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1. Das Integrationsproblem der sozialwissenschaftlichen Fächer

 

Pandel, Hans-Jürgen: Integration durch Eigenständigkeit? (1978)

Um die Möglichkeiten einer pädagogisch notwendigen Zusammenarbeit von Sozialkunde, Geographie und Geschichte zum Zwecke der politischen Bildung zu erörtern, wähle ich im folgenden als theoretische Prämisse einen fachdidaktischen Bezugsrahmen (1). Fachdidaktik begreife ich dabei weder als schiere Unterrichtstechnologie noch als fachenthobene allgemeine Didaktik, sondern als Reflexionsinstanz, die darauf gerichtet ist, den gesellschaftlichen Relevanzanspruch und die faktische Relevanzwirkung der Fachwissenschaften auf Lernprozesse in Form von Emanzipationsprozessen der lernenden Subjekte einzulösen. Ausdruck für diesen Anspruch ist die beobachtbare Tendenz der Fachdidaktiken, sich als kritische wissenschaftliche Instanzen mehr und mehr zwischen Fachwissenschaften und Schule einerseits und zwischen Staat und Schule andererseits zu schieben. Die Fachdidaktiken wären der theoretisch geeignete und legitime Ort, die Ansprüche von Schuladministrationen und Wissenschaften in reflektierter Parteinahme für den Schüler zu prüfen. Das gilt auch für die Forderung nach Kooperation, Integration und Eigenständigkeit der Schulfächer.
Weder Vertreter der Fachwissenschaften, des Staates, der Schulpraxis noch der Standesverbände konnten bisher eine Lösung dieses Problems anbieten. Es wurden weder befriedigende Integrationskonzepte vorgelegt, noch wurden überzeugende Nachweise für deren Unmöglichkeit erbracht. Die Antworten wurden nämlich auf Ebenen gesucht, auf denen sie m. E. nicht zu finden sind. Das Problem der Integration, Kooperation und Eigenständigkeit der Unterrichtsfächer im Rahmen der politischen Bildung ist weder ein [/S. 347:] wissenschaftsorganisatorisches oder ein bildungspolitisches, sondern ein didaktisches Problem. Diese Problemkonstellation brachte deshalb auch Richtlinienverfasser und um Integration bemühte Schulpraktiker immer wieder in Schwierigkeiten. Sie waren (und sind es wohl noch immer) gezwungen, einen fachdidaktischen Diskussionsstand zu antizipieren, der heute noch nicht erreicht ist. So existiert z. B. noch immer keine einzige fachdidaktische Monographie des Integrationsproblems.
Der Anspruch der Fachdidaktiken, diejenigen Probleme zu lösen, die bisher als bloße wissenschaftsorganisatorische und bildungspolitische Fragen angesehen wurden, hat ihnen heftige Kritik eingetragen. Ihnen wird die Legitimation, Ziele zu formulieren, als ein "hybrider" Anspruch abgesprochen (2); weiterhin wird ihnen vorgeworfen, nur eine ‚sich zum Heilsmythos steigernde Didaktik" könne das Integrationsproblem lösen wollen (3). Trotz dieser Argumente, die als wenig überzeugende Gegenvorschläge die sich potentiell im Vierjahreszyklus der Wahlen erneuernde staatliche Dezision und eine personengebundene Wissenschaftlerethik für Interdisziplinarität empfehlen, halte ich an dem Konzept einer wissenschaftstheoretisch aufgeklärten und um Erkenntnisweisen zentrierten Didaktik als Sozialwissenschaft fest.
Eine fachdidaktische Bestandsaufnahme des Integrationsproblems (in dem eben skizzierten Sinne von Fachdidaktik) müßte sich m. E. auf drei Argumentations- und Diskussionszusammenhänge beziehen: auf die curriculare Diskussion, wie sie sich nach Abschluß der Richtlinienkontroversen zeigt, auf den innerwissenschaftlichen Diskussionsstand der Fachwissenschaften und auf die Ergebnisse der Wissenschafts- und Erkenntnistheorie. Die Fachdidaktiken lassen sich gegenwärtig stärker auf die Reflexion ihrer facheigenen Grundlagen ein und gewinnen zunehmend an kategorialer Festigkeit. Der innerwissenschaftliche Diskussionsstand in den Fachwissenschaften, der gekennzeichnet ist durch Tendenzen und Versuche einer sozialwissenschaftlichen Fundierung sowie einer explizit gemachten gesellschaftstheoretischen Orientierung der Disziplinen, ergibt [/S. 348:] (eventuell) neue Perspektiven für die didaktische Diskussion (Geschichte als Historische Sozialwissenschaft, Geographie als Sozialgeographie bzw. als Raumwissenschaft). Ein für die Didaktik noch unerschlossener Argumentationszusammenhang liegt in der Wissenschaftstheorie vor. Von der "Wissenschafts-Wissenschaft" haben die Didaktiken bisher kaum Kenntnis genommen.

1. Wissenschaftstheorie

Der Begriff "Fachdidaktik" verweist nicht nur darauf, daß Fachdidaktik selbst ein Fach ist, sondern kennzeichnet auch ihre Bezogenheit auf andere Fächer. Eine Überprüfung der Bedingungen für die Möglichkeiten einer Integration von Fächern muß sich deshalb über Voraussetzung, Struktur und Logik von "Fächern" Klarheit verschaffen. Jenseits ihres organisatorischen Status als Institutionen begründen sie sich in ihrem wissenschaftshistorischen Prozeß auf gegenstandstheoretischer, methodologischer und konstitutionstheoretischer Ebene. Von diesen drei sich durchdringenden Ebenen soll geprüft werden, welche hemmenden oder fördernden Bedingungen für eine Integration vorliegen.

1.1 Gegenstandstheoretische Ebene

Integration wird erleichtert durch die gegenstandstheoretische Einsicht, daß die einzelnen Fachdisziplinen sich nicht durch eine besondere Dignität ihres dinglich verstandenen oder phänomenologisch wahrgenommenen Gegenstandes unterscheiden. Gegenstände von Wissenschaft sind nicht irgendwelche von vornherein gegebenen Klassen von separaten Phänomenen. Die Verschiedenheit der Wissenschaften resultiert nicht daraus, daß sie einen bestimmten vorgängig gegebenen Gegenstand, eine bestimmte exklusive Klasse von Phänomenen, zu ihrem ausschließlich von ihnen zu untersuchenden Gegenstand machen. Auf alle Dinge, Personen und Ereignisse in der Welt können sich alle Wissenschaften forschend beziehen. Da die Vergangenheit kein Monopolobjekt der Geschichtswissenschaft und die Gegenwart keines der Politologie oder Soziologie ist, kann jede vergangene, [/S. 349:] gegenwärtige und zukünftige Gesellschaft von allen diesen Disziplinen zum Objekt ihrer Forschung gemacht werden (4).
Ein Blick auf die neuere Disziplin der Friedens- und Konfliktforschung macht deutlich, daß ein Fach nicht lediglich durch einen konkretistisch gefaßten "Gegenstand" definiert wird. "Kriege" und "Konflikte" waren und sind "Gegenstände" etablierter Disziplinen. Die Friedens- und Konfliktforschung geht diese Gegenstände unter eigenen, neueren Fragestellungen an, wenn sie nach den gesellschaftlichen Bedingungen des Friedens, der strukturellen Gewalt oder nach der organisierten Friedenslosigkeit fragt. Ähnlich verhält es sich mit den Gegenständen "Geschichte" und "Vergangenheit". Auch sie ergeben allein keine tragfähige Basis zur Definition einer bestimmten Wissenschaft. Mit dem Gegenstand "Zeitgeschichte" befassen sich Politologie, Soziologie und Geschichtswissenschaft gleichermaßen, ohne daß dabei deren Verfahrensweisen oder deren Antworten, die sie auf ihre unterschiedlichen Frageweisen erhalten, identisch werden (5). Auf dem Gebiet der Zeitgeschichte ist in den letzten Jahren das Nebeneinander unterschiedlicher Disziplinen kaum strittig gewesen. Die Geschichtswissenschaft konnte aber die übrigen Bereiche der Vergangenheit mit gutem Grund um so mehr als ihr Monopolobjekt betrachten, als sich die Soziologie in Methode und in den von ihr gewählten Erkenntnisbereichen immer mehr enthistorisierte. Die Zahl der historisch gerichteten soziologischen Untersuchungen nimmt gegenwärtig aber merklich zu (Norbert Elias, Klaus Eder, Karlheinz Messelken) (6). Damit werden alle klassischen Entgegensetzungen, die vom dinglichen oder phänomenologischen Gegenstand her Geschichtswissenschaft und systematisierende Sozialwissenschaften zu unterscheiden suchten, immer unschärfer: Vergangenheit vs. Gegenwart, Geschichte vs. Gesellschaft, Geschichte vs. Politik, "res gestae" vs. "res gerendae" verlieren immer mehr ihre analytische Trennschärfe (vorausgesetzt, daß sie sie jemals besessen haben). Das gilt auch für die Formalgegenstände Individuelles vs. Allgemeines und Raum vs. Zeit. Ohne den hohen Stellenwert von Individuellem oder [/S. 350:] von Zeit für die Geschichtswissenschaft in Abrede stellen zu wollen, kann der Historiker weder individuelle Ereignisse noch Zeitphänomene für sich reklamieren. Politologische und soziologische Fallstudien befassen sich ebenso mit Individuellem wie Psychologie, Psychiatrie und Soziologie mit der Zeit (7). Historiker und Geographen, die die Praxis ihrer Disziplin reflektieren, machen deutlich, daß ihre Wissenschaften sich nicht durch einen vorab gegebenen Gegenstand definieren (8). So schreibt der Historiker Reinhart Koselleck: "In der Praxis ist das Objekt der Historie alles oder nichts, denn ungefähr alles kann sie durch ihre Fragestellung zum historischen Gegenstand deklarieren. Nichts entgeht der historischen Perspektive" (9). Noch konkreter faßt es Fred K. Schaefer für die Geographie: "Demnach muß die Geographie ihre Aufmerksamkeit auf die räumliche Anordnung der Phänomene in einem Gebiet, und nicht so sehr auf die Phänomene selbst richten ... Nichträumliche Beziehungen, die sich unter den Phänomenen eines Gebietes finden, sind Untersuchungsgegenstand anderer Spezialisten wie der Geologen, Anthropologen oder Ökonomen ..." (10). Die "physischen Manifestationen wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Sachverhalte [bilden] keine selbständige Gegenstandskategorie", sondern sind "Beobachtungsgrundlage, welche die Analyse der eigentlichen Problemkategorie erleichtert" (11). Werner Hofmann hatte bereits vor Jahren die Definition einer Wissenschaft von einem Gegenstand her verworfen: "Wissenschaft ist durch nichts außer ihr Gegebenes, gleichsam dinglich, gesichert" (12). Folgt man dieser Argumentation, so fehlt einem Fach Gesellschaftslehre der wissenschaftstheoretisch gesicherte Zugriff, sofern man es vom "Gegenstand Gesellschaft" her konzipieren will. Trotzdem ist mit diesem Argument kein Einwand gegen die didaktische Forderung vorgebracht, Gesellschaft zum Gegenstand von Unterricht zu machen. Da der Gegenstand Gesellschaft nicht unabhängig vom Erkennenden schlicht objektivistisch gegeben ist, kann er nur über die unterschiedlichen fachspezifischen Frage- und Erkenntnisweisen erschlossen werden (13). [/S. 351:]

1.2 Methodologische Ebene

Integration wird erschwert durch die Einsicht in den gegenstandskonstitutiven Charakter der wissenschaftlichen Methoden. Die Einheitswissenschaft mit der Einheitsmethode ist ein wissenschafts-konservativer, positivistischer Traum geblieben. Im Positivismusstreit wurde offenbar, daß sich die Einheit der Wissenschaft durch das Verfahren nicht herstellen läßt. Allerdings sind Methoden nicht einer einzigen Fachwissenschaft zu eigen, sondern einer Fächergruppe. Die an der politischen Bildung im engeren Sinne beteiligten Fächer sind nicht einer einzigen, sondern mehreren Methoden verpflichtet. Keines dieser einzelnen Fächer ist methodologisch autonom; ihre Methoden sind vielmehr integraler Bestandteil einer allgemeinen Methodologie aller Sozialwissenschaften. Eine Reduzierung auf eine oder wenige Methoden - z. B. durch den Ausschluß der Hermeneutik -‚ um durch größere Einheitlichkeit Integrationsvoraussetzungen zu schaffen, ist ohne Erkenntnisverlust nicht möglich. Da diese Methoden emanzipationsermöglichendes Denken befördern sollen, wenn sie gelehrt werden, ist ihre Reduktion auf eine sogenannte Einheitsmethode mit gravierenden didaktischen Gefahren verbunden: Den Schülern werden Erkenntnismöglichkeiten vorenthalten. Mit "Methoden (historischer, politologischer, soziologischer, psychologischer etc.) Erkenntnis" sind jene Operationen der geistigen Auseinandersetzung mit den "Repräsentationsmodi der Gegenständlichkeit" (14) gemeint, die zu fachspezifischen Aussagen führen. Den Methoden, verstanden als folgerichtige Denkoperationen, liegt eine bestimmte Erkenntnisabsicht und damit eine bestimmte Aussageintention zugrunde. Der Schüler sollte daher nicht in erster Linie Wissensbestände lernen, sondern die "Wege des Fragens und Urteilens" (15). Insofern sind die Methoden der Erkenntnis Aneignungsform en oder Verfahrensweisen des Nachdenkens über Gegenstände, die durch das Verfahren des Nachdenkens erst konstituiert werden. Diese Erkenntnisweisen sind in der didaktischen Literatur ein bislang kaum diskutierter Bereich (16). Untersuchungen über diejenigen Erkenntnisweisen, denen sich ein Schüler bedie[/S. 352:]nen muß, wenn er für das "Fach", in dem er diese Erkenntnisweisen anwendet, zu fachspezifischen Aussagen kommen will, fehlen noch. Da diese Erkenntnisweisen für die einzelnen Wissenschaften grundlegend sind, können sie von den Didaktikern nicht (mehr) beliebig entworfen oder verändert werden. Sie sind vielmehr in den Wissenschaften "vorgezeichnet". In dem Bereich der Didaktiken der Sozialkunde, Geographie und Geschichte - einschließlich ihrer Bezugsdisziplinen - haben wir es vorwiegend mit vier unterscheidbaren Erkenntnisweisen zu tun, die unterschiedliche Erkenntnismöglichkeiten bieten:

  • die historisch-hermeneutische Verfahrensweise,
  • die kritisch-dialektische Verfahrensweise,
  • die empirisch-analytische Verfahrensweise,
  • die quantitativ-statistische Verfahrensweise.

Wenn durch die Unmöglichkeit einer Universalmethode die Integration nicht gerade erleichtert wird, so bieten die unterschiedlichen Verfahrensweisen doch die Grundlage für weitere Überlegungen. Auf dem Hintergrund dieser gegenstandskonstitutiven Verfahrens- und Erkenntnisweisen lassen sich m. E. weiterführende Aussagen über Kooperation, Integration und Eigenständigkeit der Unterrichtsfächer treffen. Geht man in der Analyse der Kooperations-Integrations-Problematik auf die fach(bereichs)spezifischen Erkenntnisweisen als Arten wissenschaftlichen Arbeitens zurück, so stellt sich die Frage der Zusammenarbeit der Unterrichtsfächer anders dar, als sie bisher diskutiert wurde. Die isolierenden Fächergrenzen sind nämlich in einer gewissen Weise bereits durchbrochen - und zwar durch die Erkenntnisweisen, "die sich zwar weitgehend, aber nicht vollständig mit Fächerbereichen im institutionellen Sinne decken bzw. zu decken brauchen" (17). Diese Erkenntnisweisen finden wir nur schwerpunktmäßig in den einzelnen Disziplinen. Selbst die einzelnen akademischen Schulen und Forschungsrichtungen innerhalb einer Disziplin bedienen sich unterschiedlicher Erkenntnisweisen, so daß die Verwandtschaft zu einem Nachbarfach der Disziplin oft eher erkennbar ist als zu einer anderen akademischen Schule innerhalb der eigenen Disziplin. [/S. 353:]

1.3 Konstitutionstheoretische Ebene

Die in einem Integrationsprozeß nicht einschmelzbaren Elemente sind die wissenschaftlichen Frageweisen, durch die sich die Wissenschaften erst konstituieren. Fächer konstituieren sich durch eine bestimmte Weise des Fragens und der daraus folgenden Art des Nachdenkens. Fächer sind folglich Denkweisen. Die jeweils spezifischen Frageweisen sind es, die die Eigen-Art der Wissenschaftsdisziplinen ausmachen. Wenn die Wissenschaften sich nicht durch die Ausrichtung auf separate Gegenstände konstituieren, sondern durch die Frageweisen, müssen sie sich mittels dieser Frageweisen ihren Gegenstand als Objekt möglicher Erkenntnis begrifflich erzeugen. Der Objektbereich des Fragens und Forschens wird im wesentlichen durch die Frageweise konstruktiv hergestellt (18). Erkenntnisgegenstände der Wissenschaft, die durch die "kategoriale Formung der Gegenstandsbereiche" (19) entstehen, sind somit nicht primär vorgegeben, sondern erst sekundär durch Wissenschaft konstituiert (20). Von den jeweiligen spezifischen konstitutiven Fragestellungen ausgehend, werden im Forschungsprozeß in empirischer und logischer Analyse systematische Aussagen über Zusammenhänge von Bereichen der Wirklichkeit oder systematische Aussagen über das System der Aussagen selbst gefunden (Disziplin und Metadisziplin). "Fächer" sind also "die verschiedenen objektiv möglichen und üblichen Weisen, die Welt zu begreifen und deren Ergebnisse" zu verstehen (21). Wirklichkeit wird auf eine spezifische Art erfaßt und denkend geordnet (22). Diese Definition von Fach macht keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Schul-Fach und Wissenschafts-Fach. Sie geht vielmehr davon aus, daß die Denkweisen in beiden Bereichen prinzipiell richtungsgleich und in ihrer Spezifik identisch sind. Forschungslogik und Unterrichtslogik werden dadurch aber nicht gleichgesetzt. Die Logik der Forschung folgt, wenn sie einmal von gesellschaftlich-praktischen Problemen ausgegangen ist, auch wissenschaftsimmanenter Gesetzlichkeit. Sie erbringt Ergebnisse des Faches, die von der Didaktik daraufhin befragt werden müssen, ob sie als Unterrichtsgegen[/S. 354:]stände geeignet sind, Wirklichkeit - und das heißt in diesem Falle: die Gegenwart und absehbare Zukunft des Schülers innerhalb einer historisch-gesellschaftlichen Konstellation - durch bestimmte Denkweisen zu begreifen und denkend zu ordnen (23). Fachwissenschaft ist damit ein "zumindest prinzipiell richtungsgleiches Verfolgen der auch im vorwissenschaftlichen Streben ... wirksamen Fragen" (24). Wenn aus praktischem Bedürfnis sich spezifische Fragen herausgebildet haben, die mit rational gesicherten und verfeinerten Methoden in den Fachwissenschaften fortgesetzt werden, kann ein Verzicht auf diese Betrachtungsweisen nur durch einen Verzicht auf bestimmte gesellschaftlich-praktische Erfahrung erkauft werden. Aus dem erkenntnistheoretischen Primat der Frageweisen folgt, daß sie sich nicht mit beliebigen Methoden verbinden lassen. Erkenntnismethoden (Verfahrensweisen und Forschungstechniken) müssen vielmehr mit den Frageweisen kompatibel sein, denn der Gegenstand wird nicht nur durch die Frageweise konstituiert, sondern er wird auch durch die Erkenntnismethoden mitkonstituiert. Verfahrensweisen und Untersuchungstechniken, derer sich die Erkenntnisweisen bedienen müssen, schlagen auf die Frageweise zurück und können, falls dieser Zusammenhang vernachlässigt wird, eine ganz andere als durch diese Frage angestrebte Aussageintention erzeugen.

2 Sozialwissenschaften als Bezugsdisziplinen

Sozialwissenschaften sind diejenigen Disziplinen, die ihre durch die eigene Fragestellung erzeugte faktische Wirkung auf die soziale Lebenspraxis reflektiert in ihr Forschungsinteresse aufgenommen haben. Eine abschließende Entscheidung darüber, ob die Geschichtswissenschaft und die Geographie sich insgesamt als Sozialwissenschaften begreifen, ist noch nicht in Sicht. Diese Frage ist für die Didaktiken von großem Interesse, da sie Konsequenzen für methodologische Probleme, für das Selbstverständnis, die Erkenntnisinteressen und die gesellschaftstheoretische Orien[/S. 355:]tierung nach sich zieht. Der Charakter der Didaktiken kann dagegen unabhängig davon definiert werden, wie die Bezugsdisziplinen sich entscheiden. Wenn die Didaktiken nicht "Kunst" oder "Technik", sondern Wissenschaften sein wollen - und vieles spricht dafür, daß sie gegenwärtig auf dem Wege sind, ihr Paradigma als Wissenschaft zu formulieren -‚ dann bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als sich selbst als Sozialwissenschaften zu verstehen. Didaktiken sind, auch als Didaktiken von Naturwissenschaften, unweigerlich Sozialwissenschaften. Sie können und müssen deshalb auch mit den Begriffen der Sozialwissenschaften untersucht werden.

2.1 Sozialwissenschaft: Integration oder Spezialisierung

Die Hoffnung, der Forderung nach Integration durch eine sozialwissenschaftliche Umorientierung der Fachdisziplinen nachzukommen, hat sich bisher nicht erfüllt. Der Begriff "Sozialwissenschaften" legt eine Addition kompatibler und homogener Disziplinen nahe und täuschte in der Diskussion um das Fach (!) Gesellschaftslehre über die Unterschiede der einzelnen Sozialwissenschaften hinweg. Wenn politische Bildung in den Sozialwissenschaften ihre Bezugsdisziplinen hat (und eine Alternative dazu zeichnet sich zumindest im Augenblick nicht ab), ist sie darauf angewiesen, daß die einzelnen Disziplinen ihr mit einer Umorientierung die entsprechenden Vorgaben machen. In der Diskussion um die sozialwissenschaftliche Umorientierung ist aber auf eine gravierende Differenz zu achten: Es ist von eminenter Bedeutung, ob die Disziplin sich als Ganzes als Sozialwissenschaft begreift, oder ob damit nur eine Spezialdisziplin (Sozialgeschichte, Sozialgeographie) neben anderen Spezialdisziplinen (Mittelalterliche Geschichte, Wirtschaftsgeographie) gemeint ist. Bezieht sich das Verständnis als Sozialwissenschaft nur auf eine dieser Spezialdisziplinen, so hat das für die Integrationsproblematik tiefgreifende Folgen. Die Umorientierung und Definition als Sozialwissenschaft kann nämlich nicht durch Amputation, durch eine radikale Abtrennung einzelner Wissenschaftsgebiete erfolgen. Teilbereiche (Wirtschafts- und Sozialgeographie, Wirtschafts- und [/S. 356:] Sozialgeschichte) können nicht als fortschrittlichste Varianten der Gesamtdisziplin angesehen werden, um dann durch Zusammenfassung dieser Teilbereiche das Integrationsproblem zu "lösen". Die Widersprüchlichkeit einer solchen Integrationsstrategie ist offenkundig. Im Bemühen, sich nicht in enge Fächerungen einsperren zu lassen, gründet eine so verfahrende Didaktik sich nicht auf eine (!) "breite" Sozialwissenschaft als Bezugswissenschaft, sondern auf enge Spezialdisziplinen. Anstatt die isolierenden Wände der Zellen zu beseitigen, sind sie nur enger gezogen worden.

2.2 Darstellungsformen

Die Diskussion um die theoretischen Prämissen und um das Selbstverständnis als Sozialwissenschaft brachte für die Frage der Integration insofern eine positive Rückwirkung auf die Didaktiken, als sich die Formen, in denen sich die Darstellung der fachwissenschaftlichen Ergebnisse vollzog, nicht als Essentials der Disziplinen erwiesen. So erfuhren die didaktischen Darstellungsformen - chronologischer Durchgang, Länderkunde, Fallprinzip -‚ die in ihrer Heterogenität immer ein Integrationshemmnis darstellten, keine Unterstützung durch die bisherige Grundlagendiskussion. Sie erwiesen sich lediglich als traditionelle Vorlieben. Eine bestimmte Art des Denkens, das sich als ein Denken vom Out-put des Forschungsprozesses her charakterisieren läßt, hat die Darstellungsformen zu einem Integrationshemmnis ersten Ranges werden lassen. Es standen immer die Ergebnisse des Forschungsprozesses im Vordergrund, nicht dessen Fragestellungen. Im Fachunterricht sollten diese Ergebnisse gelernt werden und nicht das Fach als Frage- und Denkweise. Demzufolge sind auch im Bereich der politischen Bildung die Beiträge der einzelnen Fächer vorwiegend von den Ergebnissen der (fachwissenschaftlichen) Forschung her bestimmt worden. Fach und Forschungsergebnis wurden gleichgesetzt. Erschwerend (für die Integrationsproblematik) kommt noch hinzu, daß die Forschungsergebnisse die Summe der im historischen Prozeß des Forschens aufgehäuften Resultate sind, die zudem teilweise Antworten auf bereits vergangene historische Situationen darstel[/S. 357:]len. Während in der Vergangenheit die Unterrichtsfächer Geschichte und Geographie im Materiellen der kumulierten Forschungsergebnisse verharrten, trieb die Sozialkunde die Entmaterialisierung der Bildungsprozesse auf die Spitze. Das Fallprinzip verband sich bei vielen Sozialkundedidaktikern immer mit der These von der Austauschbarkeit der Inhalte. Darin, daß die Inhalte völlig sekundär seien, wurde die Didaktik der Sozialkunde noch von der Curriculumtheorie bestärkt, indem diese die Inhalte in ein instrumentelles Verhältnis zu den Zielen setzte. Das Nachdenken über Integrationsmöglichkeiten mußte sich zwangsläufig festlaufen: Geographen und Historiker beharrten auf ihren in bestimmten Darstellungsformen angeordneten Inhalten. Die Sozialkundedidaktiker insistierten zwar nicht auf bestimmte Inhalte, aber sie bestanden darauf, daß man nicht auf bestimmten Inhalten beharren dürfe - diese aber müßten kasuistisch dargestellt werden.
Die Unzulänglichkeit dieser isolierenden, traditionellen Darstellungsformen, die durch ihre Erstarrung den Kernbereich jeder Didaktik, die Auswahltheorie, suspendierten, ist inzwischen hinreichend bekannt. In der didaktischen Reflexion haben diese Formen keinen Stellenwert mehr. Es bleibt aber (selbstkritisch) anzumerken, daß in der Schulpraxis weitgehend noch nach diesen Darstellungsformen verfahren wird, da die methodische Phantasie der (Hochschul-)Didaktiker keine alternativen, prinzipiell auf Integration angelegten Darstellungsformen bereitzustellen vermochte.

2.3 Erkenntnisinteressen

Ihre Selbstdefinition als Sozialwissenschaften mit einer explizit gemachten gesellschaftstheoretischen Orientierung läßt die Einzeldisziplinen zwar nicht in einer einzigen Wissenschaft aufgehen, verpflichtet sie aber auf ein gemeinsames (emanzipatorisches?) Erkenntnisinteresse. Dieses Erkenntnisinteresse stellt in doppelter Hinsicht ein notwendiges Vermittlungsglied zur politischen Bildung dar. Gravierende Differenzen zwischen den einzelnen Sozialwissenschaften, die einer Zusammenarbeit hemmend im Wege [/S. 358:] stehen, können damit ebenso abgebaut werden wie zwischen den Sozialwissenschaften und den Didaktiken. Ohne diese Gemeinsamkeit in dem Erkenntnisinteresse wird das Verhältnis von Wissenschaft und politischer Bildung ein gewalttätiges Unternehmen, das in Schülerköpfe etwas hineinpraktiziert, was mit den aktuellen und zukünftigen Interessen der Schüler nicht zu vereinbaren ist. Der bisherige und noch andauernde Widerstand gegen den erkenntnistheoretischen Begriff des Erkenntnisinteresses ist in erster Linie durch die damit verknüpften Folgerungen motiviert. Ausgewiesenes Erkenntnisinteresse bedeutet, den Gegenwartsbezug allen Fragens und Forschens anzuerkennen, und das heißt wiederum, Gegenwart als Prinzip der Auswahl von Forschungsobjekten und Unterrichtsinhalten zu akzeptieren. Für Theorie und Logik der Sozialwissenschaften ist das keine neue Erkenntnis. Daß die Auswahl von Forschungsgegenständen von den Wertentscheidungen der Fragenden abhängt, hatte bereits Max Weber gezeigt, indem er darauf hinwies, daß nur interessierende Merkmale gesellschaftlicher Wirklichkeit zum Untersuchungsgegenstand gemacht werden können. Die Einsicht in den Zusammenhang von Erkenntnisinteressen, Gegenwart und Auswahl wurde bisher immer mit dem Vorwurf mangelnder Wissenschaftlichkeit abgelehnt. In diesem Punkt scheint sich durch die zunehmende geschichtstheoretische Diskussion eine Wende anzubahnen: Integration wird erleichtert durch die sich immer mehr durchsetzende Einsicht in die Gegenwartsbezogenheit der Geschichte (sowie von Wissenschaft überhaupt). Daß der Gegenwartsbezug die Wissenschaftlichkeit der Geschichtswissenschaft keineswegs aufhebt, wurde in letzter Zeit mehrfach von der Geschichtstheorie belegt. "Perspektivität und Objektivität" (Wolfgang J. Mommsen) sowie "Objektivität und Praxisbezug" (Jörn Rüsen) sind in der Geschichtswissenschaft keine einander widersprechenden und einander ausschließenden Faktoren. Sie gehören vielmehr unverbrüchlich zusammen (25). Damit scheint sich eine innerwissenschaftliche Entwicklung anzubahnen, die der Geschichte die Gegenwart wiederzugewinnen hilft. [/S. 359:]

3. Didaktik

Neben den bisher aufgezeigten, stärker wissenschaftstheoretisch und fachwissenschaftlich orientierten Vorschlägen zum Integrationsproblem lassen sich auch drei didaktische Lösungsstrategien benennen. Diese Ansätze versuchen, durch die Betonung der sozialen Komplexität, durch die Formulierung von "allgemeinen" Lernzielen und durch die Umschreibung von Lernfeldern die unterschiedlichen Fächer zusammenzubinden oder durch den Rückgriff auf ein "vorfachliches" Orientierungssystem einander zuzuordnen. Obwohl diese Lösungsstrategien ihrem Ansatz nach überfachlich und allgemein sein sollen, wurden unter der Hand die Fachwissenschaften - gegen den Willen der diese Ansätze vertretenden Autoren - doch wieder zum bestimmenden Moment.

3.1 Soziale Komplexität und Aspekt

Ein nicht realisierbarer Integrationsansatz ergibt sich aus der Zuordnung von "Komplexität" und "Aspekt". Inhalte der politischen Bildung sind vieldimensional und können deshalb unter den jeweils verschiedenen fachspezifischen Sichtweisen betrachtet werden. Diese Einsicht ist in der Literatur unter die Begriffe "Komplexität" und "Aspekt" gefaßt worden. Die Gleichberechtigung der verschiedenen Sichtweisen bei der Analyse gesellschaftlicher Sachverhalte ist prinzipiell möglich und auch anzuerkennen. Die verschiedenen Sichtweisen sind im didaktischen Sinne keineswegs gleichwertig. So wie der Inhalt "Autoritätsfixierung" unter dem Aspekt "Mythos Hindenburg" oder "Fixierung an den Führer" behandelt werden kann, kann der Inhalt "Gastarbeiter" auch unter dem sozialpsychologischen Aspekt der "Vorurteilsbereitschaft" angegangen werden. Damit werden aber keinesfalls die Problembereiche "Faschismus" und "Lohnarbeit des Subproletariats" miterledigt. Die Isolierung und Betonung von bestimmten Teilaspekten läßt Faktoren in den Vordergrund treten, die für die Erklärung des Gesamtproblems nur sekundären Charakter tragen. Inhalte werden diesem Verfahren in einseitiger Weise akzentuiert [/S. 360:] und in der Folge wie ich meine, auch entpolitisiert. So ergab eine quantitative Inhaltsanalyse von acht Unterrichtsmodellen und Sozialkundebüchern zum Problem "Gastarbeiter", daß 57 % aller Aussagen sozialpsychologischer Art waren und 10,5 % sich auf ökonomische Sachverhalte bezogen (26). Der Schritt zur zwischenmenschlichen Freundlichkeit des "Seid-nett-zueinander" ist nicht weit. Aus diesen Gründen kann das Integrationsproblem innerhalb der Sozialkunde keineswegs als gelöst gelten. Die Möglichkeit unterschiedlicher Analyseansätze ist nicht identisch mit deren Lernwürdigkeit. Aus der Perspektive der Didaktik, die sich als Sozialwissenschaft auf den Horizont der Gegenwart bezieht, gibt es an den Inhalten dominante Strukturen. Eine dominante Struktur im didaktischen Sinne bemißt sich nicht an der fachwissenschaftlichen Möglichkeit, die Fragerichtung auf beliebige Aspekte zu reduzieren, sondern an der Perspektive gelingender oder verhinderter Emanzipationsprozesse. Inhalte haben in der Gegenwart einen ganz bestimmten und von ihr affizierten Wertakzent. Sie können nicht aus methodischen Gründen (Lernerleichterung, Anschaulichkeit etc.) oder fachlicher Kompetenz (Ausbildung, Vorliebe etc.) des Lehrers auf bestimmte Aspekte hin reduziert werden.

