Die Ansicht besitzt eine gewisse Evidenz, wonach es in der Grundschule wenige Fächer geben sollte, deren Anzahl sich in der Mittelstufe und schließlich in der Oberstufe erhöhen muss. Auch ist mit zunehmendem Alter der Schüler diesen eine Wahlfreiheit einzuräumen. Aber bereits die neuerlich geführte Debatte um die Einführung des Computer-Unterrichts in der Grundschule und der vielerorts praktizierte Frühbeginn Englisch in Klasse 3 machen deutlich, dass eine Verfächerung auch vor der Grundschule nicht haltmacht. Dabei wird manchmal übersehen, dass es wegen der Limitierung eines Unterrichtstages zur Erosion älterer Inhalte kommt. Anzeichen mehren sich, die zur Besorgnis Anlass geben: es wird z.B. beklagt, dass die basale Alphabetisierung, eine unstrittige Aufgabe der Grundschule, nicht mehr überall und zufriedenstellend gelänge. Das Fach mit dem insgesamt höchsten Stundenanteil in der deutschen Schule, das Fach Mathematik, ist - glaubt man der TIMMS-Studie- nicht sonderlich effizient.
Während früher dem Gymnasium die Rolle der Wissenschaftspropädeutik zufiel, ist heute das gesamte gegliederte Schulwesen auf Wissenschaftsorientierung verpflichtet. Die Stundentafel der Hauptschule ist, abgesehen von der im Gymnasium obligatorischen zweiten Fremdsprache, eine Imitation der Gymnasialbildung. Dabei wird hartnäckig ignoriert, dass in der Hauptschule die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit abgrundtief ist, ja, dass selbst im Gymnasium die veränderte Schülerpopulation mit der zugemuteten kognitiven Wissensaneignung falsch bedient ist. Fauser u.a. haben bereits 1983 den Irrtum einer gymnasialen Leitkultur für alle anderen Schularten denunziert. Hurrelmann bemerkt:
"Von Bildungspolitikern aller Lager ungewollt, aber durch die Macht der Verhältnisse unaufhaltsam, herrschen in unserem Schulwesen als heimliche oder offene Zielmaximen Verwissenschaftlichung, Verfachlichung, Abstrahierung und individualistische Konkurrenzorientierung vor......." (Hurrelmann 1988)
Zwar gibt es im Fächerkanon der allgemeinbildenden Schule Angebote, die sich gegen eine wissenschaftliche Ableitung sperren, dazu gehören die Fächer Kunst, Sport, Musik und Arbeitslehre, ihr geringer Stundenanteil oder gar totale Wegfall bestätigen jedoch den Verdacht eines "Zwei-Klassen-Kanons". Die Beliebtheit der marginalisierten Fächer verhält sich übrigens umgekehrt proportional zu dem dürftigen Angebot, das Schüler vorfinden. In den Augen der Schulbürokratie und weiter Teile der Öffentlichkeit gelten "wissenschaftlich legitimierte" Fächer als höherwertig.
Es ist hier nicht der Platz, um die Überschätzung des Wissenschaftssystems als oberste Instanz für Schulcurricula zu hinterfragen. Verwiesen sei jedoch auf Luhmanns Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Funktionssysteme und die damit erkennbare Situation, dass Wissenschaft weder einen Führungsanspruch noch absolute Geltung beanspruchen kann. Das Rechtssystem beeinflusst Wissenschaft über Rechtsnormen, das Wirtschaftssystem limitiert Wissenschaft mit dem Rentabilitätsprinzip und das politische System lässt Wissenschaft nur nach Maßgabe von Opportunität zu. Den wissenschaftlichen Code selbst, der sich als wahr oder falsch etabliert hat, stellt Luhmann in Frage: Das Wahre sei oft nur mit der Krücke einer Ceteris-paribus-Klausel zu haben. (Luhmann 1990)
Man muss nicht mit dem neuen amerikanischen Präsidenten sympathisieren, der jenen Schulen aufhelfen will, die Darwins Evolutionstheorie als Irrlehre aus dem Unterricht verbannen, aber man muss darin erinnern, dass das weit fortgeschrittene Auflösungs- und Rekombinationsvermögen der modernen Wissenschaft keine Garantie für das Weltverstehen von Jugendlichen ist.
Mitte der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts entstand in der alten Bundesrepublik die Gründungsidee für eine integrierte Arbeitslehre. Als Zielgruppe waren ausschließlich Hauptschüler vorgesehen. Mindestens drei Einflussgrößen sind zu nennen:
In die Folgezeit fällt die Gründung von zahlreichen Gesamtschulen in der Bundesrepublik. Dieser Schultyp war gegenüber einer Arbeitslehre sehr offen, sah sich jedoch der Konkurrenz mit dem Gymnasium ausgesetzt, das bis heute die Arbeitslehre ablehnt. Die Lösung bestand für viele Gesamtschulen in einer Platzierung der Arbeitslehre im Wahlpflichtbereich, wo alternativ die zweite Fremdsprache gewählt werden kann. Die damit verbundene Selektion zwischen Kindern aus dem Bildungsbürgertum und dem Rest war vorprogrammiert.
Die normative Kraft des Gymnasial-Kanons hatten wir bereits erwähnt. Die für das Abitur prüfungsrelevanten Fächer werden nach langem Prozessieren in der KMK länderübergreifend festgelegt. Die Oberstufenreform des Gymnasiums brachte zwar eine Öffnung für weitere Fächer, der Pflichtkanon ist jedoch von einer solchen Mächtigkeit, dass von einer echten Profilbildung nicht gesprochen werden kann. Die Mittelstufe des Gymnasium ist, was die Fächerwahl angeht, extrem unflexibel. Weil nun Eltern und Schüler zumindest von Real- und Gesamtschulen oft die Option für einen Wechsel nach der 10. Klasse ins Gymansium offen halten wollen, ist die Stundentafel dieser Schulen gymnasialorientiert. Soviel zu einer gewiss groben Skizze des für Deutschland typischen, viergliedrigen Schulsystems. Beiläufig sei erwähnt, dass der fünfte, keineswegs zu vernachlässigende Schultyp, die Sonderschule für Lernbehinderte, nicht, wie vielleicht erwartet werden könnte, ein Konzept des ganzheitlichen Lernens verfolgt, sondern eine heimliche Verfächerung pflegt. So geschieht es, dass Schüler mit manifesten Lese-Rechtschreibe-Schwächen immer wieder eine Fünf im "Fach" Deutsch hinnehmen müssen und wegen der Bedeutungszuschreibung dieses Faches eine allgemeine Schulabstinenz entwickeln.
Die Durchsetzungsschwäche der Arbeitslehre hat jedoch noch andere als schulstrukturelle Gründe:
Mit der Akademisierung der Lehrerbildung war die Vormachtstellung eines verbalsymbolischen, literarischen Lehrstils verbunden. Am ehesten beherrschen noch Musiklehrer und Kunsterzieher das Handwerkliche ihrer Profession. Bereits Physik- und Chemielehrer sind nicht selten ungeübte Experimentierer, der Verwahrlosungszustand vieler Labors in den Schulen spricht für sich. Diese Feststellung sollte nicht missverstanden werden, denn hier ist nicht das Unterrichtshandwerk gemeint, welches die Hochschule an die nachgeschaltete schulpraktische Ausbildung zu delegieren gewöhnt ist. Nein, es geht um die Beherrschung instrumenteller Techniken durch den Lehrer, die unverzichtbar ist, wenn so etwas wie eine materielle Lernkultur (Ropohl) in den Schulen entstehen soll. Die Arbeitslehre hat es besonders schwer. Ihre materielle Basis ist in Universitäten nie so recht ernst genommen worden. Werkstattbezogene Ausbildungsteile sind vom Umfang her schmal und werden an Nichthochschullehrer delegiert. In den Hauptteilen des Studiums sind sie so gut wie gar nicht integriert. Was ist das Ergebnis dieser Ausbildungskonzeption? Die Junglehrer meiden Werkstätten - sofern solche in den Schulen vorhanden sind - und reden mit den Schülern über Arbeit anstatt zu arbeiten.
Als die Überführung der Altfächer "Werken", "Hauswirtschaft" "Textilarbeit" - rudimentär auch "Wirtschaftskunde" - in einen integrierten Lehrerausbildungsgang "Arbeitslehre" anstand, formierten sich die Bedenkenträger. Jeder halbwegs logisch urteilende Bürger sah die Notwendigkeit, einem integrierten Schulfach auch eine integrierte Lehrerausbildung folgen zu lassen. Nicht so die Lehrstuhlinhaber. In einigen Bundesländern war der Widerstand gegen die Arbeitslehre seitens der Hochschullehrer so stark, dass es gar nicht zu einem Schulfach Arbeitslehre kam, sondern es blieb bei den Partikularfächern. Und dort, wo das Fach Arbeitslehre qua Erlass der Schulbehörde eingeführt wurde, kamen die Hochschullehrer nur widerstrebend dem Anpassungsdruck nach. Das Paradebeispiel ist Berlin, wo es seit über dreißig Jahren eine integrierte Arbeitslehre in den Schulen gibt (geben sollte), wo es aber nur möglich ist "Technik/Arbeitslehre" bzw. "Haushalt/Arbeitslehre" usw. zu studieren. In der Hoffnung, dass von jeder teilqualizifierten Spezies wenigstens eine in der Schule auftaucht, erwartet man die Integrationsleistung im Praxisfeld. Das funktioniert natürlich nur sehr unvollkommen. Gleichwohl ist dieser Zustand graduell besser als die rigorose Fächertrennung und auch besser als die Duldung der Partikularfächer bei anempfohlener Kooperation - oft nur ein appellativer Gestus. Muss das so sein?
Spricht man mit Hochschullehrern, so hören wir handfeste ökonomische Argumente: drei Lehrstühle haben mindestens drei Sekretärinnen und drei studentische Hilfskräfte, ein integrierter Studiengang hätte möglicherweise von allem nur eins. Die Argumente reichen aber natürlich weiter, bis ins Zentrum des universitären Selbstverständnisses: Es gehe um Tiefe, nicht um Breite. Der Lehrer soll immer ein Beinahe-Wissenschaftler sein. Und die Lehramtsstudiengänge würden sowieso vom Establishment der Universität schief angesehen. Der Anteil der Fachdidaktik an einem Lehramtsstudiengang ist traditionell klein. Er ist auch nicht organisch mit der Fachwissenschaft verzahnt. Inzwischen gab es einen Generationswechsel bei den Lehrstuhlinhabern, und das Absterben der Partikularfächer wäre vorstellbar. Aber der Automatismus in den Ausschreibungsprozeduren sorgt für Kontinuität.
Gewiß, die Anfänge der Arbeitslehre fallen zusammen mit einer Fundamentalkritik der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Analysiert man die Sprache der Arbeitsgemeinschaft "Schule-Wirtschaft", so heißen dort die Tarifparteien "Tarifpartner", die Konkurrenten der Unternehmen heißen "Mitbewerber", es gibt ein "Unternehmerrisiko" aber kein Arbeitsplatzrisiko, zur "Betriebsgemeinschaft" wird verklärt, was im Alltag Interessengegensätze sind. In Arbeitslehre-Lehrplänen der Gründerzeit stand der forsche Satz, das Fach vertrete die "Interessen der abhängig Beschäftigten". Wer sich die Mühe macht wird feststellen, dass die Zeit der "Kathedersozialisten" in der Arbeitslehre - sofern es sie ernsthaft jemals gegeben hat, vorbei ist. Die heutige Arbeitslehre ist nicht wertindifferent, aber sie hat die Klassenkampfperiode längst hinter sich gelassen. Ein ehemaliger Sponti konnte Minister werden, was für die Liberalität unseres politischen Systems spricht, die Arbeitslehre aber behielt in bestimmten Kreisen den Makel der Arbeitgeberfeindlichkeit. Die Arbeitsgemeinschaften "Schule-Wirtschaft", der BDA und nahestehende Kreise haben mehr Sympathie für ein Schulfach Wirtschaft als für die ideologieverdächtige Arbeitslehre. Die didaktischen Argumentationslinien zählen da wenig.
Schaut man sich den Kostenplan einer Schule an, kommen zuerst die Lehrergehälter und dann eine ganze Weile gar nichts. Viele Fächer kommen mit Tafel und Kreide aus, ergänzt um einen verschlissenen Satz Lehrbücher. Ein Novum bildet die Spendierfreudigkeit bei der Computerausstattung. Eine zeitgemäße Ausstattung mit Arbeitslehre-Fachräumen war noch nie ganz billig, und die Kämmerer in der Schulverwaltung erschrecken über die Kosten. Langsam hat sich auch herumgesprochen, dass es mit einer einmaligen Investition nicht getan ist. Was jedem Kleinbetrieb selbstverständlich ist, Wartungskosten und gelegentliche Ersatzinvestitionen, ist im Schulmilieu gar nicht vorgesehen. Auch die ersten Computerfachräume sind bereits funktionsunfähig. Insgesamt soll die Kostenbarriere für die Einführung des Faches Arbeitslehre nicht überbewertet werden, aber sie existiert und bekommt zunehmend mehr Gewicht.
Eine Verfächerung des Unterrichts und die Überprüfung individueller Leistung fördern nicht unbedingt Sozialkompetenz. Die gegenwärtig vehement geforderte Einführung eines Schulfaches "Wirtschaft" nehmen wir zum Anlass, nach dessen Beitrag zur Steigerung der Sozialkompetenz zu fragen. Wenn es zutrifft, dass das Fach Politik in unseren Schulen vorrangig formales Wissen über demokratische Institutionen vermittelt, müsste in der Tat über eine Vitalisierung der "Polis" nachgedacht werden. In dem jüngst von der Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlichten "Kerncurriculum Ökonomische Bildung", das nach dem Willen der Autoren möglichst bald zu implementieren sei, treffen wir auf die sattsam bekannten Kreisschaubilder (Staat / Unternehmen / Private Haushalte / Ausland). Diese gruppieren sich um ein sinngebendes Zentrum, das natürlich soziale Marktwirtschaft heißt. Die vier "Wirtschaftssubjekte" werden in jeweils dreißig Stunden abgehandelt. Damit erhärtet sich der Verdacht, dass es beim Formalismus bleiben wird.
Weil das Fach Politik auf eine längere Tradition zurückblickt, fragen wir, wie es mit der Sozialkompetenz der Jungbürger bestellt ist. Dabei stellen wir fest, dass die Zahl der Nichtwähler ständig zunimmt. Und wir haben ein Problem, das manche nicht dramatisiert sehen wollen, das aber existiert: den Rechtsradikalismus. Den Bildungspolitikern fiel dazu noch nicht ein neues Fach ein, aber sie verordneten einzelne Unterrichtsveranstaltungen mit dem Thema "Rechtsradikalismus". Gleichzeitig wird das teilweise schon eingeführte Fach "Ethik" zum Hoffnungsträger.
Wir bezweifeln, dass ein Kerncurriculum der Konrad-Adenauer-Stiftung längerfristig die 250 000 überschuldeten Haushalte in der Bundesrepublik vermindern wird. Die Expertise von Piorkowsky für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in der Verarmungsgründe und Armutsprävention bei Privathaushalten analysiert werden, kommt zu einer Auffassung, die Arbeitslehre für pädagogisch adäquater hält als ein Fach Wirtschaft. (Piorkowsky 2000).
Man kann davon ausgehen, dass die Sozialwisssenschaften die grobschlächtigen Stratifikationsmodelle der Vergangenheit zu den Akten gelegt haben. Statt mit Unter-, Mittel- und Oberschicht haben wir es heute mit einem Pluralismus der Lebensstile zu tun. Für die Sozialwissenschaften ist dies eine Herausforderung, auf die auch mit differenzierteren Forschungsprogrammen geantwortet wird. Die Anschlussfähigkeit der Pädagogik wird davon abhängen, ob Lebensstile in der Schule gelernt werden können. Politische Partizipation, Arbeitsmarktorientierung, Konsumpräferenzen, ökologische Verantwortung, Technikverständnis und Gesundheit sind wesentliche Elemente eines Lebensstils. Sie sollten in ihrer Interdependenz für Schüler erkennbar u n d erprobbar werden. Eine Rücknahme der Verfächerung wäre die Konsequenz aus der geforderten Problemorientierung des Lernen. Probleme hören bekanntlich an Fächergrenzen nicht auf. Ein mit der Arbeitslehre abgestimmter Unterricht im Fach Politik könnte höchst effektiv sein, die Inthronisierung eines Faches Wirtschaft ist der Schritt in die falsche Richtung.
Fauser, P.; Fintelmann,K.-J.; Flitner, A. (Hg) (1983): Lernen mit Kopf und Hand, Weinheim.
Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation, Opladen
Hurrelmann, Klaus (1988): Schulische "Lernarbeit" im Jugendalter, in: Zeitschrift für Pädagogik, 6/88, S. 763f.
Konrad-Adenauer-Stiftung u.a. (Hg.) (2000): [1] Soziale Marktwirtschaft stärken - Kerncurriculum ökonomische Bildung , Sankt Augustin
Piorkowsky, Michael-B. (2000): [2] Verarmungsgründe und Armutsprävention bei Privathaushalten Univ. Bonn
Ropohl, Günter (1997): Plädoyer für eine integrierte Arbeits- und Techniklehre, in: Arbeit und Technik in der Schule Heft 9
Voelmy, Willi (1969): Polytechnischer Unterricht in der zehnklassigen allgemein bildenden polytechnischen Oberschule in der DDR seit 1964, Frankfurt am Main
Das Fach Wirtschaft oder Wirtschaftslehre steht seit Jahrzehnten sozusagen ante portas der Schulstuben. In einigen Fällen gelang ihm auch der Schritt über die Schwelle. Neuerdings ist der Terminus "ökonomische Bildung" als Fachbezeichnung verbreitet (so als sei ein Schulfach schon identisch mit Bildung). Die Auflistung derjenigen Bundesländer, Schularten und Klassenstufen, wo das Fach Eingang fand und wo es ausgesperrt, blieb ist in unserem Zusammenhang von nachgeordneter Bedeutung. Vielfach gelang es nicht, ein autonomes Fach zu implementieren und die Wirtschaftslehre ist Bestandteil der politischen Bildung, der Sozialkunde oder rudimentär des Faches Erdkunde. Damit sind natürlich die Fachvertreter, in erster Linie die Hochschullehrer in Lehramtsstudiengängen, nicht zufrieden. Von den drei Partikularfächern Haushalt, Technik und Wirtschaft hätte letzteres, so dürfen wir vorsichtig spekulieren, die größte Chance, in die Stundentafel der allgemeinbildenden Schule aufgenommen zu werden, wenn dort nicht bereits Gedränge herrschte. Ein solcher Bonus kommt nicht von ungefähr: Wirtschaftslehre hat nicht das diffuse Image der Mädchenbildung, welches das Fach Haushalt belastet, und es kostet nicht soviel wie das ausstattungsintensive Fach Technik. Zweitens hat Wirtschaftslehre eine relativ einflußreiche Lobby in Gestalt der Arbeitsgemeinschaften "Schule-Wirtschaft". Ob die "Vereinigung junger Unternehmer" oder andere Honoratioren des öffentlichen Lebens, sie sind sich einig, daß die jungen Menschen wirtschaftlich alphabetisiert werden müßten. Wie das zu geschehen habe, können viele nicht genau sagen, gefordert wird es allemal.
Wir fragen also zunächst nach dem Objekt der Lehre. Bei Lehrbuchweisheiten, denen zufolge Wirtschaft die Gesamthe). Dem Begriff Wirtschaft fehlt das real existierende Substrat, das bei der Technik die Artefakte sind, beim Haushalt die zumindest empirisch vorweisbaren Aktionseinheiten. Was aber ist Wirtschaft? Selbst wenn die oberste Modellebene verlassen wird, um die "Weltwirtschaft", die "Europäische Wirtschaft", die "Nationalökonomie", die "Betriebswirtschaft", die "Marktwirtschaft" usw. zu beschreiben, sind wir auf Modellkonstruktionen angewiesen.
Man muß immer wieder auf eine sehr triviale Erkenntnis verweisen: Schüler der Sekundarstufe I verbinden häufig mit "Wirtschaft" den Ort, wo der Vater am Samstagabend hingeht und mit "Markt" den Wochenmarkt oder den Supermarkt, je nach Konsumentengewohnheit. Gewiß, Schule muß immer mit vorwissenschaftlichen, oft naiven [/S. 182:] Deutungsmustern der Jugendlichen rechnen, die es fortzuentwickeln gilt. Bei der Wirtschaftslehre allerdings hat man den Eindruck, daß die Schüler in eine virtuelle Welt geführt werden, wo alles Sinn zu haben scheint, selbst die Paradoxien.
GERDSMEIER [3], der sich sehr differenziert zur schulischen Wirtschaftslehre äußert, bemerkt:
"...hat das Unbehagen vieler Ökonomen am 'Modellplatonismus der Ökonomie' - also an der Bescit aller Maßnahmen ist, um unter Knappheitsbedingungen die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, zögern wir schon. Uns fallen nämlich die Absatzschwierigkeiten ein, die die anbietende Wirtschaft hat und wir denken an die raffinierten Strategien, die zunehmend verfeinert werden, um dem Konsumenten Bedürfnisse zu oktroyieren. Verfechter eines Schulfaches Wirtschaft könnten wir damit nicht beeindrucken. Die Abweichungen von der reinen Lehre würden als besonders fruchtbares Moment im Bildungsprozeß definiert. Außerdem würden wir belehrt, daß Bedürfnisse nichts Statisches seien und Wirtschaft auch dazu da sei, Bedürfnisse zu stimulieren.
Erfreulicherweise gibt es in den Reihen der schulnahe denkenden Ökonomen und der Fachdidaktiker auch Stimmen, die Probleme mit dem Objektbereich einer schulischen Wirtschaftslehre haben. Die meisten berufen sich auf die schon klassische Kritik von
H. ALBERT am Modellplatonismus der Wirtschaftswissenschaften (ALBERT 1967 [3] häftigung mit Modellen, die aus prinzipiellen Gründen nichts über die Wirklichkeit aussagen können und deshalb weder wahr noch falsch, sonder gehaltlos sind und bleiben - bereits vor Jahren zu einer verstärkten 'Problemorientierung' in Forschung und Lehre geführt. Anstelle der alles dominierenden Fragestellung der Gleichgewichtsökonomik wurden Fragen der gesellschaftlichen Organisation wirtschaftlicher Prozesse, wirtschaftlicher Instabilitäten, der Einkommens- und Vermögensverteilung, globaler Armut, wirtschaftlicher Macht usw. zu leitenden und strukturierenden Kriterien. Diesen Fragen ist gemeinsam, daß mit ihnen nicht allein einem theoretischen Erkenntnisinteresse gefolgt wird, sonder i.d.R. außerökonomische Werte ausdrücklich in den Forschungsprozeß einbezogen werden."
(GERDSMEIER 1980 [3], S. 85, Hervorhebung: G.R.)
Ganz in diesem Sinne äußert sich auch LACKMANN 1996 [3] (auf dessen "Ökologisierung der Ökonomie" kommen wir noch zurück). Die von GERDSMEIER genannten außerökonomischen Werte, sind allesamt Bestandteil jedes modernen Lehrplans für Politik/Sozialkunde. Es wäre verfrüht, das Schulfach Wirtschaftslehre als überflüssigen Separatismus im Kontext der Diskussion über politische Bildung zu bezeichnen. Wir werden noch weitere Argumente sammeln müssen.
GERDSMEIER und auch LACKMANN [4] nennen drei Typen von wirtschaftsdidaktischen Konzepten, die heute unterscheidbar sind, wobei von Grenzfällen einmal abgesehen werden soll.
KAMINSKI [5] gehört zu denjenigen Autoren, die konsequent von "ökonomischer Bildung" sprechen, weil sie der Arbeitslehre sehr kritisch gegenüberstehen, mit Rücksicht auf die landeseigene Konzeption jedoch keine Wirtschaftslehre pur proklamieren können. In einer zweiteiligen Veröffentlichung hat KAMINSKI es neuerlich unternommen, den "Gegenstandsbereich der ökonomischen Bildung" zu definieren. (KAMINSKI 1994 [3]). Zunächst wird eingeräumt, daß der ökonomischen Bildung (wir sprechen der Kürze halber von Wirtschaftslehre) keine universitäre Disziplin eindeutig zuzuordnen sei. Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre würden nur "strukturelle Orientierungshilfen" für die inhaltliche Profilbildung des Schulfaches liefern. KAMINSKI bedauert dies ausdrücklich, denn er befürchtet eine "Anbindungsoffenheit" gegenüber anderen Fächern, also die Gefahr, Wirtschaftslehre könne bei der Arbeitslehre oder bei der Sozialkunde landen. Eine Grundfrage an unser Bildungswesen, namentlich an die allgemeinbildende Schule, lautet: soll die Verfächerung zurückgenommen oder weitergetrieben werden? Die Antwort wird hier präjudiziert. Es wird gar nicht ernsthaft erwogen, das Konstrukt "Ökonomie" aufzulösen in einen Machtaspekt und eine Sozialbindung (des Eigentums) - beides gut aufgehoben bei der politischen Bildung - und in einen ökologisch-warenkundlichen Aspekt, subsumiert unter den Gedanken der Verbraucheraufklärung, dem die Arbeitslehre gar nicht ausweichen kann.
Für KAMINSKI ist klar, daß es eines eigenen Schulfaches Wirtschaft bedarf. Man stutzt allerdings über Feinheiten der Argumentation:
"Die Vermittlung ökonomischer Grundkenntnisse muß in Zukunft vor allem im Gymnasium mehr Bedeutung bekommen, zumal die meisten Gymnasiasten bisher in ihrer Schulzeit keine Gelegenheit haben, sich solide mit wirtschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen. Einzelne Kurse im Fach Sozialkunde/Gemeinschaftskunde leisten keine grundlegende Abhilfe. Auch der Geographie-Unterricht, der sich u.a. mit der räumlichen Komponente des Wirtschaftens befaßt, kann keine Kriterien liefern, wirtschaftliche Prozesse theoriengeleitet verstehbar zu machen."
(KAMINSKI a.a.O. [3], S.10)
KAMINSKIs Vorliebe für das Gymnasium resultiert aus dem ungeliebten Kooperationszwang der Wirtschaftslehre mit der Arbeitslehre, namentlich in Niedersachsen. Die Distanziertheit des Gymnasiums zur Arbeitslehre böte die Chance dort eine arbeitslehrefreie ökonomische Bildung zu installieren. Immerhin könnte man meinen, daß eher Hauptschüler wegen der prognostizierbaren wirtschaftlichen Mangelsituation ihres künftigen Lebens der ökonomischen Bildung bedürfen.
Welche Gegenstandsbereiche der Wirtschaftslehre bietet uns der Autor an? Er beginnt mit einer Aussage, die in höchstem Maße erklärungsbedürftig ist: Wirtschaftliche Tätigkeit stelle eine Universale dar und sei gewissermaßen im Leben aller Menschen eine Konstante. Wenn wir jetzt erführen, welches die wirtschaftlichen Tätigkeiten eines Arbeitnehmerhaushalts der unteren Einkommensgruppe sind, wären wir dankbar. Diese soziale Gruppierung ist bekanntlich im Wachstum begriffen. Bezeichnend für sie ist, daß das Einkommen nur als Grenzfall der unmittelbaren Bedarfsdeckung gelten kann, daß Ersparnisse nicht vorhanden sind, ja, daß häufig eine gewisse Schuldenlast zu tragen ist. Auf die wirtschaftliche Mitbestimmung im Betrieb soll das Schulfach Wirtschaft vorbereiten. Abgesehen davon, daß diese nur ein Segment der betrieblichen Mitbestimmung darstellt, werden Betriebsräte nur in seltenen Fällen auf ihr Schulwissen rekurrieren, sondern die gewerkschaftliche [/S. 184:] Argumentationslinie sich zu eigen machen. Die Lobby des Schulfaches Wirtschaft wird nicht müde, das Fach als Grundlage für eine wie immer geartete wirtschaftspolitische Partizipation anzupreisen. Jeder Wahlberechtigte mag sich fragen, wie er die Relation zwischen Ökonomiekenntnissen und Einflußmöglichkeiten einschätzt. Die wirtschaftspolitischen Mainstreams der Parteien sind bekannt. Gleichwohl dürfte die Wahloption aller diplomierten Volkswirte genau so streuen, wie die von Bäckern. Dies hat eine einfache Erklärung: Nicht Fachwissen steht zur Wahl sonder allgemeine Absichtserklärungen. Aber selbst wenn sich wirtschaftspolitische Entscheidungen konkretisieren, gibt es konkurrierende fachwissenschaftliche Beurteilungen, wie es die oft konträren Gutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Institute zeigen.
Die dann folgende Aufzählung von "wirtschaftlichen Einflüssen", denen die Jugend ausgesetzt ist, darf man schon als Ritual bezeichnen. Die Jugend sieht sich mit Werbung konfrontiert, mit Wirtschaftsnachrichten in den Medien, mit Verbraucheraufklärungskampagnen, ökologischen Bedrohungen, die einen ökonomischen Hintergrund haben. Dies alles können die Jugendlichen nicht einordnen, wenn sie keinen Unterricht in Wirtschaftslehre hatten. Eine solche Aufzählung ist nicht neu, man kann auch aus ihr den Schluß ziehen, daß die Vermittlung von Strukturwissen, insbesondere der Erwerb einer wirtschaftstheoretischen Begrifflichkeit, das Verständnis zu verbessern vermag. Nicht zu verwechseln ist diese Zielebene jedoch mit Handlungsfähigkeit. Strukturwissen ist - wie so oft - eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für die Gestaltung der realen Welt.
KAMINSKI [5] wartet aber mit noch eindrucksvolleren Fakten auf: Die internationalen Finanzströme wachsen dem Volumen nach und berühren auch die Privathaushalte. Nationalstaaten werden auf Gedeih und Verderb voneinander abhängig; die Industrieländer gefährden mit ihrem Wachstum die armen Länder; Wirtschaftskreisläufe sind so global, daß ein nationaler Bankrotteur andere Staaten mit hineinreißt; die staatsfreien Räume (der Meeresboden, die Antarktis, der Weltraum) werden wirtschaftlich zum Zankapfel; die weltweite Arbeitskräftewanderung entleert die Herkunftsländer und schafft Zündstoff in den Aufnahmeländern. Das beeindruckt, entmutigt uns aber noch mehr, wenn wir an die Handlungsmöglichkeiten des Schülers denken. Und es sagt noch nichts über den angekündigten Gegenstandsbereich der Wirtschaftslehre aus.
Dieser wird uns nun - ein bißchen enttäuschend - angeboten. Nach den angerissenen Weltproblemen wird KAMINSKI wieder nationalstaatlich.
"Dies führt zur weiteren These, daß generell die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eines Landes den Ornungsrahmen für Arbeits- und Lebenssituationen der Bürger und für die Koordinierung der wirtschaftlichen Aktivitäten einer Volkswirtschaft bildet. Wenn also die allgemeinbildende Schule auf die Bewältigung von gegenwärtigen und zukünftigen Lebenssituationen, auf die Teilhabe am kulturellen, sozialen, ökonomischen, politischen Prozessen, vorbereiten soll, dann muß auch die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung als der Ordnungsrahmen und als das Handlungsfeld gewählt werden, mit dem sich Kinder und Jugendliche in der allgemeinbildenden Schule auseinanderzusetzen haben."
(KAMINSKI a.a.O. [3], S.11)
Das nachfolgend wiedergegebene Analyseschema sollen die Schüler in irgend einer Weise füllen (es bleibt die Frage offen, für wie viele Volkswirtschaften dies zumutbar ist). Ergänzt wird es durch den nicht eben originellen Vorschlag, daß eine Funktionsfolie über das Strukturschema zu legen sei, die die Kreislaufbeziehungen der Aggregate: Haushalte, Unternehmen und Staat zum Gegenstand hat. Wenn das kein Modelldenken in seiner rigidesten Form ist! [/S. 185:]
Noch immer ist der "Gegenstand der ökonomischen Bildung" kein Gegenstand sondern eine metasprachliche Kommunikation. Wie wir noch im Laufe unserer Betrachtungen sehen werden, ist das Schulfach Wirtschaft überwiegend das mühsame explizieren von Begriffen mit Hilfe von Begriffen.
[hier (S. 185) steht im Original ein ordnungspolitisches Analyseschema von Hans Kaminski (Der Gegenstandsbereich der ökonomischen Bildung, in: arbeiten+lernen/Wirtschaft, H. 14/1994 (Teil I) u. 15/1994 (Teil II)) mit einer Übersicht über Ordnungselemente, Ordnungsformen und ihre Kombination zur Wirtschaftsordnungen; Anm. der sowi-online-Redaktion]
WEINBRENNER [6] hat schon in einer viel früheren Veröffentlichung (WEINBRENNER 1983 [3]) das Thema "Wirtschaftsordnung" als didaktische Zielkategorie überzeugender diskutiert.
"Eine Bedingungsanalyse, die die anthropogenen und soziokulturellen Lernvoraussetzungen der Schüler zu klären hat, muß zunächst von dem Befund ausgehen, daß Jugendliche sich unter den Begriffen Markt, Marktwirtschaft und Wirtschaftsordnung nur wenig oder gar nichts vorstellen können. Es handelt sich bei diesen Begriffen um wissenschaftliche Konstrukte, die in der Alltagssprache der Jugendlichen nicht vorkommen und mit denen sie daher auch keine subjektiven Erfahrungen verbinden können."
(WEINBRENNER a.a.O. [3] S.2)
WEINBRENNER geht von der Überlegung aus, daß das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft mit Schülern auf drei Ebenen reflektiert werden müsse, und erst die Zusammenschau eine Urteilsfähigkeit ermöglicht. [/S. 186:]
Unschwer erkennen wir, daß aus einer solchen mehrdimensionalen Betrachtungsweise, WEINBRENNER spricht von der Metaebene, Problembewußtsein und Urteilsfähigkeit erwachsen können. Was die Handlungsfähigkeit angeht, sind wir weiterhin skeptisch. Die drei Ebenen sind nun aber keineswegs die selbstverständliche Domäne des Lehrers für Wirtschaft. Die normative Ebene müßte jeder Lehrer des Faches Politik übersehen. Die empirische Ebene verlangt soziologische Kenntnisse, insbesondere solche über Indikatoren der sozialen Lage der Bevölkerung.
Im übrigen ist der Beitrag eines gut ausgebildeten Geographie-Lehrers zur ökonomischen Bildung nicht so marginal wie uns KAMINSKI glauben machen will. Zu Bodenschätzen, Klima, Infrastruktur, Industriestandort-Lehre u.a. kann sich ein Geographie-Lehrer kompetent äußern. Nebenbei bemerkt: in Österreich ist an allgemeinbildenden Schulen "Wirtschaft" Bestandteil des Geographieunterrichts.
KAMINSKI [5] gibt sich nun allerdings mit der Strukturskizze "Wirtschaftsordnung" und dem darin gespiegelten Kreislaufschema (Austauschbeziehungen zwischen Haushalten, Unternehmen und Staat) nicht zufrieden. Offensichtlich ist ihm der Modellcharakter zu offenkundig und er führt zusätzlich sogenannte "Stoffkategorien" ein. Diese von MAY schon 1977 vorgeschlagenen Stoffkategorien stellen das Rohmaterial dar, an dem sich eine Wirtschaftslehre zu orientieren hätte. Wir geben die 33-Felder-Matrix verkürzt wieder. [/S. 187:]
Wirtschaftliches Handeln ist angeblich:
| Die Akteure in diesem Handlungsfeld sind
jene vertrauten "Wirtschaftssubjekte": Private Haushalte Unternehmen Staat |
Die elf Handlungsattribute werden mit den drei Wirtschaftssubjekten gekreuzt und in den entstehenden 33 Feldern finden sich die "Stoffkategorien" einer Wirtschaftslehre. Unsere Kritik an dem zunächst rein formalen Kategorienschema verweist auf die Unspezifität der Handlungsattribute. Mit Ausnahme der Gewinnorientierung, einer für kapitalistische Wirtschaftssysteme allerdings fundamentalen Handlungsmaxime, sind alle anderen Attribute Universalien menschlichen Handelns und keineswegs typisch für wirtschaftliches Handeln. Die Partizipation an der Kunst, am demokratischen Gemeinwesen, auch die sozialen Beziehungen in Partnerschaften unterliegen den genannten Kriterien. Unterzieht man den Kriteriensatz einer logischen Analyse, stellt man fest, daß es sich gar nicht um diskrete Handlungstypen handelt, sondern daß einige Handlungen nur Komplemente einer anderen sind: Knappheitsbedingt handeln wir nur, wenn (unendlicher) Bedürfnisdruck vorausgesetzt wird. Entscheidungszwang tritt nur auf, wenn die Handlungsfolgen risikobehaftet sind. Angesichts totaler Gewißheit besteht keine Entscheidungsnotwendigkeit. Arbeitsteilung, eine metaökonomische Konstante, schafft Interdependenz und Koordinationsbedarf. Ob Ungleichheit konfliktauslösend wirkt oder Konflikte in Ungleichheit einmünden, sei hier einmal dahingestellt. Die Kreislaufmetapher schließlich ist ein unzulängliches Erklärungsmodell für wirtschaftliches Handeln. Ihre Erklärungsschwäche besteht in der Annahme, die Wirtschaftssubjekte seien etwa gleich potent. Physikalisch gesprochen, müßte beispielsweise die Omnipotenz des Staates in einer zentralen Verwaltungswirtschaft infolge der Zentrifugalkräfte die Kreisbahn sprengen.
