung von bestimmten Teilaspekten läßt Faktoren in den Vordergrund treten, die für die Erklärung des Gesamtproblems nur sekundären Charakter tragen. Inhalte werden diesem Verfahren in einseitiger Weise akzentuiert [/S. 360:] und in der Folge wie ich meine, auch entpolitisiert. So ergab eine quantitative Inhaltsanalyse von acht Unterrichtsmodellen und Sozialkundebüchern zum Problem "Gastarbeiter", daß 57 % aller Aussagen sozialpsychologischer Art waren und 10,5 % sich auf ökonomische Sachverhalte bezogen (26). Der Schritt zur zwischenmenschlichen Freundlichkeit des "Seid-nett-zueinander" ist nicht weit. Aus diesen Gründen kann das Integrationsproblem innerhalb der Sozialkunde keineswegs als gelöst gelten. Die Möglichkeit unterschiedlicher Analyseansätze ist nicht identisch mit deren Lernwürdigkeit. Aus der Perspektive der Didaktik, die sich als Sozialwissenschaft auf den Horizont der Gegenwart bezieht, gibt es an den Inhalten dominante Strukturen. Eine dominante Struktur im didaktischen Sinne bemißt sich nicht an der fachwissenschaftlichen Möglichkeit, die Fragerichtung auf beliebige Aspekte zu reduzieren, sondern an der Perspektive gelingender oder verhinderter Emanzipationsprozesse. Inhalte haben in der Gegenwart einen ganz bestimmten und von ihr affizierten Wertakzent. Sie können nicht aus methodischen Gründen (Lernerleichterung, Anschaulichkeit etc.) oder fachlicher Kompetenz (Ausbildung, Vorliebe etc.) des Lehrers auf bestimmte Aspekte hin reduziert werden.

 

3.2 Allgemeine Lernziele

Den bisher erfolgversprechendsten Ansatz zur Integration von Unterrichtsfächern bildeten die Entwürfe von "allgemeinen Lernzielen". Diese Lösungsstrategie lastet die eigentliche Integrationsfunktion den Lernzielen an. Sie sollen die einzelnen Fächer oder Fachaspekte integrieren und weitergehende Ansprüche der Fächer filtern. Allgemeine Lernziele - die Angabe "allgemein" ist meist stillschweigend auf fächergruppenspezifische Lernziele eingeschränkt - sind im Bereich der politischen Bildung ihrem Anspruch nach Ziele, die mit dem Blick auf das "Lernfeld Gesellschaft" formuliert sind, ohne daß auf einzelne fachwissenschaftliche Disziplinen zurückgegriffen werden muß. Ihrem Charakter nach sollen sie die Funktion eines Netzes haben, das (politi[/S. 361:]sche) Wirklichkeit einfängt. Darüber hinaus versuchen sie andere (fachliche) Lernziele zusammenzuhalten, um "begrenztes Fachdenken" zu überwinden. Diesen Lernzielen wird die Fähigkeit zugetraut, die einzelnen Fächer zusammenzuhalten, wenn sie ihnen in Form von fachspezifischen Lernzielen zugeordnet werden.

Die großen Erwartungen, die man in die allgemeinen Lernziele als Integrationsinstrumente gesetzt hatte, haben sich nicht erfüllt. Die theoretischen Prämissen, von denen man ausgegangen war, lassen sich aus wissenschaftstheoretischen Gründen nicht halten. Plausible Argumente sprechen vielmehr für folgende These: Allgemeine Lernziele binden die Fächer nicht zusammen, da allgemeine Lernziele immer schon unter Zuhilfenahme der auch in der Umgangssprache implizierten Paradigmen der Fachwissenschaften formuliert werden. Der gegenwärtige Diskussionsstand der Lernzielproblematik ermöglicht es, im einzelnen folgende kritische Fragen nach Voraussetzungen und Möglichkeiten der allgemeinen Lernziele zu stellen: Als erstes stellt sich die Frage nach der Instanz. Wer formuliert die allgemeinen Lernziele? Wenn sie "allgemein" sein sollen, können sie nicht von einer einzelnen Fachwissenschaft oder Fachdidaktik formuliert werden. Auch ein Gremium unterschiedlicher Fachvertreter kann nicht angenommen werden, da allgemeine Lernziele ihrem Anspruch nach nicht durch eine Addition von Fachaspekten gewonnen werden sollen. Die einzelnen Vertreter der Fachwissenschaft und Fachdidaktik können sich zudem nicht gleichsam selbst in ihrer Sichtweise auslöschen und eine Metawissenschaft durch Zusammensitzen begründen. Aber nicht nur die Frage nach der Formulierungsinstanz ist ungeklärt. Die Frage nach der Analyseinstanz ist es ebenfalls. Lernziele im Bereich der politischen Bildung müssen aus einer Analyse gesellschaftlicher Wirklichkeit hervorgehen. Wer unternimmt diese Analyse, mit welchen Methoden und welchen Instrumenten, wenn eine fachneutrale Methode nicht existiert? Der Versuch, diese Aufgabe der Erziehungswissenschaft zuzuweisen, greift ebenfalls zu kurz, da die Pädagogik [/S. 362:] zur gesellschaftlichen Analyse gegenwärtiger Wirklichkeit wegen der Existenz irreduzibler "gesellschaftlicher Sachverhalte" (27) nicht gerüstet ist. Das Korrelat zur Annahme einer allgemeinen Formulierungs- und Analyseinstanz ist das Attribut "allgemein" der Lernziele. "Allgemein" wird in der Lernzieldiskussion auf zwei unterschiedliche Weisen gebraucht. Einmal als "vorwissenschaftlich" und zum anderen im Sinne von "überfachlich". "Allgemein" im Sinne von "überfachlich" meint, daß der Zusammenhang der Ziele unterschiedlicher Ebenen allgemein-fachspezifisch lautet. Es wird dabei übersehen, daß "allgemein" nur im Sinne von "abstrakt" verstanden werden kann. Der Zielzusammenhang verknüpft die Ebenen "abstrakt" und "konkret" und spielt sich innerhalb des Fachaspekts ab. "Vorfachlich" und "vorwissenschaftlich" meint, daß man umgangssprachlich, gewissermaßen nur (!) mit dem "gesunden Menschenverstand" bei Ausblendung fachspezifischer Frageweisen und fachspezifischer Begrifflichkeit, die immer spezielle Theorien implizieren, Ziele für die politische Bildung formulieren kann. Die in der Umgangssprache enthaltenen Sichtweisen werden übersehen. Die wissenschaftstheoretische Diskussion weist gegenwärtig ausdrücklich auf die Theorieabhängigkeit der Beobachtungssprache hin. Diese Erkenntnis ist in der Lernzieldebatte noch nicht rezipiert worden. Alle bisher angebotenen Systeme allgemeiner Lernziele sind logisch, grammatikalisch und semantisch eine Addition fachspezifischer Begriffe und Theorien, die in ihrer jeweiligen spezifischen Zusammensetzung sowohl Integration verhindern als auch durch ihre Komplexität die unterrichtspraktische Handhabung erschweren (28). Eine sprachanalytische Untersuchung der allgemeinen Lernziele der hessischen Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre zeigt (29), daß sie keineswegs "allgemein", d. h. überfachlich sind. Die einzelnen fachspezifischen Aspekte lassen sich ohne Schwierigkeiten ausmachen. Eine Aufschlüsselung nach Häufigkeit ergibt folgendes Bild: [/S. 363:]