3.2 Allgemeine Lernziele

Den bisher erfolgversprechendsten Ansatz zur Integration von Unterrichtsfächern bildeten die Entwürfe von "allgemeinen Lernzielen". Diese Lösungsstrategie lastet die eigentliche Integrationsfunktion den Lernzielen an. Sie sollen die einzelnen Fächer oder Fachaspekte integrieren und weitergehende Ansprüche der Fächer filtern. Allgemeine Lernziele - die Angabe "allgemein" ist meist stillschweigend auf fächergruppenspezifische Lernziele eingeschränkt - sind im Bereich der politischen Bildung ihrem Anspruch nach Ziele, die mit dem Blick auf das "Lernfeld Gesellschaft" formuliert sind, ohne daß auf einzelne fachwissenschaftliche Disziplinen zurückgegriffen werden muß. Ihrem Charakter nach sollen sie die Funktion eines Netzes haben, das (politi[/S. 361:]sche) Wirklichkeit einfängt. Darüber hinaus versuchen sie andere (fachliche) Lernziele zusammenzuhalten, um "begrenztes Fachdenken" zu überwinden. Diesen Lernzielen wird die Fähigkeit zugetraut, die einzelnen Fächer zusammenzuhalten, wenn sie ihnen in Form von fachspezifischen Lernzielen zugeordnet werden. Die großen Erwartungen, die man in die allgemeinen Lernziele als Integrationsinstrumente gesetzt hatte, haben sich nicht erfüllt. Die theoretischen Prämissen, von denen man ausgegangen war, lassen sich aus wissenschaftstheoretischen Gründen nicht halten. Plausible Argumente sprechen vielmehr für folgende These: Allgemeine Lernziele binden die Fächer nicht zusammen, da allgemeine Lernziele immer schon unter Zuhilfenahme der auch in der Umgangssprache implizierten Paradigmen der Fachwissenschaften formuliert werden. Der gegenwärtige Diskussionsstand der Lernzielproblematik ermöglicht es, im einzelnen folgende kritische Fragen nach Voraussetzungen und Möglichkeiten der allgemeinen Lernziele zu stellen: Als erstes stellt sich die Frage nach der Instanz. Wer formuliert die allgemeinen Lernziele? Wenn sie "allgemein" sein sollen, können sie nicht von einer einzelnen Fachwissenschaft oder Fachdidaktik formuliert werden. Auch ein Gremium unterschiedlicher Fachvertreter kann nicht angenommen werden, da allgemeine Lernziele ihrem Anspruch nach nicht durch eine Addition von Fachaspekten gewonnen werden sollen. Die einzelnen Vertreter der Fachwissenschaft und Fachdidaktik können sich zudem nicht gleichsam selbst in ihrer Sichtweise auslöschen und eine Metawissenschaft durch Zusammensitzen begründen. Aber nicht nur die Frage nach der Formulierungsinstanz ist ungeklärt. Die Frage nach der Analyseinstanz ist es ebenfalls. Lernziele im Bereich der politischen Bildung müssen aus einer Analyse gesellschaftlicher Wirklichkeit hervorgehen. Wer unternimmt diese Analyse, mit welchen Methoden und welchen Instrumenten, wenn eine fachneutrale Methode nicht existiert? Der Versuch, diese Aufgabe der Erziehungswissenschaft zuzuweisen, greift ebenfalls zu kurz, da die Pädagogik [/S. 362:] zur gesellschaftlichen Analyse gegenwärtiger Wirklichkeit wegen der Existenz irreduzibler "gesellschaftlicher Sachverhalte" (27) nicht gerüstet ist. Das Korrelat zur Annahme einer allgemeinen Formulierungs- und Analyseinstanz ist das Attribut "allgemein" der Lernziele. "Allgemein" wird in der Lernzieldiskussion auf zwei unterschiedliche Weisen gebraucht. Einmal als "vorwissenschaftlich" und zum anderen im Sinne von "überfachlich". "Allgemein" im Sinne von "überfachlich" meint, daß der Zusammenhang der Ziele unterschiedlicher Ebenen allgemein-fachspezifisch lautet. Es wird dabei übersehen, daß "allgemein" nur im Sinne von "abstrakt" verstanden werden kann. Der Zielzusammenhang verknüpft die Ebenen "abstrakt" und "konkret" und spielt sich innerhalb des Fachaspekts ab. "Vorfachlich" und "vorwissenschaftlich" meint ‚daß man umgangssprachlich, gewissermaßen nur (!) mit dem "gesunden Menschenverstand" bei Ausblendung fachspezifischer Frageweisen und fachspezifischer Begrifflichkeit, die immer spezielle Theorien implizieren, Ziele für die politische Bildung formulieren kann. Die in der Umgangssprache enthaltenen Sichtweisen werden übersehen. Die wissenschaftstheoretische Diskussion weist gegenwärtig ausdrücklich auf die Theorieabhängigkeit der Beobachtungssprache hin. Diese Erkenntnis ist in der Lernzieldebatte noch nicht rezipiert worden. Alle bisher angebotenen Systeme allgemeiner Lernziele sind logisch, grammatikalisch und semantisch eine Addition fachspezifischer Begriffe und Theorien, die in ihrer jeweiligen spezifischen Zusammensetzung sowohl Integration verhindern als auch durch ihre Komplexität die unterrichtspraktische Handhabung erschweren (28). Eine sprachanalytische Untersuchung der allgemeinen Lernziele der hessischen Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre zeigt (29), daß sie keineswegs "allgemein", d. h. überfachlich sind. Die einzelnen fachspezifischen Aspekte lassen sich ohne Schwierigkeiten ausmachen. Eine Aufschlüsselung nach Häufigkeit ergibt folgendes Bild: [/S. 363:]



Lernfeld
AspekteIIIIIIIVGes.
1.Soziologie.08.06.04.03.21
2.Historie.02.03.04.04.13
3.Politik.03.08.15.11.37
4.Geographie.01.03.00.02.07
5.Psychologie.01.00.00.00.01
6.Ökonomie.00.16.01.03.21
7.Sonst..00.00.00.00.01
Gesamt.15.36.25.251.00

(Annäherungswerte durch Abrundung)

Die allgemeinen Lernziele benutzen mit bestimmten Fachtermini stets bestimmte fachspezifische Theorien und stellen damit bereits bestimmte Relationen in der Wirklichkeit her (Rolle, Autoritätsfixierung, Triebsublimierung, Schicht, Klasse, öffentliche Armut - privater Reichtum). Die linguistische Analyse legt zudem auch die Zeitreferenz der Lernzielformulierungen dar: In den Tempusmorphemen wird auf öffentliche Zeit Bezug genommen (30). Zeitreferenz ist mit den Formen der Sprache gegeben und erzeugt mit und in der Sprache jene Narrativität, die die Geschichtswissenschaft zu ihrem Metier gemacht hat. Weder in der Wahl der Termini noch in der Sprachstruktur entrinnen die Lernzielformulierungen den fachspezifischen Denkweisen. Die Begriffe, obwohl sie "nichts anderes sein wollen als die Abbreviaturen je vorfindlicher Tatsachen" (31), sowie die ~h den Morphemen der Sprache implizierte Zeitreferenz verkünden auch dann noch ihre Fachlichkeit, wenn deren Benutzer nicht wissen will, was er tut. So bleibt in den allgemeinen Lernzielen unweigerlich, wenn auch ihren Verfassern nicht bewußt, die epistemologische Struktur der Wissenschaften präsent. [/S. 364:]

3.3 Lernfelder

Der Vorschlag der Curriculumtheorie, von Lebenssituationen oder Lernfeldern auszugehen, birgt für die ungelöste Integrationsproblematik noch ungenutzte Möglichkeiten, da sich hier für die einzelnen Fächer gemeinsame Bezugsrahmen anbieten. In der didaktischen Literatur ist dieser Ansatz aber bisher in einer Weise aufgegriffen worden, die die unauflösbaren Zusammenhänge von Lernfeldern und Wissenschaftsdisziplinen vernachlässigte. Der Begriff des "Lernfeldes" beinhaltet, daß die Anordnung der Unterrichtsinhalte nicht nach den in den Fächern dominierenden Darstellungsweisen und -formen erfolgt, sondern nach denjenigen Feldern, "wo und wie Schüler Gesellschaft erfahren" (32). Die Unterrichtsinhalte sollen aus der Systematik und Anordnungsweise der einzelnen Unterrichtsfächer herausgelöst und in "Lebenssituationen" angeordnet werden. Aber auch hier haben die vorliegenden Lernzielentwürfe die Rechnung ohne die Fachdisziplinen gemacht. In den einzelnen Lernfeldern der hessischen Rahmenrichtlinien (Sozialisation, Öffentliche Aufgaben, Wirtschaft, intergesellschaftliche Konflikte) sind die einzelnen Fachdisziplinen unterschiedlich stark vertreten (33). Die Lernziele, die diese Lernfelder konkretisierend umschreiben sollen, spiegeln Terminologie und Fragestellung der Fachdisziplinen in einer bestimmten gewichteten Weise wider. Im Lernfeld "Sozialisation" dominiert die Soziologie. 53 % aller soziologischen Begriffe, Theoreme und Fragestellungen befinden sich in diesem Lernfeld. Entsprechendes ist in den anderen Lernfeldern zu finden. Im Lernfeld "Wirtschaft" dominiert die Ökonomie, im Lernfeld "Öffentliche Aufgaben" die Politologie und im Lernfeld "Intergesellschaftliche Konflikte" ebenfalls die Politologie. Der Assoziationszusammenhang, der sich bei den Verfassern der Richtlinien zwischen Lernfeld und Disziplin einstellt, ist offensichtlich. Das belegt die Auffächerung der Fachaspekte nach Lernfeldern: [/S. 365:]



Lernfeld
AspekteIIIIIIIVGes.
1.Soziologie.53.15.16.14.21
2.Historie.14.07.17.17.13
3.Politik.19.23.60.45.37
4.Geographie.08.08.02.09.07
5.Psychologie.06.00.00.02.01
6.Ökonomie.00.45.05.13.21
7.Sonst..00.01.00.02.01
Gesamt1.001.001.001.001.00

(Annäherungswerte durch Abrundung)

Nicht nur innerhalb der Lernfelder schlägt die Fachlichkeit wieder durch. Die Lernfelder selbst sind weitgehend disziplinär erzeugt. Die Lernfelder, die bisher vorgeschlagen wurden, sind keineswegs disziplinlose Wirklichkeitsbereiche, obwohl sie es dem Anspruch nach sein sollten, sondern sie sind selbst Wissenschaftsdisziplinen. Sozialisation z. B. ist weniger ein Lernfeld, als eine sich gegenwärtig durchsetzende Forschungsrichtung, die alle Chancen hat, sich als Disziplin dauerhaft zu institutionalisieren. Ebenso sind die "Intergesellschaftlichen Konflikte" kein disziplinfreies Lernfeld, sondern eine sich aus der Politologie aussondernde Teildisziplin. Internationale Beziehungen sind "heute zum Erkenntnisgegenstand einer weitgehend anerkannten wissenschaftlichen Disziplin geworden" (34). Diese Befunde legen den Schluß nahe, daß die Konzeption von Lernfeldern nicht so sehr auf dem Versuch einer Integration von Fachdisziplinen beruht, sondern sich von der Zielsetzung leiten läßt, in den Unterricht neue, modernere disziplinäre Frageweisen einzubeziehen. Die vorgestellten Lernzielraster ergeben sich folglich nicht aus einer Integration der traditionellen Fächer durch disziplinfreie Lernfelder. Das Design der neuen Lernfelder resultiert vielmehr [/S. 366:] daraus, daß die Ergebnisbestände der klassischen Fächer, Erdkunde, Geschichte und Sozialkunde mit den Fragestellungen von neueren Disziplinen (z. B. Sozialisationsforschung und Internationale Beziehungen) analysiert werden, um ihnen andere Akzentuierungen abzugewinnen. Dadurch werden den traditionellen Wissensbeständen zweifellos neue Erkenntnisse abgewonnen; den disziplinär gebundenen Sichtweisen kann aber auch so nicht entgangen werden.

4. Integration durch Eigenständigkeit

Der Entwurf eines schlüssigen Integrationskonzeptes wird nur gelingen, wenn die Auswahlfrage gleichzeitig mitthematisiert wird. Ein Denken vom Output des Forschungsprozesses her, das fertige disziplinäre Inhaltssysteme zusammenzufassen sucht; erweist immer mehr seine Unzulänglichkeit. Da nun, wie ich aufzuzeigen hoffte, Wissenschaft um Wissenschaft zu sein, sich nicht notwendigerweise auf separate Gegenstände richten muß (separat von den anderen Wissenschaften wie von der Lebenspraxis), spricht kein Argument dagegen, daß sich die einzelnen Wissenschaften und Unterrichtsfächer mit ihren eigenständigen Frageweisen nicht auf die gleichen gesellschaftlichen Probleme der Gegenwart richten können. Für das Fach Geschichte bedeutet das allerdings die didaktische Abkehr von traditionellen fachwissenschaftlichen Forschungsprioritäten. Ein didaktisches Konzept für Integration wird sich auf die drei Elemente "Problem", "Frage" und "Gegenwart" stützen müssen.

4.1 Problem und Problemzusammenhang

Unter einem "Problem" ist ein Ereignis zu verstehen, das in Widerspruch zur Erwartung tritt. Erst dadurch, daß ein Ereignis einer sozialen Norm widerspricht, eine Erwartung enttäuscht oder eine erwartete Regelmäßigkeit durchbricht, wird aus diesem Ereignis ein Problem. Die Existenz eines Systems von normativen Erwartungen gibt den Hintergrund ab, auf dem ein Ereignis zu einem Problem werden kann - vor dem ein Ereignis fragwürdig wird. Das Auftauchen von Problemen ist deshalb an Voraussetzungen gebunden: [/S. 367:] Erwartungen, Normen, Soll-Werte, Regelmäßigkeiten, Vorstellungen vom "guten Leben" etc. Obwohl einerseits die Probleme von Erwartungen abhängen und andererseits ein für alle gemeinsamer Erwartungsrahmen nicht existiert (er könnte nur gewaltsam hergestellt werden), ist durch die auf das Problem gerichteten Lösungsstrategien eine Konsensfähigkeit in der Problembenennung gegeben. Die Voraussetzung für einen möglichen Konsens im Prozeß der Problembenennung ist die Tatsache, daß Probleme Problemlösungen erfordern. Geht man von zwei unterschiedlichen Erwartungsrahmen aus, so kann ein bestimmtes Ereignis in einem dieser Rahmen als "normal" und im anderen Rahmen als "problematisch" gelten. Innerhalb des Erwartungsrahmens, in dem das Ereignis ein Problem darstellt, werden Lösungsvorschläge gemacht, die den Widerspruch zwischen Erwartung und eingetretenem Ereignis aufheben sollen. Diese Lösungsstrategie wird für den anderen Bezugsrahmen zum Problem, da sie die "Normalität" des Ereignisses in Frage stellt. Der Lösungsvorschlag stellt für den zweiten Erwartungsrahmen ein Ereignis dar, das seinen Erwartungen zuwiderläuft. Für den einen Erwartungsrahmen stellt das Ereignis ein Problem dar, für den anderen wird das Ereignis des Lösungsvorschlages zum Problem. Beide Bezugsrahmen könnten sich darüber verständigen, daß die Konstellation von Ereignis und Lösungsvorschlag für beide ein Problem darstellt: Das Verfahren des freien Zuganges für jeden zu öffentlichen Ämtern wurde in dem Moment für Vertreter der staatlichen Administration zum Problem, als aktuelle Einstellung und bisherige Lebensgeschichte der Bewerber nicht mehr ihren Erwartungen entsprachen. Ihre Lösungsstrategie bestand aus "Einstellungs"gesprächen und faktischen Berufsverboten. Für weite Teile der demokratischen und liberalen Öffentlichkeit ist dieses Vorgehen eine nicht mit den demokratischen Grundsätzen zu vereinbarende Praxis. Dieser Ereigniskomplex, für den sich (auch international) der Begriff "Berufsverbot" eingebürgert hat, stellt sowohl für den Befürworter wie für den Gegner dieser Praxis ein Problem dar. [/S. 368:] Mit der Benennung von Problemen als Ausgangspunkt didaktischen Handelns ist keineswegs eine bestimmte Problemlösung verbunden. Das Problem erlaubt uns aber, Fragen zu stellen - disziplinäre wie auch praktische, nach Handlungsanweisung suchende Fragen. Die unterschiedlichen Antworten geben die Wissenschaften sowie die an dem Problem beteiligt Handelnden. Multidisziplinarität und Multiperspektivität haben hier - nach der Problembenennung - ihre methodische Berechtigung. Das Problem als gesellschaftlich-praktische Angelegenheit motiviert uns, Fragen zu stellen. Wenn ein Ereigniskomplex intersubjektiv als Problem benannt ist, nimmt das Problem einen anderen Status an. Es wird zu einem Denkobjekt. Dieser Statuswechsel ist für die Dialektik von Theorie und Praxis, für den Zusammenhang von praktischem Handeln und fachspezifischen Denkweisen von Bedeutung. Insofern muß es genauer heißen: Gesellschaftlich-praktische Probleme werden durch die intersubjektiv gestellten Fragen der Forschenden zu einem theoretischen Problem. Das gesellschaftlich-praktische Problem kann unmittelbar praktisch gelöst oder zu lösen versucht werden. Es kann aber auch im Praxisvollzug innegehalten und das praktische Problem in den Reflexionshorizont der Handelnden gehoben werden. Das Handeln wird aufgeschoben, und es wird nachgedacht. Das praktische Problem ist damit zu einem Denkobjekt geworden, zu einem theoretischen Problem, das theoretisch-intellektuell bewältigt werden muß, ehe wieder gehandelt wird. Ohne Reflexion wird Praxis hilfloses Probieren, und ohne Praxis bleibt Reflexion abstrakte Neugier. Gesellschaftlich-praktische Probleme fallen nicht in die Kompetenz einer einzigen Disziplin. "[S]ie dürfen nicht zur Domäne einer Wissenschaft ... werden" (35). Indem das praktische in ein theoretisches Problem übergeführt wird, treten die Wissenschaften hinzu, da Probleme durch die Konstitutionsleistungen der fachspezifischen Fragestellungen zu Denkobjekten werden. Praktische Probleme sind ungefächert; theoretische Probleme sind disziplinär gebunden, d. h. disziplinär konstituiert und mit disziplinären Methoden bearbeitbar. Nichtdisziplinäre Realität kann nur fachdifferenzierend analysiert werden. [/S. 369:] Wenn praktische Probleme über den Weg des Denkobjektes disziplinär bearbeitet werden, könnte durch die Selbstorientierung der einzelnen Didaktiken der politischen Bildung auf gegenwärtige Probleme ein fruchtbarer Ansatz zur Integration gemacht und die Perspektive für ein integriertes Curriculum eröffnet werden. Durch die Verständigung der Vertreter der Fachdidaktiken über die gegenwärtigen praktisch-politischen Probleme, ihre Auflistung und ihre Anordnung nach didaktischer Dringlichkeit und zeitlich-methodischer Abfolge wäre der erste Schritt für eine Integration gegeben. Die einzelnen Disziplinen, vertreten durch Hochschuldidaktiker und Fachlehrer - denn diese Art der Kooperation ist auf jeder Ebene möglich -‚ müßten angeben können, ob und was sie zu diesen Problemen zu fragen und zu sagen hätten und welchen Stellenwert das Gesagte in ihrer Wissenschaft hat. Daß dieses Vorgehen Erfolg verspricht, belegen die interessanten Beiträge, die die Geographiedidaktik in letzter Zeit zu den gegenwärtigen praktisch-gesellschaftlichen Problemen erbringt. Umweltbelastung durch Kernkraftwerke, Strukturveränderung von Dorfkernen durch Gastarbeiter, Zechensanierungen im Ruhrgebiet, Veränderung der Kulturlandschaft durch die industrielle Revolution, Planungsfragen, Einfluß von Raumbedingungen auf die Sozialisation sind einige der Themen (36). Dagegen wirken die curricularen Vorschläge der Didaktik der Geschichte noch etwas betulich. Es werden häufig nur die modern arrangierten traditionellen Themen angeboten. Würde das oft zitierte Postulat, die Geschichte nach Maßgabe des Möglichen (!) gegen den Strich zu bürsten, realisiert, kämen andere Schwerpunkte in den Blick: Einführung neuer Technologien und Gutachterprognosen am Beispiel Eisenbahnbau, Polen als "Gastarbeiter" im Ruhrgebiet des 19. Jahrhunderts, Bau von Zechenkolonien und Anwerbepraxis, die Rationalisierungsbewegung in der Weimarer Zeit, ökonomische und politische Macht - das Beispiel Fugger, Jugendarbeitslosigkeit in den 30er Jahren, Terrorismus und politischer Mord, Formen des sozialen Protestes (37), "Frauenunterdrückung und Frauenbefreiung bei den Römern" (38). Die Didaktik der Geschichte würde sich auf diese Weise [/S. 370:] explizit an der Gegenwartsbezogenheit orientieren anstatt an traditionellen - inzwischen aber auch nicht mehr unangefochtenen - fachwissenschaftlichen Forschungsprioritäten.

4.2 Wissenschaft und Alltagswissen

Die Präpotenz der Fachwissenschaft und deren im doppelten Sinne isolierende Funktion in der Bestimmung von Unterrichtsinhalten hat in besonderem Maß bei didaktisch sensiblen Richtlinienverfassern und Lehrern zu einer in dieser Form nicht haltbaren Abwendung von den Wissenschaften geführt. Die diffizilen Zusammenhänge von Wissenschaft und Alltagswissen wurden nicht beachtet - oder nur unter dem Aspekt einer Manipulation des Alltagswissens durch die Wissenschaften gesehen. Es soll keineswegs bestritten werden,, daß eine Korrumpierung des Alltagswissens durch die Wissenschaften erfolgen kann und auch erfolgt. Darüber dürfen aber nicht die weiteren Aspekte des Zusammenhangs übersehen werden.
Wissenschaft hat sich historisch aus Alltagswissen und Alltagsproblemen entwickelt. Ihre Denk- und Argumentationsweise ist allerdings rationaler und methodischer, da sie sich besserer Beobachtungstechniken und stringenterer Argumentationsweisen bedient. Trotz aller vorhandener esoterischer Forschung ist Wissenschaft auch gegenwärtig die rational-methodische Fortsetzung des Alltagsverständnisses. Fragen nach Genese und Wirkung, Zusammenhängen, nach Ursachen und Prognosen von und über gesellschaftliche Sachverhalte werden nicht nur in den Wissenschaften gestellt. Wir müssen in der Didaktik vielmehr davon ausgehen, daß Schüler immer schon strukturell das tun, was die politische Bildung in der Schule ihnen erst beibringen will. Die Beharrlichkeit und Folgerichtigkeit der Fragen des Alltagsverständnisses zu erhöhen - das ist ein Ansatzpunkt für die Didaktik der politischen Bildung. Auch die meisten erklärungsbedürftigen Phänomene haben Wissenschaft und Alltagsverständnis gemeinsam. Wenn Wissenschaft in problematisierter Erfahrung ihren Ursprung hat, aber dann nur in spezialisiertem Vorgehen mit rationalen und höchst kom[/S. 371:]plexen Techniken Ergebnisse erbringen kann, stellt sich das Problem der Rückübersetzung der Forschungsergebnisse in eben dieses Alltagsverständnis. Es zeigt sich immer deutlicher, daß spezialisierte Kenntnisse nur unter Schwierigkeiten in die unspezialisierte Praxis umgesetzt werden können. Läßt man alles Wissenschafts-Wissen ungeordnet, ungefiltert und unkoordiniert auf das Alltagsverständnis von Nicht-Wissenschaftlern zurückwirken, so ist dieses Wissen keine Hilfe, sondern eher eine Belastung, die das Problem, das eigentlich durch dieses Wissen aufgeklärt werden sollte, noch unerkennbarer macht. Hier liegt ein zweiter Ansatzpunkt für die Didaktik.
Ein weiterer - systematischer - Gesichtspunkt des Zusammenhangs von Alltagswissen und Wissenschaft bildet die Struktur und die Historizität der Alltagssprache. Thomas S. Kuhn hat auf die Theorieabhängigkeit der Beobachtungssprache hingewiesen (39). In der Beobachtungssprache, derer wir uns in der Wissenschaft wie im Alltag bedienen, sind immer schon theoretische Vorannahmen eingeschlossen, die in der Realität bestimmte Relationen herstellen. Ohne diese Theorieelemente werden diese Relationen der Realität nicht entdeckt. Nicht jedes Theorieelement ist schon immer in der Beobachtungssprache enthalten gewesen. Es wurde vielmehr zu einer bestimmten historischen Zeit in sie aufgenommen (z. B. das Naturrecht oder das Theorem von der nivellierten Mittelstandsgesellschaft). Das Eindringen neuer Theorieelemente in die Beobachtungssprache erzeugt "Wahrnehmungsverschiebungen" (40). Nach solchen "Umwandlungen des Sehbildes" (41)
wirken diese Theoreme ihrerseits wieder als beharrende und resistente Momente gegen neue Sichtweisen. Der Physiker Thomas S. Kuhn hat hierin die Feststellungen der Soziologen Max Horkheimer und Erich Fromm über die historische Geform[t]heit des menschlichen Wahrnehmungsapparates bestätigt.
Die in der Umgangssprache impliziten fachwissenschaftlichen Paradigmen und Theoreme sind unverzichtbar für sozialwissenschaftliche Erkenntnis. Wir besitzen in der Alltagssprache ein Wissen über Aspekte menschlichen Verhal[/S. 372:]tens, das nicht direkter sinnlicher Erfahrung zugänglich ist. Eine Intention ist z. B. kein direkt beobachtbares Element einer Handlungssequenz. Aussagen über gesellschaftliche Sachverhalte sind nur durch kommunikative und nicht (allein) durch sensorische Erfahrung möglich. Die fachwissenschaftlichen Begriffe der einzelnen Sozialwissenschaften lassen sich nicht unmittelbar durch sensorische Wahrnehmung aneignen. Sie sind nur ein Begriffsapparat, der mehr oder minder gut gehandhabt werden kann. Erst die Anwendung des Begriffs "Konflikt" auf ein Bündel menschlicher Handlungen und Äußerungen nach bestimmten Zuordnungsregeln führt zu der Erkenntnis, daß ein Konflikt vorliegt. Die Kombination von theoretischen Annahmen und "ouvertem Verhalten" (Mandelbaum) erlaubt es erst, Aussagen über gesellschaftliche Sachverhalte zu machen. Gesellschaftliche Ereignisse und Probleme sind nicht ausschließlich direkter, sondern nur theoriegeleiteter Beobachtung zugänglich. "Relative Deprivation", "Einstellungen", "Schichtung" und "Klasse" oder "Revolution" und "Feudalismus" sind in das Alltagsverständnis aufgenommene fachwissenschaftliche Begriffsbildungen. die eine bestimmte Theorie implizieren.

4.3 Fragestruktur

Probleme müssen in Fragen umgesetzt werden. Die Frage ist offen für alternative Antworten, sonst wäre sie keine Frage mehr. Sie leitet den Prozeß der Erkenntnisgewinnung ein, ohne das Ergebnis zu präjudizieren. Wenn auch die Frage selbst auf keine spezielle Antwort festgelegt ist, so richtet sie sich doch auf eine bestimmte Klasse von Antworten, in deren Rahmen eine sinnvolle Antwort möglich ist. Wenn die Beziehung zwischen Frage und Antwort in diesem Sinne offen ist, können Fragen weder wahr noch falsch sein. Diese Prädikate kommen nur den Voraussetzungen der Fragen zu; sie selbst können nur sinnvoll oder sinnlos sein.
Der Zusammenhang von Fragerichtung und jener Klasse von Antworten, innerhalb deren eine sinnvolle Antwort gefunden werden kann, gibt das Begründungsprinzip einer Disziplin ab. Eine prinzipiell gleichbleibende Fragerichtung, die [/S. 373:] sich bestimmter Methoden bedient, institutionalisiert sich als Wissenschaft. Die Fragerichtung ist deshalb als die "kognitive Ausdrucksform unseres jeweiligen Interesses an der Welt" (42)
anzusehen.
Die Frage ist ihrer Struktur nach durch Offenheit und Informationsbedürfnis gekennzeichnet. Ihr Wesen ist "das Offenlegen und Offenhalten von Möglichkeiten" (43). Linguistisch gewendet heißt das: "Die Frage ist gegenüber der Antwort, die auf sie folgt, ein Weniger an Information, nicht etwa ein Nichts an Information" (44). Um eine Frage stellen zu können, muß man folglich immer schon etwas wissen. Diese hermeneutische Implikation erfordert als Bedingung der Möglichkeit, Fragen zu stellen, empirisches Vorwissen. Wir wissen weder alles, noch sind wir unseres Wissens gewiß. Wir stellen Fragen, wenn wir uns eines Sachverhalts nicht sicher sind. Insofern ist eine Frage immer auch Zeichen mangelnder Gewißheit.
Die Fähigkeit, Fragen zu stellen, ist nicht vorgegeben, sondern muß gelernt werden. Entsprechend den unterschiedlichen Fragerichtungen und den verschiedenen Fragestellungen sind es jeweils andere Sozialisationskontexte, in denen die Fähigkeit, Fragen zu stellen, erworben wird. Die sozialisationstheoretisch fundierte Fachdidaktik wird hier ansetzen müssen, um den Zusammenhang von Lebenspraxis und Erkenntnisweisen in einem organisierten Lernprozeß herzustellen. In den einzelnen erlernbaren Fragen sind formale und inhaltliche Kategorien enthalten (45). Die fundamentalsten wie "Zeit", "Raum" und "Quantität" (wann? wo? wieviel?) ebenso, wie die spezialisiertesten: "Gewordenheit", "Verstehbarkeit", "Rechtfertigung", "Identität" usw. Fachspezifische Fragen implizieren fachspezifische Kategorien. Eine Wissenschaft lernen heißt, ihre grundlegenden Kategorien in Form von Fragen auf die Realität anzuwenden, um sich der Aussageintention dieser Disziplin zu vergewissern. Beim Erlernen einer Wissenschaft ist es nicht von Interesse, daß der Fragende überhaupt eine Antwort erhält, sondern daß er eine Antwort auf seine spezifische Frage erhält. "Zu fragen verstehen heißt verstehen lernen, was zugehörige von unzugehörigen Antworten unterscheidet" (46). [/S. 374:]
Die hier vorgenommene Betonung des Fragecharakters von Wissenschaft und Alltagswissen ist nicht allein für eine Theorie der Didaktik der politischen Bildung von Interesse, sondern hat eminente praktische Konsequenzen für die Unterrichtspraxis wie für die Konzeption von Schulbüchern: Das Erlernen von kategoriengesättigten Fragen ist die Voraussetzung für prozeßorientierten und schülerzentrierten Unterricht. Der Schüler muß in die Lage versetzt werden, die unterschiedlichen Frageweisen anzuwenden: Was bedeutet die quantifizierend-statistische Argumentationsweise bei der Untersuchung des Problems "Kernenergie"? Welchen Aussagewert haben mit statistischen Methoden errechnete Sicherheitsrisikos und statistische Prognosen? Welche Erfahrungen machte man in der Vergangenheit mit der Einführung neuer Technologien? Welche Motive und Interessen begleiteten sie? Welche neuen Arbeitsplatze schufen und welche vernichteten sie? Läßt sich dieser Vorgang quantifizieren? Wie legt man eine empirische Befragung an, und wie aussagekräftig ist sie? Ist eine Antwort immer eindeutig richtig oder vielleicht auch ihr Gegenteil? Wie muß man nach standortrelevanten Faktoren fragen? ... Die dieser Unterrichtskonzeption entsprechenden Schulbücher müßten konsequent von explizit ausgewiesenen - auch im grammatikalischen und linguistischen Sinne - Fragestellungen ausgehen, um beim Schüler einen Frage-, Denk- und Untersuchungsprozeß in Gang zu bringen, an dessen Ende ein stets revisionsbedürftiger Entscheidungsakt steht. Einer solchen Konzeption widersprechen diejenigen Schulbücher und Unterrichtsmaterialien, die sich nur formal und rhetorisch der Frage bedienen. Ihr folgt dann stets die "richtige" Antwort in Form eines "Merke". Die subtilere Variante dieser entmündigenden und affirmativen Konzeption versteckt den Merksatz im Lehrerbegleitheft. Alternativ dazu steht der um Erkenntnisweisen zentrierte Ansatz: Im selbstbestimmten und selbstbewußten Umgehen mit fachspezifischen Frageweisen und Methoden können Schüler ungefächerte gesellschaftlich-praktische Probleme in ein je eigenes Problembewußtsein umsetzen. [/S. 375:]

5. Kooperation, Integration, Eigenständigkeit

Kooperation, Integration und Eigenständigkeit sind nach der öffentlichen Diskussion der letzten Jahre als analytische Kriterien soweit abgeschliffen, daß sie zu partei- und standespolitischen Kampfbegriffen geworden sind. Sie bezeichnen aber nicht die unterschiedlich starke Verschmelzung von Fächern, sondern sie beziehen sich auf verschiedene Ebenen.
Kooperation ist die Zusammenarbeit unterschiedlicher Personen. Es arbeiten Träger verschiedener Berufsrollen zusammen, die ihre Rollen in unterschiedlichen Sozialisationskontexten und Sozialisationsprozessen erworben haben. Diese Sozialisationskontexte (= Wissenschaften) beruhen weithin auf einer organisatorischen Abschottung voneinander. Die gelungene Berufsrolle ist gerade dadurch definiert, daß man sich von den anderen Kontexten aktiv absetzt (Verbot der theoretischen "Spekulation" in der Geschichtswissenschaft, Warnung vor "Soziologisierung", Verbot des hermeneutischen Verfahrens in den empiristischen Disziplinen etc.).
Unabhängig davon, ob man die gerade praktizierte Arbeitsteilung für sinnvoll hält oder nicht, kommt man nicht um die Anerkennung wissenschaftlicher Arbeitsteilung überhaupt herum. Eine auf dem Verzicht der wissenschaftlichen Arbeitsteilung beruhende Integrationskonzeption muß unweigerlich wissenschaftliche Kompetenz in dilettierenden Common-sense überführen.
Voraussetzung für Integration ist aber, daß verschiedene Personen unterschiedlicher wissenschaftlicher Kompetenz auf der Grundlage einer systematischen Gesellschaftsanalyse, die in der Lage ist, die verschiedenen gesellschaftlichen Probleme zu benennen, kooperieren. Im nächsten Schritt müssen dann die einzelnen Disziplinen ihren eigenständigen Frageweisen folgen können.
Aus dem Gesagten ergibt sich die Abschlußthese: Die Begriffe "Kooperation", "Integration" und "Eigenständigkeit" stellen keine Alternativen oder graduellen Abstufungen dar. Die Problematiken, die diese Begriffe bezeichnen, sind [/S. 376:] auf verschiedenen Ebenen verortet: Kooperation bezeichnet das kommunizierende Zusammenarbeiten von Personen unterschiedlicher Fragerichtungen, die wissenschaftstheoretisch legitim distinkten Frageweisen setzen deren Eigenständigkeit voraus, und Integration bezieht sich auf das Problem- und Lösungswissen, das aus diesen Frageweisen, die ihre Impulse aus einer als problemhaltig begriffenen Gegenwart beziehen, resultiert.