Die Hyperaggregate: Privathaushalte, Unternehmen, Staat, in der Sprache der Modellbauer auch "Wirtschaftssubjekte" genannt, nivellieren scheinbar die extremen Unterschiede im wirklichen Leben: Diese müssen hier nicht abermals nachgewiesen zu werden. Bei den Haushalten und bei den Unternehmen gibt es Unterschiede, die nur in Zehnerpotenzen ausgedrückt werden können und auch der Einfluß des Staates variiert weltweit zwischen "Bananenrepublik" und hochbürokratisiertem Versorgungsstaat.
Der formale Rahmen zur Bestimmung der sogenannten Stoffkategorien eines Schulfaches Wirtschaftslehre ist also über einen z.T. unstimmigen Begriffsrealismus nicht hinausgekommen. Wir betrachten aber dennoch einige der Inhalte jener 33 Matrixfelder. [/S. 188:]
Feldinhalt | Schnittbereich |
"Optimale Allokation der Ressourcen" "Konsumwahl, Berufswahl, Freizeitverhalten" "Wahlen, Gesetze zur Regulierung des Wirtschaftsgeschehens,(Hierarchie)" "Verflechtung zwischen Betrieben (Zulieferbetriebe)" | Schnittbereich: Unternehmen / knappheitsbedingt Schnittbereich: Haushalt / entscheidungsbestimmt Schnittbereich: Staat / koordinationsbedürftig Schnittbereich: Unternehmen / interdependent |
Die auf diese Weise ermittelten "Stoffkategorien" liegen allesamt auf der Ebene solcher Gemeinplätze. KAMINSKI präsentiert sie auch nicht als Schulcurriculum, sondern führt ein weiteres Selektionsinstrument ein. Er spricht von "Bildungskategorien", die nunmehr als Sonde jene Inhalte bestimmen, die der Lehrer schließlich zu lehren hätte. Acht solcher Bildungskategorien werden sinngemäß wiedergegeben:
(KAMINSKI, a.a.O. [3] Teil II, S. 4 ff)
Diese "Bildungskategorien" sind leider wenig hilfreich, wenn es um den entscheidenden Schritt geht, nun endlich das Versprechen einlösend, den Gegenstandsbereich der ökonomischen Bildung zu bestimmen. Die 33 Stoffkategorien sind doch expressis verbis als der Zusammenhang von wirtschaftlicher Realität vorgestellt worden. Jetzt muß noch einmal ihre Eignung für das Offenlegen von wirtschaftlichen Zusammenhängen nachgewiesen werden. Die über den Tag hinaus reichende Bedeutsamkeit (eines Stoffes) ist selten mit dem Aktualitätspostulat vereinbar. Die potentielle Betroffenheit der Schüler als bildungsbedeutsam zu deklarieren, ist als Auswahlkriterium unstrittig. Sie gibt aber unserem Verdacht neue Nahrung, daß in den Stoffszenarien Bestände lagern, die weder faktisch noch potentiell eine Betroffenheit der Schüler erzeugen. Schließlich findet das Auswahlkriterium: Eignung der Stoffe für das Erlernen von Verhaltensweisen in (wirtschaftlichen) Situationen unsere ungeteilte Zustimmung.
Leider erweitert KAMINSKI die 33-Felder-Matrix nicht zu einer dreidimensionalen mit dann 8 mal 33 = 264 Feldern. Hier würde sich zeigen, daß allein die beiden Kriterien: "Potentielle Betroffenheit" der Schüler und "handlungsanleitendes Potential" des Stoffes, zur Aussonderung der meisten "Stoffkonstrukte" führen müßte. [/S. 189:]
Seine Glaubwürdigkeit setzt KAMINSKI allerdings mit folgenden Ausführungen aufs Spiel. Unter Berufung auf PIAGET, GALPARIN, LEONTIJEW und AEBLI erinnert er an das Primat der Handlung für menschliche Erkenntnisprozesse. Hier findet er unsere ungeteilte Zustimmung. Kühn wirkt jedoch die Behauptung, das Fach Wirtschaft sei in besonderer Weise geeignet, "ganzheitliches Lernen" zu befördern.
"Die anthropologische Einsicht, daß konkretes Handeln eine unabdingbare Bedingung menschlicher Entwicklung ist, und Kopf, Herz und Hand, Denken und Handeln, körperliche, geistige und seelische Entwicklung zusammengehören, muß Konsequenzen auch für die Entwicklung eines Lernkonzeptes der ökonomischen Bildung haben. ........Auch für das Fach Wirtschaft lassen sich 'Lernwerkstätten' für ganzheitliche Lernprozesse entwickeln, die in besonderer Weise geeignet sind, theoretische und praktische Unterrichtsteile miteinander zu verknüpfen."
(KAMINSKI, a.a.O. [3] Teil II, S. 6)
Das Fach Wirtschaft, wo immer es Eingang in die allgemeinbildende Schule fand, ist ein unrühmliches Beispiel für einen Arbeitsbogen- und Frontalunterricht. Wir werden dem weiter hinten mit der Analyse von Unterrichtsbeispielen noch nachgehen. Simulationsverfahren sind das alles dominierende Muster der Wirtschaftslehre. Lernbüros und Warentests, um zwei der effektivsten methodischen Arrangements in der Arbeitslehre zu nennen, sucht man in den Wirtschaftslehre-Konzepten der Bundesländer vergeblich.
KAMINSKI beklagt, daß es bislang kein "Gesamtkonzept der ökonomischen Bildung für die Klassen 1 bis 13" gab. (!). Er macht sich anheischig, dieses in Ansätzen vorgelegt zu haben. Darüber hinaus unterstreicht der Autor immer wieder, wie notwendig es sei, auf Eltern, Lehrer, Parteien, Verbände und die Ministerialbürokratie einzuwirken, damit der ökonomische Bildung zum Durchbruch verholfen werde. (KAMINSKI, a.a.O. [3] und passim)
Die Arbeitslehre, von der wir meinen, daß sie die bessere Wirtschaftslehre sei, hat es bisher versäumt, sich gegen die außerordentlich hegemonialen Aktivitäten der Wirtschaftslehrevertreter zu wehren. Als Beleg für einschlägige PR-Arbeit mag folgender Hinweis dienen: Bereits in zweiter Auflage erschien das Buch von H. MAY: "Ökonomie für Pädagogen". Es handelt sich um eine sehr konventionelle Stoffsammlung, die eklektisch aus wissenschaftlichen Publikationen zusammengestellt wurde. Jedes Kapitel schließt mit "Kontrollfragen" ab, die reinen Reproduktionscharakter haben und nicht den Ansatz didaktischen Problembewußtseins erkennen lassen. (MAY 1994 [3]). Das Buch wurde dann von einem großen Wirtschaftsunternehmen als Geschenk an viele pädagogische Einrichtungen verteilt.
Als nächstes skizzieren wir den Ansatz einer sogenannten "ökonomischen Verhaltenstheorie", der uns vielleicht von der Ungewißheit erlösen kann, die sich nach dem Studium von Strukturmodellen und Bedürfnistheorien einstellte. Noch immer können wir nicht verbindlich sagen, was die Ziele einer Wirtschaftslehre sein sollen. KROL [7], dessen Arbeiten hier schon deshalb auf Interesse stoßen, weil sie alle wirtschaftlichen Prozesse auf das Handeln von Individuen zurückführen, fragt nach der Beeinflußbarkeit des Handelns, mithin eine genuin pädagogische Fragestellung. (KROL 1995 [3])
"Zentraler Bestandteil eines solchen Bezugsrahmens muß eine empirisch gehaltvolle Theorie sein, die nicht nur tragfähige Erklärungen für sozial, wirtschaftlich, ökologisch etc. problematische Verhaltensmuster , sondern auch empirisch gehaltvolle Aussagen über gangbare oder erfolgversprechende Wege zur Veränderung der Verhaltensmuster zu liefern vermag. Hieran mangelt es gegenwärtig in den einschlägigen [/S. 190:] Bildungs- und Unterrichtskonzepten, in denen die Förderung der Einsicht in 'gesollte Zustände' mit der größtmöglichen Förderung ihrer Realisierung gleichgesetzt wird. Eben hierin liegt ein systematischer Irrtum."
(KROL a.a.O. [3], S.19, Hervorhebung: G.R.)
KROL subsumiert dem ökonomischen Verhalten eines Individuums dessen Handeln und Unterlassen, seine Urteilsbildungen und Entscheidungen. Letztere können bewußt und reflektiert ablaufen, aber auch Gewohnheitsverhalten, etwa täglich wiederkehrende Routineeinkäufe, rechnen dazu. Alle diese Verhaltensphänomene erklären sich aus Präferenzen die das Individuum hat. Präferenzen müssen aber stets an Restriktionen gespiegelt werden, die nicht hintergehbar sind. Weil die Entstehung von Präferenzen schwer rekonstruierbar ist und letztlich etwas mit individueller Freiheit zu tun hat, konzentriert sich die ökonomische Verhaltenstheorie vorrangig auf die Untersuchung der Restriktionen. Zu diesen rechnen das verfügbare Einkommen, der Zeitaufwand für Informationsbeschaffung, die physisch/ psychische Belastbarkeit, Gesetze und Verordnungen, Normen und Werte.
Das Spektrum von Präferenzen eines wirtschaftlich handelnden Subjekts hat eine Wurzel: den Eigennutz. KROL legt Wert auf die Feststellung, daß dieses Eigennutzaxiom zwar häufig zur moralischen Verurteilung ökonomischen Verhaltens geführt hat, gleichwohl in dieser Pauschalisierung abzulehnen ist, denn Eigennutzverfolgung geht nicht zwangsläufig mit der Benachteiligung anderer Subjekte einher.
Präferenzen und Restriktionen führen dazu, daß sich Individuen ständig entscheiden müssen. Die Präferenz von 'A' schließt die Abwahl der Alternative 'B' ein. Damit entstehen aber sogenannte Opportunitätskosten, eigentlich nicht erzielte "Gewinne". Ein Jugendlicher, der sich für schnelles Geldverdienen nach der Schule entscheidet, verzichtet auf eine längere Ausbildung und vermutlich auf ein insgesamt höheres Lebenseinkommen. Ein Verbraucher, der dem verbraucherpolitischen Imperativ folgend, eigentlich vor jede Kaufentscheidung gründliche Such- und Informationsprozesse schalten müßte, verzichtet darauf, weil ihm die Restriktionen in Form des Zeit- und Kraftaufwandes zu hoch erscheinen. Für KROL sind besonders Verbraucher- und Umwelterziehung typische Felder, auf denen das Ziel der Verhaltensänderung systematisch verfehlt wird. Der pädagogische Ansatz versucht vorrangig die Präferenzen zu ändern, was oft über moralische Einflußnahme geschieht.
Ziel einer ökonomischen Bildung wäre es, das Wissen um Restriktionen zu erweitern, weniger, Einfluß auf die Präferenzen nehmen zu wollen.
Die fast ungeteilte Akzeptanz sozialer Normen im Bereich des Umweltschutzes verleitet zu dem Irrtum, die Individuen handelten tatsächlich auch umweltverträglich. Die Präferenz für eine soziale Norm kann deutlich ausgeprägt sein, ja, sie ist im Falle des Umweltschutzes auch ausgesprochen rational, denn wenn sich alle umweltverträglich verhalten, profitiere ich davon. Wenn ich mich jedoch umweltverträglich verhalte, nehme ich u.U. deutliche Restriktionen in Kauf, etwa erhöhte Kosten, Arbeitsaufwand und Verlust an Bequemlichkeit. Dies führt in sehr vielen Fällen zu einer Präferenzwahl, die inkompatibel mit der Präferenz für eine soziale Norm "Umweltschutz" ist. Die genaue Analyse möglichst aller Restriktionen, auch solcher, die der ökonomisch Handelnde im Moment nicht übersieht, ist Aufgabe einer ökonomischen Verhaltenstheorie. Aber auch die Frage nach der Überwindung von Restriktionen ist bedeutsam, ob es möglich ist institutionelle, technische, organisatorische Verbesserungen durchzusetzen, die es dann erleichtern, die gesollten Präferenzen auch zu wählen.
Die "ökonomische Verhaltenstheorie", die hier nur sehr grob skizziert werden konnte, läßt in der Tat Konturen eines jugendgemäßen Unterrichts aufscheinen. Ein systematischer [/S. 191:] Einwand bleibt jedoch bestehen: Diese Theorie ist nur sehr bedingt eine ökonomische. Zu viele allgemein anthropologische Parameter müssen eingeführt werden (Bequemlichkeit, Belastbarkeit, Freizeit). Die Biografie eines jeden Menschen ist die Abfolge von Kontingenzpunkten, man hätte sich so oder anders entscheiden können. Damit eine Biografie entsteht, muß man sich entscheiden. Ein solches kontingentes Denken würde allen Schulfächern zum Vorteil gereichen. Ein eigenes Fach Wirtschaftslehre läßt sich damit nicht legitimieren.
NEUMANN/DRÖGE [3] propagieren eine "arbeitsorientierte Wirtschaftslehre" Das Begriff "arbeitsorientierte Bildung" hat in jüngster Zeit Konjunktur (vergl.: DEDERING 1996 [3]). Zum einen handelt es sich um einen Reflex auf die immer noch dominierende philologische Bildung, zum anderen ist es der untaugliche Versuch, die Auflösung der Arbeitslehre-Idee zu verhindern, ohne die Partikularfächer mit dem ungeliebten Begriff Arbeitslehre zu verprellen.
NEUMANN/DRÖGE stellen zunächst klar, daß es bei ihrem Ansatz nicht um den Austausch der Kapitalorientierung durch eine Arbeitsorientierung ginge. Die klassischen volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen kennen bekanntlich die drei niemals gänzlich zu substituierenden Produktionsfaktoren: Arbeit, Kapital und Boden. Daß schulische Wirtschaftslehren dazu neigen, die Kapitalorientierung zu betonen, haben schon 1974 REETZ/WITT [3] in ihrer bekannten Schulbuchanalyse nachgewiesen. Der Terminus "Arbeitgeber" kommt signifikant häufiger vor als der des "Arbeitnehmers". Bemerkenswert ist die Tatsache, daß NEUMANN/DRÖGE ihr Wirtschaftslehrekonzept auf kaufmännische Berufsschulen hin entwerfen, also auf eine Schule, deren Klientel nach Meinung der Autoren bislang einen wirklich bildungswirksamen Unterricht entbehren mußte. Träfe diese Analyse zu, ist es nicht mehr verwunderlich, daß die allgemeinbildende Schule ohne ein stimmiges Theoriekonzept für Wirtschaftslehre auskommen muß.
"Gerade wenn es darum geht, die den Arbeitstätigkeiten zugrundeliegenden technischen, ökonomischen sozialen, ökologischen Bedingungen und Grundstrukturen zu erfassen, dann sind die dazu in der Wirtschaftslehre akkumulierten und tradierten Wissensbestände wenig geeignet. Dazu - das haben die Analysen gezeigt - fehlen der Wirtschaftslehre die übergreifenden Fragestellungen, die ökonomische, soziale und ökologische Sachverhalte miteinander verknüpfen. Und selbst im Ökonomischen stehen institutionenkundliche, synoptische und verfahrenstechnische Aspekte, aber auch thematische Verengungen so sehr im Vordergrund, daß damit keine aussichtsreichen kognitiven Muster für die Erklärung wirtschaftlicher Vorgänge und zur Interpretation der eigenen Arbeitsrolle zur Verfügung stehen."
(NEUMANN/DRÖGE 1996 [3], S. 460)
Wir können hier die arbeitsorientierte Wirtschaftslehre nach NEUMANN/DRÖGE nicht im einzelnen nachzeichnen. Für unsere Argumentation verdient es jedoch festgehalten zu werden, daß die Autoren einen Orientierungsrahmen vorschlagen, in dem in Anlehnung an die KRAPPMANNsche Rollentheorie (KRAPPMANN 1975 [3]) ein dreifaches Rollenhandeln erkenntnisleitend zu sein habe: Die Funktionsrolle im Betrieb, das heißt also technische und kommunikative Fähigkeiten erwerben, besitzen, modernisieren. Die Arbeitnehmerrolle, welche erlaubt, Interessenkonflikte auszuhalten, Solidarisierungschancen wahrzunehmen, betriebliche Strukturen zu durchschauen. Die Konsumentenrolle, die auch befähigt, Konsummuster zurückzuweisen, Konsumentenbeeinflussung zu durchschauen, Verbraucherrechte zu kennen.
Diese Trias findet sich in ähnlichen Formulierung in allen bisher veröffentlichten Arbeitslehrekonzepten. Es ist schon erstaunlich, daß das Nachdenken über die [/S. 192:] (professionelle) Unterweisung wirtschaftlich handelnder Individuen zu arbeitslehreähnlichen Vorschlägen führt.
Wenden wir uns nun dem "Paradigmawechsel" in der schulischen Wirtschaftslehre zu. Nach KUHN [8] führen paradigmainterne Anomalien eines alten Paradigmas zum Wechsel. Unter Paradigma soll die prinzipielle Übereinstimmung verstanden werden, die in einer Scientific Community herrscht, wenn es um allgemeine Theorien, Erklärungen und Hypothesen geht, ohne daß in Einzelfragen schon Konsens bestünde. Ein Paradigmawechsel zeigt Veränderungen in statu nascendi an, wobei eine gemeinsam geteilte Interpretation der Scientific Community noch aussteht. (KUHN 1976 [3])
LACKMANN [4] spricht von einer "alten Ökonomie" und einer "neuen Ökonomie". Das Ende der alten Ökonomie wird markiert durch das Menetekel einer unausweichlichen Katastrophe, wenn die ökologischen Grenzen ökonomischen Handelns nicht viel genauer bestimmt werden.
" Alles, was die Menschen der Industriegesellschaft heute tun, läßt die natürlichen und sozialen Netze ihres Zusammenwirkens vibrieren - wesentlich stärker als in früheren Gesellschaften, weitgehender und heftiger, als es sich die meisten Menschen vorstellen können oder verantworten möchten. Die Zeit der einfachen Normen, der vernachlässigten Nebenwirkungen und der weggekehrten Konfliktstoffe ist vorüber. Eine Berücksichtigung der ökologischen Dimension des ökonomischen Handelns aller Wirtschaftssubjekte tut Not."
(LACKMANN 1996 [3], S.38)
LACKMANN unterstreicht, daß "herkömmliches ökonomisches Denken" nicht darauf gerichtet ist, Aufwand und Ertrag möglichst objektiv zu vergleichen. Es geht vielmehr darum - und darin liegt der feine Unterschied -,dieses Verhältnis so günstig wie möglich zu gestalten. Dies führt zu den bekannten Effekten, daß wirtschaftlich Handelnde objektive "Kosten" auf Dritte abwälzen. Auf die Natur, indem diese verunreinigt und belastet wird, auf den Steuerzahler, in der Hoffnung, der Staat werde die schlimmsten Schäden mit öffentlichen Mitteln reparieren, auf den Konsumenten, der möglicherweise durch schadstoffbelastete Lebensmittel krank wird.
Die meisten wirtschaftlichen Entscheidungsträger (LACKMANN schließt die Konsumenten ausdrücklich ein) beruhigen ihr Gewissen mit der Hoffnung, der wissenschaftlich-technische Fortschritt werde für die in die Zukunft verschobenen Folgen des verantwortungslosen Handelns noch Lösungen finden. Eine solche Hoffnung dürfte tatsächlich unbegründet sein, wenn die auf Gewinn- bzw. Nutzenmaximierung fixierten Wirtschaftssubjekte nicht einen Paradigmawechsel vollziehen.
LACKMANN übernimmt das von BUDDENSIEK entwickelte Schaubild, das in prägnanter Form den Paradigmawechsel veranschaulicht. [/S. 193:]
[im Original folgt hier das Schaubild: "Vom ökonomischen Wachstums- zum ökologischen Begrenzungsparadigma", übernommen aus: Buddensiek, Wilfried (1988) [3]: Wende-Pädagogik. Auf der Suche nach einer ökologischen Umwelterziehung. Paderborn, vervielf. Manuskript, S. 32; abgedruckt in: Lackmann, Jürgen (1996): Das Lernfeld Arbeitslehre als fachdidaktisches Problem. Spezifika des Gegenstandsbereiches Wirtschaft (Weingartener Beiträge zur Arbeitslehre). Pädagogische Hochschule Weingarten, ISBN 3-924945-24-1. Bezug der Publikation von J. Lackmann über: PH Weingarten, Forschungsstelle für politisch-gesellschaftliche Erziehung und Arbeitslehre, Kirchplatz 2, 88250 Weingarten, http://www.ph-weingarten.de/homepage/hochschule/fakultaeten/institute/awt/publikationen.htm [9] ; Anm. der sowi-online-Redaktion]
Nun dürfte es nicht schwer sein, ökologische "Begrenzungsparadigmen", z.B. das Recyclingmodell, genauso als Modellplatonismus zu denunzieren wie die schon etwas abgenutzten Marktschemata der Wirtschaftslehre. Ein Recycling ad infinitum ist derzeit nicht vorstellbar. Jeder Aufbereitungszyklus wirkt nutzenmindernd. Die Abfallproblematik ist also nicht prinzipiell lösbar, wohl aber deutlich zu entschärfen. Die drei zentralen Ansätze einer ökonomischen Umorientierung haben unterschiedliche Realisierungschancen:
Nach unserer Einschätzung nimmt der utopische Charakter der drei Punkte von oben nach unten ab. Der erste Programmpunkt wird schon durch die Entwicklung der Weltbevölkerung auf längere Sicht verhindert. Der zweite Punkt kann empirisch mit Erfolgsnachweisen gestützt werden: ein Auto benötigt heutzutage etwa nur die Hälfte des Treibstoffes wie vor 20 Jahren. Die Zunahme der Motorisierung sorgt jedoch dafür, daß die Gesamttendenz erhalten bleibt, in einigen Fällen sich sogar verschärft. Was die Kreislaufprozesse in stoffwirtschaftlicher Hinsicht angeht, sind durchaus Erfolge zu verzeichnen. Eine Reihe von Einweg-Prozessen wurde auf zyklische Prozesse umgestellt, die gleichwohl finalen Zuschnitt haben.
Um nun die "Ökologisierung" einer schulischen Wirtschaftslehre nicht nur als Paradigmawechsel gewissermaßen zu verkünden, müssen wir fragen, ob halbwegs überzeugende Theorieansätze vorliegen. Schon auf den ersten Blick verstärkt sich der Eindruck, daß eine gesteigerte Umweltproblematik (diese wollen wir nicht mehr grundsätzlich in Zweifel ziehen) eigentlich alle Schulfächer betrifft. Skeptiker, die begründet einwenden, alle Erziehungsprogramme, die fächerübergreifend implementiert werden sollten, hatten keinen oder mäßigen Erfolg, fordern vielleicht deshalb eine stark ökologisch orientierte Wirtschaftslehre oder gehen so weit, Ökonomie durch Ökologie zu ersetzen.
LUHMANN hat versucht, auf die Frage: "Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?" (LUHMANN 1990 [3]) eine Anwort zu finden. Die Ausführungen des Systemtheoretikers sind erwartungsgemäß auf einem Abstraktionsniveau gehalten, das Schulpraktiker enttäuschen muß. Wir wollen dennoch versuchen, eine Transformation auf pädagogisches Handeln anzudeuten. Für Systemtheoretiker ist Gesellschaft als Ganzes nur beschreibbar als Kommunikationszusammenhang, der auf Sinngebung basiert. Für das Gesellschaftssystem ist Natur Umwelt. Und da sich Systeme allein über die Differenz System-Umwelt definieren, werden Mystifikationen oder pantheistische Vorstellungen von der Art, die menschliche Gesellschaft und die Natur seien eins, nicht ernsthaft diskutiert. Desgleichen wird die Hoffnung auf eine wie immer erneuerte oder diskursiv zu schaffende Moral der Gesellschaft skeptisch beurteilt. LUHMANNs Hauptthese besagt, daß die einzelnen Funktionssysteme der Gesellschaft, namentlich das Politische System, das Wirtschaftssystem, das Rechtssystem, das Erziehungssystem, das Wissenschaftssystem - um nur die wichtigsten zu nennen - mit Resonanz auf Störungen der Umwelt reagieren. Wobei gesehen werden muß, daß für alle Systeme die Natur Umwelt ist, die einzelnen Systeme aber füreinander ebenfalls Umwelt sind. Auf der Ebene der Funktionssysteme der Gesellschaft gilt das Gleiche, was für die Gesamtgesellschaft gilt: das Aufrechterhalten der Systemgrenzen entscheidet über die eigene Existenz. Ökologische Gefahren werden von diesen Systemen zunächst als Rauschen wahrgenommen, können dann jedoch Resonanz erzeugen, was in der Sprache der Systemtheorie nichts anderes bedeutet, als die Kommunikationsstrukturen zu verändern.
"Jedenfalls haben wir heute davon auszugehen, daß die Resonanz auf ökologische Gefährdungen im wesentlichen durch diese Funktionssysteme erzeugt wird und nicht, oder nur sekundär, eine Sache der Moral sein kann. Oder um es noch schärfer zu sagen: Funktionssysteme wie Politik oder Wirtschaft, Wissenschaft oder Recht werden bei hoher Eigendynamik und Empfindlichkeit durch Umweltprobleme [/S. 195:] gestört. Dies geschieht teils direkt, wenn etwa Ressourcen versiegen oder Katastrophen drohen; teils aber auch indirekt über gesellschaftlich vermittelte Interdependenzen, wenn etwa die Wirtschaft sich gezwungen sieht, auf Rechtsvorschriften zu reagieren, die die Politik dem Recht aufgezwungen hat, obwohl die Wirtschaft ohne diese Vorschriften nach ihren Eigenbegriffen bessere ökonomische Resultate erzielen würde."
(LUHMANN 1990 [3], S.97)
In unserem Zusammenhang ist es wichtig, daß wir kurz auf die systemtheoretische Analyse zweier Funktionssyteme der Gesellschaft eingehen: auf das Wirtschaftssystem und auf das Erziehungssystem. LUHMANN "entideologisiert" das Wirtschaftssystem indem er es auf seinen binären Code zurückführt, der da lautet Eigentum oder Nicht-Eigentum beziehungsweise in modernen Geldwirtschaften: zahlungsfähig oder -unfähig.
"Aufgrund ihrer monetären Zentralisierung ist die Wirtschaft heute ein streng geschlossenes, zirkuläres, selbstreferentiell konstituiertes System insofern, als sie Zahlungen vollzieht, die Zahlungsfähigkeit (also Gelderwerb) voraussetzen und Zahlungsfähigkeit schaffen. Geld ist insofern ein vollständig wirtschaftseigenes Medium: es kann weder als Input aus der Umwelt eingeführt noch an die Umwelt abgegeben werden; es vermittelt ausschließlich die systemeigenen Operationen."
(LUHMANN, a.a.O. [3], S.103)
Für LUHMANN liegt der Schlüssel des ökologischen Problems, soweit die Wirtschaft betroffen ist, bei den Preisen. Alles was in der Wirtschaft geschieht, wird durch den Preismechanismus gefiltert. Auf Störungen (z.B. ökologische Gefährdungen) kann das Wirtschaftssystem nicht reagieren, es sei denn durch Preisbildung. Darin beschlossen ist der Verzicht auf andere Möglichkeiten, etwa auf Erziehungsprogramme, die nicht letztlich als Kosten erscheinen. Wenn allerdings das Umweltproblem in Preisen ausgedrückt werden kann, muß es im Wirtschaftssystem bearbeitet werden. Mit dieser einfachen Strukturskizze wird immerhin deutlich, daß einer Ökologisierung der Ökonomie sehr enge Grenzen gesetzt sind.
Zum Erziehungssystem äußert sich LUHMANN in der bereits oben erwähnten Weise. Dessen systemstabilisierender Code lautet: Anforderungen erfüllt oder nicht erfüllt. Das immer mitlaufende Schema in allen Schulen und Hochschulen ist Selektionszwang. Die übrigen gesellschaftlichen Teilsysteme verlassen sich darauf. Die pädagogischen Programme können mehr oder weniger fortschrittlich sein, sie können großes ökologisches Engagement zeigen oder Formaldefinitionen bevorzugen (wie im Falle einer konventionellen Wirtschaftslehre), vom Selektionszwang werden sie nie suspendiert. Ungeachtet dieser Restriktionen sieht LUHMANN im Erziehungssystem relativ große Chancen für eine Stimulierung der gesellschaftlichen Kommunikation. Allerdings dürfen die Zeithorizonte nicht unterschätzt werden.
"Denn das Erziehungssystem wirkt unmittelbar nur auf eine besondere Umwelt des Gesellschaftssystems, nämlich die körperlichen und mentalen Befindlichkeiten von Menschen. Sollen davon Wirkungen im Gesellschaftssystem ausgehen, muß diese Umwelt wiederum auf die Gesellschaft zurückwirken, das heißt: kommunikativ angeschlossen werden können. Das Erziehungssystem bietet somit für eine Ausbreitung intensivierter ökologischer Kommunikation die vielleicht größten Chancen - unter der Voraussetzung, daß sich zwei Schwellen der Resonanz überwinden lassen: die des Erziehungssystems selbst und die aller anderen Funktionssysteme der Gesellschaft, in die über Erziehung neue Einstellungen, Werthaltungen und Problemsensibilitäten eingeführt werden sollen."
LUHMANN a.a.O. [3], S. 200) [/S. 196:]
Wir können diese Einschätzung nur bestätigen. Auf den ersten Blick scheint die Resonanz des Erziehungssystems auf ökologische Gefährdungen sehr stark zu sein. Jüngere Lehrer an Gesamtschulen dürfen aber nicht als pars pro toto herhalten. Das Erziehungssystem besteht auch (zunehmend) aus älteren Lehrern, aus Seminarleitern, Schulräten, leistungeinfordernden Eltern und eben aus auf Lehrbuchökonomie fixierten Fachvertretern. Deshalb ist es gar nicht so einfach, die Resonanz des Erziehungssystems als Ganzes richtig einzuschätzen. Sehr viel höher dürfte die andere Schwelle angelegt sein, denn nach dem Übergang vom Erziehungssystem in die anderen Teilsysteme der Gesellschaft müssen Jugendliche, resp. junge Erwachsene oft schmerzlich die Grenzen ihrer Kommunikationsabsichten erfahren.
Im Anschluß an LUHMANN hat KAHLERT die umweltpädagogische Literatur genauer analysiert. (KAHLERT 1991 [3]). Er konstatiert erhebliche "Theoriedefizite" in dieser Kommunikation, so daß der angekündigte Paradigmawechsel noch keineswegs als vollzogen gelten kann, ja, daß es möglicherweise verfrüht ist, von einem solchen zu sprechen.
Für KAHLERT ist die umweltpädagogische Diskussion noch immer weitgehend bestimmt durch eine Differenz zwischen der "guten Gesinnung" der Umweltpädagogen einerseits und der Fehlleitung der Menschen bzw. der Gesellschaft. Leider sind Aussagen über die Gesellschaft genauso wenig erkenntnisfördernd wie die Einführung eines Kollektivsubjekts: die Menschen gelten bei vielen Autoren der umweltpädagogischen Literatur als anthropozentrisch verblendet, sie beuteten rücksichtslos die Natur aus, orientierten sich einzig am Eigennutzen. Wer so redet, läßt außer acht, daß die Menschen unterschiedliche Informationsstände und intellektuelle Verarbeitungskapazitäten haben, sehr verschieden am gesellschaftlichen Reichtum partizipieren, mit mehr oder weniger Einfluß ausgestattet sind, und - wie KAHLERT bemerkt - damit auch die Möglichkeiten sehr weit streuen, anders als gewohnt zu konsumieren, zu fahren und zu heizen. (KAHLERT,a.a.O. [3] S.107)
Anstatt den Jugendlichen ein schlichtes Panorama von umweltbesorgten und umweltkriminellen Handlungen zu zeichnen oder - was oft damit einhergeht - eine schon am Abgrund stehende Gegenwart mit einer gerade noch erreichbaren besseren Zukunft zu konfrontieren, müßte das mühsame Geschäft der Ursachenanalyse und Interdependenzaufdeckung betrieben werden. Den Umweltpädagogen wirft KAHLERT vor, wer nicht Grenzwerte für die Luftreinhaltung unter den Bedingungen des internationalen Wettbewerbs durchsetzen muß, kann laufend Umweltfeinde in Politik und Wirtschaft entlarven; der kann auch Entsagungen predigen, wenn er, wie die meisten Pädagogen, in der gesellschaftlichen Privilegienverteilung einen ordentlichen Mittelplatz eingenommen hat und für die Wohlfahrtseinbußen der anderen nicht geradestehen muß.
"Mit seiner Schematisierung der Wirklichkeitswahrnehmung nach dem Muster von schlechter Gegenwart und gut zu gestaltender Zukunft sowie mit der emotionalen Beladung dieser Wahrnehmung durch Gegenwartsangst und Zukunftshoffnung füllt der pädagogische Fundamentalismus die Rolle einer säkularisierten Religion aus: Der Fundamentalismus konstituiert eine Gesinnungsgemeinschaft, die auf dem Glauben an ihre Voraussetzungen beruht: Wer nicht daran zweifelt, daß mit 'dem Menschen' und von 'der Gesellschaft' Erkenntnis produziert werden kann, und wer bereit ist zu glauben, daß über das jeweilige Erziehungsprogramm die Zukunft besser wird, der findet in dieser Gesinnungsgemeinschaft Gewißheit und Orientierung in einer vom einzelnen nicht mehr überschaubaren Welt."
(KAHLERT, a.a.O. [3] S.115) [/S. 197:]
Für uns kristallisiert sich die Frage heraus, ob ein Paradigmawechsel vom Schulfach Ökonomie zur Ökologie oder auch nur eine Ökologisierung der Wirtschaftslehre Perspektiven bietet. Umweltpädagogische Analysen könnten den Schluß nahelegen, daß eine Ideologie durch die andere ersetzt werden soll. Wenn bis vor wenigen Jahren die Ökonomie den Schülern als die zwar störanfällige letztlich aber lebenserhaltende Kraft vorgestellt wurde, empfiehlt sich jetzt die Ökologie als der Königsweg aus einem unter anderem ökonomisch verursachten Dilemma.