Lernfeld
AspekteIIIIIIIVGes.
1.Soziologie.08.06.04.03.21
2.Historie.02.03.04.04.13
3.Politik.03.08.15.11.37
4.Geographie.01.03.00.02.07
5.Psychologie.01.00.00.00.01
6.Ökonomie.00.16.01.03.21
7.Sonst..00.00.00.00.01
Gesamt.15.36.25.251.00

(Annäherungswerte durch Abrundung)

Die allgemeinen Lernziele benutzen mit bestimmten Fachtermini stets bestimmte fachspezifische Theorien und stellen damit bereits bestimmte Relationen in der Wirklichkeit her (Rolle, Autoritätsfixierung, Triebsublimierung, Schicht, Klasse, öffentliche Armut - privater Reichtum). Die linguistische Analyse legt zudem auch die Zeitreferenz der Lernzielformulierungen dar: In den Tempusmorphemen wird auf öffentliche Zeit Bezug genommen (30). Zeitreferenz ist mit den Formen der Sprache gegeben und erzeugt mit und in der Sprache jene Narrativität, die die Geschichtswissenschaft zu ihrem Metier gemacht hat. Weder in der Wahl der Termini noch in der Sprachstruktur entrinnen die Lernzielformulierungen den fachspezifischen Denkweisen. Die Begriffe, obwohl sie "nichts anderes sein wollen als die Abbreviaturen je vorfindlicher Tatsachen" (31), sowie die ~h den Morphemen der Sprache implizierte Zeitreferenz verkünden auch dann noch ihre Fachlichkeit, wenn deren Benutzer nicht wissen will, was er tut. So bleibt in den allgemeinen Lernzielen unweigerlich, wenn auch ihren Verfassern nicht bewußt, die epistemologische Struktur der Wissenschaften präsent. [/S. 364:]

 

3.3 Lernfelder

Der Vorschlag der Curriculumtheorie, von Lebenssituationen oder Lernfeldern auszugehen, birgt für die ungelöste Integrationsproblematik noch ungenutzte Möglichkeiten, da sich hier für die einzelnen Fächer gemeinsame Bezugsrahmen anbieten. In der didaktischen Literatur ist dieser Ansatz aber bisher in einer Weise aufgegriffen worden, die die unauflösbaren Zusammenhänge von Lernfeldern und Wissenschaftsdisziplinen vernachlässigte. Der Begriff des "Lernfeldes" beinhaltet, daß die Anordnung der Unterrichtsinhalte nicht nach den in den Fächern dominierenden Darstellungsweisen und -formen erfolgt, sondern nach denjenigen Feldern, "wo und wie Schüler Gesellschaft erfahren" (32). Die Unterrichtsinhalte sollen aus der Systematik und Anordnungsweise der einzelnen Unterrichtsfächer herausgelöst und in "Lebenssituationen" angeordnet werden. Aber auch hier haben die vorliegenden Lernzielentwürfe die Rechnung ohne die Fachdisziplinen gemacht. In den einzelnen Lernfeldern der hessischen Rahmenrichtlinien (Sozialisation, Öffentliche Aufgaben, Wirtschaft, intergesellschaftliche Konflikte) sind die einzelnen Fachdisziplinen unterschiedlich stark vertreten (33). Die Lernziele, die diese Lernfelder konkretisierend umschreiben sollen, spiegeln Terminologie und Fragestellung der Fachdisziplinen in einer bestimmten gewichteten Weise wider. Im Lernfeld "Sozialisation" dominiert die Soziologie. 53 % aller soziologischen Begriffe, Theoreme und Fragestellungen befinden sich in diesem Lernfeld. Entsprechendes ist in den anderen Lernfeldern zu finden. Im Lernfeld "Wirtschaft" dominiert die Ökonomie, im Lernfeld "Öffentliche Aufgaben" die Politologie und im Lernfeld "Intergesellschaftliche Konflikte" ebenfalls die Politologie. Der Assoziationszusammenhang, der sich bei den Verfassern der Richtlinien zwischen Lernfeld und Disziplin einstellt, ist offensichtlich. Das belegt die Auffächerung der Fachaspekte nach Lernfeldern: [/S. 365:]