Anmerkungen

(1) Zur besseren Darstellung der grundsätzlichen Probleme benutze ich die Begriffe "Integration" und "politische Bildung" im eingeschränkten Sinne:

  • Die Frage nach der Zusammenlegung und Zusammenarbeit von Unterrichtsfächern (Integrationsproblematik) beschränke ich der besseren Übersicht wegen auf drei Fächer: Geschichte, Geographie und Sozialkunde.
  • Da es eine Zweiteilung in politisch bildsame und unpolitische Fächer nicht gibt, also alle Fächer zur politischen Bildung beitragen, spreche ich, wenn nur die Fächer Geschichte, Geographie und Sozialkunde gemeint sind, von "politischer Bildung im engeren Sinne".

(2) Conze, Werner, Die Bedeutung der Sozialgeschichte für die politische Bildung, in: Historischer Unterricht im Lernfeld Politik. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. Heft 96, Bonn 1973, S. 21-25; hier: S. 16 Teppe, Karl, Das deutsche Identitätsproblem, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 20-21/76 vom 22.5.19 76, S. 36
(3) Schwarz, Richard, Interdisziplinarität der Wissenschaft als Problem und Aufgabe heute, in: ders. (Hrsg.), Internationales Jahrbuch für interdisziplinäre Forschung, Bd. 1 (Wissenschaft als interdisziplinäres Problem. Teil 1). Berlin 1974,S. 1-131; hier S. 63
(4) Daß Zukunft auch für die Geschichtswissenschaft eine erkenntnisleitende Kategorie ist, habe ich zusammen mit Klaus Bergmann an anderer Stelle gezeigt: Bergmann, Klaus und Pandel, Hans-Jürgen, Geschichte und Zukunft. Didaktische Reflexionen über veröffentlichtes Geschichtsbewußtsein, Frankfurt/M. 1975
(5) Fitterling, Dieter, Geschichte und gesellschaftswissenschaftlicher Unterricht, in: Ackermann, Paul (Hrsg.), Curriculumrevision im sozialwissenschaftlichen Bereich der Schule, Stuttgart 1973, 5. 223 (,‚Anmerkungen und Argumente" Bd. 6) [/S. 377:]
(6) Habermas, Jürgen, Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Frankfurt/M. 1976. Eder, Klaus, Die Entstehung staatlich organisierter Klassengesellschaften, Frankfurt/M. 1976, Messelken, Karlheinz, Zur Durchsetzung des Christentums in der Antike. Strukturell-funktionale Analyse eines historischen Gegenstandes, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 29 (1977), H. 2, S. 261-294.
(7) Waldmann, Peter, Zeit und Wandel als Grundbestandteile sozialer Systeme, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 23 (1971) S. 687-703. Luhmann, Niklas, Weltzeit und Systemgeschichte. Über die Beziehungen zwischen Zeithorizonten und sozialen Strukturen gesellschaftlicher Systeme, in: Ludz, Peter Christian (Hrsg.), Soziologie und Sozialgeschichte, Opladen 1973; Revers, Wilhelm, Josef, Das Zeitproblem in der Psychologie, in: Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 116 (1964). Barndt, Robert J. and Johnson, Donald M., Time orientation in delinquents, in: The Journal of Abnormal and Social Psychology, Vol. 51 (1955) S. 343-345.
(8) Das Problem des scheinbar paradoxen Zusammentreffens von falschem Selbstverständnis und richtiger praktischer Verfahrensweise bei manchen Wissenschaftlern kann hier nicht erörtert werden.
(9) Koselleck, Reinhart, Über die Theoriebedürftigkeit der Geschichtswissenschaft, in: Conze, Werner (Hrsg.), Theorie der Geschichtswissenschaft und Praxis des Geschichtsunterrichts, Stuttgart 1972, S. 13.
(10) Schaefer, Fred K., Exzeptionalismus in der Geographie, in: Bartels, Dietrich (Hrsg.), Wirtschafts- und Sozialgeographie, Köln/Berlin 1970, 5. 52.
(11) Bartels, Dietrich, Einleitung zu: ders. (Hrsg.), Wirtschafts- und Sozialgeographie, Köln-Berlin 1970, S. 34.
(12) Hofmann, Werner, Wissenschaft und Ideologie, in: ders., Universität, Ideologie, Gesellschaft, 4. Aufl., Frankfurt/M. 1969, S. 50.
(13) Lucas, Friedrich J., Der Beitrag des Geschichtsunterrichts zur politischen Bildung, in: Süssmuth, Hans (Hrsg.), Geschichtsunterricht ohne Zukunft? Stuttgart 1972, S. 157 (,‚Anmerkungen und Argumente" Bd. 1.2).
(14) Himmerich, Wilhelm, Didaktik als Erziehungswissenschaft, Frankfurt/M. 1970, S. 78 ff.
(15) Pöppel, Karl-Gerhard, Zum Verhältnis von Methode und Unterrichtsmethode, in: Vierteljahresschrift für Wissenschaftliche Pädagogik (1976),S. 168-193, hier: S. 183.
(16) Holtmann scheint diesen Ansatz zu verfolgen, vgl.: Holtmann, Antonius, Thesen zu einem Versuch, politisches Lernen sozialisationstheoretisch zu begründen, wissenschaftstheoretisch zu legitimieren und methodologisch zu organisie[/S. 378:]ren, in: Fischer, Kurt Gerhard (Hrsg.), Zum aktuellen Stand der Theorie und Didaktik der Politischen Bildung, Stuttgart 1977, S. 63-74.
(17) Koppe, Franz, Die historisch-hermeneutischen Disziplinen im System der Wissenschaften, in: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie VII/2 (1976), S. 259.
(18) Oelkers, Jürgen und Riemer, Holger-Jens, Überlegungen zur Begründung einer kritischen Geschichtswissenschaft, in: Geiss, Imanuel und Tamchina, Rainer (Hrsg.), Ansichten einer künftigen Geschichtswissenschaft, Bd. 1, München 1974, S. 90.
(19) Habermas, Jürgen, Nachwort 1973 zu: ders., Erkenntnis und Interesse, Frankfurt/M. 1973, S. 378.
(20) Die Substratfrage, welche Realität den Ergebnissen geistiger Operationen zukommt, kann in diesem Rahmen leider nicht diskutiert werden.
(21) Lucas, Friedrich J., Das St[u]dium an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Gießen 1965
(22) Lucas, Friedrich J., Der Bildungssinn von Geschichte und Zeitgeschichte. in Schule und Erwachsenenbildung, in: Süssmuth, Hans (Hrsg.), Geschichtsunterricht ohne Zukunft? Stuttgart 1972, ("Anmerkungen und Argumente" Bd. 1.2), S. 226.
(23) ebenda
(24) Lucas, Friedrich J., Zur Geschichts-Darstellung im Unterricht, in: GWU 16 (1965), H.5, S. 285
(25) vgl. dazu: Rüsen, Jörn, Für eine erneuerte Historik, Stuttgart-Bad Cannstatt 1976, und: Objektivität und Parteilichkeit. Hrsg. von Koselleck, Reinhart, Mommsen, Wolfgang J. und Rüsen, Jörn, München 1977.
(26) Pandel, Hans-Jürgen [1], Gesellschaftslehre und Interdisziplinarität, 1975 (unveröffentlichtes Manuskript).
(27) Mandelbaum, Maurice, Gesellschaftliche Sachverhalte, in: Giesen, Bernhard und Schmid, Michael (Hrsg.), Theorie, Handeln und Geschichte, Hamburg 1975, S. 217-229.
(28) In den allgemeinen Lernzielen lassen sich bis zu 4 fachspezifische Elemente feststellen.
(29) Diese Ergebnisse sind kein Spezifikum der Hessischen Rahmenrichtlinien Gesellschaftslehre. Die gleichen Befunde lassen sich bei der Analyse des "Grundkurses" von Rheinland-Pfalz feststellen.
(30) Wunderlich, Dieter, Tempus und Zeitreferenz, München 1970.
(31) Adorno, Theodor W., Einleitung zu: ders., Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, Neuwied 1969 (Sammlung Luchterhand 1972), S. 39.
(32) Der Hessische Kultusminister (Hrsg.), Rahmenrichtlinien Sekundarstufe 1. Gesellschaftslehre, Frankfurt/M. 1973, S. 18. [/S. 379:]
(33) Dieser Tatbestand wird von den Verfassern der Richtlinien selbst angemerkt.
(34) Krippendorff, Ekkehard, Internationale Beziehungen als Wissenschaft, Frankfurt/M. 1977, S. 27.
(35) Hentig, Hartmut von, Interdisziplinarität, Wissenschaftsdidaktik, Wissenschaftspropädeutik, in: Merkur 25 (1971), H. 9, S. 861.
(36) Die Zusammenstellung der Themen erfolgte nach der Zeitschrift Geographische Rundschau.
(37) Thema von Heft 2, 3. Jg., 1977, der Zeitschrift Geschichte und Gesellschaft. Die Themen der Beiträge dieser Zeitschrift lesen sich häufig wie eine Auflistung didaktisch relevanter gesellschaftlicher Probleme.
(38) Zum Problem "Frauenbefreiung" hat Bodo von Borries jetzt einen Aufsatz vorgelegt, der genau in die von mir avisierte Richtung weist. Hier wird deutlich, wie der durch Gegenwartsprobleme und disziplinäre Gebundenheit erzeugte Zusammenhang geradezu eine Ergänzung durch andere Disziplinen herausfordert: Borries, Bodo von, Frauenunterdrückung und Frauenbefreiung bei den Römern (1), in: Westermanns Pädagogische Beiträge 29 (1977), H. 10, S. 419-427.
(39) Vgl. dazu: Kuhn, Thomas S., Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt/M. 1967.
(40) ebenda, S. 154.
(41) ebenda, 5. 152.
(42) Beier, Christel, Zur Struktur des Totalitätsbegriffes in der kritischen Theorie Adornos, in: Ritsert, Jürgen (Hrsg.), Zur Wissenschaftslogik einer kritischen Soziologie, Frankfurt/M. 1976, S. 137.
(43) Gadamer, Hans-Georg, Wahrheit und Methode, Tübingen 1960, S. 283.
(44) Weinrich, Harald, Linguistik der Lüge, Heidelberg 1966, S. 54.
(45) Zur Kategorienfrage vgl.: Mayer, Ulrich und Pandel, Hans-Jürgen, Kategorien der Geschichtsdidaktik und Praxis der Unterrichtsanalyse. Stuttgart 1976.
(46) Lorenz, Kuno, Elemente der Sprachkritik, Frankfurt/M. 1970, S. 14.


Reinhardt, Sibylle: Didaktik der Sozialwissenschaften (1997)

Dieses Buch berichtet über Unterrichtserfahrungen und didaktische Reflexionen. Die konkreten Erfahrungen im Unterricht habe ich am Gymnasium Wuppertal-Vohwinkel in den Jahren 1970 bis 1994 und als Fachleiterin in der Referendarausbildung am Studienseminar I in Wuppertal gemacht. Die didaktischen Reflexionen sind in zahlreichen Arbeitszusammenhängen entstanden:

  • Fachkonferenz Sozialwissenschaften am Gymnasium Vohwinkel,
  • Fachgruppe Sozialwissenschaften im Lande Nordrhein-Westfalen,
  • Richtlinienkommission für den Politik-Unterricht in NRW,
  • Rahmenplangruppe für Politische Bildung in Brandenburg,
  • Moderatorengruppe für Lehrerweiterbildung in Brandenburg.

Die Möglichkeit, die Gedanken aufzuschreiben, verdanke ich der Martin-Luther-Universität in Halle an der Saale.
Die Mitglieder der gen. Arbeitsgruppen wird u. U. wenig von dem hier Gesagten überraschen, denn sie waren an der Entstehung der Gedanken bzw. Erfahrungen beteiligt. Auch gibt es eine Reihe von Veröffentlichungen, die Teile der Überlegungen enthalten. Allerdings handelt es sich dabei z. T. um Textsorten, die i. d. R. kein Bestandteil der universitären didaktischen Auseinandersetzung sind: Richtlinien, behördliche Verfügungen, Papiere für die Lehrerfortbildung, kommissionsinterne Arbeitspapiere. Manches aus diesen Texten möchte ich der allgemeineren didaktischen Diskussion zugänglich machen.
Im Lande Nordrhein-Westfalen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten (spätestens seit den 70er Jahren) eine Entwicklung im Fach "Sozialwissenschaften" in der gymnasialen Oberstufe abgespielt, der man vielleicht die Qualität der Traditionsbildung für ein Fach zusprechen kann.
Dieses Fach ist zu verstehen als Fortsetzung des Faches "Politik" in der Sekundarstufe I (in anderen Bundesländern heißt das entsprechende Fach am häufigsten "Sozialkunde"). Zentrales Unterscheidungsmerkmal ist die Akzentuierung von wissenschaftspropädeutischem Arbeiten.
Die Didaktik der politischen Bildung hat einen überzeugenden und auch gut dokumentierten Stand erreicht (vgl. Breit/Massing 1992, Kuhn/ Massing/Skuhr 1993, Mickel/Zitzlaff 1988, Gagel/Menne 1988, Gagel 1994). Sinnvollerweise ist in der didaktischen Literatur nicht nach Schulformen und Schulstufen getrennt worden, wenn auch natürlich Fragen der Lern- und Lehrsituation und von Entwicklungsprozessen behandelt wurden.
Mit dieser Didaktik der Sozialwissenschaften möchte ich eine Differenz betonen, die nach meiner Erfahrung für den Lehrer im Unterricht durchaus handlungsbestimmend ist, nämlich die Hinführung von Schülerinnen und Schülern zum wissenschaftlichen Arbeiten und damit zur Studierfähigkeit. Daß dies keinen Widerspruch zur politischen Bildung ergibt, wird sich zeigen lassen. Damit nehme ich einen Faden auf, den Calliess u. a. in ihrer "Sozialwissenschaft für die Schule" 1974 begonnen haben, wenn ich auch zu anderen Antworten komme.
Didaktik ist nach meiner Auffassung die theoretische Fassung des Professionswissens von Lehrern, also auf praktisches Handeln bezogen. Sie hat für den Lehrer die Funktion, Intuitionen in seinem Handeln aufzuklären und damit verfügbar zu machen, also zu sichern und zu verbessern. Zugleich muß Didaktik das Lehrerhandeln mit dem Versuch einer Diagnose der Zeit verknüpfen, damit Ziele und Legitimationen diskutierbar werden.
Die Gliederung des Buches ergibt sich aus dieser Zielsetzung: im ersten Kapitel stehen programmatische Überlegungen und im zweiten Kapitel wird die Struktur des Faches erläutert. Im dritten Kapitel wird anhand konkreter Beispiele die Realisierung zentraler didaktischer Elemente gezeigt. Auch wenn es dabei nicht um ein Verhältnis der Ableitung der jeweils folgenden Überlegungen gehen kann, hoffe ich doch, daß der innere Zusammenhang spürbar wird."

I: Der Sinn des Faches "Sozialwissenschaften"

a) Zeitbezug

[/S. 13:] "Die moderne Welt ist dadurch gekennzeichnet, daß sozialer Wandel sie zunehmend dynamisch prägt. Die Geschwindigkeit von Änderungen nimmt zu und auch die Reichweite der Änderungen. Es ist kein Lebensbereich vorstellbar, der sich dieser Tendenz entziehen könnte. Solche Dynamik ist nichts Neues; möglicherweise ist aber durch die zunehmende Radikalität dieses Prozesses eine neue Qualität für das Leben in dieser (Welt-)Gesellschaft und für die Strukturen dieser Gesellschaft entstanden.
Die Konsequenzen dieses sozialen Wandels für Individuen, Institutionen und Gesellschaft sind erheblich: eine feste, überdauernde Identität bzw. Struktur kann in einer Welt des Wandels nicht mehr angemessen sein. Eine eingeengte Identität, die sich aus der Übernahme rigider Regeln und Verhaltensweisen konstituiert, ist entgegen aller Hoffnung auf klare Verhältnisse keine Hilfe, denn das Individuum wird in Situationen mit neuen Anforderungen neue Problemlösungen finden müssen. Überkommene Strukturen hemmen womöglich nötigen Wandel oder die Suche nach besseren Formen eines guten und gerechten Lebens.
Da überlieferte Tatsachen-, Handlungs- und Sinnstrukturen nicht mehr unbedingt die Kraft haben (falls sie sie je hatten), für gesamtgesellschaftliche Integration zu sorgen, gelingende Interaktionen zwischen Menschen zu verbürgen und Identität zu stiften, müssen die Individuen in der modernen Gesellschaft in hohem Maße eigenverantwortlich und schöpferisch zu einem je auszuhandelnden Konsens über die Art und Weise ihres Zusammenlebens kommen.
Nicht nur der soziale Wandel ist der Grund für diese notwendige Flexibilisierung, sondern auf der Ebene des demokratischen Selbstverständnisses dieser Gesellschaft - wie es im Grundgesetz formuliert ist - verlangt die gleiche Würde aller, daß sie in einem steten Prozeß der Auseinandersetzung und Verständigung durch Konflikte hindurch zu einem [/S. 14:] Miteinander kommen und auch bereit sind, die gefundenen Regelungen in Frage stellen zu lassen und nach wiederum neuen Lösungen zu suchen.
Der gut und endgültig ausgebildete und erzogene Bürger ist schwer mehr denkbar: wenn sich vieles jederzeit ändern kann, dann ist Bildung auch die Fähigkeit des Menschen, mit wechselnden Verhältnissen auch wechselnde Entscheidungen zu treffen, auf die Änderungen Einfluß zu nehmen, neuartiges Wissen und neuartige Fähigkeiten und Bereitschaften entwickeln bzw. aufnehmen zu können, sie zu beurteilen und eigene Bedürfnisse einzubringen und zu vertreten - und dabei er selbst zu bleiben und sich mit anderen Menschen verständigen zu können.
Mit Stichworten wie "Individualisierung" und "Pluralisierung" oder auch "Globalisierung" und "Reflexivität" (vgl. Beck 1986 [2], Giddens 1995) verweist die Soziologie auf Vorgänge der Verflüssigung sozialer und psychischer Zusammenhänge, auf Vernetzungen und auf die Theoretisierung von Denken und Handeln. Umstellungen in zentralen Orientierungen (vom Bearbeiten der Knappheit zur Suche nach Erlebnis), Differenzierungen in Stilsphären und dabei die Bildung neuer (noch unbewußter) Großgruppen als Milieu-Segmente (vgl. Schulze 1992) sind weitere Elemente sozialen Wandels, bei deren Analyse jeweils versucht wird, materielle gesellschaftliche Prozesse in Verbindung mit psychischen Prozessen zu sehen. Auf die Risiken, die für persönliche Integrität und für gesamtgesellschaftliche Integration entstehen, weist besonders Habermas (z. B. 1985 und 1992) hin, dessen Diskurs- und Demokratietheorie vielleicht ein (utopischer) Denkweg zum Zusammendenken des Ganzen ist (vgl. auch Reinhardt 1995 [3] b).

b) Integrationsfach

Den Sozialwissenschaften (Soziologie, Ökonomie, Politologie) wird hier die Funktion zugetraut und zugewiesen, daß sie helfen können, soziale Erfahrungen aufzuschließen, Urteile zu prüfen und Entscheidungen vorzubereiten.
In den Wissenschaften ist aus historischen Gründen eine Trennung in Disziplinen erfolgt, die mit je eigenen Mitteln die gesellschaftlich-politische Realität zu bearbeiten versuchen. Diese Trennung in Disziplinen ist aber keine Trennung in der Sache selbst - die Grenzen der Fachgebiete sind keine Wirklichkeitsgrenzen. Die Rede von sozio-ökonomischen Bedingungen bei den Soziologen verlangt schon vom Wort her die Einbe[/S. 15:]ziehung der wirtschaftlichen Verfaßtheit; die Rede vom Wirtschaftssystem seinerseits verweist auf die politische Entscheidung eines Gemeinwesens für oder gegen bestimmte Systemstrukturen.
Differenzierung und Integration ergeben spezifische didaktische Probleme: wie läßt sich ein Fach konstruieren, dem die universitären Bezugswissenschaften keine klare Struktur (im Sinne von einheitlichen Modellen, Verfahren, Begriffen, Methoden und Ergebnissen) mitteilen?
Einerseits muß in der Hinführung zu wissenschaftlichem Arbeiten die Eigenart der je getrennten Disziplinen geachtet werden, andererseits muß im Interesse der Bildung junger Menschen in und für diese Gesellschaft die Einheitlichkeit sozialer Lebenswelten gewahrt bleiben. (Die Antwort wird hier mit einer bestimmten Sequentialität der Lernprozesses in der Oberstufe gegeben - vgl. unten.) Anders als bei Calliess et al. (1974, S. 17), die ohne plausible Begründung eine "soziologiezentrierte Sozialwissenschaft" entwerfen, wird hier keine der drei Disziplinen privilegiert.
Kompliziert wird dieses Problem von Spezialisierung und Zusammenfügung weiterhin dadurch, daß der Begriff der Sozialwissenschaften weit gefaßt werden muß, denn auch Bestandteile aus anderen Wissenschaften werden benötigt (z. B. historische, sozialpsychologische, philosophische, juristische, pädagogische).
Unabhängig von der fachspezifischen Komplikation der Pluralität von Bezugswissenschaften gilt für alle Unterrichtsfächer, daß sie ihre didaktische Struktur nicht direkt aus den Wissenschaften beziehen können (das wäre Abbild-Didaktik). Fachdidaktik hat zum Gegenstand die Vermittlung von Ergebnissen und Verfahren wissenschaftlicher Welterkenntnis mit den Bildungsprozessen von Lernenden.
Diese Aufgabe der "Übersetzung" oder "Transformation" ist nicht etwa Reduktion - wie der häufig benutzte Ausdruck der didaktischen Reduktion vermuten lassen könnte. Denn es geht nicht um irgendeine Verkleinerung von Wissenschaft, sondern die verwandte Wissenschaft ändert ihren Charakter in dieser Transformation (vgl. auch Grammes 1995, S. 11 f.).
Nicht allein wissenschafts-immanente Kriterien (wie Paradigmata, Traditionen, Karrieren - also Kriterien der sog. scientific community) entscheiden über die Hineinnahme von wissenschaftlichen Verfahrens-, Theorie- oder Ergebnisstücken in die schulische Lehre, sondern ihre dreifache Relevanz für

  1. die Erkenntnis von Welt (objektiver Erkenntnisbeitrag),
  2. die Aneignung dieser Welt durch den Schüler (subjektiver Erkenntnisbeitrag) und [/S. 16:]
  3. die Repräsentation von Wissenschaft (exemplarisches Beispiel für Erkennen).

(Ähnlich formulieren Calliess et al. 1974, S. 13 + 51 ff. Allerdings teile ich nicht ihre Schwerpunktsetzung, S. 72, wonach bei der Auswahl von Einzelbereichen für den Unterricht das primäre Kriterium die Repräsentanz der Disziplin - durch strukturelles Paradigma und methodisch zentrale Denkweise - sein müsse.)
Der sozialwissenschaftliche Unterricht hat eine notwendige Nähe zu praktischen Wertungen: Der Unterricht behandelt durchweg Themen, die im Alltag und im öffentlichen Leben Entscheidungs- und Beurteilungsprobleme darstellen. Keine Kultur ist denkbar ohne geteilte Grundnormen, keine Gesellschaft ist organisierbar ohne gemeinsame Werte - deshalb gehören Werte zum Objektbereich, also zum Sachverhalt. Ihre Klärung und die Auseinandersetzung über beanspruchte Gültigkeiten (einschließlich Ideologiekritik) ist damit ein Moment der Sache, in die Schüler im Unterricht eingeführt werden sollten.
Die moralische Reflexion ist nicht nur eine Notwendigkeit für die Praxis, sondern auch für das Verständnis von Theorien bzw. Realitätsstrukturen. Explizit oder implizit können in Theorien Wertbezüge (oder Moralen) enthalten sein, die als Prämissen die Theoriekonstruktion mitbestimmen. (Zum Beispiel ist im Konstrukt des homo oeconomicus ein bestimmtes Menschenbild mit einer ausgewählten Interaktionsstruktur, nämlich der des Tausches und seiner spezifischen Gerechtigkeit, enthalten).
Eine erzieherische Wirkung dieses Unterrichts kann sein, daß der Schüler einübt, praktische Fragen des individuellen und öffentlichen Lebens rationaler bearbeiten zu können. Solche Fragen gesellschaftlicher und individueller Lebenspraxis können die Handlungsplanung, bei der Ziel- und Mittelwahl der Diskussion unterzogen werden, oder die normative, also wertorientierte Rechtfertigung von Handlungen oder die Prüfung der Anerkennungswürdigkeit von Normen und Werten sein (vgl. Viechtbauer 1982).
Diese Erziehung zur Wertrationalität beinhaltet, daß der Schüler sich selbst der Auseinandersetzung um Werte stellt. Dabei geht es nicht um Konfession oder um eine große Emotion, sondern um die argumentative Auseinandersetzung um das bessere Argument, die den anderen in den Wertebezug als gleichberechtigten anderen mit hineinnimmt. [/S. 17:]

c) Ziele

Im Schulfach Sozialwissenschaften verschränken sich die - in einem engen Sinne - wissenschaftspropädeutische Zielsetzung und die erzieherische Dimension.
Richtlinien für das staatliche Schulwesen müssen heutzutage angeben, welche Zielvorstellungen ihre Herausgeber haben. Reine Stoffkataloge genügen nicht, denn sie lassen die Frage offen, wohin und zu welchem Ende Unterricht bzw. Erziehung führen sollen. Damit sind Richtlinien ein greifbarer Teil der Selbstverständigungsprozesse dieser Gesellschaft, was besonders die Richtlinien für politisch relevante Fächer brisant macht. Denn hier muß eine allgemeine Idee formuliert werden, wie Tempo und Richtung sozialen Wandels eingeschätzt werden und ob und wie das beeinflußt werden soll.
Die Richtlinien für den Politikunterricht in Nordrhein-Westfalen (3. Aufl. 1987) geben als Zielvorstellungen sog. Qualifikationen an, das sind Fähigkeiten und Bereitschaften zur Bewältigung von Lebenssituationen. Sie beschreiben insgesamt den mündigen Bürger und sind demnach einem Konzept lebenslangen Lernens verpflichtet (und nicht erreichbar mit Ende einer Schulzeit).
Ihr Richtwert "Emanzipation" hat in den 70er-Jahren heftige Kontroversen ausgelöst (vgl. Schörken 1974, Gagel/Schörken 1975, Gemein/ Kienel 1975). Die 3. Auflage der Richtlinien enthält wohl eine Formulierung, die weithin konsensfähig ist, weil sie die Dialektik von Individuum und Gesellschaft beschreibt, indem sie Ich-Bezug und Sozial-Bezug zu balancieren versteht:
"In der politischen Bildung verstehen wir heute darunter [Emanzipation] einen Lernprozeß, in dem Schülerinnen und Schüler die komplexer und schwerer durchschaubar werdende Welt besser begreifen, sich nicht blind in die Gegebenheiten fügen und aufgrund von Sachkenntnis und Urteilsfähigkeit bereit und fähig werden, Selbst- und Mitbestimmung in Politik und Gesellschaft zu praktizieren. (...)
Zu den Kriterien der Selbst- und Mitbestimmung gehört, daß die Interessen anderer ebenso wie eigene Interessen bedacht werden. Emanzipationsprozesse sind nicht nur als individuelle, sondern auch als solidarische Akte zu verstehen und müssen sich stets unter dem Prinzip sozialer Verantwortung legitimieren.
Die Schüler und Schülerinnen müssen lernen, daß sie mit zunehmendem Alter für ihr Handeln selbst verantwortlich werden und daß Selbstverwirklichung ihre Grenzen im gleichen Anspruch anderer haben muß." (S. 7 f.)
Die Konsensmöglichkeit von Richtwerten für den Politikunterricht ist auch dadurch gefördert worden, daß im sog. Beutelsbacher Konsens auf[/S. 18:]grund von Diskussionen in den 70er-Jahren (vgl. Breit/Massing (Hg.) 1992, Kapitel III) eine gemeinsame didaktische Vorstellung von Unterrichtsprozessen entstand: das Überwältigungsverbot und das Prinzip der Kontroversität verlagerten notwendige Konflikte (ohne die tragfähige Konsense nicht zu erzielen sind) in den Unterricht hinein. Damit war die Entscheidung in Streitfragen nicht vorab von Richtlinien oder Lehrern getroffen, sondern - gemäß der Zielsetzung des Aktivbürgers - den lernenden Individuen übergeben.
Mit der glücklichen Formulierung "Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung" als Erziehungsziel wurde im allgemeinen Teil aller Richtlinien für die gymnasiale Oberstufe in Nordrhein-Westfalen eine vergleichbare Grundvorstellung vertreten. Diesem Erziehungsziel wurde als Unterrichtsziel "Wissenschaftspropädeutische Ausbildung" an die Seite gestellt, womit der Akzent der gymnasialen Oberstufe betont wurde.
Zwar erscheint dieses Nebeneinander von Unterrichts- und Erziehungszielen nicht sehr plausibel (vgl. oben: auch Wissenschaft ist eine sehr soziale und häufig wertgebunden-politische Veranstaltung), aber die analytische Trennung kann wiederum leicht ineinander gedacht werden. Die Autoren der Richtlinien für das Fach Sozialwissenschaften (1981/ 1991) entwickelten Qualifikationen zu so genannten Entwicklungstendenzen dieser Gesellschaft, in denen jeweils Chancen und Gefahren gesehen wurden (1981, S. 47-54; eine Kurzfassung bei Reinhardt [3] 1989, S. 212). Als wertende Bezugspunkte wurden - in Anlehnung an Hilligens Optionen (z. B. 1991) - Menschenwürde in einer demokratischen Ordnung, Freiheit in Verantwortung, Chancengleichheit und Toleranz/Solidarität gewählt.
"Die ... Qualifikationen und Lernziele stehen ... im Einklang mit denen des Politik-Unterrichts, auf dem der Unterricht im Fach Sozialwissenschaften aufbaut." (S. 47) Dieser Einklang von Qualifikationen/Lernzielen politischer Bildung, die schulformunabhängig und stufenübergreifend gelten, und Zielvorstellungen wissenschaftspropädeutischen Arbeitens als Spezifikum stärker theoriebezogenen Vorgehens wird im (vorläufigen) Rahmenplan für Politische Bildung in Brandenburg (die von den nordrhein-westfälischen Richtlinien mit beeinflußt sind) sehr klar zum Ausdruck gebracht: Die Qualifikationen für Politische Bildung sind dieselben wie in dem Rahmenplan für die Sekundarstufe I; ihnen sind als zweiter Katalog "Wissenschaftspropädeutische Lernziele" hinzugefügt, die die Aufgabe der gymnasialen Oberstufe akzentuieren:
Diese Fassung hat den Vorteil, daß sie zum einen eine generalisierbare Vorstellung von "Demokratie lernen" enthält und zum anderen die Zu[/S. 19:]nahme an Theoretisierung in der Wissenschaftswelt und in der Alltags- und Berufswelt erfaßt.
Die Kombination beider Zielvorstellungen ist dem institutionellen Kontext der gymnasialen Oberstufe angemessen aus Gründen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und wegen der Entwicklungsmöglichkeiten der Lernenden als Subjekten von Bildungsprozessen."

Qualifikationen im Fach Politische Bildung

Wissenschaftspropädeutische Lernziele:

Fähigkeit und Bereitschaft,
  1. sich in gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen Zusammenhängen zurechtzufinden, Herrschaftsverhältnisse nicht ungeprüft hinzunehmen, sie in ihrem zeitgeschichtlichen Bezug zu verstehen, sie auf ihren Sinn, auf ihre Zwänge, Zwecke und Notwendigkeiten hin zu befragen und die ihnen zugrundeliegenden Interessen, Normen und Wertvorstellungen kritisch zu prüfen;
  2. die neuen Chancen zur Einflußnahme auf gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Strukturen, Herrschaftsverhältnisse und Entscheidungsprozesse kritisch zu hinterfragen, zu verstehen, zu nutzen und mitzugestalten;
  3. Kommunikation und Kommunikationsmittel als wichtigen Faktor beim demokratischen Umbau in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu verstehen, Motive, Interessen und Machtgefälle zu prüfen und Teilnahmechancen wahrzunehmen.
  4. in politischen Alternativen zu denken und zu lernen, sich zu engagieren, auch gegen Widerstände Entscheidungen auf demokratische Weise herbeizuführen, in unterschiedlichen sozialen Gruppen mitzuarbeiten und dabei Belastungen auszuhalten;
  5. sich selbst zu verwirklichen, eigene Vorstellungen vom glücklichen [S. 20:], erfüllten Leben zu entwickeln und in sozialer Verantwortung wahrzunehmen, eigene Rechte und Interessen zu vertreten, aber auch gesellschaftliche Interessen und Interessen anderer (z. B. Benachteiligter) zu erkennen und ihnen ggf. den Vorrang zu geben;
  6. das Lebensrecht und die Eigenständigkeit anderer Gesellschaften zu akzeptieren, für wirksame Sicher-heitskonzepte und für die Interessen benachteiligter Völker einzutreten, auch individuelle Verantwortung für globale Probleme zu erfassen;
  7. durch eigenes Verhalten und durch Teilnahme an Bürgerinitiativen und Bürgerbewegungen Verantwortung für heutige und künftige Lebensbedingungen mit zu übernehmen;
  8. die Arbeit als Bedingung für individuelle und gesellschaftliche Existenzsicherung und als Faktor für Selbstverwirklichung und politische Beteiligung zu verstehen und dies im individuellen Lebenskonzept zu berücksichtigen, sich für die Demokratisierung und Humanisierung der Arbeitswelt einzusetzen.
  1. Kenntnisse über unterschiedliche Ansätze sozialwissenschaftlicher Methoden und Theorien,
  2. Kenntnisse über Begriffs-, Hypothesen- und Modellbildung,
  3. Fähigkeit zu zeitgeschichtlichen Betrachtungsweisen,
  4. Einsicht in die Begrenztheit und Vorläufigkeit wissenschaftlicher Aussagen,
  5. Bereitschaft und Vermögen, wissenschaftliche Neugier zu entwickeln und Freude an wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zu empfinden,
  6. Fähigkeit und Bereitschaft, sich im politischen Bereich selbständig und kreativ, engagiert und konsequent, systematisch und deutlich mit unter-schiedlichen Theorien und Erklärungsversuchen auseinanderzusetzen,
  7. Fähigkeit, Erkenntnisse der sozialwissenschaftlichen Teildisziplinen bei der Analyse gesellschaftlicher Tatbestände und Probleme anzuwenden und soweit wie möglich zu integrieren,
  8. Fähigkeit und Bereitschaft, wissenschaftliche Ergebnisse miteinander zu erarbeiten und für das eigene Handeln nutzbar zu machen,
  9. Einsicht, daß es individuelle und gesellschaftliche Bereiche gibt, die mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden nicht zureichend zu erfassen sind,
  10. Fähigkeit und Bereitschaft, wissenschaftliches Arbeiten als sozialen [S. 20:] Prozeß zu erkennen und die Interessengebundenheit wissenschaftlichen Arbeitens zu prüfen,
  11. Fähigkeit und Bereitschaft, die sozialen Voraussetzungen und Folgen wissenschaftlichen Arbeitens zu bedenken und entsprechend verantwortlich zu handeln.
aus: Rahmenplan (vorläufig) für Politische Bildung - gymnasiale Oberstufe, Sekundarstufe II im Land Brandenburg. Hg.: Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg. Potsdam: Brandenburgische Universitätsdruckerei 1992, S. 26 f.