Unstrittig scheint aber zu sein, daß Umwelterziehung Not tut. Auch KAHLERT bestreitet dies nicht. Eine solche Umwelterziehung muß aber bei den hochkomplexen Abhängigkeitsverhältnisse in gesellschaftlichen Teilsystemen und zwischen diesen ansetzen. Reichweite und Unsicherheit von Prognosen, die Fehlbarkeit von Risikoeinschätzungen, Machtverteilung und unterschiedliche Betroffenheit durch Folgen, das Offenlegen von Sachwissen und Werturteilen, diese und viele andere Reaktionsweisen der gesellschaftlichen Teilsysteme auf Umweltprobleme müssen in der Schule thematisiert werden. Ein Schulfach wäre damit überfordert! Aber nicht nur die Abkehr von allen monokausalen Erklärungsmodellen ist notwendig, es gilt auch, sich zu erinnern, daß es nicht ausreicht, Katastrophen an die Wand zu malen. Wer dies tut, ohne konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, der muß mit Angst, Verzweiflung oder Wut beim Schüler rechnen. Handlungsmöglichkeiten, sofern sie diese Bezeichnung verdienen, sind aber nicht in allen Schulfächern gleichermaßen angelegt. Was Umwelterziehung angeht, sind die Naturwissenschaften, die Fächer Technik und Haushalt bzw. Arbeitslehre, ferner Politik und Geographie prädestiniert.
Die nebulösen Ziele einer schulischen Wirtschaftslehre schienen zunächst durch die "ökologische Wende" an Konturen zu gewinnen. Dies erweist sich bei genauerem Hinsehen als unsicher. Die ökologischen Gefährdungen einer Gesellschaft erzeugen in den gesellschaftlichen Teilsystemen Resonanz. Im Bildungssystem ist diese Resonanz zweifellos registrierbar, was aber nichts über die "Güte" der Resonanz aussagt. Offenbar handelt es sich um eine Wellenlänge, die sehr stark von der vermeintlich rechten Gesinnung angeregt ist. Die Frage bleibt weiterhin offen, wie Jugendliche am besten auf die Probleme einer sich durch Arbeit reproduzierenden Gesellschaft vorbereitet werden können. [/S. 198:]
Wirtschaftslehre soll - dies war auch eine Forderung KAMINSKI [5] s - aktuell sein. Müßte man heute aktuelle Wirtschaftsfragen benennen, käme einem sofort die Europäische Währungsunion in den Sinn. Für viele Bürger ist die Vorstellung, in naher Zukunft kein deutsches Geld mehr in der Hand zu haben, statt dessen einen "Euro", mit gemischten Gefühlen verbunden. BÖNKOST [10] geht sogar soweit, das Funktionieren der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion von der ökonomischen Bildung der Europäer abhängig zu machen. (BÖNKOST 1996 [3]). Anfang der 60er Jahre führte SCHMIDTCHEN eine Untersuchung in der Bundesrepublik durch, die den Kenntnisstand der Bürger in Wirtschaftsfragen ermitteln sollte. Ein Ergebnis war, daß fast 90 Prozent der Befragten den Begriff Marktwirtschaft falsch oder unbefriedigend definierten. Dieselben Bürger hatten gerade das sogenannte Wirtschaftswunder vollbracht. (SCHMIDTCHEN 1965 [3])
Eine solche Randnotiz will keineswegs die These vorbereiten, daß nur "wirtschaftlich unverbildete" Bürger ökonomisch erfolgreich sein können. Offenbar gibt es aber außerökonomische Bestimmungsstücke, die Prosperität bzw. Konjunkturperioden erklären können. Die Nachkriegsgeneration etwa hatte eine hohe Arbeitsmoral, war gleichzeitig genügsam und sparwillig. Da konnte selbst ein mangelhafter Kenntnisstand über Marktmechanismen das Anlaufen eines Wirtschaftswunders nicht verhindern. Nachdem der Investitionsgüter-Sektor florierte, folgte auch eine Zunahme der Konsumlust.
Man fragt sich, ob eine kognitive Verarbeitung der recht komplizierten Probleme der europäischen Währungsunion eine Voraussetzung für ihr Gelingen ist. Wenn alle Wirtschaftseuropäer Bescheid wüßten, warum die Staatsverschuldung der Mitgliedstaaten eine bestimmte Marke nicht überschreiten darf, und wie die Kontrollmechanismen aussehen könnten - wäre damit viel gewonnen? Ist es nicht vielmehr so, daß nationale Vorurteile, die nachweislich existieren, abgebaut werden müssen. Sollten nicht für die Jugend Europas Aufenthalte in den Mitgliedstaaten während der Schulzeit die Regel sein? Damit würden Vertrauen, Verständnis für Unterschiede, die Wertschätzung regionaler Produkte usw. sich entwickeln. Derlei Voraussetzungen könnten Europa wahrscheinlich besser befördern als die in Schulstuben gewonnenen wirtschaftstheoretischen Einsichten.
Wenden wir uns nun, der begonnenen Systematik folgend, den veröffentlichten Unterrichtsdokumentationen zu. Anders als beim Schulfach Technik ist die Zahl der publizierten Materialien im Kontext eines Schulfaches Wirtschaft verhältnismäßig groß. Und natürlich spielt das Thema Europa eine Rolle. (Der Unterricht mit wirtschaftskundlichen Inhalten muß nicht in einem gleichnamigen Fach abgelaufen sein, es kann sich auch um Unterricht im Fach Gesellschaftslehre bzw. Politische Bildung handeln.)
Eine allgemeine Methodenlehre, wie sie WILKENING für das Fach Technik versucht hat, gibt es ansatzweise auch für die Wirtschaftslehre. KOLB veröffentlichte seine "Methoden der Arbeits-, Wirtschafts - und Gesellschaftslehre" allerdings schon 1978. In dem Band sind drei Methodenkomplexe getrennt behandelt. Einen großen Raum nehmen die Simulationsverfahren ein (Fallstudie, Planspiel, Rollenspiel). Es folgen die Realbegegnungen, worunter Betriebspraktika und Betriebserkundungen zu verstehen sind. (Die Bezeichnung "Realbegegnung" ist eine unglückliche Wortwahl; haben die anderen Methoden etwas mit dem Irrealen zu tun?) Den dritten Komplex bilden die Projekte, die natürlich, sofern sie die Bezeichnung verdienen, etwas mit Realität zu tun haben.
In der Methodenlehre von KOLB sind es die Simulationsverfahren, die wirtschaftskundliche Inhalte im engeren Sinne vermitteln sollen. Betriebspraktika und Betriebserkundungen sind [/S. 199:] fachunabhängige Lernortwechsel. Wie wir gesehen hatten, werden sie auch vom Fach Technik eingesetzt und natürlich haben sie in der Arbeitslehre eine lange Tradition. Bei KOLB finden sich unter der Überschrift "Projekte" nur Beispiele aus dem Bereich Technisches Werken und Arbeitslehre, so z.B. zwei Projekte von BLÖDORN/BÜTTGEN/REUEL aus den 70er Jahren.
Es hat sich in den letzten zwanzig Jahren kaum etwas an dem Umstand geändert, daß Wirtschaftslehre in den meisten Fällen mit Simulation zusammenfällt. Wir gehen deshalb kurz auf das Charakteristische dieser Verfahren ein. Fallstudien sind Szenarien, die vorgestellt werden und zur Weiterentwicklung die Entscheidung zwischen mehreren Alternativen provozieren. Nach einer Informationsphase müssen sich die Schüler entscheiden und die Entscheidung gegenüber anderen Schülern vertreten. Bei etwa gleichplausiblen Entscheidungsvarianten kommt auch ein interessanter Meinungspluralismus zustande.
Eine der "klassischen" Fallstudien ist die von KAISER [11]: Der Hof des Landwirts T. ist unrentabel" (KAISER 1972 [3]) Nach Schilderung der Lage des Landwirtes werden fünf Alternativen angeboten:
Rollenspiele gehen davon aus, daß zu einem gegebenen Sachverhalt die Träger von Rollen auch rollenspezifische Einstellungen haben. Schüler übernehmen versuchsweise die Rolle von Menschen, die wesentlich älter, einflußreicher, hilfsbedürftiger, krimineller usw. als sie selbst sind. Sie projizieren vermutete Wert- und Vorurteile, Kenntnisse und Attitüden in dieses Rollenmuster hinein, und gestalten damit einen Kommunikationsprozeß. Beispielhaft sei hier das Rollenspiel "Nur eine single" skizziert: Der Schüler Peter hat einen Ladendiebstahl begangen, eine Schallplatte geklaut. Der Geschäftsführer des Schallplattenladens, der Klassenlehrer, die Mutter des Schülers, der Vertrauensschüler und Peter selbst (bis auf die Lehrerrolle von Schülern gespielt) diskutieren anhand von vorbereiteten Rollenkarten, die mögliche Argumente enthalten, aber nicht deterministisch den Ablauf bestimmen. Die Autoren wollen auf diese Weise Kenntnisse des Straf- und Zivilrechts vermitteln, Unrechtsbewußtsein anbahnen usw. (FARBER/HENSE 1978 [3])
Das Planspiel ist die Simulation eines einerseits offenen Entwicklungsprozesses, der gleichwohl von einer finalen Orientierung ausgeht. Da der Ursprung im Strategiedenken des Militärs zu suchen ist, könnte das übergeordnete Ziel die Vernichtung des Gegners sein. Die auf dem Wege dorthin zu treffenden Entscheidungen können sich als zieladäquat erweisen, oder aber als kontraproduktiv. Qua höherer Einsicht ist die Metaentscheidungsebene durch die Konstrukteure des Planspiels vorgegeben.
Nicht die Vernichtung des Gegners aber die Eroberung des Marktes durch die Firmen "X" und "Y" mit einem neuen Produkt ist ein Planspiel, das HINZ vorstellt. (HINZ 1978 [3]) In dem Beispiel "produzieren" die Schüler etwas und versuchen durch Materialeinsparung und Personalreduzierung konkurrenzfähiger zu werden.
Allen Simulationsverfahren ist gemeinsam, daß sie die Realität auf mehr oder weniger einfache Modelle reduzieren müssen. Die Schüler "handeln" fast immer nur [/S. 200:] verbalsymbolisch, d.h. ihre Argumente werden durch "bessere" Argumente falsifiziert - im günstigen Falle bestätigt.
Im folgenden stellen wir eine Anzahl neuerer Unterrichtsdokumentationen resp. Schulbücher vor, die einen Eindruck davon vermitteln sollen, wie zeitgenössische Wirtschaftslehre abläuft.
Zuvor die Beurteilungskriterien, die an die Materialien angelegt werden.
Folgende Unterrichtsmaterialien wurden untersucht:
Doku. 1:
Alfred Zahner: Steinzeitökonomie - Ein Simulationsspiel zum Tauschhandel für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I, in: AWT Info, Heft 1/1996, Hrsg.: Forschungsstelle an der PH Weingarten [12], S.4 ff
Doku 2:
Heinz Klippert: Konjunktur und Wachstum, ein Würfelspiel zur Simulation des Wirtschaftsprozesses, in: arbeiten ( lernen, Heft. 67/1990, S. 67 ff
Doku. 3:
Joachim Günther: Die Europäische Union - die Wirtschafts- und
Währungsunion, Unterrichtsempfehlungen für die Sekundarstufe I und II, in: Arbeit und Technik in der Schule, Heft 9/ 1996, S. 323 ff
Doku. 4:
Herbert Müller: Die Krise des Beschäftigungssystems und das Dilemma der Stabilitätspolitik, ein Thema für den Wirtschaftslehre-Unterricht, in: Arbeit und Technik in der Schule, Heft 1/ 1995, S. 26 ff
Doku. 5:
Hans Kaminski [5]: Der jugendliche Konsument: Eine Arbeitsblattreihe, in: arbeiten ( lernen Wirtschaft, Heft 24/1996, S. 14 ff
Doku. 6:
Dietmar Krafft [13]
(Hg.): Wirtschaft 7/8. Berlin 1996, Bd. 1
Doku. 7:
Dietmar Krafft [13]
(Hg.) Wirtschaft 9/10. Berlin 1996, Bd. 2
Doku. 8:
Regine Hebestreit: Von wegen Pleiten, Pech und Pannen Unternehmensgründung richtig vorbereiten, in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft, Heft 23/96, S. 23 ff
Doku. 9:
Angela Kirsch: Weltmeister im Export von Arbeitsplätzen? in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft, Heft 22./96, S. 23 ff
Doku. 10:
Heiko Feeken: Computergestütztes Warenwirtschaftssystem (WWS), ein Beispiel für die Verschmelzung von Kommunikations- und
Informationstechnologien, in: arbeiten . u. lernen / Wirtschaft, Heft 21/96, S. 32 ff
Doku.11:
Josef Hartmann/Reinhard Neudeck: Gehört der Grüne Punkt auf den Müll?, in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft, Heft ....../94, S. 36 ff
Doku. 12:
Manfred Hübner: Fallstudie Kündigung, in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft, Heft 14/94, S. 26 ff
[/S. 202:]
Doku. 13:
Bruno Weber: Lernspiel "Börse", Vorbereitung auf das Börsenspiel der Sparkassen, in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft, Heft 13/94, S. 44 ff
Doku. 14:
Theo Wolsing: Jugend, Geld, Schulden, Unterrichtsanregung zur Verschuldungsproblematik, in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft Heft 13/94, S. 23 ff
Doku. 15:
F. Lönne /C. Szkolaja./J. Wünnecker: Ökologisches Handeln im Planspiel: Tourismus aber wie? in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft Heft 10/93, S. 23 ff
Kurze Inhaltsangaben zu den untersuchten Dokumenten folgen.
Doku 1
Acht Schülergruppen (jeweils 2 bis 3 Schüler) bekommen "Tauschgüter", von denen ihnen gesagt wird, diese seien für den Steinzeitmenschen überlebenswichtig gewesen: Felle, Salz, Weizen, Fische, Äxte, Muscheln, Pfeil und Bogen, Feuer, Hühner u.a.. Diese Güter können als Atrappen (Fische aus Holz) auf den Tischen liegen, es genügt auch den Begriff auf einen Zettel zu schreiben und diesen zu tauschen. Die Schülergruppen haben unterschiedliche Güter, so daß zur Bedürfnisbefriedigung getauscht werden muß. Es geht darum, Wertäquivalente zu bestimmen und festzustellen, welche Güter unentbehrlich sind.
Doku 2
Jeder Spieler stellt den Wirtschaftsminister eines europäischen Landes dar. Auf dem Spielfeld sind Konjunkturzyklen abgebildet. Der Spieler trifft durch Würfeln entweder auf ein Tief oder ein Hoch. Dementsprechend bekommt er Punkte. Gewinner ist dasjenige Land mit der höchsten "Wachstumsrate". Ereigniskarten signalisieren u.a. Arbeitslosigkeit oder Umweltverschmutzung, die das Wachstum positiv oder negativ beeinflussen können. Wissenskarten können im Falle der richtigen Antwort Punkte bringen. Ein Beobachter führt ein Protokoll, in das die erreichten Punkte eingetragen werden. Beispiel für eine Wissenskarte: Wie nennt man die Abschwungphase im Konjunkturverlauf? Antwort: Rezession. Beispiel für eine Ereigniskarte: Die Zentralbank deines Landes kauft Wertpapiere und erhöht dadurch den Geldumlauf in der Wirtschaft. Die Zinsen sinken und die Wachstumsaussichten verbessern sich (plus ein Punkt).
Doku 3
Die Schüler sollen wissen, was die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) will, wie weit die Vorstufe gediehen ist, welche Probleme es gibt (unterschiedlicher Entwicklungsstand der Nationen), wie die Konvergenzkriterien aussehen usw. Die Schüler bekommen sogenannte Materialien, die sie lesen sollen und an die sich Fragen anschließen. (Auszug aus: Handbuch zur Europapolitik, Brittan: Die europäische Herausforderung, Wirtschaftsteil der Zeitung u.a.) Beispiel für eine Frage: "Charakterisieren sie die Ziele der WWU und benennen sie die einzelnen Phasen, die im Vertrag von Maastrich vorgesehen wurden." [/S. 203:]
Doku 4
Die "Unterrichtskonzeption" ist eigentlich nur eine vereinfachte volkswirtschaftliche Modellbildung. Die Arbeitslosenquote wird in Abhängigkeit von Konjunkturzyklen untersucht und festgestellt, daß es eine Asymmetrie gibt, was soviel besagt, daß selbst in Zeiten des Konjunkturaufschwungs die Zahl der Arbeitslosen nicht oder nur sehr langsam abnimmt. Die Interventionsmöglichkeiten des Staates werden als in der Tradition des Keynesianismus stehend kritisiert. Die Gewerkschaften werden als Organisationen bezeichnet, die den Wirtschaftsliberalismus hemmen, indem sie auf die "Einstellungs- und Entlassungspolitik der Arbeitgeber" Einfluß nehmen und so Mitglieder an sich binden wollen.
Doku 5
Es wird dargetan, daß Arbeitsblätter in der Wirtschaftslehre drei Funktion hätten: Eine Motivierungsfunktion (die Schüler fühlen sich inhaltlich herausgefordert), eine Aktivierungsfunktion (der Schüler muß selbständig - also nicht im Team - arbeiten), eine Leistungsgewöhnungsfunktion (Arbeitsblätter bereiten auf Klausuren und Klassenarbeiten vor). Die Arbeitsblätter zum Thema "Der jugendliche Konsument" gehen davon aus, daß Jugendliche eine Kaufkraft haben, um die sich die anbietende Wirtschaft bemüht. 12 Arbeitsblätter behandeln, die Einkommensarten der Jugendlichen, die Konsumschwerpunkte, die Orientierung an sogenannten Meinungsführern, die Analyse von Jugendzeitschriften, insbesondere die dort veröffentlichte Werbung, den Aufbau eines Supermarktes und ein Kreuzworträtsel.
Doku 6
Das 128 Seiten umfassende Schulbuch besteht etwa zur Hälfte aus Text, zur anderen Hälfte aus Fotos, Karikaturen, Grafiken und Sprechblasen, die einmontierte Kurztexte enthalten. Jedes Kapitel schließt mit Aufgaben, für die sich die Autoren entschuldigen. Lieber wäre es ihnen, wenn die Schüler eigene Fragen hätten. Das Buch behandelt nicht nur wirtschaftliche Fragen im engeren Sinne sondern geht auf die Arbeitsteilung im Privathaushalt ein, stellt die Arbeit verschiedener Handwerke und Branchen vor, wobei die technische Seite der Produktion in Abbildungen verständlich gemacht werden soll. Angelehnt an die Materialien der Bundesanstalt für Arbeit wird die Berufswahl behandelt. Einen breiten Raum nimmt die Stellung des Verbrauchers ein. Betriebliche Konflikte werden angesprochen (Arbeitsbummelei und gesundheitsbedingte Leistungsminderung). Wirtschaftliche Themen im engeren Sinne sind: die "Kreislaufbeziehungen" und der "Kapitalmarkt".
Doku 7
Band 2 des Schulbuches für die Klassen 9 und 10 ist sehr ähnlich aufgebaut. Einige Themen werden in verändertem Kontext erneut aufgegriffen, andere treten hinzu. So der Strukturwandel einer Region (Beispiel Ruhrgebiet). Arbeitszufriedenheit, Arbeitsschutz, soziale Sicherung und Mitbestimmung sind Themen, die starke politische, rechtliche und arbeitspsychologische Implikationen aufweisen. Unter der Überschrift "Ökologie contra Ökonomie" werden kontrovers diskutierte Fakten ausgebreitet, die diskussionsanregend erscheinen. Der Versuch, die scheinbare Objektivität von Statistiken durch diametrale Interpretation zu entlarven, ist interessant. In beiden Schulbüchern finden sich zahlreiche Anregungen für Exkursionen und Praktika. [/S. 204:]
Doku 8
Nach Eingangsinformationen (3 Mill. Selbständige in Deutschland, jährlich 400 000 Betriebsgründungen und 300 000 Konkurse) wird das Profil der Unternehmerpersönlichkeit skizziert. Zu einem Unternehmer gehören u.a.: Führungserfahrung kaufmännische Erfahrung, Belastbarkeit, Unterstützung durch die Familie, Selbstdisziplin, Opferbereitschaft, Risikofreudigkeit usw. Die Schüler sollen dann eine Checkliste für ein fiktives Unternehmenskonzept aufstellen, dazu wiederum gehören Marktanalyse, Branchenanalyse, Rentabiltätsvorstellungen u.a. An der eigenen Schule soll recherchiert werden, ob ein fiktives Produkt "Erfolg" haben könnte. Es gibt Anregungen, Gründerbeispiele zu untersuchen und das Beratungsangebot der Kammern und Innungen kennenzulernen.
Doku 9
Eingangs wird auf den Entschluß der Firma Daimler Benz eingegangen, den neuen Kleinwagen "Smart" in Frankreich zu produzieren. Siemens baut Elektrogeräte in Böhmen, Henkel produziert Persil in Slowenien. 1994 hat die deutsche Industrie 22 Mrd. Mark im Ausland investiert. Die Schüler bekommen 17 (!) Schaubilder aus denen viele Details herauslesbar sind. Drei Motive für die angesprochene Entwicklung werden genannt: Das Markterschließungsmotiv (sichert auch Arbeit zuhause), das Rentabilitätsmotiv (im Falle eines Verzichts würde nicht automatisch in Deutschland investiert), das Kostensenkungsmotiv (Kosten können auch auf anderen Wegen gesenkt werden). Mit 44,-DM liegt die Arbeitsstunde in Deutschland auf Platz 1.in der Welt. Der Arbeitnehmer erhält jedoch nur 24,-DM (Platz 4) Die hohen Lohnnebenkosten werden als Problem bezeichnet. An einem Fallbeispiel wird dies weiter verfolgt (Automobilarbeiter bei AUDI).
Doku 10
Die Schüler lernen den EAN-Code kennen (Europäische-Artikel-Nummer). Scannerkassen sind den Schülern aus vielen Alltagsbeobachtungen vertraut. Mit Hilfe von "Expertenbefragungen" sollen die Schüler Handelsbetriebe vergleichen, die zum einen. bereits mit einem ausgebauten Warenwirtschaftssystem arbeiten und solche, die ihre Warendisposition noch ohne Computerunterstützung (oder erst partiell) bewältigen. An Beispielen wird demonstriert, welche Auswirkungen es hätte, wenn Campingartikel erst nach Saisonbeginn bestellt würden, bzw. wenn die Lagerbestände einer CD nicht rechtzeitig aufgefüllt wurden, obwohl bekannt war, daß eine sehr populäre Pop-Gruppe ein Konzert gibt usw.
Doku 11
Die Schüler werden mit der provozierenden These konfrontiert, der Grüne Punkt gehöre auf den Müll, denn er bitte den Verbraucher zweimal zur Kasse. Nach Informationen über das DSD (Duales System Deutschland) Gesellschaft für Abfallvermeidung und Sekundärrohstoffe m.b.H. (diese Gesellschaft entlastet bekanntlich Abfüller, d.h. Hersteller und Händler von ihrer Entsorgungspflicht.) wird behauptet, der Konsument bezahle einen Aufpreis für Waren mit dem Grünen Punkt, wegen verschiedener Engpässe landeten die Verpackungen aber schließlich doch auf dem Müll und die Entsorgung müsse noch einmal bezahlt werden. Die Schüler erkunden eine Mülldeponie, eine Verbrennungsanlage und einen Verwertungsbetrieb. Sie lernen den Unterschied zwischen echtem Recycling und der Herstellung eines dann nicht weiter recycelbaren Zwischenprodukts kennen. [/S. 205:] Videoaufnahmen und eine von Schülern aufgebaute Ausstellung sollen die gewonnenen Erkenntnisse verbreiten.
Doku 12
In einem mittelständischen Unternehmen der Werkzeugmaschinenherstellung hat sich die Auftragslage stark verschlechtert. Von vier Drehern soll einem gekündigt werden. Die vier Dreher werden vorgestellt (Alter, Familiensituation, Leistungsniveau) Die Fallstudie setzt sich nun mit der Kündigung eines der Facharbeiter auseinander. Der Gekündigte protestiert beim Betriebsrat. Das BVG (§ 102) wird besprochen, Kündigungsarten untersucht (Betriebsbedingte K., personenbedingte K., verhaltensbedingte K., ordentlich K., außerordentliche K., usw.) Die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellt wird am Beispiel der Kündigungsfristen diskutiert.
Doku 13
Die Sparkassen veranstalten in vielen Regionen ein sogenanntes Börsenspiel, bei dem die Schüler Wertpapiere kaufen und spekulieren und dementsprechend auch über Gewinn und Verlust belehrt werden. Die Simulation bekommt durch den "Lernort Sparkasse" eine gewisse Realitätsnähe. In dem vorliegenden Unterricht wurde auf das Spiel vorbereitet. Die Schüler müssen den Wirtschaftsteil der Zeitung auswerten und Begriffe im Zusammenhang mit Börsengeschehen erklären können. Die Kurse einer ausgewählten Aktie werden über einen längeren Zeitraum akribisch aufgeschrieben, anschließend wird die maximale Kursschwankungsbreite errechnet. Einen Text über Marktwirtschaft sollen die Schüler in der Weise umformulieren, daß an die Stelle von "Gütern und Preisen" die Begriffe "Aktien und Kurswert" eingesetzt werden.
Doku 14
Es wird von der begründeten These ausgegangen, die Kreditbranche "verleite" die Jugendlichen zum Geldausgeben. Statistische Angaben über die Zahl der verschuldeten Jugendlichen /jungen Erwachsenen werden diskutiert. Die Markenfixierung vieler Jugendlicher ist erheblich (nur Jeans von der Firma XY sind tragbar). Eine solche Haltung ist durch persönliche Appelle nicht änderbar. Deshalb soll versucht werden, einen Gruppenkonsens in der Klasse herzustellen, erst dieser könnte den einzelnen Jugendlichen von Konsumzwängen "befreien". Das "Schuldenkarussel", ein Würfelspiel, wird eingesetzt. Der Besuch einer Verbraucherberatungsstelle wird vorbereitet. Ein kleiner Fragebogen erhebt Daten, wofür die Jugendlichen ihr Geld (Taschengeld u.a.) ausgeben. Bei einem Experiment versucht eine 17jährige Schülerin in sechs Bankinstituten einen Kredit zu bekommen. Nur zwei Banken verhalten sich korrekt und fordern die entsprechende Zustimmung der Eltern.
Doku 15
Ein kleines Dorf in Dithmarschen mit viel Wald und Seen steht vor der Frage, ob es einem amerikanischen Tourismusunternehmen die Genehmigung für den Bau eines Ferienclubs am See geben soll. Der Bürgermeister, der Förster, der Bäcker, die Leiterin einer Bürgerinitiative, der Vorsitzende eines Wandervereins und der amerikanisch Manager tauschen Argumente aus.(Rollenübernahme durch Schüler) Die Gemeinde könnte Einkünfte gebrauchen, die Naturfreunde haben große Bedenken. Die Schüler müssen schriftlich kommunizieren, Durchschläge der Argumente werden vom Spielleiter gesammelt, bewertet und problematisiert. [/S. 206:]
In der schon bekannten Weise werden die Dokumente mit den Beurteilungskriterien konfrontiert.
Die Unterrichtsbeispiele schneiden schlecht ab, das vermittelte Wissen ist meistens zusammenhanglos, von "außen" an die Schüler herangetragen, es sind kaum Chancen für Selbsttätigkeit und entdeckendes Lernen erkennbar. Die Schulbücher sind thematisch variationsreicher, sie sammeln deshalb mehr Punkte. Erfahrungsgemäß kann ein ganzes Buch wegen des geringen Stundenanteils des Faches aber nicht durchgearbeitet werden.
Unser Kriteriensatz vereint normative und logische Aussagen. So glauben wir, daß Erwerbsarbeit und Hausarbeit der Referenzrahmen sind, auf den sich jede Belehrung über "Wirtschaft" beziehen müßte. Dies hat nicht nur damit zu tun, daß Arbeit die Basis jeder Wertschöpfung ist, wir sehen in Arbeit auch das Medium, in dem sich eine Persönlichkeit bildet. Wirtschafts-"Pädagogik" ist also auf dem falschen Wege, wenn sie Strukturwissen oder gar Gleichgewichtsmodelle vom anthropologischen Bezugspunkt ablöst. Und das tut sie unablässig. Eine logische Konsequenz des hinlänglich bekannten, aber fast nie ernstgenommenen Diktums: "alles Wirtschaften dient dem Endverbraucher" wäre es, die Wohlfahrt des Konsumenten stets in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen. Der Wohlfahrtsbegriff ist längst nicht mehr quantitativ im Sinne von hohen Konsumchancen definiert, er ist qualitativ gewendet und vor allem ökologisch zu verantworten. In den Wirtschaftslehrekonzepten trifft man zwar auf solche Themen, sie sind aber oft eines unter vielen.
Die in der Wirtschaftslehre dominierenden Simulationsverfahren sind durchaus zieladäquat, denn der Unterricht besteht auf weiten Strecken in der Auslegung von Begriffen. Um ein solches didaktisches Milieu zu vitalisieren, müssen Gespräche in Gang kommen. Simulationsverfahren eignen sich dazu. Oft produzieren die Schüler realitätsentlastete Lösungsvorschläge in großer Zahl. Ein auf Sachfragen zugespitzter Unterricht der nur richtige oder falsche Antworten zuläßt, soll hier nicht als Alternative empfohlen werden. Ob allerdings ein Schüler in der Rolle des Wirtschaftsministers (bei der Steuerung von Konjunkturzyklen) noch die Verbindungsfäden zur Realität halten kann, wird [/S. 207:] unwahrscheinlich. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, daß in einigen Fällen die Fabulierlust mit dem Schüler durchgeht.
Vorstellbar ist natürlich eine ganz andere Wirtschaftslehre, die ohne Simulation auskommt, weil sie reale Prozesse reflektiert: Die Schüler stellen ein Produkt her, und versuchen es zu vermarkten. Oder: die Schüler kaufen (bezahlbare) Konsumgüter ein, untersuchen diese auf Gebrauchstauglichkeit, Preisbildung, Herkunft usw. Aber damit würden wir die Grenze zur Arbeitslehre überschreiten.
[/S. 208:]
Eine den Fächern Deutsch und Mathematik vergleichbare, niemals strittige Kanon-Zugehörigkeit kann das Schulfach Wirtschaft nicht vorweisen. Wir hatten jedoch weiter vorn darauf verwiesen, daß eine einflußreiche Gruppierung seit Jahrzehnten Wirtschaft als Schulfach der allgemeinbildenden Schulen fordert.
"In zahlreichen Stellungnahmen hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände seit den fünfziger Jahren wiederholt die Forderung nach einer wirtschaftlichen Grundbildung für alle Schüler bekräftigt. Unverändert gültig blieb bis heute der Begründungszusammenhang für die Forderung , die Hinführung der Schüler zur Wirtschafts-, Arbeits- und Berufswelt als einen maßgeblichen Schwerpunkt im Bildungskanon des Allgemeinbildenden Schulwesens zu verankern."
(Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Köln 1980 [3], S.10)
Daß Wirtschaftslehre längst nicht in allen Schulen zum Kanon gehört, hängt u.a. mit einer distanzierten Haltung der Gewerkschaften zusammen. Diese sehen, nicht ganz zu Unrecht, in einem Schulfach Wirtschaft Wettbewerbsvorteile für die Unternehmer. Angebote der Unternehmen sind für Lehrer und Schüler oft attraktiver als Gewerkschaftsbroschüren. Die pädagogische Fachwelt ist gespalten. Unter den allgemeinbildenden Schulen ist es die Realschule, die traditionell eine gewisse Affinität zum Fach Wirtschaft hat. Noch bis in die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg überwog in Realschulen deutlich der Mädchenanteil. Für diese aufstiegsorientierte Klientel waren technische Berufe keine ernsthafte Alternative, die prestigearmen "Frauenberufe" Verkäuferin usw. aber auch nicht. Berufskarrieren als "mittlere wirtschaftliche Führungskraft" schienen attraktiv. Es liegen uns keine überprüfbaren Angaben darüber vor, wieviele Realschulabsolventinnen in kaufmännische Berufe einmündeten, die über Verkäuferin-Niveau lagen.
FAUSER, ein entschiedener Vertreter des praktischen Lernens in der Schule, hat Probleme mit der Wirtschaftslehre:
"Auf Grenzen stößt das praktische Lernen auch bei Feldern der Kultur, die in sich selbst abstrakt sind und kaum anschaulich gemacht werden können. Zu denken ist nicht nur an Wissenschaft, sondern auch an Fragen der Weltwirtschaft oder der Währungspolitik u.ä., die zwar durch Modellbildung erschlossen werden können, in ihren Funktionsabläufen und Zusammenhängen aber abstrakter Zugänge bedürfen."
(FAUSER, 1991 [3], S.125)
Wer heute einem Sonderschullehrer oder einem Hauptschullehrer in Berlin zumutet, mit seinen Schülern wirtschaftliche Modelle zu diskutieren, wird Hohn und Spott ernten, gleiches gilt für viele Gesamtschullehrer. Die Klientel dieser Lehrer steht z.T. unter starkem ökonomischen Druck, insofern wäre Aufklärung über Zusammenhänge scheinbar funktional. Aber eingedenk der BRECHTchen Weisheit "Erst kommt das Fressen und dann die Moral" geht der Lehrer mit seinem Schüler zur Schuldnerberatung, zum Polizeirevier um einen Ladendiebstahl abzuwiegeln, zum Supermarkt, um Käuferfallen zu zeigen usw.
Anders stellt sich die Situation am Gymnasium und teilweise an Realschulen dar. Man kann davon ausgehen, daß in Mittelschicht-Elternhäusern "Wirtschaft" positiv besetzt ist. Die Unternehmerpersönlichkeit, der White-Collar-Job, die Eigentumsbildung, all das sind bürgerliche Wertassoziationen, die auch Bildungsvorstellungen beeinflussen.
FLITNER hat sich mit der Frage auseinandergesetzt "warum lernen Kinder?" Eine unter mehreren Antworten lautet, weil das zu Lernende Geltung in der Gesellschaft hat. [/S. 209:]
"schließlich nennen wir die soziale Anerkennung des zu Lernenden, die Geltung der Bildung in der Gesellschaft. Was hohe Anerkennung genießt, das teilt sich auch den Kindern, den Schülern mit; nicht nur Autofahren, Konsumieren, Rauchen, Musikhören, Kleidermoden und ähnliches sondern auch - nach Lebenswelten unterschieden - ein bestimmtes Wissen und der Umgang damit. Eine hohe soziale Geltung hatte und hat auch heute noch das, was man 'Bildung' nennt. Der Begriff ist zwar unscharf geworden, und es gibt keinen Konsens mehr darüber, welche Inhalte heute die Bildung ausmachen sollen......In dem Maße, wie die Gesellschaft demokratisch und plural geworden ist und die Geltung des Lateins oder der Religion ......diskutiert, haben sich auch die Schüler mit dieser offenen Situation des Lernens auseinanderzusetzen."
(A. FLITNER 1986 [3], S.9f)
"Nach Lebenswelten unterschieden" ist die Parenthese, auf die es uns ankommt. Ein Fach Wirtschaft wird in (westdeutschen) Gymnasien und möglicherweise in Realschulen nicht um Geltung ringen müssen. Für große Teile unserer Jugend ist die Sache aber komplizierter. Das Milieu, aus dem diese Jugendlichen stammen, ist nicht gekennzeichnet durch eine wertpositive Auseinandersetzung mit Wirtschaftsfragen. Ja, wir haben sogar die historisch einmalige Situation zu würdigen, die durch den Export der sozialen Marktwirtschaft in die neuen Bundesländer entstand. Im dortigen Bildungswesen hatten tatsächlich Lehrbücher über Wirtschaft Konjunktur. In dem Maße aber, in dem die reale wirtschaftliche Situation durch Pleiten, Arbeitslosigkeit, Rückgabe von Immobilien usw. belastet war, schwand auch der Glaube an die Bildungsbedeutsamkeit der Wirtschaftslehre.
Eine empirische Untersuchung an Berliner Jugendlichen (Ost u. West, alle Schularten, Klassen 7 bis 10) zwischen 1991 und 1994 zur Frage: "Auswirkungen von ökonomischem Druck auf die psychosoziale Befindlichkeit von Jugendlichen" fand den bereits früher festgestellten Zusammenhang nicht widerlegt, wonach Eltern aufgrund ökonomischer Deprivation ihre schlechte Befindlichkeit massiv in das Familienklima einbringen.
