Download [1] des sowi-onlinereaders 3 "Das Integrationsproblem der sozialwissenschaftlichen Fächer" (340 KB)
sowi-onlinereader dokumentiert hier grundlegende und praxisbezogene Beiträge zur Problematik der Integration verschiedener sozialwissenschaftlicher Disziplinen in einem Schulfach. Die Debatte über diese Frage erlebte einige bildungspolitische Höhepunkte, etwa im Kontext der Hessischen Rahmenrichtlinien Gesellschaftslehre (erste Hälfte der 1970er). Sie findet derzeit ein neues Feld in der Frage, ob man für die ökonomische Bildung ein eigenes Schulfach neben dem für die politische Bildung braucht (vgl. sowi-onlinereader "Ökonomische und politische Bildung [2] "). Zentrale Texte zur Integrationsproblematik macht sowi-onlinereader hier zugänglich, weil
sowi-onlinereader möchte mit dieser Dokumentation Beiträge zum "Integrationsproblem" leicht zugänglich machen, besonders für fachdidaktische Lehrveranstaltungen an den Hochschulen und für die fachdidaktische Ausbildung in den Fachseminaren des Referendariats, aber auch für die Selbstreflexion derjenigen, die im Schulalltag mit der Integrationsproblematik zurechtkommen müssen.
Aktuelle Debatten zum integrativen Lernen im Lernbereich Sozialwissenschaften dokumentiert die iböb - Initiative für eine bessere ökonomische Bildung [3].
Gerhard Himmelmann, Dr., Professor am Seminar für Sachunterricht und Politik der Abteilung Politische Wissenschaft und Politische Bildung im FB 9 an der Technischen Universität Braunschweig.
Jürgen Lackmann, Dr. rer. pol., PD an der Technischen Universität Berlin, Wiss. Angestellter, Pädagogische Hochschule Weingarten. Homepage [4]
Klaus Moegling, Dr. rer. pol., M.A., Lehrer an einem Gymnasium in Kassel, Lehrbeauftragter an der Universität Gesamthochschule Kassel. Beitrag [5]
Karl A. Otto, Dr. paed., emeritierter Professor für Politische Soziologie und Didaktik der Sozialwissenschaften an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld.
Hans-Jürgen Pandel, Dr., Professor für Didaktik der Geschichte, Institut für Geschichte, Fachbereich Geschichte, Philosophie und Sozialwissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Homepage [6]
Sibylle Reinhardt, Dr., Dipl.-Soz., Professorin für Didaktik der Sozialkunde, Institut für Politikwissenschaft, Fachbereich Geschichte, Philosophie und Sozialwissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Homepage [7]
Lehrbeauftragter am Institut für Arbeitslehre des FB 2 (Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften) der Technischen Universität Berlin. Beitrag 2 [8]
Wolfgang Sander, Dr., Professor für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen. Beitrag [9] Homepage [10]
Um die Möglichkeiten einer pädagogisch notwendigen Zusammenarbeit von Sozialkunde, Geographie und Geschichte zum Zwecke der politischen Bildung zu erörtern, wähle ich im folgenden als theoretische Prämisse einen fachdidaktischen Bezugsrahmen (1). Fachdidaktik begreife ich dabei weder als schiere Unterrichtstechnologie noch als fachenthobene allgemeine Didaktik, sondern als Reflexionsinstanz, die darauf gerichtet ist, den gesellschaftlichen Relevanzanspruch und die faktische Relevanzwirkung der Fachwissenschaften auf Lernprozesse in Form von Emanzipationsprozessen der lernenden Subjekte einzulösen. Ausdruck für diesen Anspruch ist die beobachtbare Tendenz der Fachdidaktiken, sich als kritische wissenschaftliche Instanzen mehr und mehr zwischen Fachwissenschaften und Schule einerseits und zwischen Staat und Schule andererseits zu schieben. Die Fachdidaktiken wären der theoretisch geeignete und legitime Ort, die Ansprüche von Schuladministrationen und Wissenschaften in reflektierter Parteinahme für den Schüler zu prüfen. Das gilt auch für die Forderung nach Kooperation, Integration und Eigenständigkeit der Schulfächer.
Weder Vertreter der Fachwissenschaften, des Staates, der Schulpraxis noch der Standesverbände konnten bisher eine Lösung dieses Problems anbieten. Es wurden weder befriedigende Integrationskonzepte vorgelegt, noch wurden überzeugende Nachweise für deren Unmöglichkeit erbracht. Die Antworten wurden nämlich auf Ebenen gesucht, auf denen sie m. E. nicht zu finden sind. Das Problem der Integration, Kooperation und Eigenständigkeit der Unterrichtsfächer im Rahmen der politischen Bildung ist weder ein [/S. 347:] wissenschaftsorganisatorisches oder ein bildungspolitisches, sondern ein didaktisches Problem. Diese Problemkonstellation brachte deshalb auch Richtlinienverfasser und um Integration bemühte Schulpraktiker immer wieder in Schwierigkeiten. Sie waren (und sind es wohl noch immer) gezwungen, einen fachdidaktischen Diskussionsstand zu antizipieren, der heute noch nicht erreicht ist. So existiert z. B. noch immer keine einzige fachdidaktische Monographie des Integrationsproblems.
Der Anspruch der Fachdidaktiken, diejenigen Probleme zu lösen, die bisher als bloße wissenschaftsorganisatorische und bildungspolitische Fragen angesehen wurden, hat ihnen heftige Kritik eingetragen. Ihnen wird die Legitimation, Ziele zu formulieren, als ein "hybrider" Anspruch abgesprochen (2); weiterhin wird ihnen vorgeworfen, nur eine ‚sich zum Heilsmythos steigernde Didaktik" könne das Integrationsproblem lösen wollen (3). Trotz dieser Argumente, die als wenig überzeugende Gegenvorschläge die sich potentiell im Vierjahreszyklus der Wahlen erneuernde staatliche Dezision und eine personengebundene Wissenschaftlerethik für Interdisziplinarität empfehlen, halte ich an dem Konzept einer wissenschaftstheoretisch aufgeklärten und um Erkenntnisweisen zentrierten Didaktik als Sozialwissenschaft fest.
Eine fachdidaktische Bestandsaufnahme des Integrationsproblems (in dem eben skizzierten Sinne von Fachdidaktik) müßte sich m. E. auf drei Argumentations- und Diskussionszusammenhänge beziehen: auf die curriculare Diskussion, wie sie sich nach Abschluß der Richtlinienkontroversen zeigt, auf den innerwissenschaftlichen Diskussionsstand der Fachwissenschaften und auf die Ergebnisse der Wissenschafts- und Erkenntnistheorie. Die Fachdidaktiken lassen sich gegenwärtig stärker auf die Reflexion ihrer facheigenen Grundlagen ein und gewinnen zunehmend an kategorialer Festigkeit. Der innerwissenschaftliche Diskussionsstand in den Fachwissenschaften, der gekennzeichnet ist durch Tendenzen und Versuche einer sozialwissenschaftlichen Fundierung sowie einer explizit gemachten gesellschaftstheoretischen Orientierung der Disziplinen, ergibt [/S. 348:] (eventuell) neue Perspektiven für die didaktische Diskussion (Geschichte als Historische Sozialwissenschaft, Geographie als Sozialgeographie bzw. als Raumwissenschaft). Ein für die Didaktik noch unerschlossener Argumentationszusammenhang liegt in der Wissenschaftstheorie vor. Von der "Wissenschafts-Wissenschaft" haben die Didaktiken bisher kaum Kenntnis genommen.
Der Begriff "Fachdidaktik" verweist nicht nur darauf, daß Fachdidaktik selbst ein Fach ist, sondern kennzeichnet auch ihre Bezogenheit auf andere Fächer. Eine Überprüfung der Bedingungen für die Möglichkeiten einer Integration von Fächern muß sich deshalb über Voraussetzung, Struktur und Logik von "Fächern" Klarheit verschaffen. Jenseits ihres organisatorischen Status als Institutionen begründen sie sich in ihrem wissenschaftshistorischen Prozeß auf gegenstandstheoretischer, methodologischer und konstitutionstheoretischer Ebene. Von diesen drei sich durchdringenden Ebenen soll geprüft werden, welche hemmenden oder fördernden Bedingungen für eine Integration vorliegen.
Integration wird erleichtert durch die gegenstandstheoretische Einsicht, daß die einzelnen Fachdisziplinen sich nicht durch eine besondere Dignität ihres dinglich verstandenen oder phänomenologisch wahrgenommenen Gegenstandes unterscheiden. Gegenstände von Wissenschaft sind nicht irgendwelche von vornherein gegebenen Klassen von separaten Phänomenen. Die Verschiedenheit der Wissenschaften resultiert nicht daraus, daß sie einen bestimmten vorgängig gegebenen Gegenstand, eine bestimmte exklusive Klasse von Phänomenen, zu ihrem ausschließlich von ihnen zu untersuchenden Gegenstand machen. Auf alle Dinge, Personen und Ereignisse in der Welt können sich alle Wissenschaften forschend beziehen. Da die Vergangenheit kein Monopolobjekt der Geschichtswissenschaft und die Gegenwart keines der Politologie oder Soziologie ist, kann jede vergangene, [/S. 349:] gegenwärtige und zukünftige Gesellschaft von allen diesen Disziplinen zum Objekt ihrer Forschung gemacht werden (4).
Ein Blick auf die neuere Disziplin der Friedens- und Konfliktforschung macht deutlich, daß ein Fach nicht lediglich durch einen konkretistisch gefaßten "Gegenstand" definiert wird. "Kriege" und "Konflikte" waren und sind "Gegenstände" etablierter Disziplinen. Die Friedens- und Konfliktforschung geht diese Gegenstände unter eigenen, neueren Fragestellungen an, wenn sie nach den gesellschaftlichen Bedingungen des Friedens, der strukturellen Gewalt oder nach der organisierten Friedenslosigkeit fragt. Ähnlich verhält es sich mit den Gegenständen "Geschichte" und "Vergangenheit". Auch sie ergeben allein keine tragfähige Basis zur Definition einer bestimmten Wissenschaft. Mit dem Gegenstand "Zeitgeschichte" befassen sich Politologie, Soziologie und Geschichtswissenschaft gleichermaßen, ohne daß dabei deren Verfahrensweisen oder deren Antworten, die sie auf ihre unterschiedlichen Frageweisen erhalten, identisch werden (5). Auf dem Gebiet der Zeitgeschichte ist in den letzten Jahren das Nebeneinander unterschiedlicher Disziplinen kaum strittig gewesen. Die Geschichtswissenschaft konnte aber die übrigen Bereiche der Vergangenheit mit gutem Grund um so mehr als ihr Monopolobjekt betrachten, als sich die Soziologie in Methode und in den von ihr gewählten Erkenntnisbereichen immer mehr enthistorisierte. Die Zahl der historisch gerichteten soziologischen Untersuchungen nimmt gegenwärtig aber merklich zu (Norbert Elias, Klaus Eder, Karlheinz Messelken) (6). Damit werden alle klassischen Entgegensetzungen, die vom dinglichen oder phänomenologischen Gegenstand her Geschichtswissenschaft und systematisierende Sozialwissenschaften zu unterscheiden suchten, immer unschärfer: Vergangenheit vs. Gegenwart, Geschichte vs. Gesellschaft, Geschichte vs. Politik, "res gestae" vs. "res gerendae" verlieren immer mehr ihre analytische Trennschärfe (vorausgesetzt, daß sie sie jemals besessen haben). Das gilt auch für die Formalgegenstände Individuelles vs. Allgemeines und Raum vs. Zeit. Ohne den hohen Stellenwert von Individuellem oder [/S. 350:] von Zeit für die Geschichtswissenschaft in Abrede stellen zu wollen, kann der Historiker weder individuelle Ereignisse noch Zeitphänomene für sich reklamieren. Politologische und soziologische Fallstudien befassen sich ebenso mit Individuellem wie Psychologie, Psychiatrie und Soziologie mit der Zeit (7).
Historiker und Geographen, die die Praxis ihrer Disziplin reflektieren, machen deutlich, daß ihre Wissenschaften sich nicht durch einen vorab gegebenen Gegenstand definieren (8). So schreibt der Historiker Reinhart Koselleck: "In der Praxis ist das Objekt der Historie alles oder nichts, denn ungefähr alles kann sie durch ihre Fragestellung zum historischen Gegenstand deklarieren. Nichts entgeht der historischen Perspektive" (9). Noch konkreter faßt es Fred K. Schaefer für die Geographie: "Demnach muß die Geographie ihre Aufmerksamkeit auf die räumliche Anordnung der Phänomene in einem Gebiet, und nicht so sehr auf die Phänomene selbst richten ... Nichträumliche Beziehungen, die sich unter den Phänomenen eines Gebietes finden, sind Untersuchungsgegenstand anderer Spezialisten wie der Geologen, Anthropologen oder Ökonomen ..." (10). Die "physischen Manifestationen wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Sachverhalte [bilden] keine selbständige Gegenstandskategorie", sondern sind "Beobachtungsgrundlage, welche die Analyse der eigentlichen Problemkategorie erleichtert" (11).
Werner Hofmann hatte bereits vor Jahren die Definition einer Wissenschaft von einem Gegenstand her verworfen:
"Wissenschaft ist durch nichts außer ihr Gegebenes, gleichsam dinglich, gesichert" (12). Folgt man dieser Argumentation, so fehlt einem Fach Gesellschaftslehre der wissenschaftstheoretisch gesicherte Zugriff, sofern man es vom "Gegenstand Gesellschaft" her konzipieren will. Trotzdem ist mit diesem Argument kein Einwand gegen die didaktische Forderung vorgebracht, Gesellschaft zum Gegenstand von Unterricht zu machen. Da der Gegenstand Gesellschaft nicht unabhängig vom Erkennenden schlicht objektivistisch gegeben ist, kann er nur über die unterschiedlichen fachspezifischen Frage- und Erkenntnisweisen erschlossen werden (13). [/S. 351:]
Integration wird erschwert durch die Einsicht in den gegenstandskonstitutiven Charakter der wissenschaftlichen Methoden. Die Einheitswissenschaft mit der Einheitsmethode ist ein wissenschafts-konservativer, positivistischer Traum geblieben. Im Positivismusstreit wurde offenbar, daß sich die Einheit der Wissenschaft durch das Verfahren nicht herstellen läßt. Allerdings sind Methoden nicht einer einzigen Fachwissenschaft zu eigen, sondern einer Fächergruppe. Die an der politischen Bildung im engeren Sinne beteiligten Fächer sind nicht einer einzigen, sondern mehreren Methoden verpflichtet. Keines dieser einzelnen Fächer ist methodologisch autonom; ihre Methoden sind vielmehr integraler Bestandteil einer allgemeinen Methodologie aller Sozialwissenschaften. Eine Reduzierung auf eine oder wenige Methoden - z. B. durch den Ausschluß der Hermeneutik -‚ um durch größere Einheitlichkeit Integrationsvoraussetzungen zu schaffen, ist ohne Erkenntnisverlust nicht möglich. Da diese Methoden emanzipationsermöglichendes Denken befördern sollen, wenn sie gelehrt werden, ist ihre Reduktion auf eine sogenannte Einheitsmethode mit gravierenden didaktischen Gefahren verbunden: Den Schülern werden Erkenntnismöglichkeiten vorenthalten. Mit "Methoden (historischer, politologischer, soziologischer, psychologischer etc.) Erkenntnis" sind jene Operationen der geistigen Auseinandersetzung mit den "Repräsentationsmodi der Gegenständlichkeit" (14) gemeint, die zu fachspezifischen Aussagen führen. Den Methoden, verstanden als folgerichtige Denkoperationen, liegt eine bestimmte Erkenntnisabsicht und damit eine bestimmte Aussageintention zugrunde. Der Schüler sollte daher nicht in erster Linie Wissensbestände lernen, sondern die "Wege des Fragens und Urteilens" (15). Insofern sind die Methoden der Erkenntnis Aneignungsform en oder Verfahrensweisen des Nachdenkens über Gegenstände, die durch das Verfahren des Nachdenkens erst konstituiert werden. Diese Erkenntnisweisen sind in der didaktischen Literatur ein bislang kaum diskutierter Bereich (16). Untersuchungen über diejenigen Erkenntnisweisen, denen sich ein Schüler bedie[/S. 352:]nen muß, wenn er für das "Fach", in dem er diese Erkenntnisweisen anwendet, zu fachspezifischen Aussagen kommen will, fehlen noch. Da diese Erkenntnisweisen für die einzelnen Wissenschaften grundlegend sind, können sie von den Didaktikern nicht (mehr) beliebig entworfen oder verändert werden. Sie sind vielmehr in den Wissenschaften "vorgezeichnet". In dem Bereich der Didaktiken der Sozialkunde, Geographie und Geschichte - einschließlich ihrer Bezugsdisziplinen - haben wir es vorwiegend mit vier unterscheidbaren Erkenntnisweisen zu tun, die unterschiedliche Erkenntnismöglichkeiten bieten:
Wenn durch die Unmöglichkeit einer Universalmethode die Integration nicht gerade erleichtert wird, so bieten die unterschiedlichen Verfahrensweisen doch die Grundlage für weitere Überlegungen. Auf dem Hintergrund dieser gegenstandskonstitutiven Verfahrens- und Erkenntnisweisen lassen sich m. E. weiterführende Aussagen über Kooperation, Integration und Eigenständigkeit der Unterrichtsfächer treffen. Geht man in der Analyse der Kooperations-Integrations-Problematik auf die fach(bereichs)spezifischen Erkenntnisweisen als Arten wissenschaftlichen Arbeitens zurück, so stellt sich die Frage der Zusammenarbeit der Unterrichtsfächer anders dar, als sie bisher diskutiert wurde. Die isolierenden Fächergrenzen sind nämlich in einer gewissen Weise bereits durchbrochen - und zwar durch die Erkenntnisweisen, "die sich zwar weitgehend, aber nicht vollständig mit Fächerbereichen im institutionellen Sinne decken bzw. zu decken brauchen" (17). Diese Erkenntnisweisen finden wir nur schwerpunktmäßig in den einzelnen Disziplinen. Selbst die einzelnen akademischen Schulen und Forschungsrichtungen innerhalb einer Disziplin bedienen sich unterschiedlicher Erkenntnisweisen, so daß die Verwandtschaft zu einem Nachbarfach der Disziplin oft eher erkennbar ist als zu einer anderen akademischen Schule innerhalb der eigenen Disziplin. [/S. 353:]
Die in einem Integrationsprozeß nicht einschmelzbaren Elemente sind die wissenschaftlichen Frageweisen, durch die sich die Wissenschaften erst konstituieren. Fächer konstituieren sich durch eine bestimmte Weise des Fragens und der daraus folgenden Art des Nachdenkens. Fächer sind folglich Denkweisen. Die jeweils spezifischen Frageweisen sind es, die die Eigen-Art der Wissenschaftsdisziplinen ausmachen. Wenn die Wissenschaften sich nicht durch die Ausrichtung auf separate Gegenstände konstituieren, sondern durch die Frageweisen, müssen sie sich mittels dieser Frageweisen ihren Gegenstand als Objekt möglicher Erkenntnis begrifflich erzeugen. Der Objektbereich des Fragens und Forschens wird im wesentlichen durch die Frageweise konstruktiv hergestellt (18). Erkenntnisgegenstände der Wissenschaft, die durch die "kategoriale Formung der Gegenstandsbereiche" (19) entstehen, sind somit nicht primär vorgegeben, sondern erst sekundär durch Wissenschaft konstituiert (20). Von den jeweiligen spezifischen konstitutiven Fragestellungen ausgehend, werden im Forschungsprozeß in empirischer und logischer Analyse systematische Aussagen über Zusammenhänge von Bereichen der Wirklichkeit oder systematische Aussagen über das System der Aussagen selbst gefunden (Disziplin und Metadisziplin). "Fächer" sind also "die verschiedenen objektiv möglichen und üblichen Weisen, die Welt zu begreifen und deren Ergebnisse" zu verstehen (21). Wirklichkeit wird auf eine spezifische Art erfaßt und denkend geordnet (22). Diese Definition von Fach macht keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Schul-Fach und Wissenschafts-Fach. Sie geht vielmehr davon aus, daß die Denkweisen in beiden Bereichen prinzipiell richtungsgleich und in ihrer Spezifik identisch sind. Forschungslogik und Unterrichtslogik werden dadurch aber nicht gleichgesetzt. Die Logik der Forschung folgt, wenn sie einmal von gesellschaftlich-praktischen Problemen ausgegangen ist, auch wissenschaftsimmanenter Gesetzlichkeit. Sie erbringt Ergebnisse des Faches, die von der Didaktik daraufhin befragt werden müssen, ob sie als Unterrichtsgegen[/S. 354:]stände geeignet sind, Wirklichkeit - und das heißt in diesem Falle: die Gegenwart und absehbare Zukunft des Schülers innerhalb einer historisch-gesellschaftlichen Konstellation - durch bestimmte Denkweisen zu begreifen und denkend zu ordnen (23). Fachwissenschaft ist damit ein "zumindest prinzipiell richtungsgleiches Verfolgen der auch im vorwissenschaftlichen Streben ... wirksamen Fragen" (24). Wenn aus praktischem Bedürfnis sich spezifische Fragen herausgebildet haben, die mit rational gesicherten und verfeinerten Methoden in den Fachwissenschaften fortgesetzt werden, kann ein Verzicht auf diese Betrachtungsweisen nur durch einen Verzicht auf bestimmte gesellschaftlich-praktische Erfahrung erkauft werden. Aus dem erkenntnistheoretischen Primat der Frageweisen folgt, daß sie sich nicht mit beliebigen Methoden verbinden lassen. Erkenntnismethoden (Verfahrensweisen und Forschungstechniken) müssen vielmehr mit den Frageweisen kompatibel sein, denn der Gegenstand wird nicht nur durch die Frageweise konstituiert, sondern er wird auch durch die Erkenntnismethoden mitkonstituiert. Verfahrensweisen und Untersuchungstechniken, derer sich die Erkenntnisweisen bedienen müssen, schlagen auf die Frageweise zurück und können, falls dieser Zusammenhang vernachlässigt wird, eine ganz andere als durch diese Frage angestrebte Aussageintention erzeugen.
Sozialwissenschaften sind diejenigen Disziplinen, die ihre durch die eigene Fragestellung erzeugte faktische Wirkung auf die soziale Lebenspraxis reflektiert in ihr Forschungsinteresse aufgenommen haben. Eine abschließende Entscheidung darüber, ob die Geschichtswissenschaft und die Geographie sich insgesamt als Sozialwissenschaften begreifen, ist noch nicht in Sicht. Diese Frage ist für die Didaktiken von großem Interesse, da sie Konsequenzen für methodologische Probleme, für das Selbstverständnis, die Erkenntnisinteressen und die gesellschaftstheoretische Orien[/S. 355:]tierung nach sich zieht. Der Charakter der Didaktiken kann dagegen unabhängig davon definiert werden, wie die Bezugsdisziplinen sich entscheiden. Wenn die Didaktiken nicht "Kunst" oder "Technik", sondern Wissenschaften sein wollen - und vieles spricht dafür, daß sie gegenwärtig auf dem Wege sind, ihr Paradigma als Wissenschaft zu formulieren -‚ dann bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als sich selbst als Sozialwissenschaften zu verstehen. Didaktiken sind, auch als Didaktiken von Naturwissenschaften, unweigerlich Sozialwissenschaften. Sie können und müssen deshalb auch mit den Begriffen der Sozialwissenschaften untersucht werden.
Die Hoffnung, der Forderung nach Integration durch eine sozialwissenschaftliche Umorientierung der Fachdisziplinen nachzukommen, hat sich bisher nicht erfüllt. Der Begriff "Sozialwissenschaften" legt eine Addition kompatibler und homogener Disziplinen nahe und täuschte in der Diskussion um das Fach (!) Gesellschaftslehre über die Unterschiede der einzelnen Sozialwissenschaften hinweg. Wenn politische Bildung in den Sozialwissenschaften ihre Bezugsdisziplinen hat (und eine Alternative dazu zeichnet sich zumindest im Augenblick nicht ab), ist sie darauf angewiesen, daß die einzelnen Disziplinen ihr mit einer Umorientierung die entsprechenden Vorgaben machen. In der Diskussion um die sozialwissenschaftliche Umorientierung ist aber auf eine gravierende Differenz zu achten: Es ist von eminenter Bedeutung, ob die Disziplin sich als Ganzes als Sozialwissenschaft begreift, oder ob damit nur eine Spezialdisziplin (Sozialgeschichte, Sozialgeographie) neben anderen Spezialdisziplinen (Mittelalterliche Geschichte, Wirtschaftsgeographie) gemeint ist. Bezieht sich das Verständnis als Sozialwissenschaft nur auf eine dieser Spezialdisziplinen, so hat das für die Integrationsproblematik tiefgreifende Folgen. Die Umorientierung und Definition als Sozialwissenschaft kann nämlich nicht durch Amputation, durch eine radikale Abtrennung einzelner Wissenschaftsgebiete erfolgen. Teilbereiche (Wirtschafts- und Sozialgeographie, Wirtschafts- und [/S. 356:] Sozialgeschichte) können nicht als fortschrittlichste Varianten der Gesamtdisziplin angesehen werden, um dann durch Zusammenfassung dieser Teilbereiche das Integrationsproblem zu "lösen". Die Widersprüchlichkeit einer solchen Integrationsstrategie ist offenkundig. Im Bemühen, sich nicht in enge Fächerungen einsperren zu lassen, gründet eine so verfahrende Didaktik sich nicht auf eine (!) "breite" Sozialwissenschaft als Bezugswissenschaft, sondern auf enge Spezialdisziplinen. Anstatt die isolierenden Wände der Zellen zu beseitigen, sind sie nur enger gezogen worden.
Die Diskussion um die theoretischen Prämissen und um das Selbstverständnis als Sozialwissenschaft brachte für die Frage der Integration insofern eine positive Rückwirkung auf die Didaktiken, als sich die Formen, in denen sich die Darstellung der fachwissenschaftlichen Ergebnisse vollzog, nicht als Essentials der Disziplinen erwiesen. So erfuhren die didaktischen Darstellungsformen - chronologischer Durchgang, Länderkunde, Fallprinzip -‚ die in ihrer Heterogenität immer ein Integrationshemmnis darstellten, keine Unterstützung durch die bisherige Grundlagendiskussion. Sie erwiesen sich lediglich als traditionelle Vorlieben. Eine bestimmte Art des Denkens, das sich als ein Denken vom Out-put des Forschungsprozesses her charakterisieren läßt, hat die Darstellungsformen zu einem Integrationshemmnis ersten Ranges werden lassen. Es standen immer die Ergebnisse des Forschungsprozesses im Vordergrund, nicht dessen Fragestellungen. Im Fachunterricht sollten diese Ergebnisse gelernt werden und nicht das Fach als Frage- und Denkweise. Demzufolge sind auch im Bereich der politischen Bildung die Beiträge der einzelnen Fächer vorwiegend von den Ergebnissen der (fachwissenschaftlichen) Forschung her bestimmt worden. Fach und Forschungsergebnis wurden gleichgesetzt. Erschwerend (für die Integrationsproblematik) kommt noch hinzu, daß die Forschungsergebnisse die Summe der im historischen Prozeß des Forschens aufgehäuften Resultate sind, die zudem teilweise Antworten auf bereits vergangene historische Situationen darstel[/S. 357:]len. Während in der Vergangenheit die Unterrichtsfächer Geschichte und Geographie im Materiellen der kumulierten Forschungsergebnisse verharrten, trieb die Sozialkunde die Entmaterialisierung der Bildungsprozesse auf die Spitze. Das Fallprinzip verband sich bei vielen Sozialkundedidaktikern immer mit der These von der Austauschbarkeit der Inhalte. Darin, daß die Inhalte völlig sekundär seien, wurde die Didaktik der Sozialkunde noch von der Curriculumtheorie bestärkt, indem diese die Inhalte in ein instrumentelles Verhältnis zu den Zielen setzte. Das Nachdenken über Integrationsmöglichkeiten mußte sich zwangsläufig festlaufen: Geographen und Historiker beharrten auf ihren in bestimmten Darstellungsformen angeordneten Inhalten. Die Sozialkundedidaktiker insistierten zwar nicht auf bestimmte Inhalte, aber sie bestanden darauf, daß man nicht auf bestimmten Inhalten beharren dürfe - diese aber müßten kasuistisch dargestellt werden.
Die Unzulänglichkeit dieser isolierenden, traditionellen Darstellungsformen, die durch ihre Erstarrung den Kernbereich jeder Didaktik, die Auswahltheorie, suspendierten, ist inzwischen hinreichend bekannt. In der didaktischen Reflexion haben diese Formen keinen Stellenwert mehr. Es bleibt aber (selbstkritisch) anzumerken, daß in der Schulpraxis weitgehend noch nach diesen Darstellungsformen verfahren wird, da die methodische Phantasie der (Hochschul-)Didaktiker keine alternativen, prinzipiell auf Integration angelegten Darstellungsformen bereitzustellen vermochte.
Ihre Selbstdefinition als Sozialwissenschaften mit einer explizit gemachten gesellschaftstheoretischen Orientierung läßt die Einzeldisziplinen zwar nicht in einer einzigen Wissenschaft aufgehen, verpflichtet sie aber auf ein gemeinsames (emanzipatorisches?) Erkenntnisinteresse. Dieses Erkenntnisinteresse stellt in doppelter Hinsicht ein notwendiges Vermittlungsglied zur politischen Bildung dar. Gravierende Differenzen zwischen den einzelnen Sozialwissenschaften, die einer Zusammenarbeit hemmend im Wege [/S. 358:] stehen, können damit ebenso abgebaut werden wie zwischen den Sozialwissenschaften und den Didaktiken. Ohne diese Gemeinsamkeit in dem Erkenntnisinteresse wird das Verhältnis von Wissenschaft und politischer Bildung ein gewalttätiges Unternehmen, das in Schülerköpfe etwas hineinpraktiziert, was mit den aktuellen und zukünftigen Interessen der Schüler nicht zu vereinbaren ist. Der bisherige und noch andauernde Widerstand gegen den erkenntnistheoretischen Begriff des Erkenntnisinteresses ist in erster Linie durch die damit verknüpften Folgerungen motiviert. Ausgewiesenes Erkenntnisinteresse bedeutet, den Gegenwartsbezug allen Fragens und Forschens anzuerkennen, und das heißt wiederum, Gegenwart als Prinzip der Auswahl von Forschungsobjekten und Unterrichtsinhalten zu akzeptieren. Für Theorie und Logik der Sozialwissenschaften ist das keine neue Erkenntnis. Daß die Auswahl von Forschungsgegenständen von den Wertentscheidungen der Fragenden abhängt, hatte bereits Max Weber gezeigt, indem er darauf hinwies, daß nur interessierende Merkmale gesellschaftlicher Wirklichkeit zum Untersuchungsgegenstand gemacht werden können. Die Einsicht in den Zusammenhang von Erkenntnisinteressen, Gegenwart und Auswahl wurde bisher immer mit dem Vorwurf mangelnder Wissenschaftlichkeit abgelehnt. In diesem Punkt scheint sich durch die zunehmende geschichtstheoretische Diskussion eine Wende anzubahnen: Integration wird erleichtert durch die sich immer mehr durchsetzende Einsicht in die Gegenwartsbezogenheit der Geschichte (sowie von Wissenschaft überhaupt). Daß der Gegenwartsbezug die Wissenschaftlichkeit der Geschichtswissenschaft keineswegs aufhebt, wurde in letzter Zeit mehrfach von der Geschichtstheorie belegt. "Perspektivität und Objektivität" (Wolfgang J. Mommsen) sowie "Objektivität und Praxisbezug" (Jörn Rüsen) sind in der Geschichtswissenschaft keine einander widersprechenden und einander ausschließenden Faktoren. Sie gehören vielmehr unverbrüchlich zusammen (25). Damit scheint sich eine innerwissenschaftliche Entwicklung anzubahnen, die der Geschichte die Gegenwart wiederzugewinnen hilft. [/S. 359:]
Neben den bisher aufgezeigten, stärker wissenschaftstheoretisch und fachwissenschaftlich orientierten Vorschlägen zum Integrationsproblem lassen sich auch drei didaktische Lösungsstrategien benennen. Diese Ansätze versuchen, durch die Betonung der sozialen Komplexität, durch die Formulierung von "allgemeinen" Lernzielen und durch die Umschreibung von Lernfeldern die unterschiedlichen Fächer zusammenzubinden oder durch den Rückgriff auf ein "vorfachliches" Orientierungssystem einander zuzuordnen. Obwohl diese Lösungsstrategien ihrem Ansatz nach überfachlich und allgemein sein sollen, wurden unter der Hand die Fachwissenschaften - gegen den Willen der diese Ansätze vertretenden Autoren - doch wieder zum bestimmenden Moment.
Ein nicht realisierbarer Integrationsansatz ergibt sich aus der Zuordnung von "Komplexität" und "Aspekt". Inhalte der politischen Bildung sind vieldimensional und können deshalb unter den jeweils verschiedenen fachspezifischen Sichtweisen betrachtet werden. Diese Einsicht ist in der Literatur unter die Begriffe "Komplexität" und "Aspekt" gefaßt worden. Die Gleichberechtigung der verschiedenen Sichtweisen bei der Analyse gesellschaftlicher Sachverhalte ist prinzipiell möglich und auch anzuerkennen. Die verschiedenen Sichtweisen sind im didaktischen Sinne keineswegs gleichwertig. So wie der Inhalt "Autoritätsfixierung" unter dem Aspekt "Mythos Hindenburg" oder "Fixierung an den Führer" behandelt werden kann, kann der Inhalt "Gastarbeiter" auch unter dem sozialpsychologischen Aspekt der "Vorurteilsbereitschaft" angegangen werden. Damit werden aber keinesfalls die Problembereiche "Faschismus" und "Lohnarbeit des Subproletariats" miterledigt. Die Isolierung und Betonung von bestimmten Teilaspekten läßt Faktoren in den Vordergrund treten, die für die Erklärung des Gesamtproblems nur sekundären Charakter tragen. Inhalte werden diesem Verfahren in einseitiger Weise akzentuiert [/S. 360:] und in der Folge wie ich meine, auch entpolitisiert. So ergab eine quantitative Inhaltsanalyse von acht Unterrichtsmodellen und Sozialkundebüchern zum Problem "Gastarbeiter", daß 57 % aller Aussagen sozialpsychologischer Art waren und 10,5 % sich auf ökonomische Sachverhalte bezogen (26). Der Schritt zur zwischenmenschlichen Freundlichkeit des "Seid-nett-zueinander" ist nicht weit. Aus diesen Gründen kann das Integrationsproblem innerhalb der Sozialkunde keineswegs als gelöst gelten. Die Möglichkeit unterschiedlicher Analyseansätze ist nicht identisch mit deren Lernwürdigkeit. Aus der Perspektive der Didaktik, die sich als Sozialwissenschaft auf den Horizont der Gegenwart bezieht, gibt es an den Inhalten dominante Strukturen. Eine dominante Struktur im didaktischen Sinne bemißt sich nicht an der fachwissenschaftlichen Möglichkeit, die Fragerichtung auf beliebige Aspekte zu reduzieren, sondern an der Perspektive gelingender oder verhinderter Emanzipationsprozesse. Inhalte haben in der Gegenwart einen ganz bestimmten und von ihr affizierten Wertakzent. Sie können nicht aus methodischen Gründen (Lernerleichterung, Anschaulichkeit etc.) oder fachlicher Kompetenz (Ausbildung, Vorliebe etc.) des Lehrers auf bestimmte Aspekte hin reduziert werden.
Den bisher erfolgversprechendsten Ansatz zur Integration von Unterrichtsfächern bildeten die Entwürfe von "allgemeinen Lernzielen". Diese Lösungsstrategie lastet die eigentliche Integrationsfunktion den Lernzielen an. Sie sollen die einzelnen Fächer oder Fachaspekte integrieren und weitergehende Ansprüche der Fächer filtern. Allgemeine Lernziele - die Angabe "allgemein" ist meist stillschweigend auf fächergruppenspezifische Lernziele eingeschränkt - sind im Bereich der politischen Bildung ihrem Anspruch nach Ziele, die mit dem Blick auf das "Lernfeld Gesellschaft" formuliert sind, ohne daß auf einzelne fachwissenschaftliche Disziplinen zurückgegriffen werden muß. Ihrem Charakter nach sollen sie die Funktion eines Netzes haben, das (politi[/S. 361:]sche) Wirklichkeit einfängt. Darüber hinaus versuchen sie andere (fachliche) Lernziele zusammenzuhalten, um "begrenztes Fachdenken" zu überwinden. Diesen Lernzielen wird die Fähigkeit zugetraut, die einzelnen Fächer zusammenzuhalten, wenn sie ihnen in Form von fachspezifischen Lernzielen zugeordnet werden. Die großen Erwartungen, die man in die allgemeinen Lernziele als Integrationsinstrumente gesetzt hatte, haben sich nicht erfüllt. Die theoretischen Prämissen, von denen man ausgegangen war, lassen sich aus wissenschaftstheoretischen Gründen nicht halten. Plausible Argumente sprechen vielmehr für folgende These: Allgemeine Lernziele binden die Fächer nicht zusammen, da allgemeine Lernziele immer schon unter Zuhilfenahme der auch in der Umgangssprache implizierten Paradigmen der Fachwissenschaften formuliert werden. Der gegenwärtige Diskussionsstand der Lernzielproblematik ermöglicht es, im einzelnen folgende kritische Fragen nach Voraussetzungen und Möglichkeiten der allgemeinen Lernziele zu stellen: Als erstes stellt sich die Frage nach der Instanz. Wer formuliert die allgemeinen Lernziele? Wenn sie "allgemein" sein sollen, können sie nicht von einer einzelnen Fachwissenschaft oder Fachdidaktik formuliert werden. Auch ein Gremium unterschiedlicher Fachvertreter kann nicht angenommen werden, da allgemeine Lernziele ihrem Anspruch nach nicht durch eine Addition von Fachaspekten gewonnen werden sollen. Die einzelnen Vertreter der Fachwissenschaft und Fachdidaktik können sich zudem nicht gleichsam selbst in ihrer Sichtweise auslöschen und eine Metawissenschaft durch Zusammensitzen begründen. Aber nicht nur die Frage nach der Formulierungsinstanz ist ungeklärt. Die Frage nach der Analyseinstanz ist es ebenfalls. Lernziele im Bereich der politischen Bildung müssen aus einer Analyse gesellschaftlicher Wirklichkeit hervorgehen. Wer unternimmt diese Analyse, mit welchen Methoden und welchen Instrumenten, wenn eine fachneutrale Methode nicht existiert? Der Versuch, diese Aufgabe der Erziehungswissenschaft zuzuweisen, greift ebenfalls zu kurz, da die Pädagogik [/S. 362:] zur gesellschaftlichen Analyse gegenwärtiger Wirklichkeit wegen der Existenz irreduzibler "gesellschaftlicher Sachverhalte" (27) nicht gerüstet ist. Das Korrelat zur Annahme einer allgemeinen Formulierungs- und Analyseinstanz ist das Attribut "allgemein" der Lernziele. "Allgemein" wird in der Lernzieldiskussion auf zwei unterschiedliche Weisen gebraucht. Einmal als "vorwissenschaftlich" und zum anderen im Sinne von "überfachlich". "Allgemein" im Sinne von "überfachlich" meint, daß der Zusammenhang der Ziele unterschiedlicher Ebenen allgemein-fachspezifisch lautet. Es wird dabei übersehen, daß "allgemein" nur im Sinne von "abstrakt" verstanden werden kann. Der Zielzusammenhang verknüpft die Ebenen "abstrakt" und "konkret" und spielt sich innerhalb des Fachaspekts ab. "Vorfachlich" und "vorwissenschaftlich" meint ‚daß man umgangssprachlich, gewissermaßen nur (!) mit dem "gesunden Menschenverstand" bei Ausblendung fachspezifischer Frageweisen und fachspezifischer Begrifflichkeit, die immer spezielle Theorien implizieren, Ziele für die politische Bildung formulieren kann. Die in der Umgangssprache enthaltenen Sichtweisen werden übersehen. Die wissenschaftstheoretische Diskussion weist gegenwärtig ausdrücklich auf die Theorieabhängigkeit der Beobachtungssprache hin. Diese Erkenntnis ist in der Lernzieldebatte noch nicht rezipiert worden. Alle bisher angebotenen Systeme allgemeiner Lernziele sind logisch, grammatikalisch und semantisch eine Addition fachspezifischer Begriffe und Theorien, die in ihrer jeweiligen spezifischen Zusammensetzung sowohl Integration verhindern als auch durch ihre Komplexität die unterrichtspraktische Handhabung erschweren (28). Eine sprachanalytische Untersuchung der allgemeinen Lernziele der hessischen Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre zeigt (29), daß sie keineswegs "allgemein", d. h. überfachlich sind. Die einzelnen fachspezifischen Aspekte lassen sich ohne Schwierigkeiten ausmachen. Eine Aufschlüsselung nach Häufigkeit ergibt folgendes Bild: [/S. 363:]
Lernfeld | ||||||
Aspekte | I | II | III | IV | Ges. | |
1. | Soziologie | .08 | .06 | .04 | .03 | .21 |
2. | Historie | .02 | .03 | .04 | .04 | .13 |
3. | Politik | .03 | .08 | .15 | .11 | .37 |
4. | Geographie | .01 | .03 | .00 | .02 | .07 |
5. | Psychologie | .01 | .00 | .00 | .00 | .01 |
6. | Ökonomie | .00 | .16 | .01 | .03 | .21 |
7. | Sonst. | .00 | .00 | .00 | .00 | .01 |
Gesamt | .15 | .36 | .25 | .25 | 1.00 |
(Annäherungswerte durch Abrundung)
Die allgemeinen Lernziele benutzen mit bestimmten Fachtermini stets bestimmte fachspezifische Theorien und stellen damit bereits bestimmte Relationen in der Wirklichkeit her (Rolle, Autoritätsfixierung, Triebsublimierung, Schicht, Klasse, öffentliche Armut - privater Reichtum). Die linguistische Analyse legt zudem auch die Zeitreferenz der Lernzielformulierungen dar: In den Tempusmorphemen wird auf öffentliche Zeit Bezug genommen (30). Zeitreferenz ist mit den Formen der Sprache gegeben und erzeugt mit und in der Sprache jene Narrativität, die die Geschichtswissenschaft zu ihrem Metier gemacht hat. Weder in der Wahl der Termini noch in der Sprachstruktur entrinnen die Lernzielformulierungen den fachspezifischen Denkweisen. Die Begriffe, obwohl sie "nichts anderes sein wollen als die Abbreviaturen je vorfindlicher Tatsachen" (31), sowie die ~h den Morphemen der Sprache implizierte Zeitreferenz verkünden auch dann noch ihre Fachlichkeit, wenn deren Benutzer nicht wissen will, was er tut. So bleibt in den allgemeinen Lernzielen unweigerlich, wenn auch ihren Verfassern nicht bewußt, die epistemologische Struktur der Wissenschaften präsent. [/S. 364:]
Der Vorschlag der Curriculumtheorie, von Lebenssituationen oder Lernfeldern auszugehen, birgt für die ungelöste Integrationsproblematik noch ungenutzte Möglichkeiten, da sich hier für die einzelnen Fächer gemeinsame Bezugsrahmen anbieten. In der didaktischen Literatur ist dieser Ansatz aber bisher in einer Weise aufgegriffen worden, die die unauflösbaren Zusammenhänge von Lernfeldern und Wissenschaftsdisziplinen vernachlässigte. Der Begriff des "Lernfeldes" beinhaltet, daß die Anordnung der Unterrichtsinhalte nicht nach den in den Fächern dominierenden Darstellungsweisen und -formen erfolgt, sondern nach denjenigen Feldern, "wo und wie Schüler Gesellschaft erfahren" (32). Die Unterrichtsinhalte sollen aus der Systematik und Anordnungsweise der einzelnen Unterrichtsfächer herausgelöst und in "Lebenssituationen" angeordnet werden. Aber auch hier haben die vorliegenden Lernzielentwürfe die Rechnung ohne die Fachdisziplinen gemacht. In den einzelnen Lernfeldern der hessischen Rahmenrichtlinien (Sozialisation, Öffentliche Aufgaben, Wirtschaft, intergesellschaftliche Konflikte) sind die einzelnen Fachdisziplinen unterschiedlich stark vertreten (33). Die Lernziele, die diese Lernfelder konkretisierend umschreiben sollen, spiegeln Terminologie und Fragestellung der Fachdisziplinen in einer bestimmten gewichteten Weise wider. Im Lernfeld "Sozialisation" dominiert die Soziologie. 53 % aller soziologischen Begriffe, Theoreme und Fragestellungen befinden sich in diesem Lernfeld. Entsprechendes ist in den anderen Lernfeldern zu finden. Im Lernfeld "Wirtschaft" dominiert die Ökonomie, im Lernfeld "Öffentliche Aufgaben" die Politologie und im Lernfeld "Intergesellschaftliche Konflikte" ebenfalls die Politologie. Der Assoziationszusammenhang, der sich bei den Verfassern der Richtlinien zwischen Lernfeld und Disziplin einstellt, ist offensichtlich. Das belegt die Auffächerung der Fachaspekte nach Lernfeldern: [/S. 365:]
Lernfeld | ||||||
Aspekte | I | II | III | IV | Ges. | |
1. | Soziologie | .53 | .15 | .16 | .14 | .21 |
2. | Historie | .14 | .07 | .17 | .17 | .13 |
3. | Politik | .19 | .23 | .60 | .45 | .37 |
4. | Geographie | .08 | .08 | .02 | .09 | .07 |
5. | Psychologie | .06 | .00 | .00 | .02 | .01 |
6. | Ökonomie | .00 | .45 | .05 | .13 | .21 |
7. | Sonst. | .00 | .01 | .00 | .02 | .01 |
Gesamt | 1.00 | 1.00 | 1.00 | 1.00 | 1.00 |
(Annäherungswerte durch Abrundung)
Nicht nur innerhalb der Lernfelder schlägt die Fachlichkeit wieder durch. Die Lernfelder selbst sind weitgehend disziplinär erzeugt. Die Lernfelder, die bisher vorgeschlagen wurden, sind keineswegs disziplinlose Wirklichkeitsbereiche, obwohl sie es dem Anspruch nach sein sollten, sondern sie sind selbst Wissenschaftsdisziplinen. Sozialisation z. B. ist weniger ein Lernfeld, als eine sich gegenwärtig durchsetzende Forschungsrichtung, die alle Chancen hat, sich als Disziplin dauerhaft zu institutionalisieren. Ebenso sind die "Intergesellschaftlichen Konflikte" kein disziplinfreies Lernfeld, sondern eine sich aus der Politologie aussondernde Teildisziplin. Internationale Beziehungen sind "heute zum Erkenntnisgegenstand einer weitgehend anerkannten wissenschaftlichen Disziplin geworden" (34). Diese Befunde legen den Schluß nahe, daß die Konzeption von Lernfeldern nicht so sehr auf dem Versuch einer Integration von Fachdisziplinen beruht, sondern sich von der Zielsetzung leiten läßt, in den Unterricht neue, modernere disziplinäre Frageweisen einzubeziehen. Die vorgestellten Lernzielraster ergeben sich folglich nicht aus einer Integration der traditionellen Fächer durch disziplinfreie Lernfelder. Das Design der neuen Lernfelder resultiert vielmehr [/S. 366:] daraus, daß die Ergebnisbestände der klassischen Fächer, Erdkunde, Geschichte und Sozialkunde mit den Fragestellungen von neueren Disziplinen (z. B. Sozialisationsforschung und Internationale Beziehungen) analysiert werden, um ihnen andere Akzentuierungen abzugewinnen. Dadurch werden den traditionellen Wissensbeständen zweifellos neue Erkenntnisse abgewonnen; den disziplinär gebundenen Sichtweisen kann aber auch so nicht entgangen werden.
Der Entwurf eines schlüssigen Integrationskonzeptes wird nur gelingen, wenn die Auswahlfrage gleichzeitig mitthematisiert wird. Ein Denken vom Output des Forschungsprozesses her, das fertige disziplinäre Inhaltssysteme zusammenzufassen sucht; erweist immer mehr seine Unzulänglichkeit. Da nun, wie ich aufzuzeigen hoffte, Wissenschaft um Wissenschaft zu sein, sich nicht notwendigerweise auf separate Gegenstände richten muß (separat von den anderen Wissenschaften wie von der Lebenspraxis), spricht kein Argument dagegen, daß sich die einzelnen Wissenschaften und Unterrichtsfächer mit ihren eigenständigen Frageweisen nicht auf die gleichen gesellschaftlichen Probleme der Gegenwart richten können. Für das Fach Geschichte bedeutet das allerdings die didaktische Abkehr von traditionellen fachwissenschaftlichen Forschungsprioritäten. Ein didaktisches Konzept für Integration wird sich auf die drei Elemente "Problem", "Frage" und "Gegenwart" stützen müssen.
Unter einem "Problem" ist ein Ereignis zu verstehen, das in Widerspruch zur Erwartung tritt. Erst dadurch, daß ein Ereignis einer sozialen Norm widerspricht, eine Erwartung enttäuscht oder eine erwartete Regelmäßigkeit durchbricht, wird aus diesem Ereignis ein Problem. Die Existenz eines Systems von normativen Erwartungen gibt den Hintergrund ab, auf dem ein Ereignis zu einem Problem werden kann - vor dem ein Ereignis fragwürdig wird. Das Auftauchen von Problemen ist deshalb an Voraussetzungen gebunden: [/S. 367:] Erwartungen, Normen, Soll-Werte, Regelmäßigkeiten, Vorstellungen vom "guten Leben" etc. Obwohl einerseits die Probleme von Erwartungen abhängen und andererseits ein für alle gemeinsamer Erwartungsrahmen nicht existiert (er könnte nur gewaltsam hergestellt werden), ist durch die auf das Problem gerichteten Lösungsstrategien eine Konsensfähigkeit in der Problembenennung gegeben. Die Voraussetzung für einen möglichen Konsens im Prozeß der Problembenennung ist die Tatsache, daß Probleme Problemlösungen erfordern. Geht man von zwei unterschiedlichen Erwartungsrahmen aus, so kann ein bestimmtes Ereignis in einem dieser Rahmen als "normal" und im anderen Rahmen als "problematisch" gelten. Innerhalb des Erwartungsrahmens, in dem das Ereignis ein Problem darstellt, werden Lösungsvorschläge gemacht, die den Widerspruch zwischen Erwartung und eingetretenem Ereignis aufheben sollen. Diese Lösungsstrategie wird für den anderen Bezugsrahmen zum Problem, da sie die "Normalität" des Ereignisses in Frage stellt. Der Lösungsvorschlag stellt für den zweiten Erwartungsrahmen ein Ereignis dar, das seinen Erwartungen zuwiderläuft. Für den einen Erwartungsrahmen stellt das Ereignis ein Problem dar, für den anderen wird das Ereignis des Lösungsvorschlages zum Problem. Beide Bezugsrahmen könnten sich darüber verständigen, daß die Konstellation von Ereignis und Lösungsvorschlag für beide ein Problem darstellt: Das Verfahren des freien Zuganges für jeden zu öffentlichen Ämtern wurde in dem Moment für Vertreter der staatlichen Administration zum Problem, als aktuelle Einstellung und bisherige Lebensgeschichte der Bewerber nicht mehr ihren Erwartungen entsprachen. Ihre Lösungsstrategie bestand aus "Einstellungs"gesprächen und faktischen Berufsverboten. Für weite Teile der demokratischen und liberalen Öffentlichkeit ist dieses Vorgehen eine nicht mit den demokratischen Grundsätzen zu vereinbarende Praxis. Dieser Ereigniskomplex, für den sich (auch international) der Begriff "Berufsverbot" eingebürgert hat, stellt sowohl für den Befürworter wie für den Gegner dieser Praxis ein Problem dar. [/S. 368:] Mit der Benennung von Problemen als Ausgangspunkt didaktischen Handelns ist keineswegs eine bestimmte Problemlösung verbunden. Das Problem erlaubt uns aber, Fragen zu stellen - disziplinäre wie auch praktische, nach Handlungsanweisung suchende Fragen. Die unterschiedlichen Antworten geben die Wissenschaften sowie die an dem Problem beteiligt Handelnden. Multidisziplinarität und Multiperspektivität haben hier - nach der Problembenennung - ihre methodische Berechtigung. Das Problem als gesellschaftlich-praktische Angelegenheit motiviert uns, Fragen zu stellen. Wenn ein Ereigniskomplex intersubjektiv als Problem benannt ist, nimmt das Problem einen anderen Status an. Es wird zu einem Denkobjekt. Dieser Statuswechsel ist für die Dialektik von Theorie und Praxis, für den Zusammenhang von praktischem Handeln und fachspezifischen Denkweisen von Bedeutung. Insofern muß es genauer heißen: Gesellschaftlich-praktische Probleme werden durch die intersubjektiv gestellten Fragen der Forschenden zu einem theoretischen Problem. Das gesellschaftlich-praktische Problem kann unmittelbar praktisch gelöst oder zu lösen versucht werden. Es kann aber auch im Praxisvollzug innegehalten und das praktische Problem in den Reflexionshorizont der Handelnden gehoben werden. Das Handeln wird aufgeschoben, und es wird nachgedacht. Das praktische Problem ist damit zu einem Denkobjekt geworden, zu einem theoretischen Problem, das theoretisch-intellektuell bewältigt werden muß, ehe wieder gehandelt wird. Ohne Reflexion wird Praxis hilfloses Probieren, und ohne Praxis bleibt Reflexion abstrakte Neugier. Gesellschaftlich-praktische Probleme fallen nicht in die Kompetenz einer einzigen Disziplin. "[S]ie dürfen nicht zur Domäne einer Wissenschaft ... werden" (35). Indem das praktische in ein theoretisches Problem übergeführt wird, treten die Wissenschaften hinzu, da Probleme durch die Konstitutionsleistungen der fachspezifischen Fragestellungen zu Denkobjekten werden. Praktische Probleme sind ungefächert; theoretische Probleme sind disziplinär gebunden, d. h. disziplinär konstituiert und mit disziplinären Methoden bearbeitbar. Nichtdisziplinäre Realität kann nur fachdifferenzierend analysiert werden. [/S. 369:] Wenn praktische Probleme über den Weg des Denkobjektes disziplinär bearbeitet werden, könnte durch die Selbstorientierung der einzelnen Didaktiken der politischen Bildung auf gegenwärtige Probleme ein fruchtbarer Ansatz zur Integration gemacht und die Perspektive für ein integriertes Curriculum eröffnet werden. Durch die Verständigung der Vertreter der Fachdidaktiken über die gegenwärtigen praktisch-politischen Probleme, ihre Auflistung und ihre Anordnung nach didaktischer Dringlichkeit und zeitlich-methodischer Abfolge wäre der erste Schritt für eine Integration gegeben. Die einzelnen Disziplinen, vertreten durch Hochschuldidaktiker und Fachlehrer - denn diese Art der Kooperation ist auf jeder Ebene möglich -‚ müßten angeben können, ob und was sie zu diesen Problemen zu fragen und zu sagen hätten und welchen Stellenwert das Gesagte in ihrer Wissenschaft hat. Daß dieses Vorgehen Erfolg verspricht, belegen die interessanten Beiträge, die die Geographiedidaktik in letzter Zeit zu den gegenwärtigen praktisch-gesellschaftlichen Problemen erbringt. Umweltbelastung durch Kernkraftwerke, Strukturveränderung von Dorfkernen durch Gastarbeiter, Zechensanierungen im Ruhrgebiet, Veränderung der Kulturlandschaft durch die industrielle Revolution, Planungsfragen, Einfluß von Raumbedingungen auf die Sozialisation sind einige der Themen (36). Dagegen wirken die curricularen Vorschläge der Didaktik der Geschichte noch etwas betulich. Es werden häufig nur die modern arrangierten traditionellen Themen angeboten. Würde das oft zitierte Postulat, die Geschichte nach Maßgabe des Möglichen (!) gegen den Strich zu bürsten, realisiert, kämen andere Schwerpunkte in den Blick: Einführung neuer Technologien und Gutachterprognosen am Beispiel Eisenbahnbau, Polen als "Gastarbeiter" im Ruhrgebiet des 19. Jahrhunderts, Bau von Zechenkolonien und Anwerbepraxis, die Rationalisierungsbewegung in der Weimarer Zeit, ökonomische und politische Macht - das Beispiel Fugger, Jugendarbeitslosigkeit in den 30er Jahren, Terrorismus und politischer Mord, Formen des sozialen Protestes (37), "Frauenunterdrückung und Frauenbefreiung bei den Römern" (38). Die Didaktik der Geschichte würde sich auf diese Weise [/S. 370:] explizit an der Gegenwartsbezogenheit orientieren anstatt an traditionellen - inzwischen aber auch nicht mehr unangefochtenen - fachwissenschaftlichen Forschungsprioritäten.
Die Präpotenz der Fachwissenschaft und deren im doppelten Sinne isolierende Funktion in der Bestimmung von Unterrichtsinhalten hat in besonderem Maß bei didaktisch sensiblen Richtlinienverfassern und Lehrern zu einer in dieser Form nicht haltbaren Abwendung von den Wissenschaften geführt. Die diffizilen Zusammenhänge von Wissenschaft und Alltagswissen wurden nicht beachtet - oder nur unter dem Aspekt einer Manipulation des Alltagswissens durch die Wissenschaften gesehen. Es soll keineswegs bestritten werden,, daß eine Korrumpierung des Alltagswissens durch die Wissenschaften erfolgen kann und auch erfolgt. Darüber dürfen aber nicht die weiteren Aspekte des Zusammenhangs übersehen werden.
Wissenschaft hat sich historisch aus Alltagswissen und Alltagsproblemen entwickelt. Ihre Denk- und Argumentationsweise ist allerdings rationaler und methodischer, da sie sich besserer Beobachtungstechniken und stringenterer Argumentationsweisen bedient. Trotz aller vorhandener esoterischer Forschung ist Wissenschaft auch gegenwärtig die rational-methodische Fortsetzung des Alltagsverständnisses. Fragen nach Genese und Wirkung, Zusammenhängen, nach Ursachen und Prognosen von und über gesellschaftliche Sachverhalte werden nicht nur in den Wissenschaften gestellt. Wir müssen in der Didaktik vielmehr davon ausgehen, daß Schüler immer schon strukturell das tun, was die politische Bildung in der Schule ihnen erst beibringen will. Die Beharrlichkeit und Folgerichtigkeit der Fragen des Alltagsverständnisses zu erhöhen - das ist ein Ansatzpunkt für die Didaktik der politischen Bildung. Auch die meisten erklärungsbedürftigen Phänomene haben Wissenschaft und Alltagsverständnis gemeinsam. Wenn Wissenschaft in problematisierter Erfahrung ihren Ursprung hat, aber dann nur in spezialisiertem Vorgehen mit rationalen und höchst kom[/S. 371:]plexen Techniken Ergebnisse erbringen kann, stellt sich das Problem der Rückübersetzung der Forschungsergebnisse in eben dieses Alltagsverständnis. Es zeigt sich immer deutlicher, daß spezialisierte Kenntnisse nur unter Schwierigkeiten in die unspezialisierte Praxis umgesetzt werden können. Läßt man alles Wissenschafts-Wissen ungeordnet, ungefiltert und unkoordiniert auf das Alltagsverständnis von Nicht-Wissenschaftlern zurückwirken, so ist dieses Wissen keine Hilfe, sondern eher eine Belastung, die das Problem, das eigentlich durch dieses Wissen aufgeklärt werden sollte, noch unerkennbarer macht. Hier liegt ein zweiter Ansatzpunkt für die Didaktik.
Ein weiterer - systematischer - Gesichtspunkt des Zusammenhangs von Alltagswissen und Wissenschaft bildet die Struktur und die Historizität der Alltagssprache. Thomas S. Kuhn hat auf die Theorieabhängigkeit der Beobachtungssprache hingewiesen (39). In der Beobachtungssprache, derer wir uns in der Wissenschaft wie im Alltag bedienen, sind immer schon theoretische Vorannahmen eingeschlossen, die in der Realität bestimmte Relationen herstellen. Ohne diese Theorieelemente werden diese Relationen der Realität nicht entdeckt. Nicht jedes Theorieelement ist schon immer in der Beobachtungssprache enthalten gewesen. Es wurde vielmehr zu einer bestimmten historischen Zeit in sie aufgenommen (z. B. das Naturrecht oder das Theorem von der nivellierten Mittelstandsgesellschaft). Das Eindringen neuer Theorieelemente in die Beobachtungssprache erzeugt "Wahrnehmungsverschiebungen" (40). Nach solchen "Umwandlungen des Sehbildes" (41)
wirken diese Theoreme ihrerseits wieder als beharrende und resistente Momente gegen neue Sichtweisen. Der Physiker Thomas S. Kuhn hat hierin die Feststellungen der Soziologen Max Horkheimer und Erich Fromm über die historische Geform[t]heit des menschlichen Wahrnehmungsapparates bestätigt.
Die in der Umgangssprache impliziten fachwissenschaftlichen Paradigmen und Theoreme sind unverzichtbar für sozialwissenschaftliche Erkenntnis. Wir besitzen in der Alltagssprache ein Wissen über Aspekte menschlichen Verhal[/S. 372:]tens, das nicht direkter sinnlicher Erfahrung zugänglich ist. Eine Intention ist z. B. kein direkt beobachtbares Element einer Handlungssequenz. Aussagen über gesellschaftliche Sachverhalte sind nur durch kommunikative und nicht (allein) durch sensorische Erfahrung möglich. Die fachwissenschaftlichen Begriffe der einzelnen Sozialwissenschaften lassen sich nicht unmittelbar durch sensorische Wahrnehmung aneignen. Sie sind nur ein Begriffsapparat, der mehr oder minder gut gehandhabt werden kann. Erst die Anwendung des Begriffs "Konflikt" auf ein Bündel menschlicher Handlungen und Äußerungen nach bestimmten Zuordnungsregeln führt zu der Erkenntnis, daß ein Konflikt vorliegt. Die Kombination von theoretischen Annahmen und "ouvertem Verhalten" (Mandelbaum) erlaubt es erst, Aussagen über gesellschaftliche Sachverhalte zu machen. Gesellschaftliche Ereignisse und Probleme sind nicht ausschließlich direkter, sondern nur theoriegeleiteter Beobachtung zugänglich. "Relative Deprivation", "Einstellungen", "Schichtung" und "Klasse" oder "Revolution" und "Feudalismus" sind in das Alltagsverständnis aufgenommene fachwissenschaftliche Begriffsbildungen. die eine bestimmte Theorie implizieren.
Probleme müssen in Fragen umgesetzt werden. Die Frage ist offen für alternative Antworten, sonst wäre sie keine Frage mehr. Sie leitet den Prozeß der Erkenntnisgewinnung ein, ohne das Ergebnis zu präjudizieren. Wenn auch die Frage selbst auf keine spezielle Antwort festgelegt ist, so richtet sie sich doch auf eine bestimmte Klasse von Antworten, in deren Rahmen eine sinnvolle Antwort möglich ist. Wenn die Beziehung zwischen Frage und Antwort in diesem Sinne offen ist, können Fragen weder wahr noch falsch sein. Diese Prädikate kommen nur den Voraussetzungen der Fragen zu; sie selbst können nur sinnvoll oder sinnlos sein.
Der Zusammenhang von Fragerichtung und jener Klasse von Antworten, innerhalb deren eine sinnvolle Antwort gefunden werden kann, gibt das Begründungsprinzip einer Disziplin ab. Eine prinzipiell gleichbleibende Fragerichtung, die [/S. 373:] sich bestimmter Methoden bedient, institutionalisiert sich als Wissenschaft. Die Fragerichtung ist deshalb als die "kognitive Ausdrucksform unseres jeweiligen Interesses an der Welt" (42)
anzusehen.
Die Frage ist ihrer Struktur nach durch Offenheit und Informationsbedürfnis gekennzeichnet. Ihr Wesen ist "das Offenlegen und Offenhalten von Möglichkeiten" (43). Linguistisch gewendet heißt das: "Die Frage ist gegenüber der Antwort, die auf sie folgt, ein Weniger an Information, nicht etwa ein Nichts an Information" (44). Um eine Frage stellen zu können, muß man folglich immer schon etwas wissen. Diese hermeneutische Implikation erfordert als Bedingung der Möglichkeit, Fragen zu stellen, empirisches Vorwissen. Wir wissen weder alles, noch sind wir unseres Wissens gewiß. Wir stellen Fragen, wenn wir uns eines Sachverhalts nicht sicher sind. Insofern ist eine Frage immer auch Zeichen mangelnder Gewißheit.
Die Fähigkeit, Fragen zu stellen, ist nicht vorgegeben, sondern muß gelernt werden. Entsprechend den unterschiedlichen Fragerichtungen und den verschiedenen Fragestellungen sind es jeweils andere Sozialisationskontexte, in denen die Fähigkeit, Fragen zu stellen, erworben wird. Die sozialisationstheoretisch fundierte Fachdidaktik wird hier ansetzen müssen, um den Zusammenhang von Lebenspraxis und Erkenntnisweisen in einem organisierten Lernprozeß herzustellen. In den einzelnen erlernbaren Fragen sind formale und inhaltliche Kategorien enthalten (45). Die fundamentalsten wie "Zeit", "Raum" und "Quantität" (wann? wo? wieviel?) ebenso, wie die spezialisiertesten: "Gewordenheit", "Verstehbarkeit", "Rechtfertigung", "Identität" usw. Fachspezifische Fragen implizieren fachspezifische Kategorien. Eine Wissenschaft lernen heißt, ihre grundlegenden Kategorien in Form von Fragen auf die Realität anzuwenden, um sich der Aussageintention dieser Disziplin zu vergewissern. Beim Erlernen einer Wissenschaft ist es nicht von Interesse, daß der Fragende überhaupt eine Antwort erhält, sondern daß er eine Antwort auf seine spezifische Frage erhält. "Zu fragen verstehen heißt verstehen lernen, was zugehörige von unzugehörigen Antworten unterscheidet" (46). [/S. 374:]
Die hier vorgenommene Betonung des Fragecharakters von Wissenschaft und Alltagswissen ist nicht allein für eine Theorie der Didaktik der politischen Bildung von Interesse, sondern hat eminente praktische Konsequenzen für die Unterrichtspraxis wie für die Konzeption von Schulbüchern: Das Erlernen von kategoriengesättigten Fragen ist die Voraussetzung für prozeßorientierten und schülerzentrierten Unterricht. Der Schüler muß in die Lage versetzt werden, die unterschiedlichen Frageweisen anzuwenden: Was bedeutet die quantifizierend-statistische Argumentationsweise bei der Untersuchung des Problems "Kernenergie"? Welchen Aussagewert haben mit statistischen Methoden errechnete Sicherheitsrisikos und statistische Prognosen? Welche Erfahrungen machte man in der Vergangenheit mit der Einführung neuer Technologien? Welche Motive und Interessen begleiteten sie? Welche neuen Arbeitsplatze schufen und welche vernichteten sie? Läßt sich dieser Vorgang quantifizieren? Wie legt man eine empirische Befragung an, und wie aussagekräftig ist sie? Ist eine Antwort immer eindeutig richtig oder vielleicht auch ihr Gegenteil? Wie muß man nach standortrelevanten Faktoren fragen? ... Die dieser Unterrichtskonzeption entsprechenden Schulbücher müßten konsequent von explizit ausgewiesenen - auch im grammatikalischen und linguistischen Sinne - Fragestellungen ausgehen, um beim Schüler einen Frage-, Denk- und Untersuchungsprozeß in Gang zu bringen, an dessen Ende ein stets revisionsbedürftiger Entscheidungsakt steht. Einer solchen Konzeption widersprechen diejenigen Schulbücher und Unterrichtsmaterialien, die sich nur formal und rhetorisch der Frage bedienen. Ihr folgt dann stets die "richtige" Antwort in Form eines "Merke". Die subtilere Variante dieser entmündigenden und affirmativen Konzeption versteckt den Merksatz im Lehrerbegleitheft. Alternativ dazu steht der um Erkenntnisweisen zentrierte Ansatz: Im selbstbestimmten und selbstbewußten Umgehen mit fachspezifischen Frageweisen und Methoden können Schüler ungefächerte gesellschaftlich-praktische Probleme in ein je eigenes Problembewußtsein umsetzen. [/S. 375:]
Kooperation, Integration und Eigenständigkeit sind nach der öffentlichen Diskussion der letzten Jahre als analytische Kriterien soweit abgeschliffen, daß sie zu partei- und standespolitischen Kampfbegriffen geworden sind. Sie bezeichnen aber nicht die unterschiedlich starke Verschmelzung von Fächern, sondern sie beziehen sich auf verschiedene Ebenen.