II. Die Struktur des Faches "Sozialwissenschaften"

[/S. 21] [...]

c) Welche Entwicklung zeigt das Lernen?

[/S. 44] [...]

Die Sequentialität des Integrationsfaches [S. 56-59]

"Entwicklung von Lernen heißt dreierlei, wovon bis hierher zwei Punkte entfaltet worden sind:

  1. Der Umgang mit politisch-sozialer Welt entwickelt sich vom primären Subjektbezug hin zur Reflexion über die Reflexion, wobei die Ebene der Meta-Reflexion die Zugriffe aller Stufen vorher einschließt.
  2. Der Umgang mit Theorie erfaßt zunehmend viele Elemente von Wissenschaftspropädeutik (vgl. die "Rede von Methoden"), und dieser Umgang wird durch Übung komplexer und souveräner, also selbständiger.
  3. Der Umgang mit den Sozialwissenschaften als Integrationsfach entwickelt sich von disziplin-spezifischen Bearbeitungen zum bewußten Integrieren auf Gegenstände, die dies nötig machen.

Der dritte Punkt soll jetzt als letzter Punkt genauer entfaltet werden.
Erinnert sei an das Problem: Die soziale Welt ist eine einheitliche Welt, auch wenn "Soziales", "Ökonomisches" und "Politisches" häufig als getrennte Subsysteme empfunden werden und die Menschen im Alltag recht gekonnt (wenn auch i. a. unbewußt) zwischen den unterschiedlichen Imperativen wechseln. Viele gesellschaftliche Probleme (als Beispiel [/S. 57:] nehme man nur "Umwelt") offenbaren aber Interdependenzen und Vernetzungen, die die in Disziplinen getrennten Sozialwissenschaften nicht je einzeln erfassen können. Deshalb muß das Schulfach ein Integrationsfach sein.
Andererseits haben sich die Disziplinen als spezielle entfaltet, und ein Teil ihrer jeweiligen Qualität hat sicher mit dieser Arbeitsteilung und Spezialisierung zu tun. Studierfähigkeit und also Erkenntnisfähigkeit kann dieses Moment von Wissenschaftswissen nicht überspringen. Deshalb muß der Unterricht die Disziplinen als je eigene achten und zeigen. Wie geht dieser Widerspruch in einen Lernprozeß ein, ohne daß es ein schlechter Widerspruch (weil unfruchtbarer, nur Durcheinander erzeugender, nur falsche Logik behauptender) ist?
Die Diskussion um die Richtlinien Sozialwissenschaften und den Rahmenplan Politische Bildung (1981/1991 bzw. 1992) hat drei Möglichkeiten für die geforderte Differenzierung und Integration ergeben, die dann die Sequentialität des Lernens bestimmen lassen:
Zum einen können wir uns die Differenzierung + Integration vorstellen als die Addition von Einzelwissenschaften, wobei die drei Teildisziplinen Soziologie, Ökonomie und Politologie durch fachspezifische Zugangsweisen auf ein Thema repräsentiert werden. Ein Beispiel: Arbeitslosigkeit als Problem hat deutlich identifizierbare soziale, wirtschaftliche und politische Problemseiten, die vornehmlich von der jeweils ,zuständigen' Disziplin thematisiert werden. Fügt man diese Ansätze zusammen, so erhält man ein besseres Bild des Problems und der drei Disziplinen.
Zum zweiten können wir uns die Differenzierung + Integration vorstellen als die Arbeit mit Leitwissenschaften, wobei die jeweils die Untersuchung leitende Disziplin an geeigneten Problemstellen über "Brücken" mit einer der anderen Disziplinen verknüpft wird. Ein Beispiel: Die Untersuchung des Marktgeschehens unter der Frage nach der Koordination von Einzelhandlungen wird als eine Prämisse und auch Realitätselement die Konkurrenz herausstellen. Da freie Konkurrenz aber aus sich selbst heraus (also dialektisch) zur Selbstabschaffung tendiert, muß zur Erhaltung der freien Marktwirtschaft ein Außenfaktor (also der Staat) für ihre Sicherung sorgen. Die politische Regelung, wie sie im Kartellgesetz als legislativem Bestandteil und dem Kartellamt als exekutivem Bestandteil verkörpert ist, bringt zentrale Elemente des politischen Systems in die Betrachtung (Gewaltenteilung, Gewaltenverschränkung).
Zum dritten können wir uns die Differenzierung + Integration vorstellen als Interdisziplinarität, wobei eine Verknüpfung der verschiedenen Disziplinen über das Thema bzw. den Gegenstand gefordert und herge[/S. 58:]stellt wird. Ein Beispiel: Erscheinungen und Probleme des Nord-Süd-Konflikts würden in verkürzter Weise reduziert, wenn sie entweder als wirtschaftliches oder als soziales oder als politisches Geschehen angegangen würden. Der Gegenstand provoziert das Zusammenwirken der Disziplinen. Dieses Zusammenwirken ist dann kein unbewußtes Zusammenrühren, sondern ein kontrolliertes Einsetzen, wenn vorher ein Bewußtsein der Disziplinen näherungsweise entstanden ist.
Schaltet man diese drei Modelle des Zusammenhangs der Disziplinen hintereinander, dann entsteht eine Vorstellung von Sequentialität, also davon, wie der Lernprozeß sich entwickeln kann und wie er demnach gefördert werden kann. (Eine Schülerin drückte das in Jahrgang 13 einmal so aus: allmählich schließe sich der Kreis).
Im Rahmenplan Politische Bildung von Brandenburg ist dieses Sequenz-Modell in der folgenden Weise notiert (vgl. S. 61; die Komplikation durch die KMK-Vorschrift, feste Anteile Geschichte in der Oberstufe zu garantieren, lasse ich hier weg).

Sequentialität des Faches: Politische Bildung als Integrationsfach


IntegrationsartenErläuterung

1. Additive Verknüpfung:Der Ausgangspunkt dieser Integrationsart ist die Existenz selbständiger Teildisziplinen, die in den Lernfeldern und in den diesen zugeordneten Themen repräsentiert sind.
Soziologie + Ökonomie + Politologie

2. Leitwissenschaftliches Arbeiten:Unter Leitwissenschaft wird diejenige Disziplin verstanden, die für das jeweilige Thema dominant ist, aber über "Brücken", "Aspekte" oder Dimensionen mit einer anderen Disziplin oder beiden anderen verbunden ist.
2. Disziplin
Leitwissenschaft →
3. Disziplin

3. Interdisziplinäre Integration:Die Komplexität der Realität erfordert Rahmenthemen, für deren Behandlung der spezielle Beitrag der einzelnen Disziplinen abzurufen und zu verknüpfen ist.

Thema
SoziologieÖkonomiePolitologie

Rahmenplan Politische Bildung - gymnasiale Oberstufe (Brandenburg 1992, S. 32)
[/S. 59:] Den idealtypischen Charakter auch dieses Modells möchte ich noch einmal betonen: die Sequenz kann nicht schlüssig im Sinne präziser Prüfbarkeit die Lernprozesse strukturieren. In der Realität des Unterrichts werden Elemente aus allen drei Integrationsarten immer wieder vorkommen; aber übers Ganze gesehen, kann bzw. wird der Unterricht im Fach "Sozialwissenschaften" je nach Lernpunkt der Gruppe in einem frühen Stadium eher additiv verfahren, später eher leitwissenschaftlich, schließlich zunehmend auch interdisziplinär.
Diese Sequentialität in der Oberstufe beschreibt insgesamt sicher noch einmal (im Sinne einer Spiralstruktur) den Weg vom konkreten Arbeiten zum abstrakten Auswerten - hier auf der Ebene von Wissenschaftspropädeutik. Gemeint ist damit die Fähigkeit zur Meta-Reflexion ohne Verlust des Welt- und Personbezuges.
Die Legitimität des Unterrichts bemißt sich also sowohl an einem Bild von Gesellschaft und von Zielvorstellungen als auch an einer Vorstellung von Möglichkeiten und der Entwicklung der Lernenden. Die Struktur des Faches ist die Beschreibung institutionalisierter Bemühungen um die Förderung junger Menschen in einer Gesellschaft im Prozeß der Demokratisierung.
Der Akzent der gymnasialen Oberstufe, in Theorie einzuführen und den Umgang mit Theorie verfügbarer zu machen, steht nicht im Widerspruch zur politischen Bildung, schränkt sie auch nicht ein. Reflexivität von Mechanismen finden wir in vielen Lebensbereichen; Theoriefähigkeit ist in einer Gesellschaft ohne gesicherte Integrations- und Identitätsmechanismen notwendiger Aspekt von Konflikt- und Konsensfähigkeit, die ohne Distanz im Engagement, ohne Reflexion in der Empörung, ohne Objektivierung des Subjektiven nicht auskommt.
Es ist - wie hoffentlich gezeigt - möglich, den anspruchsvollen Lernvorgang in der Sekundarstufe I und in der gymnasialen Oberstufe zu beschreiben. Daraus ergibt sich, daß diesen sinnvollen Entwicklungsprozessen die nötige Zeit gegeben werden sollte. Daß das o. a. Konzept nicht in 12 Schuljahren und nicht mit Reststunden im Fach auch nur näherungsweise realisiert werden kann, ist sicher ohne Explikation deutlich geworden."

Literaturverzeichnis [Auszug]

  • Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt: Suhrkamp 1986
  • Breit, Gotthard/Massing, Peter (Hg.): Grundfragen und Praxisprobleme der politischen Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 1992
  • Calliess, Elke/Edelstein, Wolfgang/Hopf, Diether/Keller, Monika/Krappmann, Lothar/Petry, Christian/Raschert, Jürgen/Reindel, Helga: Sozialwissenschaft für die Schule. Umrisse eines Struktur- und Prozeßcurriculum. Stuttgart: Klett 1974
  • Gagel, Walter/Schörken, Rolf (Hg.): Zwischen Politik und Wissenschaft. Politikunterricht in der öffentlichen Diskussion. Opladen: Leske + Budrich 1975
  • Gemein, Gisbert/Kienel, Hartmut (Hg.): Politik und Unterricht. Wer bestimmt, was Schüler lernen? Richtlinien für den Politikunterricht in der Diskussion. Essen: Neue Deutsche Schule Verlagsgesellschaft 1975
  • Giddens, Anthony: Konsequenzen der Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995 (zuerst 1990)
  • Grammes, Tilman: Handlungsorientierung im Politikunterricht. Hannover: Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung 1995
  • Habermas, Jürgen: Die neue Unübersichtlichkeit. in: ders.: Die neue Unübersichtlichkeit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1985, S. 141-163
  • Habermas, Jürgen: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1992
  • Hilligen, Wolfgang: Didaktische Zugänge in der politischen Bildung. Schwalbach, Ts.: Wochenschau 1991
  • Rahmenplan (vorläufig) für Politische Bildung im Lernbereich "Gesellschaftslehre" der Sekundarstufe I im Land Brandenburg. Hg.: Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg. Potsdam: Brandenburgische Universitätsdruckerei 1991
  • Rahmenplan (vorläufig) für Politische Bildung - gymnasiale Oberstufe, Sekundarstufe II im Land Brandenburg. Hg.: Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg. Potsdam: Brandenburgische Universitätsdruckerei 1992
  • Reinhardt, Sibylle: Unterricht, Didaktik und Lehrerausbildung in Politik und Sozialwissenschaften in Nordrhein-Westfalen. in: Rothe, Klaus (Hg.): Unterricht und Didaktik der politischen Bildung in der Bundesrepublik. Aktueller Stand und Perspektiven. Opladen: Leske + Budrich [4] 1989, S. 199-231
  • Reinhardt, Sibylle: "Handlungsorientierung" als Prinzip im Politikunterricht. Sinn - Begriff - Unterrichtspraxis. in: Politisches Lernen 1995, Heft 1-2, S. 42-52 (1995 a)
  • Reinhardt, Sibylle: Werte-Wandel und Werte-Erziehung - Perspektiven politischer Bildung. in: Buchen, Sylvia/Weise, Elke (Hg.): Schule und Unterricht vor neuen Herausforderungen. Weinheim: Deutscher Studien Verlag 1995, S. 117-145 (1995 b)
  • Richtlinien für den Politikunterricht in Nordrhein-Westfalen. Hg.: Der Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen. Frechen: Ritterbach 1987 (3. Auflage)
  • Richtlinien Sozialwissenschaften für die gymnasiale Oberstufe in Nordrhein-Westfalen. Hg.: Der Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen. Köln: Greven Verlag 1981 (veränderter Nachdruck 1991 bei Ritterbach in Frechen)
  • Schörken, Rolf (Hg.): Curriculum "Politik". Von der Curriculumtheorie zur Unterrichtspraxis. Opladen: Leske 1974
  • Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt, New York: Campus 1992 (2. Auflage)
  • Viechtbauer, Hans-Peter: Erziehung zur Rationalität? Überlegungen zu einer Aufgabe des sozialwissenschaftlichen Unterrichts. in: Gegenwartskunde 1982, Heft 3, S. 335-346

Otto, Karl A.: Die Bedeutung der Soziologie in der sozialwissenschaftlichen Lehrerausbildung (1997)

1 Fachübergreifende Problemorientierung in der politischen Bildung

Für die sozialwissenschaftliche Lehramtsausbildung ist typisch, daß sie in fachübergreifenden Studiengängen stattfindet. Die Art und Zahl der beteiligten Fächer, ihre zeitlichen und inhaltlichen Anteile variieren jedoch je nach Studiengang und Studienort ganz erheblich [...]. Das ist nicht nur auf eine teilweise sachfremde Konkurrenz der Fächer, sondern auch auf Unsicherheit in der Frage zurückzuführen, welche Bedeutung den einzelnen Disziplinen in den jeweiligen Fächerkombinationen zukommt. So ist schon die auf den ersten Blick durchaus plausible Vorstellung, daß "der Kern" der politischen Bildung "das Politische" und folglich Politikwissenschaft die zentrale Bezugswissenschaft sei (vgl. Sander [5] 1997, S. 17, 21, 32 ff.; Massing 1996, S. 124; Bundeszentrale 1994, S. 13 und "Darmstädter Appell" 1996), in kritischer Sicht durchaus zweifelhaft, weil das "Politische" selbst strittig ist und zudem erst im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext verständlich wird (so in der Auseinandersetzung mit dem "Darmstädter Appell"; vgl. Kahsnitz 1996 und Henkenborg [6] 1996, S. 165; Henkenborg schreibt zur Auseinandersetzung um den Politikbegriff: "Sicher hat ein weiter (soziologischer) Politikbegriff Risiken (Überforderung, Allzuständigkeit. Ressourcenknappheit), und unbestritten bietet ein enger (politologischer) Politikbegriff Vorteile (Begrenzung der knappen Fachressourcen auf ein Proprium). Politische Bildung läßt sich - heute weniger denn je - trotzdem nicht auf einen engen Politikbegriff begrenzen, denn: politikwissenschaftliche Analysen der 'politischen Gesellschaft' (Greven), der 'Entgrenzung der Politik' (Beck) oder der 'life-politics' sehen das Neue in der Politik ja gerade darin, daß in der modernen Gesellschaft 'virtuell alles politisch geworden' (Greven) ist" (S. 165)). Versuche, in dieser Frage mehr Klarheit durch Rekurs auf die Systematik etwa von Soziologie, Politikwissenschaften etc. zu gewinnen, sind m. E. schon deshalb aussichtslos, weil die Kombination von Fächern und die Integration von Fachanteilen nur im Hinblick auf einen außerhalb der Fächer liegenden Zweck Sinn macht. Was der "angemessene" Beitrag eines Faches im Rahmen eines interdisziplinären Studiums ist oder sein könnte, kann deshalb nur im Hinblick auf Funktionen bestimmt werden, die ein Studiengang nach Maßgabe jeweiliger Studienordnungen hat oder haben sollte. Diese "Maßgabe" ist in jedem Fall didaktisch begründet und daraus [/S. 300:] folgt zunächst, daß der inhaltliche Beitrag der Soziologie oder anderer Disziplinen zur sozialwissenschaftlichen Lehramtsausbildung nicht nach Erfordernissen der Systematik des Faches, sondern nach den Zielen und Aufgaben der fachübergreifenden Studiengänge zu bemessen ist.

Wenn wir als Beispiel Nordrhein-Westfalen nehmen, und hier die Universität Bielefeld, so ist die Soziologie an folgenden interdisziplinären Lehramtsstudiengängen beteiligt:

  • "Sachunterricht/Gesellschaftslehre" (SU/GL) der Primarstufe (Klasse l - 4);
  • "Sozialwissenschaften" (Sowi) der Sekundarstufen I und II (Klasse 5-10 und 11 - 13);
  • "Erziehungswissenschaftliches Studium für das Lehramt" (ESL).

[...] Anders als das ESL-Studium sind die Studiengänge "Sozialwissenschaften" und "Sachunterricht/Gesellschaftslehre" auf entsprechende Schulfächer bezogen. Eine Eigenart dieser Unterrichtsfächer ist, daß es sich um "Lernbereiche" handelt (in der Primarstufe ist politische Bildung Bestandteil des Lernbereichs "Sachunterricht", in [/S. 301:] der Sekundarstufe I heißt der Lernbereich "Gesellschaftslehre" (Geschichte/Politik) und in der Sekundarstufe II "Sozialwissenschaften"), die jeweils mehrere Bezugswissenschaften haben, die in einem didaktisch begründeten Zusammenhang stehen. Diese Bezugswissenschaften sind auch an den entsprechenden Studiengängen beteiligt. Für den Lernbereich "Sachunterricht" sind das im Studiengang SU/GL: Geographie, Geschichte, Soziologie, Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft. Für den Lernbereich "Sozialwissenschaften/Politik" sind das im Sowi-Studiengang Soziologie, Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft und in Bielefeld zudem - als Ausnahme in NRW - Geschichte im Verständnis einer historischen Sozialwissenschaft.

Aus der Lernbereichskonstruktion ergibt sich eine weitreichende didaktische Konsequenz, die auch für die sozialwissenschaftliche Studiengangskonzeption eingefordert werden muß: die systematische Zusammenfügung der an den Lernbereichen beteiligten Fachgebiete. Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand - und mehr noch in der Praxis - handelt es sich noch weitgehend um ein Desiderat und insofern um eine innovative Aufgabe. Diese Aufgabe wirft Fragen auf, die theoretisch und praktisch noch ohne zureichende Antwort sind:

  • Ist das sachliche und methodische Wissen der beteiligten Fächer im Unterricht am zweckmäßigsten additiv, integrativ oder kooperativ zusammenzufügen?
  • In welchem Verständnis ist Integration überhaupt möglich im Hinblick auf die für die Einzelwissenschaften konstitutiven Unterschiede der Fragestellungen, Gegenstände und Methoden und der dadurch bestimmten curricularen Prämissen der Fächer?
  • Läßt sich der integrative Ansprach unterrichtspraktisch überhaupt einlösen bzw. in welcher Form?

Diese Fragen haben auch für die sozialwissenschaftlichen Studiengänge und die Studienorganisation grundlegende Bedeutung, da für die Integrationsveranstaltungen im Studium vergleichbare Probleme zu lösen sind. Zum konzeptionellen Vorverständnis gehören dabei folgende Überlegungen:

Die Schulfächer mit politischen Bildungsaufgaben intendieren einerseits die Förderung politisch-sozialer Urteils- und Handlungskompetenz der Schüler/innen, andererseits Vorbereitung auf den Fachunterricht der nachfolgenden Schultypen bzw. auf das Hochschulstudium. Diese Schulfächer sind also der didaktischen Grundfunktion nach zweierlei: politisch-soziale Bildung und Fach- bzw. Wissenschaftspropädeutik. Dementsprechend erfordert auch die Ausrichtung der schulfach- bezogenen Studiengänge auf diese Doppelfunktion eine Studienorganisation, bei der sowohl in die grundlegenden Inhalte, Erkenntnisweisen und Fragestellungen sozial- wissenschaftlicher Disziplinen eingeführt wird, als auch fächerübergreifende Studien zu komplexen gesellschaftlichen Themen unter didaktischen - vorwiegend problem- und handlungsorientierten - Fragestellungen ermöglicht werden. Diese Zusammenfügung, die in einer rein fachwissenschaftlichen Konstruktion des [/S. 302:] Studiengangs kaum Bestand haben könnte, findet Rückhalt vor allem in der - wiederum didaktisch relevanten - Einsicht, daß es angesichts zunehmender Vernetzung sozialer, politischer, ökonomischer und kultureller Prozesse, Systeme und Problemlagen für politisches Urteilen und Handeln in allen gesellschaftlichen Bereichen unabdingbar geworden ist, das in je spezifischer Weise erschlossene und systematisierte Wissen der sozialwissenschaftlichen Disziplinen bei der Analyse und Lösung gesellschaftlicher Probleme jeweils aufeinander bezogen zu verarbeiten. So würde es z. B. nicht ausreichen, politisch auf das Phänomen zunehmender Gewaltbereitschaft etwa nur mit dem Wissen zu reagieren, das Individual- und Sozialpsychologie oder Soziologie oder Politikwissenschaft usw. dazu erarbeitet haben.

Damit kommen wir auf die Frage zurück, auf welche Weise der wechselseitige Bezug hergestellt, die jeweiligen Fachanteile des sozialwissenschaftlichen Studiengangs begründet ausgewählt und integriert werden können, und somit auch, welche Bedeutung die Soziologie in diesem Zusammenhang haben kann.

Versuche, die Integrationsaufgabe zu lösen, lassen sich nach dem bisherigen Stand der fachdidaktischen Diskussion am ehesten über den Bezug der Fächer auf gesellschaftliche Probleme realisieren (grundlegend hierzu: Pandel [7] 1978). Denn wie weit wir das Netz sozialwissenschaftlicher Studien spannen müssen und wie dabei die Fächer miteinander verknüpft werden, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Problems ab, das untersucht wird, und davon, wie es definiert und dimensioniert wird (ausführlich bei Kapp 1983, S. 208-214). [...] Welche der [..] Problemdimensionen zum Gegenstand von Unterricht und Studium gemacht werden, und welche Fächer folglich unterrichts- bzw. studienrelevant sind, ist letztlich nur vom jeweiligen - mit der Problemdefinition verbundenen - Erkenntnisinteresse und den sich daraus ergebenden Fragestellungen her zu entscheiden. Dieser problemorientierte Integrationsansatz deckt sich auch mit einem Politikbegriff, der politisches Handeln als eine prinzipiell "endlose Kette von Versuchen zur Bewältigung gesellschaftlicher Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben" (vgl. Massing/Skuhr 1993, S. 247) beschreibt. Ein vorweg bestimmter Dominanzanspruch eines Faches erscheint in dieser Sicht jedenfalls als unbegründet und sogar kontraproduktiv.

[/S. 304:]

2 Studienelemente und Struktur der sozialwissenschaftlichen Studiengänge

Dem Prinzip eines problemorientierten, fächerübergreifenden und möglichst integrierten Studiums der Sozialwissenschaften entsprechen die derzeitigen Studienordnungen allerdings nur ansatzweise.

[...] Der achtsemestrige Studiengang "Sozialwissenschaften" (vgl. Studienordnung Bielefeld 1997 [8]) für die Sekundarstufe II im Umfang von 60 SWS [...] [ist] ein Drei-Fächer-Ministudium, das zwar im Rahmen vorgegebener Teilgebiete aus Politikwissenschaft, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft (mit entsprechenden Wahl- und Pflichtveranstaltungen) erfolgt, curricular aber [..] nicht geregelt ist. [...]
[/S. 305:]
Fächerübergreifende und integrierte sowie fachdidaktische Studiengangselemente [...] sind im Sowi-Studium [...]:

  • Grundkurs "Einführung in die Sozialwissenschaften" (4 SWS),
  • Methodenveranstaltung "Methoden empirischer Sozialforschung" (4 SWS),
  • Integrationsveranstaltung I (4 SWS),
  • Integrationsveranstaltung II (4 SWS + 2 SWS),
  • Fachdidaktik.

Für die Integrationsveranstaltungen [gibt es] [...] eine curriculare Rahmenorientierung [...], die ausführliche Hinweise zu Art, Funktion und Durchführung dieser studiengangsspezifischen Veranstaltungen enthält. Danach werden im fächerübergreifenden "Grundkurs" die Studienanfänger/innen in Gegenstandsbereiche, Fragestellungen, Methoden und Theorieansätze der beteiligten Disziplinen sowie in interdisziplinäres Denken und Arbeiten bei der Analyse gesellschaftlicher Probleme eingeführt. Der Grundkurs wird von mindestens zwei Lehrenden der am Studiengang beteiligten Fakultäten durchgeführt und von Tutorien begleitet.

[...]

Die Integrationsveranstaltung I wird - wie der "Grundkurs" - in der Regel von mehreren Lehrenden der am Studiengang beteiligten Fakultäten durchgeführt. Diese Form des Team-Teaching soll eine disziplinübergreifende sozialwissenschaftliche Analyse ausgewählter gesellschaftlicher Probleme ermöglichen. Die Veranstaltung "soll dazu einerseits die Kenntnis der spezifischen Beiträge verschiedener sozialwissenschaftlicher Disziplinen zu problemorientierten Fragestellungen, andererseits [/S. 306:] die Fähigkeit vermitteln, diese Beiträge für die Bearbeitung politischer Entscheidungs- und Handlungsprobleme gegebenenfalls neu zu strukturieren" (§ 9 der StO Sowi).

Die Integrationsveranstaltung II ist ein Verbund von Theorie und Unterrichtspraxis. Sie wird gleichfalls von Lehrenden aus mindestens zwei Fakultäten durch- geführt und verbindet die Aufgaben der Integrationsveranstaltung I mit der Vermittlung fachdidaktischer Qualifikationen und mit schulpraktischen Studien.

3 Die Bedeutung der Soziologie am Beispiel problemorientierter Curricula

Didaktischer Fixpunkt der interdisziplinären sozialwissenschaftlichen Studiengangselemente ist die oben dargelegte didaktische Doppelfunktion der Schulfächer und daraus folgend die Problemorientierung des Studiums. Konzeptionell und in der Studienpraxis wird mit der problembezogenen Fächerintegration noch experimentiert. Es kristallisiert sich aber eine curriculare Grundstruktur heraus, die den Integrationsanspruch offenbar einlösen kann und an der sich auch inhaltlich nachweisen läßt, inwiefern Soziologie für ein fachübergreifendes, problemorientiertes Studium unverzichtbar ist. Zu diesem Nachweis führen folgende Überlegungen:

l. Das Ziel politischer Urteils- und Handlungsfähigkeit schließt immer die Befähigung ein, sich in politisch-gesellschaftlichen Problemfeldern sachkundig machen, Probleme beschreiben und analysieren zu können. Gesellschaftliche Probleme können aber - wie auch dem Schaubild zu entnehmen ist - nicht zureichend beschrieben, analysiert, beurteilt und gelöst werden, wenn der Zugang zum Problem nur aus der Perspektive einer Wissenschaftsdisziplin gesucht wird. Denn praktische Probleme sind - im Unterschied zu theoretischen Problemen - ungefächert (vgl. Pandel 1978, S. 368 [9]).

Das läßt sich an jedem problemhaltigen Beispiel nachweisen: Sei es die Umweltproblematik, Arbeitslosigkeit, Armut, Fremdenhaß, Migration oder der Golfkrieg - immer handelt es sich um vieldimensionale Sachverhalte und Ereigniszusammenhänge, die zahlreiche Gründe/Ursachen und Folgewirkungen haben und unter ganz verschiedenen Erkenntnisinteressen und Fragestellungen "Thema" sein können. [...] [/S. 307:] Psychologie und Sozialpsychologie könnten in diesem Beispiel [Golfkrieg; d. Red.] Verhaltensweisen und Verhaltensmuster der maßgeblichen Akteure erklären, Politikwissenschaft könnte Aufschluß geben über Machtphänomene, Mechanismen der politischen Willensbildung, des inter- und supranationalen Krisenmanagements usw., und Soziologie könnte Beiträge leisten zur Aufklärung der Systemzwänge und gesellschaftlichen Strukturen, die den Handlungsrahmen für die Aktivitäten der individuellen und kollektiven Akteure in dieser Krisensituation bildeten. Ein multiperspektivischer, fächerübergreifender Zugang ist also unverzichtbar.

2. Welche Wissenschaftsdisziplinen für die politische Urteils- und Handlungskompetenz relevant sind, inwieweit also die verschiedenen Fächer an der politischen Bildung und darauf bezogenen Studiengängen zu beteiligen sind, läßt sich ebenfalls nicht aus der Sicht einer Einzelwissenschaft klären, sondern nur im Hinblick auf konkrete gesellschaftliche Probleme oder Problemtypen (z. B. sogenannten "Schlüsselproblemen" wie Krieg, Armut/Hunger, Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung und Massenmigration). Ausgangspunkt fächerübergreifender Studien sind deshalb nicht Übersichten über Theoriebestände und Methodenrepertoires von Politikwissenschaft, Soziologie usw. als einer Art "Vorratswissen" für die Befassung mit Problemen, sondern die Probleme selbst. Erst nach der Definition einer Situation, eines Ereigniszusammenhangs etc. als Problem, erst nach dessen Dimensionierung als politisches, ökonomisches, soziales oder rechtliches Problem, und erst wenn vom Problem her Fragen an die Bezugsdisziplinen gerichtet werden, haben Multidisziplinarität und Multiperspektivität ihre methodische Berechtigung (vgl. Pandel 1978, S. 368 [9]); erst danach wird auch der für die Problembearbeitung erforderliche Fächeranteil absehbar.

3. Eine nur additive Zusammenfügung von fachspezifischen Fragestellungen, Methoden, Begriffen, Theorien innerhalb eines Problemhorizonts reicht aber nicht aus. Wir wissen dann noch nicht, welche Bedeutung bestimmte Ursachen in einem Wirkungszusammenhang haben; welche Ursachen/Gründe in der Ursachenhierarchie dominant sind; was zufällig und was wesentlich ist. Ohne die Möglichkeit zur Gewichtung und Bewertung von Bedingungsfaktoren gesellschaftlicher Probleme kann die Folge bloßer Multiperspektivität auch Orientierungslosigkeit und politische Handlungsunfähigkeit sein. Daraus ergibt sich als Konsequenz: Die fächerübergreifende Problemanalyse muß so organisiert sein, daß sie eine begrifflich geordnete Zusammenhangsvorstellung ermöglicht. Das wiederum gelingt nur, wenn die problemrelevanten Elemente und Teilinhalte verschiedener Fächer unter übergeordneten Gesichtspunkten zusammengefaßt und integriert werden. Durch eine solche Zuordnung bekommen die fachspezifischen Erkenntnisbeiträge eine Struktur - sie bilden einen Erklärungs- und Bedeutungszusammenhang. [/S. 308:]

4. Die integrierenden übergeordneten Gesichtspunkte werden aus theoretischen Konstrukten gewonnen, die der Definition und Analyse von Problemen sowohl vorgängig als auch nachträglich als Interpretationsrahmen dienen.

Probleme sind mit bestimmten Ereignissen nicht einfach vorhanden, sondern Ereignisse werden als Problem oder problematisch gedeutet. Z. B. wird Lohnkürzung im Krankheitsfall von Arbeitnehmern in vielerlei Hinsicht als Problem, von Unternehmen als Lösung von Problemen interpretiert. Ein Ereignis oder Verhalten wird - wie Fandet überzeugend dargelegt hat - erst dann als problematisch definiert, wenn es "einer sozialen Norm widerspricht, eine Erwartung enttäuscht oder eine erwartete Regelmäßigkeit durchbricht ... Die Existenz eines Systems von normativen Erwartungen gibt den Hintergrund ab, auf dem ein Ereignis zu einem Problem werden kann - vor dem ein Ereignis fragwürdig wird" (Pandel 1978, S. 366 [10]). Daraus folgt: Jede Problemdefinition setzt bereits ein vorgängiges Verständnis voraus, eine Zusammenhangsvorstellung von Bedingungsfaktoren, Problemursachen, Akteursmotiven usw. sowie eine Deutung der vermuteten Ursachen, Bedingungsfaktoren usw.

Dieses vorgängige Verständnis kann im Alltagsdiskurs aus Deutungsangeboten der Massenmedien stammen, die von den "Problemverursachern" meist gleich mit- geliefert werden, oder aus Vorurteilen und Vorkenntnissen, aus Verallgemeinerung von Lebenserfahrungen. Wissenschaftlich fundiert wird die Problemanalyse allerdings erst durch Rückfragen an die Bezugswissenschaften, durch Rückgriff auf sozialwissenschaftliche Theorien - und an diesem Punkt wird nun die Bedeutung von Soziologie für die sozialwissenschaftliche Lehramtsausbildung vollends deutlich: ohne Wissen über soziale Systeme und ihre Funktionen, über soziale Strukturen, soziale Ungleichheit, System- und Sozialintegration, ohne theoretische Vorstellung von der Gesellschaft (etwa als "Risikogesellschaft") und ihrem strukturellen Wandel, ohne Theorie über die Interdependenzgeflechte von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik bliebe schon konzeptionell der Zugang zu dem Wissen darüber verbaut, "wie die alles umfassende soziale Organisation das Verhalten ihrer Teile formt und lenkt", welche funktionalen Beziehungen zwischen dem Ganzen und seinen Bestandteilen bestehen. An dieser Feststellung kommen wir nicht vorbei: "Wirtschaftliche oder politische Fragen können solange nicht angemessen behandelt werden, als sie ausschließlich als wirtschaftliche oder politische gesehen werden" (Kapp 1983, S. 189, 208).