(BUTZ/BOEHNKE 1997 [3])
FLITNER hat natürlich recht wenn er sagt, daß alle Schüler eine mehr oder weniger manifeste Wertorientierung haben. Nicht nur die materiellen Kultgegenstände sind es, die ihr Leben prägen, sie möchten Anerkennung in der Arbeit, wollen ökologisch helfen, sind sogar zur Konsumeinschränkung bereit, wenn sinnvolle Tätigkeiten offenstehen. Die Frage, ob Wirtschaftslehre in der heute weithin anzutreffenden Ausprägung einen Bildungsbedarf trifft, muß sehr zurückhaltend beantwortet werden. Die gesellschaftliche Anerkennung ist auf keinen Fall ungebrochen, sie ist sogar dort, wo sie scheinbar vorhanden ist, mit der Alternative Arbeitslehre konfrontiert.
[/S. 210:]
Während wir bei den Schulfächern Technik und Haushalt ziemlich gut sehen konnten, daß eine die Wahrheitskriterien liefernde Bezugswissenschaft fehlt und damit auch die Gefahr der Abbilddidaktik entschärft ist, liegt der Fall bei einem Fach Wirtschaft anscheinend anders. Immerhin gibt es die beiden etablierten Wirtschaftswissenschaften, die Volkswirtschaftslehre und die Betriebswirtschaftslehre. Nun hatte KAMINSKI [5], der ein Verfechter der Wirtschaftslehre pur ist, einräumen müssen, daß die wirtschaftswissenschaftlichen Universitätsdisziplinen nur eine Orientierungs- keine Ableitungsfunktion für das Schulfach haben könnten (Vergl. S. 183 dieser Abhandlung).
Die Betriebswirtschaftslehre kann u. E. eine Orientierungsfunktion (für Schüler) nur in einem sehr vermittelten Sinne haben. Daß die Betriebswirtschaftslehre im Kern eine Gewinnmaximierungs-Lehre ist, läßt sich kaum bestreiten. Ihre modernen Theoriebestandteile, die oft mathematische Kalküle sind, müßten dem Schüler eigentlich als Bedrohung entgegentreten. Die Marketingstrategien etwa, haben deutlich manipulative Bestandteile, die nicht immer die Wohlfahrt des Konsumenten sondern dessen Verfügbarkeit zum Ziel haben. Substitutionsrechnungen von der Art, daß eine drei Millionen DM teure Maschine drei Arbeiter "freisetzen" könnte, sind zunächst mal nicht schülerfreundlich. Nun kann man aus den genannten Gründen nicht betriebswirtschaftliche Erkenntnisse aus der Schule verbannen. Wenn z.B. junge Menschen vor dem Verlassen der allgemeinbildenden Schule sich auch mit der Chance - vielleicht sollte man besser sagen: dem Risko - der Existenzgründung beschäftigen, werden betriebswirtschaftliche Basisinformationen nicht schaden können. Eine andere didaktische Argumentation hebt ab auf das Studium der gegnerischen Taktik. Als Verbraucher müßte man die Strategien der Unternehmen kennen, um ihnen wirkungsvoll begegnen zu können.
Betriebswirtschaftliche Qualifikationen, die man für die Führung eines Kleingewerbes benötigt, haben in der Regel keinen Wissenschaftsstatus; es handelt sich um kaufmännisches Regelwissen, um arbeitsorganisatorische Fähigkeiten usw. (Vergl. z.B. Fischer/Hartwig/Reuel: Das Lernbüro im Rahmen der Arbeitslehre, Berlin 1994 [3]). Was die Aufklärung der jungen Verbraucher angeht, sind, ganz unabhängig von betriebswirtschaftlichen Lehrmeinungen, teilweise in Auseinandersetzung mit ihnen, didaktische Konzepte entstanden. (Vergl.: STEFFENS 1983 [3], Urbatzka 1992) Insofern ist zumindest für die allgemeinbildende Schule die Bezugswissenschaft "Betriebswirtschaftslehre" irrelevant.
Der Fall ist , was die Volkswirtschaftslehre betrifft, etwas komplizierter gelagert. GUNNAR MYRDAL [14]
hat den ideologischen Gehalt der Volkswirtschaftslehren bis zur Mitte dieses Jahrhunderts aufgedeckt. Bereits der Ahnherr der modernen Nationalökonomie, ADAM SMITH, ignorierte eine Grenzziehung zwischen Politik und Ökonomie. Seinen "Reichtum der Nationen" verstand er als eine Sollensforderung an die Politik. MYRDAL bescheinigt der Nationalökonomie bis in dieses Jahrhundert ein Verwischen der Grenzen zwischen wissenschaftlicher Forschung und den daraus (unzulässig) abgeleiteten Folgerungen für eine Wohlfahrt der Menschheit. Auf die Wertfreiheit der Wissenschaft wird in der Nationalökonomie bereits durch den Sprachgebrauch ein Schatten geworfen: ständig ist vom Nutzen die Rede, von Werten, vom Gleichgewicht, vom Sowieso-Optimum usw. [/S. 211:]
"So läßt sich bildlich sagen, daß der Preis die 'Aufgabe' erfüllt, die Nachfrage zu beschränken und das Angebot zu stimulieren, so daß Gleichgewicht entsteht. Solche Ausdrucksweise kann sich aus dem rein stilistischen Grund empfehlen, um damit der Darstellung größere Leichtigkeit zu geben. Aber vergißt man nur einen Augenblick, daß es sich dabei lediglich um eine Metapher handelt, so fügt sich dem Hauptsatz leicht ein äußerst gefährlicher Nebensatz an: wobei der Gleichgewichtspreis 'richtig' ist und die Produktionsfaktoren ihrer wirtschaftlichsten Verwendung zugeführt werden. Wir befinden uns dann wieder in einer normativ-teleologischen Denkweise. Ist man bis zu dieser nicht nur falschen, sondern strenggenommen sinnlosen Formulierung gekommen, so wird die Sache nicht dadurch besser, daß man weiterhin postuliert, das Gesagte gelte nur 'vom Standpunkt der auf dem Markte oder in der Gesellschaft herrschenden Wertung'. Es existiert auf dem Markte oder in der Gesellschaft keine 'Wertung' - im Singular - sondern es gibt ebenso viele 'Wertungen' wie tauschende Personen. Die 'Wertungen' sind bedingt von der ökonomischen Lage, in der sich jeder einzelne befindet, und diese ist u.a. ihrerseits wieder mitbestimmt vom gesamten Preisbildungsprozeß, wie er gerade als Resultat dieser Wertungen abläuft. Außerdem sind Wertungen als solche wissenschaftlich inkommensurabel. Es ist nicht zulässig, eine einheitliche gesellschaftliche Wertsetzung in die wissenschaftliche Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen auf diese Weise einzuschmuggeln."
(MYRDAL 1963 [3], S.17)
Aber nicht nur MYRDAL, auch die renommierte KEYNES-Schülerin JOAN ROBINSON hat sich mit den "Doktrinen der Wirtschaftswissenschaft" auseinandergesetzt. Sie kommt zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Eine der Hauptschwierigkeiten der Volkswirtschaftslehre sieht sie darin,
"daß die Nationalökonomen - in Ermangelung experimenteller Methoden - nicht streng genug genötigt sind, metaphysische Begriffe auf widerlegbare Sätze zu reduzieren und daß sie sich nicht zu einer Übereinkunft darüber durchringen können, was sich als falsch erwiesen hat. Am einen Bein ungeprüfte Hypothesen, am anderen unprüfbare Slogans - so humpelt die Nationalökonomie daher. Unsere Aufgabe liegt darin, diese Mischung von Ideologie und Wissenschaft so gut es geht auseinanderzusortieren."
(ROBINSON 1965 [3], S. 35)
Nimmt man eine klassische "Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen" zur Hand, etwa die von SCHACHTSCHNABEL, wundert man sich über Theorien, die trotz offensichtlicher Widersprüchlichkeit fortgeschrieben werden. (Siehe auch die Bemerkung ROBINSONS, wonach endgültige Falsifizierungen volkswirtschaftlicher Doktrinen eher selten sind.) Auf JOHN STUART MILL geht die Theorie des "neutralen Geldes" zurück. Nach ihm gibt es..
"für die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft nichts Unwesentlicheres als das Geld."
(zitiert nach SCHACHTSCHNABEL 1971 [3], S.238)
Der Begriff des "Geldschleiers" soll ausdrücken, daß über der realen Wirtschaftstätigkeit und diese nicht beeinflussend, ein Schleier von Geld liegt, der elastisch genug ist, um alle Änderungen z.B. der Austauschbeziehungen mitzumachen. Diese Theorie ist nicht obsolet, sie lebt in veränderter Gestalt fort. Man halte sich nur das derzeitige Sparvolumen der Deutschen vor Augen und stelle sich eine drastische Geldentwertung vor, welchen Eindruck würde bei den betroffenen Sparern die Theorie des neutralen Geldes machen?
In "Geschichte und Ökonomie" fragt HANS-ULRICH-WEHLER:
"Was z.B. wird vom heuristischen Wert - von der theoretischen Erklärungskraft ganz zu schweigen - der Theorien des Equilibriums, des vollständigen Wettbewerbs, von Angebot und Nachfrage übrigbleiben, wenn [/S. 212:] der Historiker bzw. der historische Sozialwissenschaftler es unablässig mit Ungleichgewicht und Ungleichmäßigkeit, also nie mit Gleichgewicht zu tun hat, wenn er statt der Fata Morgana des vollständigen Wettbewerbs sehr konkrete oligopolistische Konkurrenz, mithin Macht statt Marktgesetze feststellt, wenn er soziale Kriterien der Verteilung und Herrschaft Angebot und Nachfrage dominieren sieht? Weshalb dann nicht gleich eine historisch adäquate Theorie, die von der gleichsam prinzipiellen Disproportionalität des kapitalistischen Wachstumprozesses ausgeht, auf die fragwürdig regulative Idee des vollständigen Wettbewerbs verzichtet, gesellschaftliche Machtkonstellationen und Werte voll mit einbezieht?"
(H.-U. WEHLER, 1973 [3], S.23 f)
Wenn man die Ideologieanfälligkeit der verschiedenen volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen einmal beiseite läßt kommt man früher oder später zu der erkenntnistheoretischen Schlüsselfrage: ist unser Bewußtsein bestimmt durch die wirtschaftlichen Verhältnisse oder ist die historische Ausprägung des Wirtschaftssystems Ausfluss einer Idee. Personalisiert wird dieser Gegensatz in MARX und WEBER. (vergl. insbesondere: KOCKA: Karl Marx und Max Weber im Vergleich [3], in: H.-U.WEHLER 1973, S.54 ff) Eine Sowohl-als-auch-Antwort kann hier nicht mehr entfaltet werden. Unsere knappe Ideologiekritik an volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen hatte nur einen Zweck: Nachdenklichkeit unter Pädagogen darüber anzustoßen, ob die behauptete "wissenschaftliche" Überlegenheit einer schulischen Wirtschaftslehre (gegenüber der Arbeitslehre) haltbar ist.
[/S. 213:]
Wir hatten die drei Partikularfächer Haushalt, Technik und Wirtschaft in zweifacher Absicht analysiert: zum einen wollten wir uns vergewissern, welche Inhalte, Methoden usw. für die Arbeitslehre bedeutsam sind. Denn daß die Partikularfächer in die Arbeitslehre einwandern, ist unstrittig. Wir wollten aber auch den Überlegenheits-Anspruch entkräften, den viele Fachvertreter aus den Partikularfächern an die Adresse der Arbeitslehre richten. Im dritten und letzten Teil der Arbeit wird hoffentlich deutlich, daß es nicht um eine Liquidation der Partikularfächer sui generis geht, sondern um eine Integration, bei der die bewahrenswerten Elemente der Partikularfächer zu höherer Wirksamkeit gesteigert sind.
Da die Partikularfächer älter als die Arbeitslehre sind, haben sie je eigene Legitimationsmechanismen entwickelt. Einer der wirksamsten ist der, daß die inhaltliche Substanz des Schulfaches mit Komplexität angereichert wird. Die zu bearbeitende Materie wird universalisiert in einer Weise, daß die Forderung nach Lehrerexperten, nach mehr Stunden und nach Eigenständigkeit an Glaubwürdigkeit gewinnt. Das Fach Haushalt erweitert sich um eine soziologische Dimension, Technik hat den Ehrgeiz ein Verständnis der Gesamttechnik zu vermitteln, Wirtschaft kann angeblich nur noch global gedacht werden usw. Damit ist natürlich der Trend zur Verfächerung des Schulcurriculums nicht gebrochen, er wird verstärkt.
Die Abwehrhaltung gegenüber der Arbeitslehre findet sich in folgender Argumentationskette:
Unsere Analyse ergab einige Anhaltspunkte, die diese Argumentation erschüttern könnten. Zum einen wurde deutlich, daß die populären Einschätzungen der drei Partikularfächer durchaus einen empirischen Gehalt haben. Das Fach Haushalt ist zwar in der Schule zur Koedukation genötigt, die Rekrutierung der Lehrerinnen und der Hochschullehrerinnen kann mühelos ohne die unschöne "In"-Schreibweise erfolgen, denn es handelt sich fast ausschließlich um das weibliche Geschlecht. Der alte, auf praktische Handlungsfähigkeit verengte Hauswirtschaftsunterricht, wird etwas verschämt hinter wissenschaftlichem Imponiergehabe versteckt, was die Gefahr nicht ausschließt, daß er eines Tages verschwindet.
Der Technikunterricht ist, was die Lehrerschaft angeht, nicht so sehr eine Männerdomäne wie der Hauswirtschaftsunterricht eine der Frauen ist, gleichwohl schleppen beide Fächer ein Geschlechtszuschreibung mit sich herum. Technik hat weiterhin große Abgrenzungsprobleme zu einem angewandten Physikunterricht. Technikunterricht hat sich natürlich auch im Zuge der Akademisierung der Lehrerbildung mit dem Wissenschaftlichkeits-Postulat konfrontiert gesehen, eine Erfahrung, die den alten Werklehrern völlig fremd war. Die Folge davon ist eine etwas krampfhafte "Ingenieurisierung" des Unterrichts, die zu Lasten der [/S. 214:] Werkzeug- und Werkstofferfahrung der Schüler geht. Zumindest gilt dies für die didaktischen Konzepte, die Unterrichtspraxis unterscheidet sich davon wohl noch auf längere Zeit. Aber diese Beobachtung trifft auf alle drei Partikularfächer zu.
Die Facetten eines Faches Wirtschaft sind vielfältig. Der Ruf der bläßlichen "Kunde" ist nie ganz verstummt, andererseits wird dem Fach eine Wirksamkeit zugeschrieben, für die die Beweise noch ausstehen.
Bei allen drei Partikularfächern stellten wir eine gewisse Diskrepanz zwischen didaktischen Konzepten und der Unterrichtswirklichkeit fest. Wenn auch unsere Datenbasis für die Beurteilung von Unterricht denkbar schmal war, so konnten doch Anhaltspunkte gewonnen werden.
Die wissenschaftliche Herkunft der drei Partikularfächer muß als schwach begründet bezeichnet werden. Zumindest berechtigt es die Partikularfächer nicht, eine Inferiorität der Arbeitslehre zu behaupten, weil diese keine universitäre Mutterdisziplin vorweisen könne. Das Fehlen einer unmittelbar korrespondierenden Wissenschaftsdisziplin, dies sei am Rande vermerkt ist keine Tragödie. Es mehren sich die Stimmen, die das Wissenschaftsprotektorat über ein Schulfach auch als Last empfinden.
Etwas pointiert läßt sich folgendes sagen: Wenn Vertreter der drei Partikularfächer diejenigen Elemente ihrer Fachsystematik zu den wichtigsten erklären würden, die auch jetzt schon Berührungen mit den jeweils anderen Fachsystematiken haben, wären wir ein großes Stück weiter.
Wir hatten die Entwicklung der Arbeitslehre in der Bundesrepublik nachgezeichnet bis zu jenem Punkt, wo die polytechnische Bildung der ehemaligen DDR als Konkursmasse beim nunmehr "gesamtdeutschen" Bildungssystem abgeliefert worden war. Die historische Situation ist nicht markiert durch mehr Einigkeit über einen im Prinzip unwiderlegbaren Bildungsauftrag. Im Gegenteil: Die schwungvoll begonnene Arbeitslehreentwicklung war zum Stillstand gekommen, der nie ganz erlahmte Separatismuswunsch der Partikularfächer erstarkte, die Restauration des Gymnasiums mit seinem arbeitslehreabstinenten Fächerkanon war nicht aufzuhalten, die Polytechnik-Erbschaft fand in den alten Bundesländern keine Sympathie und in den neuen zu wenig entschiedene Verfechter des bewahrenswerten Grundgedankens. (Vergl. unseren Exkurs im ersten Teil der Arbeit)
Die Bildungsidee der Arbeitslehre hatten wir am Ende des ersten Teils unserer Arbeit noch einmal aus drei Perspektiven reflektiert: Arbeit als unhintergehbare Bedingung des täglichen Lebens auf die vorzubereiten einer allgemeinbildenden Schule wohl anstünde (HANNAH ARENDT [3]). Die gut begründete Hoffnung, daß sich so etwas wie Bildung einstellte, wenn tätiges Eingreifens in das Leben zur Maxime einer Schule würde (JOHN DEWEY [3]). Der experimentell untermauerte Aufbau kognitiver Strukturen, für dessen Gelingen die Arbeitslehre optimale Voraussetzungen bietet. (HANS AEBLI [3]).
Im zweiten Teil der Arbeit befragten wir die Partikularfächer, deren Fortbestehen ein wesentlicher Anteil an der Krise der Arbeitslehre zuzuschreiben ist. Es stellte sich heraus, daß die drei Fachkonstruktionen kaum widerspruchsfreie Bildungsprogramme genannt zu werden verdienen. Ihre Hauptschwäche besteht im Ausgrenzen. Hausarbeit und Erwerbsarbeit müssen als ganzes im Blick sein, ihre Interdependenz, Technizität und Ökonomie zu verstehen, bedarf einer ordnenden Hand.
Immer unabweisbarer wird also die Frage, ob ein Festhalten an der Arbeitslehreidee sinnvoll ist oder ob nicht die Partikularfächer nach didaktischer Modernisierung auf einen Lehr- und Lernverbund festgelegt werden könnten. Aus drei Gründen erscheint uns die zweite Möglichkeit völlig unrealistisch:
Die Lösung kann nur bei einem Integrationsfach gesucht werden. Das bedeutet Abschied von den Partikularfächern, nicht von deren Inhalten, Methoden Fachraumtraditionen usw. Aber es bedeutet entschiedene Eingriffe in Selbstverständlichkeiten und die müssen bekanntlich mit heftigen Abwehrreaktionen rechnen. Es darf keine spezifische Lehrerausbildung unter den logisch fragwürdigen Begriffsbildungen "Technik", "Haushalt", "Wirtschaft" geben. Damit verschwindet nach einer gewissen Zeit das korrespondierende Standesbewußtsein der Lehrer. Schulbuchtitel würden schnell verschwinden, denn die Schulbuchverlage sind erfahrungsgemäß sehr anpassungsfähig. Die Terminologie der Rahmenpläne bedarf einer sorgfältigen sprachlichen Überarbeitung, die allseits Unzufriedenheit auslösenden geringen Stundentafelanteile der Partikularfächer werden gebündelt einem Integrationsfach zugeschlagen. [/S. 217:]
Der vielleicht wichtigste Einwand wird von Menschen kommen, die sogar bis hierher zu folgen bereit waren. Sie werden sagen: und wieder nur ein Schulfach, ein vielleicht nicht so fachsystematisch verengtes, aber eben ein Fach unter einem Dutzend anderer. Wir sehen keine Alternative. Alle Reformer des Gesamtsystems Schule müssen scheitern, und da das System in Fächern organisiert ist, käme eine Ablösung der Fächer einer Fundamentalerneuerung gleich. Eine Verminderung der Fächerzahl, namentlich dort, wo die Fächergrenzen nur noch unter Argumenten, die ihre Überzeugungskraft längst eingebüßt haben, zu halten sind, ist machbar.
Im letzten Teil dieser Arbeit versuchen wir zu zeigen, daß ein Fach Arbeitslehre nicht die Addition handverlesener Inhalte der Partikularfächer ist. Arbeitslehre muß sogar die alte systemtheoretische Formel überbieten: das Ganze sei mehr als die Summe der Teile. Arbeitslehre ist auch dann noch mehr, wenn nur Teile der Teile summiert wurden.
Wir hatten bei der Analyse der Partikularfächer festgestellt, daß sie dazu tendieren, Stoffmengen ständig zu akkumulieren - ein Symptom, das sie mit vielen Schulfächer teilen. Wenn die Arbeitslehre in diesen Sog gerät, ist die Aporie unvermeidlich. Die vorliegenden Arbeitslehreansätze weisen bereits Merkmale von Überfrachtung auf. Hierfür ist aber eine plausible Erklärung zur Hand: Alle Rahmenplankommissionen der ersten Jahre waren mit Vertretern der Partikularfächer besetzt, von denen jeder seine Mitgift aufgenommen sehen wollte. Es ist deshalb sehr wichtig, das Arbeitslehre von vornherein Fachsystematiken zurückstellt und eine Problemorientierung in den Mittelpunkt stellt. [/S. 218:]
Alle Fachsystematiken könnten endlose Deduktionsketten bilden. Aus einem obersten, meist relativ abstrakten Prinzip läßt sich Erstaunliches deduzieren. Bei der Techniklehre war es die Trias: Stoff, Energie, Information, bei der Hauswirtschaft die Daseinsvorsorge, und bei der Wirtschaftslehre die Marktwirtschaft. Immer entstehen unvermeidlich Stoffansammlungen, die den Charakter von Katechismen haben, durch restriktive Praxisbedingungen in der Schule allerdings oft bis zur Unkenntlichkeit verformt werden.
Der wichtigste Unterschied zwischen der Inhaltsorientierung eines Schulfaches und der Problemorientierung ist der, daß Inhaltsorientierungen immer Limesvorstellungen mitführen, d.h., was nicht zum Inhaltskatalog gehört, wird nicht thematisiert. Problemorientierungen dagegen sind grenzüberschreitend, müssen es sein, denn Probleme machen an Fachgrenzen nicht halt. Projektunterricht ist deshalb fachimmanent eigentlich nicht möglich, darauf ist im Kontext der Projektdiskussion immer wieder hingewiesen worden. (FREY 1987, GUDJONS 1994 [3]).
Ein "Fach" Haushalt wird in der Regel die Herstellung eines textilen Gegenstandes vorsehen, niemals jedoch die Demontage und Analyse der Nähmaschine. Umgekehrt kann im "Fach" Technik durchaus die Nähmaschine Gegenstand des Unterrichts sein, ein Kleidungsstück zu nähen, wiese jeder Techniklehrer von sich. Der "Wirtschaftskunde"-Lehrer mag sich dem Thema "Kreditkarten" zuwenden und dem Vormarsch des bargeldlosen Zahlungsverkehrs; es überraschte sehr, würde der gleiche Lehrer eine simple elektronische Schaltung mit den Schülern bauen, die Magnetcodes zu dechriffieren gestattet.
Problemorientierte Didaktiken haben es mit zwei Schwierigkeiten zu tun: die Problemdimension kann außer Kontrolle geraten, m.a.W., wegen der Vielzahl der sich abzeichnenden Informationsdefizite werden einige Suchprozesse abgebrochen und Vermutungen an die Leerstellen gesetzt. Die andere Schwierigkeit besteht im Auffinden bildungsbedeutsamer Probleme überhaupt. Auf die erste Schwierigkeit gehen wir noch weiter unten ein. Die neuen Informationstechniken verheißen u.U. eine Lösung.
Welche Probleme sind es, die Schüler zur Lösungssuche stimulieren könnten? KLAFKI [15] hat die epochalen Probleme herausgestellt, denen eine allgemeine Didaktik nicht mehr ausweichen darf. Wegen ihres überindividuellen Geltungsanspruchs nennt KLAFKI sie "Schlüsselprobleme". (KLAFKI 1991 [3]).
Die fünf von KLAFKI [15] in die Diskussion gebrachten "epochaltypischen Schlüsselprobleme" wollen wir im folgenden von der Ebene eines allgemeindidaktischen Postulats auf die Arbeitslehredidaktik projizieren. In einem nächsten Schritt werden wir feststellen, daß Jugendliche zwischen 13 und 16 - die vorläufig wichtigste Zielgruppe der Arbeitslehre - diese Probleme nicht ohne weiteres als ihre eigenen identifizieren. Da die Probleme ausnahmslos alle betreffen, wird die Vermittlung mit den Deutungsmustern der Jugendlichen zur Aufgabe.
Die Friedensfrage ist das epochaltypische Schlüsselproblem, von dem die Arbeitslehre suspendiert werden sollte. Hier gibt es fachliche Zuständigkeiten bei anderen Fächern. Jenseits jeder Fachdidaktik gehört es zum Erziehungsauftrag der Schule, Friedfertigkeit, Hilfsbereitschaft und Toleranz einzuüben. Aber die systematische Behandlung der Rüstungsinteressen, des Fundamentalismus, der Bürgerkriege usw. ist nicht Sache der Arbeitslehre. [/S. 219:]
Die Umweltfrage dagegen findet in der Arbeitslehre einen Ort, wo die Problembearbeitung erfolgversprechend aufgenommen werden kann. Es ist wohl selbstverständlich, daß Arbeitslehre die Umweltfrage nicht monopolisieren kann und will; Fächer wie Erdkunde, Biologie und Politik leisten wichtige Beiträge. Die sehr hoch einzuschätzende Chance der Arbeitslehre besteht im Aufbau einer durchgängigen Doppelperspektive, angebunden an reale Stoffumwandlungsprozesse! Wenn in handwerklichen, bzw. in quasiindustriellen Herstellungsprozessen Gebrauchsgegenstände entstehen und wenn auf der anderen Seite Hausarbeit praktisch stattfindet, dann erlebt jeder Schüler, wie beide Sphären in je spezifischer Weise Umwelt belasten. Zum einen können umweltgefährdende Verfahren und Werkstoffe im Rahmen des Mikrokosmos Schulwerkstatt substituiert werden, zum anderen kann der Frage nachgegangen werden, welche wechselseitigen Einflußmöglichkeiten und -unterlassungen praktizieren die Haushalte und welche die Unternehmen.
Die Frage gesellschaftlich produzierter Ungleichheit. Auch hier gibt es wohl kein Schulfach, daß nicht aufgerufen ist, den Blick der Schüler zu schärfen für natürliche Ungleichheit (Männer und Frauen, Behinderte und Nichtbehinderte) und die daran sich festmachenden Ungleichheitsnormen der Gesellschaft. Da die gesellschaftlich produzierte Ungleicheit ubiquitär ist, muß Arbeitslehre gewissermaßen seine Problembearbeitung definieren. Es sind hier vor allem zwei Problemkomplexe, die genuin zur Arbeitslehre gehören, und für deren Bearbeitung kein anderes Fach in Sicht ist: erstens die Ungleichheit bei der Last der Hausarbeit und die damit verbundene Ungleichheit bei beruflichen Karrierechancen zwischen Männern und Frauen. Der zweite Problemkomplex hat etwas zu tun mit der Arbeitsteilung zwischen "reichen" und "armen" Ländern. Jedes Stück Material, das in der Arbeitslehre verarbeitet wird, jede Speise, die zubereitet wird, jeder Konsumartikel, der analysiert wird, kommt u.U. aus einem Land, das selbst "arm" ist. Kurzschlüssig und populistisch wäre die Behauptung, wir mästen uns auf Kosten der Armen. Sehr viel komplizierter sind die wahren Zusammenhänge. So überlebensnotwendig die Industrieländer für die Billigproduzenten sind, so beunruhigend ist die Abhängigkeit, die beiderseits auf Dauer gestellt wird.
Die Frage der Kontrollierbarkeit moderner Technik. KLAFKI [15] hat mit diesem epochalen Schlüsselproblem etwas bezeichnet, das extrem kompliziert ist. Inzwischen gibt es Forschungsprogramme zur Technikfolgen-Abschätzung. Allein die Diktion ist verräterisch: die Technik selbst erscheint als Neutrum, die Folgen aber können mehr oder weniger segensreich sein. Wenn es ein Argument gegen ein Schulfach Technik gibt das sich gleichzeitig als Argument für Arbeitslehre anbietet, dann ist es die Technikfolgen-Abschätzung, diese kann nämlich nicht technikimmanent geleistet werden. Arbeitslehre wird die finale Bestimmung von Technik, die Daseinserleichterung des (haushaltenden) Menschen, aus dessen Perspektive befragen und zur Reflexion über die Präferenzen des Haushalts selbst anhalten. Die IuK-Techniken, denen KLAFKI ausdrücklich eine besondere Qualität zuspricht, werden im Gegensatz zu anderen Techniken alle Schulfächer verändern. Das eigentlich Technische an der IuK-Technik hat nicht den Rang eines Schlüsselproblems. Das Problem besteht in der Gefahr, daß ein Ende der Privatheit heraufziehen könnte. Datenschutz und "informationelle Selbstbestimmung" sind die Abwehr-Vokabeln.
Die Frage der Ich-Du-Beziehung ist von KLAFKI [15] wohl auch als eine sehr alte, die Menschheit begleitende Frage verstanden worden. Christliche Brüderlichkeit, [/S. 220:] sozialistische Solidarität, antiker Eros, verlieren sich in der Moderne, und der Ruf nach Religionsunterricht, Ethikunterricht oder sonstigen Programmen zur Entwicklung des Guten im Menschen wird lauter. Wir bezweifeln die Notwendigkeit weiterer Schulfächer, sehen aber auch die unterschiedliche "Eignung" der vorhandenen Fächer für eine wirksame Moralerziehung. Mathematik- und Chemieunterricht sind vielleicht weniger geeignet als der Deutschunterricht. Alle Fächer müssen sich jedoch fragen, ob sie Hilfsbereitschaft und Empathie fördern oder gar erschweren. Die Koedukation ist noch gar nicht so alt in unserem Bildungswesen, und doch gibt es bereits Stimmen, die eine (zeitweise) Abkehr fordern. Die Integration von Behinderten ist eine sehr junge Erscheinung. Und die Entwicklung der Gesamtschule, daran sei erinnert, wollte jungen Menschen das Ausgrenzungserlebnis ersparen. Fast jeder Schüler hat heute einen, meist mehrere ausländische Mitschüler, eine Erfahrung, die noch vor wenigen Generationen völlig fehlte. Institutionelle Bedingungen haben sich also eher verbessert, der Zustand der Gesellschaft aber wird von Soziologen pessimistisch beurteilt: Zahlen über Ehescheidungen, Kindesmißhandlungen, Verkehrs- und Rohheitsdelikte sind beunruhigend.
Es wäre anmaßend, wenn das Fach Arbeitslehre sich als Nothelfer anböte. Man muß aber die dem Fach immanenten Chancen benennen: Die Geschlechter, traditionell in zwei Daseinsbereichen "entmischt", finden in der Arbeitslehre zusammen. Gemeint sind die Technik im weitesten Sinne und die Hausarbeit. Ob Mädchen und Jungen, die gemeinsam eine elektronische Schaltung aufgebaut und Pizza gebacken haben, vor einander auch mehr Respekt empfinden, ist nicht beweisbar. Ob ein in den sprachlichen Fächern "schwacher" Schüler, der in Arbeitslehre überdurchschnittliche Erfolge hat, zu einem weniger frustrierten und ausgeglichenem Menschen sich entwickelt, bleibt ungewiß. Auch die Tatsache, daß isolierte Übungspraktiken in der Arbeitslehre kaum eine Rolle spielen, sondern gemeinsame Planungs- und Durchführungsphasen das Bild beherrschen, läßt bestenfalls die Hoffnung auf mehr Solidarität keimen.
Wir konnten zeigen, daß Arbeitslehre teilweise die KLAFKI [15] schen Schlüsselprobleme aufgreift. Sofern ein einzelnes Schulfach überhaupt zur adäquaten Problembearbeitung geeignet ist, dürfte Arbeitslehre als privilegiert gelten. Die nicht monodisziplinäre Herkunft der Arbeitslehre erweist sich hier als Vorteil. Es wäre falsch, zu verschweigen, daß von Kritikern der Arbeitslehre die Gefahr in einer unkontrollierbaren Entgrenzung des Faches gesehen wird. Dieser Gefahr kann nur mit der Beschreibung eines invarianten Kerns der Arbeitslehre begegnet werden. Die Betonung liegt auf "Beschreibung", denn die explikative Annäherung erscheint uns als die einzig angemessene. Aussagen im Duktus von Lernzielen setzen bereits eine Problemlösung voraus.
Wenn dieser "Kern" einmal Konsens erlangt, ist eine Entgrenzung nicht mehr bedrohlich. Dies dürfte langfristig ein Gütekriterium für Schulfächer sein: Wie beweglich sind sie an den Rändern? Kein Schulfach kann genötigt werden, einen substantiellen Kern aufzugeben. Aber es muß erwartet werden können, daß Problemsensibilitäten für Grenzbereiche da sind und daß Vernetzungen stattfinden.
Die neun nachfolgend beschriebenen fachdidaktischen Schlüsselprobleme der Arbeitslehre sind deren invarianter Kern. Es ist nicht bekannt, daß irgend eine Arbeitslehrekonzeption eines dieser Probleme gar nicht thematisiert. Allerdings sind zahlreiche Themen bzw. Stoffkonvolute benennbar, die auch angeblich zur Arbeitslehre gehören, die wir aber vernachlässigen. Um nur die wichtigsten zu nennen: Die Sozialisationsfunktion des Haushalts (Kindererziehung), die Geschichte der Arbeiterbewegung, große Teile der Wirtschaftspolitik (Unternehmenskonzentration, [/S. 221:] Steuern, Geldpolitik), Ökologische Fragen (Artenschutz, Klimaveränderungen), Fragen im Grenzbereich von Technik und Naturwissenschaften (Energiebilanzen, alternative Energieformen). Die Liste ist wesentlich länger. Man hat Skrupel bei der Ausgrenzung. Aber immer wieder muß an die Existenz der anderen Fächer erinnert werden, und solange Schule arbeitsteilig abgehalten wird, liquidiert sich ein Fach selbst, wenn es sich von der Allmachtsphantasie fortreißen läßt.
Die nachfolgend genannten fachdidaktischen Schlüsselprobleme der Arbeitslehre werden in komprimierter Form vorgestellt. Ihre Offenheit verbietet die Aufstellung von Inhaltskatalogen oder gar Lernzielen.
Der Beschreibung von neun fachdidaktischen Schlüsselproblemen vorangestellt ist die eigentliche Substanz der Arbeitslehre: die beiden unverwechselbaren Grundtypen der Arbeit, die Erwerbsarbeit und die Hausarbeit.
Dies ist notwendig, wie aus den folgenden Ausführungen vielleicht hervorgeht. Arbeit, sei eine Universale, machen die einen geltend und deshalb als Strukturierungskriterium ungeeignet. Die anderen wollen einen neuen Arbeitstyp entdeckt haben, der von der Arbeitslehre unbedingt systematisch zu bearbeiten sei. Diese sogenannte "Eigenarbeit" stößt neuerdings auf großes Interesse (vergl. auch unsere Anmerkung auf S dieser Arbeit). Unter Eigenarbeit wird ein Drittes verstanden, das angeblich nicht Erwerbsarbeit und nicht Hausarbeit ist. Wenn jemand sein Wohnzimmer tapeziert, an seinem Auto die Batterie wechselt oder neue Vorhänge näht, so sei dies Eigenarbeit. Bei Licht besehen handelt es sich um teilweise vergessene Hausarbeit oder um Berufsarbeit, die mehr oder weniger kompetent ohne Entlohnung ausgeführt wird. An die im historischen Prozeß notwendig gewordene Ausdifferenzierung der Berufe muß erinnert werden, weil das "ganze Haus" an Funktionsgrenzen gestoßen war. In dann folgenden Entwicklungsperioden waren auch scheinbar originäre Hausarbeiten wie Wäschewaschen und Nahrungszubereitung teilweise ausgelagert worden. Wenn jetzt im Zuge der "Sättigung" von Berufsarbeit eine Rückverlagerung in den Haushalt erfolgt, besteht noch keine Notwendigkeit, eine kategoriale Neuordnung zu verkünden.