Kooperation ist die Zusammenarbeit unterschiedlicher Personen. Es arbeiten Träger verschiedener Berufsrollen zusammen, die ihre Rollen in unterschiedlichen Sozialisationskontexten und Sozialisationsprozessen erworben haben. Diese Sozialisationskontexte (= Wissenschaften) beruhen weithin auf einer organisatorischen Abschottung voneinander. Die gelungene Berufsrolle ist gerade dadurch definiert, daß man sich von den anderen Kontexten aktiv absetzt (Verbot der theoretischen "Spekulation" in der Geschichtswissenschaft, Warnung vor "Soziologisierung", Verbot des hermeneutischen Verfahrens in den empiristischen Disziplinen etc.).
Unabhängig davon, ob man die gerade praktizierte Arbeitsteilung für sinnvoll hält oder nicht, kommt man nicht um die Anerkennung wissenschaftlicher Arbeitsteilung überhaupt herum. Eine auf dem Verzicht der wissenschaftlichen Arbeitsteilung beruhende Integrationskonzeption muß unweigerlich wissenschaftliche Kompetenz in dilettierenden Common-sense überführen.
Voraussetzung für Integration ist aber, daß verschiedene Personen unterschiedlicher wissenschaftlicher Kompetenz auf der Grundlage einer systematischen Gesellschaftsanalyse, die in der Lage ist, die verschiedenen gesellschaftlichen Probleme zu benennen, kooperieren. Im nächsten Schritt müssen dann die einzelnen Disziplinen ihren eigenständigen Frageweisen folgen können.
Aus dem Gesagten ergibt sich die Abschlußthese: Die Begriffe "Kooperation", "Integration" und "Eigenständigkeit" stellen keine Alternativen oder graduellen Abstufungen dar. Die Problematiken, die diese Begriffe bezeichnen, sind [/S. 376:] auf verschiedenen Ebenen verortet: Kooperation bezeichnet das kommunizierende Zusammenarbeiten von Personen unterschiedlicher Fragerichtungen, die wissenschaftstheoretisch legitim distinkten Frageweisen setzen deren Eigenständigkeit voraus, und Integration bezieht sich auf das Problem- und Lösungswissen, das aus diesen Frageweisen, die ihre Impulse aus einer als problemhaltig begriffenen Gegenwart beziehen, resultiert.
(1) Zur besseren Darstellung der grundsätzlichen Probleme benutze ich die Begriffe "Integration" und "politische Bildung" im eingeschränkten Sinne:
(2) Conze, Werner, Die Bedeutung der Sozialgeschichte für die politische Bildung, in: Historischer Unterricht im Lernfeld Politik. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. Heft 96, Bonn 1973, S. 21-25; hier: S. 16 Teppe, Karl, Das deutsche Identitätsproblem, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 20-21/76 vom 22.5.19 76, S. 36
(3) Schwarz, Richard, Interdisziplinarität der Wissenschaft als Problem und Aufgabe heute, in: ders. (Hrsg.), Internationales Jahrbuch für interdisziplinäre Forschung, Bd. 1 (Wissenschaft als interdisziplinäres Problem. Teil 1). Berlin 1974,S. 1-131; hier S. 63
(4) Daß Zukunft auch für die Geschichtswissenschaft eine erkenntnisleitende Kategorie ist, habe ich zusammen mit Klaus Bergmann an anderer Stelle gezeigt: Bergmann, Klaus und Pandel, Hans-Jürgen, Geschichte und Zukunft. Didaktische Reflexionen über veröffentlichtes Geschichtsbewußtsein, Frankfurt/M. 1975
(5) Fitterling, Dieter, Geschichte und gesellschaftswissenschaftlicher Unterricht, in: Ackermann, Paul (Hrsg.), Curriculumrevision im sozialwissenschaftlichen Bereich der Schule, Stuttgart 1973, 5. 223 (,‚Anmerkungen und Argumente" Bd. 6) [/S. 377:]
(6) Habermas, Jürgen, Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Frankfurt/M. 1976. Eder, Klaus, Die Entstehung staatlich organisierter Klassengesellschaften, Frankfurt/M. 1976, Messelken, Karlheinz, Zur Durchsetzung des Christentums in der Antike. Strukturell-funktionale Analyse eines historischen Gegenstandes, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 29 (1977), H. 2, S. 261-294.
(7) Waldmann, Peter, Zeit und Wandel als Grundbestandteile sozialer Systeme, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 23 (1971) S. 687-703. Luhmann, Niklas, Weltzeit und Systemgeschichte. Über die Beziehungen zwischen Zeithorizonten und sozialen Strukturen gesellschaftlicher Systeme, in: Ludz, Peter Christian (Hrsg.), Soziologie und Sozialgeschichte, Opladen 1973; Revers, Wilhelm, Josef, Das Zeitproblem in der Psychologie, in: Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 116 (1964). Barndt, Robert J. and Johnson, Donald M., Time orientation in delinquents, in: The Journal of Abnormal and Social Psychology, Vol. 51 (1955) S. 343-345.
(8) Das Problem des scheinbar paradoxen Zusammentreffens von falschem Selbstverständnis und richtiger praktischer Verfahrensweise bei manchen Wissenschaftlern kann hier nicht erörtert werden.
(9) Koselleck, Reinhart, Über die Theoriebedürftigkeit der Geschichtswissenschaft, in: Conze, Werner (Hrsg.), Theorie der Geschichtswissenschaft und Praxis des Geschichtsunterrichts, Stuttgart 1972, S. 13.
(10) Schaefer, Fred K., Exzeptionalismus in der Geographie, in: Bartels, Dietrich (Hrsg.), Wirtschafts- und Sozialgeographie, Köln/Berlin 1970, 5. 52.
(11) Bartels, Dietrich, Einleitung zu: ders. (Hrsg.), Wirtschafts- und Sozialgeographie, Köln-Berlin 1970, S. 34.
(12) Hofmann, Werner, Wissenschaft und Ideologie, in: ders., Universität, Ideologie, Gesellschaft, 4. Aufl., Frankfurt/M. 1969, S. 50.
(13) Lucas, Friedrich J., Der Beitrag des Geschichtsunterrichts zur politischen Bildung, in: Süssmuth, Hans (Hrsg.), Geschichtsunterricht ohne Zukunft? Stuttgart 1972, S. 157 (,‚Anmerkungen und Argumente" Bd. 1.2).
(14) Himmerich, Wilhelm, Didaktik als Erziehungswissenschaft, Frankfurt/M. 1970, S. 78 ff.
(15) Pöppel, Karl-Gerhard, Zum Verhältnis von Methode und Unterrichtsmethode, in: Vierteljahresschrift für Wissenschaftliche Pädagogik (1976),S. 168-193, hier: S. 183.
(16) Holtmann scheint diesen Ansatz zu verfolgen, vgl.: Holtmann, Antonius, Thesen zu einem Versuch, politisches Lernen sozialisationstheoretisch zu begründen, wissenschaftstheoretisch zu legitimieren und methodologisch zu organisie[/S. 378:]ren, in: Fischer, Kurt Gerhard (Hrsg.), Zum aktuellen Stand der Theorie und Didaktik der Politischen Bildung, Stuttgart 1977, S. 63-74.
(17) Koppe, Franz, Die historisch-hermeneutischen Disziplinen im System der Wissenschaften, in: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie VII/2 (1976), S. 259.
(18) Oelkers, Jürgen und Riemer, Holger-Jens, Überlegungen zur Begründung einer kritischen Geschichtswissenschaft, in: Geiss, Imanuel und Tamchina, Rainer (Hrsg.), Ansichten einer künftigen Geschichtswissenschaft, Bd. 1, München 1974, S. 90.
(19) Habermas, Jürgen, Nachwort 1973 zu: ders., Erkenntnis und Interesse, Frankfurt/M. 1973, S. 378.
(20) Die Substratfrage, welche Realität den Ergebnissen geistiger Operationen zukommt, kann in diesem Rahmen leider nicht diskutiert werden.
(21) Lucas, Friedrich J., Das St[u]dium an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Gießen 1965
(22) Lucas, Friedrich J., Der Bildungssinn von Geschichte und Zeitgeschichte. in Schule und Erwachsenenbildung, in: Süssmuth, Hans (Hrsg.), Geschichtsunterricht ohne Zukunft? Stuttgart 1972, ("Anmerkungen und Argumente" Bd. 1.2), S. 226.
(23) ebenda
(24) Lucas, Friedrich J., Zur Geschichts-Darstellung im Unterricht, in: GWU 16 (1965), H.5, S. 285
(25) vgl. dazu: Rüsen, Jörn, Für eine erneuerte Historik, Stuttgart-Bad Cannstatt 1976, und: Objektivität und Parteilichkeit. Hrsg. von Koselleck, Reinhart, Mommsen, Wolfgang J. und Rüsen, Jörn, München 1977.
(26)
Pandel, Hans-Jürgen [6], Gesellschaftslehre und Interdisziplinarität, 1975 (unveröffentlichtes Manuskript).
(27) Mandelbaum, Maurice, Gesellschaftliche Sachverhalte, in: Giesen, Bernhard und Schmid, Michael (Hrsg.), Theorie, Handeln und Geschichte, Hamburg 1975, S. 217-229.
(28) In den allgemeinen Lernzielen lassen sich bis zu 4 fachspezifische Elemente feststellen.
(29) Diese Ergebnisse sind kein Spezifikum der Hessischen Rahmenrichtlinien Gesellschaftslehre. Die gleichen Befunde lassen sich bei der Analyse des "Grundkurses" von Rheinland-Pfalz feststellen.
(30) Wunderlich, Dieter, Tempus und Zeitreferenz, München 1970.
(31) Adorno, Theodor W., Einleitung zu: ders., Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, Neuwied 1969 (Sammlung Luchterhand 1972), S. 39.
(32) Der Hessische Kultusminister (Hrsg.), Rahmenrichtlinien Sekundarstufe 1. Gesellschaftslehre, Frankfurt/M. 1973, S. 18. [/S. 379:]
(33) Dieser Tatbestand wird von den Verfassern der Richtlinien selbst angemerkt.
(34) Krippendorff, Ekkehard, Internationale Beziehungen als Wissenschaft, Frankfurt/M. 1977, S. 27.
(35) Hentig, Hartmut von, Interdisziplinarität, Wissenschaftsdidaktik, Wissenschaftspropädeutik, in: Merkur 25 (1971), H. 9, S. 861.
(36) Die Zusammenstellung der Themen erfolgte nach der Zeitschrift Geographische Rundschau.
(37) Thema von Heft 2, 3. Jg., 1977, der Zeitschrift Geschichte und Gesellschaft. Die Themen der Beiträge dieser Zeitschrift lesen sich häufig wie eine Auflistung didaktisch relevanter gesellschaftlicher Probleme.
(38) Zum Problem "Frauenbefreiung" hat Bodo von Borries jetzt einen Aufsatz vorgelegt, der genau in die von mir avisierte Richtung weist. Hier wird deutlich, wie der durch Gegenwartsprobleme und disziplinäre Gebundenheit erzeugte Zusammenhang geradezu eine Ergänzung durch andere Disziplinen herausfordert: Borries, Bodo von, Frauenunterdrückung und Frauenbefreiung bei den Römern (1), in: Westermanns Pädagogische Beiträge 29 (1977), H. 10, S. 419-427.
(39) Vgl. dazu: Kuhn, Thomas S., Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt/M. 1967.
(40) ebenda, S. 154.
(41) ebenda, 5. 152.
(42) Beier, Christel, Zur Struktur des Totalitätsbegriffes in der kritischen Theorie Adornos, in: Ritsert, Jürgen (Hrsg.), Zur Wissenschaftslogik einer kritischen Soziologie, Frankfurt/M. 1976, S. 137.
(43) Gadamer, Hans-Georg, Wahrheit und Methode, Tübingen 1960, S. 283.
(44) Weinrich, Harald, Linguistik der Lüge, Heidelberg 1966, S. 54.
(45) Zur Kategorienfrage vgl.: Mayer, Ulrich und Pandel, Hans-Jürgen, Kategorien der Geschichtsdidaktik und Praxis der Unterrichtsanalyse. Stuttgart 1976.
(46) Lorenz, Kuno, Elemente der Sprachkritik, Frankfurt/M. 1970, S. 14.
Dieses Buch berichtet über Unterrichtserfahrungen und didaktische Reflexionen. Die konkreten Erfahrungen im Unterricht habe ich am Gymnasium Wuppertal-Vohwinkel in den Jahren 1970 bis 1994 und als Fachleiterin in der Referendarausbildung am Studienseminar I in Wuppertal gemacht. Die didaktischen Reflexionen sind in zahlreichen Arbeitszusammenhängen entstanden:
Die Möglichkeit, die Gedanken aufzuschreiben, verdanke ich der Martin-Luther-Universität in Halle an der Saale.
Die Mitglieder der gen. Arbeitsgruppen wird u. U. wenig von dem hier Gesagten überraschen, denn sie waren an der Entstehung der Gedanken bzw. Erfahrungen beteiligt. Auch gibt es eine Reihe von Veröffentlichungen, die Teile der Überlegungen enthalten. Allerdings handelt es sich dabei z. T. um Textsorten, die i. d. R. kein Bestandteil der universitären didaktischen Auseinandersetzung sind: Richtlinien, behördliche Verfügungen, Papiere für die Lehrerfortbildung, kommissionsinterne Arbeitspapiere. Manches aus diesen Texten möchte ich der allgemeineren didaktischen Diskussion zugänglich machen.
Im Lande Nordrhein-Westfalen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten (spätestens seit den 70er Jahren) eine Entwicklung im Fach "Sozialwissenschaften" in der gymnasialen Oberstufe abgespielt, der man vielleicht die Qualität der Traditionsbildung für ein Fach zusprechen kann.
Dieses Fach ist zu verstehen als Fortsetzung des Faches "Politik" in der Sekundarstufe I (in anderen Bundesländern heißt das entsprechende Fach am häufigsten "Sozialkunde"). Zentrales Unterscheidungsmerkmal ist die Akzentuierung von wissenschaftspropädeutischem Arbeiten.
Die Didaktik der politischen Bildung hat einen überzeugenden und auch gut dokumentierten Stand erreicht (vgl. Breit/Massing 1992, Kuhn/ Massing/Skuhr 1993, Mickel/Zitzlaff 1988, Gagel/Menne 1988, Gagel 1994). Sinnvollerweise ist in der didaktischen Literatur nicht nach Schulformen und Schulstufen getrennt worden, wenn auch natürlich Fragen der Lern- und Lehrsituation und von Entwicklungsprozessen behandelt wurden.
Mit dieser Didaktik der Sozialwissenschaften möchte ich eine Differenz betonen, die nach meiner Erfahrung für den Lehrer im Unterricht durchaus handlungsbestimmend ist, nämlich die Hinführung von Schülerinnen und Schülern zum wissenschaftlichen Arbeiten und damit zur Studierfähigkeit. Daß dies keinen Widerspruch zur politischen Bildung ergibt, wird sich zeigen lassen. Damit nehme ich einen Faden auf, den Calliess
u. a. in ihrer "Sozialwissenschaft für die Schule" 1974 begonnen haben, wenn ich auch zu anderen Antworten komme.
Didaktik ist nach meiner Auffassung die theoretische Fassung des Professionswissens von Lehrern, also auf praktisches Handeln bezogen. Sie hat für den Lehrer die Funktion, Intuitionen in seinem Handeln aufzuklären und damit verfügbar zu machen, also zu sichern und zu verbessern. Zugleich muß Didaktik das Lehrerhandeln mit dem Versuch einer Diagnose der Zeit verknüpfen, damit Ziele und Legitimationen diskutierbar werden.
Die Gliederung des Buches ergibt sich aus dieser Zielsetzung: im ersten Kapitel stehen programmatische Überlegungen und im zweiten Kapitel wird die Struktur des Faches erläutert. Im dritten Kapitel wird anhand konkreter Beispiele die Realisierung zentraler didaktischer Elemente gezeigt. Auch wenn es dabei nicht um ein Verhältnis der Ableitung der jeweils folgenden Überlegungen gehen kann, hoffe ich doch, daß der innere Zusammenhang spürbar wird."
[/S. 13:] "Die moderne Welt ist dadurch gekennzeichnet, daß sozialer Wandel sie zunehmend dynamisch prägt. Die Geschwindigkeit von Änderungen nimmt zu und auch die Reichweite der Änderungen. Es ist kein Lebensbereich vorstellbar, der sich dieser Tendenz entziehen könnte. Solche Dynamik ist nichts Neues; möglicherweise ist aber durch die zunehmende Radikalität dieses Prozesses eine neue Qualität für das Leben in dieser (Welt-)Gesellschaft und für die Strukturen dieser Gesellschaft entstanden.
Die Konsequenzen dieses sozialen Wandels für Individuen, Institutionen und Gesellschaft sind erheblich: eine feste, überdauernde Identität bzw. Struktur kann in einer Welt des Wandels nicht mehr angemessen sein. Eine eingeengte Identität, die sich aus der Übernahme rigider Regeln und Verhaltensweisen konstituiert, ist entgegen aller Hoffnung auf klare Verhältnisse keine Hilfe, denn das Individuum wird in Situationen mit neuen Anforderungen neue Problemlösungen finden müssen. Überkommene Strukturen hemmen womöglich nötigen Wandel oder die Suche nach besseren Formen eines guten und gerechten Lebens.
Da überlieferte Tatsachen-, Handlungs- und Sinnstrukturen nicht mehr unbedingt die Kraft haben (falls sie sie je hatten), für gesamtgesellschaftliche Integration zu sorgen, gelingende Interaktionen zwischen Menschen zu verbürgen und Identität zu stiften, müssen die Individuen in der modernen Gesellschaft in hohem Maße eigenverantwortlich und schöpferisch zu einem je auszuhandelnden Konsens über die Art und Weise ihres Zusammenlebens kommen.
Nicht nur der soziale Wandel ist der Grund für diese notwendige Flexibilisierung, sondern auf der Ebene des demokratischen Selbstverständnisses dieser Gesellschaft - wie es im Grundgesetz formuliert ist - verlangt die gleiche Würde aller, daß sie in einem steten Prozeß der Auseinandersetzung und Verständigung durch Konflikte hindurch zu einem [/S. 14:] Miteinander kommen und auch bereit sind, die gefundenen Regelungen in Frage stellen zu lassen und nach wiederum neuen Lösungen zu suchen.
Der gut und endgültig ausgebildete und erzogene Bürger ist schwer mehr denkbar: wenn sich vieles jederzeit ändern kann, dann ist Bildung auch die Fähigkeit des Menschen, mit wechselnden Verhältnissen auch wechselnde Entscheidungen zu treffen, auf die Änderungen Einfluß zu nehmen, neuartiges Wissen und neuartige Fähigkeiten und Bereitschaften entwickeln bzw. aufnehmen zu können, sie zu beurteilen und eigene Bedürfnisse einzubringen und zu vertreten - und dabei er selbst zu bleiben und sich mit anderen Menschen verständigen zu können.
Mit Stichworten wie "Individualisierung" und "Pluralisierung" oder auch "Globalisierung" und "Reflexivität" (vgl. Beck 1986 [11], Giddens 1995) verweist die Soziologie auf Vorgänge der Verflüssigung sozialer und psychischer Zusammenhänge, auf Vernetzungen und auf die Theoretisierung von Denken und Handeln. Umstellungen in zentralen Orientierungen (vom Bearbeiten der Knappheit zur Suche nach Erlebnis), Differenzierungen in Stilsphären und dabei die Bildung neuer (noch unbewußter) Großgruppen als Milieu-Segmente (vgl. Schulze 1992) sind weitere Elemente sozialen Wandels, bei deren Analyse jeweils versucht wird, materielle gesellschaftliche Prozesse in Verbindung mit psychischen Prozessen zu sehen. Auf die Risiken, die für persönliche Integrität und für gesamtgesellschaftliche Integration entstehen, weist besonders Habermas (z. B. 1985 und 1992) hin, dessen Diskurs- und Demokratietheorie vielleicht ein (utopischer) Denkweg zum Zusammendenken des Ganzen ist (vgl. auch Reinhardt 1995 [7]
b).
Den Sozialwissenschaften (Soziologie, Ökonomie, Politologie) wird hier die Funktion zugetraut und zugewiesen, daß sie helfen können, soziale Erfahrungen aufzuschließen, Urteile zu prüfen und Entscheidungen vorzubereiten.
In den Wissenschaften ist aus historischen Gründen eine Trennung in Disziplinen erfolgt, die mit je eigenen Mitteln die gesellschaftlich-politische Realität zu bearbeiten versuchen. Diese Trennung in Disziplinen ist aber keine Trennung in der Sache selbst - die Grenzen der Fachgebiete sind keine Wirklichkeitsgrenzen. Die Rede von sozio-ökonomischen Bedingungen bei den Soziologen verlangt schon vom Wort her die Einbe[/S. 15:]ziehung der wirtschaftlichen Verfaßtheit; die Rede vom Wirtschaftssystem seinerseits verweist auf die politische Entscheidung eines Gemeinwesens für oder gegen bestimmte Systemstrukturen.
Differenzierung und Integration ergeben spezifische didaktische Probleme: wie läßt sich ein Fach konstruieren, dem die universitären Bezugswissenschaften keine klare Struktur (im Sinne von einheitlichen Modellen, Verfahren, Begriffen, Methoden und Ergebnissen) mitteilen?
Einerseits muß in der Hinführung zu wissenschaftlichem Arbeiten die Eigenart der je getrennten Disziplinen geachtet werden, andererseits muß im Interesse der Bildung junger Menschen in und für diese Gesellschaft die Einheitlichkeit sozialer Lebenswelten gewahrt bleiben. (Die Antwort wird hier mit einer bestimmten Sequentialität der Lernprozesses in der Oberstufe gegeben - vgl. unten.) Anders als bei Calliess et al. (1974, S. 17), die ohne plausible Begründung eine "soziologiezentrierte Sozialwissenschaft" entwerfen, wird hier keine der drei Disziplinen privilegiert.
Kompliziert wird dieses Problem von Spezialisierung und Zusammenfügung weiterhin dadurch, daß der Begriff der Sozialwissenschaften weit gefaßt werden muß, denn auch Bestandteile aus anderen Wissenschaften werden benötigt (z. B. historische, sozialpsychologische, philosophische, juristische, pädagogische).
Unabhängig von der fachspezifischen Komplikation der Pluralität von Bezugswissenschaften gilt für alle Unterrichtsfächer, daß sie ihre didaktische Struktur nicht direkt aus den Wissenschaften beziehen können (das wäre Abbild-Didaktik). Fachdidaktik hat zum Gegenstand die Vermittlung von Ergebnissen und Verfahren wissenschaftlicher Welterkenntnis mit den Bildungsprozessen von Lernenden.
Diese Aufgabe der "Übersetzung" oder "Transformation" ist nicht etwa Reduktion - wie der häufig benutzte Ausdruck der didaktischen Reduktion vermuten lassen könnte. Denn es geht nicht um irgendeine Verkleinerung von Wissenschaft, sondern die verwandte Wissenschaft ändert ihren Charakter in dieser Transformation (vgl. auch Grammes 1995, S. 11 f.).
Nicht allein wissenschafts-immanente Kriterien (wie Paradigmata, Traditionen, Karrieren - also Kriterien der sog. scientific community) entscheiden über die Hineinnahme von wissenschaftlichen Verfahrens-, Theorie- oder Ergebnisstücken in die schulische Lehre, sondern ihre dreifache Relevanz für
(Ähnlich formulieren Calliess et al. 1974, S. 13 + 51 ff. Allerdings teile ich nicht ihre Schwerpunktsetzung, S. 72, wonach bei der Auswahl von Einzelbereichen für den Unterricht das primäre Kriterium die Repräsentanz der Disziplin - durch strukturelles Paradigma und methodisch zentrale Denkweise - sein müsse.)
Der sozialwissenschaftliche Unterricht hat eine notwendige Nähe zu praktischen Wertungen: Der Unterricht behandelt durchweg Themen, die im Alltag und im öffentlichen Leben Entscheidungs- und Beurteilungsprobleme darstellen. Keine Kultur ist denkbar ohne geteilte Grundnormen, keine Gesellschaft ist organisierbar ohne gemeinsame Werte - deshalb gehören Werte zum Objektbereich, also zum Sachverhalt. Ihre Klärung und die Auseinandersetzung über beanspruchte Gültigkeiten (einschließlich Ideologiekritik) ist damit ein Moment der Sache, in die Schüler im Unterricht eingeführt werden sollten.
Die moralische Reflexion ist nicht nur eine Notwendigkeit für die Praxis, sondern auch für das Verständnis von Theorien bzw. Realitätsstrukturen. Explizit oder implizit können in Theorien Wertbezüge (oder Moralen) enthalten sein, die als Prämissen die Theoriekonstruktion mitbestimmen. (Zum Beispiel ist im Konstrukt des homo oeconomicus ein bestimmtes Menschenbild mit einer ausgewählten Interaktionsstruktur, nämlich der des Tausches und seiner spezifischen Gerechtigkeit, enthalten).
Eine erzieherische Wirkung dieses Unterrichts kann sein, daß der Schüler einübt, praktische Fragen des individuellen und öffentlichen Lebens rationaler bearbeiten zu können. Solche Fragen gesellschaftlicher und individueller Lebenspraxis können die Handlungsplanung, bei der Ziel- und Mittelwahl der Diskussion unterzogen werden, oder die normative, also wertorientierte Rechtfertigung von Handlungen oder die Prüfung der Anerkennungswürdigkeit von Normen und Werten sein (vgl. Viechtbauer 1982).
Diese Erziehung zur Wertrationalität beinhaltet, daß der Schüler sich selbst der Auseinandersetzung um Werte stellt. Dabei geht es nicht um Konfession oder um eine große Emotion, sondern um die argumentative Auseinandersetzung um das bessere Argument, die den anderen in den Wertebezug als gleichberechtigten anderen mit hineinnimmt. [/S. 17:]
Im Schulfach Sozialwissenschaften verschränken sich die - in einem engen Sinne - wissenschaftspropädeutische Zielsetzung und die erzieherische Dimension.
Richtlinien für das staatliche Schulwesen müssen heutzutage angeben, welche Zielvorstellungen ihre Herausgeber haben. Reine Stoffkataloge genügen nicht, denn sie lassen die Frage offen, wohin und zu welchem Ende Unterricht bzw. Erziehung führen sollen. Damit sind Richtlinien ein greifbarer Teil der Selbstverständigungsprozesse dieser Gesellschaft, was besonders die Richtlinien für politisch relevante Fächer brisant macht. Denn hier muß eine allgemeine Idee formuliert werden, wie Tempo und Richtung sozialen Wandels eingeschätzt werden und ob und wie das beeinflußt werden soll.
Die Richtlinien für den Politikunterricht in Nordrhein-Westfalen (3. Aufl. 1987) geben als Zielvorstellungen sog. Qualifikationen an, das sind Fähigkeiten und Bereitschaften zur Bewältigung von Lebenssituationen. Sie beschreiben insgesamt den mündigen Bürger und sind demnach einem Konzept lebenslangen Lernens verpflichtet (und nicht erreichbar mit Ende einer Schulzeit).
Ihr Richtwert "Emanzipation" hat in den 70er-Jahren heftige Kontroversen ausgelöst (vgl. Schörken 1974, Gagel/Schörken 1975, Gemein/ Kienel 1975). Die 3. Auflage der Richtlinien enthält wohl eine Formulierung, die weithin konsensfähig ist, weil sie die Dialektik von Individuum und Gesellschaft beschreibt, indem sie Ich-Bezug und Sozial-Bezug zu balancieren versteht:
"In der politischen Bildung verstehen wir heute darunter [Emanzipation] einen Lernprozeß, in dem Schülerinnen und Schüler die komplexer und schwerer durchschaubar werdende Welt besser begreifen, sich nicht blind in die Gegebenheiten fügen und aufgrund von Sachkenntnis und Urteilsfähigkeit bereit und fähig werden, Selbst- und Mitbestimmung in Politik und Gesellschaft zu praktizieren. (...)
Zu den Kriterien der Selbst- und Mitbestimmung gehört, daß die Interessen anderer ebenso wie eigene Interessen bedacht werden. Emanzipationsprozesse sind nicht nur als individuelle, sondern auch als solidarische Akte zu verstehen und müssen sich stets unter dem Prinzip sozialer Verantwortung legitimieren.
Die Schüler und Schülerinnen müssen lernen, daß sie mit zunehmendem Alter für ihr Handeln selbst verantwortlich werden und daß Selbstverwirklichung ihre Grenzen im gleichen Anspruch anderer haben muß." (S. 7 f.)
Die Konsensmöglichkeit von Richtwerten für den Politikunterricht ist auch dadurch gefördert worden, daß im sog. Beutelsbacher Konsens auf[/S. 18:]grund von Diskussionen in den 70er-Jahren (vgl. Breit/Massing (Hg.) 1992, Kapitel III) eine gemeinsame didaktische Vorstellung von Unterrichtsprozessen entstand: das Überwältigungsverbot und das Prinzip der Kontroversität verlagerten notwendige Konflikte (ohne die tragfähige Konsense nicht zu erzielen sind) in den Unterricht hinein. Damit war die Entscheidung in Streitfragen nicht vorab von Richtlinien oder Lehrern getroffen, sondern - gemäß der Zielsetzung des Aktivbürgers - den lernenden Individuen übergeben.
Mit der glücklichen Formulierung "Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung" als Erziehungsziel wurde im allgemeinen Teil aller Richtlinien für die gymnasiale Oberstufe in Nordrhein-Westfalen eine vergleichbare Grundvorstellung vertreten. Diesem Erziehungsziel wurde als Unterrichtsziel "Wissenschaftspropädeutische Ausbildung" an die Seite gestellt, womit der Akzent der gymnasialen Oberstufe betont wurde.
Zwar erscheint dieses Nebeneinander von Unterrichts- und Erziehungszielen nicht sehr plausibel (vgl. oben: auch Wissenschaft ist eine sehr soziale und häufig wertgebunden-politische Veranstaltung), aber die analytische Trennung kann wiederum leicht ineinander gedacht werden. Die Autoren der Richtlinien für das Fach Sozialwissenschaften (1981/ 1991) entwickelten Qualifikationen zu so genannten Entwicklungstendenzen dieser Gesellschaft, in denen jeweils Chancen und Gefahren gesehen wurden (1981, S. 47-54; eine Kurzfassung bei Reinhardt [7]
1989, S. 212). Als wertende Bezugspunkte wurden - in Anlehnung an Hilligens
Optionen (z. B. 1991) - Menschenwürde in einer demokratischen Ordnung, Freiheit in Verantwortung, Chancengleichheit und Toleranz/Solidarität gewählt.
"Die ... Qualifikationen und Lernziele stehen ... im Einklang mit denen des Politik-Unterrichts, auf dem der Unterricht im Fach Sozialwissenschaften aufbaut." (S. 47) Dieser Einklang von Qualifikationen/Lernzielen politischer Bildung, die schulformunabhängig und stufenübergreifend gelten, und Zielvorstellungen wissenschaftspropädeutischen Arbeitens als Spezifikum stärker theoriebezogenen Vorgehens wird im (vorläufigen) Rahmenplan für Politische Bildung in Brandenburg (die von den nordrhein-westfälischen Richtlinien mit beeinflußt sind) sehr klar zum Ausdruck gebracht: Die Qualifikationen für Politische Bildung sind dieselben wie in dem Rahmenplan für die Sekundarstufe I; ihnen sind als zweiter Katalog "Wissenschaftspropädeutische Lernziele" hinzugefügt, die die Aufgabe der gymnasialen Oberstufe akzentuieren:
Diese Fassung hat den Vorteil, daß sie zum einen eine generalisierbare Vorstellung von "Demokratie lernen" enthält und zum anderen die Zu[/S. 19:]nahme an Theoretisierung in der Wissenschaftswelt und in der Alltags- und Berufswelt erfaßt.
Die Kombination beider Zielvorstellungen ist dem institutionellen Kontext der gymnasialen Oberstufe angemessen aus Gründen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und wegen der Entwicklungsmöglichkeiten der Lernenden als Subjekten von Bildungsprozessen."
Qualifikationen im Fach Politische Bildung | Wissenschaftspropädeutische Lernziele: |
Fähigkeit und Bereitschaft, | |
|
|
[/S. 21] [...]
[/S. 44] [...]
"Entwicklung von Lernen heißt dreierlei, wovon bis hierher zwei Punkte entfaltet worden sind:
Der dritte Punkt soll jetzt als letzter Punkt genauer entfaltet werden.
Erinnert sei an das Problem: Die soziale Welt ist eine einheitliche Welt, auch wenn "Soziales", "Ökonomisches" und "Politisches" häufig als getrennte Subsysteme empfunden werden und die Menschen im Alltag recht gekonnt (wenn auch i. a. unbewußt) zwischen den unterschiedlichen Imperativen wechseln. Viele gesellschaftliche Probleme (als Beispiel [/S. 57:] nehme man nur "Umwelt") offenbaren aber Interdependenzen und Vernetzungen, die die in Disziplinen getrennten Sozialwissenschaften nicht je einzeln erfassen können. Deshalb muß das Schulfach ein Integrationsfach sein.
Andererseits haben sich die Disziplinen als spezielle entfaltet, und ein Teil ihrer jeweiligen Qualität hat sicher mit dieser Arbeitsteilung und Spezialisierung zu tun. Studierfähigkeit und also Erkenntnisfähigkeit kann dieses Moment von Wissenschaftswissen nicht überspringen. Deshalb muß der Unterricht die Disziplinen als je eigene achten und zeigen. Wie geht dieser Widerspruch in einen Lernprozeß ein, ohne daß es ein schlechter Widerspruch (weil unfruchtbarer, nur Durcheinander erzeugender, nur falsche Logik behauptender) ist?
Die Diskussion um die Richtlinien Sozialwissenschaften und den Rahmenplan Politische Bildung (1981/1991 bzw. 1992) hat drei Möglichkeiten für die geforderte Differenzierung und Integration ergeben, die dann die Sequentialität des Lernens bestimmen lassen:
Zum einen können wir uns die Differenzierung + Integration vorstellen als die Addition von Einzelwissenschaften, wobei die drei Teildisziplinen Soziologie, Ökonomie und Politologie durch fachspezifische Zugangsweisen auf ein Thema repräsentiert werden. Ein Beispiel: Arbeitslosigkeit als Problem hat deutlich identifizierbare soziale, wirtschaftliche und politische Problemseiten, die vornehmlich von der jeweils ,zuständigen' Disziplin thematisiert werden. Fügt man diese Ansätze zusammen, so erhält man ein besseres Bild des Problems und der drei Disziplinen.
Zum zweiten können wir uns die Differenzierung + Integration vorstellen als die Arbeit mit Leitwissenschaften, wobei die jeweils die Untersuchung leitende Disziplin an geeigneten Problemstellen über "Brücken" mit einer der anderen Disziplinen verknüpft wird. Ein Beispiel: Die Untersuchung des Marktgeschehens unter der Frage nach der Koordination von Einzelhandlungen wird als eine Prämisse und auch Realitätselement die Konkurrenz herausstellen. Da freie Konkurrenz aber aus sich selbst heraus (also dialektisch) zur Selbstabschaffung tendiert, muß zur Erhaltung der freien Marktwirtschaft ein Außenfaktor (also der Staat) für ihre Sicherung sorgen. Die politische Regelung, wie sie im Kartellgesetz als legislativem Bestandteil und dem Kartellamt als exekutivem Bestandteil verkörpert ist, bringt zentrale Elemente des politischen Systems in die Betrachtung (Gewaltenteilung, Gewaltenverschränkung).
Zum dritten können wir uns die Differenzierung + Integration vorstellen als Interdisziplinarität, wobei eine Verknüpfung der verschiedenen Disziplinen über das Thema bzw. den Gegenstand gefordert und herge[/S. 58:]stellt wird. Ein Beispiel: Erscheinungen und Probleme des Nord-Süd-Konflikts würden in verkürzter Weise reduziert, wenn sie entweder als wirtschaftliches oder als soziales oder als politisches Geschehen angegangen würden. Der Gegenstand provoziert das Zusammenwirken der Disziplinen. Dieses Zusammenwirken ist dann kein unbewußtes Zusammenrühren, sondern ein kontrolliertes Einsetzen, wenn vorher ein Bewußtsein der Disziplinen näherungsweise entstanden ist.
Schaltet man diese drei Modelle des Zusammenhangs der Disziplinen hintereinander, dann entsteht eine Vorstellung von Sequentialität, also davon, wie der Lernprozeß sich entwickeln kann und wie er demnach gefördert werden kann. (Eine Schülerin drückte das in Jahrgang 13 einmal so aus: allmählich schließe sich der Kreis).
Im Rahmenplan Politische Bildung von Brandenburg ist dieses Sequenz-Modell in der folgenden Weise notiert (vgl. S. 61; die Komplikation durch die KMK-Vorschrift, feste Anteile Geschichte in der Oberstufe zu garantieren, lasse ich hier weg).
Sequentialität des Faches: Politische Bildung als Integrationsfach
Integrationsarten | Erläuterung | |||
1. Additive Verknüpfung: | Der Ausgangspunkt dieser Integrationsart ist die Existenz selbständiger Teildisziplinen, die in den Lernfeldern und in den diesen zugeordneten Themen repräsentiert sind. | |||
Soziologie + Ökonomie + Politologie | ||||
2. Leitwissenschaftliches Arbeiten: | Unter Leitwissenschaft wird diejenige Disziplin verstanden, die für das jeweilige Thema dominant ist, aber über "Brücken", "Aspekte" oder Dimensionen mit einer anderen Disziplin oder beiden anderen verbunden ist. | |||
2. Disziplin | ||||
Leitwissenschaft → | ||||
3. Disziplin | ||||
3. Interdisziplinäre Integration: | Die Komplexität der Realität erfordert Rahmenthemen, für deren Behandlung der spezielle Beitrag der einzelnen Disziplinen abzurufen und zu verknüpfen ist. | |||
Thema | ||||
Soziologie | Ökonomie | Politologie |
Rahmenplan Politische Bildung - gymnasiale Oberstufe (Brandenburg 1992, S. 32)
[/S. 59:] Den idealtypischen Charakter auch dieses Modells möchte ich noch einmal betonen: die Sequenz kann nicht schlüssig im Sinne präziser Prüfbarkeit die Lernprozesse strukturieren. In der Realität des Unterrichts werden Elemente aus allen drei Integrationsarten immer wieder vorkommen; aber übers Ganze gesehen, kann bzw. wird der Unterricht im Fach "Sozialwissenschaften" je nach Lernpunkt der Gruppe in einem frühen Stadium eher additiv verfahren, später eher leitwissenschaftlich, schließlich zunehmend auch interdisziplinär.
Diese Sequentialität in der Oberstufe beschreibt insgesamt sicher noch einmal (im Sinne einer Spiralstruktur) den Weg vom konkreten Arbeiten zum abstrakten Auswerten - hier auf der Ebene von Wissenschaftspropädeutik. Gemeint ist damit die Fähigkeit zur Meta-Reflexion ohne Verlust des Welt- und Personbezuges.
Die Legitimität des Unterrichts bemißt sich also sowohl an einem Bild von Gesellschaft und von Zielvorstellungen als auch an einer Vorstellung von Möglichkeiten und der Entwicklung der Lernenden. Die Struktur des Faches ist die Beschreibung institutionalisierter Bemühungen um die Förderung junger Menschen in einer Gesellschaft im Prozeß der Demokratisierung.
Der Akzent der gymnasialen Oberstufe, in Theorie einzuführen und den Umgang mit Theorie verfügbarer zu machen, steht nicht im Widerspruch zur politischen Bildung, schränkt sie auch nicht ein. Reflexivität von Mechanismen finden wir in vielen Lebensbereichen; Theoriefähigkeit ist in einer Gesellschaft ohne gesicherte Integrations- und Identitätsmechanismen notwendiger Aspekt von Konflikt- und Konsensfähigkeit, die ohne Distanz im Engagement, ohne Reflexion in der Empörung, ohne Objektivierung des Subjektiven nicht auskommt.
Es ist - wie hoffentlich gezeigt - möglich, den anspruchsvollen Lernvorgang in der Sekundarstufe I und in der gymnasialen Oberstufe zu beschreiben. Daraus ergibt sich, daß diesen sinnvollen Entwicklungsprozessen die nötige Zeit gegeben werden sollte. Daß das o. a. Konzept nicht in 12 Schuljahren und nicht mit Reststunden im Fach auch nur näherungsweise realisiert werden kann, ist sicher ohne Explikation deutlich geworden."
Für die sozialwissenschaftliche Lehramtsausbildung ist typisch, daß sie in fachübergreifenden Studiengängen stattfindet. Die Art und Zahl der beteiligten Fächer, ihre zeitlichen und inhaltlichen Anteile variieren jedoch je nach Studiengang und Studienort ganz erheblich [...]. Das ist nicht nur auf eine teilweise sachfremde Konkurrenz der Fächer, sondern auch auf Unsicherheit in der Frage zurückzuführen, welche Bedeutung den einzelnen Disziplinen in den jeweiligen Fächerkombinationen zukommt. So ist schon die auf den ersten Blick durchaus plausible Vorstellung, daß "der Kern" der politischen Bildung "das Politische" und folglich Politikwissenschaft die zentrale Bezugswissenschaft sei (vgl. Sander [10] 1997, S. 17, 21, 32 ff.; Massing 1996, S. 124; Bundeszentrale 1994, S. 13 und "Darmstädter Appell" 1996), in kritischer Sicht durchaus zweifelhaft, weil das "Politische" selbst strittig ist und zudem erst im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext verständlich wird (so in der Auseinandersetzung mit dem "Darmstädter Appell"; vgl. Kahsnitz 1996 und Henkenborg [13] 1996, S. 165; Henkenborg schreibt zur Auseinandersetzung um den Politikbegriff: "Sicher hat ein weiter (soziologischer) Politikbegriff Risiken (Überforderung, Allzuständigkeit. Ressourcenknappheit), und unbestritten bietet ein enger (politologischer) Politikbegriff Vorteile (Begrenzung der knappen Fachressourcen auf ein Proprium). Politische Bildung läßt sich - heute weniger denn je - trotzdem nicht auf einen engen Politikbegriff begrenzen, denn: politikwissenschaftliche Analysen der 'politischen Gesellschaft' (Greven), der 'Entgrenzung der Politik' (Beck) oder der 'life-politics' sehen das Neue in der Politik ja gerade darin, daß in der modernen Gesellschaft 'virtuell alles politisch geworden' (Greven) ist" (S. 165)). Versuche, in dieser Frage mehr Klarheit durch Rekurs auf die Systematik etwa von Soziologie, Politikwissenschaften etc. zu gewinnen, sind m. E. schon deshalb aussichtslos, weil die Kombination von Fächern und die Integration von Fachanteilen nur im Hinblick auf einen außerhalb der Fächer liegenden Zweck Sinn macht. Was der "angemessene" Beitrag eines Faches im Rahmen eines interdisziplinären Studiums ist oder sein könnte, kann deshalb nur im Hinblick auf Funktionen bestimmt werden, die ein Studiengang nach Maßgabe jeweiliger Studienordnungen hat oder haben sollte. Diese "Maßgabe" ist in jedem Fall didaktisch begründet und daraus [/S. 300:] folgt zunächst, daß der inhaltliche Beitrag der Soziologie oder anderer Disziplinen zur sozialwissenschaftlichen Lehramtsausbildung nicht nach Erfordernissen der Systematik des Faches, sondern nach den Zielen und Aufgaben der fachübergreifenden Studiengänge zu bemessen ist.
Wenn wir als Beispiel Nordrhein-Westfalen nehmen, und hier die Universität Bielefeld, so ist die Soziologie an folgenden interdisziplinären Lehramtsstudiengängen beteiligt:
[...] Anders als das ESL-Studium sind die Studiengänge "Sozialwissenschaften" und "Sachunterricht/Gesellschaftslehre" auf entsprechende Schulfächer bezogen. Eine Eigenart dieser Unterrichtsfächer ist, daß es sich um "Lernbereiche" handelt (in der Primarstufe ist politische Bildung Bestandteil des Lernbereichs "Sachunterricht", in [/S. 301:] der Sekundarstufe I heißt der Lernbereich "Gesellschaftslehre" (Geschichte/Politik) und in der Sekundarstufe II "Sozialwissenschaften"), die jeweils mehrere Bezugswissenschaften haben, die in einem didaktisch begründeten Zusammenhang stehen. Diese Bezugswissenschaften sind auch an den entsprechenden Studiengängen beteiligt. Für den Lernbereich "Sachunterricht" sind das im Studiengang SU/GL: Geographie, Geschichte, Soziologie, Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft. Für den Lernbereich "Sozialwissenschaften/Politik" sind das im Sowi-Studiengang Soziologie, Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft und in Bielefeld zudem - als Ausnahme in NRW - Geschichte im Verständnis einer historischen Sozialwissenschaft.
Aus der Lernbereichskonstruktion ergibt sich eine weitreichende didaktische Konsequenz, die auch für die sozialwissenschaftliche Studiengangskonzeption eingefordert werden muß: die systematische Zusammenfügung der an den Lernbereichen beteiligten Fachgebiete. Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand - und mehr noch in der Praxis - handelt es sich noch weitgehend um ein Desiderat und insofern um eine innovative Aufgabe. Diese Aufgabe wirft Fragen auf, die theoretisch und praktisch noch ohne zureichende Antwort sind:
Diese Fragen haben auch für die sozialwissenschaftlichen Studiengänge und die Studienorganisation grundlegende Bedeutung, da für die Integrationsveranstaltungen im Studium vergleichbare Probleme zu lösen sind. Zum konzeptionellen Vorverständnis gehören dabei folgende Überlegungen:
Die Schulfächer mit politischen Bildungsaufgaben intendieren einerseits die Förderung politisch-sozialer Urteils- und Handlungskompetenz der Schüler/innen, andererseits Vorbereitung auf den Fachunterricht der nachfolgenden Schultypen bzw. auf das Hochschulstudium. Diese Schulfächer sind also der didaktischen Grundfunktion nach zweierlei: politisch-soziale Bildung und Fach- bzw. Wissenschaftspropädeutik. Dementsprechend erfordert auch die Ausrichtung der schulfach- bezogenen Studiengänge auf diese Doppelfunktion eine Studienorganisation, bei der sowohl in die grundlegenden Inhalte, Erkenntnisweisen und Fragestellungen sozial- wissenschaftlicher Disziplinen eingeführt wird, als auch fächerübergreifende Studien zu komplexen gesellschaftlichen Themen unter didaktischen - vorwiegend problem- und handlungsorientierten - Fragestellungen ermöglicht werden. Diese Zusammenfügung, die in einer rein fachwissenschaftlichen Konstruktion des [/S. 302:] Studiengangs kaum Bestand haben könnte, findet Rückhalt vor allem in der - wiederum didaktisch relevanten - Einsicht, daß es angesichts zunehmender Vernetzung sozialer, politischer, ökonomischer und kultureller Prozesse, Systeme und Problemlagen für politisches Urteilen und Handeln in allen gesellschaftlichen Bereichen unabdingbar geworden ist, das in je spezifischer Weise erschlossene und systematisierte Wissen der sozialwissenschaftlichen Disziplinen bei der Analyse und Lösung gesellschaftlicher Probleme jeweils aufeinander bezogen zu verarbeiten. So würde es z. B. nicht ausreichen, politisch auf das Phänomen zunehmender Gewaltbereitschaft etwa nur mit dem Wissen zu reagieren, das Individual- und Sozialpsychologie oder Soziologie oder Politikwissenschaft usw. dazu erarbeitet haben.
Damit kommen wir auf die Frage zurück, auf welche Weise der wechselseitige Bezug hergestellt, die jeweiligen Fachanteile des sozialwissenschaftlichen Studiengangs begründet ausgewählt und integriert werden können, und somit auch, welche Bedeutung die Soziologie in diesem Zusammenhang haben kann.
Versuche, die Integrationsaufgabe zu lösen, lassen sich nach dem bisherigen Stand der fachdidaktischen Diskussion am ehesten über den Bezug der Fächer auf gesellschaftliche Probleme realisieren (grundlegend hierzu: Pandel [14] 1978). Denn wie weit wir das Netz sozialwissenschaftlicher Studien spannen müssen und wie dabei die Fächer miteinander verknüpft werden, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Problems ab, das untersucht wird, und davon, wie es definiert und dimensioniert wird (ausführlich bei Kapp 1983, S. 208-214). [...] Welche der [..] Problemdimensionen zum Gegenstand von Unterricht und Studium gemacht werden, und welche Fächer folglich unterrichts- bzw. studienrelevant sind, ist letztlich nur vom jeweiligen - mit der Problemdefinition verbundenen - Erkenntnisinteresse und den sich daraus ergebenden Fragestellungen her zu entscheiden. Dieser problemorientierte Integrationsansatz deckt sich auch mit einem Politikbegriff, der politisches Handeln als eine prinzipiell "endlose Kette von Versuchen zur Bewältigung gesellschaftlicher Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben" (vgl. Massing/Skuhr 1993, S. 247) beschreibt. Ein vorweg bestimmter Dominanzanspruch eines Faches erscheint in dieser Sicht jedenfalls als unbegründet und sogar kontraproduktiv.
[/S. 304:]
Dem Prinzip eines problemorientierten, fächerübergreifenden und möglichst integrierten Studiums der Sozialwissenschaften entsprechen die derzeitigen Studienordnungen allerdings nur ansatzweise.
[...]
Der achtsemestrige Studiengang "Sozialwissenschaften" (vgl. Studienordnung Bielefeld 1997 [15]) für die Sekundarstufe II im Umfang von 60 SWS [...] [ist] ein Drei-Fächer-Ministudium, das zwar im Rahmen vorgegebener Teilgebiete aus Politikwissenschaft, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft (mit entsprechenden Wahl- und Pflichtveranstaltungen) erfolgt, curricular aber [..] nicht geregelt ist. [...]
[/S. 305:]
Fächerübergreifende und integrierte sowie fachdidaktische Studiengangselemente [...] sind im Sowi-Studium [...]:
Für die Integrationsveranstaltungen [gibt es] [...] eine curriculare Rahmenorientierung [...], die ausführliche Hinweise zu Art, Funktion und Durchführung dieser studiengangsspezifischen Veranstaltungen enthält. Danach werden im fächerübergreifenden "Grundkurs" die Studienanfänger/innen in Gegenstandsbereiche, Fragestellungen, Methoden und Theorieansätze der beteiligten Disziplinen sowie in interdisziplinäres Denken und Arbeiten bei der Analyse gesellschaftlicher Probleme eingeführt. Der Grundkurs wird von mindestens zwei Lehrenden der am Studiengang beteiligten Fakultäten durchgeführt und von Tutorien begleitet.
[...]Die Integrationsveranstaltung I wird - wie der "Grundkurs" - in der Regel von mehreren Lehrenden der am Studiengang beteiligten Fakultäten durchgeführt. Diese Form des Team-Teaching soll eine disziplinübergreifende sozialwissenschaftliche Analyse ausgewählter gesellschaftlicher Probleme ermöglichen. Die Veranstaltung "soll dazu einerseits die Kenntnis der spezifischen Beiträge verschiedener sozialwissenschaftlicher Disziplinen zu problemorientierten Fragestellungen, andererseits [/S. 306:] die Fähigkeit vermitteln, diese Beiträge für die Bearbeitung politischer Entscheidungs- und Handlungsprobleme gegebenenfalls neu zu strukturieren" (§ 9 der StO Sowi).
Die Integrationsveranstaltung II ist ein Verbund von Theorie und Unterrichtspraxis. Sie wird gleichfalls von Lehrenden aus mindestens zwei Fakultäten durch- geführt und verbindet die Aufgaben der Integrationsveranstaltung I mit der Vermittlung fachdidaktischer Qualifikationen und mit schulpraktischen Studien.
Didaktischer Fixpunkt der interdisziplinären sozialwissenschaftlichen Studiengangselemente ist die oben dargelegte didaktische Doppelfunktion der Schulfächer und daraus folgend die Problemorientierung des Studiums. Konzeptionell und in der Studienpraxis wird mit der problembezogenen Fächerintegration noch experimentiert. Es kristallisiert sich aber eine curriculare Grundstruktur heraus, die den Integrationsanspruch offenbar einlösen kann und an der sich auch inhaltlich nachweisen läßt, inwiefern Soziologie für ein fachübergreifendes, problemorientiertes Studium unverzichtbar ist. Zu diesem Nachweis führen folgende Überlegungen:
l. Das Ziel politischer Urteils- und Handlungsfähigkeit schließt immer die Befähigung ein, sich in politisch-gesellschaftlichen Problemfeldern sachkundig machen, Probleme beschreiben und analysieren zu können. Gesellschaftliche Probleme können aber - wie auch dem Schaubild zu entnehmen ist - nicht zureichend beschrieben, analysiert, beurteilt und gelöst werden, wenn der Zugang zum Problem nur aus der Perspektive einer Wissenschaftsdisziplin gesucht wird. Denn praktische Probleme sind - im Unterschied zu theoretischen Problemen - ungefächert (vgl. Pandel 1978, S. 368 [16]).
Das läßt sich an jedem problemhaltigen Beispiel nachweisen: Sei es die Umweltproblematik, Arbeitslosigkeit, Armut, Fremdenhaß, Migration oder der Golfkrieg - immer handelt es sich um vieldimensionale Sachverhalte und Ereigniszusammenhänge, die zahlreiche Gründe/Ursachen und Folgewirkungen haben und unter ganz verschiedenen Erkenntnisinteressen und Fragestellungen "Thema" sein können. [...] [/S. 307:] Psychologie und Sozialpsychologie könnten in diesem Beispiel [Golfkrieg; d. Red.] Verhaltensweisen und Verhaltensmuster der maßgeblichen Akteure erklären, Politikwissenschaft könnte Aufschluß geben über Machtphänomene, Mechanismen der politischen Willensbildung, des inter- und supranationalen Krisenmanagements usw., und Soziologie könnte Beiträge leisten zur Aufklärung der Systemzwänge und gesellschaftlichen Strukturen, die den Handlungsrahmen für die Aktivitäten der individuellen und kollektiven Akteure in dieser Krisensituation bildeten. Ein multiperspektivischer, fächerübergreifender Zugang ist also unverzichtbar.
2. Welche Wissenschaftsdisziplinen für die politische Urteils- und Handlungskompetenz relevant sind, inwieweit also die verschiedenen Fächer an der politischen Bildung und darauf bezogenen Studiengängen zu beteiligen sind, läßt sich ebenfalls nicht aus der Sicht einer Einzelwissenschaft klären, sondern nur im Hinblick auf konkrete gesellschaftliche Probleme oder Problemtypen (z. B. sogenannten "Schlüsselproblemen" wie Krieg, Armut/Hunger, Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung und Massenmigration). Ausgangspunkt fächerübergreifender Studien sind deshalb nicht Übersichten über Theoriebestände und Methodenrepertoires von Politikwissenschaft, Soziologie usw. als einer Art "Vorratswissen" für die Befassung mit Problemen, sondern die Probleme selbst. Erst nach der Definition einer Situation, eines Ereigniszusammenhangs etc. als Problem, erst nach dessen Dimensionierung als politisches, ökonomisches, soziales oder rechtliches Problem, und erst wenn vom Problem her Fragen an die Bezugsdisziplinen gerichtet werden, haben Multidisziplinarität und Multiperspektivität ihre methodische Berechtigung (vgl. Pandel 1978, S. 368 [16]); erst danach wird auch der für die Problembearbeitung erforderliche Fächeranteil absehbar.
3. Eine nur additive Zusammenfügung von fachspezifischen Fragestellungen, Methoden, Begriffen, Theorien innerhalb eines Problemhorizonts reicht aber nicht aus. Wir wissen dann noch nicht, welche Bedeutung bestimmte Ursachen in einem Wirkungszusammenhang haben; welche Ursachen/Gründe in der Ursachenhierarchie dominant sind; was zufällig und was wesentlich ist. Ohne die Möglichkeit zur Gewichtung und Bewertung von Bedingungsfaktoren gesellschaftlicher Probleme kann die Folge bloßer Multiperspektivität auch Orientierungslosigkeit und politische Handlungsunfähigkeit sein. Daraus ergibt sich als Konsequenz: Die fächerübergreifende Problemanalyse muß so organisiert sein, daß sie eine begrifflich geordnete Zusammenhangsvorstellung ermöglicht. Das wiederum gelingt nur, wenn die problemrelevanten Elemente und Teilinhalte verschiedener Fächer unter übergeordneten Gesichtspunkten zusammengefaßt und integriert werden. Durch eine solche Zuordnung bekommen die fachspezifischen Erkenntnisbeiträge eine Struktur - sie bilden einen Erklärungs- und Bedeutungszusammenhang. [/S. 308:]
4. Die integrierenden übergeordneten Gesichtspunkte werden aus theoretischen Konstrukten gewonnen, die der Definition und Analyse von Problemen sowohl vorgängig als auch nachträglich als Interpretationsrahmen dienen.
Probleme sind mit bestimmten Ereignissen nicht einfach vorhanden, sondern Ereignisse werden als Problem oder problematisch gedeutet. Z. B. wird Lohnkürzung im Krankheitsfall von Arbeitnehmern in vielerlei Hinsicht als Problem, von Unternehmen als Lösung von Problemen interpretiert. Ein Ereignis oder Verhalten wird - wie Fandet überzeugend dargelegt hat - erst dann als problematisch definiert, wenn es "einer sozialen Norm widerspricht, eine Erwartung enttäuscht oder eine erwartete Regelmäßigkeit durchbricht ... Die Existenz eines Systems von normativen Erwartungen gibt den Hintergrund ab, auf dem ein Ereignis zu einem Problem werden kann - vor dem ein Ereignis fragwürdig wird" (Pandel 1978, S. 366 [17]). Daraus folgt: Jede Problemdefinition setzt bereits ein vorgängiges Verständnis voraus, eine Zusammenhangsvorstellung von Bedingungsfaktoren, Problemursachen, Akteursmotiven usw. sowie eine Deutung der vermuteten Ursachen, Bedingungsfaktoren usw.
Dieses vorgängige Verständnis kann im Alltagsdiskurs aus Deutungsangeboten der Massenmedien stammen, die von den "Problemverursachern" meist gleich mit- geliefert werden, oder aus Vorurteilen und Vorkenntnissen, aus Verallgemeinerung von Lebenserfahrungen. Wissenschaftlich fundiert wird die Problemanalyse allerdings erst durch Rückfragen an die Bezugswissenschaften, durch Rückgriff auf sozialwissenschaftliche Theorien - und an diesem Punkt wird nun die Bedeutung von Soziologie für die sozialwissenschaftliche Lehramtsausbildung vollends deutlich: ohne Wissen über soziale Systeme und ihre Funktionen, über soziale Strukturen, soziale Ungleichheit, System- und Sozialintegration, ohne theoretische Vorstellung von der Gesellschaft (etwa als "Risikogesellschaft") und ihrem strukturellen Wandel, ohne Theorie über die Interdependenzgeflechte von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik bliebe schon konzeptionell der Zugang zu dem Wissen darüber verbaut, "wie die alles umfassende soziale Organisation das Verhalten ihrer Teile formt und lenkt", welche funktionalen Beziehungen zwischen dem Ganzen und seinen Bestandteilen bestehen. An dieser Feststellung kommen wir nicht vorbei: "Wirtschaftliche oder politische Fragen können solange nicht angemessen behandelt werden, als sie ausschließlich als wirtschaftliche oder politische gesehen werden" (Kapp 1983, S. 189, 208).
Zusammenfassend ergibt sich daraus für die Integrationsveranstaltungen der sozialwissenschaftlichen Studiengänge folgende didaktische Struktur:
Erster Schritt: Problembeschreibung und Problemdefinition. Dabei ist zu klären, inwiefern ein Sachverhalt, Ereignis etc. ein Problem ist und um welche Art von Problem (politisches, ökonomisches, rechtliches usw.) es sich handelt. Dazu sollte [/S. 309:] auch die Benennung des normativen Hintergrunds der Problemwahrnehmung und Darlegung des Erkenntnisinteresses gehören.
Zweiter Schritt: Analyse und Dimensionierung des Problems nach dem Muster des Schaubilds. Sie soll alle Faktoren erfassen, die im problematischen Sachverhalt oder Ereigniszusammenhang eine Wirkung/Bedeutung haben. Die dadurch bewirkte Sinnfälligkeit der Komplexität realer gesellschaftlicher Probleme soll bei den Studienanfänger/innen Verständnis für den Zusammenhang der sozialwissenschaftlichen Bezugsdisziplinen wecken und zugleich die Einsicht vermitteln, daß das Ziel politischer Bildung (einen Beitrag zur Entwicklung politischer Urteils- und Handlungsfähigkeit zu leisten) ein interdisziplinäres wissenschaftliches Vorgehen bedingt.
Dritter Schritt: Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands je nach Erkenntnisinteresse unter didaktischen Relevanzaspekten. Es muß entschieden werden, welche Problemdimensionen berücksichtigt und eingehender untersucht werden sollen und auf welche Fragen die Untersuchung eine Antwort geben soll. Formulierung von Annahmen zu den Untersuchungsfragen.
Vierter Schritt: Aufarbeitung von Forschungs- und Erkenntnisbeiträgen der einzelnen Bezugswissenschaften. Mit welchen Anteilen diese einbezogen werden, hängt von den Fragen ab, die vom Problem her an die Soziologie, Politikwissenschaft etc. gerichtet werden. [...]
Anders als die Integrationsveranstaltungen dient der "Grundkurs" in erster Linie nicht der Aufarbeitung des Problems, sondern der Einführung in die Denkweisen der Disziplinen anhand eines Problems. Die Studierenden sollen dabei
(1) erkennen, daß der wissenschaftliche Erkenntnisprozeß arbeitsteilig organisiert und dadurch in jeweils spezifischer Weise begrenzt ist;
(2) die Fähigkeit erwerben, in den drei nomothetischen Sozialwissenschaften (Soziologie, Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft) denken zu lernen (wozu insbesondere auch Einübung in die Besonderheit der soziologischen Denkweise gehört);
(3) lernen, worin sich die Fächer hinsichtlich ihrer Gegenstandsbereiche, Fragestellungen, Methoden, Schlüsselbegriffe und Theorieansätze unterscheiden, und wie sie sich im Hinblick auf die Problemanalyse systematisch aufeinander beziehen lassen. [/S. 310:]
Bundeszentrale für politische Bildung [18]
(1994) (Hrsg.): Politikdidaktik kurzgefaßt, Schriftenreihe Bd. 326. Bonn.
Darmstädter Appell (1996). In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 47/96, S. 34-38.
Henkenborg, P. [13]
(1996): Politische Bildung neu denken: Skizzen zu einer Umbruchsituation. In:
Weidinger, D. [19]
(Hrsg.): Politische Bildung in der Bundesrepublik. Zum 30jährigen Bestehen der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung. Opladen, S. 160-167.
Kahsnitz, D. (1996): Politische Bildung: Ohne Krisenbewußtsein in der Krise. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 47/96, S. 23-33.
Kapp, K. W. (1983): Erneuerung der Sozialwissenschaften. Ein Versuch zur Integration und Humanisierung, Frankfurt a. M.
Massing, P. (1996): Plädoyer für einen politischen Politikunterricht. In: Weidinger, D.: Politische Bildung in der Bundesrepublik. Opladen, S. 124-127.
Massing, P./Skuhr, W.: Die Sachanalyse - Schlüssel für die Planung von Unterricht. In: Gegenwartskunde, H 2/1993, S. 241-275.
Pandel, H.-J. [20]
(1978): Integration durch Eigenständigkeit? [14]
Zum didaktischen Zusammenhang von Gegenwartsproblemen und fachspezifischen Erkenntnisweisen. In: Schörken, R. (Hrsg.): Zur Zusammenarbeit von Geschichts- und Politikunterricht. Stuttgart 1978, S. 346-379.
Sander, W. [21]
(1997): Theorie der politischen Bildung: Geschichte - didaktische Konzeptionen - aktuelle Tendenzen und Probleme. In: Sander, W. (Hrsg.): Handbuch politische Bildung. Schwalbach/Ts., S. 5-45.
Studienordnung der Universität Bielefeld (1996) [22]
für den Studiengang Lernbereich Sachunterricht Gesellschaftslehre als Schwerpunkt mit dem Abschluß Erste Staatsprüfung für das Lehramt der Primarstufe vom Dezember 1996.
Studienordnung der Universität Bielefeld (1997) [15]
für den Studiengang Sozialwissenschaften mit dem Abschluß Erste Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe II vom Januar 1997.
[S. 5:] [...]
"Entsprechend hat sozialwissenschaftlicher Unterricht immer zwei Zielrichtungen: Er will die Menschen als gesellschaftliche Produkte und als Gestalter der Gesellschaft zugleich verstehen und damit sowohl gegen ein verdinglichtes als auch gegen ein idealistisch überhöhtes Selbstverständnis anarbeiten. Kompetentes Handeln in gegebenen gesellschaftlichen Strukturen und kritisch-selbstreflexives Nachdenken über gesellschaftliche Formungen und die engagiert-verantwortliche Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme sollen gefördert werden. Beide Lernbewegungen (gesellschaftliche Kompetenz und gewissenhafte Selbstreflexion) sollten bei keinem Thema auseinander gerissen werden, nur in ihrer Verbindung sind sie bildend.
Sie erfordern nicht enzyklopädische Kenntnisse über alle gesellschaftlichen Entwicklungen, aber sozialwissenschaftliches Orientierungs-, Erschließungs-, Erklärungs- und Handlungswissen in Inhaltsfeldern, die gesellschaftlich bedeutsam sind:
[S. 7:] "Zur wissenschaftspropädeutischen Ausbildung leistet das Fach Sozialwissenschaften folgende Beiträge: Die Schülerinnen und Schüler sollen
[...]
"Gemeinsam mit dem Politikunterricht in der Sekundarstufe I ist dem sozialwissenschaftlichen Unterricht in der gymnasialen Oberstufe im Prinzip ein Lernprozess, der von der verstehenden Analyse überschaubarer Situationen zu komplexen Problemen führt, in der Absicht, dass die Lernenden Fähigkeiten erwerben, die sie zur Bewältigung von politisch relevanten Situationen jetzt oder später benötigen. Gemeinsam sind also die fachdidaktischen Kriterien der Situations- und der Problemorientierung [...]" [S. 8].