Lernfeld
AspekteIIIIIIIVGes.
1.Soziologie.53.15.16.14.21
2.Historie.14.07.17.17.13
3.Politik.19.23.60.45.37
4.Geographie.08.08.02.09.07
5.Psychologie.06.00.00.02.01
6.Ökonomie.00.45.05.13.21
7.Sonst..00.01.00.02.01
Gesamt1.001.001.001.001.00

(Annäherungswerte durch Abrundung)

Nicht nur innerhalb der Lernfelder schlägt die Fachlichkeit wieder durch. Die Lernfelder selbst sind weitgehend disziplinär erzeugt. Die Lernfelder, die bisher vorgeschlagen wurden, sind keineswegs disziplinlose Wirklichkeitsbereiche, obwohl sie es dem Anspruch nach sein sollten, sondern sie sind selbst Wissenschaftsdisziplinen. Sozialisation z. B. ist weniger ein Lernfeld, als eine sich gegenwärtig durchsetzende Forschungsrichtung, die alle Chancen hat, sich als Disziplin dauerhaft zu institutionalisieren. Ebenso sind die "Intergesellschaftlichen Konflikte" kein disziplinfreies Lernfeld, sondern eine sich aus der Politologie aussondernde Teildisziplin. Internationale Beziehungen sind "heute zum Erkenntnisgegenstand einer weitgehend anerkannten wissenschaftlichen Disziplin geworden" (34). Diese Befunde legen den Schluß nahe, daß die Konzeption von Lernfeldern nicht so sehr auf dem Versuch einer Integration von Fachdisziplinen beruht, sondern sich von der Zielsetzung leiten läßt, in den Unterricht neue, modernere disziplinäre Frageweisen einzubeziehen. Die vorgestellten Lernzielraster ergeben sich folglich nicht aus einer Integration der traditionellen Fächer durch disziplinfreie Lernfelder. Das Design der neuen Lernfelder resultiert vielmehr [/S. 366:] daraus, daß die Ergebnisbestände der klassischen Fächer, Erdkunde, Geschichte und Sozialkunde mit den Fragestellungen von neueren Disziplinen (z. B. Sozialisationsforschung und Internationale Beziehungen) analysiert werden, um ihnen andere Akzentuierungen abzugewinnen. Dadurch werden den traditionellen Wissensbeständen zweifellos neue Erkenntnisse abgewonnen; den disziplinär gebundenen Sichtweisen kann aber auch so nicht entgangen werden.

 

4. Integration durch Eigenständigkeit

Der Entwurf eines schlüssigen Integrationskonzeptes wird nur gelingen, wenn die Auswahlfrage gleichzeitig mitthematisiert wird. Ein Denken vom Output des Forschungsprozesses her, das fertige disziplinäre Inhaltssysteme zusammenzufassen sucht; erweist immer mehr seine Unzulänglichkeit. Da nun, wie ich aufzuzeigen hoffte, Wissenschaft um Wissenschaft zu sein, sich nicht notwendigerweise auf separate Gegenstände richten muß (separat von den anderen Wissenschaften wie von der Lebenspraxis), spricht kein Argument dagegen, daß sich die einzelnen Wissenschaften und Unterrichtsfächer mit ihren eigenständigen Frageweisen nicht auf die gleichen gesellschaftlichen Probleme der Gegenwart richten können. Für das Fach Geschichte bedeutet das allerdings die didaktische Abkehr von traditionellen fachwissenschaftlichen Forschungsprioritäten. Ein didaktisches Konzept für Integration wird sich auf die drei Elemente "Problem", "Frage" und "Gegenwart" stützen müssen.

 