Gewiß lassen sich im Kontext sogenannter Eigenarbeit veränderte Motivationslagen beobachten, etwa die von der Hobbykultur her bekannte Begeisterung. Und selbst wenn das Hobbyprädikat unzutreffend sein sollte, weil die Begeisterung sich in Grenzen hält und allein ökonomische Kalküle der Beweggrund sind, einen Typus "Eigenarbeit" vermöchten wir nicht zu erkennen.
An dieser Stelle möchte ich kurz einen unaufgelösten Dissens mit WILFRIED HENDRICKS [3] benennen. In vielen Gesprächen legte er seine Option für eine Dreiteilung des Arbeitsbegriffes dar. Motivationale, funktionale und vom Mitteleinsatz her differente Merkmale rechtfertigten die Beschreibung der Eigenarbeit; die analytische Verfeinerung des Begriffsapparats könnte das Gesamtphänomen Arbeit transparenter machen. Wir glauben, daß die beiden Kategorien Erwerbsarbeit und Hausarbeit ausreichen. Eine über den Hypothesenstatus hinausgehende Bearbeitung des Problems steht noch aus, dürfte aber für die weitere Entwicklung der Arbeitslehre dringlich sein.
Eine andere Interessenkonstellation zielt offenbar darauf ab, den Begriff Hausarbeit generell durch Eigenarbeit zu ersetzen. Die Konnotationen von "Hausarbeit" werden als biedermeierlich empfunden, vom Begriff der Eigenarbeit erhofft man sich mehr Attraktivität. Sprachliches Design genügt in den meisten Fällen nicht. Die von einigen Fachvertretern als Peinlichkeit empfundene Bezeichnung Arbeitslehre soll durch "arbeitsorientierte Bildung" salonfähiger werden, ein aus unserer Sicht untauglicher Versuch. [/S. 222:]
R.G. HEINZE und C. OFFE [16] haben sich mit "Formen der Eigenarbeit" auseinandergesetzt. Der besonders in den Medien oft unreflektierten Verwendung des Begriffes halten sie ihre Definition von Eigenarbeit entgegen. Es handelt sich dabei um professionelle "Erwerbsarbeit", die ihre betriebliche Bindung aufgegeben hat und nicht in Geldgrößen entlohnt wird. Würde sie dies nicht tun, wäre der Tatbestand der Schwarzarbeit erfüllt. So aber kommt es zu einer Tauschwirtschaft auf Gutscheinbasis, denn die Eigenarbeit kann nur selten direkt getauscht werden. (Haarschnitt gegen Ölwechsel am Auto) Die für die Eigenarbeit erworbenen Gutscheine dienen zum "Einkauf" fremder Eigenarbeit. Die relativ strengen Ansprüche an eine Arbeitsform, die das Prädikat "Eigen" verdient, schließen in den meisten Fällen das aus, was als Heimwerkerei und gutgemeinten Hilfsdiensten heute unter Eigenarbeit firmiert.
"Auch begrifflich-analytisch sind gegen eine expansive Neubestimmung des Arbeitsbegriffs Einwände zu erheben. Von 'Arbeit' kann nur dann gesprochen werden, wenn eine Tätigkeit durch ein vorbedachtes und nicht nur von den Arbeitenden selbst, sondern auch von anderen als nützlich bewertetes Ziel geleitet wird und wenn sich die auf dieses Ziel gerichteten Anstrengungen in einer gewissen Übereinstimmung mit dem gesellschaftlich erreichten Stand der technischen Produktivität befinden. Nach diesen beiden Kriterien der sozialen Validierung von Zielen und der Effizienz des Mitteleinsatzes würde etwa ein großer Teil der als 'Hobbies' betriebenen Tätigkeiten nicht sinnvollerweise der Sphäre der 'Arbeit' zugerechnet werden können, sondern müßte - wie etwa auch sportliche Tätigkeit - als eine konsumptive Art der Freizeitverwendung klassifiziert werden. Überall dort, wo der 'Arbeitsprozeß' und sein 'Ergebnis' schwer oder überhaupt nicht voneinander zu trennen sind und der Nutzen der Tätigkeit in ihrem 'Prozeßnutzen' aufgeht, wird man deshalb nicht sinnvoll von 'Arbeit' sprechen wollen."
(HEINZE/OFFE; 1990 [3], S. 9)
Es ist schwer einschätzbar, welche Rolle diese Form der Eigenarbeit in unserer Gesellschaft heute schon spielt. Die kriminalisierte Schwarzarbeit und die informelle Eigenarbeit haben gemeinsam, daß sie im Schatten bleiben. [/S. 223:]
Erwerbsarbeit | Hausarbeit | |
Gemeinsamkeiten | ||
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Trennendes | Trennendes | |
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Fachdidaktische Schlüsselprobleme der Arbeitslehre
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Diese neun fachdidaktischen Schlüsselprobleme gehören zum unverzichtbaren Kern der Arbeitslehre. Wie die offene Problemformulierung bereits ahnen läßt, besteht die Gefahr der extensiven Bearbeitung im Unterricht, allerdings nur dann, wenn unter "Bearbeitung" verbalsymbolische Diskurse verstanden werden. Die Begrenzung erfolgt in raum-zeitlicher Hinsicht durch zwei Faktoren: Erstens gilt der Primat der Handlungsorientierung, und Handeln in der materiellen Welt ist zeitaufwendig, so daß im Unterricht die Gefahr der Ausschweifung gering ist. Auf den von uns verwandten Handlungsbegriff gehen wir weiter unten ausführlich ein.
Zweitens ist die Problembearbeitung an Fachräume gebunden. Fachräume kann man nicht wie Schulbücher auswechseln. Oft handelt es sich um säkulare Prozesse: bis zum Schulgebäude selbstverständlich eine Turnhalle gehörte, verging viel Zeit. Ungewöhnlich rasch wurden in jüngster Zeit einige Computerräume eingerichtet. Die Anforderungen an einen solchen Raum sind allerdings gering: Wenn man auf eine Vernetzung verzichtet, reicht es in der Regel, die Computer auf vorhandene Schultische zu stellen. Andere Fachräume der Arbeitslehre benötigen erhöhte zulässige Deckenlast, spezielle Stromversorgung, Abluftkanäle, einen qualitativ besonderen Bodenbelag und diverse technische Geräte.
Noch immer - dies sei hier eingeflochten - beherrschen in unseren Schulen Klassenzimmer das Bild, deren Inventar aus Tischen, Stühlen, einem Lehrertisch und der Tafel besteht. Lediglich in der Grundschule beobachten wir eine Entwicklung zum anregungsreichen Environment: Pflanzen, Aquarien und Bastelecke sind nicht mehr die Ausnahme. Daß Schüler in der Sekundarstufe disponiert sind, einem letztlich lehrerzentrierten Unterricht dauerhaft ihre Zuwendung zu schenken, wird von der Unterrichtsrealität widerlegt. Ein Raum etwa, in dem Deutschunterricht erteilt wird, könnte über ein kleines Tonstudio, eine Minibühne für szenische Darstellungen und über eine Druckerei verfügen. Beispiele gibt es. Für Arbeitslehre müßte es u. E. selbstverständlich sein, daß dieses Fach nicht in einem der oben beschriebenen, anregungsarmen Klassenzimmer stattfindet. Leider trifft dies nicht zu. "Arbeitslehre-Theorie", so lautet eine verquaste Wortschöpfung, könne doch im Klassenzimmer stattfinden, und gelegentlich ginge man dann in die Werkstatt. Einem solchen Irrtum ist schwer beizukommen, wie uns jahrelange Bemühungen lehrten. Wenn die Prämisse akzeptiert wird, daß aus Handlungsabläufen Theoriebedarf hervorgeht und umgekehrt, Theorie (verstanden als Handlungsentwurf) auf unmittelbare Überprüfung drängt, dann sind unterschiedliche Raumkonzepte schon eine große Hürde. In einer Werkstatt kann man immer auch zum Zwecke theoretischer Reflexion innehalten, in einem Klassenzimmer kann man selten etwas ausprobieren. Zum Stand der Ausstattung mit Fachräumen für Arbeitslehre und verwandte technische Fächer in der alten Bundesrepublik hat WULFERS eine Befragung im Auftrag der GATWU [17] durchgeführt (WULFERS 1989 [3]). [/S. 226:]
Die nachfolgende Tabelle zeigt die fünf Handlungsfelder der Arbeitslehre, die weitgehend mit entsprechenden Fachräumen korrespondieren. Gekreuzt werden die Handlungsfelder mit sogenannten Orientierungspfaden, die gewissermaßen als Dauerreflexion in jedem Handlungsfeld mitlaufen: Sicherheitsorientierung, Verbraucherorientierung, Berufsorientierung, Ökologische Orientierung und Designorientierung
Orientierungspfade |
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Handlungsfelder | |
Integrierte Holz -,Metall -,und Kunststoffverarbeitung | |
Signal -,und Datenverarbeitung | |
Büroarbeit | |
Lebensmittelverarbeitung | |
Textilverarbeitung |
Die fachdidaktischen Schlüsselprobleme sind aus der gesellschaftlichen Situation nicht ableitbar, aber in dieser zu entziffern. Die Handlungsfelder werden teilweise determiniert durch vorhandene Fachraumstrukturen aber auch durch Machbarkeitserwägungen. Die Orientierungspfade schließlich sind so etwas wie normative Lernzielbestimmungen.
Zum Fachraumensemble der Arbeitslehre einige kurze Bemerkungen. (Siehe auch: REUEL: Die Ausstattung von Arbeitslehre-Fachräumen sowie deren Unterhaltungskosten, Pädagogisches Zentrum Berlin, 1993) Die optimale Ausstattung eines Arbeitslehre-Fachbereichs umfaßt mindestens fünf Räume. In diesen handeln die Schüler auf unterschiedliche Weise. Und doch erschließt sich nach kurzer Zeit der Sinnzusammenhang. Es folgt eine Kurzcharakteristik der Räume.
Dieser ist in der Regel geteilt, in eine Maschinenzone und eine Zone für manuelles Arbeiten. Die Werktradition sah immer getrennte Räume für Holz und Metall vor, Kunststoffe spielten kaum eine Rolle. Eine beinahe dogmatisch zu nennende Auffassung der Werkstoffpuristen ging von einer Unverträglichkeit zwischen Holz und Metall aus. Eine ohnehin vorgeschriebene moderne Staubabsaugung, verbunden mit etwas Reinlichkeit, läßt die gemeinsame Verarbeitung von Holz und Metall hervorragend in einem Raum zu. Die Vorteile überwiegen bei weitem: Schüler begreifen jetzt unmittelbar, warum Schnittgeschwindigkeiten und Keilwinkel bei Metall anders sein müssen als beim Holz. Sie kennen Vor- und Nachteile eines gewachsenen, eines "abgebauten" und eines vollsynthetischen Werkstoffs. Sie erfahren beim Arbeiten, welche Substitutionsmöglichkeiten bestehen und welche Verfahren nur bei diesem, nicht jedoch bei anderen Werkstoffen anwendbar sind. Sie entwickeln überdies eine sensorische Wahrnehmung [/S. 227:] von Werkstoffeigenschaften, die nach Möglichkeit von objektiven Prüfverfahren unterstützt wird.
In diesem Raum spielt die Werkstoffbearbeitung eine nachgeordnete Rolle. Die Schüler verursachen mit ihrer Arbeit Zustandsänderungen, die nur sekundär, anhand akustischer, optischer oder thermischer Erscheinungen beobachtbar sind. (u.U. nur als Ja- oder Nein-Aussage.) Im Gegensatz zu einem theoretischen Physikunterricht, anders aber auch als im experimentellen Physikunterricht, entsteht in der Arbeitslehre eine elektronische Schaltung, die einem Verwendungszweck zugeführt wird. (etwa ein Feuchtigkeitsmelder für den Blumenkübel.) Auch der Einsatz des Computers in diesem Raum ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß mit seiner Hilfe Prozesse gesteuert werden. Angefangen vom Fräsen einer Leiterplatine bis hin zum Ausschneiden eines komplizierten Styroporteils, das als Formkern verwendet wird. Kann dieser Typus von Arbeit nicht in dem vorher genannten Raum (Integrierte Holz-, Metall- und Kunststoffbearbeitung) stattfinden? Unter restriktiven Bedingungen geht es, allerdings darf nicht übersehen werden, daß im ersten Falle überwiegend stehend gearbeitet wird, im zweiten sitzend. Dies erfordert unterschiedliche Werkbänke.
Ein Raum für Büroarbeit, auch als Lernbüro bekannt, ist der jüngste im Fachraumensemble der Arbeitslehre und noch keineswegs überall vorhanden. Ein moderner Arbeitslehreunterricht kann die Büroarbeit nicht ausklammern. Dieser Sektor der Erwerbsarbeit (aber auch eine Bürokratisierung der Haushaltsführung) gewinnt an Bedeutung. Die Textverarbeitungsprogramme, die überall in reinen Computerräumen geübt werden, haben natürlich eine Erhöhung der "Bürokompetenz" im Gefolge, diese ist aber nur sehr rudimentär. In einem Lernbüro werden elementare kaufmännische Geschäftsvorfälle im Zusammenhang bearbeitet. Besonders wichtig ist die Spiegelung der Kaufmanns-Interessen an denen der Konsumenten.
Ein Fachraum für Lebensmittelverarbeitung hieß doch früher Lehrküche, werden Leser räsonnieren. Dies ist richtig. Um den Wandel wenigstens anzudeuten: der alte Vierplatten-Haushaltsherd, an dem ein Schüler kochte, drei weitere zuschauten, sollte allmählich verschwinden. Überhaupt bekommt der Fachraum für Lebensmittelverarbeitung zunehmend mehr Ähnlichkeit mit einem Arbeitsraum der Gastronomie. Das Abarbeiten einer Rezeptfolge ist nicht mehr das beherrschende Moment in diesem Fachraum. Andere Unterrichtsformen gewinnen langsam an Bedeutung. Ein Lebensmittel (z.B. Brot, Tomaten oder Kartoffeln) wird im Hinblick auf Anbau- und Zubereitungstechniken untersucht; Konservierungs- und Handelsformen, Herkunftsländer und Artenvielfalt werden in die Untersuchung einbezogen. Auf keinen Fall bedeutet dies die Verdrängung von Kochkultur und der Möglichkeit sensorischer Erfahrungen. Der Horizont wird jedoch um Fragen der Nahrungsmittelversorgung im überregionalen Maßstab erweitert.
Dieser Fachraum hatte oft eine Prägung durch die Sozialisationsgeschichte der Lehrerin. Es fanden sich entweder schnörkellose Werkstücke, wie sie dem handwerklichen Anfängerniveau entsprechen (Grillhandschuh), oder die kunsthandwerklich ambitionierte [/S. 228:] Lehrerin batikte mit ihren Schülern und brachte auf dem Genähten nicht immer überzeugende Applikationen an. Einen Fachraum für Textilverarbeitung in der Arbeitslehre muß man sich anders vorstellen: In einer Laborecke können die verschiedensten Materialprüfungen an fertigen Textilien vorgenommen werden. Mindestens eine der robusten Nähmaschinen ist computeransteuerbar. Schnittmuster können auf einem Bildschirm variiert, und so die verschnittärmste Stoffaufteilung gefunden werden. Daß außerdem noch genäht und gebügelt wird, versteht sich.
Wer einen Computerraum vermißt, dem ist vielleicht nicht aufgefallen, daß die Tendenz zur Computernutzung in den fünf Arbeitslehre-Fachräumen angelegt ist. Es gibt natürlich auch in Berlin Schulen, die einen reinen Computerraum zunächst einrichteten und die übrigen Arbeitslehre-Fachräume bis heute völlig computerfrei hielten. Dieses Modell entspricht der immer weiter getriebenen Parzellierung des Bildungsangebots. Es wird von uns abgelehnt.
Auf den ersten Blick erscheint die Forderung eines Schulfaches nach fünf verschiedenen Fachräumen überzogen. Zumal viele Fächer gar keinen haben und in unspezifischen Allerweltsräumen ihr Dasein fristen. Dabei ist zu bedenken, daß Arbeitslehre zwei Partikularfächer aufgenommen hat, die jeweils mindestens einen Raum beanspruchten. Auch ein moderner Physikunterricht reklamiert u.U. zwei bis drei Experimentalräume, denn je nach Größe der Schule müssen mehrere Lerngruppen gleichzeitig in Fachräumen sein. So ist selbstverständlich auch bei der Arbeitslehre nicht nur ein Fachraum belegt, sondern zu bestimmten Zeiten sind es mehrere. Wie bereits oben erwähnt, determiniert die Struktur der Fachräume weitgehend was möglich ist. Die Feinstruktur des Unterrichts sei einmal ausgenommen, denn in den genannten Fachräumen kann man natürlich sowohl lehrerzentrierten Unterricht als auch Projektunterricht machen. Man kann aber in einem Fachraum für Lebensmittelverarbeitung nicht viele andere Dinge tun als mit Lebensmitteln umzugehen. Und so ist es eine Angriffsfläche der Arbeitslehre, daß jemand morgen geltend machen könnte, wir benötigten angesichts der Zunahme der Pflegeberufe einen Fachraum für Pflegetechniken. Oder: Stadtkinder brauchen unbedingt ein Freigelände, in dem Landschaftsgestaltung praktisch geübt wird. Auch für Praxis im Zusammenhang mit Bauen, wird Freigelände benötigt. Die Bedeutung des Autos, dies sei völlig wertfrei angemerkt, rechtfertigte eigentlich die Existenz einer Kfz-Werkstatt in jeder Schule. In den USA ist dies längst der Fall. Als die Alliierten Berlin verließen, übernahmen wir eine amerikanische High-School, in der imposanten Autowerkstatt standen noch Übungswagen. Die Werkstatt wurde liquidiert, die nachrückenden deutschen Schüler haben es bedauert.
Die von uns skizzierten fünf originären Arbeitslehre-Fachräume decken zusammengenommen ein breites Spektrum menschlicher Produktionsverhältnisse ab, und sie treffen mit wenigen Einschränkungen ein spontanes Interesse der Schüler. Wir gehen hierauf im nächsten Kapitel noch ausführlicher ein.
Die materiellen Ausstattungs-Voraussetzungen der Arbeitslehre sind vielen Schulträgern nicht willkommen. Und so wird von Zeit zu Zeit in Frage gestellt, ob denn nicht ein multifunktioneller Raum ausreiche. Man muß das Ausstattungsniveau der Arbeitslehre angesiedelt sehen, zwischen Grundschule und berufsbildendem Schulwesen. Während in der Grundschule der Technikeinsatz hauptsächlich auf Handwerkzeuge begrenzt ist, Emmissionen und Energiebeträge klein sind, Werkstoffe wie Pappe und Papier eine wichtige Rolle spielen, ist die Berufsschule bemüht, betriebliche Verhältnisse wenigstens [/S. 229:] annähernd abzubilden. Die Arbeitslehre kann nicht mehr - will sie die Gelenkfunktion zwischen Allgemeinbildung und Berufsbildung übernehmen - mit Bastelräumen zufrieden sein. Andererseits darf sie sich nicht unter einen Modernitätsdruck stellen lassen, der jede technische Innovation bei der Arbeitslehre abmahnen zu können glaubt. Die Ausstattung der Arbeitslehre-Fachräume erfordert sehr viel Sachkenntnis im Hinblick auf schülertaugliches Gerät und auf die Vermeidung einer raschen Obsoleszenz.
Wir gehen jetzt auf die fünf Orientierungspfade ein, die sozusagen in allen fünf Arbeitslehre-Fachräumen vorgezeichnete Wege sind. Und wenn man sie auch nicht gleichzeitig abschreitet, auf einem befindet man sich immer.
Sicherheitsorientierung. Normativ gewendet, bedeutet dies, daß wir Unversehrtheit beim Arbeiten für besser halten als Gefährdungen oder gar Schäden. Dies scheint zwar selbstverständlich, bedarf aber doch einer Erklärung. Extremsportarten und Grenzsituationen (U-Bahn-Surfen) erfreuen sich bei einigen Jugendlichen einer gewissen Beliebtheit. Erwachsene entscheiden sich unter dem Zielkonflikt: Geldverdienen versus Sicherheit oft für Zeitgewinn, und dies bedeutet nicht selten gegen Sicherheit. Versicherungen sind kühle Rechner, sie räumen deshalb ein, daß ein starker Raucher wegen seiner niedrigeren Lebenserwartung ein "guter" Versicherter ist.
Ein Jugendlicher aber soll in der Arbeitslehre lernen, daß zur Beurteilung von Risiken, die Kenntnis der Entstehungsbedingungen und die Folgenabschätzung gehören. Er soll für sich und seine Mitschüler das empfinden, was Fürsorge genannt zu werden verdient. Darüber hinaus kann es zweckmäßig sein, empirische Gewissheiten, etwa die volkswirtschaftliche Belastung durch Unfallopfer, anzuschauen.
Verbraucherorientierung. Die drei übergeordneten Ziele jeder Verbraucherbildung sind: Kenntnisse über Werkstoffeigenschaften und technische Funktionszusammenhänge; Kenntnisse über Verbraucherrechte, sowie deren Fortentwicklung und Durchsetzung; Aufklärung über die soziokulturelle Bedingtheit von Bedürfnissen. Da sehr viele Menschen mit einer Rollenparadoxie leben müssen - sie produzieren etwas in ihrer Rolle als Erwerbstätiger, was sie als Konsument nie kaufen möchten - sind die Arbeitslehrewerkstätten immer auch ein Ort für die Reflexion dieses Dilemmas.
Berufsorientierung heißt ja zunächst einmal Orientierungsgewinn angesichts einer großen Zahl von Ausbildungsberufen und einer sehr großen Zahl von mehr oder weniger dauerhaft ausgeübter Erwerbstätigkeiten. Berufsorientierung sollte günstigstenfalls in eine Berufswahl einmünden. Dies ist nicht mehr immer die Regel, teils verhindern es Engpässe auf dem Ausbildungs- bzw. Arbeitsmarkt, seltener wird Berufswahlverzicht geübt. Dieses Phänomen tritt gehäuft bei jungen türkischen Frauen auf. Der Begriff der Berufsorientierung hatte immer schon die beiden Implikationen: Eignung und Neigung. Eine Vermittlung dieser biographischen Elemente ist notwendig. Wir lassen vorerst dahingestellt, ob Eignung nur subjektbezogen verstanden werden darf, im Sinne einer Passung an starre Berufsbilder. Oder ob nicht Berufsbilder offener sein sollten auch für von der Norm abweichende Merkmale des Berufsnachwuchses. Zugespitzt läßt sich die Geschichte der schulischen Berufsorientierung auf zwei Ansätze reduzieren: Der weithin dominierende Ansatz ist der einer verbalsymbolischen Belehrung über Berufe. Die Vermittlung bezieht auch Filme und Abbildungen ein. Der weniger forcierte Ansatz basiert auf Erfahrungen bei der praktischen Arbeit in den fünf Arbeitslehre-Fachräumen. Diese Erfahrungen können noch wesentlich fruchtbarer aufgearbeitet werden. [/S. 230:]
Ökologische Orientierung In allen fünf Arbeitslehre-Werkstätten wird nolens-volens die Umwelt belastet. Die Spielräume zwischen einer minimalen und einer maximalen Belastung sind nicht erheblich. Umweltkatastrophen können von der Arbeitslehre gottseidank nicht ausgehen, aber die Spielräume sollten didaktisch genutzt werden. Wo immer produziert wird, werden Werkstoffe und Energie verbraucht, es treten Emmissionen aus, und es ist vorhersehbar, daß die Produkte irgendwann entsorgt, recycelt oder downcycelt werden müssen. Die "ökologischen" Entscheidungen, die in der Werkstatt getroffen werden müssen, reichen vom Mengeneinkauf und der damit verbundenen Verpackungsproblematik bis hin zur Wahl energiesparender Verfahren und leicht recycelbarer Werkstoffe.
Designorientierung. Den Designbegriff verwenden wir nicht in dem engen Sinne einer Lehre von der guten Form. Es kommt darauf an, daß Lehrer und Schüler bewußter als bisher wahrnehmen, daß alle materiellen Produkte eine Formensprache sprechen, die man bis zu einem gewissen Grade entschlüsseln kann. Sie verrät etwa über die Solidität der Gegenstände, über die Geltungsbedürfnisse des Besitzers usw. Das gilt selbst für die Produkte der Lehrküche, denn Aussehen und Anrichtung von Speisen sind keineswegs nur Dekor. Die Produkte, die in den Arbeitslehre-Werkstätten entstehen, sind sehr unterschiedlich. Und so reicht auch die Reaktion der außenstehenden Betrachter von Verlegenheit bis Lob. Nach dem BAUHAUS [18] kann man nicht mehr auf eine völlige Beliebigkeit der Produktgestaltung - auf "Geschmacksache" - insistieren.
[/S. 231:]
Arbeit und Technikeinsatz | Arbeit und Umweltbelastung | Arbeit und Beruf |
Arbeit und Gesundheit | Arbeit und IuK-Techniken | Arbeit und Einkommen |
Arbeit und Konsum | Arbeit und ihre Teilung | Arbeit und Rekreation |
[Die Abb. "Fachraumensemble" fehlt im online-Reprint; sie stellt die fünf Fachräume dar und verknüpft sie mit den Orientierungen Berufs-, Design-, Sicherheits-, Verbraucher- und Ökologische Orientierung; Anm. der sowi-online-Redaktion]
[/S. 232:]
Die fachdidaktischen Schlüsselprobleme der Arbeitslehre sind auf Konsens angewiesen. Wir haben sie beschreibend kurz vorgestellt, und ihre Korrespondenz mit den epochalen Schlüsselproblemen KLAFKI [15] scher Observanz zu zeigen versucht. Es bleibt die Aufgabe eines konkreten Schulcurriculums, Projektideen aufzufinden. Daß die Schlüsselprobleme mehr Projektideen bergen, als die Arbeitslehre jemals in vier Jahren bearbeiten kann, erscheint uns sicher. Die eben angesprochene Konsensbedürftigkeit der fachdidaktischen Schlüsselprobleme geht allerdings nicht mehr soweit zurück, daß die Frage gestellt werden dürfte, ob der Lösungsbeitrag zu den Problemen nicht besser bei verschiedenen Fächern gesucht werden sollte.
Unsere weiteren Ausführungen galten der materiellen Basis der Arbeitslehre, der Fachraumstruktur. Diese steckt die Handlungsfelder ab, oder, wenn man die andere Perspektive bevorzugt, die Wahl von Handlungsfeldern führt unweigerlich zu fachraumähnlichen Arrangements.
Schließlich haben wir fünf Orientierungspfade beschrieben, die in ihrem Verlauf durch eine Anzahl von Lernzielen markiert sind. Der Ausweis dieser Lernziele ist eher eine Aufgabe der Lehrplanformulierung und natürlich historisch wandelbar. Die Orientierungspfade können, wie vieles im Bildungswesen, in Zweifel gezogen werden. Außer einer verhältnismäßig hohen Evidenz für die Notwendigkeit der fünffach gegliederten Orientierungsaufgabe können wir keinen Kausalnexus beweisen. Gemessen an der Diskussion um "Schlüsselqualifikationen", die eine Festlegung auf Lernziele zu vermeiden trachtet, und deshalb "Sozialkompetenz", "Methodenkompetenz", auch: das "Lernen des Lernens" vorschlägt, , sind unsere Orientierungspfade verhältnismäßig gut operationalisierbare Richtungsangaben.
[/S. 233:]
In diesem Kapitel wollen wir gewissermaßen die Schülerperspektive rekonstruieren. Gesellschaftsanalysen und die Ausstattung von Schulgebäuden können - wie wir im vorangegangenen Kapitel zu zeigen versuchten - durchaus Stringenz aufweisen; mit den Neigungen der Jugendlichen müssen sie nicht kompatibel sein. Die Einstellung der Schüler zur Schule wird gewiß durch das Elternhaus geprägt und zwar in der bekannten Bandbreite von Desinteresse über stereotype Leistungsappelle bis hin zu einer Bildungsbesorgnis, oft gepaart mit Schulkritik. Glaubt man den Klagen vieler Lehrer, dann sind Eltern, die eine uneigennützige und tatkräftige Anteilnahme am Schulleben praktizieren, selten geworden. Die Facetten dieser Konditionierung durch das Elternhaus interessieren uns hier weniger. Wir glauben aber, so etwas wie zeitgenössische Trends auszumachen, die kurz beschrieben werden sollen. In den Anfängen der allgemeinen Schulpflicht muß von der Schule eine Faszination schon deshalb ausgegangen sein, weil Bücher, Schaubilder, selbst gefertigte Texte im Heft usw. keineswegs zur Alltagskultur, zumindest der unteren Schichten gehörten. Diese war bestimmt durch Mithilfe der Kinder und Jugendlichen im bäuerlichen oder gewerblichen Betrieb, durch Handreichungen in der Hausarbeit. Nach dem zweiten Weltkrieg hat sich dieses Verhältnis allmählich umgedreht. Die Alltagskultur ist heute "ikonisiert": Fernsehen, Videos, Druckerzeugnisse, Computersimulationen usw. beherrschen weite Teile des Erlebens in der außerschulischen Realität. Parallel dazu schwanden fast alle Möglichkeiten der Kinder, die materielle Kultur zu gestalten. Dies gilt für die Erwerbssphäre generell, für die reduzierte Hausarbeit in weiten Teilen. In der Schule wird diese mediale Repräsentanz der Wirklichkeit dupliziert, ohne daß in nennenswertem Umfange Gelegenheiten für unmittelbare Erfahrungen geschaffen würden. Es ist wohl trivial zu nennen, wenn man an das Bedürfnis der Jugendlichen erinnert, Kopf und Hand zu betätigen.
In einem programmatischen Referat hat der persönliche Berater der Berliner Schulsenatorin, TOM STRYCK, die Vokabel "Lebenswelt" (lebensweltlich) mindestens fünfmal gebraucht, ohne einen Erklärungsversuch für nötig zu erachten. (STRYCK 1996 [3]). Soviel wird deutlich: es gibt nach STRYCK außerhalb der Schule eine Lebenswelt, und eine Reformentwicklung der Schule ist auch daran meßbar, daß sie "lebensweltlicher" wird. Die Lebenswelt ist als Singular eigentlich überraschend, denn der Homo sociologicus wird zumeist als ein in verschiedenen Lebenswelten agierender beschrieben, als Rollenträger.
Unsere Schüler bewegen sich zumindest in zwei Lebenswelten: einer familiären und einer schulischen. Daß die Halbtagsschule (von den Ganztagsschulen sehen wir wegen ihrer Marginalität in Deutschland einmal ab) das Schülerleben in folgenreicher Weise beeinflußt, wird niemand bestreiten, schon gar nicht die Schüler selbst. Die nichtschulische Lebenswelt gibt es Gott sei Dank auch noch, es ist nur nicht einzusehen, daß sie die eigentliche sein soll, der die Schule nahezukommen habe.
Als Ende des vorigen Jahrhunderts die Institutionalisierung der Schule im großen und ganzen abgeschlossen war, was einer noch immer anhaltenden Ausdifferenzierung der Gesellschaft entsprach, wurde die Hybris bald jedermann deutlich: Die Zahl der Analphabeten nahm ab, der allgemeine Bildungsstand wuchs. Die Jugendlichen aber wurden oft erst jenseits der Schule mit einer nicht immer freundlichen Wirklichkeit konfrontiert, was sich in nicht wenigen Fällen krisenhaft auszuwirken begann. Schlagwörter wie "pädagogische Provinz", "Elfenbeinturm Schule" usw. deuten das Dilemma an. [/S. 234:]
Wie sooft hilft es wenig, von einer Realitätsschwäche der Schule schlechthin zu sprechen. Wieder muß der Blick auf die Verfächerung der Schule gerichtet werden. Und hier erkennen wir dreierlei: Es gibt Schulfächer, denen gebricht es überhaupt nicht an Lebensweltnähe, ein klassisches Beispiel ist der Sportunterricht. Schulsport ist weder lebensfern noch lebensnah, er ist Schulsport sui generis. Zweitens gibt es Schulfächer, bei denen könnte man sich eine Annäherung an das Leben gut vorstellen. Der Biologieunterricht sollte öfter in der Natur stattfinden und der Englischunterricht öfter zusammen mit Engländern. Und drittens gibt es Fächer, die fehlen in der Schule, durch sie würde die Schule zwangsweise lebensnäher. Ein solches Fach ist Arbeitslehre. (Wenn wir "fehlen" sagen, dann beziehen wir uns auf die Gymnasien und auf die vielen Real- und Gesamtschüler, die - aus welchen Gründen auch immer - Arbeitslehre abwählen.)
Die öffentlichkeitswirksame Forderung nach mehr Nähe zur Lebenswelt der Schüler muß die Schule ziemlich ratlos machen, denn welche Lebenswelt ist gemeint? Es gibt so viele Lebenswelten, wie es Schüler gibt. Und selbst ein verhältnismäßig homogenes Mileu des Stadtteils, der Region darf nicht umstandslos als Lebenswelt deklariert werden.
Die Zunahme der Migrantenkinder, die in einigen Schulen Berlins längst keine Minderheit mehr darstellen, rechtfertigt den Begriff der multikulturellen Gesellschaft.
Der französische Philosoph ALAIN FINKIELKRAUT [19] hat in seinem Buch "Die Niederlage des Denkens" auf einen Umstand hingewiesen, der in unserem Zusammenhang erinnert werden soll. Nach seiner Auffassung ist die Aufklärung nicht nur an ihre Grenzen gestoßen, sie hat den Zenith erreicht, von dem aus es nur noch Abstieg gibt. Die einstmals angestrebte universelle Vernunft, die Weltgeltung des Rechts, ein Toleranzgebot ohne Wenn und Aber, diese Fundamente der Aufklärung wurden vom Kulturbegriff ausgehöhlt. Jede Kultur machte im Namen der Aufklärung geltend, daß sie in ihrem Sosein respektiert werden wolle. Kulturen, die den Artenschutz ignorieren, und bestimmte Tierarten ausrotten, Kulturen, die den Frauen Rechte vorenthalten, Kulturen, die Minderheiten verfolgen, sie alle berufen sich auf Toleranz, Nichteinmischung usw. Die Kultur wird als etwas langsam Gewachsenes, als "beseelt" begriffen. Dem Kulturbegriff nahestehend ist der aus der Romantik überkommene Begriff der "Volksseele".
FINKIELKRAUT ironisiert die Position der Gegenaufklärung:
" Und dann kamen die Philosophen der Aufklärung: Unter dem Vorwand, dieselbe zu verbreiten, haben diese Denker dem kostbaren Erbe der Vorurteile hart zugesetzt. Anstatt sie in Ehren zu halten, sollten sie zerstört werden. Aber damit waren sie nicht zufrieden: nachdem sie selbst sich ihrer entledigt hatten, sollte das Volk es ihnen nachtun. ....'habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen' ohne die Hilfe des Beichtvaters oder die Stütze der Binsenwahrheiten. Resultat: sie haben die Menschen aus ihrer Kultur gerissen in eben dem Augenblick, als sie sich rühmten, sie zu kultivieren; sie haben die Geschichte davongejagt in der Annahme, den Aberglauben oder den Irrtum zu bannen; überzeugt, die Gemüter zu emanzipieren, ist es ihnen nur gelungen, sie zu entwurzeln. Diese Verleumder des Gemeinplatzes haben den Verstand nicht von seinen Ketten befreit, sie haben ihn von seinen Quellen abgeschnitten. Der einzelne, der durch sie aus seiner Unmündigkeit heraustreten sollte, hat in Wirklichkeit sein Innerstes entleert."