Zusammenfassend ergibt sich daraus für die Integrationsveranstaltungen der sozialwissenschaftlichen Studiengänge folgende didaktische Struktur:

Erster Schritt: Problembeschreibung und Problemdefinition. Dabei ist zu klären, inwiefern ein Sachverhalt, Ereignis etc. ein Problem ist und um welche Art von Problem (politisches, ökonomisches, rechtliches usw.) es sich handelt. Dazu sollte [/S. 309:] auch die Benennung des normativen Hintergrunds der Problemwahrnehmung und Darlegung des Erkenntnisinteresses gehören.

Zweiter Schritt: Analyse und Dimensionierung des Problems nach dem Muster des Schaubilds. Sie soll alle Faktoren erfassen, die im problematischen Sachverhalt oder Ereigniszusammenhang eine Wirkung/Bedeutung haben. Die dadurch bewirkte Sinnfälligkeit der Komplexität realer gesellschaftlicher Probleme soll bei den Studienanfänger/innen Verständnis für den Zusammenhang der sozialwissenschaftlichen Bezugsdisziplinen wecken und zugleich die Einsicht vermitteln, daß das Ziel politischer Bildung (einen Beitrag zur Entwicklung politischer Urteils- und Handlungsfähigkeit zu leisten) ein interdisziplinäres wissenschaftliches Vorgehen bedingt.

Dritter Schritt: Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands je nach Erkenntnisinteresse unter didaktischen Relevanzaspekten. Es muß entschieden werden, welche Problemdimensionen berücksichtigt und eingehender untersucht werden sollen und auf welche Fragen die Untersuchung eine Antwort geben soll. Formulierung von Annahmen zu den Untersuchungsfragen.

Vierter Schritt: Aufarbeitung von Forschungs- und Erkenntnisbeiträgen der einzelnen Bezugswissenschaften. Mit welchen Anteilen diese einbezogen werden, hängt von den Fragen ab, die vom Problem her an die Soziologie, Politikwissenschaft etc. gerichtet werden. [...]
Anders als die Integrationsveranstaltungen dient der "Grundkurs" in erster Linie nicht der Aufarbeitung des Problems, sondern der Einführung in die Denkweisen der Disziplinen anhand eines Problems. Die Studierenden sollen dabei

(1) erkennen, daß der wissenschaftliche Erkenntnisprozeß arbeitsteilig organisiert und dadurch in jeweils spezifischer Weise begrenzt ist;
(2) die Fähigkeit erwerben, in den drei nomothetischen Sozialwissenschaften (Soziologie, Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft) denken zu lernen (wozu insbesondere auch Einübung in die Besonderheit der soziologischen Denkweise gehört);
(3) lernen, worin sich die Fächer hinsichtlich ihrer Gegenstandsbereiche, Fragestellungen, Methoden, Schlüsselbegriffe und Theorieansätze unterscheiden, und wie sie sich im Hinblick auf die Problemanalyse systematisch aufeinander beziehen lassen. [/S. 310:]

Literatur

Bundeszentrale für politische Bildung [11] (1994) (Hrsg.): Politikdidaktik kurzgefaßt, Schriftenreihe Bd. 326. Bonn.
Darmstädter Appell (1996). In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 47/96, S. 34-38.
Henkenborg, P. [6] (1996): Politische Bildung neu denken: Skizzen zu einer Umbruchsituation. In:
Weidinger, D. [12] (Hrsg.): Politische Bildung in der Bundesrepublik. Zum 30jährigen Bestehen der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung. Opladen, S. 160-167.
Kahsnitz, D. (1996): Politische Bildung: Ohne Krisenbewußtsein in der Krise. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 47/96, S. 23-33.
Kapp, K. W. (1983): Erneuerung der Sozialwissenschaften. Ein Versuch zur Integration und Humanisierung, Frankfurt a. M.
Massing, P. (1996): Plädoyer für einen politischen Politikunterricht. In: Weidinger, D.: Politische Bildung in der Bundesrepublik. Opladen, S. 124-127.
Massing, P./Skuhr, W.: Die Sachanalyse - Schlüssel für die Planung von Unterricht. In: Gegenwartskunde, H 2/1993, S. 241-275.
Pandel, H.-J. [13] (1978): Integration durch Eigenständigkeit? [7] Zum didaktischen Zusammenhang von Gegenwartsproblemen und fachspezifischen Erkenntnisweisen. In: Schörken, R. (Hrsg.): Zur Zusammenarbeit von Geschichts- und Politikunterricht. Stuttgart 1978, S. 346-379.
Sander, W. [14] (1997): Theorie der politischen Bildung: Geschichte - didaktische Konzeptionen - aktuelle Tendenzen und Probleme. In: Sander, W. (Hrsg.): Handbuch politische Bildung. Schwalbach/Ts., S. 5-45.
Studienordnung der Universität Bielefeld (1996) [15] für den Studiengang Lernbereich Sachunterricht Gesellschaftslehre als Schwerpunkt mit dem Abschluß Erste Staatsprüfung für das Lehramt der Primarstufe vom Dezember 1996.
Studienordnung der Universität Bielefeld (1997) [8] für den Studiengang Sozialwissenschaften mit dem Abschluß Erste Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe II vom Januar 1997.


MSWWF NRW: Lehrpläne Sozialwissenschaften Sekundarstufe II (1999)

1 Aufgaben und Ziele des Faches

1.1 Didaktische Konzeption und fachliche Anforderungen

[S. 5:] [...]

"Entsprechend hat sozialwissenschaftlicher Unterricht immer zwei Zielrichtungen: Er will die Menschen als gesellschaftliche Produkte und als Gestalter der Gesellschaft zugleich verstehen und damit sowohl gegen ein verdinglichtes als auch gegen ein idealistisch überhöhtes Selbstverständnis anarbeiten. Kompetentes Handeln in gegebenen gesellschaftlichen Strukturen und kritisch-selbstreflexives Nachdenken über gesellschaftliche Formungen und die engagiert-verantwortliche Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme sollen gefördert werden. Beide Lernbewegungen (gesellschaftliche Kompetenz und gewissenhafte Selbstreflexion) sollten bei keinem Thema auseinander gerissen werden, nur in ihrer Verbindung sind sie bildend.

Sie erfordern nicht enzyklopädische Kenntnisse über alle gesellschaftlichen Entwicklungen, aber sozialwissenschaftliches Orientierungs-, Erschließungs-, Erklärungs- und Handlungswissen in Inhaltsfeldern, die gesellschaftlich bedeutsam sind:

  • Marktwirtschaft: Produktion, Konsum und Verteilung
  • Wirtschaftspolitik
  • Individuum, Gruppen und Institutionen
  • Gesellschaftsstrukturen und sozialer Wandel
  • Politische Strukturen und Prozesse in Deutschland
  • Globale politische Strukturen und Prozesse." [S. 5]

[S. 7:] "Zur wissenschaftspropädeutischen Ausbildung leistet das Fach Sozialwissenschaften folgende Beiträge: Die Schülerinnen und Schüler sollen

  • grundlegende und exemplarisch vertiefte Gegenstände und Methoden der Leitdisziplinen Soziologie, Wirtschaftswissenschaft und Politikwissenschaft kennen,
  • sie bei der Analyse gesellschaftlicher Tatbestände und Probleme anwenden und soweit wie möglich integrieren und kritisch, d. h. auch hinsichtlich ihrer Reichweite, einschätzen können
  • dazu Kenntnisse über sozialwissenschaftliche Begriffs-, Hypothesen- und Modellbildung erwerben und zwischen deskriptiven und normativen Betrachtungsweisen unterscheiden können
  • die Notwendigkeit des multiperspektivischen Zugriffs auf die Gegenstände der Sozialwissenschaften erkennen und zum jeweils adäquaten Zugriff fähig sein, um zu differenzierten Urteilen zu gelangen
  • die Einsicht gewinnen, dass wissenschaftliche Aussagen stets vorläufig und begrenzt sind und dass es individuelle und gesellschaftliche Bereiche gibt, die mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden nicht zureichend zu erfassen sind
  • die Fähigkeit und Bereitschaft zu wissenschaftlicher Neugier und Freude an fachwissenschaftlichen Auseinandersetzungen entwickeln
  • die ihnen entgegentretende Beschreibung des politischen/ökonomischen/sozialen Umfeldes als interessenbeeinflusst und mit impliziten Vorannahmen behaftet erkennen
  • [S. 8:] die Fähigkeit und Bereitschaft entwickeln, die sozialen Voraussetzungen und Folgen wissenschaftlichen Arbeitens zu bedenken und entsprechend verantwortlich zu handeln
  • die Fähigkeit und Bereitschaft entwickeln, sich im politischen Bereich selbstständig und kreativ, engagiert und konsequent, systematisch und deutlich mit unterschiedlichen Theorien und Erklärungsversuchen auseinander zu setzen
  • die Fähigkeit und Bereitschaft zu selbsttätigem Lernen entwickeln
  • die Fähigkeit und Bereitschaft entwickeln, mit ändern arbeitsteilig Problemfragen zu stellen, Materialbeschaffung zu übernehmen, sich über Methoden zu verständigen, Teilergebnisse zusammenzutragen und unter Darlegung der Begrenztheit des Zugriffs und der Methoden und Vorannahmen adressatengerecht zu formulieren, ein gemeinsames Ergebnis darzustellen, ungelöste, offene Fragen als solche zu bezeichnen, moralische Dilemmata (Zielkonflikte) offen zu legen
  • bereit sein, auch ihre persönliche Position darzustellen, zu begründen und über Dissense hinwegzukommen und zu kooperieren." [S. 7 f.]

Fachdidaktische Kriterien [S. 8:]

[...]

"Gemeinsam mit dem Politikunterricht in der Sekundarstufe I ist dem sozialwissenschaftlichen Unterricht in der gymnasialen Oberstufe im Prinzip ein Lernprozess, der von der verstehenden Analyse überschaubarer Situationen zu komplexen Problemen führt, in der Absicht, dass die Lernenden Fähigkeiten erwerben, die sie zur Bewältigung von politisch relevanten Situationen jetzt oder später benötigen. Gemeinsam sind also die fachdidaktischen Kriterien der Situations- und der Problemorientierung [...]" [S. 8].

"Das Unterrichtsfach Sozialwissenschaften integriert die drei zentralen Teildisziplinen der Sozialwissenschaften (Soziologie, Wirtschaftswissenschaft, Politikwissenschaft) und fügt mit dem jeweiligen Thema in Zusammenhang stehende Aspekte aus anderen Disziplinen hinzu. Integration ist für das Fach prinzipiell konstitutiv, um gesellschaftliche Wirklichkeit in ihrer Komplexität zu erfassen und verantwortliche Urteils- und Handlungskompetenz zu ermöglichen. Grenzen der Integration liegen dort, wo sich Inhalte und Methoden der einzelnen Disziplinen wesentlich unterscheiden oder wo für die Schülerinnen und Schüler der Lernprozess zu komplex und unübersichtlich wird [...]" [S. 10].

1.2 Zusammenarbeit mit anderen Fächern

Der Integrationscharakter des Faches

[S. 12:] "Da das Fach Sozialwissenschaften als Integrationsfach konstruiert ist, können die in diesem Fach bewährten Formen der Integration auch Anregungen für einen fachübergreifenden und fächerverbindenden Unterricht enthalten. Deshalb werden an dieser Stelle die Integrationsformen dargestellt. Konstitutives Prinzip des Unterrichtsfaches Sozialwissenschaften ist die Integration der drei Disziplinen Politikwissenschaft, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft. Das Unterrichtsfach Sozialwissenschaften ist als Integrationsfach konstruiert, um gesellschaftliche Wirklichkeit in ihrer Komplexität zu erfassen sowie verantwortliche Urteils- und Handlungskompetenz (soziale, politische, wirtschaftliche) zu ermöglichen.

Fachdidaktische und fachwissenschaftliche Schwierigkeiten ergeben sich daraus, dass sich die drei Bezugsdisziplinen an den Hochschulen weitgehend getrennt entwickelt haben mit je spezifischen Erkenntnisobjekten, Inhalten und Methoden. Zwar hat es verschiedene Ansätze zu einer Synthese der Bezugsdisziplinen gegeben, sie sind jedoch nicht prägend geworden. In der universitären Lehrerausbildung für das Unterrichtsfach Sozialwissenschaften werden die Bezugsdisziplinen noch häufig getrennt vermittelt und erst in den fachdidaktischen Seminaren zusammengeführt. Deshalb ist es notwendig, das Prinzip der Integration im Verständnis des Lehrplans näher zu bestimmen.

Die Komplexität gesellschaftlichen Handelns und gesellschaftlicher Systeme lässt sich analytisch in eine soziale, wirtschaftliche und politische Dimension gliedern. Diese Dimensionen spiegeln sich didaktisch reflektiert in den sozialwissenschaftlichen Denkweisen (siehe unten) sowie in den Inhalts- und Methodenfeldern des Faches Sozialwissenschaften. Das Integrationsprinzip besteht darin, die Dimensionen des sozialwissenschaftlichen Denkens, die Inhalts- und Methodenfelder aufeinander zu beziehen und so weit wie möglich miteinander zu verknüpfen. Das Integrationsprinzip hat jedoch dort seine Grenzen, wo sich Inhalte und Methoden der einzelnen Teildisziplinen deutlich unterscheiden und eine Integration zu einer zu hohen Komplexität der Bearbeitung und der damit verbundenen Gefahr der Unübersichtlichkeit führen würde.

[S. 13:] Wie andere Unterrichtsfächer auch nimmt das Fach Sozialwissenschaften zur Abgrenzung und Ergänzung auf Inhalte anderer Disziplinen (z. B. Recht, Mathematik) Bezug und greift auf deren Methoden im Sinne von 'Hilfswissenschaften' zurück. Dadurch wird jedoch nicht der spezielle Charakter des Faches Sozialwissenschaften als Integrationsfach berührt. Inhaltlich ist die Integration durch die obligatorische Berücksichtigung aller Inhaltsfelder mit ihrer je unterscheidbaren Nähe zu den drei Teildisziplinen [...] zu gewährleisten.

Die Teildisziplinen unterscheiden sich nicht nur inhaltlich, sondern auch zum Teil in ihren Methoden der Erkenntnisgewinnung. Integration bedeutet nicht, dass im Unterrichtsfach Sozialwissenschaften diese Unterschiede eliminiert werden, sondern dass entsprechend der wissenschaftspropädeutischen Zielsetzung der gymnasialen Oberstufe neben den gemeinsamen auch die spezifischen Methoden der Teildisziplinen bei der Analyse gesellschaftlicher Tatbestände und Probleme exemplarisch anzuwenden und in Bezug auf ihren Gültigkeitsanspruch sowie ihre Leistungsfähigkeit einzuschätzen sind. Wie die Inhaltsfelder gehören auch die Methoden als gesondert ausgewiesener Bereich des Faches Sozialwissenschaften zum obligatorischen Bestandteil der Richtlinien.

Integration auf der Methodenebene ist durch die obligatorische Berücksichtigung der angeführten Methoden mit ihrer je unterscheidbaren Nähe zu den drei Teildisziplinen aber auch im Verhältnis ihrer gegenseitigen Ergänzung bei der Analyse gesellschaftlicher Probleme zu gewährleisten.

Das für das Unterrichtsfach Sozialwissenschaften konstitutive Prinzip der Integration ist im Unterricht auf drei Weisen möglich; über additive Verknüpfung, Integration über die Leitwissenschaften und interdisziplinäre Integration:

  • Integration erfolgt durch die Addition der drei Teildisziplinen: Die unterschiedlichen Zugriffsweisen der soziologischen, der ökonomischen und der politikwissenschaftlichen Disziplin werden neben- bzw. nacheinander bei der Bearbeitung eines gesellschaftlichen Problems verdeutlicht.
  • Integration über Leitwissenschaften soll bedeuten, dass die inhaltliche Füllung der Inhaltsfelder von jeweils einer Teildisziplin bestimmt wird, die jedoch über Dimensionen und Aspekte mit einer anderen Teildisziplin oder beiden anderen Teildisziplinen verknüpft wird.
  • Interdisziplinäre Integration ist die anspruchsvollste Form der Integration, die der Komplexität der gesellschaftlichen Realität am angemessensten ist. Die erarbeiteten Zugriffsweisen der einzelnen Teildisziplinen werden zusammengeführt, um ein komplexes Thema, welches das Zusammenwirken der Teildisziplinen erfordert, zu bearbeiten. Im Gegensatz zur additiven Verknüpfung der Teildisziplinen wird hier ein bewusstes, kontrolliertes Miteinander der Teildisziplinen notwendig, bei dem die Lernenden die sozialwissenschaftlichen Denkweisen unterscheiden und anwenden sollen. Interdisziplinarität auf einem angemessenen wissenschaftspropädeutischen Niveau setzt also das Bewusstsein von Disziplinarität voraus.

[S. 14:] Sozialwissenschaftliches Denken: Integrations- und Kooperationschancen

Wenn im Folgenden die Dimensionen sozialwissenschaftlichen Denkens entfaltet werden, geschieht dies unbeschadet möglicher Anklänge an fachwissenschaftliche Schulen und Paradigmen in didaktischer Absicht. Es ist hier also nicht beabsichtigt, verschiedene sozialwissenschaftliche Theorieansätze darzustellen und zu würdigen. Vielmehr wird auf Aspekte sozialwissenschaftlichen Denkens verwiesen, die sich sowohl unter fachlichen Aspekten als auch im Hinblick auf die allgemeinen Lernziele der gymnasialen Oberstufe als didaktisch fruchtbar erwiesen haben und Kooperationschancen mit anderen Fächern bieten.

Sozialwissenschaftliches Denken in seiner soziologischen Dimension ist u. a. dadurch charakterisiert, dass Gesellschaft in allen Teilbereichen als menschliches Produkt aufgefasst wird, d. h. der Mensch ist der Hervorbringer der Gesellschaft.

Gesellschaft in allen ihren Teilbereichen ist historisch gewachsen und veränderbar. Gleichzeitig tritt Gesellschaft dem Menschen so wie die Natur als objektive Wirklichkeit entgegen, weil er in eine bestimmte Gesellschaft hineingeboren und durch sie gewissermaßen zum gesellschaftlichen 'Produkt' wird. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Urheberschaft für Gesellschaft im Alltagsdenken der Menschen verloren geht. Die Folge ist eine Verdinglichung des Denkens. Verdinglichung bedeutet menschliche Phänomene (Werte, Normen, Rollen, Institutionen, Herrschaft, Theorien etc.) so aufzufassen, als ob sie außer- oder übermenschliche Dinge wären, quasi Naturgegebenheiten, die nicht veränderbar sind. Verdinglichung ist ein Phänomen, dass uns auf allen gesellschaftlichen Ebenen entgegentritt, häufig unter Berufung auf angebliche Sachzwänge, unveränderliche Gesetzmäßigkeiten. Wissenschaftliche Theorien werden nicht selten dazu benutzt, solche Verdinglichungen zu legitimieren und sie auf diese Weise der Kritik zu entziehen, um gegebene gesellschaftliche Strukturen unangreifbar zu machen. Auf diese Weise begeben sich Menschen in eine ungewollte oder nicht notwendige Unmündigkeit. Eine aufklärerische Funktion sozialwissenschaftlichen Denkens besteht also darin, solchen Tendenzen im Denken und Handeln entgegenzuwirken. Eindimensionales Denken, ein Denken ohne Alternativen, widerspricht dieser Sichtweise genauso wie die Annahme der Unveränderbarkeit der Gesellschaft und ihrer Ordnungssysteme. Die Analyse solcher Verdinglichungstendenzen jenseits eines naiven Aufklärungsoptimismus mit Hilfe soziologischer Verfahren ist eine Form der Ideologiekritik mit wissenschaftspropädeutischem Anspruch. Dies ist ein ergiebiger Ansatz für die Zusammenarbeit des Faches Sozialwissenschaften mit anderen Fächern.

Sozialwissenschaftliches Denken in seiner ökonomischen Dimension ist u. a. durch das Rationalitäts- und das Knappheitsprinzip charakterisiert.

Ökonomisches Denken und Handeln orientieren sich im Rahmen von Institutionen und Organisationen an diesen Prinzipien. Dabei kann es zu einer Diskrepanz zwischen individueller und gesellschaftlicher Rationalität kommen. Was individuell rational ist und zur Nutzen- oder Gewinnmaximierung führt, kann gesamtwirtschaftlich und gesamtgesellschaftlich höchst dysfunktional sein, weil zum Beispiel negative externe Effekte auftreten, die in Form von Kosten und Risiken der Allgemeinheit aufgebürdet werden. Die Aufdeckung solcher Diskrepanzen in wirtschaftlichen, [S. 15:] sozialen und technisch-naturwissenschaftlichen Bezügen mit Hilfe ökonomischer Methoden und Theorieansätze kann zu einer vertieften Ursachenanalyse und damit einer Perspektivenerweiterung sowie einer fundierteren Problemlösungskompetenz in anderen Unterrichtsfächern führen, vor allem bei solchen komplexen gesellschaftlichen Problemen, die auch die Notwendigkeit der Veränderung einzelner Ordnungselemente und Institutionen deutlich werden lassen, um individuell rationales Handeln auch gesamtgesellschaftlich verträglich zu machen.

Sozialwissenschaftliches Denken in seiner politikwissenschaftlichen Dimension basiert auf den Prinzipien des demokratisch verfassten Rechts- und Sozialstaats.

Wesentliches Element der politikwissenschaftlichen Dimension sozialwissenschaftlichen Denkens ist die Reflexion des Spannungsverhältnisses zwischen verfassungsgemäßem Wertesystem und den Bedingungen und Durchsetzungsmöglichkeiten partikularer Interessen, also die Frage nach Legitimität und Legalität von Macht und Herrschaft. Durch die Frage nach der Berücksichtigung von Grund- und Menschenrechten und von partikularen und universellen Normen und Werten können politische Implikationen eines Problems aufgezeigt werden. In diesem Zusammenhang steht die Frage nach Gewaltenteilung und Kontrolle von Macht, aber auch die Problematisierung des zunehmenden Entzugs von Einflussmöglichkeiten sowohl der Bürger wie auch der nationalen politischen Institutionen aufgrund von Globalisierungstendenzen. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in Bezug auf die Partizipationsmöglichkeiten des Bürgers und das Spannungsverhältnis zwischen dem menschlichen Bedarf an sozialer Sicherung und wirtschaftlichen Restriktionen sind wesentliche Elementen der politikwissenschaftlichen Dimension des sozialwissenschaftlichen Denkens.

Vor diesem Hintergrund können für gesellschaftliche Probleme angebotene Problemlösungen ideologiekritisch analysiert und eigenständige phantasievolle Lösungen unter Beachtung plausibler Formulierungen von Ziel-Mittel-Relationen entwickelt und unter Bezugnahme auf verallgemeinerungsfähige Maßstäbe bewertet, auf Chancen der Realisierbarkeit geprüft und Strategien zur Durchsetzung abgeklärt werden.

Die drei Dimensionen der sozialwissenschaftlichen Denkweise bieten in ihrer umfassenden Zugriffsweise also zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Kooperation mit anderen Fächern und können dadurch auch zu einer vertieften politischen Bildung führen.

Da die Perspektive des Faches Sozialwissenschaften die Gesellschaft in ihren sozialen, ökonomischen und politikwissenschaftlichen Dimensionen ist, ergeben sich solche Anknüpfungspunkte sowohl inhaltlicher als auch methodischer Art nicht nur für die Fächer des gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeldes, sondern auch für die beiden anderen Aufgabenfelder. Die Kooperationschancen mit dem mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen und dem sprachlich-literarisch-künstlerischen Aufgabenfeld scheinen aus inhaltlicher, methodischer und auch aus didaktischer Perspektive besonders interessant und viel versprechend zu sein (Erfassung und Analyse komplexer Wirkungszusammenhänge und gesellschaftlicher Problemfelder)." [S. 12-15]


Sander, Wolfgang (1998): Gesellschaftslehre - eine Chance für vernetztes Lernen (1998).

Wenn politische Bildung Schülerinnen und Schüler zu einem reflektierten Urteil über Politik in der Gegenwart befähigen will, muß sich der Politikunterricht mit anderen Fächern der Schule vernetzen. Die Gesellschaftslehre kann bei einer solchen Vernetzung eine wichtige Rolle spielen.

Befürchtungen und historische Hypotheken

Politische Bildung - versteht man den Begriff in einem weiten, formalen Sinn als absichtsvolle politische Sozialisation - begleitet die Geschichte der modernen Schule an Anfang an. Lange schon bevor sich ein eigenes Fach für politisches Lernen durchsetzen konnte, hatte die Schule einen politischen Erziehungsauftrag - über weite Strecken ihrer Geschichte im Sinne der Legitimation einer undemokratischen politischen Ordnung (von der Fürstenherrschaft bis zur DDR) und der Bekämpfung der innergesellschaftlichen Opposition. Den curricularen Rahmen für eine solche politische Erziehung bot lange Zeit vorrangig der Religionsunterricht, aber auch die Geschichte des Deutsch-, des Geschichts- oder des Geographieunterrichts wie auch die anderer Fächer läßt sich zu einem nicht unerheblichen Teil als Teilgeschichte politischer Erziehung schreiben (vgl. Sander [5] 1989).
Politische Bildung war somit lange vor ihrer fachlichen Eigenständigkeit Unterrichtsprinzip anderer Fächer. Unter demokratischem Vorzeichen setzte sich ein eigenes Fach für den Politikunterricht in der Bundesrepublik erst in den 50er und 60er Jahren durch, und dies bis heute unter verschiedenen Bezeichnungen sowie, gemessen an Stundenkontingenten, in den meisten Bundesländern mit einer eher randständigen Position in der Schule.
Diese historischen Erfahrungen dürften eine wesentliche Rolle bei der Skepsis spielen, mit der sowohl im Politikunterricht als auch in anderen Fächern häufig Konzepten fächerübergreifender Kooperation und Integration begegnet wird. Während in der Infrastruktur des Politikunterrichts gelegentlich befürchtet wird, fächerübergreifendes Lernen sei ein Vorwand für die Schwächung des Faches der politischen Bildung, stößt man in anderen Fächern häufig auf die Sorge, hierbei gehe es um eine unangemesse Dominanz der politischen Bildung, um eine fachlich problematische Politisierung und Instrumentalisierung anderer Fächer. Für beides liefert die Schulgeschichte Beispiele - und dennoch gibt es gute Gründe dafür, politische Bildung in der Schule nicht auf den Politikunterricht als Fach zu reduzieren. Notwendig ist auch für die demokratische politische Bildung eine fächerübergreifende Struktur politischen Lernens. Jedoch kann es dabei nicht um eine sachfremde Politisierung anderer Fächer gehen, sondern um eine Struktur, die an für demokratische politische Bildung bedeutsamen Gegenständen die fachlich unterschiedlichen Zugänge zur Welt zur Geltung und miteinander in Beziehung bringt.

Warum fächerübergreifendes Lernen in der politischen Bildung?

Die Debatte um politische Bildung als Unterrichtsprinzip auch unter einem demokratischen Vorzeichen und ihr Verhältnis zum Politikunterricht ist nicht neu (vgl. etwa Ulshöfer / Götz, Sander [5] 1985). Es gibt aber eine Reihe von Entwicklungen und Diskussionen in jüngster Zeit, vor deren Hintergrund die Forderung nach fächerübergreifendem Lernen auch in der politischen Bildung neue Aktualität gewonnen hat:
Aus politiktheoretischer Sicht wird das Auswandern des Politischen aus dem politischen System, die "Entgrenzung von Politik" (Beck [2]) zu einem Merkmal von Politik in der Gegenwart. Die Grenzen zwischen Staat, Gesellschaft und Ökonomie verwischen sich, an die Stelle einer klaren institutionellen Abgrenzung des Bereichs der Politik vom sonstigen sozialen Leben tritt die "Allgegenwart des Politischen" (Greven). Zum Politikum können sehr unterschiedliche soziale Situationen werden: beispielsweise die Glatze eines Jugendlichen, die Arbeit in einem biologischen Forschungslabor, die Arbeitsverteilung im privaten Haushalt, der Umgang mit dem Internet, das Kopftuch einer türkischen Lehrerin. Das Politische erscheint hier gewissermaßen eingebettet in anderen Kontexte und ist ohne diese Kontexte nicht versteh- und beurteilbar - kann man den (politischen) Konflikt um die Nicht-Einstellung einer kopftuchtragenden Lehrerin beurteilen ohne (religionswissenschaftliche) Kenntnisse des Islam?
In der bildungstheoretischen Diskussion hat Wolfgang Klafki ein viel diskutiertes und breit rezipiertes Konzept eines neuen Allgemeinbildungsbegriffs vorgelegt, in dessen Mittelpunkt die thematische Orientierung [/S. 7:] an Schlüsselproblemen der Gegenwart und der absehbaren Zukunft steht (vgl. Klafki). Mit diesem Konzept rückt politische Bildung als eine fächerübergreifende Aufgabe ins Zentrum allgemeiner Bildung, denn die Schlüsselprobleme sind einerseits politisch zu nennende Problemlagen, andererseits aber auch komplexe Gegenstandsbereiche, die sich nur aus den Perspektiven mehrerer Fächer sinnvoll erschließen lassen.
In der schulpädagogischen Diskussion um innere Schulreform und schulische Modernisierung wird die Schule immer stärker als ein Ort offenen Lernens im Sinne des ergebnisoffenen Einlassens auf komplexe, die Fächergrenzen überschreitende Realsituationen gesehen. Die zeitliche, inhaltliche und organisatorische Zersplitterung des Lernens in der gefächerten Unterrichtsschule erscheint zunehmend als problematisch, ja als ein Lernhindernis - nicht nur klingelt es allzu oft, wenn es gerade interessant wird, es entspricht auch seit langem alltäglicher Beobachtung, daß die Schülerinnen und Schüler überfordert sind, wenn von ihnen erwartet wird, das unzusammenhängende Nebeneinander einer Fülle von fachbezogenen Informationen zu einem reflektierten Weltverständnis zu integrieren.
Unterstützung erfahren die Bemühungen um eine Modernisierung der schulischen Lernkultur unter anderem aus innovativen Unternehmen. Aus ökonomischer Perspektive wird die Vermittlung von neuen Schlüsselqualifikationen wie etwa Kreativität, Teamfähigkeit oder Vernetzungsfähigkeit gefordert, die nicht zu den tradierten Strukturen schulischen Lernens passen und Arbeiten in fächerübergreifenden Zusammenhängen erfordern (vgl. zur Bedeutung für die politische Bildung Arnold [16], Mannheim-Runkel, Sander [5] 1996).

Das Konzept "Gesellschaftslehre"

Die Diskussion um die "Gesellschaftslehre" ist kein Resultat dieser aktuellen Entwicklungen, sie ist älter. Dennoch leistet sie einen interessanten Beitrag zu der Frage nach möglichen Konsequenzen aus diesen Entwicklungen für die innere Schulreform. "Gesellschaftslehre" soll hier als Chiffre für unterschiedliche Versuche stehen, die Fächer Sozialkunde (Politik), Geschichte und Geographie (Erdkunde) zu einem neuen Fach oder Lernbereich zusammenzufassen. Als ein solcher Versuch kann schon die - im einzelnen recht vage und deshalb von den Bundesländern unterschiedlich interpretierte - KMK [17] -Vereinbarung zur Gemeinschaftskunde aus dem Jahr 1960 gelten, die zudem nur für die gymnasiale Oberstufe galt. Auch ein Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesens über einen Lehrgang "Politische Weltkunde", das diese Diskussion weiterführen wollte, hatte keine Verständigung über ein allgemein akzeptiertes Konzept einer Neuordnung des Zusammenhangs der drei Fächer zur Folge.
Mit den hessischen Rahmenrichtlinien für ein neues Fach mit der Bezeichnung Gesellschaftslehre aus dem Jahr 1972 wurde das Thema dann zum Gegenstand einer polarisierten, bundesweit beachteten politischen Kontroverse. Kurioserweise stellte das neue Fach Gesellschaftslehre den eher bescheidenen Rest eines ursprünglich sehr viel weiter gehenden Reformansatzes aus den 60er Jahren dar: eine Kommission unter Leitung von Wolfgang Klafki hatte den Versuch unternommen, ein curriculares Strukturmodell für eine Neuordnung der schulischen Lerninhalte jenseits des traditionellen Fächersystems zu entwickeln. Die jahrzehntelange öffentliche Debatte um die hessische Gesellschaftslehre kann hier nicht nachgezeichnet werden, auch die konzeptionellen Schwächen in den frühen Versionen dieser Richtlinien sollen hier nicht erörtert werden. Die phasenweise hoch ritualisierten Kontroversen entlang der Frontlinien des bundesdeutschen Parteiensystems stellen wahrlich kein Ruhmesblatt der westdeutschen Bildungsgeschichte dar.
In den 90er Jahren hat sich die Diskussion um diesen Ansatz fächerübergreifenden Lernens entspannt, der neue hessische Rahmenplan für Gesellschaftslehre konnte 1995 nahezu "geräuschlos" in Kraft gesetzt werden. Hierzu mag eine salamonische Regelung im hessischen Schulgesetz beigetragen haben, die es den einzelnen Schulen überläßt, in der Sekundarstufe I Sozialkunde, Geschichte und Erdkunde als Einzelfächer oder integriert im Lernbereich Gesellschaftslehre zu unterrichten. Für beide Varianten gibt es Rahmenpläne, insgesamt also vier für die Fächer des Lernbereichs: je einen für die Einzelfächer und einen für die Schulen, die Gesellschaftslehre integriert unterrichten wollen. Die gleiche Wahlfreiheit gibt es in Hessen im übrigen auch für die Fächer des Lernbereichs Naturwissenschaften. Inzwischen hat sich die Debatte um eine Integration der drei Fächer Sozialkunde, Geschichte und Erdkunde auch insofern von den Konfliktlinien hessischer Bildungspolitik gelöst, als sie auch in anderen Bundesländern zu einem aktuellen bildungspolitischen Thema geworden ist, so z.B. in Bayern, wo an den Hauptschulen eine integrative Lösung für diese drei Fächer vorgesehen ist (vgl. Bongard).
Dennoch gibt es vermutlich in Hessen die meisten Erfahrungen mit der Fächerintegration im Lernbereich Gesellschaftslehre. So enthält auch der hessische Rahmenplan für Gesellschaftslehre interessante konzeptionelle Überlegungen. Die vorgegeben Unterrichtsthemen werden jeweils einem von fünf als fachunabhängig verstandenen Themenfeldern zugeordnet; der Beitrag der beteiligten Fächer soll sich in den "Kategorien" "Entwicklung und Wandel", "Ideen, Interessen und Perspektiven", "gegenwärtige Strukturen und Prozesse", "Raum" und "Zukunft" spiegeln, mit deren Hilfe die Themen erschlossen werden sollen. Ob und inwieweit dieses Konzept im Detail überzeugen kann, soll hier nicht erörtert werden (vgl. zur Kritik, bezogen auf Entwurfsfassungen der Rahmenpläne, Sander [17] 1994). Wichtig für eine gelingende Integration, die mehr sein will als eine additive Aneinanderreihung fachbezogener "Stoffe", erscheinen aber zwei in diesem Ansatz implizierte Grundentscheidungen: die curriculare Struktur, von der Themen des Unterrichts begründet und der sie zugeordnet werden, muß die Gegenstandsfelder der an der Integration beteiligten Fächer tatsächlich "übergreifen", sie darf sich nicht als Ausdruck der fachlichen Struktur nur eines der beteiligten Fächer darstellen; zugleich müssen auf eine erkennbare Weise bei der Erschließung der konkreten Themen die Perspektiven der Fächer zur Geltung kommen. Daher steht Fächerintegration, wenn sie gelingen soll, auch nicht in einem Widerspruch zu fachlicher Kompetenz, ganz im Gegenteil; ihr Gelingen hängt ganz wesentlich davon ab, ob die Fachlehrer der beteiligten Fächer es an der konkreten Schule verstehen, den Unterricht in Gesellschaftslehre im Team zu konzipieren, in diese gemeinsame Arbeit ihre fachlichen Perspektiven einzubringen und sich als Lehrerteam für diesen Unterricht verantwortlich zu fühlen.