"Das Unterrichtsfach Sozialwissenschaften integriert die drei zentralen Teildisziplinen der Sozialwissenschaften (Soziologie, Wirtschaftswissenschaft, Politikwissenschaft) und fügt mit dem jeweiligen Thema in Zusammenhang stehende Aspekte aus anderen Disziplinen hinzu. Integration ist für das Fach prinzipiell konstitutiv, um gesellschaftliche Wirklichkeit in ihrer Komplexität zu erfassen und verantwortliche Urteils- und Handlungskompetenz zu ermöglichen. Grenzen der Integration liegen dort, wo sich Inhalte und Methoden der einzelnen Disziplinen wesentlich unterscheiden oder wo für die Schülerinnen und Schüler der Lernprozess zu komplex und unübersichtlich wird [...]" [S. 10].
[S. 12:] "Da das Fach Sozialwissenschaften als Integrationsfach konstruiert ist, können die in diesem Fach bewährten Formen der Integration auch Anregungen für einen fachübergreifenden und fächerverbindenden Unterricht enthalten. Deshalb werden an dieser Stelle die Integrationsformen dargestellt. Konstitutives Prinzip des Unterrichtsfaches Sozialwissenschaften ist die Integration der drei Disziplinen Politikwissenschaft, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft. Das Unterrichtsfach Sozialwissenschaften ist als Integrationsfach konstruiert, um gesellschaftliche Wirklichkeit in ihrer Komplexität zu erfassen sowie verantwortliche Urteils- und Handlungskompetenz (soziale, politische, wirtschaftliche) zu ermöglichen.
Fachdidaktische und fachwissenschaftliche Schwierigkeiten ergeben sich daraus, dass sich die drei Bezugsdisziplinen an den Hochschulen weitgehend getrennt entwickelt haben mit je spezifischen Erkenntnisobjekten, Inhalten und Methoden. Zwar hat es verschiedene Ansätze zu einer Synthese der Bezugsdisziplinen gegeben, sie sind jedoch nicht prägend geworden. In der universitären Lehrerausbildung für das Unterrichtsfach Sozialwissenschaften werden die Bezugsdisziplinen noch häufig getrennt vermittelt und erst in den fachdidaktischen Seminaren zusammengeführt. Deshalb ist es notwendig, das Prinzip der Integration im Verständnis des Lehrplans näher zu bestimmen.
Die Komplexität gesellschaftlichen Handelns und gesellschaftlicher Systeme lässt sich analytisch in eine soziale, wirtschaftliche und politische Dimension gliedern. Diese Dimensionen spiegeln sich didaktisch reflektiert in den sozialwissenschaftlichen Denkweisen (siehe unten) sowie in den Inhalts- und Methodenfeldern des Faches Sozialwissenschaften. Das Integrationsprinzip besteht darin, die Dimensionen des sozialwissenschaftlichen Denkens, die Inhalts- und Methodenfelder aufeinander zu beziehen und so weit wie möglich miteinander zu verknüpfen. Das Integrationsprinzip hat jedoch dort seine Grenzen, wo sich Inhalte und Methoden der einzelnen Teildisziplinen deutlich unterscheiden und eine Integration zu einer zu hohen Komplexität der Bearbeitung und der damit verbundenen Gefahr der Unübersichtlichkeit führen würde.
[S. 13:] Wie andere Unterrichtsfächer auch nimmt das Fach Sozialwissenschaften zur Abgrenzung und Ergänzung auf Inhalte anderer Disziplinen (z. B. Recht, Mathematik) Bezug und greift auf deren Methoden im Sinne von 'Hilfswissenschaften' zurück. Dadurch wird jedoch nicht der spezielle Charakter des Faches Sozialwissenschaften als Integrationsfach berührt. Inhaltlich ist die Integration durch die obligatorische Berücksichtigung aller Inhaltsfelder mit ihrer je unterscheidbaren Nähe zu den drei Teildisziplinen [...] zu gewährleisten.
Die Teildisziplinen unterscheiden sich nicht nur inhaltlich, sondern auch zum Teil in ihren Methoden der Erkenntnisgewinnung. Integration bedeutet nicht, dass im Unterrichtsfach Sozialwissenschaften diese Unterschiede eliminiert werden, sondern dass entsprechend der wissenschaftspropädeutischen Zielsetzung der gymnasialen Oberstufe neben den gemeinsamen auch die spezifischen Methoden der Teildisziplinen bei der Analyse gesellschaftlicher Tatbestände und Probleme exemplarisch anzuwenden und in Bezug auf ihren Gültigkeitsanspruch sowie ihre Leistungsfähigkeit einzuschätzen sind. Wie die Inhaltsfelder gehören auch die Methoden als gesondert ausgewiesener Bereich des Faches Sozialwissenschaften zum obligatorischen Bestandteil der Richtlinien.
Integration auf der Methodenebene ist durch die obligatorische Berücksichtigung der angeführten Methoden mit ihrer je unterscheidbaren Nähe zu den drei Teildisziplinen aber auch im Verhältnis ihrer gegenseitigen Ergänzung bei der Analyse gesellschaftlicher Probleme zu gewährleisten.
Das für das Unterrichtsfach Sozialwissenschaften konstitutive Prinzip der Integration ist im Unterricht auf drei Weisen möglich; über additive Verknüpfung, Integration über die Leitwissenschaften und interdisziplinäre Integration:
Wenn im Folgenden die Dimensionen sozialwissenschaftlichen Denkens entfaltet werden, geschieht dies unbeschadet möglicher Anklänge an fachwissenschaftliche Schulen und Paradigmen in didaktischer Absicht. Es ist hier also nicht beabsichtigt, verschiedene sozialwissenschaftliche Theorieansätze darzustellen und zu würdigen. Vielmehr wird auf Aspekte sozialwissenschaftlichen Denkens verwiesen, die sich sowohl unter fachlichen Aspekten als auch im Hinblick auf die allgemeinen Lernziele der gymnasialen Oberstufe als didaktisch fruchtbar erwiesen haben und Kooperationschancen mit anderen Fächern bieten.
Sozialwissenschaftliches Denken in seiner soziologischen Dimension ist u. a. dadurch charakterisiert, dass Gesellschaft in allen Teilbereichen als menschliches Produkt aufgefasst wird, d. h. der Mensch ist der Hervorbringer der Gesellschaft.
Gesellschaft in allen ihren Teilbereichen ist historisch gewachsen und veränderbar. Gleichzeitig tritt Gesellschaft dem Menschen so wie die Natur als objektive Wirklichkeit entgegen, weil er in eine bestimmte Gesellschaft hineingeboren und durch sie gewissermaßen zum gesellschaftlichen 'Produkt' wird. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Urheberschaft für Gesellschaft im Alltagsdenken der Menschen verloren geht. Die Folge ist eine Verdinglichung des Denkens. Verdinglichung bedeutet menschliche Phänomene (Werte, Normen, Rollen, Institutionen, Herrschaft, Theorien etc.) so aufzufassen, als ob sie außer- oder übermenschliche Dinge wären, quasi Naturgegebenheiten, die nicht veränderbar sind. Verdinglichung ist ein Phänomen, dass uns auf allen gesellschaftlichen Ebenen entgegentritt, häufig unter Berufung auf angebliche Sachzwänge, unveränderliche Gesetzmäßigkeiten. Wissenschaftliche Theorien werden nicht selten dazu benutzt, solche Verdinglichungen zu legitimieren und sie auf diese Weise der Kritik zu entziehen, um gegebene gesellschaftliche Strukturen unangreifbar zu machen. Auf diese Weise begeben sich Menschen in eine ungewollte oder nicht notwendige Unmündigkeit. Eine aufklärerische Funktion sozialwissenschaftlichen Denkens besteht also darin, solchen Tendenzen im Denken und Handeln entgegenzuwirken. Eindimensionales Denken, ein Denken ohne Alternativen, widerspricht dieser Sichtweise genauso wie die Annahme der Unveränderbarkeit der Gesellschaft und ihrer Ordnungssysteme. Die Analyse solcher Verdinglichungstendenzen jenseits eines naiven Aufklärungsoptimismus mit Hilfe soziologischer Verfahren ist eine Form der Ideologiekritik mit wissenschaftspropädeutischem Anspruch. Dies ist ein ergiebiger Ansatz für die Zusammenarbeit des Faches Sozialwissenschaften mit anderen Fächern.
Sozialwissenschaftliches Denken in seiner ökonomischen Dimension ist u. a. durch das Rationalitäts- und das Knappheitsprinzip charakterisiert.
Ökonomisches Denken und Handeln orientieren sich im Rahmen von Institutionen und Organisationen an diesen Prinzipien. Dabei kann es zu einer Diskrepanz zwischen individueller und gesellschaftlicher Rationalität kommen. Was individuell rational ist und zur Nutzen- oder Gewinnmaximierung führt, kann gesamtwirtschaftlich und gesamtgesellschaftlich höchst dysfunktional sein, weil zum Beispiel negative externe Effekte auftreten, die in Form von Kosten und Risiken der Allgemeinheit aufgebürdet werden. Die Aufdeckung solcher Diskrepanzen in wirtschaftlichen, [S. 15:] sozialen und technisch-naturwissenschaftlichen Bezügen mit Hilfe ökonomischer Methoden und Theorieansätze kann zu einer vertieften Ursachenanalyse und damit einer Perspektivenerweiterung sowie einer fundierteren Problemlösungskompetenz in anderen Unterrichtsfächern führen, vor allem bei solchen komplexen gesellschaftlichen Problemen, die auch die Notwendigkeit der Veränderung einzelner Ordnungselemente und Institutionen deutlich werden lassen, um individuell rationales Handeln auch gesamtgesellschaftlich verträglich zu machen.
Sozialwissenschaftliches Denken in seiner politikwissenschaftlichen Dimension basiert auf den Prinzipien des demokratisch verfassten Rechts- und Sozialstaats.
Wesentliches Element der politikwissenschaftlichen Dimension sozialwissenschaftlichen Denkens ist die Reflexion des Spannungsverhältnisses zwischen verfassungsgemäßem Wertesystem und den Bedingungen und Durchsetzungsmöglichkeiten partikularer Interessen, also die Frage nach Legitimität und Legalität von Macht und Herrschaft. Durch die Frage nach der Berücksichtigung von Grund- und Menschenrechten und von partikularen und universellen Normen und Werten können politische Implikationen eines Problems aufgezeigt werden. In diesem Zusammenhang steht die Frage nach Gewaltenteilung und Kontrolle von Macht, aber auch die Problematisierung des zunehmenden Entzugs von Einflussmöglichkeiten sowohl der Bürger wie auch der nationalen politischen Institutionen aufgrund von Globalisierungstendenzen. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in Bezug auf die Partizipationsmöglichkeiten des Bürgers und das Spannungsverhältnis zwischen dem menschlichen Bedarf an sozialer Sicherung und wirtschaftlichen Restriktionen sind wesentliche Elementen der politikwissenschaftlichen Dimension des sozialwissenschaftlichen Denkens.
Vor diesem Hintergrund können für gesellschaftliche Probleme angebotene Problemlösungen ideologiekritisch analysiert und eigenständige phantasievolle Lösungen unter Beachtung plausibler Formulierungen von Ziel-Mittel-Relationen entwickelt und unter Bezugnahme auf verallgemeinerungsfähige Maßstäbe bewertet, auf Chancen der Realisierbarkeit geprüft und Strategien zur Durchsetzung abgeklärt werden.
Die drei Dimensionen der sozialwissenschaftlichen Denkweise bieten in ihrer umfassenden Zugriffsweise also zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Kooperation mit anderen Fächern und können dadurch auch zu einer vertieften politischen Bildung führen.
Da die Perspektive des Faches Sozialwissenschaften die Gesellschaft in ihren sozialen, ökonomischen und politikwissenschaftlichen Dimensionen ist, ergeben sich solche Anknüpfungspunkte sowohl inhaltlicher als auch methodischer Art nicht nur für die Fächer des gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeldes, sondern auch für die beiden anderen Aufgabenfelder. Die Kooperationschancen mit dem mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen und dem sprachlich-literarisch-künstlerischen Aufgabenfeld scheinen aus inhaltlicher, methodischer und auch aus didaktischer Perspektive besonders interessant und viel versprechend zu sein (Erfassung und Analyse komplexer Wirkungszusammenhänge und gesellschaftlicher Problemfelder)." [S. 12-15]
Wenn politische Bildung Schülerinnen und Schüler zu einem reflektierten Urteil über Politik in der Gegenwart befähigen will, muß sich der Politikunterricht mit anderen Fächern der Schule vernetzen. Die Gesellschaftslehre kann bei einer solchen Vernetzung eine wichtige Rolle spielen.
Politische Bildung - versteht man den Begriff in einem weiten, formalen Sinn als absichtsvolle politische Sozialisation - begleitet die Geschichte der modernen Schule an Anfang an. Lange schon bevor sich ein eigenes Fach für politisches Lernen durchsetzen konnte, hatte die Schule einen politischen Erziehungsauftrag - über weite Strecken ihrer Geschichte im Sinne der Legitimation einer undemokratischen politischen Ordnung (von der Fürstenherrschaft bis zur DDR) und der Bekämpfung der innergesellschaftlichen Opposition. Den curricularen Rahmen für eine solche politische Erziehung bot lange Zeit vorrangig der Religionsunterricht, aber auch die Geschichte des Deutsch-, des Geschichts- oder des Geographieunterrichts wie auch die anderer Fächer läßt sich zu einem nicht unerheblichen Teil als Teilgeschichte politischer Erziehung schreiben (vgl. Sander [10]
1989).
Politische Bildung war somit lange vor ihrer fachlichen Eigenständigkeit Unterrichtsprinzip anderer Fächer. Unter demokratischem Vorzeichen setzte sich ein eigenes Fach für den Politikunterricht in der Bundesrepublik erst in den 50er und 60er Jahren durch, und dies bis heute unter verschiedenen Bezeichnungen sowie, gemessen an Stundenkontingenten, in den meisten Bundesländern mit einer eher randständigen Position in der Schule.
Diese historischen Erfahrungen dürften eine wesentliche Rolle bei der Skepsis spielen, mit der sowohl im Politikunterricht als auch in anderen Fächern häufig Konzepten fächerübergreifender Kooperation und Integration begegnet wird. Während in der Infrastruktur des Politikunterrichts gelegentlich befürchtet wird, fächerübergreifendes Lernen sei ein Vorwand für die Schwächung des Faches der politischen Bildung, stößt man in anderen Fächern häufig auf die Sorge, hierbei gehe es um eine unangemesse Dominanz der politischen Bildung, um eine fachlich problematische Politisierung und Instrumentalisierung anderer Fächer. Für beides liefert die Schulgeschichte Beispiele - und dennoch gibt es gute Gründe dafür, politische Bildung in der Schule nicht auf den Politikunterricht als Fach zu reduzieren. Notwendig ist auch für die demokratische politische Bildung eine fächerübergreifende Struktur politischen Lernens. Jedoch kann es dabei nicht um eine sachfremde Politisierung anderer Fächer gehen, sondern um eine Struktur, die an für demokratische politische Bildung bedeutsamen Gegenständen die fachlich unterschiedlichen Zugänge zur Welt zur Geltung und miteinander in Beziehung bringt.
Die Debatte um politische Bildung als Unterrichtsprinzip auch unter einem demokratischen Vorzeichen und ihr Verhältnis zum Politikunterricht ist nicht neu (vgl. etwa Ulshöfer / Götz, Sander [10]
1985). Es gibt aber eine Reihe von Entwicklungen und Diskussionen in jüngster Zeit, vor deren Hintergrund die Forderung nach fächerübergreifendem Lernen auch in der politischen Bildung neue Aktualität gewonnen hat:
Aus politiktheoretischer Sicht wird das Auswandern des Politischen aus dem politischen System, die "Entgrenzung von Politik" (Beck [11]) zu einem Merkmal von Politik in der Gegenwart. Die Grenzen zwischen Staat, Gesellschaft und Ökonomie verwischen sich, an die Stelle einer klaren institutionellen Abgrenzung des Bereichs der Politik vom sonstigen sozialen Leben tritt die "Allgegenwart des Politischen" (Greven). Zum Politikum können sehr unterschiedliche soziale Situationen werden: beispielsweise die Glatze eines Jugendlichen, die Arbeit in einem biologischen Forschungslabor, die Arbeitsverteilung im privaten Haushalt, der Umgang mit dem Internet, das Kopftuch einer türkischen Lehrerin. Das Politische erscheint hier gewissermaßen eingebettet in anderen Kontexte und ist ohne diese Kontexte nicht versteh- und beurteilbar - kann man den (politischen) Konflikt um die Nicht-Einstellung einer kopftuchtragenden Lehrerin beurteilen ohne (religionswissenschaftliche) Kenntnisse des Islam?
In der bildungstheoretischen Diskussion hat Wolfgang Klafki ein viel diskutiertes und breit rezipiertes Konzept eines neuen Allgemeinbildungsbegriffs vorgelegt, in dessen Mittelpunkt die thematische Orientierung [/S. 7:] an Schlüsselproblemen der Gegenwart und der absehbaren Zukunft steht (vgl. Klafki). Mit diesem Konzept rückt politische Bildung als eine fächerübergreifende Aufgabe ins Zentrum allgemeiner Bildung, denn die Schlüsselprobleme sind einerseits politisch zu nennende Problemlagen, andererseits aber auch komplexe Gegenstandsbereiche, die sich nur aus den Perspektiven mehrerer Fächer sinnvoll erschließen lassen.
In der schulpädagogischen Diskussion um innere Schulreform und schulische Modernisierung wird die Schule immer stärker als ein Ort offenen Lernens im Sinne des ergebnisoffenen Einlassens auf komplexe, die Fächergrenzen überschreitende Realsituationen gesehen. Die zeitliche, inhaltliche und organisatorische Zersplitterung des Lernens in der gefächerten Unterrichtsschule erscheint zunehmend als problematisch, ja als ein Lernhindernis - nicht nur klingelt es allzu oft, wenn es gerade interessant wird, es entspricht auch seit langem alltäglicher Beobachtung, daß die Schülerinnen und Schüler überfordert sind, wenn von ihnen erwartet wird, das unzusammenhängende Nebeneinander einer Fülle von fachbezogenen Informationen zu einem reflektierten Weltverständnis zu integrieren.
Unterstützung erfahren die Bemühungen um eine Modernisierung der schulischen Lernkultur unter anderem aus innovativen Unternehmen. Aus ökonomischer Perspektive wird die Vermittlung von neuen Schlüsselqualifikationen wie etwa Kreativität, Teamfähigkeit oder Vernetzungsfähigkeit gefordert, die nicht zu den tradierten Strukturen schulischen Lernens passen und Arbeiten in fächerübergreifenden Zusammenhängen erfordern (vgl. zur Bedeutung für die politische Bildung Arnold [23], Mannheim-Runkel, Sander [10]
1996).
Die Diskussion um die "Gesellschaftslehre" ist kein Resultat dieser aktuellen Entwicklungen, sie ist älter. Dennoch leistet sie einen interessanten Beitrag zu der Frage nach möglichen Konsequenzen aus diesen Entwicklungen für die innere Schulreform. "Gesellschaftslehre" soll hier als Chiffre für unterschiedliche Versuche stehen, die Fächer Sozialkunde (Politik), Geschichte und Geographie (Erdkunde) zu einem neuen Fach oder Lernbereich zusammenzufassen. Als ein solcher Versuch kann schon die - im einzelnen recht vage und deshalb von den Bundesländern unterschiedlich interpretierte - KMK [24]
-Vereinbarung zur Gemeinschaftskunde aus dem Jahr 1960 gelten, die zudem nur für die gymnasiale Oberstufe galt. Auch ein Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesens über einen Lehrgang "Politische Weltkunde", das diese Diskussion weiterführen wollte, hatte keine Verständigung über ein allgemein akzeptiertes Konzept einer Neuordnung des Zusammenhangs der drei Fächer zur Folge.
Mit den hessischen Rahmenrichtlinien für ein neues Fach mit der Bezeichnung Gesellschaftslehre aus dem Jahr 1972 wurde das Thema dann zum Gegenstand einer polarisierten, bundesweit beachteten politischen Kontroverse. Kurioserweise stellte das neue Fach Gesellschaftslehre den eher bescheidenen Rest eines ursprünglich sehr viel weiter gehenden Reformansatzes aus den 60er Jahren dar: eine Kommission unter Leitung von Wolfgang Klafki hatte den Versuch unternommen, ein curriculares Strukturmodell für eine Neuordnung der schulischen Lerninhalte jenseits des traditionellen Fächersystems zu entwickeln. Die jahrzehntelange öffentliche Debatte um die hessische Gesellschaftslehre kann hier nicht nachgezeichnet werden, auch die konzeptionellen Schwächen in den frühen Versionen dieser Richtlinien sollen hier nicht erörtert werden. Die phasenweise hoch ritualisierten Kontroversen entlang der Frontlinien des bundesdeutschen Parteiensystems stellen wahrlich kein Ruhmesblatt der westdeutschen Bildungsgeschichte dar.
In den 90er Jahren hat sich die Diskussion um diesen Ansatz fächerübergreifenden Lernens entspannt, der neue hessische Rahmenplan für Gesellschaftslehre konnte 1995 nahezu "geräuschlos" in Kraft gesetzt werden. Hierzu mag eine salamonische Regelung im hessischen Schulgesetz beigetragen haben, die es den einzelnen Schulen überläßt, in der Sekundarstufe I Sozialkunde, Geschichte und Erdkunde als Einzelfächer oder integriert im Lernbereich Gesellschaftslehre zu unterrichten. Für beide Varianten gibt es Rahmenpläne, insgesamt also vier für die Fächer des Lernbereichs: je einen für die Einzelfächer und einen für die Schulen, die Gesellschaftslehre integriert unterrichten wollen. Die gleiche Wahlfreiheit gibt es in Hessen im übrigen auch für die Fächer des Lernbereichs Naturwissenschaften. Inzwischen hat sich die Debatte um eine Integration der drei Fächer Sozialkunde, Geschichte und Erdkunde auch insofern von den Konfliktlinien hessischer Bildungspolitik gelöst, als sie auch in anderen Bundesländern zu einem aktuellen bildungspolitischen Thema geworden ist, so z.B. in Bayern, wo an den Hauptschulen eine integrative Lösung für diese drei Fächer vorgesehen ist (vgl. Bongard).
Dennoch gibt es vermutlich in Hessen die meisten Erfahrungen mit der Fächerintegration im Lernbereich Gesellschaftslehre. So enthält auch der hessische Rahmenplan für Gesellschaftslehre interessante konzeptionelle Überlegungen. Die vorgegeben Unterrichtsthemen werden jeweils einem von fünf als fachunabhängig verstandenen Themenfeldern zugeordnet; der Beitrag der beteiligten Fächer soll sich in den "Kategorien" "Entwicklung und Wandel", "Ideen, Interessen und Perspektiven", "gegenwärtige Strukturen und Prozesse", "Raum" und "Zukunft" spiegeln, mit deren Hilfe die Themen erschlossen werden sollen. Ob und inwieweit dieses Konzept im Detail überzeugen kann, soll hier nicht erörtert werden (vgl. zur Kritik, bezogen auf Entwurfsfassungen der Rahmenpläne, Sander [24]
1994). Wichtig für eine gelingende Integration, die mehr sein will als eine additive Aneinanderreihung fachbezogener "Stoffe", erscheinen aber zwei in diesem Ansatz implizierte Grundentscheidungen: die curriculare Struktur, von der Themen des Unterrichts begründet und der sie zugeordnet werden, muß die Gegenstandsfelder der an der Integration beteiligten Fächer tatsächlich "übergreifen", sie darf sich nicht als Ausdruck der fachlichen Struktur nur eines der beteiligten Fächer darstellen; zugleich müssen auf eine erkennbare Weise bei der Erschließung der konkreten Themen die Perspektiven der Fächer zur Geltung kommen. Daher steht Fächerintegration, wenn sie gelingen soll, auch nicht in einem Widerspruch zu fachlicher Kompetenz, ganz im Gegenteil; ihr Gelingen hängt ganz wesentlich davon ab, ob die Fachlehrer der beteiligten Fächer es an der konkreten Schule verstehen, den Unterricht in Gesellschaftslehre im Team zu konzipieren, in diese gemeinsame Arbeit ihre fachlichen Perspektiven einzubringen und sich als Lehrerteam für diesen Unterricht verantwortlich zu fühlen.
Die Integration der Fächer Sozialkunde, Geschichte und Erdkunde in einem Lernbereich Gesellschaftslehre ist ein wichtiger und interessanter Ansatz fächerübergreifenden Lernens in der politischen Bildung. Wenn man ihn konzeptionell nicht überfordert, spricht für diesen Weg aus heutiger Sicht vielleicht in erster Linie eine schulpädagogische Sicht: die Bildung von Lernbereichen kann ein wirksames Gegenmittel gegen die Fragmentierung schulischen Lernens in unzusammenhängende Wissenssplitter sein und sie schafft größere Zeitblöcke für komplexere Formen des Lernens als den Fließbandunterricht im 45-Minuten-Zeittakt mit einer oder zwei Fachstunden pro Woche. Gesellschaftslehre ist aber weder die einzige mögliche noch eine hinreichende Lösung für das Problem fächerübergreifender politischer Bildung: zum einen sind auch schon innerhalb des Verbunds der drei beteiligten Fächer von Thema zu Thema die Grade der Beteiligung der Fächer durchaus unterschiedlich, zum anderen stellt sich die Notwendigkeit fächerübergreifender Kooperation auch über die Fächer dieses Lernbereichs hinaus. So ist etwa bei einer ganzen Reihe von für politische Bildung bedeutsamen Problemstellungen eine Kooperation mit den naturwissenschaftlichen Fächern erforderlich, beispielsweise bei Themen im Zusammenhang mit der ökologischen Krise. Ähnliches gilt auch für andere Fächer und Fächergruppen. Auf mittlere Sicht gesehen werden die institutionellen Strukturen, in denen schulisches Lernen sich bewegt, erheblich flexibler werden müssen, um unterschiedliche Grade der Kooperation zwischen Fächern zu ermöglichen, wechselnd bei verschiedenen The[/S. 8:]men, wechselnd innerhalb eines Schuljahres, auch mit Chancen für das kurzfristig geplante Projekt aus aktuellem Anlaß.
Politische Bildung stellt sich dann, auf der Ebene des Unterrichts, als ein curriculares Netzwerk dar, in dem Politikunterricht in verschieden dichten Formen mit anderen Fächern verbunden ist. Die dichteste Form ist die - in vielen Fällen thematisch und zeitlich begrenzte - Integration. Weniger dichte und auch innerhalb der derzeitigen schulischen Strukturen leichter realisierbare Formen beginnen bei der schlichten wechselseitigen Information über und Bezugnahme auf das, was in Nachbarfächern bei verwandten Themen bereits Gegenstand des Lernens war - eine nur scheinbare triviale Forderung, die im Schulalltag vielfach nicht verwirklicht wird. Dazwischen liegen vielfältige Möglichkeiten der gezielten Kooperation zwischen Fächern, bei denen Themen verabredet und abgestimmt werden. In einem solchen Netzwerk kann dann auch die Gesellschaftslehre ein möglicher, bei einer Integration der beteiligten Fächer sicher besonders gewichtiger Knoten sein.
Arnold, R. [23]: Politische Bildung durch Schlüsselqualifizierung. In: kursiv - Journal für politische Bildung 2/1998
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Wolfgang Northemann hat seine wissenschaftliche und pädagogische Arbeit bereits zu einer Zeit dem überfachlichen Unterricht gewidmet, da die Diskussion um die Integration der sozialwissenschaftlichen Fächer noch nicht einmal begonnen hatte. Nach einer heftigen und kontroversen Auseinandersetzung um die Integration sind wir nun wieder scheinbar am Ausgangspunkt angekommen. Die Fächerseparation in der Schule feiert fröhliche Urständ. Aber die Diskussion glimmt unter der Asche und wird wieder aufflackern, da die pädagogischen Argumente weiterhin zwingend sind. Die Diskussion wurde nicht nur in Deutschland geführt. Sie fand auch in anderen Ländern mit ähnlichen Argumenten und Frontstellungen statt.
Im folgenden Beitrag will ich die Bemühungen in Frankreich herausarbeiten, die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer in einem gemeinsamen Lernbereich zu integrieren. Auch in Frankreich sind diese Bemühungen ebenso wie in Deutschland zunächst gescheitert. Der erfolgreiche Kampf der Geschichtslehrer-Lobby (1) gegen die Integration ist ein politisches Lehrstück, wie pädagogische Innovationen, die nicht durch öffentliche, fachliche und politische Diskussionen abgesichert sind, am Widerstand einer durch unterschiedliche Interessen getragenen Koalition scheitern können. Der Ablauf des Lehrstücks in so kurzer Zeit und in so konzentrierter Diskussion wird wesentlich durch die zentralistische Struktur Frankreichs ermöglicht.
Das Schulsystem in Frankreich umfaßt die dreijährige (freiwillige) vorschulische Erziehung (école maternelle), die fünfjährige Grundschule (école élémentaire), die vierjährige Mittelstufe (collège) und die dreijährige Oberstufe (lycée). Alle Schulen sind als Ganztagsschulen organisiert. Die Grundschule und die Mittelstufe werden als Gesamtschulen geführt. In den zwei oberen [/S. 84:] Klassen der Mittelstufe (collège) findet eine starke äußere Differenzierung statt. Das allgemeine Abitur (baccalauréat d'enseignement général) kann in unterschiedlichen Profilbildungen nach dem Besuch der Oberstufe (lycée) erworben werden. Daneben existieren in der Oberstufe technologische und berufliche Schulen (lycée technologique und lycée professionnel), in denen das technologische bzw. berufliche Abitur erworben werden kann. Neben der schulischen Berufsausbildung in der Mittel- und Oberstufe gibt es erste Ansätze einer dualen Berufsausbildung nach deutschem Vorbild. Das französische Bildungswesen wird zentralistisch von Paris aus verwaltet. Unterrichtspläne (programmes) gelten einheitlich in ganz Frankreich. Hervorzuheben sind das laizistische Prinzip und das der Methodenfreiheit:
Die Fächer Geschichte (histoire) und Staatsbürgerkunde (instruction civique) sind seit gut 100 Jahren Teil der Stundentafel der französischen Schule. Nachdem Geschichte bereits 1867 in der damaligen Volksschule (école primaire) eingeführt wurde, folgten 1882 die Einführung der "instruction civique et morale" und der Erlaß von Unterrichtsplänen für beide Fächer. Erst 1945 wurde Staatsbürgerkunde auch in der Mittelstufe als Fach eingerichtet. Beide Fächer haben im Laufe der Jahre Krisen durchlebt, die ihre Existenz in Frage stellten. Der Unterricht in Staatsbürgerkunde fand schon in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und dann erneut nach 1950 kaum noch statt. Die Gründe sind vorrangig in der Orientierung des Faches an aktuellen politischen Bedürfnissen zu finden. Zu Beginn der III. Repu[/S. 85:]blik in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts war es Aufgabe des Fachs, die Idee der Republik in der Bevölkerung zu verankern. Nach 1945 sollte es einen Beitrag zur Versöhnung der Nation nach Résistance und Collaboration leisten. Nicht zuletzt auch unter dem Einfluß des laizistischen Prinzips war und ist der Unterricht institutionenkundlich orientiert. Er wurde und wird zudem von Lehrern unterrichtet, die für Geschichte und Geographie ausgebildet wurden. Die Krise des Geschichtsunterrichts brach in den 70er Jahren aus. Ihm wurde der Vorwurf gemacht, er sei nationalistisch, chauvinistisch, moralisierend, auf große Personen reduziert, anekdotisch, enzyklopädisch und ohne Gegenwartsbezug (vgl. Giolitto 1986, 5. 49).
Mit der Haby-Reform 1975 sollten nicht nur die Strukturen der französischen Schule, sondern auch ihre Inhalte verändert werden. Unter starkem Einfluß der amerikanischen Curriculumdiskussion wurde lernzielorientierter Unterricht favorisiert, der die tradierten Schulfächer in Frage stellte. Nachdem bereits 1969 die sozialwissenschaftlichen Fächer in der Grundschule integriert wurden, folgte 1975 die Integration auch in der Mittelstufe (collège). Geschichte und Geographie wurden als eigenständige Fächer aufgehoben und in ihrem Stoffkanon zugunsten neuer sozialwissenschaftlicher Inhalte reduziert. Nach nur zehn Jahren entschied 1985 der sozialistische (!) Erziehungsminister Jean-Pierre Chevènement die Aufhebung der von seinen konservativen (!) Vorgängern eingeführten Integration. Geschichte und Geographie wurden wieder selbständige Fächer mit getrennten Unterrichtsplänen. Die alte Staatsbürgerkunde (instruction civique) wurde als Fach "Staatsbürgerliche Erziehung" (éducation civique) wiedergeboren.
Die inhaltliche Reform der Grundschule begann bereits 1969. Die bis dahin existierenden Fächer wurden durch vier Unterrichtsgebiete (Lernbereiche) ersetzt: Französisch mit 10 Stunden, Rechnen mit 5 Stunden, Sport und "disciplines d'éveil" mit je 6 Stunden. Die "disciplines d'éveil" umfaßten Elemente der Geschichte, Geographie, Sozialwissenschaften und der künstlerischen Erziehung. Der Begriff "d'éveil" ist schwer übersetzbar. Ausgehend von den Theorien Piagets soll das Kind sein eigenes Wissen in Interaktion mit seiner Umgebung aufbauen. Es gibt keinen festen Kanon des Wissens. Die Unterrichtsgegenstände ergeben sich aus den "occasions fournies par la vie", den "durch das Leben gebotenen Gelegenheiten". Der Lehrer soll "éveilleur" (Erwecker) sein, der das Lernen der Kinder "erweckt".
Durch die Grundschul-Reform wurden die Lehrer in hohem Maße verunsichert. Auf die veränderten Methoden und Inhalte waren sie nicht vorbereitet. Viel gravierender war jedoch, daß es für den reformierten Unterricht [/S. 86:] in den "activités d'éveil" keine Unterrichtspläne und keine Handreichungen gab. Die Lehrer sollten ihr eigenes Curriculum schulnah erarbeiten. Zugleich mußten sie sich auch für die veränderten Anforderungen in Französisch und Neuer Mathematik fortbilden. Die Folge war, daß der Unterricht in den activités d'éveil weitgehend ausfiel. Das Nationalinstitut für pädagogische Forschung (Institut National de Recherche Pédagogique - INRP [26]) begann unmittelbar 1969 mit einer eigenen Curriculumentwicklung in enger Zusammenarbeit mit Schulen. Ein Beispiel für die dezentrale Curriculumentwicklung des INRP zu den activités d'éveil in Zusammenarbeit mit einer Landschule für den Unterricht in den beiden Abschlußklassen der Grundschule zeigt die nachstehende Tabelle.
Lerninhalte | Gegenwart | Geographische Synthese nach Bereichen | Verankerung in der historischen Dimension | Historische Synthese nach Bereichen | Synthese früherer Gesellschaften | |||
Fall | geograph. Erweiterung | 18. Jh. | 19. Jh. | 18. Jh. | 19. Jh. | |||
Industrielle Produktion | Zellulose-Fabrik in Tarascon | weitere Industriebranchen | Industrie in Frankreich | Handwerker, Manufakturen, Hüttenwerke | Handwerker, Fabriken | Industrie in Frankreich | Industrie in Frankreich | 18. Jh. und 19. Jh. |
Landwirtschaftliche Produktion | Landwirtschaftl. Betrieb in Manduel | weitere landwirtschaftl. Betriebsformen | Landwirtschaft in Frankreich | Arten landwirtschaftl. Produktionen | Arten landwirtschaftl. Produktionen | Landwirtschaft in Frankreich | Landwirtschaft in Frankreich | |
Verteilung | ||||||||
Dienstleistung | Bahnhof von Nîmes | Eisenbahnnetz in Frankreich | Anfänge der Eisenbahn | |||||
Sozialer Raum | Stadt Nîmes | Nîmes und die Region | Städte in Frankreich | Nîmes | Nîmes | Städte in Frankreich | Städte in Frankreich |
Quelle: Histoire et Géographie, 1986, S, 61
Die Ergebnisse dieser Arbeit ermöglichten es dem Staat, ab 1977 offizielle Unterrichtspläne und -empfehlungen herauszugeben. Aber die schlecht vorbereitete Reform war nicht mehr zu retten. Bereits 1980 gab es wieder neue Unterrichtspläne, die neben den fortgeltenden Lehrplänen der activités d'éveil obligatorisch die Behandlung von zehn Perioden der französischen Geschichte vorschrieben. 1985 wurden als Folge der großen Auseinander[/S. 87:]setzung um den Geschichtsunterricht (vgl. folgende Kapitel) wieder die alten Schulfächer eingerichtet und entsprechende Lehrpläne erlassen.
Der integrierte Bereich "Sciences humaines" (Humanwissenschaften) wurde in der Mittelstufe im Rahmen der Haby-Reform 1975 eingeführt und nach zehn Jahren 1985 wieder aufgelöst. Er umfaßte mit drei Wochenstunden die Teilbereiche Geschichte, Geographie, Wirtschaft und staatsbürgerliche Erziehung. Die Begründung für die Integration ist in den offiziellen Unterrichtsplänen von 1977/78 wie folgt dargelegt: "Schließlich sind Geschichte, Geographie, Politologie, Ökonomie und die Sozialwissenschaften nur Mittel im Dienst einer umfassenden Erziehung zu einem besseren Verständnis des kulturellen Erbes der Menschheit und der Welt, in der die Schüler leben werden. Der neue Unterricht dieser Disziplinen soll, ohne die spezifischen Beiträge ihrer verschiedenen Bestandteile zu entstellen, ein zusammenhängendes Ganzes bilden. Dies ist dazu bestimmt, den Schülern Erkenntnismittel und Methoden zu vermitteln, ebenso gesicherte, bewußt begrenzte Kenntnisse, die ihnen helfen, die Welt, in der sie leben werden, besser zu verstehen und eine verantwortliche Rolle in der Gesellschaft zu übernehmen" (Histoire, géographie 1979, S. 13). In den Unterrichtsplänen war dieser umfassende Anspruch nicht zu verwirklichen. Widerstand entwickelte sich bereits vor Erlaß der Pläne. So konnte die Bezeichnung des neuen Unterrichtsbereichs nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, "Sciences sociales" (Sozialwissenschaften) lauten, sondern eben "Sciences humaines" (Humanwissenschaften). Schwerwiegender war, daß die Pläne schließlich ein Kompromiß zwischen traditionellen und integrativen Konzepten zu Lasten letzterer wurden. In den Teilbereichen Geschichte, Geographie und staatsbürgerliche Erziehung blieben erhebliche Anteile der traditionellen Unterrichtspläne erhalten. Integrative Inhalte wie diachronische Themen, Projektthemen und Gegenwartsfragen standen unverbunden daneben. Neue sozialwissenschaftliche und ökonomische Inhalte waren nicht annähernd gleichgewichtig neben den traditionellen Inhalten vertreten.
Als Beispiel für die Unterrichtspläne in den "Sciences humaines" von 1977/78 sei der Plan für die classe de cinquième, die der 7. Klasse in Deutschland entspricht, zitiert:
Unter dem umfassenden Lernziel, "den Horizont der Schüler auf die ganze Welt hin zu erweitern", sollten behandelt werden:
(Histoire, géographie 1979, S. 19-20).
Gegen die Versuche, Geschichte in die neuen Lernbereiche activités d'éveil in der Grundschule und Sciences humaines in der Mittelstufe zu integrieren, organisierte sich sehr bald Widerstand. Der Geschichts- und Geographielehrerverband "Association des professeurs d'histoire et géographie" (APHG), eine Vereinigung von ca. zehntausend Mitgliedern aus der Mittel- und Oberstufe, artikulierte den Protest in seiner Zeitschrift "Historiens et Géographes". Die verbandsinterne Diskussion wurde schlagartig öffentlich, als sie im Herbst 1979 der Politiker Michel Debré aufgriff. Parolen wie "Unsere Kinder lernen keine Geschichte mehr" oder "Sie wissen nicht mehr, wer Jeanne d'Arc war" mobilisierten Presse und Politiker aller politischen Richtungen sowie die Universitätshistoriker aller historischen Schulen. Schließlich griff auch Staatspräsident François Mitterand 1983 in die Diskussion ein und stellte zuspitzend fest: "Un peuple qui perd sa mémoire, perd son identité" (Ein Volk, das sein Gedächtnis verliert, verliert seine Identität). Diesem Druck konnten sich die Bildungspolitiker nicht mehr ent[/S. 89:]ziehen. 1982 beauftragte der linkssozialistische Erziehungsminister Alain Savary eine Kommission unter Leitung von René Girault, eine Bestandsaufnahme des Geschichtsunterrichts und Änderungsvorschläge zu erarbeiten. In seinem Auftragsschreiben wies der Minister auf die Kritik an der ungenügenden Berücksichtigung der Chronologie hin und erklärte, daß offensichtlich "die Chronologie die Grundstruktur jedes historischen Wissens ist und daß jede thematische oder vergleichende Arbeit nur geleistet werden kann, wenn zuvor diese Grundlage gesichert ist". Die Kommission kam zu dem Ergebnis, daß die Fächer Geschichte und Geographie wiederhergestellt und zu Hauptfächern aufgewertet werden müßten (Girault 1983). Zur Umsetzung der Kommissionsempfehlung und ihrer Argumente organisierte die Regierung 1984 in Montpellier ein "Nationales Colloquium über die Geschichte und ihren Unterricht". Der Premierminister Pierre Mauroy gab in seiner Eröffnungsrede das politische Ziel vor und machte damit zugleich deutlich, wie wenig es den Verfechtern der Integration gelungen war, ihre pädagogischen Argumente in die Öffentlichkeit zu tragen: "Die Geschichte muß einen hervorragenden Platz in der Erziehung wiederfinden. Sie muß vor allen anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen behandelt werden. (...) Dieser Beitrag der Chronologie ist nicht ersetzbar. Sie muß ab der Grundschule betrieben werden. Deshalb dürfen, ohne die neuesten Ergebnisse der pädagogischen Forschung zu vernachlässigen, die traditionellen Methoden des Auswendiglernens und des Faktenerwerbs nicht vernachlässigt werden. Schließlich (...) dürfen Geschichte und Geographie nicht nur einfache 'disciplines d'éveil' sein. Sie müssen Basisdisziplinen, grundlegende Disziplinen in allen Unterrichtsordnungen sein" (Colloque 1984, 5. 12). Die Ergebnisse des Colloquiums faßte einer der führenden Vertreter der sozialwissenschaftlich orientierten Nouvelle Histoire, Jacques Le Goff, in einem leidenschaftlichen Schlußplädoyer zusammen und empfahl die Umsetzung der Empfehlungen der Girault-Kommission. Schließlich verkündete der Erziehungsminister in seinem Schlußwort die Wiederherstellung der Fächer Geschichte und Geographie sofort in der Grundschule und mittelfristig in den anderen Schulen (Colloque 1984, S. 216).
Die Versuche, einen integrierten sozialwissenschaftlichen Unterricht zu schaffen, sind in Frankreich zunächst gescheitert. Allerdings ist die Diskussion an den betroffenen Fächern nicht spurlos vorbeigegangen. Geschichte und Geographie orientieren sich an sozialwissenschaftlichen Konzeptionen, wie sie beispielsweise die Nouvelle Histoire sowie die Sozial- und Wirt[/S. 90:]schaftsgeographie bieten. Im Gegensatz zu Deutschland ist die Geologie nicht Teil des schulischen Geographieunterrichts, sondern Teil des naturwissenschaftlichen Unterrichts. In der "Staatsbürgerlichen Erziehung" gibt es den Kernansatz der "Menschenrechtserziehung" als Antwort auf ein gesellschaftliches Problem. Daneben steht aber unvermittelt die alte Institutionenkunde. Eine spezielle Lehrerausbildung für das Fach "Staatsbürgerliche Erziehung" wurde auch bei der Reform der Ausbildung nicht eingeführt. Das Fach wird weiterhin von Geschichts- und Geographielehren unterrichtet. Für die Grundschule und die Mittelstufe setzen die neuen Unterrichtspläne stärkere pädagogische und didaktische Akzente. Der Erwerb von Methoden- und Handlungskompetenz wird als Lernziel ausdrücklich hervorgehoben. Zur Durchführung fächerübergreifender Studien und Projekte wird ein Stundenkontingent zur Verfügung gestellt. Der folgende Überblick zeigt den Entwicklungsstand zu Beginn der 90er Jahre auf.
Die "activités d'éveil" (vgl. Kapitel 4) wurden in vier Lernbereiche aufgelöst: Naturwissenschaften und Technologie (sciences et technologie) mit zwei bzw. drei Wochenstunden, Geschichte und Erdkunde (histoire et géographie) mit einer bzw. zwei Wochenstunden, staatsbürgerliche Erziehung (éducation civique) mit durchgängig einer Wochenstunde sowie künstlerische Erziehung (éducation artistique) mit ebenfalls einer Wochenstunde.
Der Geschichtsunterricht geht in der 1. Klasse (cours préparatoire) von der Umgebung des Kindes aus. Ein erster Geschichtsfries erfaßt persönliche und kollektive Daten der Schüler. In der 2. und 3. Klasse (cours élémentaire 1 und 2) werden, ausgehend von der heutigen französischen Gesellschaft, kennzeichnende Epochen der französischen Geschichte mit Staaten, Ereignissen, Personen und sozialen Gruppen erarbeitet. In der 4. und 5. Klasse (cours moyen 1 und 2) folgt in chronologischer Systematik die Nationalgeschichte Frankreichs von der Vorgeschichte bis ins 20. Jahrhundert.
Der Geographieunterricht beginnt in der 1. Klasse mit der räumlichen und landschaftlichen Umgebung des Kindes. In der 2. und 3. Klasse wird die nähere Umgebung in Beziehung und Vergleich zu anderen Lebensräumen gesetzt. Frankreich in seinem Zusammenhang mit Europa und der Welt ist mit vorrangig sozialen und ökonomischen Inhalten Gegenstand des Unterrichts in der 4. und 5. Klasse. Historische und geographische Themen sind in drei bis vier Studieneinheiten (sujets d'études) pro Schuljahr miteinander verknüpft zu behandeln. Hierfür stehen maximal 24 Wochenstunden (ein Drittel der gesamten Unterrichtsstunden) zur Verfügung (Ecole élémentaire 1990, S. 25 ff.).
Die staatsbürgerliche Erziehung soll sich auf wenige wichtige Bereiche beschränken: verantwortliches Sozialverhalten, politische und administrati[/S. 91:]ve Institutionen sowie die Rolle Frankreichs in der Welt. Als affektive Lernziele werden Ehrlichkeit, Mut, Ablehnung des Rassismus und die Liebe zur Republik genannt. In der 1. Klasse lernen die Schüler grundlegende Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens und die staatlichen Symbole der Republik. Im Unterricht der 2. und 3. Klasse sollen die Regeln des Gemeinschaftslebens klarer erfaßt und begründet werden. Themen sind die Begriffe Person, Eigentum, Vaterland, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Wahlen, Staatsgebiet, Staatspräsident, Minister, Abgeordnete, Gemeinde, Bürgermeister sowie die Schule. Parallel zum Geschichts- und Geographieunterricht steht in der 4. und 5. Klasse Frankreich mit seinen Institutionen und die sie begründenden Ideen im Mittelpunkt: Erklärung der Menschenrechte von 1789 und 1948, bürgerliche Freiheiten und Rechte, Verfassung, Gesetzgebung, Verwaltung, öffentliche Dienste, Armee, Frieden, Europa, Nation und internationale Beziehungen (Ecole élémentaire 1990, 5. 29 ff.).
In der Mittelstufe gibt es im sozialwissenschaftlichen Bereich drei Fächer:
1. Geschichte, 2. Geographie und Einführung in die Wirtschaft (initiation économique), 3. staatsbürgerliche Erziehung und Menschenrechtserziehung (éducation aux droits de l'homme). Für Geschichte, Geographie und Wirtschaft stehen zusammen zweieinhalb Wochenstunden, für staatsbürgerliche Erziehung eine Wochenstunde zur Verfügung.
Der Geschichtsunterricht folgt der chronologischen Systematik. In der 6. und 7. Klasse (sixième und cinquième) soll der Begriff "civilisation" den Unterricht und seine Beziehungen zu den Nachbarfächern strukturieren. Die Themen reichen von der Vorgeschichte bis zur Reformation. In der 8. Klasse (quatrième) sind das 17., 18. und 19. Jahrhundert (bis 1914) zu behandeln. Die Abschlußklasse der Mittelstufe, die 9. Klasse (troisième), ist dem 20. Jahrhundert, von 1914 bis zur Gegenwart, gewidmet. Die Unterrichtspläne warnen für die 9. Klasse vor einer Überbetonung der Fakten. Es sollten nur wenige Schlüsseldaten gelernt werden (Histoire, Géographie 1992, 5. 15 ff.).
Im Geographieunterricht der 6. Klasse (sixième) stehen Klimazone und Verteilung der Menschen auf der Erdoberfläche im Mittelpunkt. In der 7. Klasse (cinquième) sind die Begriffe Unterentwicklung und Entwicklung mit Beispielen aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu vermitteln. Europa in seiner "Einheit und Verschiedenheit" sowie seinem Einfluß in der Welt ist das Leitthema der 8. Klasse (quatrième). Neben einzelnen Staaten ist hier auch die Europäische Gemeinschaft zu behandeln. Der Geographieunterricht am collège schließt in der 9. Klasse (troisième) mit Frankreich, den USA und der UdSSR ab. Es sind die Begriffe Mittelmächte und Großmächte zu erarbeiten. [/S. 92:]
Der Unterrichtsbereich "Einführung in die Wirtschaft" (Initiation économique) ist dem Geographieunterricht zugeordnet. Er beginnt in der 6. Klasse mit den Wirtschaftssubjekten und dem Wirtschaftskreislauf in der Gemeinde, setzt sich in der 7. Klasse mit den Themen Geld und Welthandel fort, widmet sich in der 8. Klasse inneren Problemen eines Unternehmens sowie der Arbeitswelt und schließt in der 9. Klasse mit den Aspekten und Problemen der regionalen Wirtschaft ab (Histoire, Géographie 1992, S. 63 ff.).
Für die Staatsbürgerliche Erziehung (éducation civique) in der Mittelstufe (collège) werden als Lernziele angegeben, daß sie "bei dem Schüler den Sinn für das Allgemeininteresse, die Achtung des Gesetzes, die Liebe zur Republik entwickeln" soll. In diesem Zusammenhang soll der Schüler über Rechte und Pflichten des Staatsbürgers aufgeklärt werden. In der 6. Klasse (sixième) sind die Themen Schule, Erziehung, Schulverwaltung, Leben in der Schule, soziale Beziehungen und das demokratische Leben in der Gemeinde zu behandeln. Die beiden umfassenden Themenkreise in der 7. Klasse (cinquième) sind das "Département und die Region" sowie die "Unterschiede und Achtung der Menschen". Der Unterricht in der 8. Klasse (quatrième) setzt die am Ende der 7. Klasse begonnene Menschenrechtserziehung mit den Bereichen "Eroberung der bürgerlichen Freiheiten" und "Ausübung der bürgerlichen Freiheiten im heutigen Frankreich" fort. Parallel zum Geographieunterricht endet der Unterricht der 8. Klasse mit den Institutionen und dem Werden der Europäischen Gemeinschaft. In der 9. Klasse (troisième) sind das politische Leben Frankreichs und seiner Institutionen, die Institutionen der USA und der UdSSR sowie die internationalen Beziehungen, die Verletzung der Menschenrechte, der Terrorismus, die Unterschiedlichkeit der Kulturen und die internationale Solidarität zu erarbeiten. Der Unterricht soll zusammenfassend mit den "Werten der Demokratie" enden. Ein auch für Deutschland angesichts seiner jüngsten Entwicklung interessanter Ansatz zu einem integrierten Unterricht ist die in die staatsbürgerliche Erziehung eingebundene "Menschenrechtserziehung, auf die im folgenden Kapitel besonders eingegangen wird (Éducation civique 1990).
Der Zustand der "staatsbürgerlichen Erziehung" in der Mittelstufe wird in einem Rundschreiben des Erziehungs-Ministeriums vom 14.11.1991 an die Schulaufsicht und die Schulen erkennbar, in dem das Ministerium anmahnt, daß die Prüfungsthemen am Ende der Schulzeit "nicht so ausschließlich über institutionelle Aspekte handeln sollten, wie dies im Prüfungszeitraum 1990 der Fall war" (Histoire, Géographie 1992, 5. 120).
Auf eine nähere Darstellung des Unterrichts in den drei Klassen der Oberstufe (lycée) sei hier verzichtet. Geschichte und Geographie werden entsprechend der klassischen Fachsystematik unterrichtet. Die Staatsbürger[/S. 93:]kunde (instruction civique) wird zwar in der Überschrift der Unterrichtspläne aufgeführt, sie findet aber nur implizit in der Behandlung historischer und geographischer Themen statt (Histoire, Géographie 1991, S. 13).
Als Reaktion auf zunehmenden Rassismus in der französischen Gesellschaft wurde im zeitlichen Zusammenhang mit den 200-Jahrfeiern der Französischen Revolution der Unterrichtsbereich "Menschenrechtserziehung" (Éducation aux droits de l'homme) für die Mittelstufe entwickelt. Dieser Bereich bildet den Kern des Fachs "Staatsbürgerliche Erziehung" in den vier Jahrgangsstufen des collège. In den neueren Veröffentlichungen der Unterrichtspläne tauchen beide Bezeichnungen für das Fach gleichberechtigt auf. Damit hat die staatsbürgerliche Erziehung einen zentralen Auftrag erhalten, der in der französischen Tradition dieses Fachs steht, einen pädagogischen Beitrag zur Lösung dominierender gesellschaftlicher Probleme zu leisten. In der III. Republik hatte das Fach seit seiner Einführung 1882 die Aufgabe, zur Idee der Republik zu erziehen. Nach 1945 stellte sich die Aufgabe, die Nation nach der Auseinandersetzung zwischen Kollaboration mit dem deutschen Feind und der Résistancebewegung, zwischen Pétain und de Gaulle, zu versöhnen.
Das Konzept der Menschenrechtserziehung wird in den Unterrichtsplänen wie folgt beschrieben:
"Zu den bürgerlichen und politischen Rechten, den sogenannten Rechten der ersten Generation in der Tradition liberalen Denkens, sind die durch das sozialistische Denken beeinflußten ökonomischen und sozialen Rechte dazugekommen, die man als die zweite Generation bezeichnet. In jüngster Zeit sind die Ideen der Rechte einer sogenannten dritten Generation entwickelt worden: Recht auf Frieden, Recht auf gesunde Umwelt ...
Die drei folgenden Prinzipien müssen im Denken gegenwärtig sein:
Die Menschenrechte gelten weltweit, auch wenn sie in einer bestimmten Kultur und Zivilisation entstanden sind;
die universellen Menschenrechte fordern dazu auf, Unterschiede zu respektieren;
die Menschenrechte sind konstituierend für das soziale und politische Leben einer demokratischen Gesellschaft" (Éducation civique 1990, S. 49).
Die Zuordnung der Lernziele und Lerngegenstände ist in den Unterrichtsplänen festgelegt, wie die folgende Tabelle zeigt. [/S. 94:]
Ziele/Klasse | 6e (D: 6. Kl.) | 5e (D: 7. KI.) | 4e (D: 8. Kl.) | 3e (D: 9. Kl.) |
Wecken von Toleranz, die auf der Anerkennung universaler Rechte beruht | Respekt vor sich selbst und den anderen | Unterschiede der Herkunft, des Glaubens, der Meinungen, Lebensweisen; Toleranz, Respekt gegenüber anderen Kulturen | Rechte und Pflichten von Ausländern | Angriffe auf die Person eine Welt: unterschiedliche Kulturen |
Würde des Individuums respektieren und solidarisch handeln lernen | Recht auf Bildung und Erziehung | Ungleichheit der Entwicklung Nord-Süd-Dialog | ökonomische und soziale Rechte (Arbeit, Gesundheit, Soziales) | Internationale Solidarität |
Prinzipien der Demokratie kennen Grundfreiheiten kennen Politische Institutionen kennen auf das demokratische Leben vorbereiten |
Staatsbürger werden Gemeinde (Wahlen) | Institutionen der Region und des Départements | Freiheiten: Erringung und Ausübung gegen Willkür Rechte und Pflichten des Bürgers EG Europa-Rat | Verfassung von 1958 Freiheiten Gesetz, Justiz V. Republik Gesetz, Justiz Internationale Organisationen |
Zur Verantwortung ermutigen | Schulleben, Umwelt | Kulturerbe der Region |
Quelle: Éducation civique, 1990, S. 50 (gekürzte Übersetzung)
Besonders hervorgehoben sind des weiteren Beiträge der Fächer Geschichte, Geographie, Biologie und Französisch. Im Geschichtsunterricht sind an unterschiedlichen Themen vom Altertum bis zur Neuzeit folgende Begriffe zu erarbeiten: Sklaventum, Rassismus, Widerstand, religiöse Freiheit, Intoleranz, Staatsbürger, Staat, Gleichheit, Recht, juristische Formulierungen der Rechte, Erweiterung und Anreicherung der Menschenrechte, Menschenrechte und Kolonialisierung, Verletzlichkeit der Menschenrechte. Im Fach Geographie sind die Begriffe Solidarität, Entwicklungspolitik, Dialog zwischen den Völkern, ökonomische Rechte, soziale Rechte, Verschiedenheit der Völker und Kulturen sowie die weltweite Dimension des Problems der Menschenrechte zu behandeln. Das Fach Biologie leistet seinen Beitrag durch folgende Ziele und Themen: Achtung der menschlichen Person, individuelle und kollektive Verantwortung (Toleranz und Ablehnung [/S. 95:] des Rassismus), Kritik pseudowissenschaftlicher Anwendungen, zum Beispiel des Begriffs Rasse. Für den Französischunterricht werden Literaturhinweise zu den Themen Mensch und Natur (Dritte Welt, Konflikt, Harmonie), Menschen und Gruppen, Aufstand, Revolte sowie dem heutigen Kampf für die Freiheit gegeben. Als wesentliche Texte sind in den beteiligten Fächern die Erklärungen der Menschenrechte von 1789 und 1948 sowie die europäische Menschenrechts-Konvention von 1950 zu behandeln.
Die Unterrichtspläne zur Menschenrechtserziehung bleiben bei der Zuordnung von Zielen und Themen zu den einzelnen Fächern stehen. Ein integrierter Unterricht wird nicht vorgeschrieben. In jedem Fach können die Themen separat behandelt werden. Eine Verbindung ergibt sich bestenfalls durch die den einzelnen Jahrgängen vorgegebene parallele Behandlung. Immerhin gibt es die Empfehlung, die Menschenrechtserziehung mit den "Querthemen" (thèmes transversaux) Sicherheit, Umweltschutz, Information, Entwicklung, Verbrauch, Gesundheit und Leben in einem PAE-Projekt (projet d'action éducative) zu verbinden (Éducation civique 1990, S. 45 ff.).
Die Versuche, einen integrierten sozialwissenschaftlichen Unterrichtsbereich zu schaffen und die traditionellen Fächer Geschichte, Erdkunde und Sozialkunde aufzulösen, sind nicht auf Deutschland beschränkt. Sie fanden auch in anderen Staaten statt.
Der Prozeß in Frankreich verlief ähnlich wie in Deutschland. Aus der Curriculumdiskussion kamen die Anstöße, die die fachimmanente Systematik der Fächer durch eine an Lernzielen orientierte Struktur ersetzen wollten.
Der erfolgreiche Widerstand gegen die Integration der Sozialwissenschaften wurde aktiv von universitären und gymnasialen Vertretern der Fächer Geschichte und Erdkunde getragen. Unterstützung fand dieser Widerstand durch Politiker, die einerseits ihre eigene Erziehung als Maßstab der Beurteilung nahmen, andererseits keinen Zugang zu den pädagogischen Begründungen eines integrierten Unterrichts fanden.
Die Diskussion scheint mit der Wiederherstellung der tradierten Fächer nicht am Ende zu sein. In Frankreich wird insbesondere die Curriculumentwicklung in der Grundschule fortwirken. Ebenso werden die Einführung der Menschenrechtserziehung in der Mittelstufe und erste Ansätze in den Unterrichtsplänen zu einem Projektunterricht die Entwicklung offenhalten.
In diese Richtung weist auch die Stellungnahme, die das renommierte Collège de France unter Federführung des Soziologen Pierre Bourdieu 1984 zum Zeitpunkt des Abbruchs der Integration der Sozialwissenschaften zur [/S. 96:] Entwicklung des Unterrichts unterbreitet hatte. In These 6 heißt es: "Um die Auswirkungen einer wachsenden Spezialisierung auszugleichen, die die Mehrzahl der Individuen parzelliertem Wissen aussetzt, (...) muß gegen die Inselbildung des Wissens (...) gekämpft werden" (Propositions 1985, S. 33).
(1) Die männliche Sprachform im Text schließt selbstverständlich die weibliche Form ein.
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Propositions
pour l'enseignement de l'avenir. Elaborées à la demande de Monsieur le Président de la République [28]
par les professeurs du Collège de France [29]. Paris 1985
Schuster, Peter: Geschichtsunterricht und politische Bildung in Frankreich. Versuche der Integration. In: Northemann, Wolfgang/Schuster, Peter (Hrsg.): Mentorentag Geschichte und Sozialkunde. Berlin 1989, S. 111-126
Wittenbrock, Rolf: Der Kampf für die Erhaltung und Erneuerung des Geschichtsunterrichts in Frankreich im Spiegel der Zeitschrift "Historiens et Géographes". In: Internationale Schulbuchforschung, Heft 2/1983, S. 133-144
Die Integrierte Gesellschaftslehre ist "das" gesamtschultypische Fach. Hier wird versucht, den Anspruch der Integration auch inhaltlich umzusetzen. In der Praxis führt das jedoch zu Beliebigkeit der Inhalte. Hier ist es notwendig, das Gesamtschulkonzept auch inhaltlich weiter zu durchdenken.
Der Integrierte Gesellschaftslehreunterricht verspricht, den Schülern die Gesellschaft in ihrer Totalität besser nahezubringen als die separierten Fächer Geschichte, Geografie, Politik (und Ökonomie). - Und in der Tat: Läßt sich die Gesellschaft nicht genauer erkennen und weitreichender umgestalten, wenn man bislang getrennte Fragen, Untersuchungsmethoden und Erkenntnisse integriert? Zumal sie sich letztlich doch auf ein und dasselbe Objekt zu beziehen scheinen?
Außerdem verabschiedet das Integrierte Gesellschaftslehrecurriculum die platte Abbilddidaktik: die Bestimmung des Erziehungsprozesses durch eine Fachwissenschaft. Der Erziehungswissenschaft ist endlich der Vorrang vor den Fachwissenschaften gegeben worden..
Was sollte also gegen den Integrierten Gesellschaftslehreunterricht sprechen? Ich meine: viel.
An der Gesamtschule, an der ich arbeite, diskutieren und kritisieren wir Gesellschaftslehre-Lehrer seit einiger Zeit das Konzept der Integration. Dies aufgrund und anhand unserer langjährigen Erfah [/S. 26:]rungen. Die Kritik läßt sich wie folgt zusammenfassen:
Es sei bisher nicht gelungen, zu integrieren. Es fehlte eine Struktur des neuen Fachs, in der die Strukturen der alten Fächer aufgehoben seien. Was bis heute geleistet wurde, sei nichts anderes als Fächeraddition, indem jeweils unterschiedliche fachspezifische Unterrichtseinheiten aufeinander folgten, oder indem in eine fachspezifische Unterrichtseinheit , Fragen, Arbeitsformen, Themen anderer Fächer eingeordnet würden. Das Ergebnis dieser Fächeraddition sei nun aber nicht Integration im Sinne einer Verarbeitungsleistung durch die Schüler - die zu leisten hätten, was die Pädagogen qua Curriculum und Lehrerarbeit selbst nicht zu schaffen imstande wären! -, noch wenigstens ein geschärfter Blick für die Wechselwirkungen im gesellschaftlichen Feld, sondern Verwirrung, Halbheit, Stückwerk. Das Integrationskonzept habe keine Fähigkeitsverbesserung, sondern Fähigkeitsverschlechterung bewirkt. Von "integrierten" gesellschaftswissenschaftlichen Fähigkeiten könne nämlich, wie gesagt, noch lange keine Rede sein -, und die durch den integrierten Gesellschaftslehreunterricht erworbenen fachspezifischen Fähigkeiten reichten nicht an die durch die separierten Fächer zu erwerbenden heran.
Als Verursacher der Misere werden das Curriculum und die Lehrer dingfest gemacht: 'Das Problem der Integration sei das Problem der Integration sei das Problem eines mißlungenen Curriculums. Aus bisherigen Fehlern könne man allerdings lernen: das Curriculum sei neu zu schreiben. Die Lehrerarbeit täte ein übriges: Die Lehrer würden nicht eng genug zusammenarbeiten; sie hatten nur ein Fach gelernt, nicht eine Integrierte Gesellschaftswissenschaft, die sie deshalb unterrichtlich bisher kaum zu praktizieren fähig gewesen seien. Hier würde Lehrerfortbildung helfen.
Ich halte diese Erklärungen für nicht weitreichend genug. Daß der Integrierte Gesellschaftslehreunterricht nicht gelingt, liegt nicht an der unzureichenden Lehrerarbeit oder am zu oberflächlichen Curriculum. Der Integrierte Gesellschaftslehreunterricht ist sachlogisch unmöglich, weil einer seiner Bestandteile, nämlich der Geschichtsunterricht - besonders in seiner Form als linearer Lehrgang - die Integration verhindern muß.
Wie das?
Führen wir folgende Überlegung durch: In keinem Konzept Integrierten Gesellschaftslehreunterrichts kann auf Geschichte verzichtet werden, denn Gesellschaft ist historische Gesellschaft, ist Gesellschaft im Werden -, und außerhalb dessen gibt es keine empirische Gesellschaft.
Bislang dominiert im Geschichtsunterricht der lineare, der chronologische Lehrgang. Er muß als solcher die Struktur des Integrierten Gesellschaftslehreunterrichts bestimmen, denn den anderen Integrationsfächern ist die Folge der Themen nicht so zwingend vorgeschrieben. Das führt dazu, daß die geografischen, politologischen, soziologischen (und ökonomischen) Bestandteile des Integrierten Gesellschaftslehreunterrichts den chronologisch grad zu behandelnden Geschichtsthemen mehr oder weniger passend angehängt oder eingegliedert werden -, wobei sie natürlich bei weitem nicht "zu ihrem Recht" kommen können -, zu ihrem Recht als spezifische erkennende Subjekt-Objekt-Beziehungen.
Die vielen nur äußerlich verbundenen Aspekte konstituieren ein hidden curriculum der Beliebigkeit. Zum Schluß kommt lernfeindliche chronologische politische Ereignisgeschichte plus Geografisierung plus Aktualisierung heraus -, eine atomisierte statt einer integrierten Gesellschaftserkenntnis. Der Integrierte Gesellschaftslehreunterricht erwirkt das Gegenteil seiner Absicht. [...] So wird Erkenntnis durch Erkenntnisse verhindert. Darüber hinaus haben die Fachdidaktiken das "Emanzipationskonzept" - das auch zu kritisieren wäre - vom "Integrationskonzept" abgelöst. [...]