(FINKIELKRAUT, 1989 [3], S. 30)
Fundamentalisten in Amerika, in der islamischen Welt, in Bayern (Kruzifixurteil) und in den Elternhäusern von türkischen Schülern mitten in Berlin müßten eigentlich in der Schule eine Bedrohung sehen. In vielen Fällen sehen sie diese auch, denn ihr dogmatisch-intolerante Weltsicht wird durch das Wirken der Schule gefährdet. Die Schule wird sich also auch gegen die Lebenswelt der Schüler stellen müssen und die Forderung nach einer "lebensweltlichen" Schule wird fragwürdig. [/S. 235:]
Die Schule im modernen Sinne ist von der Aufklärung ins Leben gerufen worden und stirbt heute an deren Infragestellung. Ein Abgrund hat sich aufgetan zwischen der allgemeinen Moral und jenem Ort, an dem die seltsame Idee vorherrscht, daß es keine Selbständigkeit ohne Denken und kein Denken ohne Arbeit an sich selbst gibt. ....Das Mißverständnis, daß diese Institution (die Schule, Anm. G.R.) von ihren Benutzern trennt, wird also immer größer: die Schule ist modern, die Schüler sind postmodern; die eine hat zum Ziel, den Geist zu bilden, die anderen begegnen ihr mit der sprunghaften Aufmerksamkeit des jungen Fernsehzuschauers;.....Wie kann man diesen Gegensatz auflösen? 'Indem man die Schule postmodernisiert', behaupten Verwalter wie Reformatoren. Letztere suchen nach Wegen, die Ausbildung dem Konsum anzugleichen......Die Verwalter sind besonnener und empfehlen die verstärkte Aufstellung von Computern in den Klassenzimmern.....Dabei ist es kaum von Bedeutung, daß die solchermaßen im Spiel mit der Maschine entwickelte Intelligenz eine Manipulation und kein Denken ist: zwischen einem immer leistungsfähigeren Know-how und einem immer reichhaltigeren Konsum gibt es für die Form der Urteilskraft, die nötig ist, um die Welt zu verstehen, keine Verwendung. Ja, wie wir gesehen haben, gibt es dafür nicht einmal mehr einen Ausdruck, da das Wort Kultur anderweitig mit Beschlag belegt ist."
(FINKIELKRAUT, a.a.O [3]. S. 132 f)
Wir verlassen die kulturphilosophische Betrachtungsebene, die u. E. zu Unrecht in den Intoleranzverdacht geriet, die aber durch Radikalisierung des "Unversöhnlichen" zum Nachdenken anhält. Schule darf eben oft genug nicht lebensweltfixiert sein, sondern ist auch zur mühsamen Überwindung eben dieser Lebenswelt aufgerufen.
Im folgenden skizzieren wir kurz neuere Ergebnisse der Ungleichheitsforschung und deren Bedeutung für die Bildungssoziologie. Die Bildungssoziologie arbeitet immer noch mit mehr oder weniger verfeinerten Schichtenmodellen, und kommt dann zu Aussagen über die Reproduktion von Ungleichheit (Eltern hatten keinen Hauptschulabschluß, die Kinder ebenfalls nicht) oder es werden schichtüberwindende Mobilitätsraten ermittelt. Entscheidend ist, daß die Schichtzugehörigkeit des Schülers fast ausschließlich auf einem Merkmal beruht: auf dem Beruf des Familenvorstandes. Dieses monokausale Theoriekonstrukt erklärt das komplizierte Phänomen Schulerfolg nur sehr unbefriedigend. (WEISHAUPT [3] u.a. 1988, STEINKAMP 1991 [3], BÖTTCHER 1991 [3])
Im Anschluß an neuere Arbeiten von LÜDERS gehen wir deshalb auf die Bedeutung von Lebensstilen und Milieus ein, deren Erklärungswert für Schulerfolg allem Anschein nach wesentlich höher zu veranschlagen ist, als grobe vertikale Stratifikationsmodelle. Den Bedeutungsverlust von Klassen- und Schichtzugehörigkeit hatte U.BECK schon 1983 vorausgesagt. Zu der sozialstrukturellen Differenzierung einer Gesellschaft ist die sozialkulturelle getreten, die das Bild um vieles detaillierter macht. (LÜDERS 1997 [3]) Im politischen System ließ sich lange Zeit eine Korrelation zwischen Links- und Rechts-Wählern einerseits und Schichtzugehörigkeit andererseits nachweisen. Mit dem Aufkommen der kleinen Parteien, namentlich der Grünen und neuerdings der PDS ist diese Typik stark ins Wanken geraten. Im ökonomischen System hat die Marketingforschung einen lange Zeit vorausgesetzten Zusammenhang zwischen Konsumgewohnheiten und Schicht verabschieden müssen. Die Ungleichheitsforschung hatte sich traditionell an der Verteilung von Geld, Prestige und Macht orientiert. Sie muß heute eine Vielzahl weiterer Indikatoren einführen, dazu gehören, Alter, Hautfarbe, Geschlecht, Freizeitchancen usw.
Zum Begiff des Lebensstils bemerkt LÜDERS:
"Im einzelnen gehen Daten über Bildung, Beruf, Einkommen Wohnregion, Wohnverhältnisse, Lebensziele, Wertvorstellungen, Arbeitsmoral, Freizeitverhalten, Familiensinn, Konsumverhalten, Modeorientierung und Einstellungen zu Technik, Fortschritt, Religiosität, Staat und Politik in die Lebensstiltypologie ein."
(LÜDERS, a.a.O [3]., S.307) [/S. 236:]
Auf der Basis dieser siebzehn Bestimmungsmerkmale lassen sich Anzeichen für eine beträchtliche horizontale Differenzierung der Gesellschaft feststellen. Die weitergehende These im Anschluß an BECK 1986 [3] und INGLEHART 1989 [3], daß damit die Ablösung der Klassen und Schichten eingeleitet und eine nicht aufzuhaltende Individualisierung der Gesellschaft programmiert sei, lassen wir auf sich beruhen. Für das Bildungswesen bedeutet aber das Vorhandensein wesentlich verfeinerter empirischer Methoden auch die Möglichkeit, Lebensstile von Schülern oder - wenn man so will - "Lebenswelten" diskutierbar zu machen. Diese Lebensstile können im Sinne von Erziehungszielen anknüpfenswert sein, sie können sich aber auch als hemmend und therapiebedürftig erweisen.
Der Zusammenhang zwischen Lebensstilgruppierungen und sozialen Milieus auf der einen Seite und dem dreigliedrigen Schulsystem auf der anderen ist heute noch überschattet von der Determinationskraft der Schultypen, mit der Hauptschule am unteren und dem Gymnasium am oberen Ende der Hierarchie. Diese "Drei-Klassen-Schule" ist eigentlich viel zu grob gestrickt, um der feineren sozialen Differenzierung gerecht zu werden.
"Bereits jetzt bestehen erhebliche regionale Differenzen sowohl hinsichtlich der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung als auch hinsichtlich der Schulversorgung und der Qualität der Schulen. Es ist absehbar, daß sich die Schullandschaft weiter differenzieren wird, wenn entweder die Einzelschulen beginnen, sich verstärkt auf die regionalen Gegebenheiten, insbesondere die ortsansässigen sozialen Milieus, einzustellen, oder umgekehrt bestimmte soziale Milieus mit bildungspolitisch überdurchschnittlich engagierten Mitgliedern die Initiative ergreifen, um auf die Einzelschulentwicklung einzuwirken."
(LÜDERS, a.a.O [3]. S. 318)
Das Dilemma der Schule besteht darin, daß sie auf der einen Seite aufklärungsfeindliche soziale Milieus zu berücksichtigen hat, aber auch mit einem Elterntyp rechnen muß, dem keineswegs fundamentalistische Züge anhaften, dem vielmehr ein Selbstverwirklichungswunsch für seine Kinder am Herzen liegt. Beides ist mit dem Aufklärungsgebot von Freiheit und Brüderlichkeit nicht immer vereinbar.
Wir hatten gesehen, daß FINKIELKRAUT [19] die Auseinandersetzung zwischen Universalismus und Provinzialismus, zwischen Aufklärung und Aberglaube zum Nachteil der Schule sich entwickeln sieht. Die Lebenswelt wird zum Synonym für die Herrschaft des Vorurteils, die Schule zum Ort, an dem die Urteilskraft allein aus dem voraussetzungslosen Denken entsteht.
Der Lebensstil- und Milieuforschung liegt es fern zu dichotomisieren. Sie will das Grobraster der Schichtmodelle durch eine realitätsangemessene Beschreibung der Herkunftsfamilien der Schüler ablösen, um besser verstehen und (kompensatorisch) erziehen zu können.
Zur Abrundung unserer Betrachtungen der Lebenswelt wenden wir uns jenem Denker zu, der den Begriff erstmals geprägt hatte. EDMUND HUSSERL benutzte ihn nachweislich zum ersten Mal 1924 in seiner Kant-Festrede. Der Doppelbegriff hatte von Anfang an die Schwierigkeit, daß "Welt" die Totalität aller möglichen Erfahrungen ist. "Leben" aber etwas sehr Begrenztes. Schon daraus folgt, daß das einzelne Leben, weil ihm die Totalität der Erfahrungen niemals zugänglich ist, auch auf der Basis bloßen Meinens geführt werden muß. Im modernen Jargon würden wir sagen: der Mensch ist gezwungen, unter den Bedingungen unvollständiger Information zu handeln.
In der Phänomenologie HUSSERLs spielt Skepsis gegenüber der Wissenschaft eine zentrale Rolle. Aller Wissenschaft voraus liegt das Vor-Urteil, die Doxa: Jenes Meinen, über das der [/S. 237:] Mensch immer schon verfügt, bevor analytische Kategorien und theoriegeleitetes Denken zum Zuge kommen. Eine vorprädikative Logik ermöglicht Handlungen und sei es nur als Entscheidung zwischen Handeln und Nichthandeln. Die Prädikate einer elaborierten Logik, die da heißen: wahr und unwahr, gut und böse, schön und häßlich haben das Vor-Urteil nicht aus der Welt geschafft, ja, sie gründen auf ihm. (HUSSERL, Werke IX 1925)
In seiner berühmten Abhandlung über "Lebenszeit und Weltzeit" hat sich HANS BLUMENBERG unter der Überschrift "Das Lebenswelt-Mißverständnis" mit dem HUSSERLschen Begriff kritisch auseinandergesetzt. (BLUMENBERG,1986 [3])
Anknüpfend an FEUERBACH's Diktum, in der Wissenschaft sei der Mensch in der Fremde, bemerkt BLUMENBERG, es seien nicht so sehr die unbeabsichtigten Nebenfolgen des wissenschaftlichen Fortschritts, die den modernen Menschen zutiefst enttäuscht hätten, es ist die Verfehlung der beabsichtigten Hauptfolge: Die theoretische Erschließung der Welt war von der Hoffnung getragen, Sicherheit und Weltbehagen würden in einem aufsteigenden Prozeß zunehmen, dieser Erwartung entsprach die Enttäuschung an Größe und Schmerzlichkeit. "Lebenswelt" wurde deshalb auch zu einem Programmwort des Überdrusses an wissenschaftlichen Erklärungsversuchen, Chiffre für eine Abwendung von der Theorie und die Suche nach dem Einfachen. Der Irrtum liegt begründet in der falschen Analogie von Lebenswelt und Privatheit. Lebenswelt ist nicht etwas, zu dem man zurückkehren kann, wenn Erfahrungen außerhalb der Lebenswelt enttäuschen. BLUMENBERG sieht den Unterschied zur Intersubjektivität so: Einen anderen Menschen zu verstehen, bedeutet Einfühlung, deren Gelingen hat jedoch eine Voraussetzung, der um Verstehen bemühte muß bleiben, was er ist. Sich auf die Welt als ganzes einzulassen, hat aber immer ein Verlassen der Lebenswelt zur Voraussetzung, bei dem der Rückweg abgeschnitten wird. (BLUMENBERG, a.a.O. [3], S. 61)
In einer prähistorischen Lebenswelt deckten sich Erwartungen und Erfahrungen. Der Mensch hatte niemals andere Erwartungen als solche, die aus seinem Erfahrungsbestand abgeleitet werden konnten. Lebenszeit und Weltzeit fielen noch nicht auseinander; Vergangenheit und Zukunft konnten nicht thematisiert werden. Generation und Individuation waren nicht getrennt, geschweige denn konflikthaft.
"....die Veränderungsrate aller Bedingungen und Umstände des Daseins (lagen) unterhalb der Schwelle der Wahrnehmungsfähigkeit eines individuellen Lebens"
(BLUMENBERG, a.a.O. [3], S. 66)
Mit der Geschichtlichkeit des Menschen wurde die Lebenswelt so etwas wie ein verlorenes Paradies:
".....so bleibt eben außer Betracht, daß jenseits der Lebenswelt die Erwartungen sich von den Erfahrungen gerade deshalb ablösen, weil die Grunderfahrung der Veränderung durch 'Ereignisse' und 'Taten', also durch Geschichte, mehr und anderes erwarten zu können suggeriert, als je im Bereich der Erfahrung gelegen hatte. Geschichte ist die Trennung von Erwartung und Erfahrung."
(BLUMENBERG, a.a.O. [3], S. 66)
Der Begriff der Lebenswelt, sowohl in historischen Dimensionen als auch in denen einer individuellen Biographie, wäre zu Unrecht mit Primitivität assoziiert. Der Mangel der Lebenswelt ist ihre Nicht-Objektivierbarkeit im Sinne moderner Wissenschaftsstandards. Aber sie ist niemals sprachlos gewesen, sie hatte immer ihre "Geschichten", die zur Nachdenklichkeit vielfältigen Anlaß geben. Auch Morallehren lassen sich aus den [/S. 238:] Geschichten ziehen, wie die Bedeutungsfülle alter Fabeln beweist. Gegen diese wirken viele modernen Verhaltenscodices lächerlich.
"Irgendwann brauchte man transportable Sätze, die die Geschichten überflüssig erscheinen ließen, und dann brauchte man zu diesen Sätzen die Fragen, auf die sie als Antwort gegeben sein konnten. Dieses Verfahren mochte kürzer sein und im Dienst der Zeitausschöpfung stehen, da Geschichten immer einen Grad von Umständlichkeit haben; aber man konnte nicht wissen, daß der Kurzschluß zwischen Frage und Antwort eine neue und gewaltigere Umständlichkeit auslöste, nämlich die, alle gegebenen Antworten auf dieselbe Frage miteinander in Konkurrenz zu setzen, gegeneinander auszuspielen, um dem fernen Ziel der Ausschließlichkeit einer einzigen gültigen Antwort näher zu kommen."
(BLUMENBERG, a.a.O. [3] S. 68)
Wir kommen zu einem Resümee dessen, was die Lebenswelt-Verheißung für die Schule bedeuten könnte. In vielen pädagogischen Texten scheint der jeweilige Autor auf einen sehr trivialen Umstand verweisen zu wollen: Die Alltagserfahrungen des Schülers sollen mehr beachtet und zum Ausgangspunkt schulischen Lernens herangezogen werden. Historisch bedeutet dies eine maßvolle Rücknahme der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung von Schule. Nicht zu verwechseln ist dieser Ansatz mit Programmen, die sich "Stadt als Schule" nennen oder "Lernortwechsel" usw. Denn hier werden dem Schüler durchaus neue Erfahrungen versprochen, solche, die er bislang nicht machen konnte, die aber auch im Schulgebäude nicht herstellbar sind.
Die philosophischen Reflexionen über Lebenswelt weisen in eine andere Richtung als in die der Überführung von unsystematischer in systematische Erfahrung. Die Lebenswelt wird als das immer schon Verlassene gesehen. Begegnungen mit der Welt, und dazu rechnet die Schule genauso wie die Medienlandschaft und die Berührung mit anderen Kulturen, lösen Teile der eigenen Lebenswelt ständig auf und setzen an ihre Stelle neue Erkenntnisse, die vom Zweifel nicht frei sind. Erwartungen stellen sich ein, gefolgt von der Erfahrung ihrer Nichterfüllbarkeit.. Weil endgültige Gewißheiten ausbleiben, und weil niemals alle Erwartungen befriedigt werden, gibt es wohl eine lebenslange Sehnsucht nach der einen Lebenswelt.
Wenn wir den Ausdruck Lebenswelt fallen lassen und uns dem Lebensstil, dem Lebensmilieu zuwenden, treffen wir auf eine Vielfalt realexistierender Formen der Lebensführung. Von den Ernährungsgewohnheiten, über die Dauer des Fernsehens bis hin zur Wohnsituation, den Urlaubsgepflogenheiten der politischen Einstellung usw. lassen sich Lebensstile identifizieren, von denen Schüler im elterlichen Haushalt geprägt werden. Eine ganze Anzahl von Indikatoren gestattet die empirische Klassifizierung dieser Lebensstile. Auf alle Fälle wird die grobschlächtige Einteilung in Unter-Ober- und Mittelschicht damit obsolet.
Die Frage ist nun aber noch nicht beantwortet, wie ein Lehrer zu den Kenntnissen über die Lebenstile seiner Schüler gelangt, und was er im Falle eines gewonnenen Kenntnisstandes für unterrichtliche Konsequenzen ziehen soll. Dem ersten Teil der Frage können wir hier nicht weiter nachgehen. Hausbesuche durch den Lehrer können Aufschluß geben, außer in Problemfällen dürften sie jedoch nicht zur Regel gehören. Die datenschutzrechtlichen Bestimmungen erschweren eine systematische Datenerhebung während der Schullaufbahn. Eine solche wäre notwendig, wollte man Lebensstil-Elemente in einen individualisierten Unterricht einbeziehen. Der zweite Teil der Frage interessiert uns aus der Arbeitslehre-Perspektive. [/S. 239:]
Unsere These lautet, daß die Kenntnis eines individuellen Lebensstils grundsätzlich drei Reaktionen seitens der Schule eröffnet.
Die Liste ließe sich verlängern, wie jeder Arbeitslehre-Lehrer weiß. Die fehlenden Erfahrungen können im Schulfach Arbeitslehre gemacht und reflektierend verarbeitet werden. (Die Voraussetzung in Gestalt von Fachräumen hatten wir schon erwähnt.)
Nun gilt natürlich für andere schulische Bildungsangebote, etwa für den Lateinunterricht und für große Teile der Mathematik, daß die Begegnung mit den Inhalten des Faches die Erstbegegnung für den Schüler ist. Eine irgendwie geartete Anknüpfung an Milieuerfahrungen ist auch hier schwierig.
Unabhängig von den drei empirischen Ausgangslagen des Schule-Lebensstil-Verhältnisses, die wir skizziert hatten (der Konträrlage, der Offenlage und der Niemandsland-Lage), können häusliche Lebensstile in zweifacher Hinsicht mit schulischen Lernprozessen in Verbindung gebracht werden: Die Schule knüpft an unsystematische Vorerfahrungen der Jugendlichen an, hofft, daß rudimentäre Kenntnisse motivationsfördernd genug sind, um [/S. 240:] unterrichtlich darauf aufzubauen. Die andere Chance besteht im Wissenstransfer des in der Schule Gelernten auf häusliche Bedingungen. Eine größere Menge des in der Schule vermittelten Wissens kann weder an Milieuerfahrungen anknüpfen, noch hat es Konsequenzen für den außerschulischen Alltag. Das Gelernte ist gewissermaßen voraussetzungslos und (vorerst) folgenlos. Die Arbeitslehre kann auf zwei Begünstigungen verweisen, die im Laufe der relativ kurzen Geschichte des Faches sichtbar wurden. Sehr viele Inhalte der Arbeitslehre werden von Schülern als im außerschulischen Leben unmittelbar verwendbar erlebt. Eine weitere Erfahrung ist die, daß Eltern über latent vorhandene, im häuslichen Milieu aber nicht thematisierte Kenntnisse verfügen, die durch arbeitslehreangeregte Kinder zur Sprache kommen.. Verschiedentlich wurde schon nachgewiesen, daß Jugendliche nur sehr diffuse Vorstellungen von der Erwerbstätigkeit ihrer Eltern haben oder gar von den erlernten Berufsbildern. Berufstätige Mütter z.B. aktualisieren verschüttete hauswirtschaftliche Kenntnisse, wenn sie von den Kindern provoziert werden. Mühsame elterliche Nachhilfeversuche bei der Lösung mathematischer Aufgaben, die vergeblich die eigene Schulmathematik wiederzubeleben suchen, verbessern nicht immer die Dreiecksbeziehung Eltern - Schüler - Schule. Wenn aber die berufliche Tätigkeit der Eltern, Ausbildungserfahrungen, betriebliche Zwänge usw. von den Jugendlichen direkt angesprochen werden, gibt es kaum Eltern, die nicht engagiert Stellung beziehen. Und nicht ungewöhnlich ist die Konstellation, daß die subjektive Sichtweise der Eltern den Widerspruch der Kinder herausfordert. Wir deuteten es schon an: auch die den jeweiligen Lebensstil prägenden Formen der Haushaltsführung werden - angestiftet von der Arbeitslehre - in Frage gestellt.
Kommen wir zum Schluß.
Schule und "Lebenswelt", eine heute oft bemühte Phrase! Hierbei wird selten genau unterschieden zwischen der Ergänzung der Schule durch weitere Lernorte und der Funktion des häuslichen Lebensstils. In beiden Fällen kann die Arbeitslehre etwas vorweisen. Weite Teile der Arbeitslehre sind durch Lernortwechsel gekennzeichnet. Betriebspraktika und Erkundungen, Lernen im Berufsinformationszentrum und im Museum für Verkehr und Technik, Verpflegungsangebote bei Veranstaltungen und der Verkauf von selbstgefertigten [/S. 241:] Produkten, dies alles zwingt zum Verlassen des Klassenzimmers. Unabhängig davon besitzt Arbeitslehre die Potenz, "leichtere Beben" im häuslichen Milieu zu erzeugen; welches Schulfach schafft das mit inhaltlichen Argumenten, nicht mit Zensurengebung?
[/S. 242:]
In allen Schulfächern wird heute angeblich "handlungsorientiert" unterrichtet. Wer dies nicht so recht glaubhaft machen kann, gibt es zumindest als Desiderat an. Selbst Religionslehrer machen keine Ausnahme: sie erbauen mit eifrigen Grundschülern die Gotteshäuser der Weltreligionen aus Klebstoff und Papier. Moscheen, Synagogen und christliche Kirchen stehen zum Schluß einträchtig auf den Schultischen. Die noch fehlende Versöhnung des Geistes bedarf allerdings weiterer Anstrengungen.
Verblüffend ist die halbherzige Formulierung "handlungsorientiert"! Entweder wird gehandelt, oder die Handlungen Dritter werden "betrachtet", eine sehr schultypische Form des Pseudohandelns. Es würde zur semantischen Präzision beitragen, wenn der Unterricht nicht "handlungsorientiert" hieße, sondern "auf einer Handlungsgrundlage", sofern er so genannt zu werden verdient.
Der Handlungsbegriff ist in alteuropäischer Tradition positiv besetzt. Daran konnte wohl auch die mittelalterliche Glaubenslehre nichts ändern, die einen fatalistischen Grundzug hatte. Wie immer der Christenmensch handelnd auf die Welt einwirkt, Gottes Wille entscheidet allein über den Handlungsausgang. Das Nicht-Handeln, im Wertesystem der Buddhisten sehr hoch angesiedelt, findet hierzulande erst Ende dieses Jahrhunderts und dann auch nur in Sektenkreisen Anhänger. Mit dem Protestantismus wurde das innerweltliche Handeln, wie MAX WEBER zeigen konnte, enorm aufgewertet. Ideengeschichtlich ist also von einer Hochschätzung der Tatgesinnung auszugehen.
Auf eine andere Bedeutung des Handlungsbegriffs soll kurz eingegangen werden: In den meisten Kognitionstheorien wird "Denken" als internalisiertes Handeln umschrieben. Diese Metapher ist natürlich in elaborierter Form entfaltet worden, und wir erinnern nur deshalb daran, weil im Kontext von Schultheorien Denken und Handeln häufig als Gegensatzpaar auftreten.
Ein unrühmliches Beispiel ist der zähe Vorbehalt der KMK gegen eine Gleichwertigkeit von gymnasialer und beruflicher Bildung. Auf dem sogenannten Loccum-Gespräch 1994 in Tutzing haben die Kultusminister zwar erneut Absichtserklärungen verlauten lassen; sie empfehlen: "auch die gymnasiale Oberstufe muß sich für handlungsorientiertes Wissen öffnen"! Gleichzeitig machen sie die Studierfähigkeit von Absolventen des beruflichen Bildungswesens von ominösen "Schlüsselqualifikationen" abhängig. Ein junger Facharbeiter, der Verfahrens- und Werkstoffkenntnisse erworben hat, der komplexere Aufgaben von der Planung bis zur Fertigstellung bewältigte, der räumliches Denken und angewandte Mathematik täglich benötigt, ist damit noch nicht studierfähig. Er muß etwas Zusätzliches "nachweisen". Grotesker Weise erwirbt man dieses Zusätzliche nur im Kontext von Arbeitsprozessen, die immer arbeitsteilig, mithin kommunikationsangewiesen sind. Eher unwahrscheinlich ist, daß man sie in der gymnasialen Oberstufe erwirbt, wo isolierte Leistungen und eine Punkte-Arithmetik vorherrschen.
Wenn jemand, bevor er einen neuen Gartenzaun baut, alle Handlungsfolgen gedanklich antizipiert, ist die Metapher vom internalisierten Handeln recht plausibel. Wenn in einem philosophischen Seminar über den Begriff des "Prinzipiellen" nachgedacht wird, dann sind Formen des internalisierten Handelns nur als innere Sprechakte vorstellbar, als (noch) nicht vernehmbare Auslegung der Begriffe durch Begriffe. ODO MARQUARD, dem wir dieses kleine Beispiel verdanken, hat allerdings folgendes bemerkt: [/S. 243:]
"....daß Erfahrung - Lebenserfahrung - unersetzlich ist für die Philosophie. Erfahrung ohne Philosophie ist blind; Philosophie ohne Erfahrung ist leer: man kann keine Philosophie wirklich haben, ohne die Erfahrung zu haben, auf die sie die Antwort ist."
(O. MARQUARD, 1987 [3], S. 8)
Diese Sicht würde das Denken auch im philosophischen Seminar als internalisiertes Handeln rehabilitieren, wenn auch als Erinnerung an die Handlungsgeschichte des eigenen Lebens.
In der Pragmalinguistik ist die Sprechhandlung ein "Bewirken von Wirkungen". Mit Sätzen kann ich jemand einschüchtern, wütend machen, veranlassen, Bestimmtes zu tun oder zu lassen. Insofern ist die Handlungsfolge beobachtbar, anders als bei reinen Denkprozessen, die, wenn man so will, auch im Medium von Sprache "handeln". In der Schule treffen wir massenhaft Sprechhandlungen an: Der Lehrer appelliert an die Leistungs- und Verhaltensmöglichkeiten der Schüler, diese versuchen den Lehrer in Fällen der Leistungsbeurteilung umzustimmen usw. Diese Ebene durchzieht jedweden halbwegs demokratischen Unterricht. Daneben aber gibt es Sprechakte, die keine Sprechhandlungen sind. Wenn der Schüler sich abmüht, die Lehrerfrage nach den Voraussetzungen der Französischen Revolution recht und schlecht zu beantworten, trifft er eine Denkschablone des Lehrers oder nicht. Nur in sehr seltenen Fällen wird der Schüler eine eigenwillige Interpretation so überzeugend vortragen, daß der Lehrer die Revision eigener Vorstellungen erwägt. Im Vorgriff auf die Arbeitslehre erwähnen wir dieses Beispiel, denn was im Geschichtsunterricht eher selten sein dürfte, ist in der Arbeitslehre viel häufiger anzutreffen.
Wenden wir uns einen Moment jenen Handlungen zu, die es im Schulalltag auch gibt, deren Handlungsqualität überhaupt nicht strittig ist und die in vielen Fällen Werkzeuggebrauch und materielle Veränderungen als Begleiterscheinung haben. Die Handlungen treffen wir vor allem in den Fächern Bildende Kunst, Musik, Darstellendes Spiel und experimentelle Naturwissenschaft an. Es entstehen Produkte mit einer ästhetischen Qualität und / oder mit einem (wiederholbaren) Ursache-Wirkung-Nachweis.
Die Handlungsdimension dieser Fächer ist einerseits traditionell zu nennen, andererseits wird sie einer ganzen Reihe von Zwängen geopfert, von denen der gravierendste vielleicht die Gruppengröße ist. Der Unterricht kann sich dann auch in diesen Fächern extrem handlungsarm entwickeln.
Wir wollen auch nicht verschweigen, daß in Fächern wie Gesellschaftskunde/Politik, auch Geographie unter dem Postulat der "Handlungsorientierung" tatsächlich gehandelt wird: Parlamentssitzungen und Gerichtsverhandlungen werden besucht, die gewonnenen Eindrücke führen zu schriftlichen Anfragen an Abgeordnete oder Justizvollzugsbehörden. Landschaftspflege-Projekte werden beschlossen u.a.m. Jeder Kenner der Schulwirklichkeit weiß, daß solche Beispiele Ausnahmestatus haben.
Bevor wir uns jetzt dem Handlungsbegriff der Arbeitslehre zuwenden, sei noch einmal an die Theorie HANNAH AHRENDT [20] s erinnert. Wenn die Arbeitslehre sich entschließen könnte, ihre Begriffstrias zu übernehmen, wäre für saubere Verhältnisse gesorgt. Arbeiten, Herstellen und Handeln sind die drei Existenzebenen. Arbeiten müssen wir, Sysiphos vergleichbar, denn die Überwindung des banalen Mangels wird uns täglich aufs neue abverlangt. Das Herstellen (vielleicht sollte man ergänzen: das ganzheitliche Herstellen) ist immer weniger Menschen vergönnt. Zum Handeln sind wir gezwungen solange wir soziale Wesen sind, im Diskurs erfolgt gewissermaßen zivilisatorisch gebändigt der Streit der Meinungen. Eine solche Differenzierung konnte sich, bezogen auf Schule, nicht durchsetzen. [/S. 244:] Hier wird mit einem groben Handlungsbegriff gearbeitet, der mal die eine, mal die andere Bedeutung favorisiert.
Auch der HABERMAS [21] sche Handlungsbegriff könnte der Pädagogik zu mehr Klarheit verhelfen: Bekanntlich unterscheidet HABERMAS zwischen instrumentellem Handeln (arbeiten) und Interaktion. (HABERMAS 1968 [3] und passim) Eine Unterscheidung des instrumentellen Handelns im Sinne HANNAH ARENDTs in Arbeit mit Wiederholungszwang und Herstellen trifft HABERMAS u. W. nicht. Dem instrumentellen Handeln mit seiner Sachlogik wird Interaktion als Daueraufgabe menschlicher Verständigung gegenübergestellt. Nebenbei bemerkt: Auch alles Herstellen könnte sich als endloses Wiederholen erweisen. In einem Gedicht von Gottfried BENN heißt es....
"und bauten sie Dome, 800 Jahre ein Stück, wissend im Zeitenstrome bröckelt der Stein zurück."
Der schulische Handlungsbegriff ist deshalb nach Meinung von DUNCKER über eine Suchbewegung noch nicht hinausgekommen.
"Mit der Handlungsorientierung des Lehrens und Lernens trat die schulpädagogische Profession an gegen die Vorherrschaft des intellektuellen, wissenschaftspropädeutischen und memorierenden Lernens in der Schule. In zahlreichen Suchbewegungen wird dabei erkundet, wie sich ein 'praktisches' Standbein für die Schule errichten läßt, das nicht nur im kompensatorischen Sinne Mängel eines auf Abstraktion zielenden Schulsystems ausgleichen soll, sondern gleichzeitig Hinweise für die Gestalt einer modernen pädagogischen Schulkultur enthält."
(DUNCKER, 1988 [3], S.43)
DUNCKER hat außerdem emphatisch vor dem Auseinanderfallen der Zeithorizonte gewarnt: Die Schule soll beides leisten: eine sinnvolle Gestaltung der Gegenwart der Jugendlichen und eine Zurüstung für künftige Anforderungen durch Gemeinschaft und Arbeitsleben. Zu beobachten ist eine Gegenwartsorientierung vieler Jugendlicher, die leider mangels besserer Alternativen in richtungslosem Aktionismus, austauschbarem "Feeling" und leider oft in Ablehnung der Schule sich äußerst. Die Schule hingegen driftet zur anderen Seite ab, sie wird nicht müde, das Leben nach der Schule anzumahnen, sie behauptet eine Zukunftsorientierung bieten zu können und setzt dabei die bekannten Selektionsmechanismen ein. Ein Riß zieht sich durch die Zeitverhältnisse: Schüler optieren für eine Gegenwart ohne Zukunft und die Schule für eine Zukunft ohne Gegenwart.
Wenn Zukunftsprognosen sich als richtig erwiesen, die abstrakte Verkehrsverhältnisse, vorwiegend symbolisches Handeln, ein Verschwinden der materiellen Produktion und die Zunahme industrieller Dienste von der Ernährung bis zum Rundum-Service voraussagen, wird für die Schule ein nicht nur trotziges Dennoch um so wichtiger. In einer 10 bis 13jährigen Schulzeit gibt es massenhaft Anlässe, zu arbeiten, etwas herzustellen und kommunikativ zu handeln - also nicht memorierend etwas vorzutragen.
Bevor wir den Handlungsbegriff der Arbeitslehre definitorisch genauer fassen, wenden wir uns kurz Forschungsarbeiten zu, die unter dem Stichwort "Beiträge zur psychologischen Arbeitsanalyse" schon Ende der 70er bzw. Anfang der 80er Jahre veröffentlicht wurden, heute jedoch keineswegs überholt sind. Einschränkend muß gesagt werden, daß diese Arbeiten sich überwiegend auf erwerbstätige Erwachsene beziehen. Wir glauben aber, im Arbeitslehre-Unterricht Situationen nachweisen zu können, in denen psychische Reaktionen ähnlicher Art auftreten. Um der bekannten Abwehrgeste zuvorzukommen, erklären wir ausdrücklich, daß der Arbeitslehre die Dimensionen der Kündigungsangst, der [/S. 245:] Lohnabhängigkeit, der betrieblichen Über- und Unterordnung und der Zeitzwänge fehlen, und daß wir auch nicht glauben, sie simulativ herstellen zu können. (VOLPERT 1981 [3], ULICH 1981 [3], HACKER 1978 [3], v. CRANACH u.a. 1980 [3])
Nach HACKER ist der entscheidende Erkenntnisfortschritt der Arbeitspsychologie gegenüber der passiv-kontemplativen Bewußtseinspsychologie darin zu sehen, daß erstere Psyche und Handlung als nicht trennbare Wechselwirkung versteht, letztere den psychischen Zustand gewissermaßen als Voraussetzung für mehr oder weniger gelingende Handlungsregulierung. In der Tradition der sowjetischen Psychologie unterscheidet HACKER zwischen Tätigkeiten allgemein und Handlungen, denen ein inneres Modell, ein Plan zugrunde liegt. (HACKER 1978 [3], S. 57 ff)
"Ganz besonders die hier interessierende Arbeitstätigkeit ist der Prototyp der von Affekthandlungen wohlunterschiedenen, willensmäßig gesteuerten, mit überindividuellem (gesellschaftlichem), konkreten Sinngehalt ausgestatteten und auf Zweckmäßigkeit der Ausführung angelegten Handlungen. Diese willentlich gesteuerten Handlungen sind bei aller sonstigen Verschiedenheit durch einige Merkmale von den anderen, den 'antriebsunmittelbaren Handlungen' ausgezeichnet: Grundlage ist ein bewußtes Ziel, dessen Verwirklichung als Vorsatz angestrebt wird. Durch den Entschluß zum Handeln erfolgt der Übergang vom bloßen Wünschen zum Wollen."
(HACKER, a.a.O. [3] S. 62)
Der Bewegungsphänomenalismus, der auch heute noch in ergonomischen Studien eine Rolle spielt, ist nach HACKER nur die Oberfläche eines inneren Handlungsmodells. Unterschieden wird in der Arbeitspsychologie nach Antriebsregulation und Ausführungsregulation. Die Antriebsregulation entsteht im Gefolge der Übernahme einer Aufgabe, deren Zielbeschreibung natürlich für die handelnde Person vorstellbar und antizipierbar sein muß. Von großer Bedeutung für die Antriebsregulation ist die Herausbildung von Sinn. Diese erfolgt vor dem Hintergrund sozialer Anerkennung. Gänzlich asoziale Sinnbildung, also eine Art "monadischer" Sinn ist schwer vorstellbar. Die Übernahme einer Aufgabe einzig vor dem Hintergrund der "Entlohnung" durch Geld oder Zensuren ist bekanntlich verbreitet; der Sinn muß dann in abgeleiteten Funktionen gesucht werden, z.B. in Konsum- und Karrierechancen.