Netzwerk politische Bildung

Die Integration der Fächer Sozialkunde, Geschichte und Erdkunde in einem Lernbereich Gesellschaftslehre ist ein wichtiger und interessanter Ansatz fächerübergreifenden Lernens in der politischen Bildung. Wenn man ihn konzeptionell nicht überfordert, spricht für diesen Weg aus heutiger Sicht vielleicht in erster Linie eine schulpädagogische Sicht: die Bildung von Lernbereichen kann ein wirksames Gegenmittel gegen die Fragmentierung schulischen Lernens in unzusammenhängende Wissenssplitter sein und sie schafft größere Zeitblöcke für komplexere Formen des Lernens als den Fließbandunterricht im 45-Minuten-Zeittakt mit einer oder zwei Fachstunden pro Woche. Gesellschaftslehre ist aber weder die einzige mögliche noch eine hinreichende Lösung für das Problem fächerübergreifender politischer Bildung: zum einen sind auch schon innerhalb des Verbunds der drei beteiligten Fächer von Thema zu Thema die Grade der Beteiligung der Fächer durchaus unterschiedlich, zum anderen stellt sich die Notwendigkeit fächerübergreifender Kooperation auch über die Fächer dieses Lernbereichs hinaus. So ist etwa bei einer ganzen Reihe von für politische Bildung bedeutsamen Problemstellungen eine Kooperation mit den naturwissenschaftlichen Fächern erforderlich, beispielsweise bei Themen im Zusammenhang mit der ökologischen Krise. Ähnliches gilt auch für andere Fächer und Fächergruppen. Auf mittlere Sicht gesehen werden die institutionellen Strukturen, in denen schulisches Lernen sich bewegt, erheblich flexibler werden müssen, um unterschiedliche Grade der Kooperation zwischen Fächern zu ermöglichen, wechselnd bei verschiedenen The[/S. 8:]men, wechselnd innerhalb eines Schuljahres, auch mit Chancen für das kurzfristig geplante Projekt aus aktuellem Anlaß.

Politische Bildung stellt sich dann, auf der Ebene des Unterrichts, als ein curriculares Netzwerk dar, in dem Politikunterricht in verschieden dichten Formen mit anderen Fächern verbunden ist. Die dichteste Form ist die - in vielen Fällen thematisch und zeitlich begrenzte - Integration. Weniger dichte und auch innerhalb der derzeitigen schulischen Strukturen leichter realisierbare Formen beginnen bei der schlichten wechselseitigen Information über und Bezugnahme auf das, was in Nachbarfächern bei verwandten Themen bereits Gegenstand des Lernens war - eine nur scheinbare triviale Forderung, die im Schulalltag vielfach nicht verwirklicht wird. Dazwischen liegen vielfältige Möglichkeiten der gezielten Kooperation zwischen Fächern, bei denen Themen verabredet und abgestimmt werden. In einem solchen Netzwerk kann dann auch die Gesellschaftslehre ein möglicher, bei einer Integration der beteiligten Fächer sicher besonders gewichtiger Knoten sein.

Literatur

Arnold, R. [16]: Politische Bildung durch Schlüsselqualifizierung. In: kursiv - Journal für politische Bildung 2/1998
Beck, U. [2]: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt/M. 1986
Bergmann, K.: Gesellschaftslehre - aus der Sicht des Geschichtsunterrichts. In: ders.: Geschichtsdidaktik. Beiträge zu einer Theorie historischen Lernens. Schwalbach 1998
Bongard, H.: Geschichte, Sozialkunde und Erdkunde - ein neues Fach? Politische Bildung als Fächer übergreifender Unterricht. In: Schulmagazin 5 bis 10, Nr. 4/1997
Greven, M.: Die Allgegenwart des Politischen und die Randständigkeit der Politikwissenschaft. In: Leggewie, C. (Hrsg.): Wozu Politikwissenschaft? Über das Neue in der Politik. Darmstadt 1994
Hessisches Kultusministerium [18] (Hrsg.): Rahmenplan Lernbereich Gesellschaftslehre Sekundarstufe I. Frankfurt/M. 1995
Klafki, W.: Grundzüge eines neuen Allgemeinbildungskonzepts. Im Zentrum: Epochaltypische Schlüsselprobleme. In: ders.: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Weinheim und Basel 21991
Mannheim-Runkel, M.: Subjekt sein in Beruf und Politik. Ein Beispiel zum berufsbezogenen Lernen in der politischen Bildung. In: kursiv - Journal für politische Bildung 2/1997
Nonnenmacher, F. (Hrsg.): Das Ganze sehen. Schule als Ort politischen und sozialen Lernens. Schwalbach 1996
Sander, W. (Hrsg.): Politische Bildung in den Fächern der Schule. Beiträge zur politischen Bildung als Unterrichtsprinzip. Stuttgart 1985
Sander, W.: Zur Geschichte und Theorie der politischen Bildung. Allgemeinbildung und fächerübergreifendes Lernen in der Schule. Marburg 21989
Sander, W.: Neue Rahmenplanentwürfe für Sozialkunde und Gesellschaftslehre in Hessen. In: Forum Politische Bildung 1/1994
Sander, W.: Beruf und Politik. Von der Nützlichkeit politischer Bildung. Schwalbach 1996
Sander, W. (Hrsg.): Handbuch politische Bildung. Praxis und Wissenschaft. Schwalbach 1997
Schörken, R. (Hrsg.): Zur Zusammenarbeit von Geschichts- und Politikunterricht. Stuttgart 1978
Ulshöfer, R./Götz, T. (Hrsg.): Politische Bildung - ein Auftrag aller Fächer. Ein neues fächerübergreifendes Gesamtkonzept für die gesellschaftspolitische Erziehung. Freiburg 1975)

Schuster, Peter: Die gescheiterte Integration der Sozialwissenschaften in der französischen Schule (1993)

1. Vorbemerkung

Wolfgang Northemann hat seine wissenschaftliche und pädagogische Arbeit bereits zu einer Zeit dem überfachlichen Unterricht gewidmet, da die Diskussion um die Integration der sozialwissenschaftlichen Fächer noch nicht einmal begonnen hatte. Nach einer heftigen und kontroversen Auseinandersetzung um die Integration sind wir nun wieder scheinbar am Ausgangspunkt angekommen. Die Fächerseparation in der Schule feiert fröhliche Urständ. Aber die Diskussion glimmt unter der Asche und wird wieder aufflackern, da die pädagogischen Argumente weiterhin zwingend sind. Die Diskussion wurde nicht nur in Deutschland geführt. Sie fand auch in anderen Ländern mit ähnlichen Argumenten und Frontstellungen statt.

Im folgenden Beitrag will ich die Bemühungen in Frankreich herausarbeiten, die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer in einem gemeinsamen Lernbereich zu integrieren. Auch in Frankreich sind diese Bemühungen ebenso wie in Deutschland zunächst gescheitert. Der erfolgreiche Kampf der Geschichtslehrer-Lobby (1) gegen die Integration ist ein politisches Lehrstück, wie pädagogische Innovationen, die nicht durch öffentliche, fachliche und politische Diskussionen abgesichert sind, am Widerstand einer durch unterschiedliche Interessen getragenen Koalition scheitern können. Der Ablauf des Lehrstücks in so kurzer Zeit und in so konzentrierter Diskussion wird wesentlich durch die zentralistische Struktur Frankreichs ermöglicht.

2. Schulsystem in Frankreich

Das Schulsystem in Frankreich umfaßt die dreijährige (freiwillige) vorschulische Erziehung (école maternelle), die fünfjährige Grundschule (école élémentaire), die vierjährige Mittelstufe (collège) und die dreijährige Oberstufe (lycée). Alle Schulen sind als Ganztagsschulen organisiert. Die Grundschule und die Mittelstufe werden als Gesamtschulen geführt. In den zwei oberen [/S. 84:] Klassen der Mittelstufe (collège) findet eine starke äußere Differenzierung statt. Das allgemeine Abitur (baccalauréat d'enseignement général) kann in unterschiedlichen Profilbildungen nach dem Besuch der Oberstufe (lycée) erworben werden. Daneben existieren in der Oberstufe technologische und berufliche Schulen (lycée technologique und lycée professionnel), in denen das technologische bzw. berufliche Abitur erworben werden kann. Neben der schulischen Berufsausbildung in der Mittel- und Oberstufe gibt es erste Ansätze einer dualen Berufsausbildung nach deutschem Vorbild. Das französische Bildungswesen wird zentralistisch von Paris aus verwaltet. Unterrichtspläne (programmes) gelten einheitlich in ganz Frankreich. Hervorzuheben sind das laizistische Prinzip und das der Methodenfreiheit:

  • Das laizistische Prinzip, das 1880 unter dem Erziehungsminister Jules Ferry eingeführt wurde, verpflichtet die staatliche Schule zu weltanschaulicher Neutralität. Nur im Rahmen des nationalen und gesellschaftlichen Konsenses kann in der Schule zu Werten erzogen werden. Dieses Prinzip ist fest im Denken der Lehrer und Bildungspolitiker verankert. Erst in neuerer Zeit beginnt eine Diskussion, die die politische und wissenschaftstheoretische Fragwürdigkeit eines solch neutralen und scheinbar objektiven Anspruchs problematisiert (La Formation 1990, S. 283).
  • Die Unterrichtsmethoden können von den Lehrern frei gewählt werden, soweit es ihnen die äußeren Umstände, wie z.B. hohe Klassenfrequenzen, ermöglichen. Vorherrschend sind lehrerzentrierte und stofforientierte Methoden. Reformpädagogische Ansätze (z.B. Freinet) werden trotz einer gewissen staatlichen Unterstützung seit der Haby-Reform im Jahr 1975 nur selten im Unterricht umgesetzt, in der Grundschule mehr als in anderen Schulstufen.

3. Entwicklung der Fächer Geschichte und Staatsbürgerkunde

Die Fächer Geschichte (histoire) und Staatsbürgerkunde (instruction civique) sind seit gut 100 Jahren Teil der Stundentafel der französischen Schule. Nachdem Geschichte bereits 1867 in der damaligen Volksschule (école primaire) eingeführt wurde, folgten 1882 die Einführung der "instruction civique et morale" und der Erlaß von Unterrichtsplänen für beide Fächer. Erst 1945 wurde Staatsbürgerkunde auch in der Mittelstufe als Fach eingerichtet. Beide Fächer haben im Laufe der Jahre Krisen durchlebt, die ihre Existenz in Frage stellten. Der Unterricht in Staatsbürgerkunde fand schon in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und dann erneut nach 1950 kaum noch statt. Die Gründe sind vorrangig in der Orientierung des Faches an aktuellen politischen Bedürfnissen zu finden. Zu Beginn der III. Repu[/S. 85:]blik in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts war es Aufgabe des Fachs, die Idee der Republik in der Bevölkerung zu verankern. Nach 1945 sollte es einen Beitrag zur Versöhnung der Nation nach Résistance und Collaboration leisten. Nicht zuletzt auch unter dem Einfluß des laizistischen Prinzips war und ist der Unterricht institutionenkundlich orientiert. Er wurde und wird zudem von Lehrern unterrichtet, die für Geschichte und Geographie ausgebildet wurden. Die Krise des Geschichtsunterrichts brach in den 70er Jahren aus. Ihm wurde der Vorwurf gemacht, er sei nationalistisch, chauvinistisch, moralisierend, auf große Personen reduziert, anekdotisch, enzyklopädisch und ohne Gegenwartsbezug (vgl. Giolitto 1986, 5. 49).

Mit der Haby-Reform 1975 sollten nicht nur die Strukturen der französischen Schule, sondern auch ihre Inhalte verändert werden. Unter starkem Einfluß der amerikanischen Curriculumdiskussion wurde lernzielorientierter Unterricht favorisiert, der die tradierten Schulfächer in Frage stellte. Nachdem bereits 1969 die sozialwissenschaftlichen Fächer in der Grundschule integriert wurden, folgte 1975 die Integration auch in der Mittelstufe (collège). Geschichte und Geographie wurden als eigenständige Fächer aufgehoben und in ihrem Stoffkanon zugunsten neuer sozialwissenschaftlicher Inhalte reduziert. Nach nur zehn Jahren entschied 1985 der sozialistische (!) Erziehungsminister Jean-Pierre Chevènement die Aufhebung der von seinen konservativen (!) Vorgängern eingeführten Integration. Geschichte und Geographie wurden wieder selbständige Fächer mit getrennten Unterrichtsplänen. Die alte Staatsbürgerkunde (instruction civique) wurde als Fach "Staatsbürgerliche Erziehung" (éducation civique) wiedergeboren.

4. Integration der Sozialwissenschaften in der Grundschule

Die inhaltliche Reform der Grundschule begann bereits 1969. Die bis dahin existierenden Fächer wurden durch vier Unterrichtsgebiete (Lernbereiche) ersetzt: Französisch mit 10 Stunden, Rechnen mit 5 Stunden, Sport und "disciplines d'éveil" mit je 6 Stunden. Die "disciplines d'éveil" umfaßten Elemente der Geschichte, Geographie, Sozialwissenschaften und der künstlerischen Erziehung. Der Begriff "d'éveil" ist schwer übersetzbar. Ausgehend von den Theorien Piagets soll das Kind sein eigenes Wissen in Interaktion mit seiner Umgebung aufbauen. Es gibt keinen festen Kanon des Wissens. Die Unterrichtsgegenstände ergeben sich aus den "occasions fournies par la vie", den "durch das Leben gebotenen Gelegenheiten". Der Lehrer soll "éveilleur" (Erwecker) sein, der das Lernen der Kinder "erweckt".

Durch die Grundschul-Reform wurden die Lehrer in hohem Maße verunsichert. Auf die veränderten Methoden und Inhalte waren sie nicht vorbereitet. Viel gravierender war jedoch, daß es für den reformierten Unterricht [/S. 86:] in den "activités d'éveil" keine Unterrichtspläne und keine Handreichungen gab. Die Lehrer sollten ihr eigenes Curriculum schulnah erarbeiten. Zugleich mußten sie sich auch für die veränderten Anforderungen in Französisch und Neuer Mathematik fortbilden. Die Folge war, daß der Unterricht in den activités d'éveil weitgehend ausfiel. Das Nationalinstitut für pädagogische Forschung (Institut National de Recherche Pédagogique - INRP [19]) begann unmittelbar 1969 mit einer eigenen Curriculumentwicklung in enger Zusammenarbeit mit Schulen. Ein Beispiel für die dezentrale Curriculumentwicklung des INRP zu den activités d'éveil in Zusammenarbeit mit einer Landschule für den Unterricht in den beiden Abschlußklassen der Grundschule zeigt die nachstehende Tabelle.

Pädagogische Wahlmöglichkeiten im Mittelkurs (CM1, CM2 = 4./5. Klasse)
Wahlmöglichkeit A: ländliche Grundschule (Beispiel der Schule in Manduel bei Nîmes)

Lerninhalte Gegenwart Geographische Synthese nach Bereichen Verankerung in der historischen Dimension Historische Synthese nach Bereichen Synthese früherer Gesellschaften
Fall geograph. Erweiterung 18. Jh. 19. Jh. 18. Jh. 19. Jh.
Industrielle Produktion Zellulose-Fabrik in Tarascon weitere Industriebranchen Industrie in Frankreich Handwerker, Manufakturen, Hüttenwerke Handwerker, Fabriken Industrie in Frankreich Industrie in Frankreich 18. Jh.





und






19. Jh.
Landwirtschaftliche Produktion Landwirtschaftl. Betrieb in Manduel weitere landwirtschaftl. Betriebsformen Landwirtschaft in Frankreich Arten landwirtschaftl. Produktionen Arten landwirtschaftl. Produktionen Landwirtschaft in Frankreich Landwirtschaft in Frankreich
Verteilung        
Dienstleistung Bahnhof von Nîmes   Eisenbahnnetz in Frankreich   Anfänge der Eisenbahn    
Sozialer Raum Stadt Nîmes Nîmes und die Region Städte in Frankreich Nîmes Nîmes Städte in Frankreich Städte in Frankreich

Quelle: Histoire et Géographie, 1986, S, 61

Die Ergebnisse dieser Arbeit ermöglichten es dem Staat, ab 1977 offizielle Unterrichtspläne und -empfehlungen herauszugeben. Aber die schlecht vorbereitete Reform war nicht mehr zu retten. Bereits 1980 gab es wieder neue Unterrichtspläne, die neben den fortgeltenden Lehrplänen der activités d'éveil obligatorisch die Behandlung von zehn Perioden der französischen Geschichte vorschrieben. 1985 wurden als Folge der großen Auseinander[/S. 87:]setzung um den Geschichtsunterricht (vgl. folgende Kapitel) wieder die alten Schulfächer eingerichtet und entsprechende Lehrpläne erlassen.

5. Integration der Sozialwissenschaften in der Mittelstufe

Der integrierte Bereich "Sciences humaines" (Humanwissenschaften) wurde in der Mittelstufe im Rahmen der Haby-Reform 1975 eingeführt und nach zehn Jahren 1985 wieder aufgelöst. Er umfaßte mit drei Wochenstunden die Teilbereiche Geschichte, Geographie, Wirtschaft und staatsbürgerliche Erziehung. Die Begründung für die Integration ist in den offiziellen Unterrichtsplänen von 1977/78 wie folgt dargelegt: "Schließlich sind Geschichte, Geographie, Politologie, Ökonomie und die Sozialwissenschaften nur Mittel im Dienst einer umfassenden Erziehung zu einem besseren Verständnis des kulturellen Erbes der Menschheit und der Welt, in der die Schüler leben werden. Der neue Unterricht dieser Disziplinen soll, ohne die spezifischen Beiträge ihrer verschiedenen Bestandteile zu entstellen, ein zusammenhängendes Ganzes bilden. Dies ist dazu bestimmt, den Schülern Erkenntnismittel und Methoden zu vermitteln, ebenso gesicherte, bewußt begrenzte Kenntnisse, die ihnen helfen, die Welt, in der sie leben werden, besser zu verstehen und eine verantwortliche Rolle in der Gesellschaft zu übernehmen" (Histoire, géographie 1979, S. 13). In den Unterrichtsplänen war dieser umfassende Anspruch nicht zu verwirklichen. Widerstand entwickelte sich bereits vor Erlaß der Pläne. So konnte die Bezeichnung des neuen Unterrichtsbereichs nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, "Sciences sociales" (Sozialwissenschaften) lauten, sondern eben "Sciences humaines" (Humanwissenschaften). Schwerwiegender war, daß die Pläne schließlich ein Kompromiß zwischen traditionellen und integrativen Konzepten zu Lasten letzterer wurden. In den Teilbereichen Geschichte, Geographie und staatsbürgerliche Erziehung blieben erhebliche Anteile der traditionellen Unterrichtspläne erhalten. Integrative Inhalte wie diachronische Themen, Projektthemen und Gegenwartsfragen standen unverbunden daneben. Neue sozialwissenschaftliche und ökonomische Inhalte waren nicht annähernd gleichgewichtig neben den traditionellen Inhalten vertreten.

Als Beispiel für die Unterrichtspläne in den "Sciences humaines" von 1977/78 sei der Plan für die classe de cinquième, die der 7. Klasse in Deutschland entspricht, zitiert:

Unter dem umfassenden Lernziel, "den Horizont der Schüler auf die ganze Welt hin zu erweitern", sollten behandelt werden:

  • "die Erde (Land, Wasser, Kontinente, Bevölkerung, Staaten),
  • Begriffe der allgemeinen Geographie und der Demographie, [/S. 88:]
  • Ausweitung des lokalen Milieus auf das Département (Verwaltung, öffentliche Dienste),
  • Entstehung und Entwicklung des Islam; mohammedanische Kultur,
  • westliche Kultur vom XI. bis zum XIII. Jahrhundert am Beispiel Frankreichs,
  • außereuropäische Kulturen: Indien, China, präkolumbisches Amerika,
  • Entdeckungsreisen, europäische Expansion und ihre Folgen,
  • Verkehr und Handel im Längsschnitt von den Ursprüngen bis zur Gegenwart,
  • für die heutige Welt charakteristische Fragen:
    1. ein humangeographisches oder ökonomisches Problem (,‚große Ballungsräume" oder "Hunger in der Welt" oder "Erdöl"),
    2. ein regionales Thema, das sich auf Asien bezieht (,‚Reis in den Monsungebieten" oder "Japans Industrie" oder "Wirtschaft Chinas"),
    3. ein regionales Thema, das sich auf Amerika bezieht (,‚Industrie in Nordamerika" oder "Landwirtschaft in Südamerika" oder "Wirtschaft Brasiliens"),
    4. ein regionales Thema, das sich auf Afrika bezieht (,‚Landwirtschaft in Schwarzafrika" oder "Entstehung industrieller Aktivitäten" oder "Entstehung, Entwicklung, Probleme eines afrikanischen Staates"),
  • Informationen zu aktuellen Themen und Themen, die Schülerinteressen entsprechen"

(Histoire, géographie 1979, S. 19-20).

6. Kampf gegen die Integration der Sozialwissenschaften

Gegen die Versuche, Geschichte in die neuen Lernbereiche activités d'éveil in der Grundschule und Sciences humaines in der Mittelstufe zu integrieren, organisierte sich sehr bald Widerstand. Der Geschichts- und Geographielehrerverband "Association des professeurs d'histoire et géographie" (APHG), eine Vereinigung von ca. zehntausend Mitgliedern aus der Mittel- und Oberstufe, artikulierte den Protest in seiner Zeitschrift "Historiens et Géographes". Die verbandsinterne Diskussion wurde schlagartig öffentlich, als sie im Herbst 1979 der Politiker Michel Debré aufgriff. Parolen wie "Unsere Kinder lernen keine Geschichte mehr" oder "Sie wissen nicht mehr, wer Jeanne d'Arc war" mobilisierten Presse und Politiker aller politischen Richtungen sowie die Universitätshistoriker aller historischen Schulen. Schließlich griff auch Staatspräsident François Mitterand 1983 in die Diskussion ein und stellte zuspitzend fest: "Un peuple qui perd sa mémoire, perd son identité" (Ein Volk, das sein Gedächtnis verliert, verliert seine Identität). Diesem Druck konnten sich die Bildungspolitiker nicht mehr ent[/S. 89:]ziehen. 1982 beauftragte der linkssozialistische Erziehungsminister Alain Savary eine Kommission unter Leitung von René Girault, eine Bestandsaufnahme des Geschichtsunterrichts und Änderungsvorschläge zu erarbeiten. In seinem Auftragsschreiben wies der Minister auf die Kritik an der ungenügenden Berücksichtigung der Chronologie hin und erklärte, daß offensichtlich "die Chronologie die Grundstruktur jedes historischen Wissens ist und daß jede thematische oder vergleichende Arbeit nur geleistet werden kann, wenn zuvor diese Grundlage gesichert ist". Die Kommission kam zu dem Ergebnis, daß die Fächer Geschichte und Geographie wiederhergestellt und zu Hauptfächern aufgewertet werden müßten (Girault 1983). Zur Umsetzung der Kommissionsempfehlung und ihrer Argumente organisierte die Regierung 1984 in Montpellier ein "Nationales Colloquium über die Geschichte und ihren Unterricht". Der Premierminister Pierre Mauroy gab in seiner Eröffnungsrede das politische Ziel vor und machte damit zugleich deutlich, wie wenig es den Verfechtern der Integration gelungen war, ihre pädagogischen Argumente in die Öffentlichkeit zu tragen: "Die Geschichte muß einen hervorragenden Platz in der Erziehung wiederfinden. Sie muß vor allen anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen behandelt werden. (...) Dieser Beitrag der Chronologie ist nicht ersetzbar. Sie muß ab der Grundschule betrieben werden. Deshalb dürfen, ohne die neuesten Ergebnisse der pädagogischen Forschung zu vernachlässigen, die traditionellen Methoden des Auswendiglernens und des Faktenerwerbs nicht vernachlässigt werden. Schließlich (...) dürfen Geschichte und Geographie nicht nur einfache 'disciplines d'éveil' sein. Sie müssen Basisdisziplinen, grundlegende Disziplinen in allen Unterrichtsordnungen sein" (Colloque 1984, 5. 12). Die Ergebnisse des Colloquiums faßte einer der führenden Vertreter der sozialwissenschaftlich orientierten Nouvelle Histoire, Jacques Le Goff, in einem leidenschaftlichen Schlußplädoyer zusammen und empfahl die Umsetzung der Empfehlungen der Girault-Kommission. Schließlich verkündete der Erziehungsminister in seinem Schlußwort die Wiederherstellung der Fächer Geschichte und Geographie sofort in der Grundschule und mittelfristig in den anderen Schulen (Colloque 1984, S. 216).

7. Die Fächer in Grundschule und Mittelstufe nach Auflösung der Integration

Die Versuche, einen integrierten sozialwissenschaftlichen Unterricht zu schaffen, sind in Frankreich zunächst gescheitert. Allerdings ist die Diskussion an den betroffenen Fächern nicht spurlos vorbeigegangen. Geschichte und Geographie orientieren sich an sozialwissenschaftlichen Konzeptionen, wie sie beispielsweise die Nouvelle Histoire sowie die Sozial- und Wirt[/S. 90:]schaftsgeographie bieten. Im Gegensatz zu Deutschland ist die Geologie nicht Teil des schulischen Geographieunterrichts, sondern Teil des naturwissenschaftlichen Unterrichts. In der "Staatsbürgerlichen Erziehung" gibt es den Kernansatz der "Menschenrechtserziehung" als Antwort auf ein gesellschaftliches Problem. Daneben steht aber unvermittelt die alte Institutionenkunde. Eine spezielle Lehrerausbildung für das Fach "Staatsbürgerliche Erziehung" wurde auch bei der Reform der Ausbildung nicht eingeführt. Das Fach wird weiterhin von Geschichts- und Geographielehren unterrichtet. Für die Grundschule und die Mittelstufe setzen die neuen Unterrichtspläne stärkere pädagogische und didaktische Akzente. Der Erwerb von Methoden- und Handlungskompetenz wird als Lernziel ausdrücklich hervorgehoben. Zur Durchführung fächerübergreifender Studien und Projekte wird ein Stundenkontingent zur Verfügung gestellt. Der folgende Überblick zeigt den Entwicklungsstand zu Beginn der 90er Jahre auf.

Grundschule

Die "activités d'éveil" (vgl. Kapitel 4) wurden in vier Lernbereiche aufgelöst: Naturwissenschaften und Technologie (sciences et technologie) mit zwei bzw. drei Wochenstunden, Geschichte und Erdkunde (histoire et géographie) mit einer bzw. zwei Wochenstunden, staatsbürgerliche Erziehung (éducation civique) mit durchgängig einer Wochenstunde sowie künstlerische Erziehung (éducation artistique) mit ebenfalls einer Wochenstunde.

Der Geschichtsunterricht geht in der 1. Klasse (cours préparatoire) von der Umgebung des Kindes aus. Ein erster Geschichtsfries erfaßt persönliche und kollektive Daten der Schüler. In der 2. und 3. Klasse (cours élémentaire 1 und 2) werden, ausgehend von der heutigen französischen Gesellschaft, kennzeichnende Epochen der französischen Geschichte mit Staaten, Ereignissen, Personen und sozialen Gruppen erarbeitet. In der 4. und 5. Klasse (cours moyen 1 und 2) folgt in chronologischer Systematik die Nationalgeschichte Frankreichs von der Vorgeschichte bis ins 20. Jahrhundert.

Der Geographieunterricht beginnt in der 1. Klasse mit der räumlichen und landschaftlichen Umgebung des Kindes. In der 2. und 3. Klasse wird die nähere Umgebung in Beziehung und Vergleich zu anderen Lebensräumen gesetzt. Frankreich in seinem Zusammenhang mit Europa und der Welt ist mit vorrangig sozialen und ökonomischen Inhalten Gegenstand des Unterrichts in der 4. und 5. Klasse. Historische und geographische Themen sind in drei bis vier Studieneinheiten (sujets d'études) pro Schuljahr miteinander verknüpft zu behandeln. Hierfür stehen maximal 24 Wochenstunden (ein Drittel der gesamten Unterrichtsstunden) zur Verfügung (Ecole élémentaire 1990, S. 25 ff.).

Die staatsbürgerliche Erziehung soll sich auf wenige wichtige Bereiche beschränken: verantwortliches Sozialverhalten, politische und administrati[/S. 91:]ve Institutionen sowie die Rolle Frankreichs in der Welt. Als affektive Lernziele werden Ehrlichkeit, Mut, Ablehnung des Rassismus und die Liebe zur Republik genannt. In der 1. Klasse lernen die Schüler grundlegende Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens und die staatlichen Symbole der Republik. Im Unterricht der 2. und 3. Klasse sollen die Regeln des Gemeinschaftslebens klarer erfaßt und begründet werden. Themen sind die Begriffe Person, Eigentum, Vaterland, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Wahlen, Staatsgebiet, Staatspräsident, Minister, Abgeordnete, Gemeinde, Bürgermeister sowie die Schule. Parallel zum Geschichts- und Geographieunterricht steht in der 4. und 5. Klasse Frankreich mit seinen Institutionen und die sie begründenden Ideen im Mittelpunkt: Erklärung der Menschenrechte von 1789 und 1948, bürgerliche Freiheiten und Rechte, Verfassung, Gesetzgebung, Verwaltung, öffentliche Dienste, Armee, Frieden, Europa, Nation und internationale Beziehungen (Ecole élémentaire 1990, 5. 29 ff.).

Mittelstufe (collège)

In der Mittelstufe gibt es im sozialwissenschaftlichen Bereich drei Fächer:

1. Geschichte, 2. Geographie und Einführung in die Wirtschaft (initiation économique), 3. staatsbürgerliche Erziehung und Menschenrechtserziehung (éducation aux droits de l'homme). Für Geschichte, Geographie und Wirtschaft stehen zusammen zweieinhalb Wochenstunden, für staatsbürgerliche Erziehung eine Wochenstunde zur Verfügung.

Der Geschichtsunterricht folgt der chronologischen Systematik. In der 6. und 7. Klasse (sixième und cinquième) soll der Begriff "civilisation" den Unterricht und seine Beziehungen zu den Nachbarfächern strukturieren. Die Themen reichen von der Vorgeschichte bis zur Reformation. In der 8. Klasse (quatrième) sind das 17., 18. und 19. Jahrhundert (bis 1914) zu behandeln. Die Abschlußklasse der Mittelstufe, die 9. Klasse (troisième), ist dem 20. Jahrhundert, von 1914 bis zur Gegenwart, gewidmet. Die Unterrichtspläne warnen für die 9. Klasse vor einer Überbetonung der Fakten. Es sollten nur wenige Schlüsseldaten gelernt werden (Histoire, Géographie 1992, 5. 15 ff.).

Im Geographieunterricht der 6. Klasse (sixième) stehen Klimazone und Verteilung der Menschen auf der Erdoberfläche im Mittelpunkt. In der 7. Klasse (cinquième) sind die Begriffe Unterentwicklung und Entwicklung mit Beispielen aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu vermitteln. Europa in seiner "Einheit und Verschiedenheit" sowie seinem Einfluß in der Welt ist das Leitthema der 8. Klasse (quatrième). Neben einzelnen Staaten ist hier auch die Europäische Gemeinschaft zu behandeln. Der Geographieunterricht am collège schließt in der 9. Klasse (troisième) mit Frankreich, den USA und der UdSSR ab. Es sind die Begriffe Mittelmächte und Großmächte zu erarbeiten. [/S. 92:]

Der Unterrichtsbereich "Einführung in die Wirtschaft" (Initiation économique) ist dem Geographieunterricht zugeordnet. Er beginnt in der 6. Klasse mit den Wirtschaftssubjekten und dem Wirtschaftskreislauf in der Gemeinde, setzt sich in der 7. Klasse mit den Themen Geld und Welthandel fort, widmet sich in der 8. Klasse inneren Problemen eines Unternehmens sowie der Arbeitswelt und schließt in der 9. Klasse mit den Aspekten und Problemen der regionalen Wirtschaft ab (Histoire, Géographie 1992, S. 63 ff.).