Welche curricularen Möglichkeiten gibt es nun, aus der Misere herauszufinden? Prämisse muß sein, den Geschichtsunterricht nicht mehr linear zu strukturieren. Dann sind zwei verschiedene Wege gangbar:
Erstens: Geschichte würde auf Themengeschichte, d. h. Vorgeschichte eines Themas verkürzt, tauchte nur noch als historische Dimension auf. Gesellschaftslehre würde also fundamentale Lebenszusammenhänge der gegenwärtigen Gesellschaft behandeln und sie historisch herleiten. Diese Lösung haben die Verfasser der Hessischen Rahmenrichtlinien favorisiert. Dabei wäre allerdings auf Geschichte verzichtet, denn Geschichte kann nur als Entwicklungsprozeß der Menschheit adäquat gefaßt werden, nicht als Ansammlung von Themengeschichten. Der Preis eines solchen Integrierten Gesellschaftslehreunterrichts wäre bei Licht besehen der Verzicht auf Geschichtsunterricht. Damit bestünde dann auch keine Integration mehr. Der Versuch zu dieser Rettung eines Integrationskonzepts gäbe also das Integrationskonzept auf.
Zweitens: Es würde ein formationstheoretisch fundiertes und spiralförmig didaktisiertes Geschichtscurriculum erstellt. [...] Formationstheoretisch fundiertes Curriculum heißt: Das Curriculum basiert auf dem Wesen, der Charakteristik, der Typik der sozialökonomischen Gesellschaftsformationen. Diese bildeten die Unterrichtseinheiten. Dadurch würde die Unterrichtsarbeit stärker auf die sozialökonomischen Lebensverhältnisse orientiert. Die politische Geschichte würde relativiert. Die sachlogische Zentralkategorie der historischen Bildung ist nämlich die der Gesellschaftsformation; während die sachlogische Zentralkategorie der politischen Bildung die des Klassenkampfs ist -, oder, [/S. 27:] mehrheitsfähiger formuliert, die der antagonistischen Interessenauseinandersetzung. Dabei ist die politische Bildung der historischen untergeordnet; einerseits, indem der Gesamtprozeß auf einen Teilprozeß, den politischen reduziert wird; andererseits, indem die Entwicklung auf ihr jeweiliges Resultat, die Gegenwart, reduziert wird. Beim formationstheoretisch fundierten Curriculum würden also Gesetzmäßigkeiten gelernt, nicht Oberflächenerscheinungen. [...] Sobald dies geschehen ist, bedarf es nicht mehr der Speicherung unendlicher Mengen von Fakten, sondern weniger Theoreme und Theorien, die bei Bedarf eine Reaktion auf ein beliebiges Faktum ihres Bereichs erlauben. [...]
Die tendenzielle Selbstverhinderung des Geschichtsunterrichts als Lernprozeß beruht auf seiner immer unbewältigten Faktenfülle, den daraus entstehenden "Auswahlproblemen", der damit einhergehenden Beliebigkeit, dem Sammelsurium der Themen: Wo schließlich alles jederzeit zum Lerngegenstand werden kann, wird nichts gelernt.
(Die Schüler wissen, warum sie den Geschichtsunterricht ablehnen.) Das genannte Problem des Geschichtsunterrichts, die unendliche Deskription, indiziert seinen wissenschaftsgeschichtlich niedrigen Stand, und den seiner Fachwissenschaft, der Geschichte. Der Geschichtsunterricht muß auf Gesetzeserkenntnis ausgerichtet werden, weg von der Erscheinungslehre, hin zur Wesensanalyse. (Das historische Wesen erscheint freilich nur im konkreten Prozeß - als "Bild" -; die Mißachtung der Erscheinung würde den Geschichtsunterricht ebenfalls zerstören.)
Spiralförmig didaktisiertes Curriculum heißt: Die Gesellschaftsformationen werden aus lernpsychologischen, persönlichkeitstheoretischen und entwicklungspsychologischen Gründen nicht chronologisch und beziehungslos hintereinander abgehandelt, sondern sie werden alle - mit zunehmender Komplexität und zunehmendem Schwierigkeitsgrad - in jedem Schuljahr aufs neue in bezug auf eine spezielle Frage, einen speziellen Erkenntnisprozeß, eine spezielle Erscheinung analysiert.
Drei Beispiele: Familie/Kindheit/Alltagsleben/Zusammenleben von der Urgesellschaft bis zur entstehenden sozialistischen Gesellschaft etwa im 5. Schuljahr. - Naturstoffaneignung/Arbeit/Produktion von der Urgesellschaft ... -, etwa im 9. Schuljahr. Eine solche Form des Geschichtsunterrichts integrierte in der Tat in weit höherem Maß als der bisherige Geschichtsunterricht - und auch das Integrierte Gesellschaftslehrecurriculum - die verschiedenen speziellen gesellschaftswissenschaftlichen Erkenntnisprozesse und Fähigkeitsentwicklungen.
Allerdings liegt auf der Hand, daß auch ein solcher "integrationistischer" Geschichtsunterricht das Konzept des Integrierten Gesellschaftslehreunterrichts zerstören würde, denn die "anderen Fächer" gingen nicht restlos in ihm auf; ihre "Reste" müßten nach wie vor in den nun allerdings omnipotenten Geschichtsunterricht eingebaut, bzw. ihm angehängt werden -, alles wie gehabt.
Ein formationstheoretisch fundierter und spiralförmig organisierter Geschichtsunterricht wäre zwar das bisher integrierteste gesellschaftswissenschaftliche Fach -, aber nicht die Integrierte Gesellschaftslehre.
Weil nun, wie dargelegt, der Geschichtsunterricht das zentrale Element eines Integrierten Gesellschaftslehreunterrichts bilden muß, und weder seine Form als linearer Lehrgang, noch seine Omnipotenz (formationelles, spirales Curriculum) das Konzept dieses Unterrichts rettet, sondern es zerstört, kann es beim heutigen Stand der Gesellschaftswissenschaften einschließlich der Pädagogik kein Integriertes Gesellschaftslehrecurriculum geben.
Um es noch einmal deutlich zu machen: Die gegenseitige Blockierung von integriertem Gesellschaftslehreunterricht und Geschichtsunterricht ist kein Zufall, denn Integration ist Bemühung um Totalität, und Totalität des menschlichen Werdens ist Thema der Geschichte, nicht der Geografie oder der anderen Sozialwissenschaften. [...]
Ich spreche mich also gegen das Konzept des Integrierten Gesellschaftslehreunterrichts aus. [...]
Es ist m. E. heute sinnvoll, unter dem Namen "Gesellschaftslehre" und der Beibehaltung der Stundenzahl und des Unterrichts durch einen Lehrer (dessen "Fremdfach"-Probleme mich wenig interessieren) innerhalb des Gesellschaftslehreunterrichts die einzelnen Fächer epochal zu unterrichten.
Die traditionellen Integrationsansätze sind bisher bis auf wenige Ausnahmen an der "Macht des Faktischen" gescheitert. Die zunehmende Verwissenschaftlichung des Unterrichts und in ihrem Gefolge auch seine weitere Zersplitterung haben die gesamtunterrichtlichen Reformkonzepte nicht aufhalten können, u.a. weil sie an überholten ganzheitlichen Positionen (Heimatkunde z.B.) festgemacht waren. In der verwissenschaftlichten und "verwalteten" Schule haben sie ihre Reformansprüche nicht durchsetzen können.
"Es ist allgemein bekannt, warum die Bemühungen um 'Sozialkunde', 'Gemeinschaftskunde', 'Politikunterricht' oder welcher Begriffe man sich auch immer bedient, zu Recht kritisierbar sind: Vorherrschen des Harmoniecharakters, keine für den Schüler erkennbare Integration der einzelnen Teilgebiete oder der mißlungenen Versuche, Kenntnisse in Handlungen umzusetzen." (2) Diese Kritik ist an den meisten hier vorgestellten didaktischen Modellen geleistet worden. Aus der Aufarbeitung der wichtigsten Modelle hinsichtlich ihrer politisch-didaktischen Intentionen (Oberste Lernziele; Erkenntnisinteresse und gesellschaftspolitische Prämissen) und ihrer Integrationsaspekte (ob praktiziert oder nur gefordert) gilt es an diesem Punkt Konsequenzen zu ziehen, die für oder gegen die Integration sprechen. Wenn man einmal von der Fülle der möglichen Zwischen- oder alternativen Lösungen (z.B. Kooperation oder Politischen Bildung als Unterrichtsprinzip aller Fächer) absieht, die letztlich doch auf diese oder jene Lösung angelegt sind, ist, falls das Ergebnis positiv ausfällt, etwa im Sinne von Wulf zu fordern: "Die Didaktik politischer Bildung bedarf einer Ergänzung und Ausweitung durch ein Konzept für politisch-sozialwissenschaftliche Curriculumentwicklung... ."(3)
An dieser Stelle ist nur noch einmal zusammenzufassen, welche Fächer, welche fachdidaktischen oder fächerübergreifenden Modelle die Integration wie begründen. Die zentrale Rolle der Fachdidaktiken für die Frage der Fächerintegration ist im folgenden formuliert: "Die Begründung für die Gestaltung eines Schulfaches ist weder eine einzelwissenschaftliche noch eine wissenschaftstheoretische Aufgabe, sondern Aufgabe der Fachdidaktiken (sofern sie vorhanden sind.)"
Die didaktische Position für oder gegen Integration ist auch immanent eine wissenschaftstheoretische. "Die anthropologische Bedeutung des Faches muß von der Idee des teilnehmenden und teilhabenden Bürgers her interpretiert werden (Selbst- und Mitbestimmung als Normen des GG)." (4) Das Erkenntnisinteresse eines jeden Faches, das auf Emanzipation gerichtet ist, geht In seiner Wissenschaftstheorie ebenfalls von einer gesellschaftlich vermittelten Funktion der Wissenschaften aus.
Das drückt sich ebenfalls in einer positiven Einschätzung der Fächerintegration aus, wie Schwerdtfeger es formuliert: "Die Integration von Schulfächern ist der Versuch, auf die zunehmende Differenzierung In den Wissenschaften didaktisch produktiv zu reagieren, denn:
Die Mehrzahl der didaktischen Modelle der verschiedenen sozialwissenschaftlichen Fächer sind u.a. als ein Versuch zu werten, auf die Herausforderung der wissenschaftlichen Spezialisierung zu reagieren, indem das Verbindende zwischen den Disziplinen betont wird. Alle diese Fächer wollen Politische Bildung betreiben und den "mündigen Staatsbürger" erziehen, gleichzeitig aber auch die jeweiligen Fachansprüche nicht aufgeben. (6)
Aus einer noch ganzheitlichen Weltschau, z.T. mit metaphysischen Dimensionen, fordern die "konservativen" Didaktiker der sozialwissenschaftlichen Fächer einen Gesamtunterricht, der entsprechende Werte vermitteln soll. Dem Gefühl der "Sinnentleertheit" durch die wissenschaftlich-pluralistischen Auffassungen wollen sie begegnen durch die Verknüpfung der Fächer, um damit verlorene Ideale wieder zurückholen zu können.
Von den "positivistischen" Didaktiken gibt es kaum Argumente für eine Fächerintegration, denn ihr "wertfreier" Ansatz verzichtet bewußt auf politische Prämissen und eine gesellschaftliche Rechtfertigung ihrer wissenschaftlichen Zielsetzung. Die weitere Auffächerung der Wissenschaften ist für diese Haltung fast eine logische Konsequenz. Ihre Zielsetzung gibt sich zweckfrei und ist abgeleitet aus der Systematik der Wissenschaft und dem Grundrecht des Grundgesetzes auf "Freiheit der Wissenschaften". Daraus resultiert ein "pluraler" Ansatz von Wissenschaften, der nur da, wo es methodologisch notwendig ist, auf eine andere Wissenschaft zurückgreift aber in der Integration keinen Sinn sieht, da die Wissenschaften in eine andere Richtung tendieren. Einen Sinn von Wissenschaften über diese hinaus sehen sie nicht. "Es gibt keine generelle Bestimmung von einigem Wert (für die Sozialwissenschaften; der Autor). Man kann zwar eine Definition geben, die verschwommen genug ist, alle Disziplinen zu umfassen; sie ist aber dann so vage, daß sie unbrauchbar ist." (7) Logischerweise kann es für die aus dieser wissenschaftlichen Position abgeleiteten Didaktiken keine Fächerintegration geben. Wenn es zu dem wie bei ihnen "nur" um den "mündigen Staatsbürger" oder "Wahlbürger" geht, ist das mit reinem Fachwissen über die Rechte und Pflichten, über die Institutionen und das Erlernen der Kulturtechniken und die Vermittlung der fachwissenschaftlichen Kenntnisse getan. Die vorhandenen Bemühungen auch einiger dieser Didaktiken für Integration bleiben letztlich voluntaristisch und für die politische Sozialisation inkonsequent, denn sie leisten nicht, was sie vorgeben, sie bleiben affirmativ. (8)
Eine Wissenschaftstheorie, deren Erkenntnisinteresse in der Emanzipation des Menschen liegt, und die alle menschlichen Handlungen in einen historischen Prozeß eingebettet sieht, schreibt auch den Wissenschaften, den Didaktiken, dem Unterricht und der Politischen Bildung eine ganz bestimmte logische Funktion für die Gesellschaft und den Geschichtsprozeß zu, ohne sie jedoch total zu reglementieren. Sie bekommen ihren Sinn und ihre Berechtigung von dem gesellschaftlichen Ziel her. Das trifft in verstärktem Maße für den sozialwissenschaftlichen Unterricht zu: "Das Handeln des Bürgers (sofern es nicht den Grenzfall des 'Berufspolitikers' betrifft) ist 'Politisch' (und nicht 'spezialisiert'); es basiert auf der [/S. 163:] Annahme einer allen Bürgern als Gleiche konstituierenden Vernunftfähigkeit und der daraus abgeleiteten Idee einer gemeinsamen Ordnung, in der die prinzipielle Gleichheit aller Bürger realisierbar ist und mit ihr die Realisierung von Freiheit und Glück ('Reich der Freiheit' als Ziel der Geschichte)." Der politische Bürger ist das Ziel, nicht der Bürger als Spezialist. Daraus resultiert die Notwendigkeit einer fächerintegrierenden Politischen Bildung, da es gilt, den politisch handelnden Bürger mit der oben genannten Intention zu "sozialisieren". (9) Besonders "... unter dem Gesichtspunkt einer parteilichen politischen Didaktik, welche zur kollektiven Emanzipation der Lohnabhängigen den ihr möglichen Beitrag leisten will, sind auf dem Gebiet der Methodologie der didaktische Materialismus ... der adäquate Bezugsrahmen" und damit auch die Fächerintegration, wie sie aus den entsprechenden didaktischen Entwürfen entwickelt worden ist. (10)
Die didaktisch relevanten (progressiven) Positionen der einzelnen Fächer lassen ihre Bezogenheit aufeinander erkennen und vermitteln die logische Konsequenz, aus der oben genannten Zielsetzung, eine integrative sozialwissenschaftliche Didaktik zu entwerfen. (11)
Die Auseinandersetzung der Menschen mit ihrer Umwelt innerhalb eines weitgehend organisierten und institutionalisierten Rahmen (Staat), ist letztlich zweckgerichtet auf die Realisierung des "Reiches der Freiheit". (12) Die zentralen Kategorien der hier behandelten sozialwissenschaftlichen Fächer sind Raum, Zeit, Herrschaft/Institution, Interaktion/Sozialisation und Arbeit/Wirtschaft. Sie sind konstitutiv für die menschliche Gesellschaft. Aber erst die Erkenntnis ihrer Interdependenz ergeben einen zielgerichteten Sinn für die Gesellschaft - sieht man von einer metaphysischen Sinngebung ab. Die räumliche Bezogenheit der Menschen ist logischerweise auch eine historische und umgekehrt. Die Gesellschaft und ihre Umwelt Ist bestimmt durch die Auseinandersetzung der Menschen (in Interaktionen und organisiert durch Institutionen) mit der Natur durch Arbeit und deren Organisation (Wirtschaft). Beides wird getragen von der politischen Herrschaft. (13)
Nun läßt sich argumentieren, die Fülle der einzelnen Disziplinen, die diese Probleme aufarbeiten, sei inzwischen so groß, daß ihre Verknüpfung mehr verwirre als orientiere. Das ist im Grunde jedoch unlogisch. Denn bei der Betonung etwa nur räumlicher Faktoren werden die anderen so vernachlässigt, daß letztlich die ganzen Informationen dann beliebig werden, nicht mehr stimmig sind, sich sogar widersprechen können, und es wohl kaum der Intelligenz der Schüler überlassen bleiben kann, innerhalb von fünf Jahren Schule (S I) irgendwann einmal die Ergebnisse und Erkenntnisse der Fachdisziplinen wie bei einem Puzzle aus eigenem Vermögen zusammenzufügen. Wenn bei allen Disziplinen eine politische Erziehung der Selbst- und Mitbestimmung oberster Wert ist, dann ergibt sich daraus die Schlußfolgerung, bei dem jeweiligen Unterrichtsthema genau das Interdependente der gesellschaftlichen Probleme auch interdependent zu vermitteln, um mehr als die Anhäufung von nur vergeßlichem Faktenwissen zu leisten. (14)
In den beiden folgenden Schemata soll der Versuch gemacht werden, aus den "progressiven" Fachdidaktiken die Integrationselemente der Fächer auf den Begriff gebracht aufzuschlüsseln. Das sozialwissenschaftliche Umfeld, in einem schematisierten Schaubild skizziert, läßt die Zusammenhänge der Grundkategorien der einzelnen Fächer erkennen, wenn Gesellschaft von einem Ziel (Emanzipation) her interpretiert wird. (15) Die Ziele, Inhalte, Methoden lassen den zusammenhängenden Charakter und die gegenseitige Ergänzung der sozialwissenschaftlichen Fächer erkennen. (16) [/S. 164:]
[/S. 164:]
[/S. 165:]
Fächer | Ziele | Inhalte | Methoden/ Fertigkeiten | Fächerverbindungen |
Arbeit/Wirtschaft (Arbeit) |
Erkenntnis des Grundwiderspruchs von Kapital u. Arbeit Warencharakter und Entfremdung der Arbeit Alternative: Selbst- u. Mitbestimmung im Produktions- u. Konsumtionsbereich |
Entwicklung u. Stand der Produktivkräfte Berufs- u. Verbraucherorientierung Polytechnik: Werken - Handwerk - Industrie - Wirtschaftsmodelle |
handwerkliche Grundtechniken Ökonomische Modelle Betrieb u. Markt (Planspiele) |
politische politökonomische historische polytechnische (technische) |
Geographie (Raum) |
Erfassung u. Erfahrung raumbedingter Strukturen Daseinsfunktionen Selbst- u. Mitbestimmung bei der Gestaltung des Raumes "Erde" |
Naturräumliche und sozialräumliche Bedingungen und Strukturen der Erde Daseinsfunktionen |
Erschließung des Raumes durch Karten, Bilder, Medien, Statistiken Orientierung im Raum |
politische ökonomische soziale sozial- u. wirtschaftshistorische (naturwissenschaftliche) |
Geschichte (Zeit) |
Prozeßcharakter der gesellschaftlichen Entwicklung, Veränderbarkeit der Gesellschaft durch Selbst- u. Mitbestimmung | Stufen der historischen Entwicklung Veränderbarkeit von Arbeit u. Herrschaft (sozialer Wandel) "Ziel" u. Theorien der Geschichte |
Erschließung von Quellen, Quellenkritik/Chronologie Stufen/Epochenmerkmale |
politische ökonomische soziale und soziologische geographische |
Politische Bildung (Herrschaft) |
Selbst- u. Mitbestimmung bezogen auf das Demokratiegebot, Fähigkeit zum aktivem pol. Handeln | inner- u. intergesellschaftl. Konflikte, Institutionen-"Kunde" Funktion des Rechts verschieden. Herrschaftsformen | Handlungs- und Aktionswissen, Analyse von Gesetzen und anderen politischen Quellen | politökonomische historische geographische soziale u. soziologische |
Sozialisation / Soziologie Gesellschaft / Interaktion |
Erkenntnis des primären Erfahrungsfeldes Struktur und Wandel der Gesellschaft, gesellsch. Totalität, Identitätsbildung | primäre Sozialerfahrungen, Erfahrungsdefizite gesellschaftl. Strukturen und Konflikte | Methoden der empirischen Sozialforschung Theorien der Gesellschaft |
politische historische politökonomische (geographische) (psychologische) |
[/S. 166:] Die behandelten Richtlinien haben Integrationsansätze unterschiedlicher Signifikanz. Die weitestgehende Integration des sozialwissenschaftlichen Lernbereichs ist im Rahmenlehrplan G/P der Gesamtschule in NW zu finden, bzw. in den hessischen Rahmenrichtlinien. Der Integrationsanspruch dieser Richtlinien leitet sich aus dem obersten Lernziel der Selbst- und Mitbestimmung im Sinne des Demokratiegebots des Grundgesetzes ab. Daraus folgt der Anspruch, den Schülern die gesamtgesellschaftliche Realität vermitteln zu wollen, die in den Lernfeldern für die Schüler sinnvoll strukturiert wird. Die beteiligten Fachwissenschaften, die auch bisher im Unterricht nicht berücksichtigte Disziplinen umfassen, haben sich in Ihren Beiträgen dem Ziel der Richtlinien unterzuordnen und zur Vermittlung der Erkenntniszusammenhänge mit ihren fachspezifischen Erkenntnissen und Methoden beizutragen. Die gegen die Richtlinien vorgebrachten grundlegenden Einwände sind widerlegt worden, so daß ihr Integrationsanspruch als wissenschaftlich und didaktisch haltbar angesehen werden kann. Die Integrationansätze der beiden hier behandelten Lehrpläne sind nicht so ausgeprägt, u.a. weil sie in ihren Zielforderungen nicht so weit gehen und nicht auf der gleichen gesellschaftlichen Analyse beruhen wie die Rahmenrichtlinien und der Rahmenlehrplan. (17)
So weit wie die empirisch nicht abgesicherten Erfahrungen Schlußfolgerungen zulassen, war und ist die Praxis des integrierten Lernbereichs Gesellschaft/Politik in den Gesamtschulen praktikabel, in den Augen der Lehrer und der Gesamtschulbeobachter erfolgreich, effizient im Sinne einer stärkeren Politisierung der Schüler und dem traditionellen Unterricht überlegen. Belege dafür finden sich in den positiven Stellungnahmen der Gesamtschullehrer für diesen Lernbereich und den Rahmenlehrplan, und sie dokumentieren sich in der Fülle der von den Gesamtschulen entwickelten integrierten Unterrichtseinheiten.
Die Konsequenzen aus der Überprüfung des bisher gesagten können nur lauten:
Fächerintegration im sozialwissenschaftlichen Lernbereich.
Zur Überwindung bzw. zur Verhinderung der Atomisierung des Unterrichts und damit der Bewußtseinsprozesse bei Schülern ist der "ideologische" Bereich des Unterrichts (die sozialwissenschaftlichen Fächer) so zu organisieren, daß das Lernziel der Selbst- und Mitbestimmung realisierbar ist. Die Schüler sollen die gesellschaftlichen Grundstrukturen erkennen, ihre eigene Identität finden und durch eine affektive Betroffenheit zu politisch aktiven, solidarisch handelnden Bürgern im Sinne dieses Lernziels motiviert werden. Das kann aber nicht intentional geschehen durch einen atomisierten, an Fachsystematiken festgemachten Unterricht.
Eine Alternative bietet der integrierte sozialwissenschaftliche Unterricht, wie er mit den Rahmenrichtlinien bzw. dem Rahmenlehrplan konzipiert worden ist. Die Anlehnung an den Rahmenlehrplan ist eine grundsätzliche Entscheidung für das oberste Lernziel, für einen integrierten Unterricht und die ihm korrespondierende Projektmethode. Aus der Aufarbeitung der didaktischen Modelle, der Lehrpläne und der unterrichtlichen Praxis haben sich allerdings einige Korrekturen und Erweiterungen ergeben, die es zu berücksichtigen gilt.
[/S. 167:] Die kritischen Einwände gegen die beiden Lehrpläne richteten sich zum einen auf formale Mängel, die ohne große Schwierigkeiten zu beheben sind. Kritisiert wurde besonders die unüberschaubare Länge des Lehrplans, seine Unübersichtlichkeit, die Disharmonie zwischen den Arbeitsschwerpunkten und den Arbeitsbereichen und die soziologisch überfrachtete Sprache.
Durch die Herausnahme der fachspezifischen Arbeitsschwerpunkte - sie hatten überwiegend taktischen Charakter, um die fachspezifischen Einwände aufzufangen (18), durch den Verzicht auf die Teile über Unterrichtsorganisation und die Materialhinweise, die unsystematisch und unvollständig den Lehrplan mehr belastet haben als das sie für den Lehrer eine Hilfe waren, sind diese Mängel zu beheben. Die beiden letzten Punkte könnten in gesonderten, für die Lehrer viel ergiebigeren Materialteilen aufgezogen werden, wie es z.B. in NW durch eine Materialkartei in Anlehnung an die Themenstichworte geschehen ist. Die Unterrichtsorganisation könnte an Unterrichtsbeispielen ebenfalls gesondert exemplifiziert werden.(19)
Der Vorwurf der mangelnden Übersichtlichkeit ist in NW durch die "Übersicht über die Jahrgänge" behoben worden. (20) Der mangelnde Bezug zu fachwissenschaftlichen Methoden, Fähigkeiten und Fertigkeiten Ist in NW ebenfalls durch das Programm der Intensivkurse angegangen und abgebaut worden. (21) Im Lehrplan würde der konkrete Verweis auf die Intensivkurse in Form von Stichworten wie "Luftbild", "Gebrauch der Kartenlegende" usw. genügen. Die soziologisch überfremdete Sprache müßte da, wo es ohne Schaden für den Sinn des Lehrplans geht, bereinigt werden. Das trifft ebenfalls zu auf den Mangel an geographischen Lernzielen und Themenstichworten. (22) Die formalen Mängel sind also z.T. schon behoben worden und dürften bei einer nochmaligen Überarbeitung zu lösen sein.
In einem weiteren Punkt ist der fehlende Begründungszusammenhang für die Lernfelder bzw. die Arbeitsbereiche anzugehen, weil sonst die Frage im Raum bleibt, warum diese Lernfelder und keine anderen. Ebenso ist ihre Zahl "vier" kritisch zu überprüfen, besonders unter dem Aspekt, daß die tragenden Fächer des sozialwissenschaftlichen Lernbereichs, die Geographie und die Geschichte, als Lernfelder nicht mehr direkt im Lehrplan zum Zuge kommen. Sie sind zwar,- wie belegt worden -, immanent In allen vier Lernfeldern, in den Lernzielzusammenhängen, in den Lernzielen und den Themenstichworten vertreten, sie laufen aber trotzdem Gefahr, in ihrem fachspezifischen Wert im Lehrplan und damit in der Praxis zu kurz zu kommen. Das Problem ist deshalb vorrangig zu lösen. Im Gesamtschulversuch in NW ist aus diesem Grunde, um den historischen Aspekt stärker zu berücksichtigen, eine historisch-chronologische Unterrichtsreihe entwickelt worden mit dem Titel "Arbeit und Herrschaft", um für jede historische Epoche/Stufe in komprimierter Form ihre charakteristischen Merkmale aufzugreifen und zu vermitteln. (23)
Gewissermaßen exemplarisch sollten, beginnend mit der Urgesellschaft über die Antike, den Feudalismus, den Frühkapitalismus, den Kapitalismus, den Imperialismus bis hin zur Gegenwart und Zukunft, die gesamtgesellschaftlichen Strukturmerkmale von Arbeit und Herrschaft politökonomisch aufgearbeitet werden. Das wäre sicher eine Ergänzung im Interesse des Faches Geschichte unter gleichzeitiger Berücksichtigung des obersten Lernziels. Analog dazu wäre für die Geographie zu verfahren. Indem die Grunddaseinsfunktionen aufgegriffen werden, um sie an einzelnen Beispielen als die Grundkategorien der Geographie zu demonstrieren.
[/S. 168:] Die beiden Fächer sollten als neue Lernfelder V und VI die bisherigen vier Lernfelder ergänzen, aber natürlich genauso wenig abschottet und isoliert verstanden werden wie die anderen Lernfelder. Wie in der Reihe "Arbeit und Herrschaft" und von der Zielsetzung des Lehrplans angelegt, müßten Unterrichtseinheiten die für das jeweilige Verständnis notwendigen Disziplinen in die Planung mit einbeziehen. (24) Damit würde der gesamte Lernbereich Gesellschaft aus insgesamt sechs interdependenten aber strukturierenden Lernfeldern bestehen, die ihre Berechtigung aus dem Lernbereich Sozialwissenschaften, aus dem obersten Lernziel, den Fachdidaktiken und den Fachwissenschaften ableiten. Aus dieser umfassenden Begründung ist der Lernbereich nur noch z.T. identisch mit den fachdidaktischen Modellen.
Das Lernfeld I Sozialisation erhält seine Begründung aus der Aufarbeitung der unmittelbaren Erfahrung der Schüler. Aktive Teilnahme an Lernprozessen lassen sich am ehesten aus der eigenen Erfahrung angehen, wie sie im Sozialisationsprozeß besonders der Familie, der Schule, dem Stadtteil und dem Spiel (+ Erfahrungsdefiziten der Kinder) möglich sind. Die drei Formen der Erfahrungsdimension wie sie B. Schaeffer darstellt, wären zu berücksichtigen:
Das Lernfeld II Arbeit / Wirtschaft ergibt sich aus dem ursprünglichen - durch die Trennung von Familie und Produktion verloren gegangenen - primären Erfahrungsfeld der Kinder, die früher mit der Arbeit der Eltern direkt in Berührung kamen und mit ihr aufwuchsen - und dem späteren Erfahrungsfeld der Schüler als zukünftige Lohnabhängige. Die praktische Begabung vieler Schüler, die zentrale Stellung der Arbeit im menschlichen Leben, die defizitäre Einschätzung gerade der produktiven Arbeit in der gegenwärtigen Gesellschaft lassen es sinnvoll (26) erscheinen, den Bereich der Arbeit und Wirtschaft aus der direkten Erfahrung, also polytechnisch aufzugreifen, um ihre Dimension, ihre Struktur und ihrer Veränderbarkeit richtig einschätzen zu können. Zu vermitteln ist die zentrale Kategorie von Kapital und Arbeit und die damit zusammenhängenden Konflikte, ihre Ursachen und Lösungsalternativen.
Das Lernfeld III Öffentliche Aufgaben ergibt sich aus dem politischen Handlungsraum, dem Staat, den Institutionen, in denen sich auch das Leben der Schüler schon vollzieht. Zentrale Kategorie ist der Konflikt, der von den Schülern ebenfalls (in Ansätzen auch durch eigene Aktionen) in der Schule und darüber hinaus erfahren und aufgearbeitet werden kann.
Das Lernfeld IV Internationale Konflikte und Friedenssicherung bezieht seine Begründung aus der weltweiten Verflochtenheit der Gesellschaften und Staaten und der Verantwortlichkeit für die Menschen über die Grenzen des eigenen Landes hinaus. Eine menschenwürdige Gesellschaft ist letztlich eine alle Menschen umfassende Weltgesellschaft.
Das Lernfeld V Zeit erfährt seine Begründung aus dem historischen Charakter aller gesellschaftlichen Erscheinungsformen. Sie ist zwar immanent in den anderen Lernfeldern enthalten, sollte aber mit bewußt herausgehobenen historischen Be[/S. 169:]zügen erweitert werden, um aus der Aufarbeitung der historischen Erfahrung die Veränderbarkeit der Gesellschaft und Natur durch die Arbeit und die eigene historische Identität intensiver zu erkennen und um handlungsfähige Kompetenz zu erlangen.
Das Lernfeld VI Raum ist aus der Dimension abgeleitet, in der sich das gesellschaftliche Leben bewegt: dem Raum. Es geht um die Vermittlung der Grunddaseinsfunktionen, die raumrelevant sind; sich fortpflanzen, arbeiten, wohnen, sich versorgen und konsumieren, sich erholen und sich bilden. Verkehrsteilnahme.
Weitere Lernfelder könnten möglich sein, sind aber wegen der Gefahr der Zersplitterung nicht sinnvoll. Die Beiträge weiterer Fachdisziplinen bei bestimmten Themenstichworten sind auch ohne eigene Lernfelder zu berücksichtigen. Grundlegendes Prinzip bei den Lernfeldern ist ihre Hilfsfunktion zur Erfassung gesellschaftlich relevanter Themen, die jedoch in fast allen Fällen in mehrere Lernfelder hineinreichen, aber schwerpunktmäßig von einem ausgehen sollen. Das Schema "Übersicht über die Jahrgänge" (s. Seite 170) veranschaulicht die erweiterten Lernfelder. (27)
Der Zielsetzung eines solchen Curriculummodells und seinem Integrationsansatz korrespondiert In weiten Teilen die Projektmethode, deren Merkmale kurz skizziert werden sollen:
Die zentralen Merkmale dieser Methode ziehen eine Fülle von Schwierigkeiten für ihre unterrichtliche Anwendung nach sich. So bereitet ein an Lernzielen festgemachter Unterricht enorme Probleme, die Schüler "echt" an der Planung zu beteiligen, denn die Ziele sind ja Vorgaben, die nicht so ohne weiteres geändert werden können. In letzter Konsequenz müßte die Mitbestimmung allerdings bis hin zu den Lernzielen gehen. Weitere Schwierigkeiten sind von der Schulaufsicht und den Eltern zu befürchten, wenn der Unterricht nicht mehr in den gewohnten und durch Richtlinien gesicherten Bahnen verläuft. Es mag sein, daß der Nebenfachcharakter die Proteste zurückhält, solange nicht auch noch politisch "Anrüchiges" in den Projekten erarbeitet wird. (29)
Der andere Punkt in der Praxis, der problematisch zu sein scheint, ist die Handlungsrelevanz des Themas. Sie birgt für einen Lehrer zusätzliche Belastungen und Risiken, mit dem Unterricht über den Klassenraum hinauszugehen. Nur werden es ihm die Schüler danken, denen damit der Sinn von Schule wieder erschlossen werden könnte, besonders in den oberen Jahrgängen. (30) Die Vorteile der Projektmethode für den integrierten Unterricht sind ohne weiteres einsichtig: Zum einen wird das Lernziel der Selbst- und Mitbestimmung im Lernprozeß, also der schulischen Sozialisation, ernst genommen und zum ändern ist die Fächerintegration von der Methode ebenfalls eingeschlossen, wenn es das Thema erfordert. Sie bereitet die Chance, den Ernstcharakter des Lernziels und des Lernprozesses zurückzugewinnen und damit die Chance, die Vermittlung von Erkenntniszusammenhängen in den Mittelpunkt zu rücken. [/S. 170:]
Lernfelder Jg. |
I Sozialisation |
II Arbeit/Wirtschaft |
III öffentliche Aufgaben |
IV Internationale Konflikte |
V Zeit |
VI Raum |
5/6 | wie bisher im RLP und Erfahrungsdefizite |
wie bisher im RLP mehr polytechnische Bildung |
wie bisher im RLP | wie bisher im RLP | Urgesellschaft Antike |
Sich fortpflanzen und in Gemeinschaft leben Wohnen |
7/8 | wie bisher im RLP und Erfahrungsdefizite |
wie bisher im RLP mehr polytechnische Bildung |
wie bisher im RLP | wie bisher im RLP | Feudalismus Frühkapitalismus Kapitalismus |
Arbeiten sich versorgen und konsumieren |
9/10 | wie bisher im RLP und Erfahrungsdefizite |
wie bisher im RLP mehr polytechnische Bildung |
wie bisher im RLP | wie bisher im RLP | Imperialismus Gegenwart Alternative Modelle |
sich bilden sich erholen Verkehrsteilnahme |
[/S. 171:] Die groben Strukturen des Lehrplans würden zusammengefaßt wie folgt aussehen (31):
Bei der Realisierung eines solchen curricularen Vorhabens sind wenigstens drei Punkte zu beachten, wenn das ganze Projekt nicht scheitern soll:
Der gesamte Lernbereich könnte - wenn man von der bisherigen Stundenzuweisung für die Einzelfächer ausgeht - 7 bis 10 Wochenstunden mit auf der Stundentafel für sich beanspruchen. Das wäre auf jeden Fall für jeden Unterrichtstag eine Doppelstunde. Das Schuljahr wäre für den Lernbereich in achtel Zeiten einzuteilen, wovon zwei Achtel zur freien Verfügung stehen würden und die restlichen sechs Achtel für die sechs Lernfelder, so daß im Schnitt für jedes Lernfeld eine Unterrichtszeit von ca. 50 Stunden zu erwarten wäre. (32) Das würde für jeden Lernbereich 3-4 Unterrichtseinheiten bedeuten. Es sollten aber für die beiden traditionellen Lernbereiche Raum und Zeit im Höchstfall eine Unterrichtseinheit mit ca. 20 Stunden laufen, so daß besonders für den polytechnischen Unterricht noch mehr Zeit zur Verfügung stehen würde. (33)
Innovationen bleiben Makulatur solange die Lehrer nicht in das Vorhaben einbezogen werden, also die Lehreraus- und -fortbildung entsprechend ausgerichtet werden. Nur in Form von Erlassen wird eine Schulreform von der bestehenden Praxis unterlaufen.
Für das hier vorgetragene Konzept wäre eine frühe Beteiligung der Betroffenen notwendig, bevor Lehrer und Wissenschaftler in die Detailarbeit der Curriculumentwicklung gehen würden. Schon hier müßte besonders die betroffene Öffentlichkeit beteiligt werden, ähnlich wie es in der Zukunft bei größeren städtebaulichen Maßnahmen gesetzlich vorgeschrieben Ist: die Öffentlichkeit schon im Planungsstadium zu beteiligen. (34) Das Lernziel der Selbst- und Mitbestimmung würde damit nicht vor der Schultür enden, sondern einen alle gesellschaftlichen Bereiche umfassenden Lernprozeß initiieren.
[/S. 204:] 6. Strukturen eines integrierten sozialwissenschaftlichen Curriculums (S.161 - 171)
(1) Die Kurzfassung der Thesen sollen hier mit den zusammengefaßten Ergebnissen der einzelnen Kapitel .verglichen werden. Ausführlicher ist dabei die These zu den didaktischen Modellen geraten, weil sie die grundlegenden Strukturen eines integrierten sozialwissenschaftlichen Curriculums darstellen.
(2) Dieckmann/Bolscho: Gesellschaftswissenschaftlicher Unterricht, Bad Heilbronn 1975, S. 10.
(3) Wulf, C.: Das Politisch-sozialwissenschaftliche ..., a.a.O., S. 19.
(4) Schwerdtfeger, E.: Integration unter historischem Aspekt, Thesenpapier zu einem Referat mit Diskussion auf der Tagung "Theorie und Praxis des integrativen Unterrichts" ..., a.a.O., S. 3 f.
(5) Ebd., Punkt 14.
(6) In dieser Diskrepanz stehen fast alle positivistischen Modelle, die zwar das Dilemma auch spüren, ober nicht in der Lage sind, abgehoben von ihrer Disziplin, Lösungen zu suchen.
(7) Vgl. dazu noch diese Position der "Positivisten" oder auch "kritischen Rationalisten" bei Scriven, M.: Die Struktur ..., a.a.O., S. 295.
(8) Politische Bildung auf den Ebenen dieser didaktischer Modelle bleibt auch dann affirmativ, wenn integrative Bemühungen vorhanden sind, die nicht zur "Totalität" der Gesellschaft vorstoßen können und wollen.
(9) Schwerdtfeger, E.: Integration ..., a.a.O., Punkt 16.6.
(10) Vgl. besonders die "linken" Entwürfe, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Analyse zu der logischen Konsequenz vorstoßen über Fächerintegration die Atomisierung des Lernprozesses zu beenden. Vgl. Christian, W.: Probleme ..., a.a.O., S. 43.
(11) Auch unter Berufung auf das Grundgesetz, daß ja eindeutig für Demokratie votiert, d.h. für Selbst- und Mitbestimmung, ist eine entsprechende Didaktik zu entwerfen. [/S. 205:]
(12) Siehe hierzu etwa Marx, Bloch, Dahrendorf u.a..
(13) Zusammengefaßt ergibt diese die knappe "Formel", die allerdings noch nicht zielgerichtet ist. Aber erst die Zielsetzung der Selbst- und Mitbestimmung gibt der "Formel" einen Sinn.
(14) Das soll kein Plädoyer gegen Faktenwissen sein, nur kann Faktenwissen alleine keine gesellschaftlichen und individuellen Aufgaben und Probleme lösen helfen.
(15) Mit der Formulierung "Abnahme von Herrschaft" und "zunehmenden Beherrschung der Natur" kann die doppelte Intention eines sozialwissenschaftlichen Curriculums umschrieben werden; erstens: die Erkenntnis der gesellschaftlichen Zusammenhänge zu vermitteln und zweitens: die Schüler in die Richtung zu motivieren, sich gesellschaftlich zu aktivieren.
(16) Das folgende Schema ist im SS 1974 in seinen Grundzügen mit Studenten in einem Seminar über Fächerintegration an der PH-Ruhr erarbeitet worden.
(17) Vgl. dazu noch die Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschule In NW, 1973. Im Kapitel über die "Aufgaben und Organisation der Grundschule" heißt es: "Durch die Verbindung der Inhalte verschiedener Lernbereiche wird es möglich Projekte zu entwickeln, in denen der Unterricht um eine konzentrierte Mitte organisiert ist." Die hier angekündigten fächerübergreifenden Projekte finden sich allerdings nicht in dem erwarteten Maße in den Lehrplänen. Insgesamt sind die Richtlinien allerdings der Wissenschaftsorientierung stärker ausgeliefert und damit der Spezifizierung der Fächer und nicht ihrer Integration.
U. Theißen: "Meines Erachtens wird durch die inhaltliche und strukturelle Aufteilung des Sachunterrichts nach den traditionellen Fächern in den Lehrplänen der hoffnungsvolle Ansatz, den Sachunterricht nach fachübergreifenden Inhalten in Form von Projekten zu strukturieren, zerstört." Ders.: Die Neuorientierung der Geographiedidaktik und ihre Auswirkung auf den Sachunterricht der Grundschule, in: schwarz auf weiß, 3/1974, S. 6.
Der Lehrplan Sozialkunde/Politik für Hamburg 1973 geht von der Aufgabe aus, komplexe Zusammenhänge durch fächerübergreifende Projekte zu verdeutlichen, allerdings ohne die Fächer selbst aufzulösen. Vgl. dazu Mommsen, H.; Gesellschaftliche Emanzipation ..., a.a.O. S. 9.
(18) Besonders den Widerstand der Gymnasiallehrer in Hessen.
(19) Vgl. dazu die Anmerk, im Kapitel 4.3.
(20) Vgl. die Übersicht auf S. 128.
(21) Siehe dazu ebenfalls die Ausführungen zu Kapitel 4.3.
(22) Sie sind sicher von der Gesamtzahl unterrepräsentiert; nur ist das kein grundlegendes Problem, das sich nicht lösen ließe.
(23) Vgl. dazu die Ausführungen im Kapitel 5.
(24) Z. B. Geographie, Ökonomie und Sozialwissenschaften.
(25) Siehe dazu B. Schaeffer: Erfahrungen als Grundlagen ..., a.a.O., S. 113. In dieser tabellarischen Übersicht versucht sie die "Didaktische Dimension des erfahrungsorientierten sozialen und politischen Lernens und der Gesellschaftslehre" zusammenzufassen.
(26) Das soziale Ansehen (Stufenleiter des sozialen Aufstiegs) und das Arbeitseinkommen steigen mit der Entfernung von einem manuellen Arbeitsplatz.
(27) Die Lernziele können ebenfalls wie die meisten Themenstichworte aus dem Lehrplan übernommen werden.
(28) Definition des Projektbegriffs bei Mütler/Faulenbach u.a.: Stellungnahme ..., S. 85; zu konkreten Projekten siehe Müller, H.: Projektunterricht z.B. Chile, z.B. Obdachlosigkeit. Zur Praxis des gesellschaftspolitischen Unterrichts, in: päd:extra, 1/76, S, 27 ff.; Projektorientierter Unterricht. Lernen gegen die Schule? hrsg. von der Redaktion b:e, Weinheim 1976.
(29) Aus meiner eigenen Erfahrung und der begleitenden Beobachtung der Gesamtschulen glaube ich, daß ein engagierter politischer Unterricht möglich ist, der bis hin zu Aktionen der Schüler gehen kann.
(30) Die Schulmüdigkeit und die Aggressivität der Schüler hat etwas zu tun mit der Abgehobenheit des Lernens von der Praxis, dem Leben und der "Sinnlosigkeit", die hinter der Schule steckt, wenn vielen Schülern die Aussicht auf einen Arbeitsplatz verstellt ist.
[/S. 206:]
(31) In Anlehnung an den Rahmenlehrplan bzw. die Rahmenrichtlinien Gesellschaftslehre.
(32) Bei einer normalen Unterrichtszelt von ca. 32 Stunden pro Woche.
(33) Die polytechnischen Projekte sollten so angelegt sein, daß über einen längeren Zeitraum gearbeitet werden könnte. Voraussetzung dazu Ist die Bereitschaft von Firmen, diesen Unterricht durchzuführen und/oder die Ausstattung der Schulen mit Werkstätten.
(34) Vgl. dazu das neue Bundesgesetz in der Neufassung vom 18. August 1976, Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1976, Teil l, § 2 a.
Die Ansicht besitzt eine gewisse Evidenz, wonach es in der Grundschule wenige Fächer geben sollte, deren Anzahl sich in der Mittelstufe und schließlich in der Oberstufe erhöhen muss. Auch ist mit zunehmendem Alter der Schüler diesen eine Wahlfreiheit einzuräumen. Aber bereits die neuerlich geführte Debatte um die Einführung des Computer-Unterrichts in der Grundschule und der vielerorts praktizierte Frühbeginn Englisch in Klasse 3 machen deutlich, dass eine Verfächerung auch vor der Grundschule nicht haltmacht. Dabei wird manchmal übersehen, dass es wegen der Limitierung eines Unterrichtstages zur Erosion älterer Inhalte kommt. Anzeichen mehren sich, die zur Besorgnis Anlass geben: es wird z.B. beklagt, dass die basale Alphabetisierung, eine unstrittige Aufgabe der Grundschule, nicht mehr überall und zufriedenstellend gelänge. Das Fach mit dem insgesamt höchsten Stundenanteil in der deutschen Schule, das Fach Mathematik, ist - glaubt man der TIMMS-Studie- nicht sonderlich effizient.
Während früher dem Gymnasium die Rolle der Wissenschaftspropädeutik zufiel, ist heute das gesamte gegliederte Schulwesen auf Wissenschaftsorientierung verpflichtet. Die Stundentafel der Hauptschule ist, abgesehen von der im Gymnasium obligatorischen zweiten Fremdsprache, eine Imitation der Gymnasialbildung. Dabei wird hartnäckig ignoriert, dass in der Hauptschule die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit abgrundtief ist, ja, dass selbst im Gymnasium die veränderte Schülerpopulation mit der zugemuteten kognitiven Wissensaneignung falsch bedient ist. Fauser u.a. haben bereits 1983 den Irrtum einer gymnasialen Leitkultur für alle anderen Schularten denunziert. Hurrelmann bemerkt:
"Von Bildungspolitikern aller Lager ungewollt, aber durch die Macht der Verhältnisse unaufhaltsam, herrschen in unserem Schulwesen als heimliche oder offene Zielmaximen Verwissenschaftlichung, Verfachlichung, Abstrahierung und individualistische Konkurrenzorientierung vor......." (Hurrelmann 1988)
Zwar gibt es im Fächerkanon der allgemeinbildenden Schule Angebote, die sich gegen eine wissenschaftliche Ableitung sperren, dazu gehören die Fächer Kunst, Sport, Musik und Arbeitslehre, ihr geringer Stundenanteil oder gar totale Wegfall bestätigen jedoch den Verdacht eines "Zwei-Klassen-Kanons". Die Beliebtheit der marginalisierten Fächer verhält sich übrigens umgekehrt proportional zu dem dürftigen Angebot, das Schüler vorfinden. In den Augen der Schulbürokratie und weiter Teile der Öffentlichkeit gelten "wissenschaftlich legitimierte" Fächer als höherwertig.
Es ist hier nicht der Platz, um die Überschätzung des Wissenschaftssystems als oberste Instanz für Schulcurricula zu hinterfragen. Verwiesen sei jedoch auf Luhmanns Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Funktionssysteme und die damit erkennbare Situation, dass Wissenschaft weder einen Führungsanspruch noch absolute Geltung beanspruchen kann. Das Rechtssystem beeinflusst Wissenschaft über Rechtsnormen, das Wirtschaftssystem limitiert Wissenschaft mit dem Rentabilitätsprinzip und das politische System lässt Wissenschaft nur nach Maßgabe von Opportunität zu. Den wissenschaftlichen Code selbst, der sich als wahr oder falsch etabliert hat, stellt Luhmann in Frage: Das Wahre sei oft nur mit der Krücke einer Ceteris-paribus-Klausel zu haben. (Luhmann 1990)
Man muss nicht mit dem neuen amerikanischen Präsidenten sympathisieren, der jenen Schulen aufhelfen will, die Darwins Evolutionstheorie als Irrlehre aus dem Unterricht verbannen, aber man muss darin erinnern, dass das weit fortgeschrittene Auflösungs- und Rekombinationsvermögen der modernen Wissenschaft keine Garantie für das Weltverstehen von Jugendlichen ist.
Mitte der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts entstand in der alten Bundesrepublik die Gründungsidee für eine integrierte Arbeitslehre. Als Zielgruppe waren ausschließlich Hauptschüler vorgesehen. Mindestens drei Einflussgrößen sind zu nennen:
In die Folgezeit fällt die Gründung von zahlreichen Gesamtschulen in der Bundesrepublik. Dieser Schultyp war gegenüber einer Arbeitslehre sehr offen, sah sich jedoch der Konkurrenz mit dem Gymnasium ausgesetzt, das bis heute die Arbeitslehre ablehnt. Die Lösung bestand für viele Gesamtschulen in einer Platzierung der Arbeitslehre im Wahlpflichtbereich, wo alternativ die zweite Fremdsprache gewählt werden kann. Die damit verbundene Selektion zwischen Kindern aus dem Bildungsbürgertum und dem Rest war vorprogrammiert.
Die normative Kraft des Gymnasial-Kanons hatten wir bereits erwähnt. Die für das Abitur prüfungsrelevanten Fächer werden nach langem Prozessieren in der KMK länderübergreifend festgelegt. Die Oberstufenreform des Gymnasiums brachte zwar eine Öffnung für weitere Fächer, der Pflichtkanon ist jedoch von einer solchen Mächtigkeit, dass von einer echten Profilbildung nicht gesprochen werden kann. Die Mittelstufe des Gymnasium ist, was die Fächerwahl angeht, extrem unflexibel. Weil nun Eltern und Schüler zumindest von Real- und Gesamtschulen oft die Option für einen Wechsel nach der 10. Klasse ins Gymansium offen halten wollen, ist die Stundentafel dieser Schulen gymnasialorientiert. Soviel zu einer gewiss groben Skizze des für Deutschland typischen, viergliedrigen Schulsystems. Beiläufig sei erwähnt, dass der fünfte, keineswegs zu vernachlässigende Schultyp, die Sonderschule für Lernbehinderte, nicht, wie vielleicht erwartet werden könnte, ein Konzept des ganzheitlichen Lernens verfolgt, sondern eine heimliche Verfächerung pflegt. So geschieht es, dass Schüler mit manifesten Lese-Rechtschreibe-Schwächen immer wieder eine Fünf im "Fach" Deutsch hinnehmen müssen und wegen der Bedeutungszuschreibung dieses Faches eine allgemeine Schulabstinenz entwickeln.
Die Durchsetzungsschwäche der Arbeitslehre hat jedoch noch andere als schulstrukturelle Gründe:
Mit der Akademisierung der Lehrerbildung war die Vormachtstellung eines verbalsymbolischen, literarischen Lehrstils verbunden. Am ehesten beherrschen noch Musiklehrer und Kunsterzieher das Handwerkliche ihrer Profession. Bereits Physik- und Chemielehrer sind nicht selten ungeübte Experimentierer, der Verwahrlosungszustand vieler Labors in den Schulen spricht für sich. Diese Feststellung sollte nicht missverstanden werden, denn hier ist nicht das Unterrichtshandwerk gemeint, welches die Hochschule an die nachgeschaltete schulpraktische Ausbildung zu delegieren gewöhnt ist. Nein, es geht um die Beherrschung instrumenteller Techniken durch den Lehrer, die unverzichtbar ist, wenn so etwas wie eine materielle Lernkultur (Ropohl) in den Schulen entstehen soll. Die Arbeitslehre hat es besonders schwer. Ihre materielle Basis ist in Universitäten nie so recht ernst genommen worden. Werkstattbezogene Ausbildungsteile sind vom Umfang her schmal und werden an Nichthochschullehrer delegiert. In den Hauptteilen des Studiums sind sie so gut wie gar nicht integriert. Was ist das Ergebnis dieser Ausbildungskonzeption? Die Junglehrer meiden Werkstätten - sofern solche in den Schulen vorhanden sind - und reden mit den Schülern über Arbeit anstatt zu arbeiten.
Als die Überführung der Altfächer "Werken", "Hauswirtschaft" "Textilarbeit" - rudimentär auch "Wirtschaftskunde" - in einen integrierten Lehrerausbildungsgang "Arbeitslehre" anstand, formierten sich die Bedenkenträger. Jeder halbwegs logisch urteilende Bürger sah die Notwendigkeit, einem integrierten Schulfach auch eine integrierte Lehrerausbildung folgen zu lassen. Nicht so die Lehrstuhlinhaber. In einigen Bundesländern war der Widerstand gegen die Arbeitslehre seitens der Hochschullehrer so stark, dass es gar nicht zu einem Schulfach Arbeitslehre kam, sondern es blieb bei den Partikularfächern. Und dort, wo das Fach Arbeitslehre qua Erlass der Schulbehörde eingeführt wurde, kamen die Hochschullehrer nur widerstrebend dem Anpassungsdruck nach. Das Paradebeispiel ist Berlin, wo es seit über dreißig Jahren eine integrierte Arbeitslehre in den Schulen gibt (geben sollte), wo es aber nur möglich ist "Technik/Arbeitslehre" bzw. "Haushalt/Arbeitslehre" usw. zu studieren. In der Hoffnung, dass von jeder teilqualizifierten Spezies wenigstens eine in der Schule auftaucht, erwartet man die Integrationsleistung im Praxisfeld. Das funktioniert natürlich nur sehr unvollkommen. Gleichwohl ist dieser Zustand graduell besser als die rigorose Fächertrennung und auch besser als die Duldung der Partikularfächer bei anempfohlener Kooperation - oft nur ein appellativer Gestus. Muss das so sein?
Spricht man mit Hochschullehrern, so hören wir handfeste ökonomische Argumente: drei Lehrstühle haben mindestens drei Sekretärinnen und drei studentische Hilfskräfte, ein integrierter Studiengang hätte möglicherweise von allem nur eins. Die Argumente reichen aber natürlich weiter, bis ins Zentrum des universitären Selbstverständnisses: Es gehe um Tiefe, nicht um Breite. Der Lehrer soll immer ein Beinahe-Wissenschaftler sein. Und die Lehramtsstudiengänge würden sowieso vom Establishment der Universität schief angesehen. Der Anteil der Fachdidaktik an einem Lehramtsstudiengang ist traditionell klein. Er ist auch nicht organisch mit der Fachwissenschaft verzahnt. Inzwischen gab es einen Generationswechsel bei den Lehrstuhlinhabern, und das Absterben der Partikularfächer wäre vorstellbar. Aber der Automatismus in den Ausschreibungsprozeduren sorgt für Kontinuität.
Gewiß, die Anfänge der Arbeitslehre fallen zusammen mit einer Fundamentalkritik der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Analysiert man die Sprache der Arbeitsgemeinschaft "Schule-Wirtschaft", so heißen dort die Tarifparteien "Tarifpartner", die Konkurrenten der Unternehmen heißen "Mitbewerber", es gibt ein "Unternehmerrisiko" aber kein Arbeitsplatzrisiko, zur "Betriebsgemeinschaft" wird verklärt, was im Alltag Interessengegensätze sind. In Arbeitslehre-Lehrplänen der Gründerzeit stand der forsche Satz, das Fach vertrete die "Interessen der abhängig Beschäftigten". Wer sich die Mühe macht wird feststellen, dass die Zeit der "Kathedersozialisten" in der Arbeitslehre - sofern es sie ernsthaft jemals gegeben hat, vorbei ist. Die heutige Arbeitslehre ist nicht wertindifferent, aber sie hat die Klassenkampfperiode längst hinter sich gelassen. Ein ehemaliger Sponti konnte Minister werden, was für die Liberalität unseres politischen Systems spricht, die Arbeitslehre aber behielt in bestimmten Kreisen den Makel der Arbeitgeberfeindlichkeit. Die Arbeitsgemeinschaften "Schule-Wirtschaft", der BDA und nahestehende Kreise haben mehr Sympathie für ein Schulfach Wirtschaft als für die ideologieverdächtige Arbeitslehre. Die didaktischen Argumentationslinien zählen da wenig.
Schaut man sich den Kostenplan einer Schule an, kommen zuerst die Lehrergehälter und dann eine ganze Weile gar nichts. Viele Fächer kommen mit Tafel und Kreide aus, ergänzt um einen verschlissenen Satz Lehrbücher. Ein Novum bildet die Spendierfreudigkeit bei der Computerausstattung. Eine zeitgemäße Ausstattung mit Arbeitslehre-Fachräumen war noch nie ganz billig, und die Kämmerer in der Schulverwaltung erschrecken über die Kosten. Langsam hat sich auch herumgesprochen, dass es mit einer einmaligen Investition nicht getan ist. Was jedem Kleinbetrieb selbstverständlich ist, Wartungskosten und gelegentliche Ersatzinvestitionen, ist im Schulmilieu gar nicht vorgesehen. Auch die ersten Computerfachräume sind bereits funktionsunfähig. Insgesamt soll die Kostenbarriere für die Einführung des Faches Arbeitslehre nicht überbewertet werden, aber sie existiert und bekommt zunehmend mehr Gewicht.
Eine Verfächerung des Unterrichts und die Überprüfung individueller Leistung fördern nicht unbedingt Sozialkompetenz. Die gegenwärtig vehement geforderte Einführung eines Schulfaches "Wirtschaft" nehmen wir zum Anlass, nach dessen Beitrag zur Steigerung der Sozialkompetenz zu fragen. Wenn es zutrifft, dass das Fach Politik in unseren Schulen vorrangig formales Wissen über demokratische Institutionen vermittelt, müsste in der Tat über eine Vitalisierung der "Polis" nachgedacht werden. In dem jüngst von der Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlichten "Kerncurriculum Ökonomische Bildung", das nach dem Willen der Autoren möglichst bald zu implementieren sei, treffen wir auf die sattsam bekannten Kreisschaubilder (Staat / Unternehmen / Private Haushalte / Ausland). Diese gruppieren sich um ein sinngebendes Zentrum, das natürlich soziale Marktwirtschaft heißt. Die vier "Wirtschaftssubjekte" werden in jeweils dreißig Stunden abgehandelt. Damit erhärtet sich der Verdacht, dass es beim Formalismus bleiben wird.
Weil das Fach Politik auf eine längere Tradition zurückblickt, fragen wir, wie es mit der Sozialkompetenz der Jungbürger bestellt ist. Dabei stellen wir fest, dass die Zahl der Nichtwähler ständig zunimmt. Und wir haben ein Problem, das manche nicht dramatisiert sehen wollen, das aber existiert: den Rechtsradikalismus. Den Bildungspolitikern fiel dazu noch nicht ein neues Fach ein, aber sie verordneten einzelne Unterrichtsveranstaltungen mit dem Thema "Rechtsradikalismus". Gleichzeitig wird das teilweise schon eingeführte Fach "Ethik" zum Hoffnungsträger.
Wir bezweifeln, dass ein Kerncurriculum der Konrad-Adenauer-Stiftung längerfristig die 250 000 überschuldeten Haushalte in der Bundesrepublik vermindern wird. Die Expertise von Piorkowsky für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in der Verarmungsgründe und Armutsprävention bei Privathaushalten analysiert werden, kommt zu einer Auffassung, die Arbeitslehre für pädagogisch adäquater hält als ein Fach Wirtschaft. (Piorkowsky 2000).
Man kann davon ausgehen, dass die Sozialwisssenschaften die grobschlächtigen Stratifikationsmodelle der Vergangenheit zu den Akten gelegt haben. Statt mit Unter-, Mittel- und Oberschicht haben wir es heute mit einem Pluralismus der Lebensstile zu tun. Für die Sozialwissenschaften ist dies eine Herausforderung, auf die auch mit differenzierteren Forschungsprogrammen geantwortet wird. Die Anschlussfähigkeit der Pädagogik wird davon abhängen, ob Lebensstile in der Schule gelernt werden können. Politische Partizipation, Arbeitsmarktorientierung, Konsumpräferenzen, ökologische Verantwortung, Technikverständnis und Gesundheit sind wesentliche Elemente eines Lebensstils. Sie sollten in ihrer Interdependenz für Schüler erkennbar u n d erprobbar werden. Eine Rücknahme der Verfächerung wäre die Konsequenz aus der geforderten Problemorientierung des Lernen. Probleme hören bekanntlich an Fächergrenzen nicht auf. Ein mit der Arbeitslehre abgestimmter Unterricht im Fach Politik könnte höchst effektiv sein, die Inthronisierung eines Faches Wirtschaft ist der Schritt in die falsche Richtung.
Fauser, P.; Fintelmann,K.-J.; Flitner, A. (Hg) (1983): Lernen mit Kopf und Hand, Weinheim.
Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation, Opladen
Hurrelmann, Klaus (1988): Schulische "Lernarbeit" im Jugendalter, in: Zeitschrift für Pädagogik, 6/88, S. 763f.
Konrad-Adenauer-Stiftung u.a. (Hg.) (2000): [30] Soziale Marktwirtschaft stärken - Kerncurriculum ökonomische Bildung , Sankt Augustin
Piorkowsky, Michael-B. (2000): [31] Verarmungsgründe und Armutsprävention bei Privathaushalten Univ. Bonn
Ropohl, Günter (1997): Plädoyer für eine integrierte Arbeits- und Techniklehre, in: Arbeit und Technik in der Schule Heft 9
Voelmy, Willi (1969): Polytechnischer Unterricht in der zehnklassigen allgemein bildenden polytechnischen Oberschule in der DDR seit 1964, Frankfurt am Main
Das Fach Wirtschaft oder Wirtschaftslehre steht seit Jahrzehnten sozusagen ante portas der Schulstuben. In einigen Fällen gelang ihm auch der Schritt über die Schwelle. Neuerdings ist der Terminus "ökonomische Bildung" als Fachbezeichnung verbreitet (so als sei ein Schulfach schon identisch mit Bildung). Die Auflistung derjenigen Bundesländer, Schularten und Klassenstufen, wo das Fach Eingang fand und wo es ausgesperrt, blieb ist in unserem Zusammenhang von nachgeordneter Bedeutung. Vielfach gelang es nicht, ein autonomes Fach zu implementieren und die Wirtschaftslehre ist Bestandteil der politischen Bildung, der Sozialkunde oder rudimentär des Faches Erdkunde. Damit sind natürlich die Fachvertreter, in erster Linie die Hochschullehrer in Lehramtsstudiengängen, nicht zufrieden. Von den drei Partikularfächern Haushalt, Technik und Wirtschaft hätte letzteres, so dürfen wir vorsichtig spekulieren, die größte Chance, in die Stundentafel der allgemeinbildenden Schule aufgenommen zu werden, wenn dort nicht bereits Gedränge herrschte. Ein solcher Bonus kommt nicht von ungefähr: Wirtschaftslehre hat nicht das diffuse Image der Mädchenbildung, welches das Fach Haushalt belastet, und es kostet nicht soviel wie das ausstattungsintensive Fach Technik. Zweitens hat Wirtschaftslehre eine relativ einflußreiche Lobby in Gestalt der Arbeitsgemeinschaften "Schule-Wirtschaft". Ob die "Vereinigung junger Unternehmer" oder andere Honoratioren des öffentlichen Lebens, sie sind sich einig, daß die jungen Menschen wirtschaftlich alphabetisiert werden müßten. Wie das zu geschehen habe, können viele nicht genau sagen, gefordert wird es allemal.
Wir fragen also zunächst nach dem Objekt der Lehre. Bei Lehrbuchweisheiten, denen zufolge Wirtschaft die Gesamthe). Dem Begriff Wirtschaft fehlt das real existierende Substrat, das bei der Technik die Artefakte sind, beim Haushalt die zumindest empirisch vorweisbaren Aktionseinheiten. Was aber ist Wirtschaft? Selbst wenn die oberste Modellebene verlassen wird, um die "Weltwirtschaft", die "Europäische Wirtschaft", die "Nationalökonomie", die "Betriebswirtschaft", die "Marktwirtschaft" usw. zu beschreiben, sind wir auf Modellkonstruktionen angewiesen.
Man muß immer wieder auf eine sehr triviale Erkenntnis verweisen: Schüler der Sekundarstufe I verbinden häufig mit "Wirtschaft" den Ort, wo der Vater am Samstagabend hingeht und mit "Markt" den Wochenmarkt oder den Supermarkt, je nach Konsumentengewohnheit. Gewiß, Schule muß immer mit vorwissenschaftlichen, oft naiven [/S. 182:] Deutungsmustern der Jugendlichen rechnen, die es fortzuentwickeln gilt. Bei der Wirtschaftslehre allerdings hat man den Eindruck, daß die Schüler in eine virtuelle Welt geführt werden, wo alles Sinn zu haben scheint, selbst die Paradoxien.
GERDSMEIER [32], der sich sehr differenziert zur schulischen Wirtschaftslehre äußert, bemerkt:
"...hat das Unbehagen vieler Ökonomen am 'Modellplatonismus der Ökonomie' - also an der Bescit aller Maßnahmen ist, um unter Knappheitsbedingungen die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, zögern wir schon. Uns fallen nämlich die Absatzschwierigkeiten ein, die die anbietende Wirtschaft hat und wir denken an die raffinierten Strategien, die zunehmend verfeinert werden, um dem Konsumenten Bedürfnisse zu oktroyieren. Verfechter eines Schulfaches Wirtschaft könnten wir damit nicht beeindrucken. Die Abweichungen von der reinen Lehre würden als besonders fruchtbares Moment im Bildungsprozeß definiert. Außerdem würden wir belehrt, daß Bedürfnisse nichts Statisches seien und Wirtschaft auch dazu da sei, Bedürfnisse zu stimulieren.
Erfreulicherweise gibt es in den Reihen der schulnahe denkenden Ökonomen und der Fachdidaktiker auch Stimmen, die Probleme mit dem Objektbereich einer schulischen Wirtschaftslehre haben. Die meisten berufen sich auf die schon klassische Kritik von
H. ALBERT am Modellplatonismus der Wirtschaftswissenschaften (ALBERT 1967 [32] häftigung mit Modellen, die aus prinzipiellen Gründen nichts über die Wirklichkeit aussagen können und deshalb weder wahr noch falsch, sonder gehaltlos sind und bleiben - bereits vor Jahren zu einer verstärkten 'Problemorientierung' in Forschung und Lehre geführt. Anstelle der alles dominierenden Fragestellung der Gleichgewichtsökonomik wurden Fragen der gesellschaftlichen Organisation wirtschaftlicher Prozesse, wirtschaftlicher Instabilitäten, der Einkommens- und Vermögensverteilung, globaler Armut, wirtschaftlicher Macht usw. zu leitenden und strukturierenden Kriterien. Diesen Fragen ist gemeinsam, daß mit ihnen nicht allein einem theoretischen Erkenntnisinteresse gefolgt wird, sonder i.d.R. außerökonomische Werte ausdrücklich in den Forschungsprozeß einbezogen werden."
(GERDSMEIER 1980 [32], S. 85, Hervorhebung: G.R.)