Die Ausführungsregulation geht immer mit der Zielanalyse einher. Das Ermitteln, Einsetzen und fortlaufende Anpassen zieladäquater Mittel gehört zur Ausführungsregulation.
"Jede Handlung ist notwendigerweise ein psychischer Akt, weil sie bewußt, d.h. zielgerichtet ist. Jede Handlung schließt über die Komponenten der Antriebsregulation hinaus wesensmäßig kognitive Prozesse ein, sie ist mindestens eine sensumotorische Einheit, in der Regel aber eine Einheit von Wahrnehmen, Verarbeiten (Urteilen, Behalten, Reproduzieren) und seinerseits wiederum sinnlich und logisch erfaßtem motorischen Verrichten."
(HACKER, a.a.O. S.63)
Was HACKER idealtypisch für erwachsene Handlungsträger analysiert, bedarf der Modifikation für Handlungen in der Arbeitslehre. Wir greifen hier nur ein Problem heraus: Die Antriebsregulation bei Erwachsenen bedingt oft eine mehr oder weniger lange Phase des Innehaltens zwischen Zielanalyse und motorischen Verrichtungen. Die starke Affizierung der Schüler, die immer dann zu beobachten ist, wenn sie überhaupt handeln dürfen, führt zu den von HACKER gerade ausgeschlossenen "antriebsunmittelbaren Handlungen". Im Klartext heißt das, die Sinnfindung im Zusammmenhang mit Handlungszielen, die damit verbundene [/S. 246:] Zielanalyse und eine Abschätzung der Handlungs-Nebenfolgen strapaziert die wenig entwickelte Geduld der Schüler, rückgestauter Handlungswille entlädt sich am liebsten in unmittelbarem Aktionismus.
VOLPERT [22] hat darauf hingewiesen, daß in modernen, arbeitsteiligen Gesellschaften Arbeitshandeln immer eine überindividuelle Sinnzuschreibung besitzt. Sie existiert unabhängig vom konkreten Individuum. Von daher erst wird definiert, welchen Handlungsbeitrag der einzelne zu leisten habe. Das Individuum funktioniert nun keineswegs im Maße dieser Aufgabenzuweisung sondern redefiniert die Aufgabe. Ersichtlich bezieht sich VOLPERT [22] auf Erwerbsarbeit, denn Hausarbeit, namentlich in den zahlreicher werdenden Einpersonen-Haushalten, bedarf eines modifizierten Analyseschemas.
Die Kenntnis der vom Individuum vorgenommenen subjektiven Ausdeutung der
Arbeitsaufgabe kann dazu genutzt werden, diese den Bedürfnisssen des Individuums besser anzupassen. Der Hintergrund der überinviduellen, als objektiv bezeichneten Arbeitsaufgabe darf jedoch nicht aus dem Blick verschwinden, weil alles andere nach VOLPERT [22] in die "Sackgasse des Subjektivismus" führt. (VOLPERT 1981 [3]) Auf Arbeitslehre ist dieses Modell insofern transferierbar, als die Handlungsstruktur in schulischen Fachräumen unter dem Anspruch einer überindividuellen Arbeitsaufgabe steht. Im Unterschied zur Werkpädagogik und auch zum künstlerischen Gestalten ist die Arbeitsaufgabe viel klarer definiert. Selbstverständlich gibt es in den erwähnten Unterrichtsbereichen auch "Themen", aber die individuelle Handlungsstrategie, die zur Lösungsfindung eingeschlagen wird, ist oft sehr unterschiedlich, ja, die Unterschiedlichkeit ist erwünscht. Auch gibt es nicht die Lösung. In der Arbeitslehre ist von einer strengeren Objektivierung des Lösungszustandes auszugehen. Damit sind Grenzen für den Subjektivismus des einzelnen Schülers gezogen. Die Redefinition der Arbeitsaufgabe durch den Schüler findet gleichwohl immer statt. Es ist nicht auzuschließen, daß der Schüler nun unter dem allgemeinen Diktat des Unterrichts am Handlungsprozess mitwirkt, aber weder die gewünschte Antriebsregulation entwickelt und bei der Ausführungsregulation sich auf andere verläßt. Deshalb ist es gut, sich an das 9-Stufen-Modell von VOLPERT [22] zu erinnern, in der die Lernrelevanz von Handlungsprozessen hierarchisch geordnet wird. Nach VOLPERT [22] ist der Problemzustand identisch mit der Distanz zwischen dem Ausgangszustand der Handlung und dem Lösungszustand. Die Anzahl und Struktur der Zwischenzustände kann stark variieren. Der Problemraum (auch Suchraum) ist die Gesamtheit der Objekte, Zustände und Verfahren, innerhalb derer die Lösung zu finden ist. Der Suchprozess ist das Auffinden von logischen Verknüpfungen zwischen den Operationen und Objekten. Daß es logische Verknüpfungen gibt, wird vorausgesetzt. In der Praxis mag oft der zweite Schritt vor dem ersten getan werden, gleichwohl merkt der Handelnde bald, daß eine Umkehrung logischer gewesen wäre. Der Lösungsprozeß ist die Transformation aller relevanten Merkmale des Problemraums.
Diese verhältnismäßig abstrakte Beschreibung der Problemstruktur besagt zunächst nur, daß alle Handlungen innerhalb einer solchen Struktur verlaufen.
"Ein Stufenmodell der Problemhaltigkeit nimmt nun an, daß es Konstellationen dieser Komponenten gibt, die in aufsteigender Reihe insofern voneinander unterscheidbar sind, als zur bisherigen Problemstruktur ein neuer komplizierender Faktor hinzutritt, der diese Struktur verändert. Das im folgenden vorzustellende Modell umfaßt neun Stufen, die jeweils durch die Aufgabenart, die zugehörige Handlungsforderung und die daraus resultierenden Lernerfordernisse umschrieben sind."
(VOLPERT, a.a.O. [3] S. 215)
[/S. 247:]
Die unterste Stufe geht von stereotypen Handlungsfolgen aus, die, einmal beherrscht, nur in einem engen Bereich an veränderte Situationen adaptiert werden müssen.
Die beiden obersten Stufen (8 und 9) des Handlungsmodells sind nach VOLPERT [22] für industrielle Handlungsprozesse irrelevant, und wegen des offenen Anfangs- und Endzustandes vorwiegend in wissenschaftlichen Forschungsprojekten anzutreffen. Wir zitieren noch einmal VOLPERT [22] mit der Beschreibung der Stufe 5, weil diese u.E. als die höchste in der Arbeitslehre erreichbare Stufe gelten kann.
"Die Stufe 5 ist dadurch gekennzeichnet, daß ein noch nicht bekannter Lösungsweg bei geschlossenem Anfangs- und Endzustand gefunden werden muß. Hier müssen flexible Handlungspläne auf der Grundlage von Wissen über allgemeine Funktions- und Wirkprinzipien der Handlungsobjekte und -bedingungen entwickelt werden. Im Problemraum sind äquivalente, aber nicht lösungsoptimale Operatoren bzw. Eigenschaften durch Suchraumeinengung unter Einsatz von heuristischen Regeln auszuschalten. Die Elemente des Problemraums sind hier als Begriffe eines Wissenssystems zu verstehen. Die Lernanforderung besteht in der Entwicklung von Entscheidungsregeln auf der Grundlage von Fachwissen."
(VOLPERT a.a.O. [3] S. 216 f)
Wir hatten weiter oben bereits die Redefinition der Arbeitsaufgabe durch die handelnden Subjekte erwähnt. Für den Arbeitslehre-Lehrer bedeutet dies zunächst die Ungewißheit über die zu erwartende Antriebs- und Ausführungsregulation der Schüler. ULICH hat die "subjektive Tätigkeitsanalyse" als eine wichtiges Verfahren zur besseren Handlungsinvolviertheit der beteiligten Personen genannt.
"Subjektive Tätigkeitsanalyse (STA) wird als ein Mittel verstanden, mit dessen Hilfe die Subjektposition der Arbeitenden zur Geltung gebracht, Qualifizierungsbarrieren abgebaut und Qualifizierungsbereitschaften entwickelt werden können. Mit der subjektiven Tätigkeitsanalyse sollen zugleich Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß objektive Handlungsspielräume nicht nur erkannt und genutzt, sondern auch Möglichkeiten ihrer Erweiterung wahrgenommen und realisiert werden."
(ULICH; 1981 [3], S. 333)
Selbst bei erwachsenen Erwerbspersonen läßt sich eine Tendenz zum "problemlosen Feld" feststellen, d.h. über längere Zeiträume werden Arbeiten verrichtet, ohne daß Mängel im technischen und organisatorischen Bereich bewußt werden. Am Anfang jeder STA steht deshalb die Einsicht in die Problemhaltigkeit einer Situation. Die Arbeitspsychologie bedient sich bestimmter angeleiteter gruppendynamischer Prozesse, bei denen jedes Gruppenmitglied seine subjektive Sichtweise offenlegt. Die Mehrperspektivität läßt das Problem zu allererst sichtbar werden; es folgen Veränderungspläne usw. (vergl. ULICH, a.a.O. [3] S. 334 ff)
Anscheinend werden in der Arbeitslehre aus zeitlichen Gründen gar keine längerfristigen Arbeitsroutinen aufgebaut, die dann durch arbeitspsychologische Intervention zu optimieren wären. In Wirklichkeit läßt sich aber eine STA an vielen Stellen des Unterrichts einbauen. Diese hat nicht den systematischen Anspruch der von ULICH u.a. beschriebenen Vorgehensweise.
Arbeitslehre-Lehrer klagen über Mängel bei der Durchführung der Arbeitsaufgabe: Schüler handeln erst und denken hinterher über einen Mißerfolg nach, sie vernachlässigen getroffene Organisationsabsprachen und sie weisen gerne anderen Schuld zu. Viele Lehrer versuchen nun ständig durch rechtzeitiges Belehren das Schlimmste zu verhindern. Kurze, zur Gewohnheit werdende STA würden manche Lehrerintervention überflüssig machen. Weil die Schüler in der Arbeitslehre im allgemeinen an einer gemeinsamen Aufgabe tätig sind, [/S. 248:] kann jeder seine momentane subjektive Wahrnehmung des ganzen Prozesses äußern. Dabei wird sich fast immer herausstellen, daß das Problembewußtsein der Lerngruppe wächst.
Ähnlich wie in betrieblichen Arbeitsprozessen gibt es auch in der Arbeitslehre eine objektive Arbeitsanalyse und eine subjektive. In Betrieben hat die Arbeit von Refa-Experten eine lange Tradition. Das soziotechnische System wird beobachtet, gemessen und optimiert. Daß dies nicht ausreicht, beweisen Erfolge der subjektiven Tätigkeitsanalyse durch die Arbeitenden selbst. In der Schule ist die Unterrichtsplanung durch den Arbeitslehre-Lehrer gewissermaßen die objektive Arbeitsanalyse, sie sollte nach Möglichkeit Expertenniveau haben. Das alleine reicht jedoch fast nie. Die subjektive Tätigkeitsanalyse durch die Schüler muß hinzutreten, damit würde so manchem Arbeitslehre-Lehrer, der sich optimal vorbereitet hatte, eine herbe Enttäuschung erspart.
v. CRANACH u.a. haben eine Theorie "konkreter Handlungen" entwickelt, die nicht primär an betrieblichen Arbeitsprozessen orientiert ist, und vielleicht deshalb Vertretern der Allgemeinbildung nähersteht. Auf die neun Bestimmungsstücke dieser Theorie wollen wir kurz eingehen und Bezüge zur Arbeitslehre aufspüren. (v. CRANACH u.a., 1980 [3],S. 83ff) Die Autoren unterscheiden:
Zunächst stellen wir fest, daß viele Aktivitäten in der Schule einen solchermaßen entfalteten Handlungsbegriff nicht einlösen. Einen Deutschaufsatz schreiben, eine Mathematikaufgabe lösen, einen englischen Text übersetzen, bedarf einer Zieldefinition. Die teleologische Kraft des Ziels ist gering, ja, Ziele werden häufig nur als Durchgangszustände erlebt. Im Mathematikunterricht ist es verbreitet, den Schülern zu sagen, wer die "Pflichtaufgaben" gelöst hat, kann noch Zusatzaufgaben bearbeiten. Die Zielbeschreibung verliert an Bedeutung und wird sekundär gegenüber dem Weg zum Ziel. Die Verständigung über Zwischenziele und deren Hierarchisierung fehlt meistens. Wertediskussionen sind dann [/S. 249:] entbehrlich, wenn die Ziele durch Rahmenpläne als legitimiert gelten. Handlungswissen wird nicht vom Handlungsziel her bestimmbar, oft ist es umgekehrt: auf Vorrat erlerntes Wissen soll durch einen gesuchten Handlungsanlaß aktualisiert werden. Kommunikationsprozesse, die der Erreichung eines gemeinsamen Handlungsziels dienen, werden oft nicht gewünscht.
Kommen wir zum Schluß. Der Handlungsbegriff der Arbeitslehre umschließt die drei Dimensionen: das Arbeiten, das Herstellen und das Handeln.
Handeln in der Arbeitslehre bedeutet zuvörderst Handeln in der materiellen Welt: ein Kleidungsstück nähen, ein Essen kochen, Lautsprecherboxen bauen. Ein Verbot, auch in der nichtmateriellen Welt zu handeln, ist damit freilich nicht ausgesprochen. Aber da dies die anderen Schulfächer zur genüge tun, müßte die Arbeitslehre die materielle Kultur zu ihrer eigentlichen Domäne erklären.
"Worum es nämlich wirklich geht, das ist die Überwindung jenes Kulturdefizits, an dem die allgemeinbildende Schule, und ganz besonders auch das Gymnasium, bis heute leidet. Die überwältigende Mehrzahl der Unterrichtsgegenstände betreffen die ideelle Kultur, die Mathematik, die Sprache, die Literatur, die Kunst, die Weltanschauung. Schon die soziale Kultur wird von dem einen, oft genug randständigen Fach Sozialkunde nur sehr stiefmütterlich behandelt. Doch was bis in die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts in der Schule völlig fehlte, das ist die materielle Kultur. Brechts berühmte Rehabilitierung der materiellen Kultur 'Erst kommt das Fressen, dann die Moral' darf zwar inzwischen im Deutschunterricht hermeneutisch interpretiert werden, doch im Kanon der Bildungsfächer wird diese Einsicht von den Philologen immer noch verdrängt."
(GÜNTER ROPOHL, 1997 [3], S.285)
ROPOHL hat das Leiden am Partikularismus des Fächerspektrums (Technik, Wirtschaft, Haushalt, Arbeitslehre) dadurch zu beenden versucht, daß er ein Fach "Materielle Kultur" vorschlägt. Dem folgt jedoch der Zweifel auf dem Fuße, ob die Bezeichnung jedermann verstünde. (ROPOHL, a.a.O. [3] S. 285)
Wir versuchten, den Handlungsbegriff der Arbeitslehre zu konturieren (und ihn gegen einen inflationär gebrauchten abzugrenzen). Unvermeidlich ist es, auf immer wiederkehrende Störungen des idealtypischen Handlungsablaufs in der Arbeitslehre einzugehen.
Zuletzt hat BÖNSCH die kritischen Stellen in einem Projektverlauf noch einmal genannt. Diese zu erinnern ist vielleicht deshalb notwendig, weil in zahllosen Arbeitslehre-Publikationen die Projektphasen: Entscheidung-Planung-Durchführung-Kontrolle als scheinbar unproblematische genannt werden. (BÖNSCH 1996 [3], S. 133)
Dies bedeutet nicht, die die Arbeitslehre bestimmende Handlungsmaxime zu verabschieden. Erfahrungen zeigen, daß die Störungen in einem Projektverlauf geringer werden, wenn die Schüler wiederholt Projekterfahrung sammeln konnten. Die o. g. Subjektive Tätigkeitsanalyse, aber auch das auf VOLPERT [22] zurückgehende Stufenmodell der Handlung werden noch zuwenig berücksichtigt.
Ein nicht unerheblicher Teil der Schwierigkeiten, die im Handlungsfeld "Arbeitslehre" auftauchen, läßt sich auf mangelnde fachliche Kompetenz der Lehrer zurückführen. Wir wenden uns deshalb im nächsten Kapitel den praktischen Fragen einer gelingenden produktiven Schülerarbeit zu.
[/S. 251:] [4. Schulische Produktionsarbeit]
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Ein wesentliches Kennzeichen der Arbeitslehre in der Bundesrepublik besteht darin, daß neben die einzelnen, relativ autonomen Teilbereiche Technik, Wirtschaft und Hauswirtschaft ein fächerübergreifender Bereich tritt. Dieser fächerübergreifende Bereich stellt eine Schnittmenge verschiedener Inhalte dar, ist in der Schule schwierig umzusetzen und wissenschaftlich nach wie vor höchst diskussionsbedürftig. Unter fächerübergreifendem Unterricht (Lehren und Lernen) wird ein Vorgehen verstanden, bei dem ein fachlich gegliederter Stundenplan (zeitweise) suspendiert wird, um ein Thema über einen längeren Zeitraum mehrperspektivisch zu behandeln; denkbar ist auch, fachbezogene Querverbindungen bei der Behandlung von Themen didaktisch-methodisch zu vernetzen, wobei die Fächerung des Unterrichts beibehalten wird (z.B. Mensch und Umwelt in historischer, geographischer, religiöser, ethischer Sicht). Möglich ist auch die Bildung von Lernbereichen, die fächerübergreifenden thematischen und/oder methodischen Konstitutionsprinzipien folgen (z.B. Sachunterricht der Grundschule).
Jenseits dieser drei Varianten entzündet sich die wissenschaftliche Diskussion an Fragen wie den folgenden: Ist fächerübergreifender Unterricht mehr als der gewagte Versuch, 'innerlich' verschiedenartige Stoffe so unter einen Hut zu bringen, daß wenigstens äußerlich der Eindruck einer geschlossenen Bildungseinheit entsteht? Verkommt ein sorgfältig geordnetes Bildungsgut durch fächerübergreifende Aufsplitterung nicht zu mehr oder weniger zufällig komponierten Arrangements provinzieller oder genialer Bastler? Darf man die Disziplin der Fächer ungestraft verlassen, um Schüler und Lehrer undurchsichtigen Komplexionen heterogener Inhaltssegmente auszuliefern? Verkommt eine Schule ohne Fächer nicht gar zu einem Supermarkt der Kultur?
Diesen kritischen Fragen kann als kurze Entgegnung zur Rechtfertigung fächerübergreifenden Unterrichts gegenübergestellt werden: (1) Schulpädagogisch gesehen stellt der fächerübergreifende Unterricht eine pragmatisch begründete Notlösung dar, da Fachunterricht zeitgemäße Bildung allein nicht mehr vermitteln kann. (2) Viele Schulfächer haben als Entwicklungsmedien für die Schülerpersönlichkeit beträchtliche pädagogische Legitimation verloren. Als Reflex hierauf versucht deshalb (3) fächerübergreifender Unterricht didaktische Sinnstrukturen (neu) zu entwickeln oder zurückzugewinnen.
Diese didaktischen Gesichtspunkte werden in der neueren erziehungswissenschaftlichen Diskussion im Zusammenhang mit Fragen der Schulqualität und Schuleffektivität, also der Suche nach Kennzeichen einer 'guten Schule', außer Acht gelassen. Dort geht es neben Aspekten wie Schulleben, Weltbild der Erziehenden, Einstellung zu Schülern, Interesse und Motivation, Identifikation und Zufriedenheit mit Schule und Beruf, Unterrichtsqualität, Zusammenarbeit mit Eltern auch um die Kooperation im Kollegium einer Schule, die - auf unsere Überlegungen gewendet - für einen gelingenden fächerübergreifenden Unterricht von großer Bedeutung ist.
Wenn nun innerhalb der Arbeitslehre - diese Bezeichnung steht im folgenden synonym für die Begriffe 'Arbeit-Wirtschaft-Technik', 'Polytechnik/Arbeitslehre' u. dgl. - verschiedene Problemfelder, Situationsbereiche oder Fächer aufeinander bezogen werden, dann zeigt dies, daß auch die Arbeitslehre ihren Bildungsauftrag offensichtlich nicht hinreichend erfüllen kann. Denn sonst wäre es ja nicht notwendig, Getrenntes durch fächerübergreifende Lehrplan-Einheiten (wie etwa in Baden-Württemberg und Niedersachsen) - zumindest partiell - zusammenzubringen. Allerdings besteht in Wissenschaft, Politik und Schule kein genereller Konsens darüber, daß Arbeitslehre als mehr oder weniger integrierendes Schulfach begriffen werden muß. Denn es zeigt sich, daß sie auch als Sammelbezeichnung für selbständige Einzelfächer (Technik, Wirtschaft, Haushalt) verwendet wird. Grob lassen sich jedenfalls drei Organisationsvarianten von Arbeitslehre festmachen (vgl. Nitsch 1979):
Neben diesen Organisationsvarianten der Arbeitslehre benennen mehrere Autoren übereinstimmend folgende Problembereiche einer integrativen oder integrationsähnlichen Arbeitslehre: Kooperation als inhaltliches, soziales (interaktives), organisatorisches und didaktisch-methodisches Problem (Lackmann 1981, 1986, 1992 [24]; Himmelmann 1985 [25]; Henseler u.a. 1985).
Werden nun die Organisationsmodelle der Arbeitslehre in Zusammenhang mit den erwähnten Problemebenen gebracht, ergibt sich folgende heuristische Matrix, die zur didaktischen Beschreibung fächerübergreifenden Unterrichts herangezogen werden kann (vgl. Abbildung 1).
Mit Hilfe des aufgeführten Tableaus soll das Problem des fächerübergreifenden Unterrichts im Bereich der Arbeitslehre weitergeführt werden. Dabei ist die vordere Skizze gewissermaßen zu 'verdoppeln' denn 'Kommunikation und Kooperation' von Lehrerinnen und Lehrern ist mindestens auf zwei Ebenen zu erörtern: Auf der Ebene konkreter Rahmenbedingungen (die etwa als Lehrplanvorgaben und der damit verbundenen Organisationsstruktur gesetzt werden - Bedingungsebene) und auf der daraus resultierenden Ebene des konkreten Verhaltens (Handelns) bei Planung, Umsetzung und Evaluation 'integrativen' Arbeitslehre-Unterrichts (Verhaltensebene). Beide Bereiche stellen zwei Seiten derselben Münze dar (vgl. die genauere Explikation bei Lackmann 1986 [24], S. 11), die in der Wirklichkeit untrennbar miteinander verbunden sind. Damit wird auch ersichtlich, daß fächerübergreifender Unterricht der Arbeitslehre immer mit der die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit (Kooperation und Kommunikation) mehrerer Fachlehrerinnen bzw. Fachlehrer korrespondiert. Von Grad und Qualität der Zusammenarbeit der Lehrkräfte ist darum auch Erfolg oder Mißerfolg des fächerübergreifenden Unterrichts abhängig. Im folgenden werden nun einige Aspekte der vorstehenden Matrix inhaltlich thematisiert. Exemplarisch wird dabei auf das Strukturmodell 'Arbeitslehre als Kooperationsbereich' eingegangen (vgl. Abbildungen 2 und 3).
Hier wird beispielsweise die Frage nach den Bezugswissenschaften der Arbeitslehrefächer einschließlich ihrer historischen Gewordenheit, sowie ihrem erkenntnistheoretischen Fundament thematisiert. Auf der Ebene des Schulfaches treten Programmatik und Selbstverständnis der Arbeitslehre sowie die Frage der Wissenschaftselementarisierung zutage, die einen Bezug zum didaktisch-methodischen und organisatorischen Aspekt der Zusammenarbeit notwendig machen (siehe Abschnitte vier und fünf).
Seit Anbeginn ist das Problem der Bestimmung des Gegenstandsbereiches der Arbeitslehre nicht gelöst worden. Durch das Fehlen einer eindeutigen wissenschaftlichen Bezugsdisziplin ist die Möglichkeit, diesen Gegenstandsbereich des Lernfeldes Arbeitslehre über eine entsprechende Pädagogik (Fachdidaktik) zu begründen, nicht leistbar. Damit ist auch jener Trennschärfeversuch erschwert, der als ein wichtiges Kriterium für die bildungspolitische Inkorporationschance jeder neuen Schulidee gilt. Damit geht eine 'Anbindungsoffenheit' gegenüber mehreren Fächern des schulischen Fächerkanons einher. Erinnert sei an die Diskussion um die Abgrenzung zwischen den Fächern Technik und Physik, die Abgrenzung zwischen Teilbereichen der Fächer Arbeit/Wirtschaft und Wirtschaftslehre zu den Fächern Sozialkunde, politische Bildung und Haushalt, die Abgrenzung des Faches Haushalt zu Teilbereichen der Biologie und Chemie oder die Abgrenzung zwischen bestimmten musischen Fächern und der Textilarbeit.
Diese Situation hat dazu geführt, daß das Lernfeld Arbeitslehre nie über die innere Ruhe verfügt hat, sich ein klar konturiertes und unstrittiges inhaltliches Profil mit entsprechenden Ausschließungskriterien für bestimmte Inhalte zu geben. Vielmehr wurden bestimmte inhaltliche Aufgaben zum freien Feld für 'politische Besetzungen' durch Verbände und bestimmte Fachdidaktiker oder zu Forderungskatalogen für neue Aufgaben und Inhalte definiert, die zuweilen mit der Gefahr verknüpft waren, einen Omnipotenzanspruch des Lernfeldes zu verbreiten. In den folgenden beiden Positionsbeschreibungen bzw. Aufgabendefinitionen der Arbeitslehre kommt dies exemplarisch zum Ausdruck.
Im Gegensatz zu Dauenhauer, der in einer Streitschrift dafür eintritt, über die komplexe gesellschaftliche Wirklichkeit "geknüpfte Fachnetze zu werfen" und nicht zu zerreißen (1983, S. 132), da der Fachunterricht jedem Integrationsunterricht überlegen sei, betont etwa Himmelmann (1980, S. 64 ff.) [26], daß eine Differenzierung von Arbeitslehre in mehrere Fächer bzw. Wissenschaftsdisziplinen dysfunktional im Hinblick auf den Integrationsgedanken sei. Wenn 'Wissenschaftsorientierung' Bestimmungskriterium für die Inhalte von Arbeitslehre wird, bedeutet dies Verfachlichung und Verfachlichung impliziert Verselbständigung, mit der Folge auch einer verselbständigten Didaktik der Fächer.
Für Himmelmann steht fest, daß sich die Arbeitslehre auf die Suche nach einer neuen, integrierenden Bezugswissenschaft begeben müsse. Die traditionellen Wissenschaften können dies nicht sein, da sie die Realität durch Selektion und Spezialisierung zerschneiden, um auf diese Weise Komplexität zu reduzieren. Zwangsläufig sind damit Gegenstand der Zusammenarbeit im Lernfeld Arbeitslehre Sachgebiete, deren Fachgrenzen durch Bildung einer 'Schnittmenge' überwunden werden sollten, um zu einem Inhalt 'höherer Ordnung' zu gerinnen. Die Frage muß also lauten: Auf welchen neu gefundenen Inhaltssektor kann sich eine integrative (also fächerübergreifende) Arbeitslehre stützen? Sodann: Wer kann ein solches Inhaltssegment wie gewinnen?
Bei der Suche nach einem integrierenden inhaltlichen Zentrum der Arbeitslehre stößt man auf Vorschläge, die sich einerseits auf den Gegenstandsbereich, andererseits auf den Vermittlungssektor beziehen:
Die dritte Spielart versucht über mehrperspektivisch angelegte, fächerübergreifende Unterrichtseinheiten die Integration inhaltlich zu bewerkstelligen (z.B. die fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten "Technisierung und Rationalisierung bestimmen unser Leben" und "Produkte kommen auf den Markt" für die Hauptschulen in Baden-Württemberg).
Während der erstgenannte Vorschlag weitgehend Programm geblieben ist - lediglich der frühere hessische Ansatz kommt ihm sehr nahe - sind die beiden anderen bereits praktisch weiter verbreitet. Dabei fällt auf, daß dort, wo berufsorientierende Inhalte integratives Moment der Arbeitslehre darstellen (sollen), ohne Schwierigkeiten dieser Anspruch eingelöst werden kann, da diese Inhalte ein Querschnittsspektrum darstellen, das 'über' den technischen, wirtschaftlichen und hauswirtschaftlichen Sektor gelegt werden kann, also nicht aus einer besonderen Fachwissenschaft abgeleitet werden muß (jedoch eine eigene Fachdidaktik erfordert). Da es i. R. kein eigenes Schulfach 'Berufsorientierung' gibt, steht zu vermuten, daß die Stundenanteile der Lehrpläne auf die einzelnen Arbeitslehre-Fächer verteilt werden. So wird die Beteiligung mehrerer Arbeitslehre-Lehrkräfte verständlich. Natürlich steht einer von mehreren Lehrerinnen und Lehrern getragenen Verantwortung eines solchen Projekts nichts im Wege. Prinzipiell ist hier aber kooperative Unterrichtsplanung und Unterrichtsdurchführung nicht notwendig, da genuine Fachkompetenzen aus den einzelnen Fächern nicht gefordert werden, sondern primär lediglich Organisationsmaßnahmen der Durchführung des berufsorientierenden Unterrichts notwendig sind. Diese Gestaltungsaufgaben bleiben hier sinnvollerweise in einer Hand, da somit unnötige Doppelarbeit vermieden werden kann (vgl. exemplarisch OIB [Orientierung in Berufsfeldern; d. Red.] in Baden-Württemberg).
Bei expliziten fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten wird in der Regel lediglich eine Aufforderung zur Realisierung kooperativen Lehrens formuliert. Dabei wird die eigentliche inhaltliche (aber auch die didaktisch-methodische) Integrationsarbeit den Lehrern übertragen. Erfahrungen bei der Realisierung fächerübergreifenden Unterrichts zeigen, daß ein solches Vorgehen scheitern muß. Da heute in der Regel die Masse der Lehrkräfte des Faches Arbeitslehre, die derzeit in der Schule unterrichten, noch immer keine oder nur geringe, durch hochschulische Ausbildung oder Lehrerfortbildung vermittelte, umfassende Kooperations-Qualifikationen besitzen, muß bereits in den Lehrplanvorgaben die inhaltliche Integration geleistet sein. Das didaktische Zentrum eines fächerübergreifenden Arbeitslehre-Inhalts liegt jedoch meist außerhalb der kooperierenden Fächer. Notwendig ist also eine Thematik, die sui generis überfachlichen Charakter hat (vgl. etwa das Fach 'Sozialwissenschaft' an den Realschulen Nordrhein-Westfalens).
So weit ich sehe, sind drei systematische Möglichkeiten einer inhaltlichen Verknüpfung denkbar: die fachspezifisch-koordinative, die thematisch-systematische und die problemorientierte Verknüpfung.
Leitender Gesichtspunkt der fachspezifisch-koordinativen Verknüpfung ist die fachspezifische Erarbeitung eines Themas. Nur dort, wo es für das Verständnis des Gesamtzusammenhanges unumgänglich ist, wird eine Koordination mit einem anderen Fach geplant. Koordination bedeutet, daß für diese kurze Phase eine andere Lehrkraft die notwendige Ergänzung leistet oder Unterrichtsmaterial zur Verfügung stellt, das von den Schülerinnen und Schülern bei Bedarf bearbeitet werden kann.
Die systematische Erschließung des Themas ist leitender Gesichtspunkt des zweiten Modells. Sie wird von der Lehrkraft durchgeführt, der die Unterrichtseinheit plant. Diese Lehrkraft bestimmt jene Teile, die von verschiedenen Fächern bearbeitet werden müssen. Danach wird mit den Fachlehrerinnen und -lehrern die Aufgabenstellung besprochen und der Unterricht in den einzelnen Fächern durchgeführt. Unerheblich ist hierbei, ob diese Teile von verschiedenen Fachlehrern oder von einem Lehrer allein bearbeitet werden.
Im dritten Fall sind Probleme leitend, die aus dem Spannungsverhältnis des Menschen zu Alltagssituationen erwachsen. Im Vergleich zu den beiden anderen Spielarten ist bei der problemorientierten Verknüpfung eine vollständige oder systematische Bearbeitung nicht möglich. Daß hier größere organisatorische Schwierigkeiten als bei den anderen Arten auftreten, liegt nahe. Denn hier ist es erforderlich, für die Problembearbeitung Erklärungsmuster verschiedener Fächer zur Verfügung zu haben. Insbesondere dieser letzte Ansatz verweist auf die didaktisch-methodische Problematik fächerübergreifender Unterrichtsplanung.
Im vorangegangenen Abschnitt wurde der Generierung von Arbeitslehre-Inhalten implizit das Wissenschaftsprinzip als metasprachliche Faustformel unterlegt. Hier nun ist auf das Situations- oder Lebensweltprinzip einzugehen, über das (auch eine fächerübergreifende) Didaktik der Arbeitslehre begründet werden kann und muß.
Wie erwähnt wird bei der praktischen Unterrichtsgestaltung dann große Verwirrung herrschen, wenn über situative Verfahren Kooperation geleistet werden soll, ohne daß dies bereits zuvor auf der Lehrplanebene geklärt worden ist. Da also die inhaltliche Struktur eines Lehrplans von der Frage unterschieden werden muß, wie er von den Lehrkräften umgesetzt wird, ist auch das Situationsprinzip unterschiedlich zu fassen.
Wird das Situationsprinzip als didaktische Leitkategorie auf vorliegende fächerübergreifende Lehrplaneinheiten anzuwenden versucht, ist häufig Fehlanzeige zu melden. Beispielsweise stellen die fächerübergreifenden Lehrplaneinheiten der baden-württembergischen Arbeitslehre-Lehrpläne keine Situationsfelder, sondern Wissenschaftselemente dar, wenn sie auf ihren inhaltlichen Kern zurückgeführt werden (vgl. Bildungsplan 1994).
Es fällt auf, daß das Situationsprinzip in der didaktischen Literatur der Arbeitslehre entweder als Hinweis auf unterrichtsmethodische Varianten oder aber als metatheoretische Norm verstanden wird. Beiden Auffassungen liegt der Gedanke zugrunde, bei der Curriculumentwicklung die Lebenswirklichkeit der Lernenden zum Bezugspunkt der Entwicklungsarbeit zu machen, d.h. Lernangebote auf gegenwärtige und künftige Lebenssituationen zu beziehen.
Manchmal wird mit dem Verweis auf die Notwendigkeit einer Anwendung des Situationsprinzips argumentiert, gelegentlich wird zu belegen versucht, daß die Berücksichtigung von didaktisch-methodischen Möglichkeiten (Fallstudie, Plan-, Rollenspiel, Projektunterricht) bereits die Umsetzung einer situationsorientierten Didaktik darstelle (Himmelmann [25] 1985, vorsichtiger Henseler u.a. 1985). In beiden Fällen wird man dem Situationsprinzip nicht gerecht, da seine bloße Postulierung nicht für die Begründung eines didaktischen Programms ausreicht (vgl. Lackmann 1986 [24]).
Hier wird gewissermaßen eines der Herzstücke des Erfolgs (bzw. möglicher Restriktionen) integrativer bzw. integrationsähnlicher Arbeitslehre-Konzepte gesehen, wie dies für fächerübergreifendes Lehren und Lernen charakteristisch ist: Objektiv in der Bildung entsprechender Rahmenbedingungen (organisatorische Ebene), subjektiv in der Kooperation der Lehrkräfte bei Unterrichtsplanung und -durchführung (interaktive Ebene, vgl. Abschnitt 6).
Macht man den exemplarischen Versuch, eine Jahresplanung, wie sie Henseler & Reich (1986) empfehlen, für eine fächerübergreifende Unterrichtseinheit im Schuljahresablauf zu verorten, dann wird erkennbar, daß es nicht leicht fällt, einen parallelen Zeitblock für die drei Fächer Wirtschaftslehre, Technik und Hauswirtschaft/Textiles Werken aus dem Zeitvorrat eines Schuljahres 'herauszuschneiden', um das Unterrichtsvorhaben zeitgleich unterrichten zu können. Der Grund ist darin zu sehen, daß die Facheinheiten von ihren Zeitbedarfen her unterschiedlich lang sind und somit terminlich nicht aufeinander zulaufen. Nur so ist übrigens der Idealfall eines team teaching zu realisieren. Zeitparallelität ist also eine wichtige organisatorische conditio sine qua non für einen fächerverbindenden Unterricht, der gelingen soll (vgl. Lackmann 1992, S. 63 und 64).