4.1 Problem und Problemzusammenhang

Unter einem "Problem" ist ein Ereignis zu verstehen, das in Widerspruch zur Erwartung tritt. Erst dadurch, daß ein Ereignis einer sozialen Norm widerspricht, eine Erwartung enttäuscht oder eine erwartete Regelmäßigkeit durchbricht, wird aus diesem Ereignis ein Problem. Die Existenz eines Systems von normativen Erwartungen gibt den Hintergrund ab, auf dem ein Ereignis zu einem Problem werden kann - vor dem ein Ereignis fragwürdig wird. Das Auftauchen von Problemen ist deshalb an Voraussetzungen gebunden: [/S. 367:] Erwartungen, Normen, Soll-Werte, Regelmäßigkeiten, Vorstellungen vom "guten Leben" etc. Obwohl einerseits die Probleme von Erwartungen abhängen und andererseits ein für alle gemeinsamer Erwartungsrahmen nicht existiert (er könnte nur gewaltsam hergestellt werden), ist durch die auf das Problem gerichteten Lösungsstrategien eine Konsensfähigkeit in der Problembenennung gegeben. Die Voraussetzung für einen möglichen Konsens im Prozeß der Problembenennung ist die Tatsache, daß Probleme Problemlösungen erfordern. Geht man von zwei unterschiedlichen Erwartungsrahmen aus, so kann ein bestimmtes Ereignis in einem dieser Rahmen als "normal" und im anderen Rahmen als "problematisch" gelten. Innerhalb des Erwartungsrahmens, in dem das Ereignis ein Problem darstellt, werden Lösungsvorschläge gemacht, die den Widerspruch zwischen Erwartung und eingetretenem Ereignis aufheben sollen. Diese Lösungsstrategie wird für den anderen Bezugsrahmen zum Problem, da sie die "Normalität" des Ereignisses in Frage stellt. Der Lösungsvorschlag stellt für den zweiten Erwartungsrahmen ein Ereignis dar, das seinen Erwartungen zuwiderläuft. Für den einen Erwartungsrahmen stellt das Ereignis ein Problem dar, für den anderen wird das Ereignis des Lösungsvorschlages zum Problem. Beide Bezugsrahmen könnten sich darüber verständigen, daß die Konstellation von Ereignis und Lösungsvorschlag für beide ein Problem darstellt: Das Verfahren des freien Zuganges für jeden zu öffentlichen Ämtern wurde in dem Moment für Vertreter der staatlichen Administration zum Problem, als aktuelle Einstellung und bisherige Lebensgeschichte der Bewerber nicht mehr ihren Erwartungen entsprachen. Ihre Lösungsstrategie bestand aus "Einstellungs"gesprächen und faktischen Berufsverboten. Für weite Teile der demokratischen und liberalen Öffentlichkeit ist dieses Vorgehen eine nicht mit den demokratischen Grundsätzen zu vereinbarende Praxis. Dieser Ereigniskomplex, für den sich (auch international) der Begriff "Berufsverbot" eingebürgert hat, stellt sowohl für den Befürworter wie für den Gegner dieser Praxis ein Problem dar. [/S. 368:] Mit der Benennung von Problemen als Ausgangspunkt didaktischen Handelns ist keineswegs eine bestimmte Problemlösung verbunden. Das Problem erlaubt uns aber, Fragen zu stellen - disziplinäre wie auch praktische, nach Handlungsanweisung suchende Fragen. Die unterschiedlichen Antworten geben die Wissenschaften sowie die an dem Problem beteiligt Handelnden. Multidisziplinarität und Multiperspektivität haben hier - nach der Problembenennung - ihre methodische Berechtigung. Das Problem als gesellschaftlich-praktische Angelegenheit motiviert uns, Fragen zu stellen. Wenn ein Ereigniskomplex intersubjektiv als Problem benannt ist, nimmt das Problem einen anderen Status an. Es wird zu einem Denkobjekt. Dieser Statuswechsel ist für die Dialektik von Theorie und Praxis, für den Zusammenhang von praktischem Handeln und fachspezifischen Denkweisen von Bedeutung. Insofern muß es genauer heißen: Gesellschaftlich-praktische Probleme werden durch die intersubjektiv gestellten Fragen der Forschenden zu einem theoretischen Problem. Das gesellschaftlich-praktische Problem kann unmittelbar praktisch gelöst oder zu lösen versucht werden. Es kann aber auch im Praxisvollzug innegehalten und das praktische Problem in den Reflexionshorizont der Handelnden gehoben werden. Das Handeln wird aufgeschoben, und es wird nachgedacht. Das praktische Problem ist damit zu einem Denkobjekt geworden, zu einem theoretischen Problem, das theoretisch-intellektuell bewältigt werden muß, ehe wieder gehandelt wird. Ohne Reflexion wird Praxis hilfloses Probieren, und ohne Praxis bleibt Reflexion abstrakte Neugier. Gesellschaftlich-praktische Probleme fallen nicht in die Kompetenz einer einzigen Disziplin. "[S]ie dürfen nicht zur Domäne einer Wissenschaft ... werden" (35). Indem das praktische in ein theoretisches Problem übergeführt wird, treten die Wissenschaften hinzu, da Probleme durch die Konstitutionsleistungen der fachspezifischen Fragestellungen zu Denkobjekten werden. Praktische Probleme sind ungefächert; theoretische Probleme sind disziplinär gebunden, d. h. disziplinär konstituiert und mit disziplinären Methoden bearbeitbar. Nichtdisziplinäre Realität kann nur fachdifferenzierend analysiert werden. [/S. 369:] Wenn praktische Probleme über den Weg des Denkobjektes disziplinär bearbeitet werden, könnte durch die Selbstorientierung der einzelnen Didaktiken der politischen Bildung auf gegenwärtige Probleme ein fruchtbarer Ansatz zur Integration gemacht und die Perspektive für ein integriertes Curriculum eröffnet werden. Durch die Verständigung der Vertreter der Fachdidaktiken über die gegenwärtigen praktisch-politischen Probleme, ihre Auflistung und ihre Anordnung nach didaktischer Dringlichkeit und zeitlich-methodischer Abfolge wäre der erste Schritt für eine Integration gegeben. Die einzelnen Disziplinen, vertreten durch Hochschuldidaktiker und Fachlehrer - denn diese Art der Kooperation ist auf jeder Ebene möglich -‚ müßten angeben können, ob und was sie zu diesen Problemen zu fragen und zu sagen hätten und welchen Stellenwert das Gesagte in ihrer Wissenschaft hat. Daß dieses Vorgehen Erfolg verspricht, belegen die interessanten Beiträge, die die Geographiedidaktik in letzter Zeit zu den gegenwärtigen praktisch-gesellschaftlichen Problemen erbringt. Umweltbelastung durch Kernkraftwerke, Strukturveränderung von Dorfkernen durch Gastarbeiter, Zechensanierungen im Ruhrgebiet, Veränderung der Kulturlandschaft durch die industrielle Revolution, Planungsfragen, Einfluß von Raumbedingungen auf die Sozialisation sind einige der Themen (36). Dagegen wirken die curricularen Vorschläge der Didaktik der Geschichte noch etwas betulich. Es werden häufig nur die modern arrangierten traditionellen Themen angeboten. Würde das oft zitierte Postulat, die Geschichte nach Maßgabe des Möglichen (!) gegen den Strich zu bürsten, realisiert, kämen andere Schwerpunkte in den Blick: Einführung neuer Technologien und Gutachterprognosen am Beispiel Eisenbahnbau, Polen als "Gastarbeiter" im Ruhrgebiet des 19. Jahrhunderts, Bau von Zechenkolonien und Anwerbepraxis, die Rationalisierungsbewegung in der Weimarer Zeit, ökonomische und politische Macht - das Beispiel Fugger, Jugendarbeitslosigkeit in den 30er Jahren, Terrorismus und politischer Mord, Formen des sozialen Protestes (37), "Frauenunterdrückung und Frauenbefreiung bei den Römern" (38). Die Didaktik der Geschichte würde sich auf diese Weise [/S. 370:] explizit an der Gegenwartsbezogenheit orientieren anstatt an traditionellen - inzwischen aber auch nicht mehr unangefochtenen - fachwissenschaftlichen Forschungsprioritäten.