Ganz in diesem Sinne äußert sich auch LACKMANN 1996 [32] (auf dessen "Ökologisierung der Ökonomie" kommen wir noch zurück). Die von GERDSMEIER genannten außerökonomischen Werte, sind allesamt Bestandteil jedes modernen Lehrplans für Politik/Sozialkunde. Es wäre verfrüht, das Schulfach Wirtschaftslehre als überflüssigen Separatismus im Kontext der Diskussion über politische Bildung zu bezeichnen. Wir werden noch weitere Argumente sammeln müssen.
GERDSMEIER und auch LACKMANN [33] nennen drei Typen von wirtschaftsdidaktischen Konzepten, die heute unterscheidbar sind, wobei von Grenzfällen einmal abgesehen werden soll.
KAMINSKI [34] gehört zu denjenigen Autoren, die konsequent von "ökonomischer Bildung" sprechen, weil sie der Arbeitslehre sehr kritisch gegenüberstehen, mit Rücksicht auf die landeseigene Konzeption jedoch keine Wirtschaftslehre pur proklamieren können. In einer zweiteiligen Veröffentlichung hat KAMINSKI es neuerlich unternommen, den "Gegenstandsbereich der ökonomischen Bildung" zu definieren. (KAMINSKI 1994 [32]). Zunächst wird eingeräumt, daß der ökonomischen Bildung (wir sprechen der Kürze halber von Wirtschaftslehre) keine universitäre Disziplin eindeutig zuzuordnen sei. Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre würden nur "strukturelle Orientierungshilfen" für die inhaltliche Profilbildung des Schulfaches liefern. KAMINSKI bedauert dies ausdrücklich, denn er befürchtet eine "Anbindungsoffenheit" gegenüber anderen Fächern, also die Gefahr, Wirtschaftslehre könne bei der Arbeitslehre oder bei der Sozialkunde landen. Eine Grundfrage an unser Bildungswesen, namentlich an die allgemeinbildende Schule, lautet: soll die Verfächerung zurückgenommen oder weitergetrieben werden? Die Antwort wird hier präjudiziert. Es wird gar nicht ernsthaft erwogen, das Konstrukt "Ökonomie" aufzulösen in einen Machtaspekt und eine Sozialbindung (des Eigentums) - beides gut aufgehoben bei der politischen Bildung - und in einen ökologisch-warenkundlichen Aspekt, subsumiert unter den Gedanken der Verbraucheraufklärung, dem die Arbeitslehre gar nicht ausweichen kann.
Für KAMINSKI ist klar, daß es eines eigenen Schulfaches Wirtschaft bedarf. Man stutzt allerdings über Feinheiten der Argumentation:
"Die Vermittlung ökonomischer Grundkenntnisse muß in Zukunft vor allem im Gymnasium mehr Bedeutung bekommen, zumal die meisten Gymnasiasten bisher in ihrer Schulzeit keine Gelegenheit haben, sich solide mit wirtschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen. Einzelne Kurse im Fach Sozialkunde/Gemeinschaftskunde leisten keine grundlegende Abhilfe. Auch der Geographie-Unterricht, der sich u.a. mit der räumlichen Komponente des Wirtschaftens befaßt, kann keine Kriterien liefern, wirtschaftliche Prozesse theoriengeleitet verstehbar zu machen."
(KAMINSKI a.a.O. [32], S.10)
KAMINSKIs Vorliebe für das Gymnasium resultiert aus dem ungeliebten Kooperationszwang der Wirtschaftslehre mit der Arbeitslehre, namentlich in Niedersachsen. Die Distanziertheit des Gymnasiums zur Arbeitslehre böte die Chance dort eine arbeitslehrefreie ökonomische Bildung zu installieren. Immerhin könnte man meinen, daß eher Hauptschüler wegen der prognostizierbaren wirtschaftlichen Mangelsituation ihres künftigen Lebens der ökonomischen Bildung bedürfen.
Welche Gegenstandsbereiche der Wirtschaftslehre bietet uns der Autor an? Er beginnt mit einer Aussage, die in höchstem Maße erklärungsbedürftig ist: Wirtschaftliche Tätigkeit stelle eine Universale dar und sei gewissermaßen im Leben aller Menschen eine Konstante. Wenn wir jetzt erführen, welches die wirtschaftlichen Tätigkeiten eines Arbeitnehmerhaushalts der unteren Einkommensgruppe sind, wären wir dankbar. Diese soziale Gruppierung ist bekanntlich im Wachstum begriffen. Bezeichnend für sie ist, daß das Einkommen nur als Grenzfall der unmittelbaren Bedarfsdeckung gelten kann, daß Ersparnisse nicht vorhanden sind, ja, daß häufig eine gewisse Schuldenlast zu tragen ist. Auf die wirtschaftliche Mitbestimmung im Betrieb soll das Schulfach Wirtschaft vorbereiten. Abgesehen davon, daß diese nur ein Segment der betrieblichen Mitbestimmung darstellt, werden Betriebsräte nur in seltenen Fällen auf ihr Schulwissen rekurrieren, sondern die gewerkschaftliche [/S. 184:] Argumentationslinie sich zu eigen machen. Die Lobby des Schulfaches Wirtschaft wird nicht müde, das Fach als Grundlage für eine wie immer geartete wirtschaftspolitische Partizipation anzupreisen. Jeder Wahlberechtigte mag sich fragen, wie er die Relation zwischen Ökonomiekenntnissen und Einflußmöglichkeiten einschätzt. Die wirtschaftspolitischen Mainstreams der Parteien sind bekannt. Gleichwohl dürfte die Wahloption aller diplomierten Volkswirte genau so streuen, wie die von Bäckern. Dies hat eine einfache Erklärung: Nicht Fachwissen steht zur Wahl sonder allgemeine Absichtserklärungen. Aber selbst wenn sich wirtschaftspolitische Entscheidungen konkretisieren, gibt es konkurrierende fachwissenschaftliche Beurteilungen, wie es die oft konträren Gutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Institute zeigen.
Die dann folgende Aufzählung von "wirtschaftlichen Einflüssen", denen die Jugend ausgesetzt ist, darf man schon als Ritual bezeichnen. Die Jugend sieht sich mit Werbung konfrontiert, mit Wirtschaftsnachrichten in den Medien, mit Verbraucheraufklärungskampagnen, ökologischen Bedrohungen, die einen ökonomischen Hintergrund haben. Dies alles können die Jugendlichen nicht einordnen, wenn sie keinen Unterricht in Wirtschaftslehre hatten. Eine solche Aufzählung ist nicht neu, man kann auch aus ihr den Schluß ziehen, daß die Vermittlung von Strukturwissen, insbesondere der Erwerb einer wirtschaftstheoretischen Begrifflichkeit, das Verständnis zu verbessern vermag. Nicht zu verwechseln ist diese Zielebene jedoch mit Handlungsfähigkeit. Strukturwissen ist - wie so oft - eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für die Gestaltung der realen Welt.
KAMINSKI [34] wartet aber mit noch eindrucksvolleren Fakten auf: Die internationalen Finanzströme wachsen dem Volumen nach und berühren auch die Privathaushalte. Nationalstaaten werden auf Gedeih und Verderb voneinander abhängig; die Industrieländer gefährden mit ihrem Wachstum die armen Länder; Wirtschaftskreisläufe sind so global, daß ein nationaler Bankrotteur andere Staaten mit hineinreißt; die staatsfreien Räume (der Meeresboden, die Antarktis, der Weltraum) werden wirtschaftlich zum Zankapfel; die weltweite Arbeitskräftewanderung entleert die Herkunftsländer und schafft Zündstoff in den Aufnahmeländern. Das beeindruckt, entmutigt uns aber noch mehr, wenn wir an die Handlungsmöglichkeiten des Schülers denken. Und es sagt noch nichts über den angekündigten Gegenstandsbereich der Wirtschaftslehre aus.
Dieser wird uns nun - ein bißchen enttäuschend - angeboten. Nach den angerissenen Weltproblemen wird KAMINSKI wieder nationalstaatlich.
"Dies führt zur weiteren These, daß generell die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eines Landes den Ornungsrahmen für Arbeits- und Lebenssituationen der Bürger und für die Koordinierung der wirtschaftlichen Aktivitäten einer Volkswirtschaft bildet. Wenn also die allgemeinbildende Schule auf die Bewältigung von gegenwärtigen und zukünftigen Lebenssituationen, auf die Teilhabe am kulturellen, sozialen, ökonomischen, politischen Prozessen, vorbereiten soll, dann muß auch die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung als der Ordnungsrahmen und als das Handlungsfeld gewählt werden, mit dem sich Kinder und Jugendliche in der allgemeinbildenden Schule auseinanderzusetzen haben."
(KAMINSKI a.a.O. [32], S.11)
Das nachfolgend wiedergegebene Analyseschema sollen die Schüler in irgend einer Weise füllen (es bleibt die Frage offen, für wie viele Volkswirtschaften dies zumutbar ist). Ergänzt wird es durch den nicht eben originellen Vorschlag, daß eine Funktionsfolie über das Strukturschema zu legen sei, die die Kreislaufbeziehungen der Aggregate: Haushalte, Unternehmen und Staat zum Gegenstand hat. Wenn das kein Modelldenken in seiner rigidesten Form ist! [/S. 185:]
Noch immer ist der "Gegenstand der ökonomischen Bildung" kein Gegenstand sondern eine metasprachliche Kommunikation. Wie wir noch im Laufe unserer Betrachtungen sehen werden, ist das Schulfach Wirtschaft überwiegend das mühsame explizieren von Begriffen mit Hilfe von Begriffen.
[hier (S. 185) steht im Original ein ordnungspolitisches Analyseschema von Hans Kaminski (Der Gegenstandsbereich der ökonomischen Bildung, in: arbeiten+lernen/Wirtschaft, H. 14/1994 (Teil I) u. 15/1994 (Teil II)) mit einer Übersicht über Ordnungselemente, Ordnungsformen und ihre Kombination zur Wirtschaftsordnungen; Anm. der sowi-online-Redaktion]
WEINBRENNER [35] hat schon in einer viel früheren Veröffentlichung (WEINBRENNER 1983 [32]) das Thema "Wirtschaftsordnung" als didaktische Zielkategorie überzeugender diskutiert.
"Eine Bedingungsanalyse, die die anthropogenen und soziokulturellen Lernvoraussetzungen der Schüler zu klären hat, muß zunächst von dem Befund ausgehen, daß Jugendliche sich unter den Begriffen Markt, Marktwirtschaft und Wirtschaftsordnung nur wenig oder gar nichts vorstellen können. Es handelt sich bei diesen Begriffen um wissenschaftliche Konstrukte, die in der Alltagssprache der Jugendlichen nicht vorkommen und mit denen sie daher auch keine subjektiven Erfahrungen verbinden können."
(WEINBRENNER a.a.O. [32] S.2)
WEINBRENNER geht von der Überlegung aus, daß das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft mit Schülern auf drei Ebenen reflektiert werden müsse, und erst die Zusammenschau eine Urteilsfähigkeit ermöglicht. [/S. 186:]
Unschwer erkennen wir, daß aus einer solchen mehrdimensionalen Betrachtungsweise, WEINBRENNER spricht von der Metaebene, Problembewußtsein und Urteilsfähigkeit erwachsen können. Was die Handlungsfähigkeit angeht, sind wir weiterhin skeptisch. Die drei Ebenen sind nun aber keineswegs die selbstverständliche Domäne des Lehrers für Wirtschaft. Die normative Ebene müßte jeder Lehrer des Faches Politik übersehen. Die empirische Ebene verlangt soziologische Kenntnisse, insbesondere solche über Indikatoren der sozialen Lage der Bevölkerung.
Im übrigen ist der Beitrag eines gut ausgebildeten Geographie-Lehrers zur ökonomischen Bildung nicht so marginal wie uns KAMINSKI glauben machen will. Zu Bodenschätzen, Klima, Infrastruktur, Industriestandort-Lehre u.a. kann sich ein Geographie-Lehrer kompetent äußern. Nebenbei bemerkt: in Österreich ist an allgemeinbildenden Schulen "Wirtschaft" Bestandteil des Geographieunterrichts.
KAMINSKI [34] gibt sich nun allerdings mit der Strukturskizze "Wirtschaftsordnung" und dem darin gespiegelten Kreislaufschema (Austauschbeziehungen zwischen Haushalten, Unternehmen und Staat) nicht zufrieden. Offensichtlich ist ihm der Modellcharakter zu offenkundig und er führt zusätzlich sogenannte "Stoffkategorien" ein. Diese von MAY schon 1977 vorgeschlagenen Stoffkategorien stellen das Rohmaterial dar, an dem sich eine Wirtschaftslehre zu orientieren hätte. Wir geben die 33-Felder-Matrix verkürzt wieder. [/S. 187:]
Wirtschaftliches Handeln ist angeblich:
| Die Akteure in diesem Handlungsfeld sind
jene vertrauten "Wirtschaftssubjekte": Private Haushalte Unternehmen Staat |
Die elf Handlungsattribute werden mit den drei Wirtschaftssubjekten gekreuzt und in den entstehenden 33 Feldern finden sich die "Stoffkategorien" einer Wirtschaftslehre. Unsere Kritik an dem zunächst rein formalen Kategorienschema verweist auf die Unspezifität der Handlungsattribute. Mit Ausnahme der Gewinnorientierung, einer für kapitalistische Wirtschaftssysteme allerdings fundamentalen Handlungsmaxime, sind alle anderen Attribute Universalien menschlichen Handelns und keineswegs typisch für wirtschaftliches Handeln. Die Partizipation an der Kunst, am demokratischen Gemeinwesen, auch die sozialen Beziehungen in Partnerschaften unterliegen den genannten Kriterien. Unterzieht man den Kriteriensatz einer logischen Analyse, stellt man fest, daß es sich gar nicht um diskrete Handlungstypen handelt, sondern daß einige Handlungen nur Komplemente einer anderen sind: Knappheitsbedingt handeln wir nur, wenn (unendlicher) Bedürfnisdruck vorausgesetzt wird. Entscheidungszwang tritt nur auf, wenn die Handlungsfolgen risikobehaftet sind. Angesichts totaler Gewißheit besteht keine Entscheidungsnotwendigkeit. Arbeitsteilung, eine metaökonomische Konstante, schafft Interdependenz und Koordinationsbedarf. Ob Ungleichheit konfliktauslösend wirkt oder Konflikte in Ungleichheit einmünden, sei hier einmal dahingestellt. Die Kreislaufmetapher schließlich ist ein unzulängliches Erklärungsmodell für wirtschaftliches Handeln. Ihre Erklärungsschwäche besteht in der Annahme, die Wirtschaftssubjekte seien etwa gleich potent. Physikalisch gesprochen, müßte beispielsweise die Omnipotenz des Staates in einer zentralen Verwaltungswirtschaft infolge der Zentrifugalkräfte die Kreisbahn sprengen.
Die Hyperaggregate: Privathaushalte, Unternehmen, Staat, in der Sprache der Modellbauer auch "Wirtschaftssubjekte" genannt, nivellieren scheinbar die extremen Unterschiede im wirklichen Leben: Diese müssen hier nicht abermals nachgewiesen zu werden. Bei den Haushalten und bei den Unternehmen gibt es Unterschiede, die nur in Zehnerpotenzen ausgedrückt werden können und auch der Einfluß des Staates variiert weltweit zwischen "Bananenrepublik" und hochbürokratisiertem Versorgungsstaat.
Der formale Rahmen zur Bestimmung der sogenannten Stoffkategorien eines Schulfaches Wirtschaftslehre ist also über einen z.T. unstimmigen Begriffsrealismus nicht hinausgekommen. Wir betrachten aber dennoch einige der Inhalte jener 33 Matrixfelder. [/S. 188:]
Feldinhalt | Schnittbereich |
"Optimale Allokation der Ressourcen" "Konsumwahl, Berufswahl, Freizeitverhalten" "Wahlen, Gesetze zur Regulierung des Wirtschaftsgeschehens,(Hierarchie)" "Verflechtung zwischen Betrieben (Zulieferbetriebe)" | Schnittbereich: Unternehmen / knappheitsbedingt Schnittbereich: Haushalt / entscheidungsbestimmt Schnittbereich: Staat / koordinationsbedürftig Schnittbereich: Unternehmen / interdependent |
Die auf diese Weise ermittelten "Stoffkategorien" liegen allesamt auf der Ebene solcher Gemeinplätze. KAMINSKI präsentiert sie auch nicht als Schulcurriculum, sondern führt ein weiteres Selektionsinstrument ein. Er spricht von "Bildungskategorien", die nunmehr als Sonde jene Inhalte bestimmen, die der Lehrer schließlich zu lehren hätte. Acht solcher Bildungskategorien werden sinngemäß wiedergegeben:
(KAMINSKI, a.a.O. [32] Teil II, S. 4 ff)
Diese "Bildungskategorien" sind leider wenig hilfreich, wenn es um den entscheidenden Schritt geht, nun endlich das Versprechen einlösend, den Gegenstandsbereich der ökonomischen Bildung zu bestimmen. Die 33 Stoffkategorien sind doch expressis verbis als der Zusammenhang von wirtschaftlicher Realität vorgestellt worden. Jetzt muß noch einmal ihre Eignung für das Offenlegen von wirtschaftlichen Zusammenhängen nachgewiesen werden. Die über den Tag hinaus reichende Bedeutsamkeit (eines Stoffes) ist selten mit dem Aktualitätspostulat vereinbar. Die potentielle Betroffenheit der Schüler als bildungsbedeutsam zu deklarieren, ist als Auswahlkriterium unstrittig. Sie gibt aber unserem Verdacht neue Nahrung, daß in den Stoffszenarien Bestände lagern, die weder faktisch noch potentiell eine Betroffenheit der Schüler erzeugen. Schließlich findet das Auswahlkriterium: Eignung der Stoffe für das Erlernen von Verhaltensweisen in (wirtschaftlichen) Situationen unsere ungeteilte Zustimmung.
Leider erweitert KAMINSKI die 33-Felder-Matrix nicht zu einer dreidimensionalen mit dann 8 mal 33 = 264 Feldern. Hier würde sich zeigen, daß allein die beiden Kriterien: "Potentielle Betroffenheit" der Schüler und "handlungsanleitendes Potential" des Stoffes, zur Aussonderung der meisten "Stoffkonstrukte" führen müßte. [/S. 189:]
Seine Glaubwürdigkeit setzt KAMINSKI allerdings mit folgenden Ausführungen aufs Spiel. Unter Berufung auf PIAGET, GALPARIN, LEONTIJEW und AEBLI erinnert er an das Primat der Handlung für menschliche Erkenntnisprozesse. Hier findet er unsere ungeteilte Zustimmung. Kühn wirkt jedoch die Behauptung, das Fach Wirtschaft sei in besonderer Weise geeignet, "ganzheitliches Lernen" zu befördern.
"Die anthropologische Einsicht, daß konkretes Handeln eine unabdingbare Bedingung menschlicher Entwicklung ist, und Kopf, Herz und Hand, Denken und Handeln, körperliche, geistige und seelische Entwicklung zusammengehören, muß Konsequenzen auch für die Entwicklung eines Lernkonzeptes der ökonomischen Bildung haben. ........Auch für das Fach Wirtschaft lassen sich 'Lernwerkstätten' für ganzheitliche Lernprozesse entwickeln, die in besonderer Weise geeignet sind, theoretische und praktische Unterrichtsteile miteinander zu verknüpfen."
(KAMINSKI, a.a.O. [32] Teil II, S. 6)
Das Fach Wirtschaft, wo immer es Eingang in die allgemeinbildende Schule fand, ist ein unrühmliches Beispiel für einen Arbeitsbogen- und Frontalunterricht. Wir werden dem weiter hinten mit der Analyse von Unterrichtsbeispielen noch nachgehen. Simulationsverfahren sind das alles dominierende Muster der Wirtschaftslehre. Lernbüros und Warentests, um zwei der effektivsten methodischen Arrangements in der Arbeitslehre zu nennen, sucht man in den Wirtschaftslehre-Konzepten der Bundesländer vergeblich.
KAMINSKI beklagt, daß es bislang kein "Gesamtkonzept der ökonomischen Bildung für die Klassen 1 bis 13" gab. (!). Er macht sich anheischig, dieses in Ansätzen vorgelegt zu haben. Darüber hinaus unterstreicht der Autor immer wieder, wie notwendig es sei, auf Eltern, Lehrer, Parteien, Verbände und die Ministerialbürokratie einzuwirken, damit der ökonomische Bildung zum Durchbruch verholfen werde. (KAMINSKI, a.a.O. [32] und passim)
Die Arbeitslehre, von der wir meinen, daß sie die bessere Wirtschaftslehre sei, hat es bisher versäumt, sich gegen die außerordentlich hegemonialen Aktivitäten der Wirtschaftslehrevertreter zu wehren. Als Beleg für einschlägige PR-Arbeit mag folgender Hinweis dienen: Bereits in zweiter Auflage erschien das Buch von H. MAY: "Ökonomie für Pädagogen". Es handelt sich um eine sehr konventionelle Stoffsammlung, die eklektisch aus wissenschaftlichen Publikationen zusammengestellt wurde. Jedes Kapitel schließt mit "Kontrollfragen" ab, die reinen Reproduktionscharakter haben und nicht den Ansatz didaktischen Problembewußtseins erkennen lassen. (MAY 1994 [32]). Das Buch wurde dann von einem großen Wirtschaftsunternehmen als Geschenk an viele pädagogische Einrichtungen verteilt.
Als nächstes skizzieren wir den Ansatz einer sogenannten "ökonomischen Verhaltenstheorie", der uns vielleicht von der Ungewißheit erlösen kann, die sich nach dem Studium von Strukturmodellen und Bedürfnistheorien einstellte. Noch immer können wir nicht verbindlich sagen, was die Ziele einer Wirtschaftslehre sein sollen. KROL [36], dessen Arbeiten hier schon deshalb auf Interesse stoßen, weil sie alle wirtschaftlichen Prozesse auf das Handeln von Individuen zurückführen, fragt nach der Beeinflußbarkeit des Handelns, mithin eine genuin pädagogische Fragestellung. (KROL 1995 [32])
"Zentraler Bestandteil eines solchen Bezugsrahmens muß eine empirisch gehaltvolle Theorie sein, die nicht nur tragfähige Erklärungen für sozial, wirtschaftlich, ökologisch etc. problematische Verhaltensmuster , sondern auch empirisch gehaltvolle Aussagen über gangbare oder erfolgversprechende Wege zur Veränderung der Verhaltensmuster zu liefern vermag. Hieran mangelt es gegenwärtig in den einschlägigen [/S. 190:] Bildungs- und Unterrichtskonzepten, in denen die Förderung der Einsicht in 'gesollte Zustände' mit der größtmöglichen Förderung ihrer Realisierung gleichgesetzt wird. Eben hierin liegt ein systematischer Irrtum."
(KROL a.a.O. [32], S.19, Hervorhebung: G.R.)
KROL subsumiert dem ökonomischen Verhalten eines Individuums dessen Handeln und Unterlassen, seine Urteilsbildungen und Entscheidungen. Letztere können bewußt und reflektiert ablaufen, aber auch Gewohnheitsverhalten, etwa täglich wiederkehrende Routineeinkäufe, rechnen dazu. Alle diese Verhaltensphänomene erklären sich aus Präferenzen die das Individuum hat. Präferenzen müssen aber stets an Restriktionen gespiegelt werden, die nicht hintergehbar sind. Weil die Entstehung von Präferenzen schwer rekonstruierbar ist und letztlich etwas mit individueller Freiheit zu tun hat, konzentriert sich die ökonomische Verhaltenstheorie vorrangig auf die Untersuchung der Restriktionen. Zu diesen rechnen das verfügbare Einkommen, der Zeitaufwand für Informationsbeschaffung, die physisch/ psychische Belastbarkeit, Gesetze und Verordnungen, Normen und Werte.
Das Spektrum von Präferenzen eines wirtschaftlich handelnden Subjekts hat eine Wurzel: den Eigennutz. KROL legt Wert auf die Feststellung, daß dieses Eigennutzaxiom zwar häufig zur moralischen Verurteilung ökonomischen Verhaltens geführt hat, gleichwohl in dieser Pauschalisierung abzulehnen ist, denn Eigennutzverfolgung geht nicht zwangsläufig mit der Benachteiligung anderer Subjekte einher.
Präferenzen und Restriktionen führen dazu, daß sich Individuen ständig entscheiden müssen. Die Präferenz von 'A' schließt die Abwahl der Alternative 'B' ein. Damit entstehen aber sogenannte Opportunitätskosten, eigentlich nicht erzielte "Gewinne". Ein Jugendlicher, der sich für schnelles Geldverdienen nach der Schule entscheidet, verzichtet auf eine längere Ausbildung und vermutlich auf ein insgesamt höheres Lebenseinkommen. Ein Verbraucher, der dem verbraucherpolitischen Imperativ folgend, eigentlich vor jede Kaufentscheidung gründliche Such- und Informationsprozesse schalten müßte, verzichtet darauf, weil ihm die Restriktionen in Form des Zeit- und Kraftaufwandes zu hoch erscheinen. Für KROL sind besonders Verbraucher- und Umwelterziehung typische Felder, auf denen das Ziel der Verhaltensänderung systematisch verfehlt wird. Der pädagogische Ansatz versucht vorrangig die Präferenzen zu ändern, was oft über moralische Einflußnahme geschieht.
Ziel einer ökonomischen Bildung wäre es, das Wissen um Restriktionen zu erweitern, weniger, Einfluß auf die Präferenzen nehmen zu wollen.
Die fast ungeteilte Akzeptanz sozialer Normen im Bereich des Umweltschutzes verleitet zu dem Irrtum, die Individuen handelten tatsächlich auch umweltverträglich. Die Präferenz für eine soziale Norm kann deutlich ausgeprägt sein, ja, sie ist im Falle des Umweltschutzes auch ausgesprochen rational, denn wenn sich alle umweltverträglich verhalten, profitiere ich davon. Wenn ich mich jedoch umweltverträglich verhalte, nehme ich u.U. deutliche Restriktionen in Kauf, etwa erhöhte Kosten, Arbeitsaufwand und Verlust an Bequemlichkeit. Dies führt in sehr vielen Fällen zu einer Präferenzwahl, die inkompatibel mit der Präferenz für eine soziale Norm "Umweltschutz" ist. Die genaue Analyse möglichst aller Restriktionen, auch solcher, die der ökonomisch Handelnde im Moment nicht übersieht, ist Aufgabe einer ökonomischen Verhaltenstheorie. Aber auch die Frage nach der Überwindung von Restriktionen ist bedeutsam, ob es möglich ist institutionelle, technische, organisatorische Verbesserungen durchzusetzen, die es dann erleichtern, die gesollten Präferenzen auch zu wählen.
Die "ökonomische Verhaltenstheorie", die hier nur sehr grob skizziert werden konnte, läßt in der Tat Konturen eines jugendgemäßen Unterrichts aufscheinen. Ein systematischer [/S. 191:] Einwand bleibt jedoch bestehen: Diese Theorie ist nur sehr bedingt eine ökonomische. Zu viele allgemein anthropologische Parameter müssen eingeführt werden (Bequemlichkeit, Belastbarkeit, Freizeit). Die Biografie eines jeden Menschen ist die Abfolge von Kontingenzpunkten, man hätte sich so oder anders entscheiden können. Damit eine Biografie entsteht, muß man sich entscheiden. Ein solches kontingentes Denken würde allen Schulfächern zum Vorteil gereichen. Ein eigenes Fach Wirtschaftslehre läßt sich damit nicht legitimieren.
NEUMANN/DRÖGE [32] propagieren eine "arbeitsorientierte Wirtschaftslehre" Das Begriff "arbeitsorientierte Bildung" hat in jüngster Zeit Konjunktur (vergl.: DEDERING 1996 [32]). Zum einen handelt es sich um einen Reflex auf die immer noch dominierende philologische Bildung, zum anderen ist es der untaugliche Versuch, die Auflösung der Arbeitslehre-Idee zu verhindern, ohne die Partikularfächer mit dem ungeliebten Begriff Arbeitslehre zu verprellen.
NEUMANN/DRÖGE stellen zunächst klar, daß es bei ihrem Ansatz nicht um den Austausch der Kapitalorientierung durch eine Arbeitsorientierung ginge. Die klassischen volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen kennen bekanntlich die drei niemals gänzlich zu substituierenden Produktionsfaktoren: Arbeit, Kapital und Boden. Daß schulische Wirtschaftslehren dazu neigen, die Kapitalorientierung zu betonen, haben schon 1974 REETZ/WITT [32] in ihrer bekannten Schulbuchanalyse nachgewiesen. Der Terminus "Arbeitgeber" kommt signifikant häufiger vor als der des "Arbeitnehmers". Bemerkenswert ist die Tatsache, daß NEUMANN/DRÖGE ihr Wirtschaftslehrekonzept auf kaufmännische Berufsschulen hin entwerfen, also auf eine Schule, deren Klientel nach Meinung der Autoren bislang einen wirklich bildungswirksamen Unterricht entbehren mußte. Träfe diese Analyse zu, ist es nicht mehr verwunderlich, daß die allgemeinbildende Schule ohne ein stimmiges Theoriekonzept für Wirtschaftslehre auskommen muß.
"Gerade wenn es darum geht, die den Arbeitstätigkeiten zugrundeliegenden technischen, ökonomischen sozialen, ökologischen Bedingungen und Grundstrukturen zu erfassen, dann sind die dazu in der Wirtschaftslehre akkumulierten und tradierten Wissensbestände wenig geeignet. Dazu - das haben die Analysen gezeigt - fehlen der Wirtschaftslehre die übergreifenden Fragestellungen, die ökonomische, soziale und ökologische Sachverhalte miteinander verknüpfen. Und selbst im Ökonomischen stehen institutionenkundliche, synoptische und verfahrenstechnische Aspekte, aber auch thematische Verengungen so sehr im Vordergrund, daß damit keine aussichtsreichen kognitiven Muster für die Erklärung wirtschaftlicher Vorgänge und zur Interpretation der eigenen Arbeitsrolle zur Verfügung stehen."
(NEUMANN/DRÖGE 1996 [32], S. 460)
Wir können hier die arbeitsorientierte Wirtschaftslehre nach NEUMANN/DRÖGE nicht im einzelnen nachzeichnen. Für unsere Argumentation verdient es jedoch festgehalten zu werden, daß die Autoren einen Orientierungsrahmen vorschlagen, in dem in Anlehnung an die KRAPPMANNsche Rollentheorie (KRAPPMANN 1975 [32]) ein dreifaches Rollenhandeln erkenntnisleitend zu sein habe: Die Funktionsrolle im Betrieb, das heißt also technische und kommunikative Fähigkeiten erwerben, besitzen, modernisieren. Die Arbeitnehmerrolle, welche erlaubt, Interessenkonflikte auszuhalten, Solidarisierungschancen wahrzunehmen, betriebliche Strukturen zu durchschauen. Die Konsumentenrolle, die auch befähigt, Konsummuster zurückzuweisen, Konsumentenbeeinflussung zu durchschauen, Verbraucherrechte zu kennen.
Diese Trias findet sich in ähnlichen Formulierung in allen bisher veröffentlichten Arbeitslehrekonzepten. Es ist schon erstaunlich, daß das Nachdenken über die [/S. 192:] (professionelle) Unterweisung wirtschaftlich handelnder Individuen zu arbeitslehreähnlichen Vorschlägen führt.
Wenden wir uns nun dem "Paradigmawechsel" in der schulischen Wirtschaftslehre zu. Nach KUHN [37] führen paradigmainterne Anomalien eines alten Paradigmas zum Wechsel. Unter Paradigma soll die prinzipielle Übereinstimmung verstanden werden, die in einer Scientific Community herrscht, wenn es um allgemeine Theorien, Erklärungen und Hypothesen geht, ohne daß in Einzelfragen schon Konsens bestünde. Ein Paradigmawechsel zeigt Veränderungen in statu nascendi an, wobei eine gemeinsam geteilte Interpretation der Scientific Community noch aussteht. (KUHN 1976 [32])
LACKMANN [33] spricht von einer "alten Ökonomie" und einer "neuen Ökonomie". Das Ende der alten Ökonomie wird markiert durch das Menetekel einer unausweichlichen Katastrophe, wenn die ökologischen Grenzen ökonomischen Handelns nicht viel genauer bestimmt werden.
" Alles, was die Menschen der Industriegesellschaft heute tun, läßt die natürlichen und sozialen Netze ihres Zusammenwirkens vibrieren - wesentlich stärker als in früheren Gesellschaften, weitgehender und heftiger, als es sich die meisten Menschen vorstellen können oder verantworten möchten. Die Zeit der einfachen Normen, der vernachlässigten Nebenwirkungen und der weggekehrten Konfliktstoffe ist vorüber. Eine Berücksichtigung der ökologischen Dimension des ökonomischen Handelns aller Wirtschaftssubjekte tut Not."
(LACKMANN 1996 [32], S.38)
LACKMANN unterstreicht, daß "herkömmliches ökonomisches Denken" nicht darauf gerichtet ist, Aufwand und Ertrag möglichst objektiv zu vergleichen. Es geht vielmehr darum - und darin liegt der feine Unterschied -,dieses Verhältnis so günstig wie möglich zu gestalten. Dies führt zu den bekannten Effekten, daß wirtschaftlich Handelnde objektive "Kosten" auf Dritte abwälzen. Auf die Natur, indem diese verunreinigt und belastet wird, auf den Steuerzahler, in der Hoffnung, der Staat werde die schlimmsten Schäden mit öffentlichen Mitteln reparieren, auf den Konsumenten, der möglicherweise durch schadstoffbelastete Lebensmittel krank wird.
Die meisten wirtschaftlichen Entscheidungsträger (LACKMANN schließt die Konsumenten ausdrücklich ein) beruhigen ihr Gewissen mit der Hoffnung, der wissenschaftlich-technische Fortschritt werde für die in die Zukunft verschobenen Folgen des verantwortungslosen Handelns noch Lösungen finden. Eine solche Hoffnung dürfte tatsächlich unbegründet sein, wenn die auf Gewinn- bzw. Nutzenmaximierung fixierten Wirtschaftssubjekte nicht einen Paradigmawechsel vollziehen.
LACKMANN übernimmt das von BUDDENSIEK entwickelte Schaubild, das in prägnanter Form den Paradigmawechsel veranschaulicht. [/S. 193:]
[im Original folgt hier das Schaubild: "Vom ökonomischen Wachstums- zum ökologischen Begrenzungsparadigma", übernommen aus: Buddensiek, Wilfried (1988) [32]: Wende-Pädagogik. Auf der Suche nach einer ökologischen Umwelterziehung. Paderborn, vervielf. Manuskript, S. 32; abgedruckt in: Lackmann, Jürgen (1996): Das Lernfeld Arbeitslehre als fachdidaktisches Problem. Spezifika des Gegenstandsbereiches Wirtschaft (Weingartener Beiträge zur Arbeitslehre). Pädagogische Hochschule Weingarten, ISBN 3-924945-24-1. Bezug der Publikation von J. Lackmann über: PH Weingarten, Forschungsstelle für politisch-gesellschaftliche Erziehung und Arbeitslehre, Kirchplatz 2, 88250 Weingarten, http://www.ph-weingarten.de/homepage/hochschule/fakultaeten/institute/awt/publikationen.htm [38] ; Anm. der sowi-online-Redaktion]
Nun dürfte es nicht schwer sein, ökologische "Begrenzungsparadigmen", z.B. das Recyclingmodell, genauso als Modellplatonismus zu denunzieren wie die schon etwas abgenutzten Marktschemata der Wirtschaftslehre. Ein Recycling ad infinitum ist derzeit nicht vorstellbar. Jeder Aufbereitungszyklus wirkt nutzenmindernd. Die Abfallproblematik ist also nicht prinzipiell lösbar, wohl aber deutlich zu entschärfen. Die drei zentralen Ansätze einer ökonomischen Umorientierung haben unterschiedliche Realisierungschancen:
Nach unserer Einschätzung nimmt der utopische Charakter der drei Punkte von oben nach unten ab. Der erste Programmpunkt wird schon durch die Entwicklung der Weltbevölkerung auf längere Sicht verhindert. Der zweite Punkt kann empirisch mit Erfolgsnachweisen gestützt werden: ein Auto benötigt heutzutage etwa nur die Hälfte des Treibstoffes wie vor 20 Jahren. Die Zunahme der Motorisierung sorgt jedoch dafür, daß die Gesamttendenz erhalten bleibt, in einigen Fällen sich sogar verschärft. Was die Kreislaufprozesse in stoffwirtschaftlicher Hinsicht angeht, sind durchaus Erfolge zu verzeichnen. Eine Reihe von Einweg-Prozessen wurde auf zyklische Prozesse umgestellt, die gleichwohl finalen Zuschnitt haben.
Um nun die "Ökologisierung" einer schulischen Wirtschaftslehre nicht nur als Paradigmawechsel gewissermaßen zu verkünden, müssen wir fragen, ob halbwegs überzeugende Theorieansätze vorliegen. Schon auf den ersten Blick verstärkt sich der Eindruck, daß eine gesteigerte Umweltproblematik (diese wollen wir nicht mehr grundsätzlich in Zweifel ziehen) eigentlich alle Schulfächer betrifft. Skeptiker, die begründet einwenden, alle Erziehungsprogramme, die fächerübergreifend implementiert werden sollten, hatten keinen oder mäßigen Erfolg, fordern vielleicht deshalb eine stark ökologisch orientierte Wirtschaftslehre oder gehen so weit, Ökonomie durch Ökologie zu ersetzen.
LUHMANN hat versucht, auf die Frage: "Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?" (LUHMANN 1990 [32]) eine Anwort zu finden. Die Ausführungen des Systemtheoretikers sind erwartungsgemäß auf einem Abstraktionsniveau gehalten, das Schulpraktiker enttäuschen muß. Wir wollen dennoch versuchen, eine Transformation auf pädagogisches Handeln anzudeuten. Für Systemtheoretiker ist Gesellschaft als Ganzes nur beschreibbar als Kommunikationszusammenhang, der auf Sinngebung basiert. Für das Gesellschaftssystem ist Natur Umwelt. Und da sich Systeme allein über die Differenz System-Umwelt definieren, werden Mystifikationen oder pantheistische Vorstellungen von der Art, die menschliche Gesellschaft und die Natur seien eins, nicht ernsthaft diskutiert. Desgleichen wird die Hoffnung auf eine wie immer erneuerte oder diskursiv zu schaffende Moral der Gesellschaft skeptisch beurteilt. LUHMANNs Hauptthese besagt, daß die einzelnen Funktionssysteme der Gesellschaft, namentlich das Politische System, das Wirtschaftssystem, das Rechtssystem, das Erziehungssystem, das Wissenschaftssystem - um nur die wichtigsten zu nennen - mit Resonanz auf Störungen der Umwelt reagieren. Wobei gesehen werden muß, daß für alle Systeme die Natur Umwelt ist, die einzelnen Systeme aber füreinander ebenfalls Umwelt sind. Auf der Ebene der Funktionssysteme der Gesellschaft gilt das Gleiche, was für die Gesamtgesellschaft gilt: das Aufrechterhalten der Systemgrenzen entscheidet über die eigene Existenz. Ökologische Gefahren werden von diesen Systemen zunächst als Rauschen wahrgenommen, können dann jedoch Resonanz erzeugen, was in der Sprache der Systemtheorie nichts anderes bedeutet, als die Kommunikationsstrukturen zu verändern.
"Jedenfalls haben wir heute davon auszugehen, daß die Resonanz auf ökologische Gefährdungen im wesentlichen durch diese Funktionssysteme erzeugt wird und nicht, oder nur sekundär, eine Sache der Moral sein kann. Oder um es noch schärfer zu sagen: Funktionssysteme wie Politik oder Wirtschaft, Wissenschaft oder Recht werden bei hoher Eigendynamik und Empfindlichkeit durch Umweltprobleme [/S. 195:] gestört. Dies geschieht teils direkt, wenn etwa Ressourcen versiegen oder Katastrophen drohen; teils aber auch indirekt über gesellschaftlich vermittelte Interdependenzen, wenn etwa die Wirtschaft sich gezwungen sieht, auf Rechtsvorschriften zu reagieren, die die Politik dem Recht aufgezwungen hat, obwohl die Wirtschaft ohne diese Vorschriften nach ihren Eigenbegriffen bessere ökonomische Resultate erzielen würde."
(LUHMANN 1990 [32], S.97)
In unserem Zusammenhang ist es wichtig, daß wir kurz auf die systemtheoretische Analyse zweier Funktionssyteme der Gesellschaft eingehen: auf das Wirtschaftssystem und auf das Erziehungssystem. LUHMANN "entideologisiert" das Wirtschaftssystem indem er es auf seinen binären Code zurückführt, der da lautet Eigentum oder Nicht-Eigentum beziehungsweise in modernen Geldwirtschaften: zahlungsfähig oder -unfähig.
"Aufgrund ihrer monetären Zentralisierung ist die Wirtschaft heute ein streng geschlossenes, zirkuläres, selbstreferentiell konstituiertes System insofern, als sie Zahlungen vollzieht, die Zahlungsfähigkeit (also Gelderwerb) voraussetzen und Zahlungsfähigkeit schaffen. Geld ist insofern ein vollständig wirtschaftseigenes Medium: es kann weder als Input aus der Umwelt eingeführt noch an die Umwelt abgegeben werden; es vermittelt ausschließlich die systemeigenen Operationen."
(LUHMANN, a.a.O. [32], S.103)
Für LUHMANN liegt der Schlüssel des ökologischen Problems, soweit die Wirtschaft betroffen ist, bei den Preisen. Alles was in der Wirtschaft geschieht, wird durch den Preismechanismus gefiltert. Auf Störungen (z.B. ökologische Gefährdungen) kann das Wirtschaftssystem nicht reagieren, es sei denn durch Preisbildung. Darin beschlossen ist der Verzicht auf andere Möglichkeiten, etwa auf Erziehungsprogramme, die nicht letztlich als Kosten erscheinen. Wenn allerdings das Umweltproblem in Preisen ausgedrückt werden kann, muß es im Wirtschaftssystem bearbeitet werden. Mit dieser einfachen Strukturskizze wird immerhin deutlich, daß einer Ökologisierung der Ökonomie sehr enge Grenzen gesetzt sind.
Zum Erziehungssystem äußert sich LUHMANN in der bereits oben erwähnten Weise. Dessen systemstabilisierender Code lautet: Anforderungen erfüllt oder nicht erfüllt. Das immer mitlaufende Schema in allen Schulen und Hochschulen ist Selektionszwang. Die übrigen gesellschaftlichen Teilsysteme verlassen sich darauf. Die pädagogischen Programme können mehr oder weniger fortschrittlich sein, sie können großes ökologisches Engagement zeigen oder Formaldefinitionen bevorzugen (wie im Falle einer konventionellen Wirtschaftslehre), vom Selektionszwang werden sie nie suspendiert. Ungeachtet dieser Restriktionen sieht LUHMANN im Erziehungssystem relativ große Chancen für eine Stimulierung der gesellschaftlichen Kommunikation. Allerdings dürfen die Zeithorizonte nicht unterschätzt werden.
"Denn das Erziehungssystem wirkt unmittelbar nur auf eine besondere Umwelt des Gesellschaftssystems, nämlich die körperlichen und mentalen Befindlichkeiten von Menschen. Sollen davon Wirkungen im Gesellschaftssystem ausgehen, muß diese Umwelt wiederum auf die Gesellschaft zurückwirken, das heißt: kommunikativ angeschlossen werden können. Das Erziehungssystem bietet somit für eine Ausbreitung intensivierter ökologischer Kommunikation die vielleicht größten Chancen - unter der Voraussetzung, daß sich zwei Schwellen der Resonanz überwinden lassen: die des Erziehungssystems selbst und die aller anderen Funktionssysteme der Gesellschaft, in die über Erziehung neue Einstellungen, Werthaltungen und Problemsensibilitäten eingeführt werden sollen."
LUHMANN a.a.O. [32], S. 200) [/S. 196:]
Wir können diese Einschätzung nur bestätigen. Auf den ersten Blick scheint die Resonanz des Erziehungssystems auf ökologische Gefährdungen sehr stark zu sein. Jüngere Lehrer an Gesamtschulen dürfen aber nicht als pars pro toto herhalten. Das Erziehungssystem besteht auch (zunehmend) aus älteren Lehrern, aus Seminarleitern, Schulräten, leistungeinfordernden Eltern und eben aus auf Lehrbuchökonomie fixierten Fachvertretern. Deshalb ist es gar nicht so einfach, die Resonanz des Erziehungssystems als Ganzes richtig einzuschätzen. Sehr viel höher dürfte die andere Schwelle angelegt sein, denn nach dem Übergang vom Erziehungssystem in die anderen Teilsysteme der Gesellschaft müssen Jugendliche, resp. junge Erwachsene oft schmerzlich die Grenzen ihrer Kommunikationsabsichten erfahren.
Im Anschluß an LUHMANN hat KAHLERT die umweltpädagogische Literatur genauer analysiert. (KAHLERT 1991 [32]). Er konstatiert erhebliche "Theoriedefizite" in dieser Kommunikation, so daß der angekündigte Paradigmawechsel noch keineswegs als vollzogen gelten kann, ja, daß es möglicherweise verfrüht ist, von einem solchen zu sprechen.
Für KAHLERT ist die umweltpädagogische Diskussion noch immer weitgehend bestimmt durch eine Differenz zwischen der "guten Gesinnung" der Umweltpädagogen einerseits und der Fehlleitung der Menschen bzw. der Gesellschaft. Leider sind Aussagen über die Gesellschaft genauso wenig erkenntnisfördernd wie die Einführung eines Kollektivsubjekts: die Menschen gelten bei vielen Autoren der umweltpädagogischen Literatur als anthropozentrisch verblendet, sie beuteten rücksichtslos die Natur aus, orientierten sich einzig am Eigennutzen. Wer so redet, läßt außer acht, daß die Menschen unterschiedliche Informationsstände und intellektuelle Verarbeitungskapazitäten haben, sehr verschieden am gesellschaftlichen Reichtum partizipieren, mit mehr oder weniger Einfluß ausgestattet sind, und - wie KAHLERT bemerkt - damit auch die Möglichkeiten sehr weit streuen, anders als gewohnt zu konsumieren, zu fahren und zu heizen. (KAHLERT,a.a.O. [32] S.107)
Anstatt den Jugendlichen ein schlichtes Panorama von umweltbesorgten und umweltkriminellen Handlungen zu zeichnen oder - was oft damit einhergeht - eine schon am Abgrund stehende Gegenwart mit einer gerade noch erreichbaren besseren Zukunft zu konfrontieren, müßte das mühsame Geschäft der Ursachenanalyse und Interdependenzaufdeckung betrieben werden. Den Umweltpädagogen wirft KAHLERT vor, wer nicht Grenzwerte für die Luftreinhaltung unter den Bedingungen des internationalen Wettbewerbs durchsetzen muß, kann laufend Umweltfeinde in Politik und Wirtschaft entlarven; der kann auch Entsagungen predigen, wenn er, wie die meisten Pädagogen, in der gesellschaftlichen Privilegienverteilung einen ordentlichen Mittelplatz eingenommen hat und für die Wohlfahrtseinbußen der anderen nicht geradestehen muß.
"Mit seiner Schematisierung der Wirklichkeitswahrnehmung nach dem Muster von schlechter Gegenwart und gut zu gestaltender Zukunft sowie mit der emotionalen Beladung dieser Wahrnehmung durch Gegenwartsangst und Zukunftshoffnung füllt der pädagogische Fundamentalismus die Rolle einer säkularisierten Religion aus: Der Fundamentalismus konstituiert eine Gesinnungsgemeinschaft, die auf dem Glauben an ihre Voraussetzungen beruht: Wer nicht daran zweifelt, daß mit 'dem Menschen' und von 'der Gesellschaft' Erkenntnis produziert werden kann, und wer bereit ist zu glauben, daß über das jeweilige Erziehungsprogramm die Zukunft besser wird, der findet in dieser Gesinnungsgemeinschaft Gewißheit und Orientierung in einer vom einzelnen nicht mehr überschaubaren Welt."
(KAHLERT, a.a.O. [32] S.115) [/S. 197:]
Für uns kristallisiert sich die Frage heraus, ob ein Paradigmawechsel vom Schulfach Ökonomie zur Ökologie oder auch nur eine Ökologisierung der Wirtschaftslehre Perspektiven bietet. Umweltpädagogische Analysen könnten den Schluß nahelegen, daß eine Ideologie durch die andere ersetzt werden soll. Wenn bis vor wenigen Jahren die Ökonomie den Schülern als die zwar störanfällige letztlich aber lebenserhaltende Kraft vorgestellt wurde, empfiehlt sich jetzt die Ökologie als der Königsweg aus einem unter anderem ökonomisch verursachten Dilemma.
Unstrittig scheint aber zu sein, daß Umwelterziehung Not tut. Auch KAHLERT bestreitet dies nicht. Eine solche Umwelterziehung muß aber bei den hochkomplexen Abhängigkeitsverhältnisse in gesellschaftlichen Teilsystemen und zwischen diesen ansetzen. Reichweite und Unsicherheit von Prognosen, die Fehlbarkeit von Risikoeinschätzungen, Machtverteilung und unterschiedliche Betroffenheit durch Folgen, das Offenlegen von Sachwissen und Werturteilen, diese und viele andere Reaktionsweisen der gesellschaftlichen Teilsysteme auf Umweltprobleme müssen in der Schule thematisiert werden. Ein Schulfach wäre damit überfordert! Aber nicht nur die Abkehr von allen monokausalen Erklärungsmodellen ist notwendig, es gilt auch, sich zu erinnern, daß es nicht ausreicht, Katastrophen an die Wand zu malen. Wer dies tut, ohne konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, der muß mit Angst, Verzweiflung oder Wut beim Schüler rechnen. Handlungsmöglichkeiten, sofern sie diese Bezeichnung verdienen, sind aber nicht in allen Schulfächern gleichermaßen angelegt. Was Umwelterziehung angeht, sind die Naturwissenschaften, die Fächer Technik und Haushalt bzw. Arbeitslehre, ferner Politik und Geographie prädestiniert.
Die nebulösen Ziele einer schulischen Wirtschaftslehre schienen zunächst durch die "ökologische Wende" an Konturen zu gewinnen. Dies erweist sich bei genauerem Hinsehen als unsicher. Die ökologischen Gefährdungen einer Gesellschaft erzeugen in den gesellschaftlichen Teilsystemen Resonanz. Im Bildungssystem ist diese Resonanz zweifellos registrierbar, was aber nichts über die "Güte" der Resonanz aussagt. Offenbar handelt es sich um eine Wellenlänge, die sehr stark von der vermeintlich rechten Gesinnung angeregt ist. Die Frage bleibt weiterhin offen, wie Jugendliche am besten auf die Probleme einer sich durch Arbeit reproduzierenden Gesellschaft vorbereitet werden können. [/S. 198:]
Wirtschaftslehre soll - dies war auch eine Forderung KAMINSKI [34] s - aktuell sein. Müßte man heute aktuelle Wirtschaftsfragen benennen, käme einem sofort die Europäische Währungsunion in den Sinn. Für viele Bürger ist die Vorstellung, in naher Zukunft kein deutsches Geld mehr in der Hand zu haben, statt dessen einen "Euro", mit gemischten Gefühlen verbunden. BÖNKOST [39] geht sogar soweit, das Funktionieren der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion von der ökonomischen Bildung der Europäer abhängig zu machen. (BÖNKOST 1996 [32]). Anfang der 60er Jahre führte SCHMIDTCHEN eine Untersuchung in der Bundesrepublik durch, die den Kenntnisstand der Bürger in Wirtschaftsfragen ermitteln sollte. Ein Ergebnis war, daß fast 90 Prozent der Befragten den Begriff Marktwirtschaft falsch oder unbefriedigend definierten. Dieselben Bürger hatten gerade das sogenannte Wirtschaftswunder vollbracht. (SCHMIDTCHEN 1965 [32])
Eine solche Randnotiz will keineswegs die These vorbereiten, daß nur "wirtschaftlich unverbildete" Bürger ökonomisch erfolgreich sein können. Offenbar gibt es aber außerökonomische Bestimmungsstücke, die Prosperität bzw. Konjunkturperioden erklären können. Die Nachkriegsgeneration etwa hatte eine hohe Arbeitsmoral, war gleichzeitig genügsam und sparwillig. Da konnte selbst ein mangelhafter Kenntnisstand über Marktmechanismen das Anlaufen eines Wirtschaftswunders nicht verhindern. Nachdem der Investitionsgüter-Sektor florierte, folgte auch eine Zunahme der Konsumlust.
Man fragt sich, ob eine kognitive Verarbeitung der recht komplizierten Probleme der europäischen Währungsunion eine Voraussetzung für ihr Gelingen ist. Wenn alle Wirtschaftseuropäer Bescheid wüßten, warum die Staatsverschuldung der Mitgliedstaaten eine bestimmte Marke nicht überschreiten darf, und wie die Kontrollmechanismen aussehen könnten - wäre damit viel gewonnen? Ist es nicht vielmehr so, daß nationale Vorurteile, die nachweislich existieren, abgebaut werden müssen. Sollten nicht für die Jugend Europas Aufenthalte in den Mitgliedstaaten während der Schulzeit die Regel sein? Damit würden Vertrauen, Verständnis für Unterschiede, die Wertschätzung regionaler Produkte usw. sich entwickeln. Derlei Voraussetzungen könnten Europa wahrscheinlich besser befördern als die in Schulstuben gewonnenen wirtschaftstheoretischen Einsichten.
Wenden wir uns nun, der begonnenen Systematik folgend, den veröffentlichten Unterrichtsdokumentationen zu. Anders als beim Schulfach Technik ist die Zahl der publizierten Materialien im Kontext eines Schulfaches Wirtschaft verhältnismäßig groß. Und natürlich spielt das Thema Europa eine Rolle. (Der Unterricht mit wirtschaftskundlichen Inhalten muß nicht in einem gleichnamigen Fach abgelaufen sein, es kann sich auch um Unterricht im Fach Gesellschaftslehre bzw. Politische Bildung handeln.)
Eine allgemeine Methodenlehre, wie sie WILKENING für das Fach Technik versucht hat, gibt es ansatzweise auch für die Wirtschaftslehre. KOLB veröffentlichte seine "Methoden der Arbeits-, Wirtschafts - und Gesellschaftslehre" allerdings schon 1978. In dem Band sind drei Methodenkomplexe getrennt behandelt. Einen großen Raum nehmen die Simulationsverfahren ein (Fallstudie, Planspiel, Rollenspiel). Es folgen die Realbegegnungen, worunter Betriebspraktika und Betriebserkundungen zu verstehen sind. (Die Bezeichnung "Realbegegnung" ist eine unglückliche Wortwahl; haben die anderen Methoden etwas mit dem Irrealen zu tun?) Den dritten Komplex bilden die Projekte, die natürlich, sofern sie die Bezeichnung verdienen, etwas mit Realität zu tun haben.
In der Methodenlehre von KOLB sind es die Simulationsverfahren, die wirtschaftskundliche Inhalte im engeren Sinne vermitteln sollen. Betriebspraktika und Betriebserkundungen sind [/S. 199:] fachunabhängige Lernortwechsel. Wie wir gesehen hatten, werden sie auch vom Fach Technik eingesetzt und natürlich haben sie in der Arbeitslehre eine lange Tradition. Bei KOLB finden sich unter der Überschrift "Projekte" nur Beispiele aus dem Bereich Technisches Werken und Arbeitslehre, so z.B. zwei Projekte von BLÖDORN/BÜTTGEN/REUEL aus den 70er Jahren.
Es hat sich in den letzten zwanzig Jahren kaum etwas an dem Umstand geändert, daß Wirtschaftslehre in den meisten Fällen mit Simulation zusammenfällt. Wir gehen deshalb kurz auf das Charakteristische dieser Verfahren ein. Fallstudien sind Szenarien, die vorgestellt werden und zur Weiterentwicklung die Entscheidung zwischen mehreren Alternativen provozieren. Nach einer Informationsphase müssen sich die Schüler entscheiden und die Entscheidung gegenüber anderen Schülern vertreten. Bei etwa gleichplausiblen Entscheidungsvarianten kommt auch ein interessanter Meinungspluralismus zustande.
Eine der "klassischen" Fallstudien ist die von KAISER [40]: Der Hof des Landwirts T. ist unrentabel" (KAISER 1972 [32]) Nach Schilderung der Lage des Landwirtes werden fünf Alternativen angeboten:
Rollenspiele gehen davon aus, daß zu einem gegebenen Sachverhalt die Träger von Rollen auch rollenspezifische Einstellungen haben. Schüler übernehmen versuchsweise die Rolle von Menschen, die wesentlich älter, einflußreicher, hilfsbedürftiger, krimineller usw. als sie selbst sind. Sie projizieren vermutete Wert- und Vorurteile, Kenntnisse und Attitüden in dieses Rollenmuster hinein, und gestalten damit einen Kommunikationsprozeß. Beispielhaft sei hier das Rollenspiel "Nur eine single" skizziert: Der Schüler Peter hat einen Ladendiebstahl begangen, eine Schallplatte geklaut. Der Geschäftsführer des Schallplattenladens, der Klassenlehrer, die Mutter des Schülers, der Vertrauensschüler und Peter selbst (bis auf die Lehrerrolle von Schülern gespielt) diskutieren anhand von vorbereiteten Rollenkarten, die mögliche Argumente enthalten, aber nicht deterministisch den Ablauf bestimmen. Die Autoren wollen auf diese Weise Kenntnisse des Straf- und Zivilrechts vermitteln, Unrechtsbewußtsein anbahnen usw. (FARBER/HENSE 1978 [32])
Das Planspiel ist die Simulation eines einerseits offenen Entwicklungsprozesses, der gleichwohl von einer finalen Orientierung ausgeht. Da der Ursprung im Strategiedenken des Militärs zu suchen ist, könnte das übergeordnete Ziel die Vernichtung des Gegners sein. Die auf dem Wege dorthin zu treffenden Entscheidungen können sich als zieladäquat erweisen, oder aber als kontraproduktiv. Qua höherer Einsicht ist die Metaentscheidungsebene durch die Konstrukteure des Planspiels vorgegeben.
Nicht die Vernichtung des Gegners aber die Eroberung des Marktes durch die Firmen "X" und "Y" mit einem neuen Produkt ist ein Planspiel, das HINZ vorstellt. (HINZ 1978 [32]) In dem Beispiel "produzieren" die Schüler etwas und versuchen durch Materialeinsparung und Personalreduzierung konkurrenzfähiger zu werden.
Allen Simulationsverfahren ist gemeinsam, daß sie die Realität auf mehr oder weniger einfache Modelle reduzieren müssen. Die Schüler "handeln" fast immer nur [/S. 200:] verbalsymbolisch, d.h. ihre Argumente werden durch "bessere" Argumente falsifiziert - im günstigen Falle bestätigt.
Im folgenden stellen wir eine Anzahl neuerer Unterrichtsdokumentationen resp. Schulbücher vor, die einen Eindruck davon vermitteln sollen, wie zeitgenössische Wirtschaftslehre abläuft.
Zuvor die Beurteilungskriterien, die an die Materialien angelegt werden.
Folgende Unterrichtsmaterialien wurden untersucht:
Doku. 1:
Alfred Zahner: Steinzeitökonomie - Ein Simulationsspiel zum Tauschhandel für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I, in: AWT Info, Heft 1/1996, Hrsg.: Forschungsstelle an der PH Weingarten [41], S.4 ff
Doku 2:
Heinz Klippert: Konjunktur und Wachstum, ein Würfelspiel zur Simulation des Wirtschaftsprozesses, in: arbeiten ( lernen, Heft. 67/1990, S. 67 ff
Doku. 3:
Joachim Günther: Die Europäische Union - die Wirtschafts- und
Währungsunion, Unterrichtsempfehlungen für die Sekundarstufe I und II, in: Arbeit und Technik in der Schule, Heft 9/ 1996, S. 323 ff
Doku. 4:
Herbert Müller: Die Krise des Beschäftigungssystems und das Dilemma der Stabilitätspolitik, ein Thema für den Wirtschaftslehre-Unterricht, in: Arbeit und Technik in der Schule, Heft 1/ 1995, S. 26 ff
Doku. 5:
Hans Kaminski [34]: Der jugendliche Konsument: Eine Arbeitsblattreihe, in: arbeiten ( lernen Wirtschaft, Heft 24/1996, S. 14 ff
Doku. 6:
Dietmar Krafft [42]
(Hg.): Wirtschaft 7/8. Berlin 1996, Bd. 1
Doku. 7:
Dietmar Krafft [42]
(Hg.) Wirtschaft 9/10. Berlin 1996, Bd. 2
Doku. 8:
Regine Hebestreit: Von wegen Pleiten, Pech und Pannen Unternehmensgründung richtig vorbereiten, in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft, Heft 23/96, S. 23 ff
Doku. 9:
Angela Kirsch: Weltmeister im Export von Arbeitsplätzen? in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft, Heft 22./96, S. 23 ff
Doku. 10:
Heiko Feeken: Computergestütztes Warenwirtschaftssystem (WWS), ein Beispiel für die Verschmelzung von Kommunikations- und
Informationstechnologien, in: arbeiten . u. lernen / Wirtschaft, Heft 21/96, S. 32 ff
Doku.11:
Josef Hartmann/Reinhard Neudeck: Gehört der Grüne Punkt auf den Müll?, in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft, Heft ....../94, S. 36 ff
Doku. 12:
Manfred Hübner: Fallstudie Kündigung, in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft, Heft 14/94, S. 26 ff
[/S. 202:]
Doku. 13:
Bruno Weber: Lernspiel "Börse", Vorbereitung auf das Börsenspiel der Sparkassen, in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft, Heft 13/94, S. 44 ff
Doku. 14:
Theo Wolsing: Jugend, Geld, Schulden, Unterrichtsanregung zur Verschuldungsproblematik, in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft Heft 13/94, S. 23 ff
Doku. 15:
F. Lönne /C. Szkolaja./J. Wünnecker: Ökologisches Handeln im Planspiel: Tourismus aber wie? in: arbeiten u. lernen / Wirtschaft Heft 10/93, S. 23 ff
Kurze Inhaltsangaben zu den untersuchten Dokumenten folgen.
Doku 1
Acht Schülergruppen (jeweils 2 bis 3 Schüler) bekommen "Tauschgüter", von denen ihnen gesagt wird, diese seien für den Steinzeitmenschen überlebenswichtig gewesen: Felle, Salz, Weizen, Fische, Äxte, Muscheln, Pfeil und Bogen, Feuer, Hühner u.a.. Diese Güter können als Atrappen (Fische aus Holz) auf den Tischen liegen, es genügt auch den Begriff auf einen Zettel zu schreiben und diesen zu tauschen. Die Schülergruppen haben unterschiedliche Güter, so daß zur Bedürfnisbefriedigung getauscht werden muß. Es geht darum, Wertäquivalente zu bestimmen und festzustellen, welche Güter unentbehrlich sind.
Doku 2
Jeder Spieler stellt den Wirtschaftsminister eines europäischen Landes dar. Auf dem Spielfeld sind Konjunkturzyklen abgebildet. Der Spieler trifft durch Würfeln entweder auf ein Tief oder ein Hoch. Dementsprechend bekommt er Punkte. Gewinner ist dasjenige Land mit der höchsten "Wachstumsrate". Ereigniskarten signalisieren u.a. Arbeitslosigkeit oder Umweltverschmutzung, die das Wachstum positiv oder negativ beeinflussen können. Wissenskarten können im Falle der richtigen Antwort Punkte bringen. Ein Beobachter führt ein Protokoll, in das die erreichten Punkte eingetragen werden. Beispiel für eine Wissenskarte: Wie nennt man die Abschwungphase im Konjunkturverlauf? Antwort: Rezession. Beispiel für eine Ereigniskarte: Die Zentralbank deines Landes kauft Wertpapiere und erhöht dadurch den Geldumlauf in der Wirtschaft. Die Zinsen sinken und die Wachstumsaussichten verbessern sich (plus ein Punkt).
Doku 3
Die Schüler sollen wissen, was die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) will, wie weit die Vorstufe gediehen ist, welche Probleme es gibt (unterschiedlicher Entwicklungsstand der Nationen), wie die Konvergenzkriterien aussehen usw. Die Schüler bekommen sogenannte Materialien, die sie lesen sollen und an die sich Fragen anschließen. (Auszug aus: Handbuch zur Europapolitik, Brittan: Die europäische Herausforderung, Wirtschaftsteil der Zeitung u.a.) Beispiel für eine Frage: "Charakterisieren sie die Ziele der WWU und benennen sie die einzelnen Phasen, die im Vertrag von Maastrich vorgesehen wurden." [/S. 203:]
Doku 4
Die "Unterrichtskonzeption" ist eigentlich nur eine vereinfachte volkswirtschaftliche Modellbildung. Die Arbeitslosenquote wird in Abhängigkeit von Konjunkturzyklen untersucht und festgestellt, daß es eine Asymmetrie gibt, was soviel besagt, daß selbst in Zeiten des Konjunkturaufschwungs die Zahl der Arbeitslosen nicht oder nur sehr langsam abnimmt. Die Interventionsmöglichkeiten des Staates werden als in der Tradition des Keynesianismus stehend kritisiert. Die Gewerkschaften werden als Organisationen bezeichnet, die den Wirtschaftsliberalismus hemmen, indem sie auf die "Einstellungs- und Entlassungspolitik der Arbeitgeber" Einfluß nehmen und so Mitglieder an sich binden wollen.
Doku 5
Es wird dargetan, daß Arbeitsblätter in der Wirtschaftslehre drei Funktion hätten: Eine Motivierungsfunktion (die Schüler fühlen sich inhaltlich herausgefordert), eine Aktivierungsfunktion (der Schüler muß selbständig - also nicht im Team - arbeiten), eine Leistungsgewöhnungsfunktion (Arbeitsblätter bereiten auf Klausuren und Klassenarbeiten vor). Die Arbeitsblätter zum Thema "Der jugendliche Konsument" gehen davon aus, daß Jugendliche eine Kaufkraft haben, um die sich die anbietende Wirtschaft bemüht. 12 Arbeitsblätter behandeln, die Einkommensarten der Jugendlichen, die Konsumschwerpunkte, die Orientierung an sogenannten Meinungsführern, die Analyse von Jugendzeitschriften, insbesondere die dort veröffentlichte Werbung, den Aufbau eines Supermarktes und ein Kreuzworträtsel.
Doku 6
Das 128 Seiten umfassende Schulbuch besteht etwa zur Hälfte aus Text, zur anderen Hälfte aus Fotos, Karikaturen, Grafiken und Sprechblasen, die einmontierte Kurztexte enthalten. Jedes Kapitel schließt mit Aufgaben, für die sich die Autoren entschuldigen. Lieber wäre es ihnen, wenn die Schüler eigene Fragen hätten. Das Buch behandelt nicht nur wirtschaftliche Fragen im engeren Sinne sondern geht auf die Arbeitsteilung im Privathaushalt ein, stellt die Arbeit verschiedener Handwerke und Branchen vor, wobei die technische Seite der Produktion in Abbildungen verständlich gemacht werden soll. Angelehnt an die Materialien der Bundesanstalt für Arbeit wird die Berufswahl behandelt. Einen breiten Raum nimmt die Stellung des Verbrauchers ein. Betriebliche Konflikte werden angesprochen (Arbeitsbummelei und gesundheitsbedingte Leistungsminderung). Wirtschaftliche Themen im engeren Sinne sind: die "Kreislaufbeziehungen" und der "Kapitalmarkt".