Nur konsequent ist es, wenn Lehrerkooperation unter dem Aspekt der Organisationsentwicklung erörtert wird, deren Aufgabe darin besteht, typische Fehler der Zusammenarbeit aufzudecken und professionelle Hilfen zur Verhaltensänderung zu initiieren (vgl. etwa Schley 1991). Hierbei geht es unter anderem um die Festlegung eines Kontraktes zwischen den Beteiligten, der Spielregeln, Verabredungen und Zuständigkeiten enthält. Weiter geht es um eine Systematik des Vorgehens, Überlegungen, wie Lösungsaufschübe vorgesehen werden, wie heimliche Leitgedanken und explizite Prinzipien der Kooperation offengelegt werden können sowie wie eine Evaluation die Rückkopplung und Erfolgsvergewisserung der Kooperation aufzeigt. Damit wird bereits auf Sachverhalte des nächsten Abschnitts verwiesen.
Für die Frage der Kommunikation und Kooperation von Arbeitslehre-Lehrkräfte muß die Struktur des Arbeitsplatzes Schule zum Ausgangspunkt genommen werden. Hier liegt der Schlüssel für die Beschreibung eines zentralen Problems fächerübergreifenden Lehrens und Lernens auch innerhalb der Arbeitslehre.
Im Vergleich zu anderen Berufen ist bei Lehrern die wechselseitige Durchdringung von Person und Beruf relativ stark. Dies rührt daher, daß sich der Kern der Arbeit im pädagogischen Binnenraum des Klassenzimmers bei sehr hohem Person-Involvement vollzieht. Diese prekäre, instabile und belastende Lage hat auch Konsequenzen für die Einstellung des Lehrers zu seinem Beruf, und sie hat Konsequenzen für die Situation, in der der Lehrer das Klassenzimmer verläßt und wieder betritt - also in kollegiale Kommunikation eintaucht. Fragen drängen sich auf.
Steht zu vermuten, daß nach der isolierten Arbeit im Klassenzimmer das Lehrerzimmer als 'Wiederaufbereitungsanlage' für berufliches Engagement wird? Wenn die einschlägige Literatur belegt (vgl. Bielefeldt & Scholz 1979, Pieper 1986, Bessoth 1989), daß kollegiale Kommunikation fast gar nicht zur inhaltlichen Erörterung pädagogischer Arbeitsprobleme genutzt wird, ist zu fragen, worauf dies zurückgeführt werden kann. Liegt es an der Isolation im Klassenzimmer, die einerseits als Belastung, andererseits auch als Schutz vor Beobachtung erlebt wird, allein? Muß die Kollegialitätsforderung für das Lehrerzimmer, nämlich sowohl als prinzipiell gleichwertig, gleich kompetent und gleichberechtigt behandelt zu werden nicht kollidieren mit dem Postulat der Nicht-Einmischung in die eigene Arbeit, die es zu verteidigen gilt? Wird nicht erst durch ein striktes Nebeneinander beim Arbeiten und gleichzeitiger Bekundung kommunikativer Absichten die Tatsache aushaltbar, daß jede Lehrkraft ständig das Gefühl des Nicht-Genügens haben muß? Ist es möglich, daß eine öffentliche Erörterung der eigenen beruflichen Probleme im Kollegium als große Bedrohung erlebt wird?
Hinzukommt, daß im Rahmen kollegialer Kommunikation unter formal Gleichen unterschieden werden muß zwischen den offiziellen Regeln, zu denen sich jemand bekennt und den inoffiziellen, unausgesprochenen, aber für das faktische Handeln sehr wichtigen Regeln des Miteinander-Umgehens. Im informellen Bereich werden dann auch Konflikte deutlich, z.T. auch angesprochen, um dann aber, wenn es offiziell wird (etwa in Konferenzen) sehr schnell mit der offiziellen Forderung nach Kollegialität abgekühlt zu werden. Kann die informelle Seite, die Kulisse des Geschehens, zur Ablagerungsstätte für die Folgen von unverarbeiteten Interessenkonflikten, Enttäuschungserlebnissen, Rivalitäten, kurz: für den sozial- und individualpsychologischen Abrieb werden?
Diese Fragen könnten ein erster Anknüpfungspunkt für die weitere Analyse der Gründe für Erfolg oder Mißerfolg der Lehrerkooperation innerhalb eines fächerübergreifenden Unterrichts der Arbeitslehre sein. Weitergehende Untersuchungen müßten den Stellenwert von formeller und informeller Kommunikation und Kooperation im Rahmen fächerübergreifender Unterrichtsplanung und Unterrichtsdurchführung analysieren. Auch müßte der Vermutung nachgegangen werden, ob informelle Kommunikation und Kooperation auf punktuell und auf spezifisch und häufig enge Ziele beschränkt bleibt oder nicht. Welchen Stellenwert hat dann eine formelle Kommunikation? Oder anders ausgedrückt: Wenn eine gute informelle Kommunikation und Kooperation in einem (kleinen) Lehrerkollegium gegeben ist, dann wird formelle Kommunikation und Kooperation (in Form von Fachkonferenzen) - meist eh als Arena für Profilsucher verschrieen und aufwendig im Verhältnis zum Ertrag - kaum mehr erforderlich. Die Grenzen eines Modell bürokratischer Kontrolle der Schularbeit könnten so sicherlich offengelegt werden. Natürlich müssen auch Überlegungen angestellt werden, um die Qualifikationen von Lehrerinnen und Lehrern bezüglich einer Verbesserung von Kommunikation und Kooperation zu erhöhen (vgl. Lackmann 1986 [24]).
Neuere Überlegungen der erziehungswissenschaftlichen Schulentwicklungsforschung betonen die zentrale Rolle der Schulleitung für eine erfolgreiche Kooperation im Lehrerkollegium (vgl. Rosenbusch & Wissinger 1989, Wissinger & Rosenbusch 1991). Entscheidend ist dabei, daß sich die Personen der Schulleitung gegenüber Lehrerinnen und Lehrern zurücknehmen, gleichzeitig jedoch offen sind. Das ist nur über eine Verständigung möglich, die strukturell abgesichert ist und eine funktionierende Kommunikation ermöglicht. Teamarbeit wird dabei nicht nur für Personen des Kollegiums, sondern auch für die Schulleitung relevant. "Site-Based-Management" (standortbezogenes Management), das in den späten 80er Jahren als Reformwelle die Schulen der USA durchlief (Ames & Ames 1990), zielt darauf ab, eine schulische Führungsstruktur zu schaffen, nach der von Lehrern getroffene Entscheidungen den Ausschlag geben: das hierarchische System der Schulaufsicht wird dabei abgebaut und als aktive Zusammenarbeit zwischen Lehrern, Schulleitern und Eltern etabliert. "Instructional-Team-Leadership" (Teamführungsansatz) heißt das Gegenmodell zu einem Schulleiter, der seine Funktion und Rolle auf die des Administrators reduziert. Entsprechend überschreitet die Teamfähigkeit die Praxis administrativ verengter Schulleitung und wendet sich pädagogischen Problemlösungen zu, die nur durch Aktivierung, Koordinierung und Fortbildung aller real werden kann.
Kooperation im fächerübergreifenden Unterricht der Arbeitslehre vermag Organisationsentwicklung zu initiieren (wie auch Beispiele aus privatwirtschaftlichen Organisationen zeigen); Organisationsentwicklung begünstigt dann Schulentwicklung. Organisationsentwicklung bindet zugleich auch alle Beteiligten, indem sie sie zu Akteuren in einem Entwicklungsprozeß macht, der auf Motivation und Kooperation aller angewiesen ist.
Abbildung 1: Formalstruktur von Bedingungsebenen und Handlungsfeldern fächerübergreifenden Unterrichts innerhalb der Arbeitslehre
Abbildung 2: Bedingungsmatrix des Kooperationsproblems
Abbildung 3: Verhaltensmatrix des Kooperationsproblems
Ames, R. & C. Ames (1990). Cooperation between Principals and Teachers in American Schools: Team Leadership and its Impact on Student Motivation and Learning. Urbana-Champaign 1990
Beinke, L. (1982). Die Diskussion um das Fach Arbeitslehre - Versuch einer Standortbestimmung, in: Didaktik der Berufs- und Arbeitswelt 1, Heft 1, S. 4-14
Bessoth, R. (1989). Organisationsklima an Schulen, Neuwied
Bielefeld, H. & G. Scholz (1979). Kooperation in der Schule. Erfahrungen von Lehrern an einer Hauptschule, München
Bildungsplan für die Hauptschulen in Baden-Württemberg (1994). Villingen-Schwenningen
Dauenhauer, E. (1983). Arbeitslehre, Vom Ende einer Bildungs- und Wissenschaftsidee, Landau
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Henseler, K. & G. Reich (1986). Jahresplanung im Arbeitslehrebereich, in: arbeiten + lernen Nr. 45, S. 44-46
Henseler, K. & H. Kaminski & A. Lewald & G. Reich (1985). Kooperation im Lernbereich Arbeitslehre, in: arbeiten + lernen Nr. 39, S. 8-15
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Rosenbusch, H. S. & J. Wissinger (Hg.) (1989). Schulleiter zwischen Administration und Innovation, Braunschweig
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Wissinger, J. & H. S. Rosenbusch (Hg.) (1991). Motivation durch Kooperation, Braunschweig
Unter Kooperation verstehe ich im folgenden
Die Kooperation mehrerer Fächer sollte stattfinden, gleich ob es im Lehrplan ein eigenständiges Kernfach Arbeitslehre neben anderen Fächern (Wirtschaftslehre, Technik/Werken, Sozialkunde, Textilarbeit u.a.) gibt oder nicht. Die Existenz eines Kernfaches Arbeitslehre ersetzt Kooperation nicht. Sie kann diese Zusammenarbeit allenfalls erleichtern.
Wer sich mit dem Problem der Kooperation in der Arbeitslehre beschäftigt, dringt mitten hinein in die Gesamtproblematik der Arbeitslehre. Die Tatsache ist gegeben, daß sich die Arbeitslehre in der Bundesrepublik unterschiedlich - sowohl als eigenständiges Fach als auch als Lern- bzw. Kooperationsbereich mehrerer Fächer - entwickelt hat.
Die Frage, wie Kooperation stattfinden soll, ist jedoch weitgehend ungeklärt. Die Frage bedrängt natürlicherweise vor allem Vertreter des Lernbereichs- bzw. Kooperationskonzepts der Arbeitslehre und setzt sie unter Legitimationszwang. Allerdings bleibt auch das Konzept der Arbeitslehre als Fach von diesem Problem nicht unberührt. [/S. 64:]
Die Arbeitslehre ist ein Produkt der Bildungsreform und zugleich ein Fach auf der Suche nach seiner Bezugswissenschaft. Die Bildungsreform stand schlagwortartig unter den Reformprinzipien:
Die Forderung nach mehr Praxis- und Lebensnähe der Schule schien zunächst durch die Einfügung der Arbeitslehre in den Aufgabenkatalog der Schulen und in die Lehrpläne sehr schnell und in relativ großer Übereinstimmung aller Beteiligten erfüllt werden zu können. Manche Lehrpläne zeichneten sich allerdings zunächst noch durch ein sehr diffuses - fast naives - Bild der Arbeitslehre aus. In Niedersachsen z.B. wurde die Arbeitslehre 1967 als Prinzip aller Fächer eingeführt. Die Inhalte waren sehr vielfältig und zunächst relativ unkontrovers.
Die intensivere didaktische und auch politische Diskussion um die Arbeitslehre und die in einigen Ländern vollzogene Weiterentwicklung der Arbeitslehre zu einem eigenständigen Schulfach trugen dazu bei, daß ein manifester didaktischer und politischer Druck in Richtung auf die systematische Begründung der für die Arbeitslehre typischen Inhalte und Lernziele entstand. Welche Strukturen und welche Probleme die wissenschaftlich-technische Industriegesellschaft prägten - und damit z.B. auch Inhalt der Arbeitslehre werden könnten - sollte unter Zuhilfenahme der modernen Wissenschaften geklärt werden. Das hieß: Verstärkte Rezeption der Erkenntnisse der Wissenschaften von der wissenschaftlich-technisch geprägten Industriegesellschaft bzw. zumindest Orientierung der Didaktik der Fächer an dem Stand der Diskussion in den wissenschaftlichen Disziplinen.
Im Falle der Arbeitslehre erwies sich die Forderung nach Wissenschaftsorientierung - und Wissenschaftslegitimation - jedoch als Pferdefuß. Es zeigte sich, daß ein Wissenschaftsbezug für die Arbeitslehre so einfach nicht herzustellen war. Es fehlte eine Bezugswissenschaft und ein fachsystematischer Orientierungspunkt für die Entwicklung von Arbeitslehre-Curricula. Angesichts dieser Situation hat sich ein Rückgriff auf vorhandene Fächer und auf bestehende Wissenschaftsdisziplinen oder zumindest eine Anlehnung an sie angeboten.
Nachdem in der frühen Zeit der Arbeitslehre in der Bundesrepublik die Berufspädagogik und die Allgemeine Pädagogik den Ton angaben, drängte gemäß dem Lernbereichskonzept verstärkt Werkdidaktik/Technikdidaktik in den Vordergrund. Dann schalteten sich auch die Wirtschaftspädagogik und schließlich die Politische Bildung ein. Nach einer Phase der Dominanz der Werk- bzw. Technikdidaktik scheint es heute, daß sich die Wirtschaftsdidaktik anschickt, eine zumindest gleichwertige Rolle im Lernbereich der Arbeitslehre zu übernehmen.
Die Auffächerung der Arbeitslehre auf mehrere Fächer und die Orientierung dieser Fächer an einem etablierten Hochschulfach oder an einer Wissenschaftsdisziplin (sei es Technik, Ökonomie oder Politik) hat allerdings deutlich auch dysfunktionale Effekte. [/S. 65:]
Wissenschaftsorientierung bedeutet Verfachlichung und Verfachlichung impliziert Verselbständigung. Die Verselbständigung tendiert ihrerseits zur Abkoppelung bzw. zum Verlust oder zum Verzicht auf die Arbeitslehre-typischen Begründungs- und Organisationszusammenhänge, denn die einzelnen Fächer sind im Prozeß der Selbstlegitimierungen gezwungen, eine eigenständige Fachdidaktik zu entwickeln. Das führt zu Abgrenzungen bis hin zum Abwerfen des Ballasts der Integrations- und Praxisprobleme der Arbeitslehre. Die Partnerfächer im Lernbereich werden im Kampf um Stundenanteile und Personal- und Sachmittel z.T. sogar zu Konkurrenten. Mit dem Rückgriff auf bestehende Fächer bzw. Wissenschaftsdisziplinen wurde m.E. also nicht der Sach- und Fachkanon der Arbeitslehre besser legitimiert, sondern es trat ein Gegeneffekt ein. Die Arbeitslehre scheint mit ihrem Anliegen in der Verfachlichung unterzugehen - oder nur noch in der Durchführung von Betriebserkundungen oder Betriebspraktika oder in einer rudimentären Berufskunde zum Ausdruck zu kommen.
Multidisziplinarität in einem Lernbereich ergibt noch keine Integration der verschiedenen Dimensionen, Situationen oder Aspekte der Arbeitslehre. Multidisziplinarität bedeutet zugleich noch keine schulisch-integrative Verarbeitung des umfassenden Lebens- und Erfahrungsbereichs, den man Arbeits- und Wirtschaftswelt nennt. Diese komplexe Realität läßt sich nicht nur mit einer, die Wirklichkeit nur ausschnitthaft wahrnehmenden und wiedergebenden Wissenschaftsdisziplin bzw. eines entsprechenden Faches erfassen. Auch die bloße Addition und Koppelung verselbständigter Fächer unter einem Lernbereichsdach reicht nicht aus. Zugleich kann keine einzelne Disziplin und kein Einzelfach als maßgeblicher Impulsgeber für die übergreifenden Zielsetzungen der Arbeitslehre fungieren.
Die Verfachlichung und Wissenschaftsorientierung steht m.E. der Forderung nach umfassender, nicht-spezialisierter Praxis- und Lebensnähe der Schule entgegen Es fragt sich, ob die fachwissenschaftliche Orientierung - als erzwunger Umweg zur Absicherung des Kanons der Arbeitslehre - sich nicht insofern als ein zu aufwendiger Umweg oder sogar Irrweg erwiesen hat. Das ist aber nur eine Seite des Problems. Es fragt sich generell, ob der Sach- und Fachkanon von Schulfächern (Technik, Wirtschaftslehre, Sozialkunde etc.) selbst schon aus den entsprechenden Wissenschaften hergeleitet werden kann.
Wissenschaftsdisziplinen verfahren ihrer Struktur und ihrer sozialen Praxis nach selektiv, kontrovers und abstraktmodellhaft. Jede Wissenschaft nimmt Realität nur ausschnitthaft - selektiv - wahr. Sie zerschneidet die Realität angesichts der wissenschaftlichen Arbeitsteilung und Spezialisierung in besser handhabbare Teile. Diese Ausschnitte müssen nicht mit den Ausschnitten identisch sein, die den Schulfächern zugeordnet sind.
Der kontroverse Charakter der Wissenschaft zeigt sich beispielhaft in den unterschiedlichsten Ansätzen, Methoden, Approaches, Modeströmungen und Trends, die jede Wissenschaftsdisziplin prägen: In der politischen Wissen-[/S. 66:]schaft wird modellhaft ein normativ-ontologischer Ansatz, ein empirisch-analytischer Ansatz und ein kritisch-dialektischer Ansatz unterschieden. In der Volkswirtschaftslehre kann man mindestens den neoklassischen, den keynesianischen, den kritisch-alternativen und den marxistischen Ansatz unterscheiden. Die Betriebswirtschaftslehre zerklüftet sich zwischen dem faktorallokationstheoretischen, dem entscheidungsorientierten, dem systemanalytischen und dem arbeitsorientierten Ansatz. Der Positivismusstreit in der Soziologie ist ein Beispiel aus der Soziologie, zu schweigen von der Kontroverse zwischen einer "general theory" und der empirischen Sozialforschung. Jeder Approach in einer Wissenschaftsdisziplin selektiert die Realität ein zweites Mal - über den Ausschnitt hinaus, dem die Einzeldisziplin selbst aus dem komplexen Gebilde der Alltagswirklichkeit herausschneidet.
Angesichts der Fülle der Kontroversen, Theorien, Schulen und Richtungen in den Einzeldisziplinen und angesichts der Fülle der in ihnen zum Ausdruck kommenden Interessen erscheint es äußerst schwierig auszumachen, was der Stand der Wissenschaft ist bzw. was als Orientierungspunkt für eine Fachdidaktik oder als Legitimierungspunkt für die Inhalte eines Schulfaches gelten kann.
Die Wissenschaftsorientierung hat in einigen Fächern zu z.T. lehrreichen Zwischenergebnissen geführt. Im Boom der Fachdidaktiken entstand eine Didaktik nach Maßgabe einer Wissenschaftsorientierung und eine andere nach Maßgabe einer anderen Wissenschaftsrichtung. Der Streit der Wissenschaftsrichtungen führt unweigerlich zu einem Streit der Fachdidaktiker je nachdem, welche Wissenschaftsrichtung sie präferieren. Meist kommt dann noch ein manifester politischer Konflikt nach Maßgabe der förderalistischen Kulturpolitik zwischen den C-Ländern und den S-Ländern hinzu, der sich zur Blockade von Bildungspolitik überhaupt ausweiten kann. Wie der langjährige Streit um die Didaktik der Politischen Bildung/Sozialkunde gezeigt hat, sahen sich Fachdidaktiker zuweilen gezwungen, auf die Wissenschaftstheorie zurückzugreifen, um nach einer Meta-Theorie des Konsensus zu suchen, ein Suchproblem, das sich u.a. durch den ungelösten Theoriestreit in den Fachwissenschaften stellt. Eine Meta-Theorie ist jedoch nicht zu finden, sondern eher unterschiedliche Theorien über die Bildung von Meta-Theorien, als weiteres Spiegelbild des Pluralismus in der Gesellschaft. Oder sie sahen sich gezwungen, auf das Grundgesetz zurückzugreifen, um ihren immanenten oder explizit ausgewiesenen politischen Standort als noch innerhalb des Konsenses des Grundgesetzes zu legitimieren. Ein Fixpunkt ergibt sich allerdings auch hier nur in sehr loser Form, da das Grundgesetz verschiedene Interpretationen zuläßt.
Was von der Forderung nach fachwissenschaftlicher Orientierung bleibt, ist eigentlich die bescheidene Tatsache, daß es über einen Tatbestand verschiedene Meinungen geben kann, daß unterschiedliche Positionen soweit wie möglich ausgewiesen werden müssen, daß unterschiedliche Problemdefinitionen zu unterschiedlichen Problemlösungen führen.
Wenn dies das Ergebnis der fachwissenschaftlichen Orientierung bzw. der jüngeren - auch wissenschaftstheoretisch und wissenschaftspolitisch geführten - Diskussion wäre, könnte es schon als ein überaus wichtiges Ergeb-[/S. 67:]nis gelten. Die Folge ist eine Relativierung und "Entmythologisierung" der Fachwissenschaften - zumal einer einzigen Fachwissenschaft oder einer speziellen Richtung - als den bestimmenden Bezugspunkten von Lehrerausbildungsfächern. Das Ergebnis dieser Entmythologisierung mag die Vertreter der Arbeitslehre allerdings wiederum außerordentlich ermutigen. Können sie nicht froh sein, daß auch andere Fächer Probleme mit ihren Bezugsdisziplinen haben? Die Entmythologisierung führt in gewisser Weise zu einem Lob des "common sense" eines Arbeitslehre-Pädagogen, der nach spezifisch didaktischen, d.h. vor allem formalen Kriterien vorgeht, der seinen Gegenstandsbereich - ohne vorschnelle und strikte Disziplinierung durch die Fachsystematik einer Bezugsdisziplin - als komplexe Alltagswirklichkeit und als komplexes Handlungs- und Entscheidungsfeld akzeptiert, der seinen Gegenstand gemäß der situativen Erfahrung der Schüler aufzufächern und ihn mehrdimensional zu erarbeiten sucht.
Als Folgerung aus dem Dilemma der fachwissenschaftlichen Orientierung und der möglichen doppelten Selektivität der Fachwissenschaften als Bezugswissenschaften läßt sich - überspitzt und verkürzt - formulieren: Die Wissenschaftlichkeit eines Lehrers erweist sich nicht darin, daß er die oft verzwickten und weit verzweigten Verästelungen der Fachtheorien in den Bezugswissenschaften im Griff hat, sondern sie zeigt sich vor allem in der Fähigkeit, wie der Lehrer ein Problem im Unterricht gemäß dem Kenntnis- und Erfahrungsstand der Schüler präsentiert, damit die Schüler einen ihnen gemäßen Lernfortschritt erzielen. Freilich wird ein Lehrer ohne fachwissenschaftliche Grundlagen nicht auskommen. Jedoch gilt, daß ein Lehrer - zumal ein Mehr-Fach-Lehrer - auch mit einem fachwissenschaftlichen Defizit wird leben müssen.
Kooperation ist eine besondere und zusätzliche Aufgabe der im Lernbereich verbundenen Fächer. Sie steht unter besonderen didaktisch-pädagogischen Prinzipien. Die Kooperation von Fächern im Lernbereich wird nicht aus der Fachsystematik der Einzelfächer heraus erzwungen, sondern aus der spezifischen pädagogischen Intention und der besonderen didaktischen Fragestellung, die zu der Koppelung bestimmter Fächer im Lernbereich Arbeitslehre mit dem Auftrag zur Kooperation geführt haben.
Eine bloße Zusammenfassung von Einzelfächern zur besseren Ergänzung der jeweils fachspezifisch bleibenden, begrenzten Fragestellungen der Einzelfächer oder zur Ausfüllung wahrgenommener fachspezifischer Defizite (ökonomisch-politisches Defizit der Technik, technisch-politisches Defizit der Ökonomie, ökonomisch-technisches Defizit der Sozialkunde) ergäbe allein noch keinen spezifischen Sinn für die Arbeitslehre. Wie die Arbeitslehre als Fach muß auch die Kooperation in einem Lernbereich Arbeitslehre gemäß ihrer pädagogischen Aufgabe nach didaktischen Kriterien eigenständig begründet und organisiert werden.
Welches sind also die spezifisch pädagogisch-didaktischen Prinzipien, die erstens Arbeitslehre-typisch sind, die zweitens zu einer Koppelung von [/S. 68:] Einzelfächern unter dem Dach des Lernbereichs Arbeitslehre mit dem Auftrag der Kooperation geführt haben und unter denen sich drittens eine Kooperation didaktisch begründet vollziehen kann?
1. Offensichtlich soll durch die Koppelung spezifischer Fächer in einem Lernbereich ein spezifischer Gegenstandsbereich erschlossen werden. Dieser Gegenstandsbereich ist vorderhand nicht identisch mit dem Sach- und Fachkanon eines oder mehrerer der beteiligten Fächer.
Der spezifische Gegenstandsbereich der Arbeitslehre ergibt sich aus den besonderen Problemen, Erfahrungen und Situationen, denen die Schüler aktuell oder zukünftig in der Arbeits- und Wirtschaftswelt ausgesetzt sind. Für die Arbeitslehre ist dieser Gegenstands- und Problembereich die Arbeit. Bei dieser Gegenstandsdefinition ist eine Überschneidung mit dem Sach- und Fachkanon der anderen Fächer (Technik, Hauswirtschaft, Wirtschaftslehre, Sozialkunde etc.) gegeben oder doch zumindest möglich. Solche Überschneidungen stören nicht, sondern sie bilden sogar das fachlich-inhaltliche Ferment, auf das sich die angestrebte Kooperation der Fächer unter dem Dach des Lernbereichs beziehen kann.
Die Arbeitslehre ist m.E. am besten durch den identitätsstiftenden Begriff der Arbeit charakterisiert. Logische Begründungen dafür gibt es freilich nicht. Als didaktische Kategorie kennzeichnet der Begriff der Arbeit den komplexen sach- und fachspezifischen Bezugspunkt allen Unterrichts in Arbeitslehre.
Arbeit kann nicht nur als das didaktische Zentrum des eigenständigen Faches Arbeitslehre aufgefaßt werden, sondern kann, sofern das Fach selbst nicht besteht, auch als einheitsstiftende Kategosie der Zusammenarbeit verschiedener Fächer in einem Lernbereich gelten. Auf die Erarbeitung dieser komplexen Kategorie hin kann die Kooperation der Fächer des Lernbereichs erfolgen.
Mit dem Begriff der Arbeit und der Ausdifferenzierung seines Bedeutungsgehalts wird eine Theorie des Gegenstands- und Problembereichs der Arbeitslehre konstituiert, sei es, daß die Arbeitslehre als eigenständiges Fach oder als Lernbereich unterschiedlicher Fächer unterrichtet wird.
Durch den didaktisch gerichtet verstandenen Begriff der Arbeit erhält die Kooperation unterschiedlicher Fächer einen eigenständigen Gegenstands- und Aufgabenbereich, der sich im Kern - bei vielfältigen Überschneidungen - von den Gegenstands- und Aufgabenbereichen der beteiligten Fächer unterscheidet, ihnen zugleich aber einen gemeinsamen Orientierungspunkt gibt.
2. Begriffe - zumal didaktische Begriffe - sind sprachliche Netze (Instrumente) zur komprimierten Erfassung der Realität. Der allgemeine Begriff der Arbeit ist noch viel zu abstrakt und vieldeutig, als daß er schon Ansatzpunkt für die Inhaltsauswahl im Rahmen der Kooperation im Lernbereich der Arbeitslehre sein könnte.
Schüler erleben die Alltagswirklichkeit nicht modellhaft oder abstrakt und auch nicht nur sprachlich-begrifflich. Eines der Ergebnisse der Curriculum- Diskussion ist, daß die Schüler die Alltagswirklichkeit situativ erfahren und erleben und später auch in bestimmten Situationen handeln und entscheiden müssen. Für diese Situationen benötigen sie allgemeine Qualifikationen. [/S. 69:]
Den Modell-Platonismus aus der Wirtschaftswissenschaft, die bloße Institutionenkunde aus der früheren Politikwissenschaft oder die system-funktionale Theorie in den Ingenieurwissenschaften zur Grundlage des Unterrichts zu machen, ginge an den Kategorien der Betroffenheit, der Anschaulichkeit und der Erlebnisnähe vorbei. Wir folgen also im Gegensatz zu einem fachsystematischen Ansatz dem situationsorientierten Ansatz in der Didaktik der Arbeitslehre.
Spezifische Situationsfelder der Arbeitslehre können sein: Arbeitsplatz, Betrieb, Beruf. Weitere Situationsfelder sind denkbar und möglich. Um eine sinnvolle und übersichtlich-handhabbare, didaktische Strukturierung zu ermöglichen, sollten sie nicht zu vielfältig, d. h., letztlich beliebig sein. Entscheidend ist nicht die Bezeichnung oder die Definition der Situationsfelder, sondern daß der Zentralbegriff der Arbeitslehre situativ verankert wird und daß die Arbeitslehre unter dem didaktischen Zentrum dem Prinzip der Situationsorientierung folgt. Situationsorientierung meint, daß den Schülern die aktuelle und zukünftige Bedeutsamkeit der vermittelten Inhalte und Themen erkennbar wird.
3. Über den Zentralbegriff der Arbeitslehre und über die Situationsfelder kommen eine Fülle von Sachverhalten in das Blickfeld. Es ist ein wichtiges Ergebnis der bisherigen Arbeitslehre-Diskussion, daß die Arbeit realitätsentsprechend und pädagogisch sinnvoll nur mehrdimensional betrachtet werden kann. Jede einseitige, nur technische, nur ökonomische oder nur politisch-soziale Betrachtung der Arbeit verstoße gegen die Schnittpunktlage der Arbeit zwischen Technik, Ökonomie und Politik und würde eine Selektion von möglichen Sachverhalten bedeuten, die im Begriff der Arbeit und in der Situationsorientierung umfassend angelegt sind. Arbeit hat eine individuelle und eine gesellschaftliche Dimension und vollzieht sich in einem technischen, ökonomischen und politisch-sozialen Beziehungsgeflecht. Diese mehrdimensionale Betrachtung (Aspektierung) muß sich neben der Situationsorientierung in einem kooperativ angelegten Arbeitslehre-Unterricht niederschlagen. Die Mehrdimensionalität soll freilich nicht als Zwang verstanden werden, der den Lehrer mehr unter Druck setzen als ihm helfen würde. Mehrdimensionalität ist ein Angebot an die Lehrer zur weiteren Strukturierung des Unterrichts.
Die Kooperation mehrerer Fächer im Lernbereich der Arbeitslehre kann exemplarisch dazu dienen, diese Mehrdimensionalität im Unterricht zu verwirklichen und damit einen besonderen Typus des kooperativen Unterrichts zu verwirklichen. Eine Integration der unterschiedlichen Dimensionen und Aspekte der Arbeitslehre wäre damit das Ziel der Kooperation im Lernbereich Arbeitslehre.
Ein mehrdimensionaler Unterricht kann die komplexe Realität ansatzweise im Unterricht als nicht-verengte und nicht-spezialisierte Realität rekonstruieren. Der mehrdimensionale Unterricht vermeidet, die Wirklichkeit künstlich-fachlich zu verengen oder die lebendige Umwelt zu verkürzen.
Neben einer Theorie des Gegenstands- und Problembereichs der Arbeitslehre und einer Curriculum-Theorie ist damit eine bestimmte Unterrichtstheorie angesprochen. [/S. 70:]
4. Schließlich stützt sich die Arbeitslehre - ganz gleich, ob sie als Fach oder als Lernbereich organisiert ist - auf eine dreifache Lernzielbestimmung, wie sie das Ergebnis der Lerntheorie ist. Kognitives, affektives und instrumentelles Lernen gehören in der Arbeitslehre zusammen. Wo eine dieser Lernzielebenen in einem Fach nicht erreicht werden kann (z.B. das instrumentelle Defizit der Sozialkunde), ist es auf die Kooperation mit anderen Fächern angewiesen.
Welches die zu erreichenden Qualifikationen sind, die in konkrete Lernziele umgesetzt werden, oder welches das erkenntnisleitende didaktische Interesse ist, kann allenfalls formal entschieden werden (Selbstbestimmung. Urteilsfähigkeit, Handlungsfähigkeit). Ansonsten unterliegt die Bestimmung der Lernziele in besonderer Weise der politisch verantwortlichen Entscheidung. Jedoch gerade die Praxis- und Lebensnähe der Arbeitslehre weist der dritten Lernzielebene eine besondere Bedeutung zu, wobei die handelnde Auseinandersetzung, das problemlösende Denken und das entscheidungsorientierte Urteilen von entscheidendem Gewicht sind.
5. Aus der Methodik des Unterrichts haben sich für die Arbeitslehre typische Unterrichtsverfahren herausgebildet, die nicht minder zum klassischen Bestand der Didaktik der Arbeitslehre zählen können. Es sind dies die Werkarbeit der Schule, die Simulation, das Planspiel, die Erkundung, das Praktikum, das Expertengespräch u.a.
Diese für die Arbeitslehre typischen Methoden sollen die Anschaulichkeit des Unterrichts unterstützen. Sie sollen den Schülern Gelegenheit geben, eigene Erfahrungen zu sammeln, sich Urteile zu bilden, eigene Entscheidungen zu treffen und deren Folgen abzuschätzen sowie evtl. eine Urteils- und Entscheidungskorrektur zu vollziehen.
Die Kooperation im Lernbereich stützt sich auf diese Methoden, sie erschöpft sich allerdings auch nicht nur in der Anwendung dieser Methoden. Wir fassen zusammen:
Die Andeutungen eines Konzepts der Kooperation im Lernbereich Arbeitslehre gründen sich auf eine bestimmte Theorie des Gegenstandes der Arbeitslehre, auf eine Theorie des Curriculums, eine Theorie des Unterrichts und eine Theorie der Lernziele sowie auf eine bestimmte Methodik. Die Kooperation im Lernbereich der Arbeitslehre erscheint sinnvoll und notwendig, um folgende Gesichtspunkte zum Tragen zu bringen:
Je nach der Intensität, mit der die im Lernbereich zusammengeschlossenen Fächer selbst schon diesen Kriterien folgen oder ihnen nahekommen, bestimmt sich der Umfang und die Intensität, mit der die Abstimmung unter den Fächern und die unterrichtliche Zusammenarbeit betrieben werden muß. Der Umfang und die Intensität der Zusammenarbeit hängt nicht zuletzt davon ab, ob es neben den Kooperationsfächern selbst noch ein Kernfach Arbeitslehre gibt oder nicht. [/S. 71:]
Das hier vertretene Konzept einer Didaktik der Kooperation im Rahmen des Fächerverbundes der Arbeitslehre anerkennt die beteiligten Fächer als selbständig und eigenständig. Es folgt keinem "Fächerimperialismus", einer Strategie der Verdrängung bestehender Fächer zugunsten eines neuen Faches. Die Lernbereichsdidaktik gibt lediglich Hinweise, unter welchen Prinzipien sich die Kooperation im Lernbereich vollziehen kann. Es scheint, daß auf der Grundlage einer solchen Lernbereichsdidaktik die konkreten Formen der Kooperation leichter zu diskutieren sind als ohne ein solches Konzept.
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Links
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[2] http://www.haushaltsoekonomik.uni-bonn.de
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[5] http://www.ioeb.de/institut/personen/kaminski.html
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[17] http://www.gatwu.de
[18] http://www.bauhaus-dessau.de
[19] http://agora.qc.ca/mot.nsf/Dossiers/Alain_Finkielkraut
[20] http://www.hannah-arendt.de
[21] http://www.uni-magdeburg.de/iphi/aktuelles/Habermas2.html
[22] http://apa.cs.tu-berlin.de
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[25] https://sowi-online.de/autoren.htm%23himmelmann
[26] https://sowi-online.de/12beitrag.htm%232
[27] https://sowi-online.de/12beitrag.htm