 

4.2 Wissenschaft und Alltagswissen

Die Präpotenz der Fachwissenschaft und deren im doppelten Sinne isolierende Funktion in der Bestimmung von Unterrichtsinhalten hat in besonderem Maß bei didaktisch sensiblen Richtlinienverfassern und Lehrern zu einer in dieser Form nicht haltbaren Abwendung von den Wissenschaften geführt. Die diffizilen Zusammenhänge von Wissenschaft und Alltagswissen wurden nicht beachtet - oder nur unter dem Aspekt einer Manipulation des Alltagswissens durch die Wissenschaften gesehen. Es soll keineswegs bestritten werden,, daß eine Korrumpierung des Alltagswissens durch die Wissenschaften erfolgen kann und auch erfolgt. Darüber dürfen aber nicht die weiteren Aspekte des Zusammenhangs übersehen werden. Wissenschaft hat sich historisch aus Alltagswissen und Alltagsproblemen entwickelt. Ihre Denk- und Argumentationsweise ist allerdings rationaler und methodischer, da sie sich besserer Beobachtungstechniken und stringenterer Argumentationsweisen bedient. Trotz aller vorhandener esoterischer Forschung ist Wissenschaft auch gegenwärtig die rational-methodische Fortsetzung des Alltagsverständnisses. Fragen nach Genese und Wirkung, Zusammenhängen, nach Ursachen und Prognosen von und über gesellschaftliche Sachverhalte werden nicht nur in den Wissenschaften gestellt. Wir müssen in der Didaktik vielmehr davon ausgehen, daß Schüler immer schon strukturell das tun, was die politische Bildung in der Schule ihnen erst beibringen will. Die Beharrlichkeit und Folgerichtigkeit der Fragen des Alltagsverständnisses zu erhöhen - das ist ein Ansatzpunkt für die Didaktik der politischen Bildung. Auch die meisten erklärungsbedürftigen Phänomene haben Wissenschaft und Alltagsverständnis gemeinsam. Wenn Wissenschaft in problematisierter Erfahrung ihren Ursprung hat, aber dann nur in spezialisiertem Vorgehen mit rationalen und höchst kom[/S. 371:]plexen Techniken Ergebnisse erbringen kann, stellt sich das Problem der Rückübersetzung der Forschungsergebnisse in eben dieses Alltagsverständnis. Es zeigt sich immer deutlicher, daß spezialisierte Kenntnisse nur unter Schwierigkeiten in die unspezialisierte Praxis umgesetzt werden können. Läßt man alles Wissenschafts-Wissen ungeordnet, ungefiltert und unkoordiniert auf das Alltagsverständnis von Nicht-Wissenschaftlern zurückwirken, so ist dieses Wissen keine Hilfe, sondern eher eine Belastung, die das Problem, das eigentlich durch dieses Wissen aufgeklärt werden sollte, noch unerkennbarer macht. Hier liegt ein zweiter Ansatzpunkt für die Didaktik. Ein weiterer - systematischer - Gesichtspunkt des Zusammenhangs von Alltagswissen und Wissenschaft bildet die Struktur und die Historizität der Alltagssprache. Thomas S. Kuhn hat auf die Theorieabhängigkeit der Beobachtungssprache hingewiesen (39). In der Beobachtungssprache, derer wir uns in der Wissenschaft wie im Alltag bedienen, sind immer schon theoretische Vorannahmen eingeschlossen, die in der Realität bestimmte Relationen herstellen. Ohne diese Theorieelemente werden diese Relationen der Realität nicht entdeckt. Nicht jedes Theorieelement ist schon immer in der Beobachtungssprache enthalten gewesen. Es wurde vielmehr zu einer bestimmten historischen Zeit in sie aufgenommen (z. B. das Naturrecht oder das Theorem von der nivellierten Mittelstandsgesellschaft). Das Eindringen neuer Theorieelemente in die Beobachtungssprache erzeugt "Wahrnehmungsverschiebungen" (40). Nach solchen "Umwandlungen des Sehbildes" (41) wirken diese Theoreme ihrerseits wieder als beharrende und resistente Momente gegen neue Sichtweisen. Der Physiker Thomas S. Kuhn hat hierin die Feststellungen der Soziologen Max Horkheimer und Erich Fromm über die historische Geform[t]heit des menschlichen Wahrnehmungsapparates bestätigt. Die in der Umgangssprache impliziten fachwissenschaftlichen Paradigmen und Theoreme sind unverzichtbar für sozialwissenschaftliche Erkenntnis. Wir besitzen in der Alltagssprache ein Wissen über Aspekte menschlichen Verhal[/S. 372:]tens, das nicht direkter sinnlicher Erfahrung zugänglich ist. Eine Intention ist z. B. kein direkt beobachtbares Element einer Handlungssequenz. Aussagen über gesellschaftliche Sachverhalte sind nur durch kommunikative und nicht (allein) durch sensorische Erfahrung möglich. Die fachwissenschaftlichen Begriffe der einzelnen Sozialwissenschaften lassen sich nicht unmittelbar durch sensorische Wahrnehmung aneignen. Sie sind nur ein Begriffsapparat, der mehr oder minder gut gehandhabt werden kann. Erst die Anwendung des Begriffs "Konflikt" auf ein Bündel menschlicher Handlungen und Äußerungen nach bestimmten Zuordnungsregeln führt zu der Erkenntnis, daß ein Konflikt vorliegt. Die Kombination von theoretischen Annahmen und "ouvertem Verhalten" (Mandelbaum) erlaubt es erst, Aussagen über gesellschaftliche Sachverhalte zu machen. Gesellschaftliche Ereignisse und Probleme sind nicht ausschließlich direkter, sondern nur theoriegeleiteter Beobachtung zugänglich. "Relative Deprivation", "Einstellungen", "Schichtung" und "Klasse" oder "Revolution" und "Feudalismus" sind in das Alltagsverständnis aufgenommene fachwissenschaftliche Begriffsbildungen. die eine bestimmte Theorie implizieren.