Für die Staatsbürgerliche Erziehung (éducation civique) in der Mittelstufe (collège) werden als Lernziele angegeben, daß sie "bei dem Schüler den Sinn für das Allgemeininteresse, die Achtung des Gesetzes, die Liebe zur Republik entwickeln" soll. In diesem Zusammenhang soll der Schüler über Rechte und Pflichten des Staatsbürgers aufgeklärt werden. In der 6. Klasse (sixième) sind die Themen Schule, Erziehung, Schulverwaltung, Leben in der Schule, soziale Beziehungen und das demokratische Leben in der Gemeinde zu behandeln. Die beiden umfassenden Themenkreise in der 7. Klasse (cinquième) sind das "Département und die Region" sowie die "Unterschiede und Achtung der Menschen". Der Unterricht in der 8. Klasse (quatrième) setzt die am Ende der 7. Klasse begonnene Menschenrechtserziehung mit den Bereichen "Eroberung der bürgerlichen Freiheiten" und "Ausübung der bürgerlichen Freiheiten im heutigen Frankreich" fort. Parallel zum Geographieunterricht endet der Unterricht der 8. Klasse mit den Institutionen und dem Werden der Europäischen Gemeinschaft. In der 9. Klasse (troisième) sind das politische Leben Frankreichs und seiner Institutionen, die Institutionen der USA und der UdSSR sowie die internationalen Beziehungen, die Verletzung der Menschenrechte, der Terrorismus, die Unterschiedlichkeit der Kulturen und die internationale Solidarität zu erarbeiten. Der Unterricht soll zusammenfassend mit den "Werten der Demokratie" enden. Ein auch für Deutschland angesichts seiner jüngsten Entwicklung interessanter Ansatz zu einem integrierten Unterricht ist die in die staatsbürgerliche Erziehung eingebundene "Menschenrechtserziehung, auf die im folgenden Kapitel besonders eingegangen wird (Éducation civique 1990).

Der Zustand der "staatsbürgerlichen Erziehung" in der Mittelstufe wird in einem Rundschreiben des Erziehungs-Ministeriums vom 14.11.1991 an die Schulaufsicht und die Schulen erkennbar, in dem das Ministerium anmahnt, daß die Prüfungsthemen am Ende der Schulzeit "nicht so ausschließlich über institutionelle Aspekte handeln sollten, wie dies im Prüfungszeitraum 1990 der Fall war" (Histoire, Géographie 1992, 5. 120).

Auf eine nähere Darstellung des Unterrichts in den drei Klassen der Oberstufe (lycée) sei hier verzichtet. Geschichte und Geographie werden entsprechend der klassischen Fachsystematik unterrichtet. Die Staatsbürger[/S. 93:]kunde (instruction civique) wird zwar in der Überschrift der Unterrichtspläne aufgeführt, sie findet aber nur implizit in der Behandlung historischer und geographischer Themen statt (Histoire, Géographie 1991, S. 13).

8. Menschenrechtserziehung

Als Reaktion auf zunehmenden Rassismus in der französischen Gesellschaft wurde im zeitlichen Zusammenhang mit den 200-Jahrfeiern der Französischen Revolution der Unterrichtsbereich "Menschenrechtserziehung" (Éducation aux droits de l'homme) für die Mittelstufe entwickelt. Dieser Bereich bildet den Kern des Fachs "Staatsbürgerliche Erziehung" in den vier Jahrgangsstufen des collège. In den neueren Veröffentlichungen der Unterrichtspläne tauchen beide Bezeichnungen für das Fach gleichberechtigt auf. Damit hat die staatsbürgerliche Erziehung einen zentralen Auftrag erhalten, der in der französischen Tradition dieses Fachs steht, einen pädagogischen Beitrag zur Lösung dominierender gesellschaftlicher Probleme zu leisten. In der III. Republik hatte das Fach seit seiner Einführung 1882 die Aufgabe, zur Idee der Republik zu erziehen. Nach 1945 stellte sich die Aufgabe, die Nation nach der Auseinandersetzung zwischen Kollaboration mit dem deutschen Feind und der Résistancebewegung, zwischen Pétain und de Gaulle, zu versöhnen.

Das Konzept der Menschenrechtserziehung wird in den Unterrichtsplänen wie folgt beschrieben:

"Zu den bürgerlichen und politischen Rechten, den sogenannten Rechten der ersten Generation in der Tradition liberalen Denkens, sind die durch das sozialistische Denken beeinflußten ökonomischen und sozialen Rechte dazugekommen, die man als die zweite Generation bezeichnet. In jüngster Zeit sind die Ideen der Rechte einer sogenannten dritten Generation entwickelt worden: Recht auf Frieden, Recht auf gesunde Umwelt ...
Die drei folgenden Prinzipien müssen im Denken gegenwärtig sein:
Die Menschenrechte gelten weltweit, auch wenn sie in einer bestimmten Kultur und Zivilisation entstanden sind;
die universellen Menschenrechte fordern dazu auf, Unterschiede zu respektieren;
die Menschenrechte sind konstituierend für das soziale und politische Leben einer demokratischen Gesellschaft" (Éducation civique 1990, S. 49).

Die Zuordnung der Lernziele und Lerngegenstände ist in den Unterrichtsplänen festgelegt, wie die folgende Tabelle zeigt. [/S. 94:]

Staatsbürgerliche Erziehung und Menschenrechtserziehung

Ziele/Klasse6e (D: 6. Kl.)5e (D: 7. KI.)4e (D: 8. Kl.)3e (D: 9. Kl.)
Wecken von Toleranz, die auf der Anerkennung universaler Rechte beruhtRespekt vor sich selbst und den anderenUnterschiede der Herkunft, des Glaubens, der Meinungen, Lebensweisen; Toleranz, Respekt gegenüber anderen KulturenRechte und Pflichten von AusländernAngriffe auf die Person
eine Welt: unterschiedliche Kulturen
Würde des Individuums respektieren und solidarisch handeln lernenRecht auf Bildung und ErziehungUngleichheit der Entwicklung
Nord-Süd-Dialog
ökonomische und soziale Rechte (Arbeit, Gesundheit, Soziales)Internationale Solidarität
Prinzipien der Demokratie kennen
Grundfreiheiten kennen
Politische Institutionen kennen
auf das demokratische Leben vorbereiten
Staatsbürger werden
Gemeinde (Wahlen)
Institutionen der Region und des DépartementsFreiheiten: Erringung und Ausübung
gegen Willkür
Rechte und Pflichten des Bürgers
EG
Europa-Rat
Verfassung von 1958
Freiheiten
Gesetz, Justiz
V. Republik
Gesetz, Justiz
Internationale Organisationen
Zur Verantwortung ermutigenSchulleben, UmweltKulturerbe der Region  

Quelle: Éducation civique, 1990, S. 50 (gekürzte Übersetzung)

Besonders hervorgehoben sind des weiteren Beiträge der Fächer Geschichte, Geographie, Biologie und Französisch. Im Geschichtsunterricht sind an unterschiedlichen Themen vom Altertum bis zur Neuzeit folgende Begriffe zu erarbeiten: Sklaventum, Rassismus, Widerstand, religiöse Freiheit, Intoleranz, Staatsbürger, Staat, Gleichheit, Recht, juristische Formulierungen der Rechte, Erweiterung und Anreicherung der Menschenrechte, Menschenrechte und Kolonialisierung, Verletzlichkeit der Menschenrechte. Im Fach Geographie sind die Begriffe Solidarität, Entwicklungspolitik, Dialog zwischen den Völkern, ökonomische Rechte, soziale Rechte, Verschiedenheit der Völker und Kulturen sowie die weltweite Dimension des Problems der Menschenrechte zu behandeln. Das Fach Biologie leistet seinen Beitrag durch folgende Ziele und Themen: Achtung der menschlichen Person, individuelle und kollektive Verantwortung (Toleranz und Ablehnung [/S. 95:] des Rassismus), Kritik pseudowissenschaftlicher Anwendungen, zum Beispiel des Begriffs Rasse. Für den Französischunterricht werden Literaturhinweise zu den Themen Mensch und Natur (Dritte Welt, Konflikt, Harmonie), Menschen und Gruppen, Aufstand, Revolte sowie dem heutigen Kampf für die Freiheit gegeben. Als wesentliche Texte sind in den beteiligten Fächern die Erklärungen der Menschenrechte von 1789 und 1948 sowie die europäische Menschenrechts-Konvention von 1950 zu behandeln.

Die Unterrichtspläne zur Menschenrechtserziehung bleiben bei der Zuordnung von Zielen und Themen zu den einzelnen Fächern stehen. Ein integrierter Unterricht wird nicht vorgeschrieben. In jedem Fach können die Themen separat behandelt werden. Eine Verbindung ergibt sich bestenfalls durch die den einzelnen Jahrgängen vorgegebene parallele Behandlung. Immerhin gibt es die Empfehlung, die Menschenrechtserziehung mit den "Querthemen" (thèmes transversaux) Sicherheit, Umweltschutz, Information, Entwicklung, Verbrauch, Gesundheit und Leben in einem PAE-Projekt (projet d'action éducative) zu verbinden (Éducation civique 1990, S. 45 ff.).

9. Konklusion

Die Versuche, einen integrierten sozialwissenschaftlichen Unterrichtsbereich zu schaffen und die traditionellen Fächer Geschichte, Erdkunde und Sozialkunde aufzulösen, sind nicht auf Deutschland beschränkt. Sie fanden auch in anderen Staaten statt.

Der Prozeß in Frankreich verlief ähnlich wie in Deutschland. Aus der Curriculumdiskussion kamen die Anstöße, die die fachimmanente Systematik der Fächer durch eine an Lernzielen orientierte Struktur ersetzen wollten.

Der erfolgreiche Widerstand gegen die Integration der Sozialwissenschaften wurde aktiv von universitären und gymnasialen Vertretern der Fächer Geschichte und Erdkunde getragen. Unterstützung fand dieser Widerstand durch Politiker, die einerseits ihre eigene Erziehung als Maßstab der Beurteilung nahmen, andererseits keinen Zugang zu den pädagogischen Begründungen eines integrierten Unterrichts fanden.

Die Diskussion scheint mit der Wiederherstellung der tradierten Fächer nicht am Ende zu sein. In Frankreich wird insbesondere die Curriculumentwicklung in der Grundschule fortwirken. Ebenso werden die Einführung der Menschenrechtserziehung in der Mittelstufe und erste Ansätze in den Unterrichtsplänen zu einem Projektunterricht die Entwicklung offenhalten.

In diese Richtung weist auch die Stellungnahme, die das renommierte Collège de France unter Federführung des Soziologen Pierre Bourdieu 1984 zum Zeitpunkt des Abbruchs der Integration der Sozialwissenschaften zur [/S. 96:] Entwicklung des Unterrichts unterbreitet hatte. In These 6 heißt es: "Um die Auswirkungen einer wachsenden Spezialisierung auszugleichen, die die Mehrzahl der Individuen parzelliertem Wissen aussetzt, (...) muß gegen die Inselbildung des Wissens (...) gekämpft werden" (Propositions 1985, S. 33).

(1) Die männliche Sprachform im Text schließt selbstverständlich die weibliche Form ein.

10. Literatur

Bensoussan, Georges/Laugère, Antoine: L'Instruction Civique: ses buts, ses agents, ses discours. In: Raison Présente, Heft 74/1983, S. 7-23
Chevènement, Jean Pierre: Etre citoyen. In: Ders.: Apprendre pour entreprendre. Paris 1985, S. 226-234
Collèges. Programmes et instructions 1985. Herausgegeben vom Ministère de l'Éducation nationale [20]. Paris 1985
Colloque national sur l'histoire et son enseignement. Herausgegeben vom Ministère de l'Éducation nationale [20]. Paris 1984
Ecole Elémentaire. Programmes et instructions 1985. Herausgegeben vom Ministère de l'Éducation nationale [20]. Paris 1985
Ecole Elémentaire. Programmes et instructions. Herausgegeben vom Ministère de l'Éducation nationale [20], de la jeunesse et des sports. Paris 1990
Éducation civique. Éducation aux droits de l'homme. Classes des collèges (6e, 5e, 4e, 3e). Herausgegeben vom Ministère de l'Éducation nationale [20] de la jeunesse et des sports. Paris 1990
La formation aux didactiques. Cinquième Rencontre Nationale sur les Didactiques de l'Histoire, de la Géographie, des Sciences sociales, Mars 1990, Actes du colloque. Paris 1990
Giolitto, Pierre: L'enseignement de l'histoire aujourd'hui. Paris 1986
Girault, René: L'histoire et la géographie en question. Rapport au ministre de l'Éducation nationale [20]. Paris 1983
Histoire et Géographie à l'école élémentaire. Rencontres pédagogiques No. 13. Herausgegeben vom Institut national de recherche pédagogique [19]. Paris 1986
Histoire, géographie, économie, éducation civique. Classes des collèges (6e, 5e, 4e, 3e). Herausgegeben vom Ministère de l'Éducation [20]. Paris 1979
Histoire, Géographie, Initiation économique. Classes des collèges (6e, 5e, 4e, 3e). Herausgegeben vom Ministère de l'Éducation nationale [20]. Paris 1992
Histoire, Géographie, Instruction civique. Classes de seconde, première et terminale. Herausgegeben vom Ministère de l'Éducation nationale [20]. Paris 1991
Propositions pour l'enseignement de l'avenir. Elaborées à la demande de Monsieur le Président de la République [21] par les professeurs du Collège de France [22]. Paris 1985
Schuster, Peter: Geschichtsunterricht und politische Bildung in Frankreich. Versuche der Integration. In: Northemann, Wolfgang/Schuster, Peter (Hrsg.): Mentorentag Geschichte und Sozialkunde. Berlin 1989, S. 111-126
Wittenbrock, Rolf: Der Kampf für die Erhaltung und Erneuerung des Geschichtsunterrichts in Frankreich im Spiegel der Zeitschrift "Historiens et Géographes". In: Internationale Schulbuchforschung, Heft 2/1983, S. 133-144

Hensel, Horst: Verwirrung statt Integration. Kritik am Bildungskonzept der Integrierten Gesellschaftslehre in der Gesamtschule (1986)

Die Integrierte Gesellschaftslehre ist "das" gesamtschultypische Fach. Hier wird versucht, den Anspruch der Integration auch inhaltlich umzusetzen. In der Praxis führt das jedoch zu Beliebigkeit der Inhalte. Hier ist es notwendig, das Gesamtschulkonzept auch inhaltlich weiter zu durchdenken.

Der Integrierte Gesellschaftslehreunterricht verspricht, den Schülern die Gesellschaft in ihrer Totalität besser nahezubringen als die separierten Fächer Geschichte, Geografie, Politik (und Ökonomie). - Und in der Tat: Läßt sich die Gesellschaft nicht genauer erkennen und weitreichender umgestalten, wenn man bislang getrennte Fragen, Untersuchungsmethoden und Erkenntnisse integriert? Zumal sie sich letztlich doch auf ein und dasselbe Objekt zu beziehen scheinen?

Außerdem verabschiedet das Integrierte Gesellschaftslehrecurriculum die platte Abbilddidaktik: die Bestimmung des Erziehungsprozesses durch eine Fachwissenschaft. Der Erziehungswissenschaft ist endlich der Vorrang vor den Fachwissenschaften gegeben worden..

Was sollte also gegen den Integrierten Gesellschaftslehreunterricht sprechen? Ich meine: viel.

An der Gesamtschule, an der ich arbeite, diskutieren und kritisieren wir Gesellschaftslehre-Lehrer seit einiger Zeit das Konzept der Integration. Dies aufgrund und anhand unserer langjährigen Erfah [/S. 26:]rungen. Die Kritik läßt sich wie folgt zusammenfassen:

Es sei bisher nicht gelungen, zu integrieren. Es fehlte eine Struktur des neuen Fachs, in der die Strukturen der alten Fächer aufgehoben seien. Was bis heute geleistet wurde, sei nichts anderes als Fächeraddition, indem jeweils unterschiedliche fachspezifische Unterrichtseinheiten aufeinander folgten, oder indem in eine fachspezifische Unterrichtseinheit , Fragen, Arbeitsformen, Themen anderer Fächer eingeordnet würden. Das Ergebnis dieser Fächeraddition sei nun aber nicht Integration im Sinne einer Verarbeitungsleistung durch die Schüler - die zu leisten hätten, was die Pädagogen qua Curriculum und Lehrerarbeit selbst nicht zu schaffen imstande wären! -, noch wenigstens ein geschärfter Blick für die Wechselwirkungen im gesellschaftlichen Feld, sondern Verwirrung, Halbheit, Stückwerk. Das Integrationskonzept habe keine Fähigkeitsverbesserung, sondern Fähigkeitsverschlechterung bewirkt. Von "integrierten" gesellschaftswissenschaftlichen Fähigkeiten könne nämlich, wie gesagt, noch lange keine Rede sein -, und die durch den integrierten Gesellschaftslehreunterricht erworbenen fachspezifischen Fähigkeiten reichten nicht an die durch die separierten Fächer zu erwerbenden heran.

Als Verursacher der Misere werden das Curriculum und die Lehrer dingfest gemacht: 'Das Problem der Integration sei das Problem der Integration sei das Problem eines mißlungenen Curriculums. Aus bisherigen Fehlern könne man allerdings lernen: das Curriculum sei neu zu schreiben. Die Lehrerarbeit täte ein übriges: Die Lehrer würden nicht eng genug zusammenarbeiten; sie hatten nur ein Fach gelernt, nicht eine Integrierte Gesellschaftswissenschaft, die sie deshalb unterrichtlich bisher kaum zu praktizieren fähig gewesen seien. Hier würde Lehrerfortbildung helfen.

Ich halte diese Erklärungen für nicht weitreichend genug. Daß der Integrierte Gesellschaftslehreunterricht nicht gelingt, liegt nicht an der unzureichenden Lehrerarbeit oder am zu oberflächlichen Curriculum. Der Integrierte Gesellschaftslehreunterricht ist sachlogisch unmöglich, weil einer seiner Bestandteile, nämlich der Geschichtsunterricht - besonders in seiner Form als linearer Lehrgang - die Integration verhindern muß.

Wie das?

Hidden curriculum der Beliebigkeit

Führen wir folgende Überlegung durch: In keinem Konzept Integrierten Gesellschaftslehreunterrichts kann auf Geschichte verzichtet werden, denn Gesellschaft ist historische Gesellschaft, ist Gesellschaft im Werden -, und außerhalb dessen gibt es keine empirische Gesellschaft.

Bislang dominiert im Geschichtsunterricht der lineare, der chronologische Lehrgang. Er muß als solcher die Struktur des Integrierten Gesellschaftslehreunterrichts bestimmen, denn den anderen Integrationsfächern ist die Folge der Themen nicht so zwingend vorgeschrieben. Das führt dazu, daß die geografischen, politologischen, soziologischen (und ökonomischen) Bestandteile des Integrierten Gesellschaftslehreunterrichts den chronologisch grad zu behandelnden Geschichtsthemen mehr oder weniger passend angehängt oder eingegliedert werden -, wobei sie natürlich bei weitem nicht "zu ihrem Recht" kommen können -, zu ihrem Recht als spezifische erkennende Subjekt-Objekt-Beziehungen.

Die vielen nur äußerlich verbundenen Aspekte konstituieren ein hidden curriculum der Beliebigkeit. Zum Schluß kommt lernfeindliche chronologische politische Ereignisgeschichte plus Geografisierung plus Aktualisierung heraus -, eine atomisierte statt einer integrierten Gesellschaftserkenntnis. Der Integrierte Gesellschaftslehreunterricht erwirkt das Gegenteil seiner Absicht. [...] So wird Erkenntnis durch Erkenntnisse verhindert. Darüber hinaus haben die Fachdidaktiken das "Emanzipationskonzept" - das auch zu kritisieren wäre - vom "Integrationskonzept" abgelöst. [...]

Auf Geschichte verzichten?

Welche curricularen Möglichkeiten gibt es nun, aus der Misere herauszufinden? Prämisse muß sein, den Geschichtsunterricht nicht mehr linear zu strukturieren. Dann sind zwei verschiedene Wege gangbar:

Erstens: Geschichte würde auf Themengeschichte, d. h. Vorgeschichte eines Themas verkürzt, tauchte nur noch als historische Dimension auf. Gesellschaftslehre würde also fundamentale Lebenszusammenhänge der gegenwärtigen Gesellschaft behandeln und sie historisch herleiten. Diese Lösung haben die Verfasser der Hessischen Rahmenrichtlinien favorisiert. Dabei wäre allerdings auf Geschichte verzichtet, denn Geschichte kann nur als Entwicklungsprozeß der Menschheit adäquat gefaßt werden, nicht als Ansammlung von Themengeschichten. Der Preis eines solchen Integrierten Gesellschaftslehreunterrichts wäre bei Licht besehen der Verzicht auf Geschichtsunterricht. Damit bestünde dann auch keine Integration mehr. Der Versuch zu dieser Rettung eines Integrationskonzepts gäbe also das Integrationskonzept auf.

Gesetzmäßigkeiten statt Stoffülle

Zweitens: Es würde ein formationstheoretisch fundiertes und spiralförmig didaktisiertes Geschichtscurriculum erstellt. [...] Formationstheoretisch fundiertes Curriculum heißt: Das Curriculum basiert auf dem Wesen, der Charakteristik, der Typik der sozialökonomischen Gesellschaftsformationen. Diese bildeten die Unterrichtseinheiten. Dadurch würde die Unterrichtsarbeit stärker auf die sozialökonomischen Lebensverhältnisse orientiert. Die politische Geschichte würde relativiert. Die sachlogische Zentralkategorie der historischen Bildung ist nämlich die der Gesellschaftsformation; während die sachlogische Zentralkategorie der politischen Bildung die des Klassenkampfs ist -, oder, [/S. 27:] mehrheitsfähiger formuliert, die der antagonistischen Interessenauseinandersetzung. Dabei ist die politische Bildung der historischen untergeordnet; einerseits, indem der Gesamtprozeß auf einen Teilprozeß, den politischen reduziert wird; andererseits, indem die Entwicklung auf ihr jeweiliges Resultat, die Gegenwart, reduziert wird. Beim formationstheoretisch fundierten Curriculum würden also Gesetzmäßigkeiten gelernt, nicht Oberflächenerscheinungen. [...] Sobald dies geschehen ist, bedarf es nicht mehr der Speicherung unendlicher Mengen von Fakten, sondern weniger Theoreme und Theorien, die bei Bedarf eine Reaktion auf ein beliebiges Faktum ihres Bereichs erlauben. [...]

Die tendenzielle Selbstverhinderung des Geschichtsunterrichts als Lernprozeß beruht auf seiner immer unbewältigten Faktenfülle, den daraus entstehenden "Auswahlproblemen", der damit einhergehenden Beliebigkeit, dem Sammelsurium der Themen: Wo schließlich alles jederzeit zum Lerngegenstand werden kann, wird nichts gelernt.

(Die Schüler wissen, warum sie den Geschichtsunterricht ablehnen.) Das genannte Problem des Geschichtsunterrichts, die unendliche Deskription, indiziert seinen wissenschaftsgeschichtlich niedrigen Stand, und den seiner Fachwissenschaft, der Geschichte. Der Geschichtsunterricht muß auf Gesetzeserkenntnis ausgerichtet werden, weg von der Erscheinungslehre, hin zur Wesensanalyse. (Das historische Wesen erscheint freilich nur im konkreten Prozeß - als "Bild" -; die Mißachtung der Erscheinung würde den Geschichtsunterricht ebenfalls zerstören.)

Spiralförmig didaktisiertes Curriculum heißt: Die Gesellschaftsformationen werden aus lernpsychologischen, persönlichkeitstheoretischen und entwicklungspsychologischen Gründen nicht chronologisch und beziehungslos hintereinander abgehandelt, sondern sie werden alle - mit zunehmender Komplexität und zunehmendem Schwierigkeitsgrad - in jedem Schuljahr aufs neue in bezug auf eine spezielle Frage, einen speziellen Erkenntnisprozeß, eine spezielle Erscheinung analysiert.

Drei Beispiele: Familie/Kindheit/Alltagsleben/Zusammenleben von der Urgesellschaft bis zur entstehenden sozialistischen Gesellschaft etwa im 5. Schuljahr. - Naturstoffaneignung/Arbeit/Produktion von der Urgesellschaft ... -, etwa im 9. Schuljahr. Eine solche Form des Geschichtsunterrichts integrierte in der Tat in weit höherem Maß als der bisherige Geschichtsunterricht - und auch das Integrierte Gesellschaftslehrecurriculum - die verschiedenen speziellen gesellschaftswissenschaftlichen Erkenntnisprozesse und Fähigkeitsentwicklungen.

Allerdings liegt auf der Hand, daß auch ein solcher "integrationistischer" Geschichtsunterricht das Konzept des Integrierten Gesellschaftslehreunterrichts zerstören würde, denn die "anderen Fächer" gingen nicht restlos in ihm auf; ihre "Reste" müßten nach wie vor in den nun allerdings omnipotenten Geschichtsunterricht eingebaut, bzw. ihm angehängt werden -, alles wie gehabt.

Ein formationstheoretisch fundierter und spiralförmig organisierter Geschichtsunterricht wäre zwar das bisher integrierteste gesellschaftswissenschaftliche Fach -, aber nicht die Integrierte Gesellschaftslehre.

Weil nun, wie dargelegt, der Geschichtsunterricht das zentrale Element eines Integrierten Gesellschaftslehreunterrichts bilden muß, und weder seine Form als linearer Lehrgang, noch seine Omnipotenz (formationelles, spirales Curriculum) das Konzept dieses Unterrichts rettet, sondern es zerstört, kann es beim heutigen Stand der Gesellschaftswissenschaften einschließlich der Pädagogik kein Integriertes Gesellschaftslehrecurriculum geben.

Um es noch einmal deutlich zu machen: Die gegenseitige Blockierung von integriertem Gesellschaftslehreunterricht und Geschichtsunterricht ist kein Zufall, denn Integration ist Bemühung um Totalität, und Totalität des menschlichen Werdens ist Thema der Geschichte, nicht der Geografie oder der anderen Sozialwissenschaften. [...]

Ich spreche mich also gegen das Konzept des Integrierten Gesellschaftslehreunterrichts aus. [...]

Es ist m. E. heute sinnvoll, unter dem Namen "Gesellschaftslehre" und der Beibehaltung der Stundenzahl und des Unterrichts durch einen Lehrer (dessen "Fremdfach"-Probleme mich wenig interessieren) innerhalb des Gesellschaftslehreunterrichts die einzelnen Fächer epochal zu unterrichten.

Faulenbach, Karl August: Lernfeld Sozialwissenschaften. Ansätze zur Fächerintegration im sozialwissenschaftlichen Lernbereich der Sekundarstufe I (1980)

6. Strukturmerkmale eines integrierten sozialwissenschaftlichen Curriculums

6.1 Ergebnisse

Die traditionellen Integrationsansätze sind bisher bis auf wenige Ausnahmen an der "Macht des Faktischen" gescheitert. Die zunehmende Verwissenschaftlichung des Unterrichts und in ihrem Gefolge auch seine weitere Zersplitterung haben die gesamtunterrichtlichen Reformkonzepte nicht aufhalten können, u.a. weil sie an überholten ganzheitlichen Positionen (Heimatkunde z.B.) festgemacht waren. In der verwissenschaftlichten und "verwalteten" Schule haben sie ihre Reformansprüche nicht durchsetzen können.

"Es ist allgemein bekannt, warum die Bemühungen um 'Sozialkunde', 'Gemeinschaftskunde', 'Politikunterricht' oder welcher Begriffe man sich auch immer bedient, zu Recht kritisierbar sind: Vorherrschen des Harmoniecharakters, keine für den Schüler erkennbare Integration der einzelnen Teilgebiete oder der mißlungenen Versuche, Kenntnisse in Handlungen umzusetzen." (2) Diese Kritik ist an den meisten hier vorgestellten didaktischen Modellen geleistet worden. Aus der Aufarbeitung der wichtigsten Modelle hinsichtlich ihrer politisch-didaktischen Intentionen (Oberste Lernziele; Erkenntnisinteresse und gesellschaftspolitische Prämissen) und ihrer Integrationsaspekte (ob praktiziert oder nur gefordert) gilt es an diesem Punkt Konsequenzen zu ziehen, die für oder gegen die Integration sprechen. Wenn man einmal von der Fülle der möglichen Zwischen- oder alternativen Lösungen (z.B. Kooperation oder Politischen Bildung als Unterrichtsprinzip aller Fächer) absieht, die letztlich doch auf diese oder jene Lösung angelegt sind, ist, falls das Ergebnis positiv ausfällt, etwa im Sinne von Wulf zu fordern: "Die Didaktik politischer Bildung bedarf einer Ergänzung und Ausweitung durch ein Konzept für politisch-sozialwissenschaftliche Curriculumentwicklung... ."(3)

An dieser Stelle ist nur noch einmal zusammenzufassen, welche Fächer, welche fachdidaktischen oder fächerübergreifenden Modelle die Integration wie begründen. Die zentrale Rolle der Fachdidaktiken für die Frage der Fächerintegration ist im folgenden formuliert: "Die Begründung für die Gestaltung eines Schulfaches ist weder eine einzelwissenschaftliche noch eine wissenschaftstheoretische Aufgabe, sondern Aufgabe der Fachdidaktiken (sofern sie vorhanden sind.)"

Die didaktische Position für oder gegen Integration ist auch immanent eine wissenschaftstheoretische. "Die anthropologische Bedeutung des Faches muß von der Idee des teilnehmenden und teilhabenden Bürgers her interpretiert werden (Selbst- und Mitbestimmung als Normen des GG)." (4) Das Erkenntnisinteresse eines jeden Faches, das auf Emanzipation gerichtet ist, geht In seiner Wissenschaftstheorie ebenfalls von einer gesellschaftlich vermittelten Funktion der Wissenschaften aus.

Das drückt sich ebenfalls in einer positiven Einschätzung der Fächerintegration aus, wie Schwerdtfeger es formuliert: "Die Integration von Schulfächern ist der Versuch, auf die zunehmende Differenzierung In den Wissenschaften didaktisch produktiv zu reagieren, denn:

  1. Niemand kann bestreiten, daß sich aus der Vermehrung von Wissen und aus der gleichzeitigen 'Verwissenschaftlichung des Lebens' eine Reihe guter Gründe ableiten lassen, daß die neuen Fächer (bzw. das neue Wissen) im Kanon der Schulfächer repräsentiert sein sollten. [/S. 162:]
  2. Ebensowenig Ist bestreitbar, daß die Vielzahl der Fächer von keinem Lehrer (geschweige denn von den Schülern) beherrschbar oder auch nur in ihrer Gesamtheit als 'Ganzes' vorstellbar sind.
  3. Eine 'direkte' und additive Repräsentation von Wissenschaften und Wissensanteilen in der Schule ist aus evidenten Gründen sinnlos (Köpfe von Kindern sind kein Müllplatz)." (5)

Die Mehrzahl der didaktischen Modelle der verschiedenen sozialwissenschaftlichen Fächer sind u.a. als ein Versuch zu werten, auf die Herausforderung der wissenschaftlichen Spezialisierung zu reagieren, indem das Verbindende zwischen den Disziplinen betont wird. Alle diese Fächer wollen Politische Bildung betreiben und den "mündigen Staatsbürger" erziehen, gleichzeitig aber auch die jeweiligen Fachansprüche nicht aufgeben. (6)

Aus einer noch ganzheitlichen Weltschau, z.T. mit metaphysischen Dimensionen, fordern die "konservativen" Didaktiker der sozialwissenschaftlichen Fächer einen Gesamtunterricht, der entsprechende Werte vermitteln soll. Dem Gefühl der "Sinnentleertheit" durch die wissenschaftlich-pluralistischen Auffassungen wollen sie begegnen durch die Verknüpfung der Fächer, um damit verlorene Ideale wieder zurückholen zu können.