Doku 7
Band 2 des Schulbuches für die Klassen 9 und 10 ist sehr ähnlich aufgebaut. Einige Themen werden in verändertem Kontext erneut aufgegriffen, andere treten hinzu. So der Strukturwandel einer Region (Beispiel Ruhrgebiet). Arbeitszufriedenheit, Arbeitsschutz, soziale Sicherung und Mitbestimmung sind Themen, die starke politische, rechtliche und arbeitspsychologische Implikationen aufweisen. Unter der Überschrift "Ökologie contra Ökonomie" werden kontrovers diskutierte Fakten ausgebreitet, die diskussionsanregend erscheinen. Der Versuch, die scheinbare Objektivität von Statistiken durch diametrale Interpretation zu entlarven, ist interessant. In beiden Schulbüchern finden sich zahlreiche Anregungen für Exkursionen und Praktika. [/S. 204:]
Doku 8
Nach Eingangsinformationen (3 Mill. Selbständige in Deutschland, jährlich 400 000 Betriebsgründungen und 300 000 Konkurse) wird das Profil der Unternehmerpersönlichkeit skizziert. Zu einem Unternehmer gehören u.a.: Führungserfahrung kaufmännische Erfahrung, Belastbarkeit, Unterstützung durch die Familie, Selbstdisziplin, Opferbereitschaft, Risikofreudigkeit usw. Die Schüler sollen dann eine Checkliste für ein fiktives Unternehmenskonzept aufstellen, dazu wiederum gehören Marktanalyse, Branchenanalyse, Rentabiltätsvorstellungen u.a. An der eigenen Schule soll recherchiert werden, ob ein fiktives Produkt "Erfolg" haben könnte. Es gibt Anregungen, Gründerbeispiele zu untersuchen und das Beratungsangebot der Kammern und Innungen kennenzulernen.
Doku 9
Eingangs wird auf den Entschluß der Firma Daimler Benz eingegangen, den neuen Kleinwagen "Smart" in Frankreich zu produzieren. Siemens baut Elektrogeräte in Böhmen, Henkel produziert Persil in Slowenien. 1994 hat die deutsche Industrie 22 Mrd. Mark im Ausland investiert. Die Schüler bekommen 17 (!) Schaubilder aus denen viele Details herauslesbar sind. Drei Motive für die angesprochene Entwicklung werden genannt: Das Markterschließungsmotiv (sichert auch Arbeit zuhause), das Rentabilitätsmotiv (im Falle eines Verzichts würde nicht automatisch in Deutschland investiert), das Kostensenkungsmotiv (Kosten können auch auf anderen Wegen gesenkt werden). Mit 44,-DM liegt die Arbeitsstunde in Deutschland auf Platz 1.in der Welt. Der Arbeitnehmer erhält jedoch nur 24,-DM (Platz 4) Die hohen Lohnnebenkosten werden als Problem bezeichnet. An einem Fallbeispiel wird dies weiter verfolgt (Automobilarbeiter bei AUDI).
Doku 10
Die Schüler lernen den EAN-Code kennen (Europäische-Artikel-Nummer). Scannerkassen sind den Schülern aus vielen Alltagsbeobachtungen vertraut. Mit Hilfe von "Expertenbefragungen" sollen die Schüler Handelsbetriebe vergleichen, die zum einen. bereits mit einem ausgebauten Warenwirtschaftssystem arbeiten und solche, die ihre Warendisposition noch ohne Computerunterstützung (oder erst partiell) bewältigen. An Beispielen wird demonstriert, welche Auswirkungen es hätte, wenn Campingartikel erst nach Saisonbeginn bestellt würden, bzw. wenn die Lagerbestände einer CD nicht rechtzeitig aufgefüllt wurden, obwohl bekannt war, daß eine sehr populäre Pop-Gruppe ein Konzert gibt usw.
Doku 11
Die Schüler werden mit der provozierenden These konfrontiert, der Grüne Punkt gehöre auf den Müll, denn er bitte den Verbraucher zweimal zur Kasse. Nach Informationen über das DSD (Duales System Deutschland) Gesellschaft für Abfallvermeidung und Sekundärrohstoffe m.b.H. (diese Gesellschaft entlastet bekanntlich Abfüller, d.h. Hersteller und Händler von ihrer Entsorgungspflicht.) wird behauptet, der Konsument bezahle einen Aufpreis für Waren mit dem Grünen Punkt, wegen verschiedener Engpässe landeten die Verpackungen aber schließlich doch auf dem Müll und die Entsorgung müsse noch einmal bezahlt werden. Die Schüler erkunden eine Mülldeponie, eine Verbrennungsanlage und einen Verwertungsbetrieb. Sie lernen den Unterschied zwischen echtem Recycling und der Herstellung eines dann nicht weiter recycelbaren Zwischenprodukts kennen. [/S. 205:] Videoaufnahmen und eine von Schülern aufgebaute Ausstellung sollen die gewonnenen Erkenntnisse verbreiten.
Doku 12
In einem mittelständischen Unternehmen der Werkzeugmaschinenherstellung hat sich die Auftragslage stark verschlechtert. Von vier Drehern soll einem gekündigt werden. Die vier Dreher werden vorgestellt (Alter, Familiensituation, Leistungsniveau) Die Fallstudie setzt sich nun mit der Kündigung eines der Facharbeiter auseinander. Der Gekündigte protestiert beim Betriebsrat. Das BVG (§ 102) wird besprochen, Kündigungsarten untersucht (Betriebsbedingte K., personenbedingte K., verhaltensbedingte K., ordentlich K., außerordentliche K., usw.) Die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellt wird am Beispiel der Kündigungsfristen diskutiert.
Doku 13
Die Sparkassen veranstalten in vielen Regionen ein sogenanntes Börsenspiel, bei dem die Schüler Wertpapiere kaufen und spekulieren und dementsprechend auch über Gewinn und Verlust belehrt werden. Die Simulation bekommt durch den "Lernort Sparkasse" eine gewisse Realitätsnähe. In dem vorliegenden Unterricht wurde auf das Spiel vorbereitet. Die Schüler müssen den Wirtschaftsteil der Zeitung auswerten und Begriffe im Zusammenhang mit Börsengeschehen erklären können. Die Kurse einer ausgewählten Aktie werden über einen längeren Zeitraum akribisch aufgeschrieben, anschließend wird die maximale Kursschwankungsbreite errechnet. Einen Text über Marktwirtschaft sollen die Schüler in der Weise umformulieren, daß an die Stelle von "Gütern und Preisen" die Begriffe "Aktien und Kurswert" eingesetzt werden.
Doku 14
Es wird von der begründeten These ausgegangen, die Kreditbranche "verleite" die Jugendlichen zum Geldausgeben. Statistische Angaben über die Zahl der verschuldeten Jugendlichen /jungen Erwachsenen werden diskutiert. Die Markenfixierung vieler Jugendlicher ist erheblich (nur Jeans von der Firma XY sind tragbar). Eine solche Haltung ist durch persönliche Appelle nicht änderbar. Deshalb soll versucht werden, einen Gruppenkonsens in der Klasse herzustellen, erst dieser könnte den einzelnen Jugendlichen von Konsumzwängen "befreien". Das "Schuldenkarussel", ein Würfelspiel, wird eingesetzt. Der Besuch einer Verbraucherberatungsstelle wird vorbereitet. Ein kleiner Fragebogen erhebt Daten, wofür die Jugendlichen ihr Geld (Taschengeld u.a.) ausgeben. Bei einem Experiment versucht eine 17jährige Schülerin in sechs Bankinstituten einen Kredit zu bekommen. Nur zwei Banken verhalten sich korrekt und fordern die entsprechende Zustimmung der Eltern.
Doku 15
Ein kleines Dorf in Dithmarschen mit viel Wald und Seen steht vor der Frage, ob es einem amerikanischen Tourismusunternehmen die Genehmigung für den Bau eines Ferienclubs am See geben soll. Der Bürgermeister, der Förster, der Bäcker, die Leiterin einer Bürgerinitiative, der Vorsitzende eines Wandervereins und der amerikanisch Manager tauschen Argumente aus.(Rollenübernahme durch Schüler) Die Gemeinde könnte Einkünfte gebrauchen, die Naturfreunde haben große Bedenken. Die Schüler müssen schriftlich kommunizieren, Durchschläge der Argumente werden vom Spielleiter gesammelt, bewertet und problematisiert. [/S. 206:]
In der schon bekannten Weise werden die Dokumente mit den Beurteilungskriterien konfrontiert.
Die Unterrichtsbeispiele schneiden schlecht ab, das vermittelte Wissen ist meistens zusammenhanglos, von "außen" an die Schüler herangetragen, es sind kaum Chancen für Selbsttätigkeit und entdeckendes Lernen erkennbar. Die Schulbücher sind thematisch variationsreicher, sie sammeln deshalb mehr Punkte. Erfahrungsgemäß kann ein ganzes Buch wegen des geringen Stundenanteils des Faches aber nicht durchgearbeitet werden.
Unser Kriteriensatz vereint normative und logische Aussagen. So glauben wir, daß Erwerbsarbeit und Hausarbeit der Referenzrahmen sind, auf den sich jede Belehrung über "Wirtschaft" beziehen müßte. Dies hat nicht nur damit zu tun, daß Arbeit die Basis jeder Wertschöpfung ist, wir sehen in Arbeit auch das Medium, in dem sich eine Persönlichkeit bildet. Wirtschafts-"Pädagogik" ist also auf dem falschen Wege, wenn sie Strukturwissen oder gar Gleichgewichtsmodelle vom anthropologischen Bezugspunkt ablöst. Und das tut sie unablässig. Eine logische Konsequenz des hinlänglich bekannten, aber fast nie ernstgenommenen Diktums: "alles Wirtschaften dient dem Endverbraucher" wäre es, die Wohlfahrt des Konsumenten stets in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen. Der Wohlfahrtsbegriff ist längst nicht mehr quantitativ im Sinne von hohen Konsumchancen definiert, er ist qualitativ gewendet und vor allem ökologisch zu verantworten. In den Wirtschaftslehrekonzepten trifft man zwar auf solche Themen, sie sind aber oft eines unter vielen.
Die in der Wirtschaftslehre dominierenden Simulationsverfahren sind durchaus zieladäquat, denn der Unterricht besteht auf weiten Strecken in der Auslegung von Begriffen. Um ein solches didaktisches Milieu zu vitalisieren, müssen Gespräche in Gang kommen. Simulationsverfahren eignen sich dazu. Oft produzieren die Schüler realitätsentlastete Lösungsvorschläge in großer Zahl. Ein auf Sachfragen zugespitzter Unterricht der nur richtige oder falsche Antworten zuläßt, soll hier nicht als Alternative empfohlen werden. Ob allerdings ein Schüler in der Rolle des Wirtschaftsministers (bei der Steuerung von Konjunkturzyklen) noch die Verbindungsfäden zur Realität halten kann, wird [/S. 207:] unwahrscheinlich. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, daß in einigen Fällen die Fabulierlust mit dem Schüler durchgeht.
Vorstellbar ist natürlich eine ganz andere Wirtschaftslehre, die ohne Simulation auskommt, weil sie reale Prozesse reflektiert: Die Schüler stellen ein Produkt her, und versuchen es zu vermarkten. Oder: die Schüler kaufen (bezahlbare) Konsumgüter ein, untersuchen diese auf Gebrauchstauglichkeit, Preisbildung, Herkunft usw. Aber damit würden wir die Grenze zur Arbeitslehre überschreiten.
[/S. 208:]
Eine den Fächern Deutsch und Mathematik vergleichbare, niemals strittige Kanon-Zugehörigkeit kann das Schulfach Wirtschaft nicht vorweisen. Wir hatten jedoch weiter vorn darauf verwiesen, daß eine einflußreiche Gruppierung seit Jahrzehnten Wirtschaft als Schulfach der allgemeinbildenden Schulen fordert.
"In zahlreichen Stellungnahmen hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände seit den fünfziger Jahren wiederholt die Forderung nach einer wirtschaftlichen Grundbildung für alle Schüler bekräftigt. Unverändert gültig blieb bis heute der Begründungszusammenhang für die Forderung , die Hinführung der Schüler zur Wirtschafts-, Arbeits- und Berufswelt als einen maßgeblichen Schwerpunkt im Bildungskanon des Allgemeinbildenden Schulwesens zu verankern."
(Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Köln 1980 [32], S.10)
Daß Wirtschaftslehre längst nicht in allen Schulen zum Kanon gehört, hängt u.a. mit einer distanzierten Haltung der Gewerkschaften zusammen. Diese sehen, nicht ganz zu Unrecht, in einem Schulfach Wirtschaft Wettbewerbsvorteile für die Unternehmer. Angebote der Unternehmen sind für Lehrer und Schüler oft attraktiver als Gewerkschaftsbroschüren. Die pädagogische Fachwelt ist gespalten. Unter den allgemeinbildenden Schulen ist es die Realschule, die traditionell eine gewisse Affinität zum Fach Wirtschaft hat. Noch bis in die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg überwog in Realschulen deutlich der Mädchenanteil. Für diese aufstiegsorientierte Klientel waren technische Berufe keine ernsthafte Alternative, die prestigearmen "Frauenberufe" Verkäuferin usw. aber auch nicht. Berufskarrieren als "mittlere wirtschaftliche Führungskraft" schienen attraktiv. Es liegen uns keine überprüfbaren Angaben darüber vor, wieviele Realschulabsolventinnen in kaufmännische Berufe einmündeten, die über Verkäuferin-Niveau lagen.
FAUSER, ein entschiedener Vertreter des praktischen Lernens in der Schule, hat Probleme mit der Wirtschaftslehre:
"Auf Grenzen stößt das praktische Lernen auch bei Feldern der Kultur, die in sich selbst abstrakt sind und kaum anschaulich gemacht werden können. Zu denken ist nicht nur an Wissenschaft, sondern auch an Fragen der Weltwirtschaft oder der Währungspolitik u.ä., die zwar durch Modellbildung erschlossen werden können, in ihren Funktionsabläufen und Zusammenhängen aber abstrakter Zugänge bedürfen."
(FAUSER, 1991 [32], S.125)
Wer heute einem Sonderschullehrer oder einem Hauptschullehrer in Berlin zumutet, mit seinen Schülern wirtschaftliche Modelle zu diskutieren, wird Hohn und Spott ernten, gleiches gilt für viele Gesamtschullehrer. Die Klientel dieser Lehrer steht z.T. unter starkem ökonomischen Druck, insofern wäre Aufklärung über Zusammenhänge scheinbar funktional. Aber eingedenk der BRECHTchen Weisheit "Erst kommt das Fressen und dann die Moral" geht der Lehrer mit seinem Schüler zur Schuldnerberatung, zum Polizeirevier um einen Ladendiebstahl abzuwiegeln, zum Supermarkt, um Käuferfallen zu zeigen usw.
Anders stellt sich die Situation am Gymnasium und teilweise an Realschulen dar. Man kann davon ausgehen, daß in Mittelschicht-Elternhäusern "Wirtschaft" positiv besetzt ist. Die Unternehmerpersönlichkeit, der White-Collar-Job, die Eigentumsbildung, all das sind bürgerliche Wertassoziationen, die auch Bildungsvorstellungen beeinflussen.
FLITNER hat sich mit der Frage auseinandergesetzt "warum lernen Kinder?" Eine unter mehreren Antworten lautet, weil das zu Lernende Geltung in der Gesellschaft hat. [/S. 209:]
"schließlich nennen wir die soziale Anerkennung des zu Lernenden, die Geltung der Bildung in der Gesellschaft. Was hohe Anerkennung genießt, das teilt sich auch den Kindern, den Schülern mit; nicht nur Autofahren, Konsumieren, Rauchen, Musikhören, Kleidermoden und ähnliches sondern auch - nach Lebenswelten unterschieden - ein bestimmtes Wissen und der Umgang damit. Eine hohe soziale Geltung hatte und hat auch heute noch das, was man 'Bildung' nennt. Der Begriff ist zwar unscharf geworden, und es gibt keinen Konsens mehr darüber, welche Inhalte heute die Bildung ausmachen sollen......In dem Maße, wie die Gesellschaft demokratisch und plural geworden ist und die Geltung des Lateins oder der Religion ......diskutiert, haben sich auch die Schüler mit dieser offenen Situation des Lernens auseinanderzusetzen."
(A. FLITNER 1986 [32], S.9f)
"Nach Lebenswelten unterschieden" ist die Parenthese, auf die es uns ankommt. Ein Fach Wirtschaft wird in (westdeutschen) Gymnasien und möglicherweise in Realschulen nicht um Geltung ringen müssen. Für große Teile unserer Jugend ist die Sache aber komplizierter. Das Milieu, aus dem diese Jugendlichen stammen, ist nicht gekennzeichnet durch eine wertpositive Auseinandersetzung mit Wirtschaftsfragen. Ja, wir haben sogar die historisch einmalige Situation zu würdigen, die durch den Export der sozialen Marktwirtschaft in die neuen Bundesländer entstand. Im dortigen Bildungswesen hatten tatsächlich Lehrbücher über Wirtschaft Konjunktur. In dem Maße aber, in dem die reale wirtschaftliche Situation durch Pleiten, Arbeitslosigkeit, Rückgabe von Immobilien usw. belastet war, schwand auch der Glaube an die Bildungsbedeutsamkeit der Wirtschaftslehre.
Eine empirische Untersuchung an Berliner Jugendlichen (Ost u. West, alle Schularten, Klassen 7 bis 10) zwischen 1991 und 1994 zur Frage: "Auswirkungen von ökonomischem Druck auf die psychosoziale Befindlichkeit von Jugendlichen" fand den bereits früher festgestellten Zusammenhang nicht widerlegt, wonach Eltern aufgrund ökonomischer Deprivation ihre schlechte Befindlichkeit massiv in das Familienklima einbringen.
(BUTZ/BOEHNKE 1997 [32])
FLITNER hat natürlich recht wenn er sagt, daß alle Schüler eine mehr oder weniger manifeste Wertorientierung haben. Nicht nur die materiellen Kultgegenstände sind es, die ihr Leben prägen, sie möchten Anerkennung in der Arbeit, wollen ökologisch helfen, sind sogar zur Konsumeinschränkung bereit, wenn sinnvolle Tätigkeiten offenstehen. Die Frage, ob Wirtschaftslehre in der heute weithin anzutreffenden Ausprägung einen Bildungsbedarf trifft, muß sehr zurückhaltend beantwortet werden. Die gesellschaftliche Anerkennung ist auf keinen Fall ungebrochen, sie ist sogar dort, wo sie scheinbar vorhanden ist, mit der Alternative Arbeitslehre konfrontiert.
[/S. 210:]
Während wir bei den Schulfächern Technik und Haushalt ziemlich gut sehen konnten, daß eine die Wahrheitskriterien liefernde Bezugswissenschaft fehlt und damit auch die Gefahr der Abbilddidaktik entschärft ist, liegt der Fall bei einem Fach Wirtschaft anscheinend anders. Immerhin gibt es die beiden etablierten Wirtschaftswissenschaften, die Volkswirtschaftslehre und die Betriebswirtschaftslehre. Nun hatte KAMINSKI [34], der ein Verfechter der Wirtschaftslehre pur ist, einräumen müssen, daß die wirtschaftswissenschaftlichen Universitätsdisziplinen nur eine Orientierungs- keine Ableitungsfunktion für das Schulfach haben könnten (Vergl. S. 183 dieser Abhandlung).
Die Betriebswirtschaftslehre kann u. E. eine Orientierungsfunktion (für Schüler) nur in einem sehr vermittelten Sinne haben. Daß die Betriebswirtschaftslehre im Kern eine Gewinnmaximierungs-Lehre ist, läßt sich kaum bestreiten. Ihre modernen Theoriebestandteile, die oft mathematische Kalküle sind, müßten dem Schüler eigentlich als Bedrohung entgegentreten. Die Marketingstrategien etwa, haben deutlich manipulative Bestandteile, die nicht immer die Wohlfahrt des Konsumenten sondern dessen Verfügbarkeit zum Ziel haben. Substitutionsrechnungen von der Art, daß eine drei Millionen DM teure Maschine drei Arbeiter "freisetzen" könnte, sind zunächst mal nicht schülerfreundlich. Nun kann man aus den genannten Gründen nicht betriebswirtschaftliche Erkenntnisse aus der Schule verbannen. Wenn z.B. junge Menschen vor dem Verlassen der allgemeinbildenden Schule sich auch mit der Chance - vielleicht sollte man besser sagen: dem Risko - der Existenzgründung beschäftigen, werden betriebswirtschaftliche Basisinformationen nicht schaden können. Eine andere didaktische Argumentation hebt ab auf das Studium der gegnerischen Taktik. Als Verbraucher müßte man die Strategien der Unternehmen kennen, um ihnen wirkungsvoll begegnen zu können.
Betriebswirtschaftliche Qualifikationen, die man für die Führung eines Kleingewerbes benötigt, haben in der Regel keinen Wissenschaftsstatus; es handelt sich um kaufmännisches Regelwissen, um arbeitsorganisatorische Fähigkeiten usw. (Vergl. z.B. Fischer/Hartwig/Reuel: Das Lernbüro im Rahmen der Arbeitslehre, Berlin 1994 [32]). Was die Aufklärung der jungen Verbraucher angeht, sind, ganz unabhängig von betriebswirtschaftlichen Lehrmeinungen, teilweise in Auseinandersetzung mit ihnen, didaktische Konzepte entstanden. (Vergl.: STEFFENS 1983 [32], Urbatzka 1992) Insofern ist zumindest für die allgemeinbildende Schule die Bezugswissenschaft "Betriebswirtschaftslehre" irrelevant.
Der Fall ist , was die Volkswirtschaftslehre betrifft, etwas komplizierter gelagert. GUNNAR MYRDAL [43]
hat den ideologischen Gehalt der Volkswirtschaftslehren bis zur Mitte dieses Jahrhunderts aufgedeckt. Bereits der Ahnherr der modernen Nationalökonomie, ADAM SMITH, ignorierte eine Grenzziehung zwischen Politik und Ökonomie. Seinen "Reichtum der Nationen" verstand er als eine Sollensforderung an die Politik. MYRDAL bescheinigt der Nationalökonomie bis in dieses Jahrhundert ein Verwischen der Grenzen zwischen wissenschaftlicher Forschung und den daraus (unzulässig) abgeleiteten Folgerungen für eine Wohlfahrt der Menschheit. Auf die Wertfreiheit der Wissenschaft wird in der Nationalökonomie bereits durch den Sprachgebrauch ein Schatten geworfen: ständig ist vom Nutzen die Rede, von Werten, vom Gleichgewicht, vom Sowieso-Optimum usw. [/S. 211:]
"So läßt sich bildlich sagen, daß der Preis die 'Aufgabe' erfüllt, die Nachfrage zu beschränken und das Angebot zu stimulieren, so daß Gleichgewicht entsteht. Solche Ausdrucksweise kann sich aus dem rein stilistischen Grund empfehlen, um damit der Darstellung größere Leichtigkeit zu geben. Aber vergißt man nur einen Augenblick, daß es sich dabei lediglich um eine Metapher handelt, so fügt sich dem Hauptsatz leicht ein äußerst gefährlicher Nebensatz an: wobei der Gleichgewichtspreis 'richtig' ist und die Produktionsfaktoren ihrer wirtschaftlichsten Verwendung zugeführt werden. Wir befinden uns dann wieder in einer normativ-teleologischen Denkweise. Ist man bis zu dieser nicht nur falschen, sondern strenggenommen sinnlosen Formulierung gekommen, so wird die Sache nicht dadurch besser, daß man weiterhin postuliert, das Gesagte gelte nur 'vom Standpunkt der auf dem Markte oder in der Gesellschaft herrschenden Wertung'. Es existiert auf dem Markte oder in der Gesellschaft keine 'Wertung' - im Singular - sondern es gibt ebenso viele 'Wertungen' wie tauschende Personen. Die 'Wertungen' sind bedingt von der ökonomischen Lage, in der sich jeder einzelne befindet, und diese ist u.a. ihrerseits wieder mitbestimmt vom gesamten Preisbildungsprozeß, wie er gerade als Resultat dieser Wertungen abläuft. Außerdem sind Wertungen als solche wissenschaftlich inkommensurabel. Es ist nicht zulässig, eine einheitliche gesellschaftliche Wertsetzung in die wissenschaftliche Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen auf diese Weise einzuschmuggeln."
(MYRDAL 1963 [32], S.17)
Aber nicht nur MYRDAL, auch die renommierte KEYNES-Schülerin JOAN ROBINSON hat sich mit den "Doktrinen der Wirtschaftswissenschaft" auseinandergesetzt. Sie kommt zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Eine der Hauptschwierigkeiten der Volkswirtschaftslehre sieht sie darin,
"daß die Nationalökonomen - in Ermangelung experimenteller Methoden - nicht streng genug genötigt sind, metaphysische Begriffe auf widerlegbare Sätze zu reduzieren und daß sie sich nicht zu einer Übereinkunft darüber durchringen können, was sich als falsch erwiesen hat. Am einen Bein ungeprüfte Hypothesen, am anderen unprüfbare Slogans - so humpelt die Nationalökonomie daher. Unsere Aufgabe liegt darin, diese Mischung von Ideologie und Wissenschaft so gut es geht auseinanderzusortieren."
(ROBINSON 1965 [32], S. 35)
Nimmt man eine klassische "Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen" zur Hand, etwa die von SCHACHTSCHNABEL, wundert man sich über Theorien, die trotz offensichtlicher Widersprüchlichkeit fortgeschrieben werden. (Siehe auch die Bemerkung ROBINSONS, wonach endgültige Falsifizierungen volkswirtschaftlicher Doktrinen eher selten sind.) Auf JOHN STUART MILL geht die Theorie des "neutralen Geldes" zurück. Nach ihm gibt es..
"für die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft nichts Unwesentlicheres als das Geld."
(zitiert nach SCHACHTSCHNABEL 1971 [32], S.238)
Der Begriff des "Geldschleiers" soll ausdrücken, daß über der realen Wirtschaftstätigkeit und diese nicht beeinflussend, ein Schleier von Geld liegt, der elastisch genug ist, um alle Änderungen z.B. der Austauschbeziehungen mitzumachen. Diese Theorie ist nicht obsolet, sie lebt in veränderter Gestalt fort. Man halte sich nur das derzeitige Sparvolumen der Deutschen vor Augen und stelle sich eine drastische Geldentwertung vor, welchen Eindruck würde bei den betroffenen Sparern die Theorie des neutralen Geldes machen?
In "Geschichte und Ökonomie" fragt HANS-ULRICH-WEHLER:
"Was z.B. wird vom heuristischen Wert - von der theoretischen Erklärungskraft ganz zu schweigen - der Theorien des Equilibriums, des vollständigen Wettbewerbs, von Angebot und Nachfrage übrigbleiben, wenn [/S. 212:] der Historiker bzw. der historische Sozialwissenschaftler es unablässig mit Ungleichgewicht und Ungleichmäßigkeit, also nie mit Gleichgewicht zu tun hat, wenn er statt der Fata Morgana des vollständigen Wettbewerbs sehr konkrete oligopolistische Konkurrenz, mithin Macht statt Marktgesetze feststellt, wenn er soziale Kriterien der Verteilung und Herrschaft Angebot und Nachfrage dominieren sieht? Weshalb dann nicht gleich eine historisch adäquate Theorie, die von der gleichsam prinzipiellen Disproportionalität des kapitalistischen Wachstumprozesses ausgeht, auf die fragwürdig regulative Idee des vollständigen Wettbewerbs verzichtet, gesellschaftliche Machtkonstellationen und Werte voll mit einbezieht?"
(H.-U. WEHLER, 1973 [32], S.23 f)
Wenn man die Ideologieanfälligkeit der verschiedenen volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen einmal beiseite läßt kommt man früher oder später zu der erkenntnistheoretischen Schlüsselfrage: ist unser Bewußtsein bestimmt durch die wirtschaftlichen Verhältnisse oder ist die historische Ausprägung des Wirtschaftssystems Ausfluss einer Idee. Personalisiert wird dieser Gegensatz in MARX und WEBER. (vergl. insbesondere: KOCKA: Karl Marx und Max Weber im Vergleich [32], in: H.-U.WEHLER 1973, S.54 ff) Eine Sowohl-als-auch-Antwort kann hier nicht mehr entfaltet werden. Unsere knappe Ideologiekritik an volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen hatte nur einen Zweck: Nachdenklichkeit unter Pädagogen darüber anzustoßen, ob die behauptete "wissenschaftliche" Überlegenheit einer schulischen Wirtschaftslehre (gegenüber der Arbeitslehre) haltbar ist.
[/S. 213:]
Wir hatten die drei Partikularfächer Haushalt, Technik und Wirtschaft in zweifacher Absicht analysiert: zum einen wollten wir uns vergewissern, welche Inhalte, Methoden usw. für die Arbeitslehre bedeutsam sind. Denn daß die Partikularfächer in die Arbeitslehre einwandern, ist unstrittig. Wir wollten aber auch den Überlegenheits-Anspruch entkräften, den viele Fachvertreter aus den Partikularfächern an die Adresse der Arbeitslehre richten. Im dritten und letzten Teil der Arbeit wird hoffentlich deutlich, daß es nicht um eine Liquidation der Partikularfächer sui generis geht, sondern um eine Integration, bei der die bewahrenswerten Elemente der Partikularfächer zu höherer Wirksamkeit gesteigert sind.
Da die Partikularfächer älter als die Arbeitslehre sind, haben sie je eigene Legitimationsmechanismen entwickelt. Einer der wirksamsten ist der, daß die inhaltliche Substanz des Schulfaches mit Komplexität angereichert wird. Die zu bearbeitende Materie wird universalisiert in einer Weise, daß die Forderung nach Lehrerexperten, nach mehr Stunden und nach Eigenständigkeit an Glaubwürdigkeit gewinnt. Das Fach Haushalt erweitert sich um eine soziologische Dimension, Technik hat den Ehrgeiz ein Verständnis der Gesamttechnik zu vermitteln, Wirtschaft kann angeblich nur noch global gedacht werden usw. Damit ist natürlich der Trend zur Verfächerung des Schulcurriculums nicht gebrochen, er wird verstärkt.
Die Abwehrhaltung gegenüber der Arbeitslehre findet sich in folgender Argumentationskette:
Unsere Analyse ergab einige Anhaltspunkte, die diese Argumentation erschüttern könnten. Zum einen wurde deutlich, daß die populären Einschätzungen der drei Partikularfächer durchaus einen empirischen Gehalt haben. Das Fach Haushalt ist zwar in der Schule zur Koedukation genötigt, die Rekrutierung der Lehrerinnen und der Hochschullehrerinnen kann mühelos ohne die unschöne "In"-Schreibweise erfolgen, denn es handelt sich fast ausschließlich um das weibliche Geschlecht. Der alte, auf praktische Handlungsfähigkeit verengte Hauswirtschaftsunterricht, wird etwas verschämt hinter wissenschaftlichem Imponiergehabe versteckt, was die Gefahr nicht ausschließt, daß er eines Tages verschwindet.
Der Technikunterricht ist, was die Lehrerschaft angeht, nicht so sehr eine Männerdomäne wie der Hauswirtschaftsunterricht eine der Frauen ist, gleichwohl schleppen beide Fächer ein Geschlechtszuschreibung mit sich herum. Technik hat weiterhin große Abgrenzungsprobleme zu einem angewandten Physikunterricht. Technikunterricht hat sich natürlich auch im Zuge der Akademisierung der Lehrerbildung mit dem Wissenschaftlichkeits-Postulat konfrontiert gesehen, eine Erfahrung, die den alten Werklehrern völlig fremd war. Die Folge davon ist eine etwas krampfhafte "Ingenieurisierung" des Unterrichts, die zu Lasten der [/S. 214:] Werkzeug- und Werkstofferfahrung der Schüler geht. Zumindest gilt dies für die didaktischen Konzepte, die Unterrichtspraxis unterscheidet sich davon wohl noch auf längere Zeit. Aber diese Beobachtung trifft auf alle drei Partikularfächer zu.
Die Facetten eines Faches Wirtschaft sind vielfältig. Der Ruf der bläßlichen "Kunde" ist nie ganz verstummt, andererseits wird dem Fach eine Wirksamkeit zugeschrieben, für die die Beweise noch ausstehen.
Bei allen drei Partikularfächern stellten wir eine gewisse Diskrepanz zwischen didaktischen Konzepten und der Unterrichtswirklichkeit fest. Wenn auch unsere Datenbasis für die Beurteilung von Unterricht denkbar schmal war, so konnten doch Anhaltspunkte gewonnen werden.
Die wissenschaftliche Herkunft der drei Partikularfächer muß als schwach begründet bezeichnet werden. Zumindest berechtigt es die Partikularfächer nicht, eine Inferiorität der Arbeitslehre zu behaupten, weil diese keine universitäre Mutterdisziplin vorweisen könne. Das Fehlen einer unmittelbar korrespondierenden Wissenschaftsdisziplin, dies sei am Rande vermerkt ist keine Tragödie. Es mehren sich die Stimmen, die das Wissenschaftsprotektorat über ein Schulfach auch als Last empfinden.
Etwas pointiert läßt sich folgendes sagen: Wenn Vertreter der drei Partikularfächer diejenigen Elemente ihrer Fachsystematik zu den wichtigsten erklären würden, die auch jetzt schon Berührungen mit den jeweils anderen Fachsystematiken haben, wären wir ein großes Stück weiter.
Wir hatten die Entwicklung der Arbeitslehre in der Bundesrepublik nachgezeichnet bis zu jenem Punkt, wo die polytechnische Bildung der ehemaligen DDR als Konkursmasse beim nunmehr "gesamtdeutschen" Bildungssystem abgeliefert worden war. Die historische Situation ist nicht markiert durch mehr Einigkeit über einen im Prinzip unwiderlegbaren Bildungsauftrag. Im Gegenteil: Die schwungvoll begonnene Arbeitslehreentwicklung war zum Stillstand gekommen, der nie ganz erlahmte Separatismuswunsch der Partikularfächer erstarkte, die Restauration des Gymnasiums mit seinem arbeitslehreabstinenten Fächerkanon war nicht aufzuhalten, die Polytechnik-Erbschaft fand in den alten Bundesländern keine Sympathie und in den neuen zu wenig entschiedene Verfechter des bewahrenswerten Grundgedankens. (Vergl. unseren Exkurs im ersten Teil der Arbeit)
Die Bildungsidee der Arbeitslehre hatten wir am Ende des ersten Teils unserer Arbeit noch einmal aus drei Perspektiven reflektiert: Arbeit als unhintergehbare Bedingung des täglichen Lebens auf die vorzubereiten einer allgemeinbildenden Schule wohl anstünde (HANNAH ARENDT [32]). Die gut begründete Hoffnung, daß sich so etwas wie Bildung einstellte, wenn tätiges Eingreifens in das Leben zur Maxime einer Schule würde (JOHN DEWEY [32]). Der experimentell untermauerte Aufbau kognitiver Strukturen, für dessen Gelingen die Arbeitslehre optimale Voraussetzungen bietet. (HANS AEBLI [32]).
Im zweiten Teil der Arbeit befragten wir die Partikularfächer, deren Fortbestehen ein wesentlicher Anteil an der Krise der Arbeitslehre zuzuschreiben ist. Es stellte sich heraus, daß die drei Fachkonstruktionen kaum widerspruchsfreie Bildungsprogramme genannt zu werden verdienen. Ihre Hauptschwäche besteht im Ausgrenzen. Hausarbeit und Erwerbsarbeit müssen als ganzes im Blick sein, ihre Interdependenz, Technizität und Ökonomie zu verstehen, bedarf einer ordnenden Hand.
Immer unabweisbarer wird also die Frage, ob ein Festhalten an der Arbeitslehreidee sinnvoll ist oder ob nicht die Partikularfächer nach didaktischer Modernisierung auf einen Lehr- und Lernverbund festgelegt werden könnten. Aus drei Gründen erscheint uns die zweite Möglichkeit völlig unrealistisch:
Die Lösung kann nur bei einem Integrationsfach gesucht werden. Das bedeutet Abschied von den Partikularfächern, nicht von deren Inhalten, Methoden Fachraumtraditionen usw. Aber es bedeutet entschiedene Eingriffe in Selbstverständlichkeiten und die müssen bekanntlich mit heftigen Abwehrreaktionen rechnen. Es darf keine spezifische Lehrerausbildung unter den logisch fragwürdigen Begriffsbildungen "Technik", "Haushalt", "Wirtschaft" geben. Damit verschwindet nach einer gewissen Zeit das korrespondierende Standesbewußtsein der Lehrer. Schulbuchtitel würden schnell verschwinden, denn die Schulbuchverlage sind erfahrungsgemäß sehr anpassungsfähig. Die Terminologie der Rahmenpläne bedarf einer sorgfältigen sprachlichen Überarbeitung, die allseits Unzufriedenheit auslösenden geringen Stundentafelanteile der Partikularfächer werden gebündelt einem Integrationsfach zugeschlagen. [/S. 217:]
Der vielleicht wichtigste Einwand wird von Menschen kommen, die sogar bis hierher zu folgen bereit waren. Sie werden sagen: und wieder nur ein Schulfach, ein vielleicht nicht so fachsystematisch verengtes, aber eben ein Fach unter einem Dutzend anderer. Wir sehen keine Alternative. Alle Reformer des Gesamtsystems Schule müssen scheitern, und da das System in Fächern organisiert ist, käme eine Ablösung der Fächer einer Fundamentalerneuerung gleich. Eine Verminderung der Fächerzahl, namentlich dort, wo die Fächergrenzen nur noch unter Argumenten, die ihre Überzeugungskraft längst eingebüßt haben, zu halten sind, ist machbar.
Im letzten Teil dieser Arbeit versuchen wir zu zeigen, daß ein Fach Arbeitslehre nicht die Addition handverlesener Inhalte der Partikularfächer ist. Arbeitslehre muß sogar die alte systemtheoretische Formel überbieten: das Ganze sei mehr als die Summe der Teile. Arbeitslehre ist auch dann noch mehr, wenn nur Teile der Teile summiert wurden.
Wir hatten bei der Analyse der Partikularfächer festgestellt, daß sie dazu tendieren, Stoffmengen ständig zu akkumulieren - ein Symptom, das sie mit vielen Schulfächer teilen. Wenn die Arbeitslehre in diesen Sog gerät, ist die Aporie unvermeidlich. Die vorliegenden Arbeitslehreansätze weisen bereits Merkmale von Überfrachtung auf. Hierfür ist aber eine plausible Erklärung zur Hand: Alle Rahmenplankommissionen der ersten Jahre waren mit Vertretern der Partikularfächer besetzt, von denen jeder seine Mitgift aufgenommen sehen wollte. Es ist deshalb sehr wichtig, das Arbeitslehre von vornherein Fachsystematiken zurückstellt und eine Problemorientierung in den Mittelpunkt stellt. [/S. 218:]
Alle Fachsystematiken könnten endlose Deduktionsketten bilden. Aus einem obersten, meist relativ abstrakten Prinzip läßt sich Erstaunliches deduzieren. Bei der Techniklehre war es die Trias: Stoff, Energie, Information, bei der Hauswirtschaft die Daseinsvorsorge, und bei der Wirtschaftslehre die Marktwirtschaft. Immer entstehen unvermeidlich Stoffansammlungen, die den Charakter von Katechismen haben, durch restriktive Praxisbedingungen in der Schule allerdings oft bis zur Unkenntlichkeit verformt werden.
Der wichtigste Unterschied zwischen der Inhaltsorientierung eines Schulfaches und der Problemorientierung ist der, daß Inhaltsorientierungen immer Limesvorstellungen mitführen, d.h., was nicht zum Inhaltskatalog gehört, wird nicht thematisiert. Problemorientierungen dagegen sind grenzüberschreitend, müssen es sein, denn Probleme machen an Fachgrenzen nicht halt. Projektunterricht ist deshalb fachimmanent eigentlich nicht möglich, darauf ist im Kontext der Projektdiskussion immer wieder hingewiesen worden. (FREY 1987, GUDJONS 1994 [32]).
Ein "Fach" Haushalt wird in der Regel die Herstellung eines textilen Gegenstandes vorsehen, niemals jedoch die Demontage und Analyse der Nähmaschine. Umgekehrt kann im "Fach" Technik durchaus die Nähmaschine Gegenstand des Unterrichts sein, ein Kleidungsstück zu nähen, wiese jeder Techniklehrer von sich. Der "Wirtschaftskunde"-Lehrer mag sich dem Thema "Kreditkarten" zuwenden und dem Vormarsch des bargeldlosen Zahlungsverkehrs; es überraschte sehr, würde der gleiche Lehrer eine simple elektronische Schaltung mit den Schülern bauen, die Magnetcodes zu dechriffieren gestattet.
Problemorientierte Didaktiken haben es mit zwei Schwierigkeiten zu tun: die Problemdimension kann außer Kontrolle geraten, m.a.W., wegen der Vielzahl der sich abzeichnenden Informationsdefizite werden einige Suchprozesse abgebrochen und Vermutungen an die Leerstellen gesetzt. Die andere Schwierigkeit besteht im Auffinden bildungsbedeutsamer Probleme überhaupt. Auf die erste Schwierigkeit gehen wir noch weiter unten ein. Die neuen Informationstechniken verheißen u.U. eine Lösung.
Welche Probleme sind es, die Schüler zur Lösungssuche stimulieren könnten? KLAFKI [44] hat die epochalen Probleme herausgestellt, denen eine allgemeine Didaktik nicht mehr ausweichen darf. Wegen ihres überindividuellen Geltungsanspruchs nennt KLAFKI sie "Schlüsselprobleme". (KLAFKI 1991 [32]).
Die fünf von KLAFKI [44] in die Diskussion gebrachten "epochaltypischen Schlüsselprobleme" wollen wir im folgenden von der Ebene eines allgemeindidaktischen Postulats auf die Arbeitslehredidaktik projizieren. In einem nächsten Schritt werden wir feststellen, daß Jugendliche zwischen 13 und 16 - die vorläufig wichtigste Zielgruppe der Arbeitslehre - diese Probleme nicht ohne weiteres als ihre eigenen identifizieren. Da die Probleme ausnahmslos alle betreffen, wird die Vermittlung mit den Deutungsmustern der Jugendlichen zur Aufgabe.
Die Friedensfrage ist das epochaltypische Schlüsselproblem, von dem die Arbeitslehre suspendiert werden sollte. Hier gibt es fachliche Zuständigkeiten bei anderen Fächern. Jenseits jeder Fachdidaktik gehört es zum Erziehungsauftrag der Schule, Friedfertigkeit, Hilfsbereitschaft und Toleranz einzuüben. Aber die systematische Behandlung der Rüstungsinteressen, des Fundamentalismus, der Bürgerkriege usw. ist nicht Sache der Arbeitslehre. [/S. 219:]
Die Umweltfrage dagegen findet in der Arbeitslehre einen Ort, wo die Problembearbeitung erfolgversprechend aufgenommen werden kann. Es ist wohl selbstverständlich, daß Arbeitslehre die Umweltfrage nicht monopolisieren kann und will; Fächer wie Erdkunde, Biologie und Politik leisten wichtige Beiträge. Die sehr hoch einzuschätzende Chance der Arbeitslehre besteht im Aufbau einer durchgängigen Doppelperspektive, angebunden an reale Stoffumwandlungsprozesse! Wenn in handwerklichen, bzw. in quasiindustriellen Herstellungsprozessen Gebrauchsgegenstände entstehen und wenn auf der anderen Seite Hausarbeit praktisch stattfindet, dann erlebt jeder Schüler, wie beide Sphären in je spezifischer Weise Umwelt belasten. Zum einen können umweltgefährdende Verfahren und Werkstoffe im Rahmen des Mikrokosmos Schulwerkstatt substituiert werden, zum anderen kann der Frage nachgegangen werden, welche wechselseitigen Einflußmöglichkeiten und -unterlassungen praktizieren die Haushalte und welche die Unternehmen.
Die Frage gesellschaftlich produzierter Ungleichheit. Auch hier gibt es wohl kein Schulfach, daß nicht aufgerufen ist, den Blick der Schüler zu schärfen für natürliche Ungleichheit (Männer und Frauen, Behinderte und Nichtbehinderte) und die daran sich festmachenden Ungleichheitsnormen der Gesellschaft. Da die gesellschaftlich produzierte Ungleicheit ubiquitär ist, muß Arbeitslehre gewissermaßen seine Problembearbeitung definieren. Es sind hier vor allem zwei Problemkomplexe, die genuin zur Arbeitslehre gehören, und für deren Bearbeitung kein anderes Fach in Sicht ist: erstens die Ungleichheit bei der Last der Hausarbeit und die damit verbundene Ungleichheit bei beruflichen Karrierechancen zwischen Männern und Frauen. Der zweite Problemkomplex hat etwas zu tun mit der Arbeitsteilung zwischen "reichen" und "armen" Ländern. Jedes Stück Material, das in der Arbeitslehre verarbeitet wird, jede Speise, die zubereitet wird, jeder Konsumartikel, der analysiert wird, kommt u.U. aus einem Land, das selbst "arm" ist. Kurzschlüssig und populistisch wäre die Behauptung, wir mästen uns auf Kosten der Armen. Sehr viel komplizierter sind die wahren Zusammenhänge. So überlebensnotwendig die Industrieländer für die Billigproduzenten sind, so beunruhigend ist die Abhängigkeit, die beiderseits auf Dauer gestellt wird.
Die Frage der Kontrollierbarkeit moderner Technik. KLAFKI [44] hat mit diesem epochalen Schlüsselproblem etwas bezeichnet, das extrem kompliziert ist. Inzwischen gibt es Forschungsprogramme zur Technikfolgen-Abschätzung. Allein die Diktion ist verräterisch: die Technik selbst erscheint als Neutrum, die Folgen aber können mehr oder weniger segensreich sein. Wenn es ein Argument gegen ein Schulfach Technik gibt das sich gleichzeitig als Argument für Arbeitslehre anbietet, dann ist es die Technikfolgen-Abschätzung, diese kann nämlich nicht technikimmanent geleistet werden. Arbeitslehre wird die finale Bestimmung von Technik, die Daseinserleichterung des (haushaltenden) Menschen, aus dessen Perspektive befragen und zur Reflexion über die Präferenzen des Haushalts selbst anhalten. Die IuK-Techniken, denen KLAFKI ausdrücklich eine besondere Qualität zuspricht, werden im Gegensatz zu anderen Techniken alle Schulfächer verändern. Das eigentlich Technische an der IuK-Technik hat nicht den Rang eines Schlüsselproblems. Das Problem besteht in der Gefahr, daß ein Ende der Privatheit heraufziehen könnte. Datenschutz und "informationelle Selbstbestimmung" sind die Abwehr-Vokabeln.
Die Frage der Ich-Du-Beziehung ist von KLAFKI [44] wohl auch als eine sehr alte, die Menschheit begleitende Frage verstanden worden. Christliche Brüderlichkeit, [/S. 220:] sozialistische Solidarität, antiker Eros, verlieren sich in der Moderne, und der Ruf nach Religionsunterricht, Ethikunterricht oder sonstigen Programmen zur Entwicklung des Guten im Menschen wird lauter. Wir bezweifeln die Notwendigkeit weiterer Schulfächer, sehen aber auch die unterschiedliche "Eignung" der vorhandenen Fächer für eine wirksame Moralerziehung. Mathematik- und Chemieunterricht sind vielleicht weniger geeignet als der Deutschunterricht. Alle Fächer müssen sich jedoch fragen, ob sie Hilfsbereitschaft und Empathie fördern oder gar erschweren. Die Koedukation ist noch gar nicht so alt in unserem Bildungswesen, und doch gibt es bereits Stimmen, die eine (zeitweise) Abkehr fordern. Die Integration von Behinderten ist eine sehr junge Erscheinung. Und die Entwicklung der Gesamtschule, daran sei erinnert, wollte jungen Menschen das Ausgrenzungserlebnis ersparen. Fast jeder Schüler hat heute einen, meist mehrere ausländische Mitschüler, eine Erfahrung, die noch vor wenigen Generationen völlig fehlte. Institutionelle Bedingungen haben sich also eher verbessert, der Zustand der Gesellschaft aber wird von Soziologen pessimistisch beurteilt: Zahlen über Ehescheidungen, Kindesmißhandlungen, Verkehrs- und Rohheitsdelikte sind beunruhigend.
Es wäre anmaßend, wenn das Fach Arbeitslehre sich als Nothelfer anböte. Man muß aber die dem Fach immanenten Chancen benennen: Die Geschlechter, traditionell in zwei Daseinsbereichen "entmischt", finden in der Arbeitslehre zusammen. Gemeint sind die Technik im weitesten Sinne und die Hausarbeit. Ob Mädchen und Jungen, die gemeinsam eine elektronische Schaltung aufgebaut und Pizza gebacken haben, vor einander auch mehr Respekt empfinden, ist nicht beweisbar. Ob ein in den sprachlichen Fächern "schwacher" Schüler, der in Arbeitslehre überdurchschnittliche Erfolge hat, zu einem weniger frustrierten und ausgeglichenem Menschen sich entwickelt, bleibt ungewiß. Auch die Tatsache, daß isolierte Übungspraktiken in der Arbeitslehre kaum eine Rolle spielen, sondern gemeinsame Planungs- und Durchführungsphasen das Bild beherrschen, läßt bestenfalls die Hoffnung auf mehr Solidarität keimen.
Wir konnten zeigen, daß Arbeitslehre teilweise die KLAFKI [44] schen Schlüsselprobleme aufgreift. Sofern ein einzelnes Schulfach überhaupt zur adäquaten Problembearbeitung geeignet ist, dürfte Arbeitslehre als privilegiert gelten. Die nicht monodisziplinäre Herkunft der Arbeitslehre erweist sich hier als Vorteil. Es wäre falsch, zu verschweigen, daß von Kritikern der Arbeitslehre die Gefahr in einer unkontrollierbaren Entgrenzung des Faches gesehen wird. Dieser Gefahr kann nur mit der Beschreibung eines invarianten Kerns der Arbeitslehre begegnet werden. Die Betonung liegt auf "Beschreibung", denn die explikative Annäherung erscheint uns als die einzig angemessene. Aussagen im Duktus von Lernzielen setzen bereits eine Problemlösung voraus.
Wenn dieser "Kern" einmal Konsens erlangt, ist eine Entgrenzung nicht mehr bedrohlich. Dies dürfte langfristig ein Gütekriterium für Schulfächer sein: Wie beweglich sind sie an den Rändern? Kein Schulfach kann genötigt werden, einen substantiellen Kern aufzugeben. Aber es muß erwartet werden können, daß Problemsensibilitäten für Grenzbereiche da sind und daß Vernetzungen stattfinden.
Die neun nachfolgend beschriebenen fachdidaktischen Schlüsselprobleme der Arbeitslehre sind deren invarianter Kern. Es ist nicht bekannt, daß irgend eine Arbeitslehrekonzeption eines dieser Probleme gar nicht thematisiert. Allerdings sind zahlreiche Themen bzw. Stoffkonvolute benennbar, die auch angeblich zur Arbeitslehre gehören, die wir aber vernachlässigen. Um nur die wichtigsten zu nennen: Die Sozialisationsfunktion des Haushalts (Kindererziehung), die Geschichte der Arbeiterbewegung, große Teile der Wirtschaftspolitik (Unternehmenskonzentration, [/S. 221:] Steuern, Geldpolitik), Ökologische Fragen (Artenschutz, Klimaveränderungen), Fragen im Grenzbereich von Technik und Naturwissenschaften (Energiebilanzen, alternative Energieformen). Die Liste ist wesentlich länger. Man hat Skrupel bei der Ausgrenzung. Aber immer wieder muß an die Existenz der anderen Fächer erinnert werden, und solange Schule arbeitsteilig abgehalten wird, liquidiert sich ein Fach selbst, wenn es sich von der Allmachtsphantasie fortreißen läßt.
Die nachfolgend genannten fachdidaktischen Schlüsselprobleme der Arbeitslehre werden in komprimierter Form vorgestellt. Ihre Offenheit verbietet die Aufstellung von Inhaltskatalogen oder gar Lernzielen.
Der Beschreibung von neun fachdidaktischen Schlüsselproblemen vorangestellt ist die eigentliche Substanz der Arbeitslehre: die beiden unverwechselbaren Grundtypen der Arbeit, die Erwerbsarbeit und die Hausarbeit.
Dies ist notwendig, wie aus den folgenden Ausführungen vielleicht hervorgeht. Arbeit, sei eine Universale, machen die einen geltend und deshalb als Strukturierungskriterium ungeeignet. Die anderen wollen einen neuen Arbeitstyp entdeckt haben, der von der Arbeitslehre unbedingt systematisch zu bearbeiten sei. Diese sogenannte "Eigenarbeit" stößt neuerdings auf großes Interesse (vergl. auch unsere Anmerkung auf S dieser Arbeit). Unter Eigenarbeit wird ein Drittes verstanden, das angeblich nicht Erwerbsarbeit und nicht Hausarbeit ist. Wenn jemand sein Wohnzimmer tapeziert, an seinem Auto die Batterie wechselt oder neue Vorhänge näht, so sei dies Eigenarbeit. Bei Licht besehen handelt es sich um teilweise vergessene Hausarbeit oder um Berufsarbeit, die mehr oder weniger kompetent ohne Entlohnung ausgeführt wird. An die im historischen Prozeß notwendig gewordene Ausdifferenzierung der Berufe muß erinnert werden, weil das "ganze Haus" an Funktionsgrenzen gestoßen war. In dann folgenden Entwicklungsperioden waren auch scheinbar originäre Hausarbeiten wie Wäschewaschen und Nahrungszubereitung teilweise ausgelagert worden. Wenn jetzt im Zuge der "Sättigung" von Berufsarbeit eine Rückverlagerung in den Haushalt erfolgt, besteht noch keine Notwendigkeit, eine kategoriale Neuordnung zu verkünden.
Gewiß lassen sich im Kontext sogenannter Eigenarbeit veränderte Motivationslagen beobachten, etwa die von der Hobbykultur her bekannte Begeisterung. Und selbst wenn das Hobbyprädikat unzutreffend sein sollte, weil die Begeisterung sich in Grenzen hält und allein ökonomische Kalküle der Beweggrund sind, einen Typus "Eigenarbeit" vermöchten wir nicht zu erkennen.
An dieser Stelle möchte ich kurz einen unaufgelösten Dissens mit WILFRIED HENDRICKS [32] benennen. In vielen Gesprächen legte er seine Option für eine Dreiteilung des Arbeitsbegriffes dar. Motivationale, funktionale und vom Mitteleinsatz her differente Merkmale rechtfertigten die Beschreibung der Eigenarbeit; die analytische Verfeinerung des Begriffsapparats könnte das Gesamtphänomen Arbeit transparenter machen. Wir glauben, daß die beiden Kategorien Erwerbsarbeit und Hausarbeit ausreichen. Eine über den Hypothesenstatus hinausgehende Bearbeitung des Problems steht noch aus, dürfte aber für die weitere Entwicklung der Arbeitslehre dringlich sein.
Eine andere Interessenkonstellation zielt offenbar darauf ab, den Begriff Hausarbeit generell durch Eigenarbeit zu ersetzen. Die Konnotationen von "Hausarbeit" werden als biedermeierlich empfunden, vom Begriff der Eigenarbeit erhofft man sich mehr Attraktivität. Sprachliches Design genügt in den meisten Fällen nicht. Die von einigen Fachvertretern als Peinlichkeit empfundene Bezeichnung Arbeitslehre soll durch "arbeitsorientierte Bildung" salonfähiger werden, ein aus unserer Sicht untauglicher Versuch. [/S. 222:]
R.G. HEINZE und C. OFFE [45] haben sich mit "Formen der Eigenarbeit" auseinandergesetzt. Der besonders in den Medien oft unreflektierten Verwendung des Begriffes halten sie ihre Definition von Eigenarbeit entgegen. Es handelt sich dabei um professionelle "Erwerbsarbeit", die ihre betriebliche Bindung aufgegeben hat und nicht in Geldgrößen entlohnt wird. Würde sie dies nicht tun, wäre der Tatbestand der Schwarzarbeit erfüllt. So aber kommt es zu einer Tauschwirtschaft auf Gutscheinbasis, denn die Eigenarbeit kann nur selten direkt getauscht werden. (Haarschnitt gegen Ölwechsel am Auto) Die für die Eigenarbeit erworbenen Gutscheine dienen zum "Einkauf" fremder Eigenarbeit. Die relativ strengen Ansprüche an eine Arbeitsform, die das Prädikat "Eigen" verdient, schließen in den meisten Fällen das aus, was als Heimwerkerei und gutgemeinten Hilfsdiensten heute unter Eigenarbeit firmiert.
"Auch begrifflich-analytisch sind gegen eine expansive Neubestimmung des Arbeitsbegriffs Einwände zu erheben. Von 'Arbeit' kann nur dann gesprochen werden, wenn eine Tätigkeit durch ein vorbedachtes und nicht nur von den Arbeitenden selbst, sondern auch von anderen als nützlich bewertetes Ziel geleitet wird und wenn sich die auf dieses Ziel gerichteten Anstrengungen in einer gewissen Übereinstimmung mit dem gesellschaftlich erreichten Stand der technischen Produktivität befinden. Nach diesen beiden Kriterien der sozialen Validierung von Zielen und der Effizienz des Mitteleinsatzes würde etwa ein großer Teil der als 'Hobbies' betriebenen Tätigkeiten nicht sinnvollerweise der Sphäre der 'Arbeit' zugerechnet werden können, sondern müßte - wie etwa auch sportliche Tätigkeit - als eine konsumptive Art der Freizeitverwendung klassifiziert werden. Überall dort, wo der 'Arbeitsprozeß' und sein 'Ergebnis' schwer oder überhaupt nicht voneinander zu trennen sind und der Nutzen der Tätigkeit in ihrem 'Prozeßnutzen' aufgeht, wird man deshalb nicht sinnvoll von 'Arbeit' sprechen wollen."
(HEINZE/OFFE; 1990 [32], S. 9)
Es ist schwer einschätzbar, welche Rolle diese Form der Eigenarbeit in unserer Gesellschaft heute schon spielt. Die kriminalisierte Schwarzarbeit und die informelle Eigenarbeit haben gemeinsam, daß sie im Schatten bleiben. [/S. 223:]
Erwerbsarbeit | Hausarbeit | |
Gemeinsamkeiten | ||
| ||
Trennendes | Trennendes | |
|
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Fachdidaktische Schlüsselprobleme der Arbeitslehre
|
Diese neun fachdidaktischen Schlüsselprobleme gehören zum unverzichtbaren Kern der Arbeitslehre. Wie die offene Problemformulierung bereits ahnen läßt, besteht die Gefahr der extensiven Bearbeitung im Unterricht, allerdings nur dann, wenn unter "Bearbeitung" verbalsymbolische Diskurse verstanden werden. Die Begrenzung erfolgt in raum-zeitlicher Hinsicht durch zwei Faktoren: Erstens gilt der Primat der Handlungsorientierung, und Handeln in der materiellen Welt ist zeitaufwendig, so daß im Unterricht die Gefahr der Ausschweifung gering ist. Auf den von uns verwandten Handlungsbegriff gehen wir weiter unten ausführlich ein.
Zweitens ist die Problembearbeitung an Fachräume gebunden. Fachräume kann man nicht wie Schulbücher auswechseln. Oft handelt es sich um säkulare Prozesse: bis zum Schulgebäude selbstverständlich eine Turnhalle gehörte, verging viel Zeit. Ungewöhnlich rasch wurden in jüngster Zeit einige Computerräume eingerichtet. Die Anforderungen an einen solchen Raum sind allerdings gering: Wenn man auf eine Vernetzung verzichtet, reicht es in der Regel, die Computer auf vorhandene Schultische zu stellen. Andere Fachräume der Arbeitslehre benötigen erhöhte zulässige Deckenlast, spezielle Stromversorgung, Abluftkanäle, einen qualitativ besonderen Bodenbelag und diverse technische Geräte.
Noch immer - dies sei hier eingeflochten - beherrschen in unseren Schulen Klassenzimmer das Bild, deren Inventar aus Tischen, Stühlen, einem Lehrertisch und der Tafel besteht. Lediglich in der Grundschule beobachten wir eine Entwicklung zum anregungsreichen Environment: Pflanzen, Aquarien und Bastelecke sind nicht mehr die Ausnahme. Daß Schüler in der Sekundarstufe disponiert sind, einem letztlich lehrerzentrierten Unterricht dauerhaft ihre Zuwendung zu schenken, wird von der Unterrichtsrealität widerlegt. Ein Raum etwa, in dem Deutschunterricht erteilt wird, könnte über ein kleines Tonstudio, eine Minibühne für szenische Darstellungen und über eine Druckerei verfügen. Beispiele gibt es. Für Arbeitslehre müßte es u. E. selbstverständlich sein, daß dieses Fach nicht in einem der oben beschriebenen, anregungsarmen Klassenzimmer stattfindet. Leider trifft dies nicht zu. "Arbeitslehre-Theorie", so lautet eine verquaste Wortschöpfung, könne doch im Klassenzimmer stattfinden, und gelegentlich ginge man dann in die Werkstatt. Einem solchen Irrtum ist schwer beizukommen, wie uns jahrelange Bemühungen lehrten. Wenn die Prämisse akzeptiert wird, daß aus Handlungsabläufen Theoriebedarf hervorgeht und umgekehrt, Theorie (verstanden als Handlungsentwurf) auf unmittelbare Überprüfung drängt, dann sind unterschiedliche Raumkonzepte schon eine große Hürde. In einer Werkstatt kann man immer auch zum Zwecke theoretischer Reflexion innehalten, in einem Klassenzimmer kann man selten etwas ausprobieren. Zum Stand der Ausstattung mit Fachräumen für Arbeitslehre und verwandte technische Fächer in der alten Bundesrepublik hat WULFERS eine Befragung im Auftrag der GATWU [46] durchgeführt (WULFERS 1989 [32]). [/S. 226:]
Die nachfolgende Tabelle zeigt die fünf Handlungsfelder der Arbeitslehre, die weitgehend mit entsprechenden Fachräumen korrespondieren. Gekreuzt werden die Handlungsfelder mit sogenannten Orientierungspfaden, die gewissermaßen als Dauerreflexion in jedem Handlungsfeld mitlaufen: Sicherheitsorientierung, Verbraucherorientierung, Berufsorientierung, Ökologische Orientierung und Designorientierung
Orientierungspfade |
![]() |
Handlungsfelder | |
Integrierte Holz -,Metall -,und Kunststoffverarbeitung | |
Signal -,und Datenverarbeitung | |
Büroarbeit | |
Lebensmittelverarbeitung | |
Textilverarbeitung |
Die fachdidaktischen Schlüsselprobleme sind aus der gesellschaftlichen Situation nicht ableitbar, aber in dieser zu entziffern. Die Handlungsfelder werden teilweise determiniert durch vorhandene Fachraumstrukturen aber auch durch Machbarkeitserwägungen. Die Orientierungspfade schließlich sind so etwas wie normative Lernzielbestimmungen.
Zum Fachraumensemble der Arbeitslehre einige kurze Bemerkungen. (Siehe auch: REUEL: Die Ausstattung von Arbeitslehre-Fachräumen sowie deren Unterhaltungskosten, Pädagogisches Zentrum Berlin, 1993) Die optimale Ausstattung eines Arbeitslehre-Fachbereichs umfaßt mindestens fünf Räume. In diesen handeln die Schüler auf unterschiedliche Weise. Und doch erschließt sich nach kurzer Zeit der Sinnzusammenhang. Es folgt eine Kurzcharakteristik der Räume.
Dieser ist in der Regel geteilt, in eine Maschinenzone und eine Zone für manuelles Arbeiten. Die Werktradition sah immer getrennte Räume für Holz und Metall vor, Kunststoffe spielten kaum eine Rolle. Eine beinahe dogmatisch zu nennende Auffassung der Werkstoffpuristen ging von einer Unverträglichkeit zwischen Holz und Metall aus. Eine ohnehin vorgeschriebene moderne Staubabsaugung, verbunden mit etwas Reinlichkeit, läßt die gemeinsame Verarbeitung von Holz und Metall hervorragend in einem Raum zu. Die Vorteile überwiegen bei weitem: Schüler begreifen jetzt unmittelbar, warum Schnittgeschwindigkeiten und Keilwinkel bei Metall anders sein müssen als beim Holz. Sie kennen Vor- und Nachteile eines gewachsenen, eines "abgebauten" und eines vollsynthetischen Werkstoffs. Sie erfahren beim Arbeiten, welche Substitutionsmöglichkeiten bestehen und welche Verfahren nur bei diesem, nicht jedoch bei anderen Werkstoffen anwendbar sind. Sie entwickeln überdies eine sensorische Wahrnehmung [/S. 227:] von Werkstoffeigenschaften, die nach Möglichkeit von objektiven Prüfverfahren unterstützt wird.
In diesem Raum spielt die Werkstoffbearbeitung eine nachgeordnete Rolle. Die Schüler verursachen mit ihrer Arbeit Zustandsänderungen, die nur sekundär, anhand akustischer, optischer oder thermischer Erscheinungen beobachtbar sind. (u.U. nur als Ja- oder Nein-Aussage.) Im Gegensatz zu einem theoretischen Physikunterricht, anders aber auch als im experimentellen Physikunterricht, entsteht in der Arbeitslehre eine elektronische Schaltung, die einem Verwendungszweck zugeführt wird. (etwa ein Feuchtigkeitsmelder für den Blumenkübel.) Auch der Einsatz des Computers in diesem Raum ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß mit seiner Hilfe Prozesse gesteuert werden. Angefangen vom Fräsen einer Leiterplatine bis hin zum Ausschneiden eines komplizierten Styroporteils, das als Formkern verwendet wird. Kann dieser Typus von Arbeit nicht in dem vorher genannten Raum (Integrierte Holz-, Metall- und Kunststoffbearbeitung) stattfinden? Unter restriktiven Bedingungen geht es, allerdings darf nicht übersehen werden, daß im ersten Falle überwiegend stehend gearbeitet wird, im zweiten sitzend. Dies erfordert unterschiedliche Werkbänke.
Ein Raum für Büroarbeit, auch als Lernbüro bekannt, ist der jüngste im Fachraumensemble der Arbeitslehre und noch keineswegs überall vorhanden. Ein moderner Arbeitslehreunterricht kann die Büroarbeit nicht ausklammern. Dieser Sektor der Erwerbsarbeit (aber auch eine Bürokratisierung der Haushaltsführung) gewinnt an Bedeutung. Die Textverarbeitungsprogramme, die überall in reinen Computerräumen geübt werden, haben natürlich eine Erhöhung der "Bürokompetenz" im Gefolge, diese ist aber nur sehr rudimentär. In einem Lernbüro werden elementare kaufmännische Geschäftsvorfälle im Zusammenhang bearbeitet. Besonders wichtig ist die Spiegelung der Kaufmanns-Interessen an denen der Konsumenten.
Ein Fachraum für Lebensmittelverarbeitung hieß doch früher Lehrküche, werden Leser räsonnieren. Dies ist richtig. Um den Wandel wenigstens anzudeuten: der alte Vierplatten-Haushaltsherd, an dem ein Schüler kochte, drei weitere zuschauten, sollte allmählich verschwinden. Überhaupt bekommt der Fachraum für Lebensmittelverarbeitung zunehmend mehr Ähnlichkeit mit einem Arbeitsraum der Gastronomie. Das Abarbeiten einer Rezeptfolge ist nicht mehr das beherrschende Moment in diesem Fachraum. Andere Unterrichtsformen gewinnen langsam an Bedeutung. Ein Lebensmittel (z.B. Brot, Tomaten oder Kartoffeln) wird im Hinblick auf Anbau- und Zubereitungstechniken untersucht; Konservierungs- und Handelsformen, Herkunftsländer und Artenvielfalt werden in die Untersuchung einbezogen. Auf keinen Fall bedeutet dies die Verdrängung von Kochkultur und der Möglichkeit sensorischer Erfahrungen. Der Horizont wird jedoch um Fragen der Nahrungsmittelversorgung im überregionalen Maßstab erweitert.