 

4.3 Fragestruktur

Probleme müssen in Fragen umgesetzt werden. Die Frage ist offen für alternative Antworten, sonst wäre sie keine Frage mehr. Sie leitet den Prozeß der Erkenntnisgewinnung ein, ohne das Ergebnis zu präjudizieren. Wenn auch die Frage selbst auf keine spezielle Antwort festgelegt ist, so richtet sie sich doch auf eine bestimmte Klasse von Antworten, in deren Rahmen eine sinnvolle Antwort möglich ist. Wenn die Beziehung zwischen Frage und Antwort in diesem Sinne offen ist, können Fragen weder wahr noch falsch sein. Diese Prädikate kommen nur den Voraussetzungen der Fragen zu; sie selbst können nur sinnvoll oder sinnlos sein. Der Zusammenhang von Fragerichtung und jener Klasse von Antworten, innerhalb deren eine sinnvolle Antwort gefunden werden kann, gibt das Begründungsprinzip einer Disziplin ab. Eine prinzipiell gleichbleibende Fragerichtung, die [/S. 373:] sich bestimmter Methoden bedient, institutionalisiert sich als Wissenschaft. Die Fragerichtung ist deshalb als die "kognitive Ausdrucksform unseres jeweiligen Interesses an der Welt" (42) anzusehen. Die Frage ist ihrer Struktur nach durch Offenheit und Informationsbedürfnis gekennzeichnet. Ihr Wesen ist "das Offenlegen und Offenhalten von Möglichkeiten" (43). Linguistisch gewendet heißt das: "Die Frage ist gegenüber der Antwort, die auf sie folgt, ein Weniger an Information, nicht etwa ein Nichts an Information" (44). Um eine Frage stellen zu können, muß man folglich immer schon etwas wissen. Diese hermeneutische Implikation erfordert als Bedingung der Möglichkeit, Fragen zu stellen, empirisches Vorwissen. Wir wissen weder alles, noch sind wir unseres Wissens gewiß. Wir stellen Fragen, wenn wir uns eines Sachverhalts nicht sicher sind. Insofern ist eine Frage immer auch Zeichen mangelnder Gewißheit. Die Fähigkeit, Fragen zu stellen, ist nicht vorgegeben, sondern muß gelernt werden. Entsprechend den unterschiedlichen Fragerichtungen und den verschiedenen Fragestellungen sind es jeweils andere Sozialisationskontexte, in denen die Fähigkeit, Fragen zu stellen, erworben wird. Die sozialisationstheoretisch fundierte Fachdidaktik wird hier ansetzen müssen, um den Zusammenhang von Lebenspraxis und Erkenntnisweisen in einem organisierten Lernprozeß herzustellen. In den einzelnen erlernbaren Fragen sind formale und inhaltliche Kategorien enthalten (45). Die fundamentalsten wie "Zeit", "Raum" und "Quantität" (wann? wo? wieviel?) ebenso, wie die spezialisiertesten: "Gewordenheit", "Verstehbarkeit", "Rechtfertigung", "Identität" usw. Fachspezifische Fragen implizieren fachspezifische Kategorien. Eine Wissenschaft lernen heißt, ihre grundlegenden Kategorien in Form von Fragen auf die Realität anzuwenden, um sich der Aussageintention dieser Disziplin zu vergewissern. Beim Erlernen einer Wissenschaft ist es nicht von Interesse, daß der Fragende überhaupt eine Antwort erhält, sondern daß er eine Antwort auf seine spezifische Frage erhält. "Zu fragen verstehen heißt verstehen lernen, was zugehörige von unzugehörigen Antworten unterscheidet" (46). [/S. 374:] Die hier vorgenommene Betonung des Fragecharakters von Wissenschaft und Alltagswissen ist nicht allein für eine Theorie der Didaktik der politischen Bildung von Interesse, sondern hat eminente praktische Konsequenzen für die Unterrichtspraxis wie für die Konzeption von Schulbüchern: Das Erlernen von kategoriengesättigten Fragen ist die Voraussetzung für prozeßorientierten und schülerzentrierten Unterricht. Der Schüler muß in die Lage versetzt werden, die unterschiedlichen Frageweisen anzuwenden: Was bedeutet die quantifizierend-statistische Argumentationsweise bei der Untersuchung des Problems "Kernenergie"? Welchen Aussagewert haben mit statistischen Methoden errechnete Sicherheitsrisikos und statistische Prognosen? Welche Erfahrungen machte man in der Vergangenheit mit der Einführung neuer Technologien? Welche Motive und Interessen begleiteten sie? Welche neuen Arbeitsplatze schufen und welche vernichteten sie? Läßt sich dieser Vorgang quantifizieren? Wie legt man eine empirische Befragung an, und wie aussagekräftig ist sie? Ist eine Antwort immer eindeutig richtig oder vielleicht auch ihr Gegenteil? Wie muß man nach standortrelevanten Faktoren fragen? ... Die dieser Unterrichtskonzeption entsprechenden Schulbücher müßten konsequent von explizit ausgewiesenen - auch im grammatikalischen und linguistischen Sinne - Fragestellungen ausgehen, um beim Schüler einen Frage-, Denk- und Untersuchungsprozeß in Gang zu bringen, an dessen Ende ein stets revisionsbedürftiger Entscheidungsakt steht. Einer solchen Konzeption widersprechen diejenigen Schulbücher und Unterrichtsmaterialien, die sich nur formal und rhetorisch der Frage bedienen. Ihr folgt dann stets die "richtige" Antwort in Form eines "Merke". Die subtilere Variante dieser entmündigenden und affirmativen Konzeption versteckt den Merksatz im Lehrerbegleitheft. Alternativ dazu steht der um Erkenntnisweisen zentrierte Ansatz: Im selbstbestimmten und selbstbewußten Umgehen mit fachspezifischen Frageweisen und Methoden können Schüler ungefächerte gesellschaftlich-praktische Probleme in ein je eigenes Problembewußtsein umsetzen. [/S. 375:]