Von den "positivistischen" Didaktiken gibt es kaum Argumente für eine Fächerintegration, denn ihr "wertfreier" Ansatz verzichtet bewußt auf politische Prämissen und eine gesellschaftliche Rechtfertigung ihrer wissenschaftlichen Zielsetzung. Die weitere Auffächerung der Wissenschaften ist für diese Haltung fast eine logische Konsequenz. Ihre Zielsetzung gibt sich zweckfrei und ist abgeleitet aus der Systematik der Wissenschaft und dem Grundrecht des Grundgesetzes auf "Freiheit der Wissenschaften". Daraus resultiert ein "pluraler" Ansatz von Wissenschaften, der nur da, wo es methodologisch notwendig ist, auf eine andere Wissenschaft zurückgreift aber in der Integration keinen Sinn sieht, da die Wissenschaften in eine andere Richtung tendieren. Einen Sinn von Wissenschaften über diese hinaus sehen sie nicht. "Es gibt keine generelle Bestimmung von einigem Wert (für die Sozialwissenschaften; der Autor). Man kann zwar eine Definition geben, die verschwommen genug ist, alle Disziplinen zu umfassen; sie ist aber dann so vage, daß sie unbrauchbar ist." (7) Logischerweise kann es für die aus dieser wissenschaftlichen Position abgeleiteten Didaktiken keine Fächerintegration geben. Wenn es zu dem wie bei ihnen "nur" um den "mündigen Staatsbürger" oder "Wahlbürger" geht, ist das mit reinem Fachwissen über die Rechte und Pflichten, über die Institutionen und das Erlernen der Kulturtechniken und die Vermittlung der fachwissenschaftlichen Kenntnisse getan. Die vorhandenen Bemühungen auch einiger dieser Didaktiken für Integration bleiben letztlich voluntaristisch und für die politische Sozialisation inkonsequent, denn sie leisten nicht, was sie vorgeben, sie bleiben affirmativ. (8)

Eine Wissenschaftstheorie, deren Erkenntnisinteresse in der Emanzipation des Menschen liegt, und die alle menschlichen Handlungen in einen historischen Prozeß eingebettet sieht, schreibt auch den Wissenschaften, den Didaktiken, dem Unterricht und der Politischen Bildung eine ganz bestimmte logische Funktion für die Gesellschaft und den Geschichtsprozeß zu, ohne sie jedoch total zu reglementieren. Sie bekommen ihren Sinn und ihre Berechtigung von dem gesellschaftlichen Ziel her. Das trifft in verstärktem Maße für den sozialwissenschaftlichen Unterricht zu: "Das Handeln des Bürgers (sofern es nicht den Grenzfall des 'Berufspolitikers' betrifft) ist 'Politisch' (und nicht 'spezialisiert'); es basiert auf der [/S. 163:] Annahme einer allen Bürgern als Gleiche konstituierenden Vernunftfähigkeit und der daraus abgeleiteten Idee einer gemeinsamen Ordnung, in der die prinzipielle Gleichheit aller Bürger realisierbar ist und mit ihr die Realisierung von Freiheit und Glück ('Reich der Freiheit' als Ziel der Geschichte)." Der politische Bürger ist das Ziel, nicht der Bürger als Spezialist. Daraus resultiert die Notwendigkeit einer fächerintegrierenden Politischen Bildung, da es gilt, den politisch handelnden Bürger mit der oben genannten Intention zu "sozialisieren". (9) Besonders "... unter dem Gesichtspunkt einer parteilichen politischen Didaktik, welche zur kollektiven Emanzipation der Lohnabhängigen den ihr möglichen Beitrag leisten will, sind auf dem Gebiet der Methodologie der didaktische Materialismus ... der adäquate Bezugsrahmen" und damit auch die Fächerintegration, wie sie aus den entsprechenden didaktischen Entwürfen entwickelt worden ist. (10)

Die didaktisch relevanten (progressiven) Positionen der einzelnen Fächer lassen ihre Bezogenheit aufeinander erkennen und vermitteln die logische Konsequenz, aus der oben genannten Zielsetzung, eine integrative sozialwissenschaftliche Didaktik zu entwerfen. (11)

Die Auseinandersetzung der Menschen mit ihrer Umwelt innerhalb eines weitgehend organisierten und institutionalisierten Rahmen (Staat), ist letztlich zweckgerichtet auf die Realisierung des "Reiches der Freiheit". (12) Die zentralen Kategorien der hier behandelten sozialwissenschaftlichen Fächer sind Raum, Zeit, Herrschaft/Institution, Interaktion/Sozialisation und Arbeit/Wirtschaft. Sie sind konstitutiv für die menschliche Gesellschaft. Aber erst die Erkenntnis ihrer Interdependenz ergeben einen zielgerichteten Sinn für die Gesellschaft - sieht man von einer metaphysischen Sinngebung ab. Die räumliche Bezogenheit der Menschen ist logischerweise auch eine historische und umgekehrt. Die Gesellschaft und ihre Umwelt Ist bestimmt durch die Auseinandersetzung der Menschen (in Interaktionen und organisiert durch Institutionen) mit der Natur durch Arbeit und deren Organisation (Wirtschaft). Beides wird getragen von der politischen Herrschaft. (13)

Nun läßt sich argumentieren, die Fülle der einzelnen Disziplinen, die diese Probleme aufarbeiten, sei inzwischen so groß, daß ihre Verknüpfung mehr verwirre als orientiere. Das ist im Grunde jedoch unlogisch. Denn bei der Betonung etwa nur räumlicher Faktoren werden die anderen so vernachlässigt, daß letztlich die ganzen Informationen dann beliebig werden, nicht mehr stimmig sind, sich sogar widersprechen können, und es wohl kaum der Intelligenz der Schüler überlassen bleiben kann, innerhalb von fünf Jahren Schule (S I) irgendwann einmal die Ergebnisse und Erkenntnisse der Fachdisziplinen wie bei einem Puzzle aus eigenem Vermögen zusammenzufügen. Wenn bei allen Disziplinen eine politische Erziehung der Selbst- und Mitbestimmung oberster Wert ist, dann ergibt sich daraus die Schlußfolgerung, bei dem jeweiligen Unterrichtsthema genau das Interdependente der gesellschaftlichen Probleme auch interdependent zu vermitteln, um mehr als die Anhäufung von nur vergeßlichem Faktenwissen zu leisten. (14)

In den beiden folgenden Schemata soll der Versuch gemacht werden, aus den "progressiven" Fachdidaktiken die Integrationselemente der Fächer auf den Begriff gebracht aufzuschlüsseln. Das sozialwissenschaftliche Umfeld, in einem schematisierten Schaubild skizziert, läßt die Zusammenhänge der Grundkategorien der einzelnen Fächer erkennen, wenn Gesellschaft von einem Ziel (Emanzipation) her interpretiert wird. (15) Die Ziele, Inhalte, Methoden lassen den zusammenhängenden Charakter und die gegenseitige Ergänzung der sozialwissenschaftlichen Fächer erkennen. (16) [/S. 164:]

[/S. 164:]

[/S. 165:]

Fächer Ziele Inhalte Methoden/ Fertigkeiten Fächerverbindungen
Arbeit/Wirtschaft
(Arbeit)
Erkenntnis des Grundwiderspruchs von Kapital u. Arbeit Warencharakter und Entfremdung der Arbeit
Alternative: Selbst- u. Mitbestimmung im Produktions- u. Konsumtionsbereich
Entwicklung u. Stand der Produktivkräfte
Berufs- u. Verbraucherorientierung
Polytechnik: Werken - Handwerk - Industrie - Wirtschaftsmodelle
handwerkliche Grundtechniken
Ökonomische Modelle Betrieb u. Markt (Planspiele)
politische
politökonomische
historische
polytechnische
(technische)
Geographie
(Raum)
Erfassung u. Erfahrung raumbedingter Strukturen
Daseinsfunktionen
Selbst- u. Mitbestimmung bei der Gestaltung des Raumes "Erde"
Naturräumliche und
sozialräumliche Bedingungen und Strukturen der Erde
Daseinsfunktionen
Erschließung des Raumes durch Karten, Bilder, Medien, Statistiken
Orientierung im Raum
politische
ökonomische
soziale
sozial- u. wirtschaftshistorische (naturwissenschaftliche)
Geschichte
(Zeit)
Prozeßcharakter der gesellschaftlichen Entwicklung, Veränderbarkeit der Gesellschaft durch Selbst- u. Mitbestimmung Stufen der historischen Entwicklung
Veränderbarkeit von Arbeit u. Herrschaft (sozialer Wandel) "Ziel" u. Theorien der Geschichte
Erschließung von Quellen,
Quellenkritik/Chronologie
Stufen/Epochenmerkmale
politische
ökonomische
soziale und soziologische
geographische
Politische Bildung
(Herrschaft)
Selbst- u. Mitbestimmung bezogen auf das Demokratiegebot, Fähigkeit zum aktivem pol. Handeln inner- u. intergesellschaftl. Konflikte, Institutionen-"Kunde" Funktion des Rechts verschieden. Herrschaftsformen Handlungs- und Aktionswissen, Analyse von Gesetzen und anderen politischen Quellen politökonomische
historische
geographische
soziale u. soziologische
Sozialisation / Soziologie
Gesellschaft / Interaktion
Erkenntnis des primären Erfahrungsfeldes Struktur und Wandel der Gesellschaft, gesellsch. Totalität, Identitätsbildung primäre Sozialerfahrungen, Erfahrungsdefizite gesellschaftl. Strukturen und Konflikte Methoden der empirischen Sozialforschung
Theorien der Gesellschaft
politische
historische
politökonomische
(geographische)
(psychologische)

[/S. 166:] Die behandelten Richtlinien haben Integrationsansätze unterschiedlicher Signifikanz. Die weitestgehende Integration des sozialwissenschaftlichen Lernbereichs ist im Rahmenlehrplan G/P der Gesamtschule in NW zu finden, bzw. in den hessischen Rahmenrichtlinien. Der Integrationsanspruch dieser Richtlinien leitet sich aus dem obersten Lernziel der Selbst- und Mitbestimmung im Sinne des Demokratiegebots des Grundgesetzes ab. Daraus folgt der Anspruch, den Schülern die gesamtgesellschaftliche Realität vermitteln zu wollen, die in den Lernfeldern für die Schüler sinnvoll strukturiert wird. Die beteiligten Fachwissenschaften, die auch bisher im Unterricht nicht berücksichtigte Disziplinen umfassen, haben sich in Ihren Beiträgen dem Ziel der Richtlinien unterzuordnen und zur Vermittlung der Erkenntniszusammenhänge mit ihren fachspezifischen Erkenntnissen und Methoden beizutragen. Die gegen die Richtlinien vorgebrachten grundlegenden Einwände sind widerlegt worden, so daß ihr Integrationsanspruch als wissenschaftlich und didaktisch haltbar angesehen werden kann. Die Integrationansätze der beiden hier behandelten Lehrpläne sind nicht so ausgeprägt, u.a. weil sie in ihren Zielforderungen nicht so weit gehen und nicht auf der gleichen gesellschaftlichen Analyse beruhen wie die Rahmenrichtlinien und der Rahmenlehrplan. (17)

So weit wie die empirisch nicht abgesicherten Erfahrungen Schlußfolgerungen zulassen, war und ist die Praxis des integrierten Lernbereichs Gesellschaft/Politik in den Gesamtschulen praktikabel, in den Augen der Lehrer und der Gesamtschulbeobachter erfolgreich, effizient im Sinne einer stärkeren Politisierung der Schüler und dem traditionellen Unterricht überlegen. Belege dafür finden sich in den positiven Stellungnahmen der Gesamtschullehrer für diesen Lernbereich und den Rahmenlehrplan, und sie dokumentieren sich in der Fülle der von den Gesamtschulen entwickelten integrierten Unterrichtseinheiten.

 

6.2. Didaktische Konsequenzen und Strukturmerkmale eines integrierten sozialwissenschaftlichen Curriculums

Die Konsequenzen aus der Überprüfung des bisher gesagten können nur lauten:

Fächerintegration im sozialwissenschaftlichen Lernbereich.

Zur Überwindung bzw. zur Verhinderung der Atomisierung des Unterrichts und damit der Bewußtseinsprozesse bei Schülern ist der "ideologische" Bereich des Unterrichts (die sozialwissenschaftlichen Fächer) so zu organisieren, daß das Lernziel der Selbst- und Mitbestimmung realisierbar ist. Die Schüler sollen die gesellschaftlichen Grundstrukturen erkennen, ihre eigene Identität finden und durch eine affektive Betroffenheit zu politisch aktiven, solidarisch handelnden Bürgern im Sinne dieses Lernziels motiviert werden. Das kann aber nicht intentional geschehen durch einen atomisierten, an Fachsystematiken festgemachten Unterricht.

Eine Alternative bietet der integrierte sozialwissenschaftliche Unterricht, wie er mit den Rahmenrichtlinien bzw. dem Rahmenlehrplan konzipiert worden ist. Die Anlehnung an den Rahmenlehrplan ist eine grundsätzliche Entscheidung für das oberste Lernziel, für einen integrierten Unterricht und die ihm korrespondierende Projektmethode. Aus der Aufarbeitung der didaktischen Modelle, der Lehrpläne und der unterrichtlichen Praxis haben sich allerdings einige Korrekturen und Erweiterungen ergeben, die es zu berücksichtigen gilt.

[/S. 167:] Die kritischen Einwände gegen die beiden Lehrpläne richteten sich zum einen auf formale Mängel, die ohne große Schwierigkeiten zu beheben sind. Kritisiert wurde besonders die unüberschaubare Länge des Lehrplans, seine Unübersichtlichkeit, die Disharmonie zwischen den Arbeitsschwerpunkten und den Arbeitsbereichen und die soziologisch überfrachtete Sprache.

Durch die Herausnahme der fachspezifischen Arbeitsschwerpunkte - sie hatten überwiegend taktischen Charakter, um die fachspezifischen Einwände aufzufangen (18), durch den Verzicht auf die Teile über Unterrichtsorganisation und die Materialhinweise, die unsystematisch und unvollständig den Lehrplan mehr belastet haben als das sie für den Lehrer eine Hilfe waren, sind diese Mängel zu beheben. Die beiden letzten Punkte könnten in gesonderten, für die Lehrer viel ergiebigeren Materialteilen aufgezogen werden, wie es z.B. in NW durch eine Materialkartei in Anlehnung an die Themenstichworte geschehen ist. Die Unterrichtsorganisation könnte an Unterrichtsbeispielen ebenfalls gesondert exemplifiziert werden.(19)

Der Vorwurf der mangelnden Übersichtlichkeit ist in NW durch die "Übersicht über die Jahrgänge" behoben worden. (20) Der mangelnde Bezug zu fachwissenschaftlichen Methoden, Fähigkeiten und Fertigkeiten Ist in NW ebenfalls durch das Programm der Intensivkurse angegangen und abgebaut worden. (21) Im Lehrplan würde der konkrete Verweis auf die Intensivkurse in Form von Stichworten wie "Luftbild", "Gebrauch der Kartenlegende" usw. genügen. Die soziologisch überfremdete Sprache müßte da, wo es ohne Schaden für den Sinn des Lehrplans geht, bereinigt werden. Das trifft ebenfalls zu auf den Mangel an geographischen Lernzielen und Themenstichworten. (22) Die formalen Mängel sind also z.T. schon behoben worden und dürften bei einer nochmaligen Überarbeitung zu lösen sein.

In einem weiteren Punkt ist der fehlende Begründungszusammenhang für die Lernfelder bzw. die Arbeitsbereiche anzugehen, weil sonst die Frage im Raum bleibt, warum diese Lernfelder und keine anderen. Ebenso ist ihre Zahl "vier" kritisch zu überprüfen, besonders unter dem Aspekt, daß die tragenden Fächer des sozialwissenschaftlichen Lernbereichs, die Geographie und die Geschichte, als Lernfelder nicht mehr direkt im Lehrplan zum Zuge kommen. Sie sind zwar,- wie belegt worden -, immanent In allen vier Lernfeldern, in den Lernzielzusammenhängen, in den Lernzielen und den Themenstichworten vertreten, sie laufen aber trotzdem Gefahr, in ihrem fachspezifischen Wert im Lehrplan und damit in der Praxis zu kurz zu kommen. Das Problem ist deshalb vorrangig zu lösen. Im Gesamtschulversuch in NW ist aus diesem Grunde, um den historischen Aspekt stärker zu berücksichtigen, eine historisch-chronologische Unterrichtsreihe entwickelt worden mit dem Titel "Arbeit und Herrschaft", um für jede historische Epoche/Stufe in komprimierter Form ihre charakteristischen Merkmale aufzugreifen und zu vermitteln. (23)

Gewissermaßen exemplarisch sollten, beginnend mit der Urgesellschaft über die Antike, den Feudalismus, den Frühkapitalismus, den Kapitalismus, den Imperialismus bis hin zur Gegenwart und Zukunft, die gesamtgesellschaftlichen Strukturmerkmale von Arbeit und Herrschaft politökonomisch aufgearbeitet werden. Das wäre sicher eine Ergänzung im Interesse des Faches Geschichte unter gleichzeitiger Berücksichtigung des obersten Lernziels. Analog dazu wäre für die Geographie zu verfahren. Indem die Grunddaseinsfunktionen aufgegriffen werden, um sie an einzelnen Beispielen als die Grundkategorien der Geographie zu demonstrieren.

[/S. 168:] Die beiden Fächer sollten als neue Lernfelder V und VI die bisherigen vier Lernfelder ergänzen, aber natürlich genauso wenig abschottet und isoliert verstanden werden wie die anderen Lernfelder. Wie in der Reihe "Arbeit und Herrschaft" und von der Zielsetzung des Lehrplans angelegt, müßten Unterrichtseinheiten die für das jeweilige Verständnis notwendigen Disziplinen in die Planung mit einbeziehen. (24) Damit würde der gesamte Lernbereich Gesellschaft aus insgesamt sechs interdependenten aber strukturierenden Lernfeldern bestehen, die ihre Berechtigung aus dem Lernbereich Sozialwissenschaften, aus dem obersten Lernziel, den Fachdidaktiken und den Fachwissenschaften ableiten. Aus dieser umfassenden Begründung ist der Lernbereich nur noch z.T. identisch mit den fachdidaktischen Modellen.

Das Lernfeld I Sozialisation erhält seine Begründung aus der Aufarbeitung der unmittelbaren Erfahrung der Schüler. Aktive Teilnahme an Lernprozessen lassen sich am ehesten aus der eigenen Erfahrung angehen, wie sie im Sozialisationsprozeß besonders der Familie, der Schule, dem Stadtteil und dem Spiel (+ Erfahrungsdefiziten der Kinder) möglich sind. Die drei Formen der Erfahrungsdimension wie sie B. Schaeffer darstellt, wären zu berücksichtigen:

  1. Kompensation subjektiver Erfahrungsdefizite;
  2. Rekonstruktion objektiver Erfahrungszusammenhänge über
    1. Gegenstände
    2. Individuen,
    3. Organisationsformen;
  3. Produktion kollektiver Erfahrungsperspektiven. (25)

Das Lernfeld II Arbeit / Wirtschaft ergibt sich aus dem ursprünglichen - durch die Trennung von Familie und Produktion verloren gegangenen - primären Erfahrungsfeld der Kinder, die früher mit der Arbeit der Eltern direkt in Berührung kamen und mit ihr aufwuchsen - und dem späteren Erfahrungsfeld der Schüler als zukünftige Lohnabhängige. Die praktische Begabung vieler Schüler, die zentrale Stellung der Arbeit im menschlichen Leben, die defizitäre Einschätzung gerade der produktiven Arbeit in der gegenwärtigen Gesellschaft lassen es sinnvoll (26) erscheinen, den Bereich der Arbeit und Wirtschaft aus der direkten Erfahrung, also polytechnisch aufzugreifen, um ihre Dimension, ihre Struktur und ihrer Veränderbarkeit richtig einschätzen zu können. Zu vermitteln ist die zentrale Kategorie von Kapital und Arbeit und die damit zusammenhängenden Konflikte, ihre Ursachen und Lösungsalternativen.

Das Lernfeld III Öffentliche Aufgaben ergibt sich aus dem politischen Handlungsraum, dem Staat, den Institutionen, in denen sich auch das Leben der Schüler schon vollzieht. Zentrale Kategorie ist der Konflikt, der von den Schülern ebenfalls (in Ansätzen auch durch eigene Aktionen) in der Schule und darüber hinaus erfahren und aufgearbeitet werden kann.

Das Lernfeld IV Internationale Konflikte und Friedenssicherung bezieht seine Begründung aus der weltweiten Verflochtenheit der Gesellschaften und Staaten und der Verantwortlichkeit für die Menschen über die Grenzen des eigenen Landes hinaus. Eine menschenwürdige Gesellschaft ist letztlich eine alle Menschen umfassende Weltgesellschaft.

Das Lernfeld V Zeit erfährt seine Begründung aus dem historischen Charakter aller gesellschaftlichen Erscheinungsformen. Sie ist zwar immanent in den anderen Lernfeldern enthalten, sollte aber mit bewußt herausgehobenen historischen Be[/S. 169:]zügen erweitert werden, um aus der Aufarbeitung der historischen Erfahrung die Veränderbarkeit der Gesellschaft und Natur durch die Arbeit und die eigene historische Identität intensiver zu erkennen und um handlungsfähige Kompetenz zu erlangen.

Das Lernfeld VI Raum ist aus der Dimension abgeleitet, in der sich das gesellschaftliche Leben bewegt: dem Raum. Es geht um die Vermittlung der Grunddaseinsfunktionen, die raumrelevant sind; sich fortpflanzen, arbeiten, wohnen, sich versorgen und konsumieren, sich erholen und sich bilden. Verkehrsteilnahme.

Weitere Lernfelder könnten möglich sein, sind aber wegen der Gefahr der Zersplitterung nicht sinnvoll. Die Beiträge weiterer Fachdisziplinen bei bestimmten Themenstichworten sind auch ohne eigene Lernfelder zu berücksichtigen. Grundlegendes Prinzip bei den Lernfeldern ist ihre Hilfsfunktion zur Erfassung gesellschaftlich relevanter Themen, die jedoch in fast allen Fällen in mehrere Lernfelder hineinreichen, aber schwerpunktmäßig von einem ausgehen sollen. Das Schema "Übersicht über die Jahrgänge" (s. Seite 170) veranschaulicht die erweiterten Lernfelder. (27)

Der Zielsetzung eines solchen Curriculummodells und seinem Integrationsansatz korrespondiert In weiten Teilen die Projektmethode, deren Merkmale kurz skizziert werden sollen:

  • "die Beteiligung von Lehrern und Schülern an der Planung und Durchführung des Unterrichts,
  • die gemeinsame Findung des Themas und der Lernziele,
  • die Überwindung der Fächergrenzen und
  • die Handlungsrelevanz des Themas." (28)

Die zentralen Merkmale dieser Methode ziehen eine Fülle von Schwierigkeiten für ihre unterrichtliche Anwendung nach sich. So bereitet ein an Lernzielen festgemachter Unterricht enorme Probleme, die Schüler "echt" an der Planung zu beteiligen, denn die Ziele sind ja Vorgaben, die nicht so ohne weiteres geändert werden können. In letzter Konsequenz müßte die Mitbestimmung allerdings bis hin zu den Lernzielen gehen. Weitere Schwierigkeiten sind von der Schulaufsicht und den Eltern zu befürchten, wenn der Unterricht nicht mehr in den gewohnten und durch Richtlinien gesicherten Bahnen verläuft. Es mag sein, daß der Nebenfachcharakter die Proteste zurückhält, solange nicht auch noch politisch "Anrüchiges" in den Projekten erarbeitet wird. (29)

Der andere Punkt in der Praxis, der problematisch zu sein scheint, ist die Handlungsrelevanz des Themas. Sie birgt für einen Lehrer zusätzliche Belastungen und Risiken, mit dem Unterricht über den Klassenraum hinauszugehen. Nur werden es ihm die Schüler danken, denen damit der Sinn von Schule wieder erschlossen werden könnte, besonders in den oberen Jahrgängen. (30) Die Vorteile der Projektmethode für den integrierten Unterricht sind ohne weiteres einsichtig: Zum einen wird das Lernziel der Selbst- und Mitbestimmung im Lernprozeß, also der schulischen Sozialisation, ernst genommen und zum ändern ist die Fächerintegration von der Methode ebenfalls eingeschlossen, wenn es das Thema erfordert. Sie bereitet die Chance, den Ernstcharakter des Lernziels und des Lernprozesses zurückzugewinnen und damit die Chance, die Vermittlung von Erkenntniszusammenhängen in den Mittelpunkt zu rücken. [/S. 170:]

 
Lernfelder

Jg.
I
Sozialisation
II
Arbeit/Wirtschaft
III
öffentliche Aufgaben
IV
Internationale Konflikte
V
Zeit
VI
Raum
5/6 wie bisher im RLP
und Erfahrungsdefizite
wie bisher im RLP
mehr polytechnische Bildung
wie bisher im RLP wie bisher im RLP Urgesellschaft
Antike
Sich fortpflanzen und in Gemeinschaft leben
Wohnen
7/8 wie bisher im RLP
und Erfahrungsdefizite
wie bisher im RLP
mehr polytechnische Bildung
wie bisher im RLP wie bisher im RLP Feudalismus
Frühkapitalismus
Kapitalismus
Arbeiten
sich versorgen
und konsumieren
9/10 wie bisher im RLP
und Erfahrungsdefizite
wie bisher im RLP
mehr polytechnische Bildung
wie bisher im RLP wie bisher im RLP Imperialismus
Gegenwart
Alternative Modelle
sich bilden
sich erholen
Verkehrsteilnahme

[/S. 171:] Die groben Strukturen des Lehrplans würden zusammengefaßt wie folgt aussehen (31):

  1. Bestimmung und Begründung des obersten Lernziels
  2. Ableitung und Begründung der sechs Lernfelder
  3. Übersicht über die Lernfelder
  4. Darstellung der jeweiligen sechs Lernfelder und ihrer
    • Lernzielzusammenhänge
    • Teillernziele
    • Themenstichworte
    • Fähigkeiten und Fertigkeiten auch fachspezifisch in Form von Verweisen auf
    • Intensivkurse

6.3 Hinweise zur Implementation

Bei der Realisierung eines solchen curricularen Vorhabens sind wenigstens drei Punkte zu beachten, wenn das ganze Projekt nicht scheitern soll:

  1. Die formale und inhaltliche Organisation des Unterrichts
  2. Die Lehreraus- und -fortbildung
  3. Die politische Absicherung

Der gesamte Lernbereich könnte - wenn man von der bisherigen Stundenzuweisung für die Einzelfächer ausgeht - 7 bis 10 Wochenstunden mit auf der Stundentafel für sich beanspruchen. Das wäre auf jeden Fall für jeden Unterrichtstag eine Doppelstunde. Das Schuljahr wäre für den Lernbereich in achtel Zeiten einzuteilen, wovon zwei Achtel zur freien Verfügung stehen würden und die restlichen sechs Achtel für die sechs Lernfelder, so daß im Schnitt für jedes Lernfeld eine Unterrichtszeit von ca. 50 Stunden zu erwarten wäre. (32) Das würde für jeden Lernbereich 3-4 Unterrichtseinheiten bedeuten. Es sollten aber für die beiden traditionellen Lernbereiche Raum und Zeit im Höchstfall eine Unterrichtseinheit mit ca. 20 Stunden laufen, so daß besonders für den polytechnischen Unterricht noch mehr Zeit zur Verfügung stehen würde. (33)

Innovationen bleiben Makulatur solange die Lehrer nicht in das Vorhaben einbezogen werden, also die Lehreraus- und -fortbildung entsprechend ausgerichtet werden. Nur in Form von Erlassen wird eine Schulreform von der bestehenden Praxis unterlaufen.

Für das hier vorgetragene Konzept wäre eine frühe Beteiligung der Betroffenen notwendig, bevor Lehrer und Wissenschaftler in die Detailarbeit der Curriculumentwicklung gehen würden. Schon hier müßte besonders die betroffene Öffentlichkeit beteiligt werden, ähnlich wie es in der Zukunft bei größeren städtebaulichen Maßnahmen gesetzlich vorgeschrieben Ist: die Öffentlichkeit schon im Planungsstadium zu beteiligen. (34) Das Lernziel der Selbst- und Mitbestimmung würde damit nicht vor der Schultür enden, sondern einen alle gesellschaftlichen Bereiche umfassenden Lernprozeß initiieren.

Anmerkungen

[/S. 204:] 6. Strukturen eines integrierten sozialwissenschaftlichen Curriculums (S.161 - 171)

(1) Die Kurzfassung der Thesen sollen hier mit den zusammengefaßten Ergebnissen der einzelnen Kapitel .verglichen werden. Ausführlicher ist dabei die These zu den didaktischen Modellen geraten, weil sie die grundlegenden Strukturen eines integrierten sozialwissenschaftlichen Curriculums darstellen.
(2) Dieckmann/Bolscho: Gesellschaftswissenschaftlicher Unterricht, Bad Heilbronn 1975, S. 10.
(3) Wulf, C.: Das Politisch-sozialwissenschaftliche ..., a.a.O., S. 19.
(4) Schwerdtfeger, E.: Integration unter historischem Aspekt, Thesenpapier zu einem Referat mit Diskussion auf der Tagung "Theorie und Praxis des integrativen Unterrichts" ..., a.a.O., S. 3 f.
(5) Ebd., Punkt 14.
(6) In dieser Diskrepanz stehen fast alle positivistischen Modelle, die zwar das Dilemma auch spüren, ober nicht in der Lage sind, abgehoben von ihrer Disziplin, Lösungen zu suchen.
(7) Vgl. dazu noch diese Position der "Positivisten" oder auch "kritischen Rationalisten" bei Scriven, M.: Die Struktur ..., a.a.O., S. 295.
(8) Politische Bildung auf den Ebenen dieser didaktischer Modelle bleibt auch dann affirmativ, wenn integrative Bemühungen vorhanden sind, die nicht zur "Totalität" der Gesellschaft vorstoßen können und wollen.
(9) Schwerdtfeger, E.: Integration ..., a.a.O., Punkt 16.6.
(10) Vgl. besonders die "linken" Entwürfe, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Analyse zu der logischen Konsequenz vorstoßen über Fächerintegration die Atomisierung des Lernprozesses zu beenden. Vgl. Christian, W.: Probleme ..., a.a.O., S. 43.
(11) Auch unter Berufung auf das Grundgesetz, daß ja eindeutig für Demokratie votiert, d.h. für Selbst- und Mitbestimmung, ist eine entsprechende Didaktik zu entwerfen. [/S. 205:]
(12) Siehe hierzu etwa Marx, Bloch, Dahrendorf u.a..
(13) Zusammengefaßt ergibt diese die knappe "Formel", die allerdings noch nicht zielgerichtet ist. Aber erst die Zielsetzung der Selbst- und Mitbestimmung gibt der "Formel" einen Sinn.
(14) Das soll kein Plädoyer gegen Faktenwissen sein, nur kann Faktenwissen alleine keine gesellschaftlichen und individuellen Aufgaben und Probleme lösen helfen.
(15) Mit der Formulierung "Abnahme von Herrschaft" und "zunehmenden Beherrschung der Natur" kann die doppelte Intention eines sozialwissenschaftlichen Curriculums umschrieben werden; erstens: die Erkenntnis der gesellschaftlichen Zusammenhänge zu vermitteln und zweitens: die Schüler in die Richtung zu motivieren, sich gesellschaftlich zu aktivieren.
(16) Das folgende Schema ist im SS 1974 in seinen Grundzügen mit Studenten in einem Seminar über Fächerintegration an der PH-Ruhr erarbeitet worden.
(17) Vgl. dazu noch die Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschule In NW, 1973. Im Kapitel über die "Aufgaben und Organisation der Grundschule" heißt es: "Durch die Verbindung der Inhalte verschiedener Lernbereiche wird es möglich Projekte zu entwickeln, in denen der Unterricht um eine konzentrierte Mitte organisiert ist." Die hier angekündigten fächerübergreifenden Projekte finden sich allerdings nicht in dem erwarteten Maße in den Lehrplänen. Insgesamt sind die Richtlinien allerdings der Wissenschaftsorientierung stärker ausgeliefert und damit der Spezifizierung der Fächer und nicht ihrer Integration.
U. Theißen: "Meines Erachtens wird durch die inhaltliche und strukturelle Aufteilung des Sachunterrichts nach den traditionellen Fächern in den Lehrplänen der hoffnungsvolle Ansatz, den Sachunterricht nach fachübergreifenden Inhalten in Form von Projekten zu strukturieren, zerstört." Ders.: Die Neuorientierung der Geographiedidaktik und ihre Auswirkung auf den Sachunterricht der Grundschule, in: schwarz auf weiß, 3/1974, S. 6.
Der Lehrplan Sozialkunde/Politik für Hamburg 1973 geht von der Aufgabe aus, komplexe Zusammenhänge durch fächerübergreifende Projekte zu verdeutlichen, allerdings ohne die Fächer selbst aufzulösen. Vgl. dazu Mommsen, H.; Gesellschaftliche Emanzipation ..., a.a.O. S. 9.
(18) Besonders den Widerstand der Gymnasiallehrer in Hessen.
(19) Vgl. dazu die Anmerk, im Kapitel 4.3.
(20) Vgl. die Übersicht auf S. 128.
(21) Siehe dazu ebenfalls die Ausführungen zu Kapitel 4.3.
(22) Sie sind sicher von der Gesamtzahl unterrepräsentiert; nur ist das kein grundlegendes Problem, das sich nicht lösen ließe.
(23) Vgl. dazu die Ausführungen im Kapitel 5.
(24) Z. B. Geographie, Ökonomie und Sozialwissenschaften.
(25) Siehe dazu B. Schaeffer: Erfahrungen als Grundlagen ..., a.a.O., S. 113. In dieser tabellarischen Übersicht versucht sie die "Didaktische Dimension des erfahrungsorientierten sozialen und politischen Lernens und der Gesellschaftslehre" zusammenzufassen.
(26) Das soziale Ansehen (Stufenleiter des sozialen Aufstiegs) und das Arbeitseinkommen steigen mit der Entfernung von einem manuellen Arbeitsplatz.
(27) Die Lernziele können ebenfalls wie die meisten Themenstichworte aus dem Lehrplan übernommen werden.
(28) Definition des Projektbegriffs bei Mütler/Faulenbach u.a.: Stellungnahme ..., S. 85; zu konkreten Projekten siehe Müller, H.: Projektunterricht z.B. Chile, z.B. Obdachlosigkeit. Zur Praxis des gesellschaftspolitischen Unterrichts, in: päd:extra, 1/76, S, 27 ff.; Projektorientierter Unterricht. Lernen gegen die Schule? hrsg. von der Redaktion b:e, Weinheim 1976.
(29) Aus meiner eigenen Erfahrung und der begleitenden Beobachtung der Gesamtschulen glaube ich, daß ein engagierter politischer Unterricht möglich ist, der bis hin zu Aktionen der Schüler gehen kann.
(30) Die Schulmüdigkeit und die Aggressivität der Schüler hat etwas zu tun mit der Abgehobenheit des Lernens von der Praxis, dem Leben und der "Sinnlosigkeit", die hinter der Schule steckt, wenn vielen Schülern die Aussicht auf einen Arbeitsplatz verstellt ist.
[/S. 206:]
(31) In Anlehnung an den Rahmenlehrplan bzw. die Rahmenrichtlinien Gesellschaftslehre.
(32) Bei einer normalen Unterrichtszelt von ca. 32 Stunden pro Woche.
(33) Die polytechnischen Projekte sollten so angelegt sein, daß über einen längeren Zeitraum gearbeitet werden könnte. Voraussetzung dazu Ist die Bereitschaft von Firmen, diesen Unterricht durchzuführen und/oder die Ausstattung der Schulen mit Werkstätten.
(34) Vgl. dazu das neue Bundesgesetz in der Neufassung vom 18. August 1976, Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1976, Teil l, § 2 a.

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[1] http://www.geschichte.uni-halle.de/personen/pandel.htm
[2] http://www.lrz-muenchen.de/~uf32101/www/soz_beck.htm
[3] http://www.politik.uni-halle.de/reinhardt/
[4] http://www.sozialextra.de/leske-budrich/
[5] http://www.uni-giessen.de/fb03/didaktik/Personen/Wolfgang/WOLFGAN.HTM
[6] http://www.politik-dd.development-it.com/index.php?id=24
[7] https://sowi-online.de/01beitrag.htm
[8] http://www.zfl.uni-bielefeld.de/studium/sekundarstufe2/studienordnung/sozialwissenschaften.html
[9] https://sowi-online.de/01beitrag.htm%23s368
[10] https://sowi-online.de/01beitrag.htm%23s366
[11] http://www.bpb.de
[12] http://www.dvpb.de
[13] https://sowi-online.de/autoren.htm%23pandel
[14] https://sowi-online.de/autoren.htm%23sander
[15] http://www.zfl.uni-bielefeld.de/studium/primarstufe/studienordnung/sachunterricht_gl.html
[16] http://www.uni-kl.de/FB-SoWi/FG-Paedagogik/Personen/Arnold.htm
[17] http://www.kultusministerkonferenz.de/
[18] http://www.bildung.hessen.de/anbieter/km/
[19] http://www.inrp.fr
[20] http://www.education.gouv.fr/default.htm
[21] http://www.elysee.fr/
[22] http://www.college-de-france.fr