Dieser Fachraum hatte oft eine Prägung durch die Sozialisationsgeschichte der Lehrerin. Es fanden sich entweder schnörkellose Werkstücke, wie sie dem handwerklichen Anfängerniveau entsprechen (Grillhandschuh), oder die kunsthandwerklich ambitionierte [/S. 228:] Lehrerin batikte mit ihren Schülern und brachte auf dem Genähten nicht immer überzeugende Applikationen an. Einen Fachraum für Textilverarbeitung in der Arbeitslehre muß man sich anders vorstellen: In einer Laborecke können die verschiedensten Materialprüfungen an fertigen Textilien vorgenommen werden. Mindestens eine der robusten Nähmaschinen ist computeransteuerbar. Schnittmuster können auf einem Bildschirm variiert, und so die verschnittärmste Stoffaufteilung gefunden werden. Daß außerdem noch genäht und gebügelt wird, versteht sich.
Wer einen Computerraum vermißt, dem ist vielleicht nicht aufgefallen, daß die Tendenz zur Computernutzung in den fünf Arbeitslehre-Fachräumen angelegt ist. Es gibt natürlich auch in Berlin Schulen, die einen reinen Computerraum zunächst einrichteten und die übrigen Arbeitslehre-Fachräume bis heute völlig computerfrei hielten. Dieses Modell entspricht der immer weiter getriebenen Parzellierung des Bildungsangebots. Es wird von uns abgelehnt.
Auf den ersten Blick erscheint die Forderung eines Schulfaches nach fünf verschiedenen Fachräumen überzogen. Zumal viele Fächer gar keinen haben und in unspezifischen Allerweltsräumen ihr Dasein fristen. Dabei ist zu bedenken, daß Arbeitslehre zwei Partikularfächer aufgenommen hat, die jeweils mindestens einen Raum beanspruchten. Auch ein moderner Physikunterricht reklamiert u.U. zwei bis drei Experimentalräume, denn je nach Größe der Schule müssen mehrere Lerngruppen gleichzeitig in Fachräumen sein. So ist selbstverständlich auch bei der Arbeitslehre nicht nur ein Fachraum belegt, sondern zu bestimmten Zeiten sind es mehrere. Wie bereits oben erwähnt, determiniert die Struktur der Fachräume weitgehend was möglich ist. Die Feinstruktur des Unterrichts sei einmal ausgenommen, denn in den genannten Fachräumen kann man natürlich sowohl lehrerzentrierten Unterricht als auch Projektunterricht machen. Man kann aber in einem Fachraum für Lebensmittelverarbeitung nicht viele andere Dinge tun als mit Lebensmitteln umzugehen. Und so ist es eine Angriffsfläche der Arbeitslehre, daß jemand morgen geltend machen könnte, wir benötigten angesichts der Zunahme der Pflegeberufe einen Fachraum für Pflegetechniken. Oder: Stadtkinder brauchen unbedingt ein Freigelände, in dem Landschaftsgestaltung praktisch geübt wird. Auch für Praxis im Zusammenhang mit Bauen, wird Freigelände benötigt. Die Bedeutung des Autos, dies sei völlig wertfrei angemerkt, rechtfertigte eigentlich die Existenz einer Kfz-Werkstatt in jeder Schule. In den USA ist dies längst der Fall. Als die Alliierten Berlin verließen, übernahmen wir eine amerikanische High-School, in der imposanten Autowerkstatt standen noch Übungswagen. Die Werkstatt wurde liquidiert, die nachrückenden deutschen Schüler haben es bedauert.
Die von uns skizzierten fünf originären Arbeitslehre-Fachräume decken zusammengenommen ein breites Spektrum menschlicher Produktionsverhältnisse ab, und sie treffen mit wenigen Einschränkungen ein spontanes Interesse der Schüler. Wir gehen hierauf im nächsten Kapitel noch ausführlicher ein.
Die materiellen Ausstattungs-Voraussetzungen der Arbeitslehre sind vielen Schulträgern nicht willkommen. Und so wird von Zeit zu Zeit in Frage gestellt, ob denn nicht ein multifunktioneller Raum ausreiche. Man muß das Ausstattungsniveau der Arbeitslehre angesiedelt sehen, zwischen Grundschule und berufsbildendem Schulwesen. Während in der Grundschule der Technikeinsatz hauptsächlich auf Handwerkzeuge begrenzt ist, Emmissionen und Energiebeträge klein sind, Werkstoffe wie Pappe und Papier eine wichtige Rolle spielen, ist die Berufsschule bemüht, betriebliche Verhältnisse wenigstens [/S. 229:] annähernd abzubilden. Die Arbeitslehre kann nicht mehr - will sie die Gelenkfunktion zwischen Allgemeinbildung und Berufsbildung übernehmen - mit Bastelräumen zufrieden sein. Andererseits darf sie sich nicht unter einen Modernitätsdruck stellen lassen, der jede technische Innovation bei der Arbeitslehre abmahnen zu können glaubt. Die Ausstattung der Arbeitslehre-Fachräume erfordert sehr viel Sachkenntnis im Hinblick auf schülertaugliches Gerät und auf die Vermeidung einer raschen Obsoleszenz.
Wir gehen jetzt auf die fünf Orientierungspfade ein, die sozusagen in allen fünf Arbeitslehre-Fachräumen vorgezeichnete Wege sind. Und wenn man sie auch nicht gleichzeitig abschreitet, auf einem befindet man sich immer.
Sicherheitsorientierung. Normativ gewendet, bedeutet dies, daß wir Unversehrtheit beim Arbeiten für besser halten als Gefährdungen oder gar Schäden. Dies scheint zwar selbstverständlich, bedarf aber doch einer Erklärung. Extremsportarten und Grenzsituationen (U-Bahn-Surfen) erfreuen sich bei einigen Jugendlichen einer gewissen Beliebtheit. Erwachsene entscheiden sich unter dem Zielkonflikt: Geldverdienen versus Sicherheit oft für Zeitgewinn, und dies bedeutet nicht selten gegen Sicherheit. Versicherungen sind kühle Rechner, sie räumen deshalb ein, daß ein starker Raucher wegen seiner niedrigeren Lebenserwartung ein "guter" Versicherter ist.
Ein Jugendlicher aber soll in der Arbeitslehre lernen, daß zur Beurteilung von Risiken, die Kenntnis der Entstehungsbedingungen und die Folgenabschätzung gehören. Er soll für sich und seine Mitschüler das empfinden, was Fürsorge genannt zu werden verdient. Darüber hinaus kann es zweckmäßig sein, empirische Gewissheiten, etwa die volkswirtschaftliche Belastung durch Unfallopfer, anzuschauen.
Verbraucherorientierung. Die drei übergeordneten Ziele jeder Verbraucherbildung sind: Kenntnisse über Werkstoffeigenschaften und technische Funktionszusammenhänge; Kenntnisse über Verbraucherrechte, sowie deren Fortentwicklung und Durchsetzung; Aufklärung über die soziokulturelle Bedingtheit von Bedürfnissen. Da sehr viele Menschen mit einer Rollenparadoxie leben müssen - sie produzieren etwas in ihrer Rolle als Erwerbstätiger, was sie als Konsument nie kaufen möchten - sind die Arbeitslehrewerkstätten immer auch ein Ort für die Reflexion dieses Dilemmas.
Berufsorientierung heißt ja zunächst einmal Orientierungsgewinn angesichts einer großen Zahl von Ausbildungsberufen und einer sehr großen Zahl von mehr oder weniger dauerhaft ausgeübter Erwerbstätigkeiten. Berufsorientierung sollte günstigstenfalls in eine Berufswahl einmünden. Dies ist nicht mehr immer die Regel, teils verhindern es Engpässe auf dem Ausbildungs- bzw. Arbeitsmarkt, seltener wird Berufswahlverzicht geübt. Dieses Phänomen tritt gehäuft bei jungen türkischen Frauen auf. Der Begriff der Berufsorientierung hatte immer schon die beiden Implikationen: Eignung und Neigung. Eine Vermittlung dieser biographischen Elemente ist notwendig. Wir lassen vorerst dahingestellt, ob Eignung nur subjektbezogen verstanden werden darf, im Sinne einer Passung an starre Berufsbilder. Oder ob nicht Berufsbilder offener sein sollten auch für von der Norm abweichende Merkmale des Berufsnachwuchses. Zugespitzt läßt sich die Geschichte der schulischen Berufsorientierung auf zwei Ansätze reduzieren: Der weithin dominierende Ansatz ist der einer verbalsymbolischen Belehrung über Berufe. Die Vermittlung bezieht auch Filme und Abbildungen ein. Der weniger forcierte Ansatz basiert auf Erfahrungen bei der praktischen Arbeit in den fünf Arbeitslehre-Fachräumen. Diese Erfahrungen können noch wesentlich fruchtbarer aufgearbeitet werden. [/S. 230:]
Ökologische Orientierung In allen fünf Arbeitslehre-Werkstätten wird nolens-volens die Umwelt belastet. Die Spielräume zwischen einer minimalen und einer maximalen Belastung sind nicht erheblich. Umweltkatastrophen können von der Arbeitslehre gottseidank nicht ausgehen, aber die Spielräume sollten didaktisch genutzt werden. Wo immer produziert wird, werden Werkstoffe und Energie verbraucht, es treten Emmissionen aus, und es ist vorhersehbar, daß die Produkte irgendwann entsorgt, recycelt oder downcycelt werden müssen. Die "ökologischen" Entscheidungen, die in der Werkstatt getroffen werden müssen, reichen vom Mengeneinkauf und der damit verbundenen Verpackungsproblematik bis hin zur Wahl energiesparender Verfahren und leicht recycelbarer Werkstoffe.
Designorientierung. Den Designbegriff verwenden wir nicht in dem engen Sinne einer Lehre von der guten Form. Es kommt darauf an, daß Lehrer und Schüler bewußter als bisher wahrnehmen, daß alle materiellen Produkte eine Formensprache sprechen, die man bis zu einem gewissen Grade entschlüsseln kann. Sie verrät etwa über die Solidität der Gegenstände, über die Geltungsbedürfnisse des Besitzers usw. Das gilt selbst für die Produkte der Lehrküche, denn Aussehen und Anrichtung von Speisen sind keineswegs nur Dekor. Die Produkte, die in den Arbeitslehre-Werkstätten entstehen, sind sehr unterschiedlich. Und so reicht auch die Reaktion der außenstehenden Betrachter von Verlegenheit bis Lob. Nach dem BAUHAUS [47] kann man nicht mehr auf eine völlige Beliebigkeit der Produktgestaltung - auf "Geschmacksache" - insistieren.
[/S. 231:]
Arbeit und Technikeinsatz | Arbeit und Umweltbelastung | Arbeit und Beruf |
Arbeit und Gesundheit | Arbeit und IuK-Techniken | Arbeit und Einkommen |
Arbeit und Konsum | Arbeit und ihre Teilung | Arbeit und Rekreation |
[Die Abb. "Fachraumensemble" fehlt im online-Reprint; sie stellt die fünf Fachräume dar und verknüpft sie mit den Orientierungen Berufs-, Design-, Sicherheits-, Verbraucher- und Ökologische Orientierung; Anm. der sowi-online-Redaktion]
[/S. 232:]
Die fachdidaktischen Schlüsselprobleme der Arbeitslehre sind auf Konsens angewiesen. Wir haben sie beschreibend kurz vorgestellt, und ihre Korrespondenz mit den epochalen Schlüsselproblemen KLAFKI [44] scher Observanz zu zeigen versucht. Es bleibt die Aufgabe eines konkreten Schulcurriculums, Projektideen aufzufinden. Daß die Schlüsselprobleme mehr Projektideen bergen, als die Arbeitslehre jemals in vier Jahren bearbeiten kann, erscheint uns sicher. Die eben angesprochene Konsensbedürftigkeit der fachdidaktischen Schlüsselprobleme geht allerdings nicht mehr soweit zurück, daß die Frage gestellt werden dürfte, ob der Lösungsbeitrag zu den Problemen nicht besser bei verschiedenen Fächern gesucht werden sollte.
Unsere weiteren Ausführungen galten der materiellen Basis der Arbeitslehre, der Fachraumstruktur. Diese steckt die Handlungsfelder ab, oder, wenn man die andere Perspektive bevorzugt, die Wahl von Handlungsfeldern führt unweigerlich zu fachraumähnlichen Arrangements.
Schließlich haben wir fünf Orientierungspfade beschrieben, die in ihrem Verlauf durch eine Anzahl von Lernzielen markiert sind. Der Ausweis dieser Lernziele ist eher eine Aufgabe der Lehrplanformulierung und natürlich historisch wandelbar. Die Orientierungspfade können, wie vieles im Bildungswesen, in Zweifel gezogen werden. Außer einer verhältnismäßig hohen Evidenz für die Notwendigkeit der fünffach gegliederten Orientierungsaufgabe können wir keinen Kausalnexus beweisen. Gemessen an der Diskussion um "Schlüsselqualifikationen", die eine Festlegung auf Lernziele zu vermeiden trachtet, und deshalb "Sozialkompetenz", "Methodenkompetenz", auch: das "Lernen des Lernens" vorschlägt, , sind unsere Orientierungspfade verhältnismäßig gut operationalisierbare Richtungsangaben.
[/S. 233:]
In diesem Kapitel wollen wir gewissermaßen die Schülerperspektive rekonstruieren. Gesellschaftsanalysen und die Ausstattung von Schulgebäuden können - wie wir im vorangegangenen Kapitel zu zeigen versuchten - durchaus Stringenz aufweisen; mit den Neigungen der Jugendlichen müssen sie nicht kompatibel sein. Die Einstellung der Schüler zur Schule wird gewiß durch das Elternhaus geprägt und zwar in der bekannten Bandbreite von Desinteresse über stereotype Leistungsappelle bis hin zu einer Bildungsbesorgnis, oft gepaart mit Schulkritik. Glaubt man den Klagen vieler Lehrer, dann sind Eltern, die eine uneigennützige und tatkräftige Anteilnahme am Schulleben praktizieren, selten geworden. Die Facetten dieser Konditionierung durch das Elternhaus interessieren uns hier weniger. Wir glauben aber, so etwas wie zeitgenössische Trends auszumachen, die kurz beschrieben werden sollen. In den Anfängen der allgemeinen Schulpflicht muß von der Schule eine Faszination schon deshalb ausgegangen sein, weil Bücher, Schaubilder, selbst gefertigte Texte im Heft usw. keineswegs zur Alltagskultur, zumindest der unteren Schichten gehörten. Diese war bestimmt durch Mithilfe der Kinder und Jugendlichen im bäuerlichen oder gewerblichen Betrieb, durch Handreichungen in der Hausarbeit. Nach dem zweiten Weltkrieg hat sich dieses Verhältnis allmählich umgedreht. Die Alltagskultur ist heute "ikonisiert": Fernsehen, Videos, Druckerzeugnisse, Computersimulationen usw. beherrschen weite Teile des Erlebens in der außerschulischen Realität. Parallel dazu schwanden fast alle Möglichkeiten der Kinder, die materielle Kultur zu gestalten. Dies gilt für die Erwerbssphäre generell, für die reduzierte Hausarbeit in weiten Teilen. In der Schule wird diese mediale Repräsentanz der Wirklichkeit dupliziert, ohne daß in nennenswertem Umfange Gelegenheiten für unmittelbare Erfahrungen geschaffen würden. Es ist wohl trivial zu nennen, wenn man an das Bedürfnis der Jugendlichen erinnert, Kopf und Hand zu betätigen.
In einem programmatischen Referat hat der persönliche Berater der Berliner Schulsenatorin, TOM STRYCK, die Vokabel "Lebenswelt" (lebensweltlich) mindestens fünfmal gebraucht, ohne einen Erklärungsversuch für nötig zu erachten. (STRYCK 1996 [32]). Soviel wird deutlich: es gibt nach STRYCK außerhalb der Schule eine Lebenswelt, und eine Reformentwicklung der Schule ist auch daran meßbar, daß sie "lebensweltlicher" wird. Die Lebenswelt ist als Singular eigentlich überraschend, denn der Homo sociologicus wird zumeist als ein in verschiedenen Lebenswelten agierender beschrieben, als Rollenträger.
Unsere Schüler bewegen sich zumindest in zwei Lebenswelten: einer familiären und einer schulischen. Daß die Halbtagsschule (von den Ganztagsschulen sehen wir wegen ihrer Marginalität in Deutschland einmal ab) das Schülerleben in folgenreicher Weise beeinflußt, wird niemand bestreiten, schon gar nicht die Schüler selbst. Die nichtschulische Lebenswelt gibt es Gott sei Dank auch noch, es ist nur nicht einzusehen, daß sie die eigentliche sein soll, der die Schule nahezukommen habe.
Als Ende des vorigen Jahrhunderts die Institutionalisierung der Schule im großen und ganzen abgeschlossen war, was einer noch immer anhaltenden Ausdifferenzierung der Gesellschaft entsprach, wurde die Hybris bald jedermann deutlich: Die Zahl der Analphabeten nahm ab, der allgemeine Bildungsstand wuchs. Die Jugendlichen aber wurden oft erst jenseits der Schule mit einer nicht immer freundlichen Wirklichkeit konfrontiert, was sich in nicht wenigen Fällen krisenhaft auszuwirken begann. Schlagwörter wie "pädagogische Provinz", "Elfenbeinturm Schule" usw. deuten das Dilemma an. [/S. 234:]
Wie sooft hilft es wenig, von einer Realitätsschwäche der Schule schlechthin zu sprechen. Wieder muß der Blick auf die Verfächerung der Schule gerichtet werden. Und hier erkennen wir dreierlei: Es gibt Schulfächer, denen gebricht es überhaupt nicht an Lebensweltnähe, ein klassisches Beispiel ist der Sportunterricht. Schulsport ist weder lebensfern noch lebensnah, er ist Schulsport sui generis. Zweitens gibt es Schulfächer, bei denen könnte man sich eine Annäherung an das Leben gut vorstellen. Der Biologieunterricht sollte öfter in der Natur stattfinden und der Englischunterricht öfter zusammen mit Engländern. Und drittens gibt es Fächer, die fehlen in der Schule, durch sie würde die Schule zwangsweise lebensnäher. Ein solches Fach ist Arbeitslehre. (Wenn wir "fehlen" sagen, dann beziehen wir uns auf die Gymnasien und auf die vielen Real- und Gesamtschüler, die - aus welchen Gründen auch immer - Arbeitslehre abwählen.)
Die öffentlichkeitswirksame Forderung nach mehr Nähe zur Lebenswelt der Schüler muß die Schule ziemlich ratlos machen, denn welche Lebenswelt ist gemeint? Es gibt so viele Lebenswelten, wie es Schüler gibt. Und selbst ein verhältnismäßig homogenes Mileu des Stadtteils, der Region darf nicht umstandslos als Lebenswelt deklariert werden.
Die Zunahme der Migrantenkinder, die in einigen Schulen Berlins längst keine Minderheit mehr darstellen, rechtfertigt den Begriff der multikulturellen Gesellschaft.
Der französische Philosoph ALAIN FINKIELKRAUT [48] hat in seinem Buch "Die Niederlage des Denkens" auf einen Umstand hingewiesen, der in unserem Zusammenhang erinnert werden soll. Nach seiner Auffassung ist die Aufklärung nicht nur an ihre Grenzen gestoßen, sie hat den Zenith erreicht, von dem aus es nur noch Abstieg gibt. Die einstmals angestrebte universelle Vernunft, die Weltgeltung des Rechts, ein Toleranzgebot ohne Wenn und Aber, diese Fundamente der Aufklärung wurden vom Kulturbegriff ausgehöhlt. Jede Kultur machte im Namen der Aufklärung geltend, daß sie in ihrem Sosein respektiert werden wolle. Kulturen, die den Artenschutz ignorieren, und bestimmte Tierarten ausrotten, Kulturen, die den Frauen Rechte vorenthalten, Kulturen, die Minderheiten verfolgen, sie alle berufen sich auf Toleranz, Nichteinmischung usw. Die Kultur wird als etwas langsam Gewachsenes, als "beseelt" begriffen. Dem Kulturbegriff nahestehend ist der aus der Romantik überkommene Begriff der "Volksseele".
FINKIELKRAUT ironisiert die Position der Gegenaufklärung:
" Und dann kamen die Philosophen der Aufklärung: Unter dem Vorwand, dieselbe zu verbreiten, haben diese Denker dem kostbaren Erbe der Vorurteile hart zugesetzt. Anstatt sie in Ehren zu halten, sollten sie zerstört werden. Aber damit waren sie nicht zufrieden: nachdem sie selbst sich ihrer entledigt hatten, sollte das Volk es ihnen nachtun. ....'habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen' ohne die Hilfe des Beichtvaters oder die Stütze der Binsenwahrheiten. Resultat: sie haben die Menschen aus ihrer Kultur gerissen in eben dem Augenblick, als sie sich rühmten, sie zu kultivieren; sie haben die Geschichte davongejagt in der Annahme, den Aberglauben oder den Irrtum zu bannen; überzeugt, die Gemüter zu emanzipieren, ist es ihnen nur gelungen, sie zu entwurzeln. Diese Verleumder des Gemeinplatzes haben den Verstand nicht von seinen Ketten befreit, sie haben ihn von seinen Quellen abgeschnitten. Der einzelne, der durch sie aus seiner Unmündigkeit heraustreten sollte, hat in Wirklichkeit sein Innerstes entleert."
(FINKIELKRAUT, 1989 [32], S. 30)
Fundamentalisten in Amerika, in der islamischen Welt, in Bayern (Kruzifixurteil) und in den Elternhäusern von türkischen Schülern mitten in Berlin müßten eigentlich in der Schule eine Bedrohung sehen. In vielen Fällen sehen sie diese auch, denn ihr dogmatisch-intolerante Weltsicht wird durch das Wirken der Schule gefährdet. Die Schule wird sich also auch gegen die Lebenswelt der Schüler stellen müssen und die Forderung nach einer "lebensweltlichen" Schule wird fragwürdig. [/S. 235:]
Die Schule im modernen Sinne ist von der Aufklärung ins Leben gerufen worden und stirbt heute an deren Infragestellung. Ein Abgrund hat sich aufgetan zwischen der allgemeinen Moral und jenem Ort, an dem die seltsame Idee vorherrscht, daß es keine Selbständigkeit ohne Denken und kein Denken ohne Arbeit an sich selbst gibt. ....Das Mißverständnis, daß diese Institution (die Schule, Anm. G.R.) von ihren Benutzern trennt, wird also immer größer: die Schule ist modern, die Schüler sind postmodern; die eine hat zum Ziel, den Geist zu bilden, die anderen begegnen ihr mit der sprunghaften Aufmerksamkeit des jungen Fernsehzuschauers;.....Wie kann man diesen Gegensatz auflösen? 'Indem man die Schule postmodernisiert', behaupten Verwalter wie Reformatoren. Letztere suchen nach Wegen, die Ausbildung dem Konsum anzugleichen......Die Verwalter sind besonnener und empfehlen die verstärkte Aufstellung von Computern in den Klassenzimmern.....Dabei ist es kaum von Bedeutung, daß die solchermaßen im Spiel mit der Maschine entwickelte Intelligenz eine Manipulation und kein Denken ist: zwischen einem immer leistungsfähigeren Know-how und einem immer reichhaltigeren Konsum gibt es für die Form der Urteilskraft, die nötig ist, um die Welt zu verstehen, keine Verwendung. Ja, wie wir gesehen haben, gibt es dafür nicht einmal mehr einen Ausdruck, da das Wort Kultur anderweitig mit Beschlag belegt ist."
(FINKIELKRAUT, a.a.O [32]. S. 132 f)
Wir verlassen die kulturphilosophische Betrachtungsebene, die u. E. zu Unrecht in den Intoleranzverdacht geriet, die aber durch Radikalisierung des "Unversöhnlichen" zum Nachdenken anhält. Schule darf eben oft genug nicht lebensweltfixiert sein, sondern ist auch zur mühsamen Überwindung eben dieser Lebenswelt aufgerufen.
Im folgenden skizzieren wir kurz neuere Ergebnisse der Ungleichheitsforschung und deren Bedeutung für die Bildungssoziologie. Die Bildungssoziologie arbeitet immer noch mit mehr oder weniger verfeinerten Schichtenmodellen, und kommt dann zu Aussagen über die Reproduktion von Ungleichheit (Eltern hatten keinen Hauptschulabschluß, die Kinder ebenfalls nicht) oder es werden schichtüberwindende Mobilitätsraten ermittelt. Entscheidend ist, daß die Schichtzugehörigkeit des Schülers fast ausschließlich auf einem Merkmal beruht: auf dem Beruf des Familenvorstandes. Dieses monokausale Theoriekonstrukt erklärt das komplizierte Phänomen Schulerfolg nur sehr unbefriedigend. (WEISHAUPT [32] u.a. 1988, STEINKAMP 1991 [32], BÖTTCHER 1991 [32])
Im Anschluß an neuere Arbeiten von LÜDERS gehen wir deshalb auf die Bedeutung von Lebensstilen und Milieus ein, deren Erklärungswert für Schulerfolg allem Anschein nach wesentlich höher zu veranschlagen ist, als grobe vertikale Stratifikationsmodelle. Den Bedeutungsverlust von Klassen- und Schichtzugehörigkeit hatte U.BECK schon 1983 vorausgesagt. Zu der sozialstrukturellen Differenzierung einer Gesellschaft ist die sozialkulturelle getreten, die das Bild um vieles detaillierter macht. (LÜDERS 1997 [32]) Im politischen System ließ sich lange Zeit eine Korrelation zwischen Links- und Rechts-Wählern einerseits und Schichtzugehörigkeit andererseits nachweisen. Mit dem Aufkommen der kleinen Parteien, namentlich der Grünen und neuerdings der PDS ist diese Typik stark ins Wanken geraten. Im ökonomischen System hat die Marketingforschung einen lange Zeit vorausgesetzten Zusammenhang zwischen Konsumgewohnheiten und Schicht verabschieden müssen. Die Ungleichheitsforschung hatte sich traditionell an der Verteilung von Geld, Prestige und Macht orientiert. Sie muß heute eine Vielzahl weiterer Indikatoren einführen, dazu gehören, Alter, Hautfarbe, Geschlecht, Freizeitchancen usw.
Zum Begiff des Lebensstils bemerkt LÜDERS:
"Im einzelnen gehen Daten über Bildung, Beruf, Einkommen Wohnregion, Wohnverhältnisse, Lebensziele, Wertvorstellungen, Arbeitsmoral, Freizeitverhalten, Familiensinn, Konsumverhalten, Modeorientierung und Einstellungen zu Technik, Fortschritt, Religiosität, Staat und Politik in die Lebensstiltypologie ein."
(LÜDERS, a.a.O [32]., S.307) [/S. 236:]
Auf der Basis dieser siebzehn Bestimmungsmerkmale lassen sich Anzeichen für eine beträchtliche horizontale Differenzierung der Gesellschaft feststellen. Die weitergehende These im Anschluß an BECK 1986 [32] und INGLEHART 1989 [32], daß damit die Ablösung der Klassen und Schichten eingeleitet und eine nicht aufzuhaltende Individualisierung der Gesellschaft programmiert sei, lassen wir auf sich beruhen. Für das Bildungswesen bedeutet aber das Vorhandensein wesentlich verfeinerter empirischer Methoden auch die Möglichkeit, Lebensstile von Schülern oder - wenn man so will - "Lebenswelten" diskutierbar zu machen. Diese Lebensstile können im Sinne von Erziehungszielen anknüpfenswert sein, sie können sich aber auch als hemmend und therapiebedürftig erweisen.
Der Zusammenhang zwischen Lebensstilgruppierungen und sozialen Milieus auf der einen Seite und dem dreigliedrigen Schulsystem auf der anderen ist heute noch überschattet von der Determinationskraft der Schultypen, mit der Hauptschule am unteren und dem Gymnasium am oberen Ende der Hierarchie. Diese "Drei-Klassen-Schule" ist eigentlich viel zu grob gestrickt, um der feineren sozialen Differenzierung gerecht zu werden.
"Bereits jetzt bestehen erhebliche regionale Differenzen sowohl hinsichtlich der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung als auch hinsichtlich der Schulversorgung und der Qualität der Schulen. Es ist absehbar, daß sich die Schullandschaft weiter differenzieren wird, wenn entweder die Einzelschulen beginnen, sich verstärkt auf die regionalen Gegebenheiten, insbesondere die ortsansässigen sozialen Milieus, einzustellen, oder umgekehrt bestimmte soziale Milieus mit bildungspolitisch überdurchschnittlich engagierten Mitgliedern die Initiative ergreifen, um auf die Einzelschulentwicklung einzuwirken."
(LÜDERS, a.a.O [32]. S. 318)
Das Dilemma der Schule besteht darin, daß sie auf der einen Seite aufklärungsfeindliche soziale Milieus zu berücksichtigen hat, aber auch mit einem Elterntyp rechnen muß, dem keineswegs fundamentalistische Züge anhaften, dem vielmehr ein Selbstverwirklichungswunsch für seine Kinder am Herzen liegt. Beides ist mit dem Aufklärungsgebot von Freiheit und Brüderlichkeit nicht immer vereinbar.
Wir hatten gesehen, daß FINKIELKRAUT [48] die Auseinandersetzung zwischen Universalismus und Provinzialismus, zwischen Aufklärung und Aberglaube zum Nachteil der Schule sich entwickeln sieht. Die Lebenswelt wird zum Synonym für die Herrschaft des Vorurteils, die Schule zum Ort, an dem die Urteilskraft allein aus dem voraussetzungslosen Denken entsteht.
Der Lebensstil- und Milieuforschung liegt es fern zu dichotomisieren. Sie will das Grobraster der Schichtmodelle durch eine realitätsangemessene Beschreibung der Herkunftsfamilien der Schüler ablösen, um besser verstehen und (kompensatorisch) erziehen zu können.
Zur Abrundung unserer Betrachtungen der Lebenswelt wenden wir uns jenem Denker zu, der den Begriff erstmals geprägt hatte. EDMUND HUSSERL benutzte ihn nachweislich zum ersten Mal 1924 in seiner Kant-Festrede. Der Doppelbegriff hatte von Anfang an die Schwierigkeit, daß "Welt" die Totalität aller möglichen Erfahrungen ist. "Leben" aber etwas sehr Begrenztes. Schon daraus folgt, daß das einzelne Leben, weil ihm die Totalität der Erfahrungen niemals zugänglich ist, auch auf der Basis bloßen Meinens geführt werden muß. Im modernen Jargon würden wir sagen: der Mensch ist gezwungen, unter den Bedingungen unvollständiger Information zu handeln.
In der Phänomenologie HUSSERLs spielt Skepsis gegenüber der Wissenschaft eine zentrale Rolle. Aller Wissenschaft voraus liegt das Vor-Urteil, die Doxa: Jenes Meinen, über das der [/S. 237:] Mensch immer schon verfügt, bevor analytische Kategorien und theoriegeleitetes Denken zum Zuge kommen. Eine vorprädikative Logik ermöglicht Handlungen und sei es nur als Entscheidung zwischen Handeln und Nichthandeln. Die Prädikate einer elaborierten Logik, die da heißen: wahr und unwahr, gut und böse, schön und häßlich haben das Vor-Urteil nicht aus der Welt geschafft, ja, sie gründen auf ihm. (HUSSERL, Werke IX 1925)
In seiner berühmten Abhandlung über "Lebenszeit und Weltzeit" hat sich HANS BLUMENBERG unter der Überschrift "Das Lebenswelt-Mißverständnis" mit dem HUSSERLschen Begriff kritisch auseinandergesetzt. (BLUMENBERG,1986 [32])
Anknüpfend an FEUERBACH's Diktum, in der Wissenschaft sei der Mensch in der Fremde, bemerkt BLUMENBERG, es seien nicht so sehr die unbeabsichtigten Nebenfolgen des wissenschaftlichen Fortschritts, die den modernen Menschen zutiefst enttäuscht hätten, es ist die Verfehlung der beabsichtigten Hauptfolge: Die theoretische Erschließung der Welt war von der Hoffnung getragen, Sicherheit und Weltbehagen würden in einem aufsteigenden Prozeß zunehmen, dieser Erwartung entsprach die Enttäuschung an Größe und Schmerzlichkeit. "Lebenswelt" wurde deshalb auch zu einem Programmwort des Überdrusses an wissenschaftlichen Erklärungsversuchen, Chiffre für eine Abwendung von der Theorie und die Suche nach dem Einfachen. Der Irrtum liegt begründet in der falschen Analogie von Lebenswelt und Privatheit. Lebenswelt ist nicht etwas, zu dem man zurückkehren kann, wenn Erfahrungen außerhalb der Lebenswelt enttäuschen. BLUMENBERG sieht den Unterschied zur Intersubjektivität so: Einen anderen Menschen zu verstehen, bedeutet Einfühlung, deren Gelingen hat jedoch eine Voraussetzung, der um Verstehen bemühte muß bleiben, was er ist. Sich auf die Welt als ganzes einzulassen, hat aber immer ein Verlassen der Lebenswelt zur Voraussetzung, bei dem der Rückweg abgeschnitten wird. (BLUMENBERG, a.a.O. [32], S. 61)
In einer prähistorischen Lebenswelt deckten sich Erwartungen und Erfahrungen. Der Mensch hatte niemals andere Erwartungen als solche, die aus seinem Erfahrungsbestand abgeleitet werden konnten. Lebenszeit und Weltzeit fielen noch nicht auseinander; Vergangenheit und Zukunft konnten nicht thematisiert werden. Generation und Individuation waren nicht getrennt, geschweige denn konflikthaft.
"....die Veränderungsrate aller Bedingungen und Umstände des Daseins (lagen) unterhalb der Schwelle der Wahrnehmungsfähigkeit eines individuellen Lebens"
(BLUMENBERG, a.a.O. [32], S. 66)
Mit der Geschichtlichkeit des Menschen wurde die Lebenswelt so etwas wie ein verlorenes Paradies:
".....so bleibt eben außer Betracht, daß jenseits der Lebenswelt die Erwartungen sich von den Erfahrungen gerade deshalb ablösen, weil die Grunderfahrung der Veränderung durch 'Ereignisse' und 'Taten', also durch Geschichte, mehr und anderes erwarten zu können suggeriert, als je im Bereich der Erfahrung gelegen hatte. Geschichte ist die Trennung von Erwartung und Erfahrung."
(BLUMENBERG, a.a.O. [32], S. 66)
Der Begriff der Lebenswelt, sowohl in historischen Dimensionen als auch in denen einer individuellen Biographie, wäre zu Unrecht mit Primitivität assoziiert. Der Mangel der Lebenswelt ist ihre Nicht-Objektivierbarkeit im Sinne moderner Wissenschaftsstandards. Aber sie ist niemals sprachlos gewesen, sie hatte immer ihre "Geschichten", die zur Nachdenklichkeit vielfältigen Anlaß geben. Auch Morallehren lassen sich aus den [/S. 238:] Geschichten ziehen, wie die Bedeutungsfülle alter Fabeln beweist. Gegen diese wirken viele modernen Verhaltenscodices lächerlich.
"Irgendwann brauchte man transportable Sätze, die die Geschichten überflüssig erscheinen ließen, und dann brauchte man zu diesen Sätzen die Fragen, auf die sie als Antwort gegeben sein konnten. Dieses Verfahren mochte kürzer sein und im Dienst der Zeitausschöpfung stehen, da Geschichten immer einen Grad von Umständlichkeit haben; aber man konnte nicht wissen, daß der Kurzschluß zwischen Frage und Antwort eine neue und gewaltigere Umständlichkeit auslöste, nämlich die, alle gegebenen Antworten auf dieselbe Frage miteinander in Konkurrenz zu setzen, gegeneinander auszuspielen, um dem fernen Ziel der Ausschließlichkeit einer einzigen gültigen Antwort näher zu kommen."
(BLUMENBERG, a.a.O. [32] S. 68)
Wir kommen zu einem Resümee dessen, was die Lebenswelt-Verheißung für die Schule bedeuten könnte. In vielen pädagogischen Texten scheint der jeweilige Autor auf einen sehr trivialen Umstand verweisen zu wollen: Die Alltagserfahrungen des Schülers sollen mehr beachtet und zum Ausgangspunkt schulischen Lernens herangezogen werden. Historisch bedeutet dies eine maßvolle Rücknahme der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung von Schule. Nicht zu verwechseln ist dieser Ansatz mit Programmen, die sich "Stadt als Schule" nennen oder "Lernortwechsel" usw. Denn hier werden dem Schüler durchaus neue Erfahrungen versprochen, solche, die er bislang nicht machen konnte, die aber auch im Schulgebäude nicht herstellbar sind.
Die philosophischen Reflexionen über Lebenswelt weisen in eine andere Richtung als in die der Überführung von unsystematischer in systematische Erfahrung. Die Lebenswelt wird als das immer schon Verlassene gesehen. Begegnungen mit der Welt, und dazu rechnet die Schule genauso wie die Medienlandschaft und die Berührung mit anderen Kulturen, lösen Teile der eigenen Lebenswelt ständig auf und setzen an ihre Stelle neue Erkenntnisse, die vom Zweifel nicht frei sind. Erwartungen stellen sich ein, gefolgt von der Erfahrung ihrer Nichterfüllbarkeit.. Weil endgültige Gewißheiten ausbleiben, und weil niemals alle Erwartungen befriedigt werden, gibt es wohl eine lebenslange Sehnsucht nach der einen Lebenswelt.
Wenn wir den Ausdruck Lebenswelt fallen lassen und uns dem Lebensstil, dem Lebensmilieu zuwenden, treffen wir auf eine Vielfalt realexistierender Formen der Lebensführung. Von den Ernährungsgewohnheiten, über die Dauer des Fernsehens bis hin zur Wohnsituation, den Urlaubsgepflogenheiten der politischen Einstellung usw. lassen sich Lebensstile identifizieren, von denen Schüler im elterlichen Haushalt geprägt werden. Eine ganze Anzahl von Indikatoren gestattet die empirische Klassifizierung dieser Lebensstile. Auf alle Fälle wird die grobschlächtige Einteilung in Unter-Ober- und Mittelschicht damit obsolet.
Die Frage ist nun aber noch nicht beantwortet, wie ein Lehrer zu den Kenntnissen über die Lebenstile seiner Schüler gelangt, und was er im Falle eines gewonnenen Kenntnisstandes für unterrichtliche Konsequenzen ziehen soll. Dem ersten Teil der Frage können wir hier nicht weiter nachgehen. Hausbesuche durch den Lehrer können Aufschluß geben, außer in Problemfällen dürften sie jedoch nicht zur Regel gehören. Die datenschutzrechtlichen Bestimmungen erschweren eine systematische Datenerhebung während der Schullaufbahn. Eine solche wäre notwendig, wollte man Lebensstil-Elemente in einen individualisierten Unterricht einbeziehen. Der zweite Teil der Frage interessiert uns aus der Arbeitslehre-Perspektive. [/S. 239:]
Unsere These lautet, daß die Kenntnis eines individuellen Lebensstils grundsätzlich drei Reaktionen seitens der Schule eröffnet.
Die Liste ließe sich verlängern, wie jeder Arbeitslehre-Lehrer weiß. Die fehlenden Erfahrungen können im Schulfach Arbeitslehre gemacht und reflektierend verarbeitet werden. (Die Voraussetzung in Gestalt von Fachräumen hatten wir schon erwähnt.)
Nun gilt natürlich für andere schulische Bildungsangebote, etwa für den Lateinunterricht und für große Teile der Mathematik, daß die Begegnung mit den Inhalten des Faches die Erstbegegnung für den Schüler ist. Eine irgendwie geartete Anknüpfung an Milieuerfahrungen ist auch hier schwierig.
Unabhängig von den drei empirischen Ausgangslagen des Schule-Lebensstil-Verhältnisses, die wir skizziert hatten (der Konträrlage, der Offenlage und der Niemandsland-Lage), können häusliche Lebensstile in zweifacher Hinsicht mit schulischen Lernprozessen in Verbindung gebracht werden: Die Schule knüpft an unsystematische Vorerfahrungen der Jugendlichen an, hofft, daß rudimentäre Kenntnisse motivationsfördernd genug sind, um [/S. 240:] unterrichtlich darauf aufzubauen. Die andere Chance besteht im Wissenstransfer des in der Schule Gelernten auf häusliche Bedingungen. Eine größere Menge des in der Schule vermittelten Wissens kann weder an Milieuerfahrungen anknüpfen, noch hat es Konsequenzen für den außerschulischen Alltag. Das Gelernte ist gewissermaßen voraussetzungslos und (vorerst) folgenlos. Die Arbeitslehre kann auf zwei Begünstigungen verweisen, die im Laufe der relativ kurzen Geschichte des Faches sichtbar wurden. Sehr viele Inhalte der Arbeitslehre werden von Schülern als im außerschulischen Leben unmittelbar verwendbar erlebt. Eine weitere Erfahrung ist die, daß Eltern über latent vorhandene, im häuslichen Milieu aber nicht thematisierte Kenntnisse verfügen, die durch arbeitslehreangeregte Kinder zur Sprache kommen.. Verschiedentlich wurde schon nachgewiesen, daß Jugendliche nur sehr diffuse Vorstellungen von der Erwerbstätigkeit ihrer Eltern haben oder gar von den erlernten Berufsbildern. Berufstätige Mütter z.B. aktualisieren verschüttete hauswirtschaftliche Kenntnisse, wenn sie von den Kindern provoziert werden. Mühsame elterliche Nachhilfeversuche bei der Lösung mathematischer Aufgaben, die vergeblich die eigene Schulmathematik wiederzubeleben suchen, verbessern nicht immer die Dreiecksbeziehung Eltern - Schüler - Schule. Wenn aber die berufliche Tätigkeit der Eltern, Ausbildungserfahrungen, betriebliche Zwänge usw. von den Jugendlichen direkt angesprochen werden, gibt es kaum Eltern, die nicht engagiert Stellung beziehen. Und nicht ungewöhnlich ist die Konstellation, daß die subjektive Sichtweise der Eltern den Widerspruch der Kinder herausfordert. Wir deuteten es schon an: auch die den jeweiligen Lebensstil prägenden Formen der Haushaltsführung werden - angestiftet von der Arbeitslehre - in Frage gestellt.
Kommen wir zum Schluß.
Schule und "Lebenswelt", eine heute oft bemühte Phrase! Hierbei wird selten genau unterschieden zwischen der Ergänzung der Schule durch weitere Lernorte und der Funktion des häuslichen Lebensstils. In beiden Fällen kann die Arbeitslehre etwas vorweisen. Weite Teile der Arbeitslehre sind durch Lernortwechsel gekennzeichnet. Betriebspraktika und Erkundungen, Lernen im Berufsinformationszentrum und im Museum für Verkehr und Technik, Verpflegungsangebote bei Veranstaltungen und der Verkauf von selbstgefertigten [/S. 241:] Produkten, dies alles zwingt zum Verlassen des Klassenzimmers. Unabhängig davon besitzt Arbeitslehre die Potenz, "leichtere Beben" im häuslichen Milieu zu erzeugen; welches Schulfach schafft das mit inhaltlichen Argumenten, nicht mit Zensurengebung?
[/S. 242:]
In allen Schulfächern wird heute angeblich "handlungsorientiert" unterrichtet. Wer dies nicht so recht glaubhaft machen kann, gibt es zumindest als Desiderat an. Selbst Religionslehrer machen keine Ausnahme: sie erbauen mit eifrigen Grundschülern die Gotteshäuser der Weltreligionen aus Klebstoff und Papier. Moscheen, Synagogen und christliche Kirchen stehen zum Schluß einträchtig auf den Schultischen. Die noch fehlende Versöhnung des Geistes bedarf allerdings weiterer Anstrengungen.
Verblüffend ist die halbherzige Formulierung "handlungsorientiert"! Entweder wird gehandelt, oder die Handlungen Dritter werden "betrachtet", eine sehr schultypische Form des Pseudohandelns. Es würde zur semantischen Präzision beitragen, wenn der Unterricht nicht "handlungsorientiert" hieße, sondern "auf einer Handlungsgrundlage", sofern er so genannt zu werden verdient.
Der Handlungsbegriff ist in alteuropäischer Tradition positiv besetzt. Daran konnte wohl auch die mittelalterliche Glaubenslehre nichts ändern, die einen fatalistischen Grundzug hatte. Wie immer der Christenmensch handelnd auf die Welt einwirkt, Gottes Wille entscheidet allein über den Handlungsausgang. Das Nicht-Handeln, im Wertesystem der Buddhisten sehr hoch angesiedelt, findet hierzulande erst Ende dieses Jahrhunderts und dann auch nur in Sektenkreisen Anhänger. Mit dem Protestantismus wurde das innerweltliche Handeln, wie MAX WEBER zeigen konnte, enorm aufgewertet. Ideengeschichtlich ist also von einer Hochschätzung der Tatgesinnung auszugehen.
Auf eine andere Bedeutung des Handlungsbegriffs soll kurz eingegangen werden: In den meisten Kognitionstheorien wird "Denken" als internalisiertes Handeln umschrieben. Diese Metapher ist natürlich in elaborierter Form entfaltet worden, und wir erinnern nur deshalb daran, weil im Kontext von Schultheorien Denken und Handeln häufig als Gegensatzpaar auftreten.
Ein unrühmliches Beispiel ist der zähe Vorbehalt der KMK gegen eine Gleichwertigkeit von gymnasialer und beruflicher Bildung. Auf dem sogenannten Loccum-Gespräch 1994 in Tutzing haben die Kultusminister zwar erneut Absichtserklärungen verlauten lassen; sie empfehlen: "auch die gymnasiale Oberstufe muß sich für handlungsorientiertes Wissen öffnen"! Gleichzeitig machen sie die Studierfähigkeit von Absolventen des beruflichen Bildungswesens von ominösen "Schlüsselqualifikationen" abhängig. Ein junger Facharbeiter, der Verfahrens- und Werkstoffkenntnisse erworben hat, der komplexere Aufgaben von der Planung bis zur Fertigstellung bewältigte, der räumliches Denken und angewandte Mathematik täglich benötigt, ist damit noch nicht studierfähig. Er muß etwas Zusätzliches "nachweisen". Grotesker Weise erwirbt man dieses Zusätzliche nur im Kontext von Arbeitsprozessen, die immer arbeitsteilig, mithin kommunikationsangewiesen sind. Eher unwahrscheinlich ist, daß man sie in der gymnasialen Oberstufe erwirbt, wo isolierte Leistungen und eine Punkte-Arithmetik vorherrschen.
Wenn jemand, bevor er einen neuen Gartenzaun baut, alle Handlungsfolgen gedanklich antizipiert, ist die Metapher vom internalisierten Handeln recht plausibel. Wenn in einem philosophischen Seminar über den Begriff des "Prinzipiellen" nachgedacht wird, dann sind Formen des internalisierten Handelns nur als innere Sprechakte vorstellbar, als (noch) nicht vernehmbare Auslegung der Begriffe durch Begriffe. ODO MARQUARD, dem wir dieses kleine Beispiel verdanken, hat allerdings folgendes bemerkt: [/S. 243:]
"....daß Erfahrung - Lebenserfahrung - unersetzlich ist für die Philosophie. Erfahrung ohne Philosophie ist blind; Philosophie ohne Erfahrung ist leer: man kann keine Philosophie wirklich haben, ohne die Erfahrung zu haben, auf die sie die Antwort ist."
(O. MARQUARD, 1987 [32], S. 8)
Diese Sicht würde das Denken auch im philosophischen Seminar als internalisiertes Handeln rehabilitieren, wenn auch als Erinnerung an die Handlungsgeschichte des eigenen Lebens.
In der Pragmalinguistik ist die Sprechhandlung ein "Bewirken von Wirkungen". Mit Sätzen kann ich jemand einschüchtern, wütend machen, veranlassen, Bestimmtes zu tun oder zu lassen. Insofern ist die Handlungsfolge beobachtbar, anders als bei reinen Denkprozessen, die, wenn man so will, auch im Medium von Sprache "handeln". In der Schule treffen wir massenhaft Sprechhandlungen an: Der Lehrer appelliert an die Leistungs- und Verhaltensmöglichkeiten der Schüler, diese versuchen den Lehrer in Fällen der Leistungsbeurteilung umzustimmen usw. Diese Ebene durchzieht jedweden halbwegs demokratischen Unterricht. Daneben aber gibt es Sprechakte, die keine Sprechhandlungen sind. Wenn der Schüler sich abmüht, die Lehrerfrage nach den Voraussetzungen der Französischen Revolution recht und schlecht zu beantworten, trifft er eine Denkschablone des Lehrers oder nicht. Nur in sehr seltenen Fällen wird der Schüler eine eigenwillige Interpretation so überzeugend vortragen, daß der Lehrer die Revision eigener Vorstellungen erwägt. Im Vorgriff auf die Arbeitslehre erwähnen wir dieses Beispiel, denn was im Geschichtsunterricht eher selten sein dürfte, ist in der Arbeitslehre viel häufiger anzutreffen.
Wenden wir uns einen Moment jenen Handlungen zu, die es im Schulalltag auch gibt, deren Handlungsqualität überhaupt nicht strittig ist und die in vielen Fällen Werkzeuggebrauch und materielle Veränderungen als Begleiterscheinung haben. Die Handlungen treffen wir vor allem in den Fächern Bildende Kunst, Musik, Darstellendes Spiel und experimentelle Naturwissenschaft an. Es entstehen Produkte mit einer ästhetischen Qualität und / oder mit einem (wiederholbaren) Ursache-Wirkung-Nachweis.
Die Handlungsdimension dieser Fächer ist einerseits traditionell zu nennen, andererseits wird sie einer ganzen Reihe von Zwängen geopfert, von denen der gravierendste vielleicht die Gruppengröße ist. Der Unterricht kann sich dann auch in diesen Fächern extrem handlungsarm entwickeln.
Wir wollen auch nicht verschweigen, daß in Fächern wie Gesellschaftskunde/Politik, auch Geographie unter dem Postulat der "Handlungsorientierung" tatsächlich gehandelt wird: Parlamentssitzungen und Gerichtsverhandlungen werden besucht, die gewonnenen Eindrücke führen zu schriftlichen Anfragen an Abgeordnete oder Justizvollzugsbehörden. Landschaftspflege-Projekte werden beschlossen u.a.m. Jeder Kenner der Schulwirklichkeit weiß, daß solche Beispiele Ausnahmestatus haben.
Bevor wir uns jetzt dem Handlungsbegriff der Arbeitslehre zuwenden, sei noch einmal an die Theorie HANNAH AHRENDT [49] s erinnert. Wenn die Arbeitslehre sich entschließen könnte, ihre Begriffstrias zu übernehmen, wäre für saubere Verhältnisse gesorgt. Arbeiten, Herstellen und Handeln sind die drei Existenzebenen. Arbeiten müssen wir, Sysiphos vergleichbar, denn die Überwindung des banalen Mangels wird uns täglich aufs neue abverlangt. Das Herstellen (vielleicht sollte man ergänzen: das ganzheitliche Herstellen) ist immer weniger Menschen vergönnt. Zum Handeln sind wir gezwungen solange wir soziale Wesen sind, im Diskurs erfolgt gewissermaßen zivilisatorisch gebändigt der Streit der Meinungen. Eine solche Differenzierung konnte sich, bezogen auf Schule, nicht durchsetzen. [/S. 244:] Hier wird mit einem groben Handlungsbegriff gearbeitet, der mal die eine, mal die andere Bedeutung favorisiert.
Auch der HABERMAS [50] sche Handlungsbegriff könnte der Pädagogik zu mehr Klarheit verhelfen: Bekanntlich unterscheidet HABERMAS zwischen instrumentellem Handeln (arbeiten) und Interaktion. (HABERMAS 1968 [32] und passim) Eine Unterscheidung des instrumentellen Handelns im Sinne HANNAH ARENDTs in Arbeit mit Wiederholungszwang und Herstellen trifft HABERMAS u. W. nicht. Dem instrumentellen Handeln mit seiner Sachlogik wird Interaktion als Daueraufgabe menschlicher Verständigung gegenübergestellt. Nebenbei bemerkt: Auch alles Herstellen könnte sich als endloses Wiederholen erweisen. In einem Gedicht von Gottfried BENN heißt es....
"und bauten sie Dome, 800 Jahre ein Stück, wissend im Zeitenstrome bröckelt der Stein zurück."
Der schulische Handlungsbegriff ist deshalb nach Meinung von DUNCKER über eine Suchbewegung noch nicht hinausgekommen.
"Mit der Handlungsorientierung des Lehrens und Lernens trat die schulpädagogische Profession an gegen die Vorherrschaft des intellektuellen, wissenschaftspropädeutischen und memorierenden Lernens in der Schule. In zahlreichen Suchbewegungen wird dabei erkundet, wie sich ein 'praktisches' Standbein für die Schule errichten läßt, das nicht nur im kompensatorischen Sinne Mängel eines auf Abstraktion zielenden Schulsystems ausgleichen soll, sondern gleichzeitig Hinweise für die Gestalt einer modernen pädagogischen Schulkultur enthält."
(DUNCKER, 1988 [32], S.43)
DUNCKER hat außerdem emphatisch vor dem Auseinanderfallen der Zeithorizonte gewarnt: Die Schule soll beides leisten: eine sinnvolle Gestaltung der Gegenwart der Jugendlichen und eine Zurüstung für künftige Anforderungen durch Gemeinschaft und Arbeitsleben. Zu beobachten ist eine Gegenwartsorientierung vieler Jugendlicher, die leider mangels besserer Alternativen in richtungslosem Aktionismus, austauschbarem "Feeling" und leider oft in Ablehnung der Schule sich äußerst. Die Schule hingegen driftet zur anderen Seite ab, sie wird nicht müde, das Leben nach der Schule anzumahnen, sie behauptet eine Zukunftsorientierung bieten zu können und setzt dabei die bekannten Selektionsmechanismen ein. Ein Riß zieht sich durch die Zeitverhältnisse: Schüler optieren für eine Gegenwart ohne Zukunft und die Schule für eine Zukunft ohne Gegenwart.
Wenn Zukunftsprognosen sich als richtig erwiesen, die abstrakte Verkehrsverhältnisse, vorwiegend symbolisches Handeln, ein Verschwinden der materiellen Produktion und die Zunahme industrieller Dienste von der Ernährung bis zum Rundum-Service voraussagen, wird für die Schule ein nicht nur trotziges Dennoch um so wichtiger. In einer 10 bis 13jährigen Schulzeit gibt es massenhaft Anlässe, zu arbeiten, etwas herzustellen und kommunikativ zu handeln - also nicht memorierend etwas vorzutragen.
Bevor wir den Handlungsbegriff der Arbeitslehre definitorisch genauer fassen, wenden wir uns kurz Forschungsarbeiten zu, die unter dem Stichwort "Beiträge zur psychologischen Arbeitsanalyse" schon Ende der 70er bzw. Anfang der 80er Jahre veröffentlicht wurden, heute jedoch keineswegs überholt sind. Einschränkend muß gesagt werden, daß diese Arbeiten sich überwiegend auf erwerbstätige Erwachsene beziehen. Wir glauben aber, im Arbeitslehre-Unterricht Situationen nachweisen zu können, in denen psychische Reaktionen ähnlicher Art auftreten. Um der bekannten Abwehrgeste zuvorzukommen, erklären wir ausdrücklich, daß der Arbeitslehre die Dimensionen der Kündigungsangst, der [/S. 245:] Lohnabhängigkeit, der betrieblichen Über- und Unterordnung und der Zeitzwänge fehlen, und daß wir auch nicht glauben, sie simulativ herstellen zu können. (VOLPERT 1981 [32], ULICH 1981 [32], HACKER 1978 [32], v. CRANACH u.a. 1980 [32])
Nach HACKER ist der entscheidende Erkenntnisfortschritt der Arbeitspsychologie gegenüber der passiv-kontemplativen Bewußtseinspsychologie darin zu sehen, daß erstere Psyche und Handlung als nicht trennbare Wechselwirkung versteht, letztere den psychischen Zustand gewissermaßen als Voraussetzung für mehr oder weniger gelingende Handlungsregulierung. In der Tradition der sowjetischen Psychologie unterscheidet HACKER zwischen Tätigkeiten allgemein und Handlungen, denen ein inneres Modell, ein Plan zugrunde liegt. (HACKER 1978 [32], S. 57 ff)
"Ganz besonders die hier interessierende Arbeitstätigkeit ist der Prototyp der von Affekthandlungen wohlunterschiedenen, willensmäßig gesteuerten, mit überindividuellem (gesellschaftlichem), konkreten Sinngehalt ausgestatteten und auf Zweckmäßigkeit der Ausführung angelegten Handlungen. Diese willentlich gesteuerten Handlungen sind bei aller sonstigen Verschiedenheit durch einige Merkmale von den anderen, den 'antriebsunmittelbaren Handlungen' ausgezeichnet: Grundlage ist ein bewußtes Ziel, dessen Verwirklichung als Vorsatz angestrebt wird. Durch den Entschluß zum Handeln erfolgt der Übergang vom bloßen Wünschen zum Wollen."
(HACKER, a.a.O. [32] S. 62)
Der Bewegungsphänomenalismus, der auch heute noch in ergonomischen Studien eine Rolle spielt, ist nach HACKER nur die Oberfläche eines inneren Handlungsmodells. Unterschieden wird in der Arbeitspsychologie nach Antriebsregulation und Ausführungsregulation. Die Antriebsregulation entsteht im Gefolge der Übernahme einer Aufgabe, deren Zielbeschreibung natürlich für die handelnde Person vorstellbar und antizipierbar sein muß. Von großer Bedeutung für die Antriebsregulation ist die Herausbildung von Sinn. Diese erfolgt vor dem Hintergrund sozialer Anerkennung. Gänzlich asoziale Sinnbildung, also eine Art "monadischer" Sinn ist schwer vorstellbar. Die Übernahme einer Aufgabe einzig vor dem Hintergrund der "Entlohnung" durch Geld oder Zensuren ist bekanntlich verbreitet; der Sinn muß dann in abgeleiteten Funktionen gesucht werden, z.B. in Konsum- und Karrierechancen.
Die Ausführungsregulation geht immer mit der Zielanalyse einher. Das Ermitteln, Einsetzen und fortlaufende Anpassen zieladäquater Mittel gehört zur Ausführungsregulation.
"Jede Handlung ist notwendigerweise ein psychischer Akt, weil sie bewußt, d.h. zielgerichtet ist. Jede Handlung schließt über die Komponenten der Antriebsregulation hinaus wesensmäßig kognitive Prozesse ein, sie ist mindestens eine sensumotorische Einheit, in der Regel aber eine Einheit von Wahrnehmen, Verarbeiten (Urteilen, Behalten, Reproduzieren) und seinerseits wiederum sinnlich und logisch erfaßtem motorischen Verrichten."
(HACKER, a.a.O. S.63)
Was HACKER idealtypisch für erwachsene Handlungsträger analysiert, bedarf der Modifikation für Handlungen in der Arbeitslehre. Wir greifen hier nur ein Problem heraus: Die Antriebsregulation bei Erwachsenen bedingt oft eine mehr oder weniger lange Phase des Innehaltens zwischen Zielanalyse und motorischen Verrichtungen. Die starke Affizierung der Schüler, die immer dann zu beobachten ist, wenn sie überhaupt handeln dürfen, führt zu den von HACKER gerade ausgeschlossenen "antriebsunmittelbaren Handlungen". Im Klartext heißt das, die Sinnfindung im Zusammmenhang mit Handlungszielen, die damit verbundene [/S. 246:] Zielanalyse und eine Abschätzung der Handlungs-Nebenfolgen strapaziert die wenig entwickelte Geduld der Schüler, rückgestauter Handlungswille entlädt sich am liebsten in unmittelbarem Aktionismus.
VOLPERT [51] hat darauf hingewiesen, daß in modernen, arbeitsteiligen Gesellschaften Arbeitshandeln immer eine überindividuelle Sinnzuschreibung besitzt. Sie existiert unabhängig vom konkreten Individuum. Von daher erst wird definiert, welchen Handlungsbeitrag der einzelne zu leisten habe. Das Individuum funktioniert nun keineswegs im Maße dieser Aufgabenzuweisung sondern redefiniert die Aufgabe. Ersichtlich bezieht sich VOLPERT [51] auf Erwerbsarbeit, denn Hausarbeit, namentlich in den zahlreicher werdenden Einpersonen-Haushalten, bedarf eines modifizierten Analyseschemas.
Die Kenntnis der vom Individuum vorgenommenen subjektiven Ausdeutung der
Arbeitsaufgabe kann dazu genutzt werden, diese den Bedürfnisssen des Individuums besser anzupassen. Der Hintergrund der überinviduellen, als objektiv bezeichneten Arbeitsaufgabe darf jedoch nicht aus dem Blick verschwinden, weil alles andere nach VOLPERT [51] in die "Sackgasse des Subjektivismus" führt. (VOLPERT 1981 [32]) Auf Arbeitslehre ist dieses Modell insofern transferierbar, als die Handlungsstruktur in schulischen Fachräumen unter dem Anspruch einer überindividuellen Arbeitsaufgabe steht. Im Unterschied zur Werkpädagogik und auch zum künstlerischen Gestalten ist die Arbeitsaufgabe viel klarer definiert. Selbstverständlich gibt es in den erwähnten Unterrichtsbereichen auch "Themen", aber die individuelle Handlungsstrategie, die zur Lösungsfindung eingeschlagen wird, ist oft sehr unterschiedlich, ja, die Unterschiedlichkeit ist erwünscht. Auch gibt es nicht die Lösung. In der Arbeitslehre ist von einer strengeren Objektivierung des Lösungszustandes auszugehen. Damit sind Grenzen für den Subjektivismus des einzelnen Schülers gezogen. Die Redefinition der Arbeitsaufgabe durch den Schüler findet gleichwohl immer statt. Es ist nicht auzuschließen, daß der Schüler nun unter dem allgemeinen Diktat des Unterrichts am Handlungsprozess mitwirkt, aber weder die gewünschte Antriebsregulation entwickelt und bei der Ausführungsregulation sich auf andere verläßt. Deshalb ist es gut, sich an das 9-Stufen-Modell von VOLPERT [51] zu erinnern, in der die Lernrelevanz von Handlungsprozessen hierarchisch geordnet wird. Nach VOLPERT [51] ist der Problemzustand identisch mit der Distanz zwischen dem Ausgangszustand der Handlung und dem Lösungszustand. Die Anzahl und Struktur der Zwischenzustände kann stark variieren. Der Problemraum (auch Suchraum) ist die Gesamtheit der Objekte, Zustände und Verfahren, innerhalb derer die Lösung zu finden ist. Der Suchprozess ist das Auffinden von logischen Verknüpfungen zwischen den Operationen und Objekten. Daß es logische Verknüpfungen gibt, wird vorausgesetzt. In der Praxis mag oft der zweite Schritt vor dem ersten getan werden, gleichwohl merkt der Handelnde bald, daß eine Umkehrung logischer gewesen wäre. Der Lösungsprozeß ist die Transformation aller relevanten Merkmale des Problemraums.
Diese verhältnismäßig abstrakte Beschreibung der Problemstruktur besagt zunächst nur, daß alle Handlungen innerhalb einer solchen Struktur verlaufen.
"Ein Stufenmodell der Problemhaltigkeit nimmt nun an, daß es Konstellationen dieser Komponenten gibt, die in aufsteigender Reihe insofern voneinander unterscheidbar sind, als zur bisherigen Problemstruktur ein neuer komplizierender Faktor hinzutritt, der diese Struktur verändert. Das im folgenden vorzustellende Modell umfaßt neun Stufen, die jeweils durch die Aufgabenart, die zugehörige Handlungsforderung und die daraus resultierenden Lernerfordernisse umschrieben sind."
(VOLPERT, a.a.O. [32] S. 215)
[/S. 247:]
Die unterste Stufe geht von stereotypen Handlungsfolgen aus, die, einmal beherrscht, nur in einem engen Bereich an veränderte Situationen adaptiert werden müssen.
Die beiden obersten Stufen (8 und 9) des Handlungsmodells sind nach VOLPERT [51] für industrielle Handlungsprozesse irrelevant, und wegen des offenen Anfangs- und Endzustandes vorwiegend in wissenschaftlichen Forschungsprojekten anzutreffen. Wir zitieren noch einmal VOLPERT [51] mit der Beschreibung der Stufe 5, weil diese u.E. als die höchste in der Arbeitslehre erreichbare Stufe gelten kann.
"Die Stufe 5 ist dadurch gekennzeichnet, daß ein noch nicht bekannter Lösungsweg bei geschlossenem Anfangs- und Endzustand gefunden werden muß. Hier müssen flexible Handlungspläne auf der Grundlage von Wissen über allgemeine Funktions- und Wirkprinzipien der Handlungsobjekte und -bedingungen entwickelt werden. Im Problemraum sind äquivalente, aber nicht lösungsoptimale Operatoren bzw. Eigenschaften durch Suchraumeinengung unter Einsatz von heuristischen Regeln auszuschalten. Die Elemente des Problemraums sind hier als Begriffe eines Wissenssystems zu verstehen. Die Lernanforderung besteht in der Entwicklung von Entscheidungsregeln auf der Grundlage von Fachwissen."
(VOLPERT a.a.O. [32] S. 216 f)
Wir hatten weiter oben bereits die Redefinition der Arbeitsaufgabe durch die handelnden Subjekte erwähnt. Für den Arbeitslehre-Lehrer bedeutet dies zunächst die Ungewißheit über die zu erwartende Antriebs- und Ausführungsregulation der Schüler. ULICH hat die "subjektive Tätigkeitsanalyse" als eine wichtiges Verfahren zur besseren Handlungsinvolviertheit der beteiligten Personen genannt.
"Subjektive Tätigkeitsanalyse (STA) wird als ein Mittel verstanden, mit dessen Hilfe die Subjektposition der Arbeitenden zur Geltung gebracht, Qualifizierungsbarrieren abgebaut und Qualifizierungsbereitschaften entwickelt werden können. Mit der subjektiven Tätigkeitsanalyse sollen zugleich Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß objektive Handlungsspielräume nicht nur erkannt und genutzt, sondern auch Möglichkeiten ihrer Erweiterung wahrgenommen und realisiert werden."
(ULICH; 1981 [32], S. 333)
Selbst bei erwachsenen Erwerbspersonen läßt sich eine Tendenz zum "problemlosen Feld" feststellen, d.h. über längere Zeiträume werden Arbeiten verrichtet, ohne daß Mängel im technischen und organisatorischen Bereich bewußt werden. Am Anfang jeder STA steht deshalb die Einsicht in die Problemhaltigkeit einer Situation. Die Arbeitspsychologie bedient sich bestimmter angeleiteter gruppendynamischer Prozesse, bei denen jedes Gruppenmitglied seine subjektive Sichtweise offenlegt. Die Mehrperspektivität läßt das Problem zu allererst sichtbar werden; es folgen Veränderungspläne usw. (vergl. ULICH, a.a.O. [32] S. 334 ff)
Anscheinend werden in der Arbeitslehre aus zeitlichen Gründen gar keine längerfristigen Arbeitsroutinen aufgebaut, die dann durch arbeitspsychologische Intervention zu optimieren wären. In Wirklichkeit läßt sich aber eine STA an vielen Stellen des Unterrichts einbauen. Diese hat nicht den systematischen Anspruch der von ULICH u.a. beschriebenen Vorgehensweise.