 

5. Kooperation, Integration, Eigenständigkeit

Kooperation, Integration und Eigenständigkeit sind nach der öffentlichen Diskussion der letzten Jahre als analytische Kriterien soweit abgeschliffen, daß sie zu partei- und standespolitischen Kampfbegriffen geworden sind. Sie bezeichnen aber nicht die unterschiedlich starke Verschmelzung von Fächern, sondern sie beziehen sich auf verschiedene Ebenen. Kooperation ist die Zusammenarbeit unterschiedlicher Personen. Es arbeiten Träger verschiedener Berufsrollen zusammen, die ihre Rollen in unterschiedlichen Sozialisationskontexten und Sozialisationsprozessen erworben haben. Diese Sozialisationskontexte (= Wissenschaften) beruhen weithin auf einer organisatorischen Abschottung voneinander. Die gelungene Berufsrolle ist gerade dadurch definiert, daß man sich von den anderen Kontexten aktiv absetzt (Verbot der theoretischen "Spekulation" in der Geschichtswissenschaft, Warnung vor "Soziologisierung", Verbot des hermeneutischen Verfahrens in den empiristischen Disziplinen etc.). Unabhängig davon, ob man die gerade praktizierte Arbeitsteilung für sinnvoll hält oder nicht, kommt man nicht um die Anerkennung wissenschaftlicher Arbeitsteilung überhaupt herum. Eine auf dem Verzicht der wissenschaftlichen Arbeitsteilung beruhende Integrationskonzeption muß unweigerlich wissenschaftliche Kompetenz in dilettierenden Common-sense überführen. Voraussetzung für Integration ist aber, daß verschiedene Personen unterschiedlicher wissenschaftlicher Kompetenz auf der Grundlage einer systematischen Gesellschaftsanalyse, die in der Lage ist, die verschiedenen gesellschaftlichen Probleme zu benennen, kooperieren. Im nächsten Schritt müssen dann die einzelnen Disziplinen ihren eigenständigen Frageweisen folgen können. Aus dem Gesagten ergibt sich die Abschlußthese: Die Begriffe "Kooperation", "Integration" und "Eigenständigkeit" stellen keine Alternativen oder graduellen Abstufungen dar. Die Problematiken, die diese Begriffe bezeichnen, sind [/S. 376:] auf verschiedenen Ebenen verortet: Kooperation bezeichnet das kommunizierende Zusammenarbeiten von Personen unterschiedlicher Fragerichtungen, die wissenschaftstheoretisch legitim distinkten Frageweisen setzen deren Eigenständigkeit voraus, und Integration bezieht sich auf das Problem- und Lösungswissen, das aus diesen Frageweisen, die ihre Impulse aus einer als problemhaltig begriffenen Gegenwart beziehen, resultiert.

 

Anmerkungen

(1) Zur besseren Darstellung der grundsätzlichen Probleme benutze ich die Begriffe "Integration" und "politische Bildung" im eingeschränkten Sinne:

  • Die Frage nach der Zusammenlegung und Zusammenarbeit von Unterrichtsfächern (Integrationsproblematik) beschränke ich der besseren Übersicht wegen auf drei Fächer: Geschichte, Geographie und Sozialkunde.
  • Da es eine Zweiteilung in politisch bildsame und unpolitische Fächer nicht gibt, also alle Fächer zur politischen Bildung beitragen, spreche ich, wenn nur die Fächer Geschichte, Geographie und Sozialkunde gemeint sind, von "politischer Bildung im engeren Sinne".

(2) Conze, Werner (1973), S. 16; Teppe, Karl (1976), S. 36.

(3) Schwarz, Richard (1974), S. 63.

(4) Daß Zukunft auch für die Geschichtswissenschaft eine erkenntnisleitende Kategorie ist, habe ich zusammen mit Klaus Bergmann an anderer Stelle gezeigt: Bergmann, Klaus; Pandel, Hans-Jürgen (1975).

(5) Fitterling, Dieter (1973), S. 223 ("Anmerkungen und Argumente" Bd. 6) [/S. 377:].

(6) Habermas, Jürgen (1976); Eder, Klaus (1976); Messelken, Karlheinz (1977).

(7) Waldmann, Peter (1971); Luhmann, Niklas (1973); Revers, Wilhelm Josef (1964); Barndt, Robert J. and Johnson, Donald M. (1955).

(8) Das Problem des scheinbar paradoxen Zusammentreffens von falschem Selbstverständnis und richtiger praktischer Verfahrensweise bei manchen Wissenschaftlern kann hier nicht erörtert werden.

(9) Koselleck, Reinhart (1972), S. 13

(10) Schaefer, Fred K. (1970), S. 52.

(11) Bartels, Dietrich (1970), S. 34.

(12) Hofmann, Werner (1969), S. 50.

(13) Lucas, Friedrich J. (1972a), S. 157.

(14) Himmerich, Wilhelm (1970), S. 78 ff.

(15) Pöppel, Karl-Gerhard (1976), S. 183.

(16) Holtmann scheint diesen Ansatz zu verfolgen, vgl.: Holtmann, Antonius (1977)

(17) Koppe, Franz (1976), S. 259.

(18) Oelkers, Jürgen; Riemer, Holger-Jens (1974), S. 90.

(19) Habermas, Jürgen (1973), Nachwort S. 378.

(20) Die Substratfrage, welche Realität den Ergebnissen geistiger Operationen zukommt, kann in diesem Rahmen leider nicht diskutiert werden.

(21) Lucas, Friedrich J. (1965a)

(22) Lucas, Friedrich J. (1972b), S. 226.

(23) ebenda

(24) Lucas, Friedrich J. (1965b), S. 285.

(25) vgl. dazu: Rüsen, Jörn (1976) und Koselleck, Reinhart; Mommsen, Wolfgang J.; Rüsen, Jörn (1977).

(26) Pandel, Hans-Jürgen (1975).

(27) Mandelbaum, Maurice (1975).

(28) In den allgemeinen Lernzielen lassen sich bis zu 4 fachspezifische Elemente feststellen.

(29) Diese Ergebnisse sind kein Spezifikum der Hessischen Rahmenrichtlinien Gesellschaftslehre. Die gleichen Befunde lassen sich bei der Analyse des "Grundkurses" von Rheinland-Pfalz feststellen.

(30) Wunderlich, Dieter (1970).

(31) Adorno, Theodor W. (1969), (Sammlung Luchterhand 1972), S. 39.

(32) Der Hessische Kultusminister (1973), S. 18. [/S. 379:]

(33) Dieser Tatbestand wird von den Verfassern der Richtlinien selbst angemerkt.

(34) Krippendorff, Ekkehard (1977), S. 27.

(35) Hentig, Hartmut von (1971), S. 861.

(36) Die Zusammenstellung der Themen erfolgte nach der Zeitschrift Geographische Rundschau.

(37) Thema von Heft 2, 3. Jg., 1977, der Zeitschrift Geschichte und Gesellschaft [13]. Die Themen der Beiträge dieser Zeitschrift lesen sich häufig wie eine Auflistung didaktisch relevanter gesellschaftlicher Probleme.

(38) Zum Problem "Frauenbefreiung" hat Bodo von Borries jetzt einen Aufsatz vorgelegt, der genau in die von mir avisierte Richtung weist. Hier wird deutlich, wie der durch Gegenwartsprobleme und disziplinäre Gebundenheit erzeugte Zusammenhang geradezu eine Ergänzung durch andere Disziplinen herausfordert: Borries, Bodo von (1977).

(39) Vgl. dazu: Kuhn, Thomas S. (1967).

(40) ebenda, S. 154.

(41) ebenda, S. 152.

(42) Beier, Christel (1976), S. 137.

(43) Gadamer, Hans-Georg (1960), S. 283.

(44) Weinrich, Harald (1966), S. 54.

(45) Zur Kategorienfrage vgl.: Mayer, Ulrich; Pandel, Hans-Jürgen (1976).

(46) Lorenz, Kuno (1970), S. 14.

 

Literatur

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Hinzufügung des Literaturverzeichnis sowie entsprechende redaktionelle Anpassungen der Anmerkungen durch sowi-online.


 
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