Arbeitslehre-Lehrer klagen über Mängel bei der Durchführung der Arbeitsaufgabe: Schüler handeln erst und denken hinterher über einen Mißerfolg nach, sie vernachlässigen getroffene Organisationsabsprachen und sie weisen gerne anderen Schuld zu. Viele Lehrer versuchen nun ständig durch rechtzeitiges Belehren das Schlimmste zu verhindern. Kurze, zur Gewohnheit werdende STA würden manche Lehrerintervention überflüssig machen. Weil die Schüler in der Arbeitslehre im allgemeinen an einer gemeinsamen Aufgabe tätig sind, [/S. 248:] kann jeder seine momentane subjektive Wahrnehmung des ganzen Prozesses äußern. Dabei wird sich fast immer herausstellen, daß das Problembewußtsein der Lerngruppe wächst.
Ähnlich wie in betrieblichen Arbeitsprozessen gibt es auch in der Arbeitslehre eine objektive Arbeitsanalyse und eine subjektive. In Betrieben hat die Arbeit von Refa-Experten eine lange Tradition. Das soziotechnische System wird beobachtet, gemessen und optimiert. Daß dies nicht ausreicht, beweisen Erfolge der subjektiven Tätigkeitsanalyse durch die Arbeitenden selbst. In der Schule ist die Unterrichtsplanung durch den Arbeitslehre-Lehrer gewissermaßen die objektive Arbeitsanalyse, sie sollte nach Möglichkeit Expertenniveau haben. Das alleine reicht jedoch fast nie. Die subjektive Tätigkeitsanalyse durch die Schüler muß hinzutreten, damit würde so manchem Arbeitslehre-Lehrer, der sich optimal vorbereitet hatte, eine herbe Enttäuschung erspart.
v. CRANACH u.a. haben eine Theorie "konkreter Handlungen" entwickelt, die nicht primär an betrieblichen Arbeitsprozessen orientiert ist, und vielleicht deshalb Vertretern der Allgemeinbildung nähersteht. Auf die neun Bestimmungsstücke dieser Theorie wollen wir kurz eingehen und Bezüge zur Arbeitslehre aufspüren. (v. CRANACH u.a., 1980 [32],S. 83ff) Die Autoren unterscheiden:
Zunächst stellen wir fest, daß viele Aktivitäten in der Schule einen solchermaßen entfalteten Handlungsbegriff nicht einlösen. Einen Deutschaufsatz schreiben, eine Mathematikaufgabe lösen, einen englischen Text übersetzen, bedarf einer Zieldefinition. Die teleologische Kraft des Ziels ist gering, ja, Ziele werden häufig nur als Durchgangszustände erlebt. Im Mathematikunterricht ist es verbreitet, den Schülern zu sagen, wer die "Pflichtaufgaben" gelöst hat, kann noch Zusatzaufgaben bearbeiten. Die Zielbeschreibung verliert an Bedeutung und wird sekundär gegenüber dem Weg zum Ziel. Die Verständigung über Zwischenziele und deren Hierarchisierung fehlt meistens. Wertediskussionen sind dann [/S. 249:] entbehrlich, wenn die Ziele durch Rahmenpläne als legitimiert gelten. Handlungswissen wird nicht vom Handlungsziel her bestimmbar, oft ist es umgekehrt: auf Vorrat erlerntes Wissen soll durch einen gesuchten Handlungsanlaß aktualisiert werden. Kommunikationsprozesse, die der Erreichung eines gemeinsamen Handlungsziels dienen, werden oft nicht gewünscht.
Kommen wir zum Schluß. Der Handlungsbegriff der Arbeitslehre umschließt die drei Dimensionen: das Arbeiten, das Herstellen und das Handeln.
Handeln in der Arbeitslehre bedeutet zuvörderst Handeln in der materiellen Welt: ein Kleidungsstück nähen, ein Essen kochen, Lautsprecherboxen bauen. Ein Verbot, auch in der nichtmateriellen Welt zu handeln, ist damit freilich nicht ausgesprochen. Aber da dies die anderen Schulfächer zur genüge tun, müßte die Arbeitslehre die materielle Kultur zu ihrer eigentlichen Domäne erklären.
"Worum es nämlich wirklich geht, das ist die Überwindung jenes Kulturdefizits, an dem die allgemeinbildende Schule, und ganz besonders auch das Gymnasium, bis heute leidet. Die überwältigende Mehrzahl der Unterrichtsgegenstände betreffen die ideelle Kultur, die Mathematik, die Sprache, die Literatur, die Kunst, die Weltanschauung. Schon die soziale Kultur wird von dem einen, oft genug randständigen Fach Sozialkunde nur sehr stiefmütterlich behandelt. Doch was bis in die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts in der Schule völlig fehlte, das ist die materielle Kultur. Brechts berühmte Rehabilitierung der materiellen Kultur 'Erst kommt das Fressen, dann die Moral' darf zwar inzwischen im Deutschunterricht hermeneutisch interpretiert werden, doch im Kanon der Bildungsfächer wird diese Einsicht von den Philologen immer noch verdrängt."
(GÜNTER ROPOHL, 1997 [32], S.285)
ROPOHL hat das Leiden am Partikularismus des Fächerspektrums (Technik, Wirtschaft, Haushalt, Arbeitslehre) dadurch zu beenden versucht, daß er ein Fach "Materielle Kultur" vorschlägt. Dem folgt jedoch der Zweifel auf dem Fuße, ob die Bezeichnung jedermann verstünde. (ROPOHL, a.a.O. [32] S. 285)
Wir versuchten, den Handlungsbegriff der Arbeitslehre zu konturieren (und ihn gegen einen inflationär gebrauchten abzugrenzen). Unvermeidlich ist es, auf immer wiederkehrende Störungen des idealtypischen Handlungsablaufs in der Arbeitslehre einzugehen.
Zuletzt hat BÖNSCH die kritischen Stellen in einem Projektverlauf noch einmal genannt. Diese zu erinnern ist vielleicht deshalb notwendig, weil in zahllosen Arbeitslehre-Publikationen die Projektphasen: Entscheidung-Planung-Durchführung-Kontrolle als scheinbar unproblematische genannt werden. (BÖNSCH 1996 [32], S. 133)
Dies bedeutet nicht, die die Arbeitslehre bestimmende Handlungsmaxime zu verabschieden. Erfahrungen zeigen, daß die Störungen in einem Projektverlauf geringer werden, wenn die Schüler wiederholt Projekterfahrung sammeln konnten. Die o. g. Subjektive Tätigkeitsanalyse, aber auch das auf VOLPERT [51] zurückgehende Stufenmodell der Handlung werden noch zuwenig berücksichtigt.
Ein nicht unerheblicher Teil der Schwierigkeiten, die im Handlungsfeld "Arbeitslehre" auftauchen, läßt sich auf mangelnde fachliche Kompetenz der Lehrer zurückführen. Wir wenden uns deshalb im nächsten Kapitel den praktischen Fragen einer gelingenden produktiven Schülerarbeit zu.
[/S. 251:] [4. Schulische Produktionsarbeit]
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Ein wesentliches Kennzeichen der Arbeitslehre in der Bundesrepublik besteht darin, daß neben die einzelnen, relativ autonomen Teilbereiche Technik, Wirtschaft und Hauswirtschaft ein fächerübergreifender Bereich tritt. Dieser fächerübergreifende Bereich stellt eine Schnittmenge verschiedener Inhalte dar, ist in der Schule schwierig umzusetzen und wissenschaftlich nach wie vor höchst diskussionsbedürftig. Unter fächerübergreifendem Unterricht (Lehren und Lernen) wird ein Vorgehen verstanden, bei dem ein fachlich gegliederter Stundenplan (zeitweise) suspendiert wird, um ein Thema über einen längeren Zeitraum mehrperspektivisch zu behandeln; denkbar ist auch, fachbezogene Querverbindungen bei der Behandlung von Themen didaktisch-methodisch zu vernetzen, wobei die Fächerung des Unterrichts beibehalten wird (z.B. Mensch und Umwelt in historischer, geographischer, religiöser, ethischer Sicht). Möglich ist auch die Bildung von Lernbereichen, die fächerübergreifenden thematischen und/oder methodischen Konstitutionsprinzipien folgen (z.B. Sachunterricht der Grundschule).
Jenseits dieser drei Varianten entzündet sich die wissenschaftliche Diskussion an Fragen wie den folgenden: Ist fächerübergreifender Unterricht mehr als der gewagte Versuch, 'innerlich' verschiedenartige Stoffe so unter einen Hut zu bringen, daß wenigstens äußerlich der Eindruck einer geschlossenen Bildungseinheit entsteht? Verkommt ein sorgfältig geordnetes Bildungsgut durch fächerübergreifende Aufsplitterung nicht zu mehr oder weniger zufällig komponierten Arrangements provinzieller oder genialer Bastler? Darf man die Disziplin der Fächer ungestraft verlassen, um Schüler und Lehrer undurchsichtigen Komplexionen heterogener Inhaltssegmente auszuliefern? Verkommt eine Schule ohne Fächer nicht gar zu einem Supermarkt der Kultur?
Diesen kritischen Fragen kann als kurze Entgegnung zur Rechtfertigung fächerübergreifenden Unterrichts gegenübergestellt werden: (1) Schulpädagogisch gesehen stellt der fächerübergreifende Unterricht eine pragmatisch begründete Notlösung dar, da Fachunterricht zeitgemäße Bildung allein nicht mehr vermitteln kann. (2) Viele Schulfächer haben als Entwicklungsmedien für die Schülerpersönlichkeit beträchtliche pädagogische Legitimation verloren. Als Reflex hierauf versucht deshalb (3) fächerübergreifender Unterricht didaktische Sinnstrukturen (neu) zu entwickeln oder zurückzugewinnen.
Diese didaktischen Gesichtspunkte werden in der neueren erziehungswissenschaftlichen Diskussion im Zusammenhang mit Fragen der Schulqualität und Schuleffektivität, also der Suche nach Kennzeichen einer 'guten Schule', außer Acht gelassen. Dort geht es neben Aspekten wie Schulleben, Weltbild der Erziehenden, Einstellung zu Schülern, Interesse und Motivation, Identifikation und Zufriedenheit mit Schule und Beruf, Unterrichtsqualität, Zusammenarbeit mit Eltern auch um die Kooperation im Kollegium einer Schule, die - auf unsere Überlegungen gewendet - für einen gelingenden fächerübergreifenden Unterricht von großer Bedeutung ist.
Wenn nun innerhalb der Arbeitslehre - diese Bezeichnung steht im folgenden synonym für die Begriffe 'Arbeit-Wirtschaft-Technik', 'Polytechnik/Arbeitslehre' u. dgl. - verschiedene Problemfelder, Situationsbereiche oder Fächer aufeinander bezogen werden, dann zeigt dies, daß auch die Arbeitslehre ihren Bildungsauftrag offensichtlich nicht hinreichend erfüllen kann. Denn sonst wäre es ja nicht notwendig, Getrenntes durch fächerübergreifende Lehrplan-Einheiten (wie etwa in Baden-Württemberg und Niedersachsen) - zumindest partiell - zusammenzubringen. Allerdings besteht in Wissenschaft, Politik und Schule kein genereller Konsens darüber, daß Arbeitslehre als mehr oder weniger integrierendes Schulfach begriffen werden muß. Denn es zeigt sich, daß sie auch als Sammelbezeichnung für selbständige Einzelfächer (Technik, Wirtschaft, Haushalt) verwendet wird. Grob lassen sich jedenfalls drei Organisationsvarianten von Arbeitslehre festmachen (vgl. Nitsch 1979):
Neben diesen Organisationsvarianten der Arbeitslehre benennen mehrere Autoren übereinstimmend folgende Problembereiche einer integrativen oder integrationsähnlichen Arbeitslehre: Kooperation als inhaltliches, soziales (interaktives), organisatorisches und didaktisch-methodisches Problem (Lackmann 1981, 1986, 1992 [4]; Himmelmann 1985 [53]; Henseler u.a. 1985).
Werden nun die Organisationsmodelle der Arbeitslehre in Zusammenhang mit den erwähnten Problemebenen gebracht, ergibt sich folgende heuristische Matrix, die zur didaktischen Beschreibung fächerübergreifenden Unterrichts herangezogen werden kann (vgl. Abbildung 1).
Mit Hilfe des aufgeführten Tableaus soll das Problem des fächerübergreifenden Unterrichts im Bereich der Arbeitslehre weitergeführt werden. Dabei ist die vordere Skizze gewissermaßen zu 'verdoppeln' denn 'Kommunikation und Kooperation' von Lehrerinnen und Lehrern ist mindestens auf zwei Ebenen zu erörtern: Auf der Ebene konkreter Rahmenbedingungen (die etwa als Lehrplanvorgaben und der damit verbundenen Organisationsstruktur gesetzt werden - Bedingungsebene) und auf der daraus resultierenden Ebene des konkreten Verhaltens (Handelns) bei Planung, Umsetzung und Evaluation 'integrativen' Arbeitslehre-Unterrichts (Verhaltensebene). Beide Bereiche stellen zwei Seiten derselben Münze dar (vgl. die genauere Explikation bei Lackmann 1986 [4], S. 11), die in der Wirklichkeit untrennbar miteinander verbunden sind. Damit wird auch ersichtlich, daß fächerübergreifender Unterricht der Arbeitslehre immer mit der die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit (Kooperation und Kommunikation) mehrerer Fachlehrerinnen bzw. Fachlehrer korrespondiert. Von Grad und Qualität der Zusammenarbeit der Lehrkräfte ist darum auch Erfolg oder Mißerfolg des fächerübergreifenden Unterrichts abhängig. Im folgenden werden nun einige Aspekte der vorstehenden Matrix inhaltlich thematisiert. Exemplarisch wird dabei auf das Strukturmodell 'Arbeitslehre als Kooperationsbereich' eingegangen (vgl. Abbildungen 2 und 3).
Hier wird beispielsweise die Frage nach den Bezugswissenschaften der Arbeitslehrefächer einschließlich ihrer historischen Gewordenheit, sowie ihrem erkenntnistheoretischen Fundament thematisiert. Auf der Ebene des Schulfaches treten Programmatik und Selbstverständnis der Arbeitslehre sowie die Frage der Wissenschaftselementarisierung zutage, die einen Bezug zum didaktisch-methodischen und organisatorischen Aspekt der Zusammenarbeit notwendig machen (siehe Abschnitte vier und fünf).
Seit Anbeginn ist das Problem der Bestimmung des Gegenstandsbereiches der Arbeitslehre nicht gelöst worden. Durch das Fehlen einer eindeutigen wissenschaftlichen Bezugsdisziplin ist die Möglichkeit, diesen Gegenstandsbereich des Lernfeldes Arbeitslehre über eine entsprechende Pädagogik (Fachdidaktik) zu begründen, nicht leistbar. Damit ist auch jener Trennschärfeversuch erschwert, der als ein wichtiges Kriterium für die bildungspolitische Inkorporationschance jeder neuen Schulidee gilt. Damit geht eine 'Anbindungsoffenheit' gegenüber mehreren Fächern des schulischen Fächerkanons einher. Erinnert sei an die Diskussion um die Abgrenzung zwischen den Fächern Technik und Physik, die Abgrenzung zwischen Teilbereichen der Fächer Arbeit/Wirtschaft und Wirtschaftslehre zu den Fächern Sozialkunde, politische Bildung und Haushalt, die Abgrenzung des Faches Haushalt zu Teilbereichen der Biologie und Chemie oder die Abgrenzung zwischen bestimmten musischen Fächern und der Textilarbeit.
Diese Situation hat dazu geführt, daß das Lernfeld Arbeitslehre nie über die innere Ruhe verfügt hat, sich ein klar konturiertes und unstrittiges inhaltliches Profil mit entsprechenden Ausschließungskriterien für bestimmte Inhalte zu geben. Vielmehr wurden bestimmte inhaltliche Aufgaben zum freien Feld für 'politische Besetzungen' durch Verbände und bestimmte Fachdidaktiker oder zu Forderungskatalogen für neue Aufgaben und Inhalte definiert, die zuweilen mit der Gefahr verknüpft waren, einen Omnipotenzanspruch des Lernfeldes zu verbreiten. In den folgenden beiden Positionsbeschreibungen bzw. Aufgabendefinitionen der Arbeitslehre kommt dies exemplarisch zum Ausdruck.
Im Gegensatz zu Dauenhauer, der in einer Streitschrift dafür eintritt, über die komplexe gesellschaftliche Wirklichkeit "geknüpfte Fachnetze zu werfen" und nicht zu zerreißen (1983, S. 132), da der Fachunterricht jedem Integrationsunterricht überlegen sei, betont etwa Himmelmann (1980, S. 64 ff.) [54], daß eine Differenzierung von Arbeitslehre in mehrere Fächer bzw. Wissenschaftsdisziplinen dysfunktional im Hinblick auf den Integrationsgedanken sei. Wenn 'Wissenschaftsorientierung' Bestimmungskriterium für die Inhalte von Arbeitslehre wird, bedeutet dies Verfachlichung und Verfachlichung impliziert Verselbständigung, mit der Folge auch einer verselbständigten Didaktik der Fächer.
Für Himmelmann steht fest, daß sich die Arbeitslehre auf die Suche nach einer neuen, integrierenden Bezugswissenschaft begeben müsse. Die traditionellen Wissenschaften können dies nicht sein, da sie die Realität durch Selektion und Spezialisierung zerschneiden, um auf diese Weise Komplexität zu reduzieren. Zwangsläufig sind damit Gegenstand der Zusammenarbeit im Lernfeld Arbeitslehre Sachgebiete, deren Fachgrenzen durch Bildung einer 'Schnittmenge' überwunden werden sollten, um zu einem Inhalt 'höherer Ordnung' zu gerinnen. Die Frage muß also lauten: Auf welchen neu gefundenen Inhaltssektor kann sich eine integrative (also fächerübergreifende) Arbeitslehre stützen? Sodann: Wer kann ein solches Inhaltssegment wie gewinnen?
Bei der Suche nach einem integrierenden inhaltlichen Zentrum der Arbeitslehre stößt man auf Vorschläge, die sich einerseits auf den Gegenstandsbereich, andererseits auf den Vermittlungssektor beziehen:
Die dritte Spielart versucht über mehrperspektivisch angelegte, fächerübergreifende Unterrichtseinheiten die Integration inhaltlich zu bewerkstelligen (z.B. die fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten "Technisierung und Rationalisierung bestimmen unser Leben" und "Produkte kommen auf den Markt" für die Hauptschulen in Baden-Württemberg).
Während der erstgenannte Vorschlag weitgehend Programm geblieben ist - lediglich der frühere hessische Ansatz kommt ihm sehr nahe - sind die beiden anderen bereits praktisch weiter verbreitet. Dabei fällt auf, daß dort, wo berufsorientierende Inhalte integratives Moment der Arbeitslehre darstellen (sollen), ohne Schwierigkeiten dieser Anspruch eingelöst werden kann, da diese Inhalte ein Querschnittsspektrum darstellen, das 'über' den technischen, wirtschaftlichen und hauswirtschaftlichen Sektor gelegt werden kann, also nicht aus einer besonderen Fachwissenschaft abgeleitet werden muß (jedoch eine eigene Fachdidaktik erfordert). Da es i. R. kein eigenes Schulfach 'Berufsorientierung' gibt, steht zu vermuten, daß die Stundenanteile der Lehrpläne auf die einzelnen Arbeitslehre-Fächer verteilt werden. So wird die Beteiligung mehrerer Arbeitslehre-Lehrkräfte verständlich. Natürlich steht einer von mehreren Lehrerinnen und Lehrern getragenen Verantwortung eines solchen Projekts nichts im Wege. Prinzipiell ist hier aber kooperative Unterrichtsplanung und Unterrichtsdurchführung nicht notwendig, da genuine Fachkompetenzen aus den einzelnen Fächern nicht gefordert werden, sondern primär lediglich Organisationsmaßnahmen der Durchführung des berufsorientierenden Unterrichts notwendig sind. Diese Gestaltungsaufgaben bleiben hier sinnvollerweise in einer Hand, da somit unnötige Doppelarbeit vermieden werden kann (vgl. exemplarisch OIB [Orientierung in Berufsfeldern; d. Red.] in Baden-Württemberg).
Bei expliziten fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten wird in der Regel lediglich eine Aufforderung zur Realisierung kooperativen Lehrens formuliert. Dabei wird die eigentliche inhaltliche (aber auch die didaktisch-methodische) Integrationsarbeit den Lehrern übertragen. Erfahrungen bei der Realisierung fächerübergreifenden Unterrichts zeigen, daß ein solches Vorgehen scheitern muß. Da heute in der Regel die Masse der Lehrkräfte des Faches Arbeitslehre, die derzeit in der Schule unterrichten, noch immer keine oder nur geringe, durch hochschulische Ausbildung oder Lehrerfortbildung vermittelte, umfassende Kooperations-Qualifikationen besitzen, muß bereits in den Lehrplanvorgaben die inhaltliche Integration geleistet sein. Das didaktische Zentrum eines fächerübergreifenden Arbeitslehre-Inhalts liegt jedoch meist außerhalb der kooperierenden Fächer. Notwendig ist also eine Thematik, die sui generis überfachlichen Charakter hat (vgl. etwa das Fach 'Sozialwissenschaft' an den Realschulen Nordrhein-Westfalens).
So weit ich sehe, sind drei systematische Möglichkeiten einer inhaltlichen Verknüpfung denkbar: die fachspezifisch-koordinative, die thematisch-systematische und die problemorientierte Verknüpfung.
Leitender Gesichtspunkt der fachspezifisch-koordinativen Verknüpfung ist die fachspezifische Erarbeitung eines Themas. Nur dort, wo es für das Verständnis des Gesamtzusammenhanges unumgänglich ist, wird eine Koordination mit einem anderen Fach geplant. Koordination bedeutet, daß für diese kurze Phase eine andere Lehrkraft die notwendige Ergänzung leistet oder Unterrichtsmaterial zur Verfügung stellt, das von den Schülerinnen und Schülern bei Bedarf bearbeitet werden kann.
Die systematische Erschließung des Themas ist leitender Gesichtspunkt des zweiten Modells. Sie wird von der Lehrkraft durchgeführt, der die Unterrichtseinheit plant. Diese Lehrkraft bestimmt jene Teile, die von verschiedenen Fächern bearbeitet werden müssen. Danach wird mit den Fachlehrerinnen und -lehrern die Aufgabenstellung besprochen und der Unterricht in den einzelnen Fächern durchgeführt. Unerheblich ist hierbei, ob diese Teile von verschiedenen Fachlehrern oder von einem Lehrer allein bearbeitet werden.
Im dritten Fall sind Probleme leitend, die aus dem Spannungsverhältnis des Menschen zu Alltagssituationen erwachsen. Im Vergleich zu den beiden anderen Spielarten ist bei der problemorientierten Verknüpfung eine vollständige oder systematische Bearbeitung nicht möglich. Daß hier größere organisatorische Schwierigkeiten als bei den anderen Arten auftreten, liegt nahe. Denn hier ist es erforderlich, für die Problembearbeitung Erklärungsmuster verschiedener Fächer zur Verfügung zu haben. Insbesondere dieser letzte Ansatz verweist auf die didaktisch-methodische Problematik fächerübergreifender Unterrichtsplanung.
Im vorangegangenen Abschnitt wurde der Generierung von Arbeitslehre-Inhalten implizit das Wissenschaftsprinzip als metasprachliche Faustformel unterlegt. Hier nun ist auf das Situations- oder Lebensweltprinzip einzugehen, über das (auch eine fächerübergreifende) Didaktik der Arbeitslehre begründet werden kann und muß.
Wie erwähnt wird bei der praktischen Unterrichtsgestaltung dann große Verwirrung herrschen, wenn über situative Verfahren Kooperation geleistet werden soll, ohne daß dies bereits zuvor auf der Lehrplanebene geklärt worden ist. Da also die inhaltliche Struktur eines Lehrplans von der Frage unterschieden werden muß, wie er von den Lehrkräften umgesetzt wird, ist auch das Situationsprinzip unterschiedlich zu fassen.
Wird das Situationsprinzip als didaktische Leitkategorie auf vorliegende fächerübergreifende Lehrplaneinheiten anzuwenden versucht, ist häufig Fehlanzeige zu melden. Beispielsweise stellen die fächerübergreifenden Lehrplaneinheiten der baden-württembergischen Arbeitslehre-Lehrpläne keine Situationsfelder, sondern Wissenschaftselemente dar, wenn sie auf ihren inhaltlichen Kern zurückgeführt werden (vgl. Bildungsplan 1994).
Es fällt auf, daß das Situationsprinzip in der didaktischen Literatur der Arbeitslehre entweder als Hinweis auf unterrichtsmethodische Varianten oder aber als metatheoretische Norm verstanden wird. Beiden Auffassungen liegt der Gedanke zugrunde, bei der Curriculumentwicklung die Lebenswirklichkeit der Lernenden zum Bezugspunkt der Entwicklungsarbeit zu machen, d.h. Lernangebote auf gegenwärtige und künftige Lebenssituationen zu beziehen.
Manchmal wird mit dem Verweis auf die Notwendigkeit einer Anwendung des Situationsprinzips argumentiert, gelegentlich wird zu belegen versucht, daß die Berücksichtigung von didaktisch-methodischen Möglichkeiten (Fallstudie, Plan-, Rollenspiel, Projektunterricht) bereits die Umsetzung einer situationsorientierten Didaktik darstelle (Himmelmann [53] 1985, vorsichtiger Henseler u.a. 1985). In beiden Fällen wird man dem Situationsprinzip nicht gerecht, da seine bloße Postulierung nicht für die Begründung eines didaktischen Programms ausreicht (vgl. Lackmann 1986 [4]).
Hier wird gewissermaßen eines der Herzstücke des Erfolgs (bzw. möglicher Restriktionen) integrativer bzw. integrationsähnlicher Arbeitslehre-Konzepte gesehen, wie dies für fächerübergreifendes Lehren und Lernen charakteristisch ist: Objektiv in der Bildung entsprechender Rahmenbedingungen (organisatorische Ebene), subjektiv in der Kooperation der Lehrkräfte bei Unterrichtsplanung und -durchführung (interaktive Ebene, vgl. Abschnitt 6).
Macht man den exemplarischen Versuch, eine Jahresplanung, wie sie Henseler & Reich (1986) empfehlen, für eine fächerübergreifende Unterrichtseinheit im Schuljahresablauf zu verorten, dann wird erkennbar, daß es nicht leicht fällt, einen parallelen Zeitblock für die drei Fächer Wirtschaftslehre, Technik und Hauswirtschaft/Textiles Werken aus dem Zeitvorrat eines Schuljahres 'herauszuschneiden', um das Unterrichtsvorhaben zeitgleich unterrichten zu können. Der Grund ist darin zu sehen, daß die Facheinheiten von ihren Zeitbedarfen her unterschiedlich lang sind und somit terminlich nicht aufeinander zulaufen. Nur so ist übrigens der Idealfall eines team teaching zu realisieren. Zeitparallelität ist also eine wichtige organisatorische conditio sine qua non für einen fächerverbindenden Unterricht, der gelingen soll (vgl. Lackmann 1992, S. 63 und 64).
Nur konsequent ist es, wenn Lehrerkooperation unter dem Aspekt der Organisationsentwicklung erörtert wird, deren Aufgabe darin besteht, typische Fehler der Zusammenarbeit aufzudecken und professionelle Hilfen zur Verhaltensänderung zu initiieren (vgl. etwa Schley 1991). Hierbei geht es unter anderem um die Festlegung eines Kontraktes zwischen den Beteiligten, der Spielregeln, Verabredungen und Zuständigkeiten enthält. Weiter geht es um eine Systematik des Vorgehens, Überlegungen, wie Lösungsaufschübe vorgesehen werden, wie heimliche Leitgedanken und explizite Prinzipien der Kooperation offengelegt werden können sowie wie eine Evaluation die Rückkopplung und Erfolgsvergewisserung der Kooperation aufzeigt. Damit wird bereits auf Sachverhalte des nächsten Abschnitts verwiesen.
Für die Frage der Kommunikation und Kooperation von Arbeitslehre-Lehrkräfte muß die Struktur des Arbeitsplatzes Schule zum Ausgangspunkt genommen werden. Hier liegt der Schlüssel für die Beschreibung eines zentralen Problems fächerübergreifenden Lehrens und Lernens auch innerhalb der Arbeitslehre.
Im Vergleich zu anderen Berufen ist bei Lehrern die wechselseitige Durchdringung von Person und Beruf relativ stark. Dies rührt daher, daß sich der Kern der Arbeit im pädagogischen Binnenraum des Klassenzimmers bei sehr hohem Person-Involvement vollzieht. Diese prekäre, instabile und belastende Lage hat auch Konsequenzen für die Einstellung des Lehrers zu seinem Beruf, und sie hat Konsequenzen für die Situation, in der der Lehrer das Klassenzimmer verläßt und wieder betritt - also in kollegiale Kommunikation eintaucht. Fragen drängen sich auf.
Steht zu vermuten, daß nach der isolierten Arbeit im Klassenzimmer das Lehrerzimmer als 'Wiederaufbereitungsanlage' für berufliches Engagement wird? Wenn die einschlägige Literatur belegt (vgl. Bielefeldt & Scholz 1979, Pieper 1986, Bessoth 1989), daß kollegiale Kommunikation fast gar nicht zur inhaltlichen Erörterung pädagogischer Arbeitsprobleme genutzt wird, ist zu fragen, worauf dies zurückgeführt werden kann. Liegt es an der Isolation im Klassenzimmer, die einerseits als Belastung, andererseits auch als Schutz vor Beobachtung erlebt wird, allein? Muß die Kollegialitätsforderung für das Lehrerzimmer, nämlich sowohl als prinzipiell gleichwertig, gleich kompetent und gleichberechtigt behandelt zu werden nicht kollidieren mit dem Postulat der Nicht-Einmischung in die eigene Arbeit, die es zu verteidigen gilt? Wird nicht erst durch ein striktes Nebeneinander beim Arbeiten und gleichzeitiger Bekundung kommunikativer Absichten die Tatsache aushaltbar, daß jede Lehrkraft ständig das Gefühl des Nicht-Genügens haben muß? Ist es möglich, daß eine öffentliche Erörterung der eigenen beruflichen Probleme im Kollegium als große Bedrohung erlebt wird?
Hinzukommt, daß im Rahmen kollegialer Kommunikation unter formal Gleichen unterschieden werden muß zwischen den offiziellen Regeln, zu denen sich jemand bekennt und den inoffiziellen, unausgesprochenen, aber für das faktische Handeln sehr wichtigen Regeln des Miteinander-Umgehens. Im informellen Bereich werden dann auch Konflikte deutlich, z.T. auch angesprochen, um dann aber, wenn es offiziell wird (etwa in Konferenzen) sehr schnell mit der offiziellen Forderung nach Kollegialität abgekühlt zu werden. Kann die informelle Seite, die Kulisse des Geschehens, zur Ablagerungsstätte für die Folgen von unverarbeiteten Interessenkonflikten, Enttäuschungserlebnissen, Rivalitäten, kurz: für den sozial- und individualpsychologischen Abrieb werden?
Diese Fragen könnten ein erster Anknüpfungspunkt für die weitere Analyse der Gründe für Erfolg oder Mißerfolg der Lehrerkooperation innerhalb eines fächerübergreifenden Unterrichts der Arbeitslehre sein. Weitergehende Untersuchungen müßten den Stellenwert von formeller und informeller Kommunikation und Kooperation im Rahmen fächerübergreifender Unterrichtsplanung und Unterrichtsdurchführung analysieren. Auch müßte der Vermutung nachgegangen werden, ob informelle Kommunikation und Kooperation auf punktuell und auf spezifisch und häufig enge Ziele beschränkt bleibt oder nicht. Welchen Stellenwert hat dann eine formelle Kommunikation? Oder anders ausgedrückt: Wenn eine gute informelle Kommunikation und Kooperation in einem (kleinen) Lehrerkollegium gegeben ist, dann wird formelle Kommunikation und Kooperation (in Form von Fachkonferenzen) - meist eh als Arena für Profilsucher verschrieen und aufwendig im Verhältnis zum Ertrag - kaum mehr erforderlich. Die Grenzen eines Modell bürokratischer Kontrolle der Schularbeit könnten so sicherlich offengelegt werden. Natürlich müssen auch Überlegungen angestellt werden, um die Qualifikationen von Lehrerinnen und Lehrern bezüglich einer Verbesserung von Kommunikation und Kooperation zu erhöhen (vgl. Lackmann 1986 [4]).
Neuere Überlegungen der erziehungswissenschaftlichen Schulentwicklungsforschung betonen die zentrale Rolle der Schulleitung für eine erfolgreiche Kooperation im Lehrerkollegium (vgl. Rosenbusch & Wissinger 1989, Wissinger & Rosenbusch 1991). Entscheidend ist dabei, daß sich die Personen der Schulleitung gegenüber Lehrerinnen und Lehrern zurücknehmen, gleichzeitig jedoch offen sind. Das ist nur über eine Verständigung möglich, die strukturell abgesichert ist und eine funktionierende Kommunikation ermöglicht. Teamarbeit wird dabei nicht nur für Personen des Kollegiums, sondern auch für die Schulleitung relevant. "Site-Based-Management" (standortbezogenes Management), das in den späten 80er Jahren als Reformwelle die Schulen der USA durchlief (Ames & Ames 1990), zielt darauf ab, eine schulische Führungsstruktur zu schaffen, nach der von Lehrern getroffene Entscheidungen den Ausschlag geben: das hierarchische System der Schulaufsicht wird dabei abgebaut und als aktive Zusammenarbeit zwischen Lehrern, Schulleitern und Eltern etabliert. "Instructional-Team-Leadership" (Teamführungsansatz) heißt das Gegenmodell zu einem Schulleiter, der seine Funktion und Rolle auf die des Administrators reduziert. Entsprechend überschreitet die Teamfähigkeit die Praxis administrativ verengter Schulleitung und wendet sich pädagogischen Problemlösungen zu, die nur durch Aktivierung, Koordinierung und Fortbildung aller real werden kann.
Kooperation im fächerübergreifenden Unterricht der Arbeitslehre vermag Organisationsentwicklung zu initiieren (wie auch Beispiele aus privatwirtschaftlichen Organisationen zeigen); Organisationsentwicklung begünstigt dann Schulentwicklung. Organisationsentwicklung bindet zugleich auch alle Beteiligten, indem sie sie zu Akteuren in einem Entwicklungsprozeß macht, der auf Motivation und Kooperation aller angewiesen ist.
Abbildung 1: Formalstruktur von Bedingungsebenen und Handlungsfeldern fächerübergreifenden Unterrichts innerhalb der Arbeitslehre
Abbildung 2: Bedingungsmatrix des Kooperationsproblems
Abbildung 3: Verhaltensmatrix des Kooperationsproblems
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Unter Kooperation verstehe ich im folgenden
Die Kooperation mehrerer Fächer sollte stattfinden, gleich ob es im Lehrplan ein eigenständiges Kernfach Arbeitslehre neben anderen Fächern (Wirtschaftslehre, Technik/Werken, Sozialkunde, Textilarbeit u.a.) gibt oder nicht. Die Existenz eines Kernfaches Arbeitslehre ersetzt Kooperation nicht. Sie kann diese Zusammenarbeit allenfalls erleichtern.
Wer sich mit dem Problem der Kooperation in der Arbeitslehre beschäftigt, dringt mitten hinein in die Gesamtproblematik der Arbeitslehre. Die Tatsache ist gegeben, daß sich die Arbeitslehre in der Bundesrepublik unterschiedlich - sowohl als eigenständiges Fach als auch als Lern- bzw. Kooperationsbereich mehrerer Fächer - entwickelt hat.
Die Frage, wie Kooperation stattfinden soll, ist jedoch weitgehend ungeklärt. Die Frage bedrängt natürlicherweise vor allem Vertreter des Lernbereichs- bzw. Kooperationskonzepts der Arbeitslehre und setzt sie unter Legitimationszwang. Allerdings bleibt auch das Konzept der Arbeitslehre als Fach von diesem Problem nicht unberührt. [/S. 64:]
Die Arbeitslehre ist ein Produkt der Bildungsreform und zugleich ein Fach auf der Suche nach seiner Bezugswissenschaft. Die Bildungsreform stand schlagwortartig unter den Reformprinzipien:
Die Forderung nach mehr Praxis- und Lebensnähe der Schule schien zunächst durch die Einfügung der Arbeitslehre in den Aufgabenkatalog der Schulen und in die Lehrpläne sehr schnell und in relativ großer Übereinstimmung aller Beteiligten erfüllt werden zu können. Manche Lehrpläne zeichneten sich allerdings zunächst noch durch ein sehr diffuses - fast naives - Bild der Arbeitslehre aus. In Niedersachsen z.B. wurde die Arbeitslehre 1967 als Prinzip aller Fächer eingeführt. Die Inhalte waren sehr vielfältig und zunächst relativ unkontrovers.
Die intensivere didaktische und auch politische Diskussion um die Arbeitslehre und die in einigen Ländern vollzogene Weiterentwicklung der Arbeitslehre zu einem eigenständigen Schulfach trugen dazu bei, daß ein manifester didaktischer und politischer Druck in Richtung auf die systematische Begründung der für die Arbeitslehre typischen Inhalte und Lernziele entstand. Welche Strukturen und welche Probleme die wissenschaftlich-technische Industriegesellschaft prägten - und damit z.B. auch Inhalt der Arbeitslehre werden könnten - sollte unter Zuhilfenahme der modernen Wissenschaften geklärt werden. Das hieß: Verstärkte Rezeption der Erkenntnisse der Wissenschaften von der wissenschaftlich-technisch geprägten Industriegesellschaft bzw. zumindest Orientierung der Didaktik der Fächer an dem Stand der Diskussion in den wissenschaftlichen Disziplinen.
Im Falle der Arbeitslehre erwies sich die Forderung nach Wissenschaftsorientierung - und Wissenschaftslegitimation - jedoch als Pferdefuß. Es zeigte sich, daß ein Wissenschaftsbezug für die Arbeitslehre so einfach nicht herzustellen war. Es fehlte eine Bezugswissenschaft und ein fachsystematischer Orientierungspunkt für die Entwicklung von Arbeitslehre-Curricula. Angesichts dieser Situation hat sich ein Rückgriff auf vorhandene Fächer und auf bestehende Wissenschaftsdisziplinen oder zumindest eine Anlehnung an sie angeboten.
Nachdem in der frühen Zeit der Arbeitslehre in der Bundesrepublik die Berufspädagogik und die Allgemeine Pädagogik den Ton angaben, drängte gemäß dem Lernbereichskonzept verstärkt Werkdidaktik/Technikdidaktik in den Vordergrund. Dann schalteten sich auch die Wirtschaftspädagogik und schließlich die Politische Bildung ein. Nach einer Phase der Dominanz der Werk- bzw. Technikdidaktik scheint es heute, daß sich die Wirtschaftsdidaktik anschickt, eine zumindest gleichwertige Rolle im Lernbereich der Arbeitslehre zu übernehmen.
Die Auffächerung der Arbeitslehre auf mehrere Fächer und die Orientierung dieser Fächer an einem etablierten Hochschulfach oder an einer Wissenschaftsdisziplin (sei es Technik, Ökonomie oder Politik) hat allerdings deutlich auch dysfunktionale Effekte. [/S. 65:]
Wissenschaftsorientierung bedeutet Verfachlichung und Verfachlichung impliziert Verselbständigung. Die Verselbständigung tendiert ihrerseits zur Abkoppelung bzw. zum Verlust oder zum Verzicht auf die Arbeitslehre-typischen Begründungs- und Organisationszusammenhänge, denn die einzelnen Fächer sind im Prozeß der Selbstlegitimierungen gezwungen, eine eigenständige Fachdidaktik zu entwickeln. Das führt zu Abgrenzungen bis hin zum Abwerfen des Ballasts der Integrations- und Praxisprobleme der Arbeitslehre. Die Partnerfächer im Lernbereich werden im Kampf um Stundenanteile und Personal- und Sachmittel z.T. sogar zu Konkurrenten. Mit dem Rückgriff auf bestehende Fächer bzw. Wissenschaftsdisziplinen wurde m.E. also nicht der Sach- und Fachkanon der Arbeitslehre besser legitimiert, sondern es trat ein Gegeneffekt ein. Die Arbeitslehre scheint mit ihrem Anliegen in der Verfachlichung unterzugehen - oder nur noch in der Durchführung von Betriebserkundungen oder Betriebspraktika oder in einer rudimentären Berufskunde zum Ausdruck zu kommen.
Multidisziplinarität in einem Lernbereich ergibt noch keine Integration der verschiedenen Dimensionen, Situationen oder Aspekte der Arbeitslehre. Multidisziplinarität bedeutet zugleich noch keine schulisch-integrative Verarbeitung des umfassenden Lebens- und Erfahrungsbereichs, den man Arbeits- und Wirtschaftswelt nennt. Diese komplexe Realität läßt sich nicht nur mit einer, die Wirklichkeit nur ausschnitthaft wahrnehmenden und wiedergebenden Wissenschaftsdisziplin bzw. eines entsprechenden Faches erfassen. Auch die bloße Addition und Koppelung verselbständigter Fächer unter einem Lernbereichsdach reicht nicht aus. Zugleich kann keine einzelne Disziplin und kein Einzelfach als maßgeblicher Impulsgeber für die übergreifenden Zielsetzungen der Arbeitslehre fungieren.
Die Verfachlichung und Wissenschaftsorientierung steht m.E. der Forderung nach umfassender, nicht-spezialisierter Praxis- und Lebensnähe der Schule entgegen Es fragt sich, ob die fachwissenschaftliche Orientierung - als erzwunger Umweg zur Absicherung des Kanons der Arbeitslehre - sich nicht insofern als ein zu aufwendiger Umweg oder sogar Irrweg erwiesen hat. Das ist aber nur eine Seite des Problems. Es fragt sich generell, ob der Sach- und Fachkanon von Schulfächern (Technik, Wirtschaftslehre, Sozialkunde etc.) selbst schon aus den entsprechenden Wissenschaften hergeleitet werden kann.
Wissenschaftsdisziplinen verfahren ihrer Struktur und ihrer sozialen Praxis nach selektiv, kontrovers und abstraktmodellhaft. Jede Wissenschaft nimmt Realität nur ausschnitthaft - selektiv - wahr. Sie zerschneidet die Realität angesichts der wissenschaftlichen Arbeitsteilung und Spezialisierung in besser handhabbare Teile. Diese Ausschnitte müssen nicht mit den Ausschnitten identisch sein, die den Schulfächern zugeordnet sind.
Der kontroverse Charakter der Wissenschaft zeigt sich beispielhaft in den unterschiedlichsten Ansätzen, Methoden, Approaches, Modeströmungen und Trends, die jede Wissenschaftsdisziplin prägen: In der politischen Wissen-[/S. 66:]schaft wird modellhaft ein normativ-ontologischer Ansatz, ein empirisch-analytischer Ansatz und ein kritisch-dialektischer Ansatz unterschieden. In der Volkswirtschaftslehre kann man mindestens den neoklassischen, den keynesianischen, den kritisch-alternativen und den marxistischen Ansatz unterscheiden. Die Betriebswirtschaftslehre zerklüftet sich zwischen dem faktorallokationstheoretischen, dem entscheidungsorientierten, dem systemanalytischen und dem arbeitsorientierten Ansatz. Der Positivismusstreit in der Soziologie ist ein Beispiel aus der Soziologie, zu schweigen von der Kontroverse zwischen einer "general theory" und der empirischen Sozialforschung. Jeder Approach in einer Wissenschaftsdisziplin selektiert die Realität ein zweites Mal - über den Ausschnitt hinaus, dem die Einzeldisziplin selbst aus dem komplexen Gebilde der Alltagswirklichkeit herausschneidet.
Angesichts der Fülle der Kontroversen, Theorien, Schulen und Richtungen in den Einzeldisziplinen und angesichts der Fülle der in ihnen zum Ausdruck kommenden Interessen erscheint es äußerst schwierig auszumachen, was der Stand der Wissenschaft ist bzw. was als Orientierungspunkt für eine Fachdidaktik oder als Legitimierungspunkt für die Inhalte eines Schulfaches gelten kann.
Die Wissenschaftsorientierung hat in einigen Fächern zu z.T. lehrreichen Zwischenergebnissen geführt. Im Boom der Fachdidaktiken entstand eine Didaktik nach Maßgabe einer Wissenschaftsorientierung und eine andere nach Maßgabe einer anderen Wissenschaftsrichtung. Der Streit der Wissenschaftsrichtungen führt unweigerlich zu einem Streit der Fachdidaktiker je nachdem, welche Wissenschaftsrichtung sie präferieren. Meist kommt dann noch ein manifester politischer Konflikt nach Maßgabe der förderalistischen Kulturpolitik zwischen den C-Ländern und den S-Ländern hinzu, der sich zur Blockade von Bildungspolitik überhaupt ausweiten kann. Wie der langjährige Streit um die Didaktik der Politischen Bildung/Sozialkunde gezeigt hat, sahen sich Fachdidaktiker zuweilen gezwungen, auf die Wissenschaftstheorie zurückzugreifen, um nach einer Meta-Theorie des Konsensus zu suchen, ein Suchproblem, das sich u.a. durch den ungelösten Theoriestreit in den Fachwissenschaften stellt. Eine Meta-Theorie ist jedoch nicht zu finden, sondern eher unterschiedliche Theorien über die Bildung von Meta-Theorien, als weiteres Spiegelbild des Pluralismus in der Gesellschaft. Oder sie sahen sich gezwungen, auf das Grundgesetz zurückzugreifen, um ihren immanenten oder explizit ausgewiesenen politischen Standort als noch innerhalb des Konsenses des Grundgesetzes zu legitimieren. Ein Fixpunkt ergibt sich allerdings auch hier nur in sehr loser Form, da das Grundgesetz verschiedene Interpretationen zuläßt.
Was von der Forderung nach fachwissenschaftlicher Orientierung bleibt, ist eigentlich die bescheidene Tatsache, daß es über einen Tatbestand verschiedene Meinungen geben kann, daß unterschiedliche Positionen soweit wie möglich ausgewiesen werden müssen, daß unterschiedliche Problemdefinitionen zu unterschiedlichen Problemlösungen führen.
Wenn dies das Ergebnis der fachwissenschaftlichen Orientierung bzw. der jüngeren - auch wissenschaftstheoretisch und wissenschaftspolitisch geführten - Diskussion wäre, könnte es schon als ein überaus wichtiges Ergeb-[/S. 67:]nis gelten. Die Folge ist eine Relativierung und "Entmythologisierung" der Fachwissenschaften - zumal einer einzigen Fachwissenschaft oder einer speziellen Richtung - als den bestimmenden Bezugspunkten von Lehrerausbildungsfächern. Das Ergebnis dieser Entmythologisierung mag die Vertreter der Arbeitslehre allerdings wiederum außerordentlich ermutigen. Können sie nicht froh sein, daß auch andere Fächer Probleme mit ihren Bezugsdisziplinen haben? Die Entmythologisierung führt in gewisser Weise zu einem Lob des "common sense" eines Arbeitslehre-Pädagogen, der nach spezifisch didaktischen, d.h. vor allem formalen Kriterien vorgeht, der seinen Gegenstandsbereich - ohne vorschnelle und strikte Disziplinierung durch die Fachsystematik einer Bezugsdisziplin - als komplexe Alltagswirklichkeit und als komplexes Handlungs- und Entscheidungsfeld akzeptiert, der seinen Gegenstand gemäß der situativen Erfahrung der Schüler aufzufächern und ihn mehrdimensional zu erarbeiten sucht.
Als Folgerung aus dem Dilemma der fachwissenschaftlichen Orientierung und der möglichen doppelten Selektivität der Fachwissenschaften als Bezugswissenschaften läßt sich - überspitzt und verkürzt - formulieren: Die Wissenschaftlichkeit eines Lehrers erweist sich nicht darin, daß er die oft verzwickten und weit verzweigten Verästelungen der Fachtheorien in den Bezugswissenschaften im Griff hat, sondern sie zeigt sich vor allem in der Fähigkeit, wie der Lehrer ein Problem im Unterricht gemäß dem Kenntnis- und Erfahrungsstand der Schüler präsentiert, damit die Schüler einen ihnen gemäßen Lernfortschritt erzielen. Freilich wird ein Lehrer ohne fachwissenschaftliche Grundlagen nicht auskommen. Jedoch gilt, daß ein Lehrer - zumal ein Mehr-Fach-Lehrer - auch mit einem fachwissenschaftlichen Defizit wird leben müssen.
Kooperation ist eine besondere und zusätzliche Aufgabe der im Lernbereich verbundenen Fächer. Sie steht unter besonderen didaktisch-pädagogischen Prinzipien. Die Kooperation von Fächern im Lernbereich wird nicht aus der Fachsystematik der Einzelfächer heraus erzwungen, sondern aus der spezifischen pädagogischen Intention und der besonderen didaktischen Fragestellung, die zu der Koppelung bestimmter Fächer im Lernbereich Arbeitslehre mit dem Auftrag zur Kooperation geführt haben.
Eine bloße Zusammenfassung von Einzelfächern zur besseren Ergänzung der jeweils fachspezifisch bleibenden, begrenzten Fragestellungen der Einzelfächer oder zur Ausfüllung wahrgenommener fachspezifischer Defizite (ökonomisch-politisches Defizit der Technik, technisch-politisches Defizit der Ökonomie, ökonomisch-technisches Defizit der Sozialkunde) ergäbe allein noch keinen spezifischen Sinn für die Arbeitslehre. Wie die Arbeitslehre als Fach muß auch die Kooperation in einem Lernbereich Arbeitslehre gemäß ihrer pädagogischen Aufgabe nach didaktischen Kriterien eigenständig begründet und organisiert werden.
Welches sind also die spezifisch pädagogisch-didaktischen Prinzipien, die erstens Arbeitslehre-typisch sind, die zweitens zu einer Koppelung von [/S. 68:] Einzelfächern unter dem Dach des Lernbereichs Arbeitslehre mit dem Auftrag der Kooperation geführt haben und unter denen sich drittens eine Kooperation didaktisch begründet vollziehen kann?
1. Offensichtlich soll durch die Koppelung spezifischer Fächer in einem Lernbereich ein spezifischer Gegenstandsbereich erschlossen werden. Dieser Gegenstandsbereich ist vorderhand nicht identisch mit dem Sach- und Fachkanon eines oder mehrerer der beteiligten Fächer.
Der spezifische Gegenstandsbereich der Arbeitslehre ergibt sich aus den besonderen Problemen, Erfahrungen und Situationen, denen die Schüler aktuell oder zukünftig in der Arbeits- und Wirtschaftswelt ausgesetzt sind. Für die Arbeitslehre ist dieser Gegenstands- und Problembereich die Arbeit. Bei dieser Gegenstandsdefinition ist eine Überschneidung mit dem Sach- und Fachkanon der anderen Fächer (Technik, Hauswirtschaft, Wirtschaftslehre, Sozialkunde etc.) gegeben oder doch zumindest möglich. Solche Überschneidungen stören nicht, sondern sie bilden sogar das fachlich-inhaltliche Ferment, auf das sich die angestrebte Kooperation der Fächer unter dem Dach des Lernbereichs beziehen kann.
Die Arbeitslehre ist m.E. am besten durch den identitätsstiftenden Begriff der Arbeit charakterisiert. Logische Begründungen dafür gibt es freilich nicht. Als didaktische Kategorie kennzeichnet der Begriff der Arbeit den komplexen sach- und fachspezifischen Bezugspunkt allen Unterrichts in Arbeitslehre.
Arbeit kann nicht nur als das didaktische Zentrum des eigenständigen Faches Arbeitslehre aufgefaßt werden, sondern kann, sofern das Fach selbst nicht besteht, auch als einheitsstiftende Kategosie der Zusammenarbeit verschiedener Fächer in einem Lernbereich gelten. Auf die Erarbeitung dieser komplexen Kategorie hin kann die Kooperation der Fächer des Lernbereichs erfolgen.
Mit dem Begriff der Arbeit und der Ausdifferenzierung seines Bedeutungsgehalts wird eine Theorie des Gegenstands- und Problembereichs der Arbeitslehre konstituiert, sei es, daß die Arbeitslehre als eigenständiges Fach oder als Lernbereich unterschiedlicher Fächer unterrichtet wird.
Durch den didaktisch gerichtet verstandenen Begriff der Arbeit erhält die Kooperation unterschiedlicher Fächer einen eigenständigen Gegenstands- und Aufgabenbereich, der sich im Kern - bei vielfältigen Überschneidungen - von den Gegenstands- und Aufgabenbereichen der beteiligten Fächer unterscheidet, ihnen zugleich aber einen gemeinsamen Orientierungspunkt gibt.
2. Begriffe - zumal didaktische Begriffe - sind sprachliche Netze (Instrumente) zur komprimierten Erfassung der Realität. Der allgemeine Begriff der Arbeit ist noch viel zu abstrakt und vieldeutig, als daß er schon Ansatzpunkt für die Inhaltsauswahl im Rahmen der Kooperation im Lernbereich der Arbeitslehre sein könnte.
Schüler erleben die Alltagswirklichkeit nicht modellhaft oder abstrakt und auch nicht nur sprachlich-begrifflich. Eines der Ergebnisse der Curriculum- Diskussion ist, daß die Schüler die Alltagswirklichkeit situativ erfahren und erleben und später auch in bestimmten Situationen handeln und entscheiden müssen. Für diese Situationen benötigen sie allgemeine Qualifikationen. [/S. 69:]
Den Modell-Platonismus aus der Wirtschaftswissenschaft, die bloße Institutionenkunde aus der früheren Politikwissenschaft oder die system-funktionale Theorie in den Ingenieurwissenschaften zur Grundlage des Unterrichts zu machen, ginge an den Kategorien der Betroffenheit, der Anschaulichkeit und der Erlebnisnähe vorbei. Wir folgen also im Gegensatz zu einem fachsystematischen Ansatz dem situationsorientierten Ansatz in der Didaktik der Arbeitslehre.
Spezifische Situationsfelder der Arbeitslehre können sein: Arbeitsplatz, Betrieb, Beruf. Weitere Situationsfelder sind denkbar und möglich. Um eine sinnvolle und übersichtlich-handhabbare, didaktische Strukturierung zu ermöglichen, sollten sie nicht zu vielfältig, d. h., letztlich beliebig sein. Entscheidend ist nicht die Bezeichnung oder die Definition der Situationsfelder, sondern daß der Zentralbegriff der Arbeitslehre situativ verankert wird und daß die Arbeitslehre unter dem didaktischen Zentrum dem Prinzip der Situationsorientierung folgt. Situationsorientierung meint, daß den Schülern die aktuelle und zukünftige Bedeutsamkeit der vermittelten Inhalte und Themen erkennbar wird.
3. Über den Zentralbegriff der Arbeitslehre und über die Situationsfelder kommen eine Fülle von Sachverhalten in das Blickfeld. Es ist ein wichtiges Ergebnis der bisherigen Arbeitslehre-Diskussion, daß die Arbeit realitätsentsprechend und pädagogisch sinnvoll nur mehrdimensional betrachtet werden kann. Jede einseitige, nur technische, nur ökonomische oder nur politisch-soziale Betrachtung der Arbeit verstoße gegen die Schnittpunktlage der Arbeit zwischen Technik, Ökonomie und Politik und würde eine Selektion von möglichen Sachverhalten bedeuten, die im Begriff der Arbeit und in der Situationsorientierung umfassend angelegt sind. Arbeit hat eine individuelle und eine gesellschaftliche Dimension und vollzieht sich in einem technischen, ökonomischen und politisch-sozialen Beziehungsgeflecht. Diese mehrdimensionale Betrachtung (Aspektierung) muß sich neben der Situationsorientierung in einem kooperativ angelegten Arbeitslehre-Unterricht niederschlagen. Die Mehrdimensionalität soll freilich nicht als Zwang verstanden werden, der den Lehrer mehr unter Druck setzen als ihm helfen würde. Mehrdimensionalität ist ein Angebot an die Lehrer zur weiteren Strukturierung des Unterrichts.
Die Kooperation mehrerer Fächer im Lernbereich der Arbeitslehre kann exemplarisch dazu dienen, diese Mehrdimensionalität im Unterricht zu verwirklichen und damit einen besonderen Typus des kooperativen Unterrichts zu verwirklichen. Eine Integration der unterschiedlichen Dimensionen und Aspekte der Arbeitslehre wäre damit das Ziel der Kooperation im Lernbereich Arbeitslehre.
Ein mehrdimensionaler Unterricht kann die komplexe Realität ansatzweise im Unterricht als nicht-verengte und nicht-spezialisierte Realität rekonstruieren. Der mehrdimensionale Unterricht vermeidet, die Wirklichkeit künstlich-fachlich zu verengen oder die lebendige Umwelt zu verkürzen.
Neben einer Theorie des Gegenstands- und Problembereichs der Arbeitslehre und einer Curriculum-Theorie ist damit eine bestimmte Unterrichtstheorie angesprochen. [/S. 70:]
4. Schließlich stützt sich die Arbeitslehre - ganz gleich, ob sie als Fach oder als Lernbereich organisiert ist - auf eine dreifache Lernzielbestimmung, wie sie das Ergebnis der Lerntheorie ist. Kognitives, affektives und instrumentelles Lernen gehören in der Arbeitslehre zusammen. Wo eine dieser Lernzielebenen in einem Fach nicht erreicht werden kann (z.B. das instrumentelle Defizit der Sozialkunde), ist es auf die Kooperation mit anderen Fächern angewiesen.
Welches die zu erreichenden Qualifikationen sind, die in konkrete Lernziele umgesetzt werden, oder welches das erkenntnisleitende didaktische Interesse ist, kann allenfalls formal entschieden werden (Selbstbestimmung. Urteilsfähigkeit, Handlungsfähigkeit). Ansonsten unterliegt die Bestimmung der Lernziele in besonderer Weise der politisch verantwortlichen Entscheidung. Jedoch gerade die Praxis- und Lebensnähe der Arbeitslehre weist der dritten Lernzielebene eine besondere Bedeutung zu, wobei die handelnde Auseinandersetzung, das problemlösende Denken und das entscheidungsorientierte Urteilen von entscheidendem Gewicht sind.
5. Aus der Methodik des Unterrichts haben sich für die Arbeitslehre typische Unterrichtsverfahren herausgebildet, die nicht minder zum klassischen Bestand der Didaktik der Arbeitslehre zählen können. Es sind dies die Werkarbeit der Schule, die Simulation, das Planspiel, die Erkundung, das Praktikum, das Expertengespräch u.a.
Diese für die Arbeitslehre typischen Methoden sollen die Anschaulichkeit des Unterrichts unterstützen. Sie sollen den Schülern Gelegenheit geben, eigene Erfahrungen zu sammeln, sich Urteile zu bilden, eigene Entscheidungen zu treffen und deren Folgen abzuschätzen sowie evtl. eine Urteils- und Entscheidungskorrektur zu vollziehen.
Die Kooperation im Lernbereich stützt sich auf diese Methoden, sie erschöpft sich allerdings auch nicht nur in der Anwendung dieser Methoden. Wir fassen zusammen:
Die Andeutungen eines Konzepts der Kooperation im Lernbereich Arbeitslehre gründen sich auf eine bestimmte Theorie des Gegenstandes der Arbeitslehre, auf eine Theorie des Curriculums, eine Theorie des Unterrichts und eine Theorie der Lernziele sowie auf eine bestimmte Methodik. Die Kooperation im Lernbereich der Arbeitslehre erscheint sinnvoll und notwendig, um folgende Gesichtspunkte zum Tragen zu bringen:
Je nach der Intensität, mit der die im Lernbereich zusammengeschlossenen Fächer selbst schon diesen Kriterien folgen oder ihnen nahekommen, bestimmt sich der Umfang und die Intensität, mit der die Abstimmung unter den Fächern und die unterrichtliche Zusammenarbeit betrieben werden muß. Der Umfang und die Intensität der Zusammenarbeit hängt nicht zuletzt davon ab, ob es neben den Kooperationsfächern selbst noch ein Kernfach Arbeitslehre gibt oder nicht. [/S. 71:]
Das hier vertretene Konzept einer Didaktik der Kooperation im Rahmen des Fächerverbundes der Arbeitslehre anerkennt die beteiligten Fächer als selbständig und eigenständig. Es folgt keinem "Fächerimperialismus", einer Strategie der Verdrängung bestehender Fächer zugunsten eines neuen Faches. Die Lernbereichsdidaktik gibt lediglich Hinweise, unter welchen Prinzipien sich die Kooperation im Lernbereich vollziehen kann. Es scheint, daß auf der Grundlage einer solchen Lernbereichsdidaktik die konkreten Formen der Kooperation leichter zu diskutieren sind als ohne ein solches Konzept.
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Für Überlegungen zur Füllung eines ganzheitlichen Erziehungsanspruchs sind die Aspekte des fächerübergreifenden Lernens, die Handlungsorientierung und die gelungene Balance aus leiblich-sinnlicher Erfahrung und kritisch-rationaler Reflexionsfähigkeit von entscheidender Bedeutung. In diesem Sinne ist die an ethischer Verantwortung orientierte Handlungskompetenz das Meta-Ziel des schulischen Unterrichts. Diesen Überlegungen folgend lassen sich folgende didaktische Eckpunkte des im Rahmen dieser Arbeit und der vorzustellenden Unterrichtsversuche vertretenen Anspruchs zusammenfassend darstellen und mit zu klärenden Fragestellungen versehen, die über die Analyse der Unterrichtsversuche und deren interpretativer Bearbeitung einer Beantwortung näher kommen könnten:
Es soll hier der Versuch unternommen werden, ausgehend von den Ausarbeitungen zur Ganzheitlichkeit, zur Handlungsorientierung und zum fachbezogenen und fächerübergreifenden Lernens, didaktisch-methodische Wege fächerübergreifenden Lernens aufzuzeigen, die auch für die im Rahmen dieser Arbeit vorzustellenden Unterrichtsversuche handlungsleitend sind. Hierbei soll zunächst von WAGENSTEINs Vorarbeiten zum exemplarischen Lernen ausgegangen werden. Dies begründet sich aus dessen didaktischer Perspektive, die sowohl das Ganzheitsthema als auch das Thema fächerübergreifenden Lernens ernstnimmt. WAGENSTEIN (1968/ 1997, 30) fordert zumindestens [/S. 49:] das Aufgeben des Vollständigkeitswahns der Pädagogik zugunsten inhaltlicher Verdichtungen ('Plattformen'): "Anstelle des gleichmäßig oberflächlichen Durchlaufens des Kenntniskatalogs, Schritt für Schritt: die Erlaubnis, ja die Pflicht, sich hier und dort festzusetzen, einzugraben, Wurzel zu schlagen, einzunisten." Diese 'Plattformen' eines Turms seien mit Treppen zu verbinden, die den Weg zu den anderen Plattformen ebnen, so daß man zu ihnen gelangen könne. Diese Form des verdichtenden Unterrichtens sieht WAGENSCHEIN als durchaus sinnvolle Form unterrichtlicher Vorgehensweise und didaktischer Strukturierung an. Dennoch faßt er exemplarisches Lernen weiter- und tiefergehender auf. Das exemplarische Lernen sei der Gegenpol zu einseitigem Spezialistentum. Exemplarisches Lernen "will nicht vereinzeln; es sucht im Einzelnen das Ganze. ('Unmöglich -' sagt, wer nur addieren kann.)" (32 f.) und "Das Einzelne, in das man sich hier versenkt, ist nicht Stufe, es ist Spiegel des Ganzen." (32). WAGENSCHEIN (1997, 32) begründet diese Zugangsweise zum Exemplarischen wie folgt: Die "Worte, die immer wieder auftauchen, wenn das Gespräch um das Exemplarische kreist: stellvertretend, abbildend, repräsentativ, prägnant, Modellfall, mustergültig, beispielhaft, paradigmatisch. - Die Beziehung, die das Einzelne hier zum Ganzen hat, ist nicht die des Teils, der Stufe, der Vorstufe, sondern sie ist von der Art des Schwerpunktes, der zwar einer ist, in dem aber das Ganze getragen wird. Dieses Einzelne häuft nicht, es trägt, es erhellt; es leitet nicht fort, sondern es strahlt an. Es erregt das Ferne, doch Verwandte, durch Resonanz."
Das exemplarische Lernen, das sich zunächst auf das Teilhafte bezieht, ist in der Lage, Bezüge des Ganzen durchblicken zu lassen. So werde das Ganze im exemplarischen Lernen, in der genauen und phantasievollen Untersuchung des zunächst Teilhaften "erleuchtet". Dies geschehe nicht aus Zeitknappheit, sondern weil Lernen in einen tiefergehenden Sinne, als Menschenbildung, vor allem auf diese Weise geschehen könne. KLAFKI (1985/1996, 155 f.) weist darauf hin, daß nicht immer der Umweg über das genetische Lernen anhand des Exemplarischen genommen werden müsse: "Weder kann das Insgesamt des in (und außerhalb) der Schule anzueignenden Wissens und Könnens jeweils in der zeitaufwendigen 'genetischen' Form des über etliche Fehlwege laufenden, verschiedene Abstraktionsstufen durchschreitenden exemplarischen Lehrens und Lernens erworben werden, noch ist dies notwendig ... Weil und sofern Schüler sich im exemplarischen Lehren und Lernen ein wachsendes Potential an kategorialen Verstehensvoraussetzungen aneignen, können sie auch sinnvoll 'orientierend' lernen. Weil erstere aber die Voraussetzung des zweiten sind, muß erreicht werden, daß exemplarisches Lehren und Lernen das Zentrum der Lernbemühungen in der Schule sind." In diesem Sinne [/S. 50:] soll auch in der vorliegenden Arbeit von einem positiven Bild des Spezialisten für das Exemplarische ausgegangen werden, der sich in einer lebendigen Weise für das Detail zu interessieren lernt. Wenn es also heißt, daß jemand in einem Gebiet ein Spezialist in diesem tiefergehenden Sinne ist, dann meint dies, daß er in Bezug auf einen exemplarischen Gegenstand, auf eine exemplarische, durchaus zunächst teilhafte Fragestellung, auf einem besonderen Arbeitsgebiet auch alle wesentlichen darin enthaltenen - auch fächerübergreifenden - Bezüge kennt und auch weiß, wie diese Kontakt zu komplexeren Erkenntnisebenen, zum Ganzheitlicheren haben. Das im Rahmen dieser Arbeit vorliegende Verständnis exemplarischen Lernens soll am Beispiel der Beschäftigung mit der sich recht einfach anhörenden Frage verdeutlicht werden: Wie funktioniert das Auto? Es erfolgt im Unterricht zunächst eine Wissensspezialisierung in dem Sinne, daß der Schüler mit der Unterstützung des Lehrers forschend und erkundend, also über handwerklich-praktische Eigenerfahrungen, Experimente, Modellbildungen, Expertenbefragungen etc. spezielles Wissen erwirbt, z.B. über das Prinzip der Verbrennung und des Kraftantriebs beim Auto, über Modellkonstruktion und Strömungsgeschwindigkeit, über alternative Antriebstechniken und Energieverbrauch oder über Notwendigkeiten eines autogerechten Straßenbaus. Im Laufe der Beschäftigung mit dieser Fragestellung weitet sich der Fragehorizont immer mehr aus, und der Spezialisierungsgrad auf das ursprüngliche Problem nimmt ab. In sich weitenden Kreisen können nun Wirkungen der autozentrierten Mobilität im gesellschaftlichen und ökologischen Kontext thematisiert und bearbeitet werden: Auswirkungen der Verbrennungsprozesse, der Abgasentstehung auf die Energieaufnahme und -verarbeitung anderer (lebender) Systeme (Mensch, Pflanzen und Tiere), Naturverbrauch durch Autobahn- und Straßenbau, Unfallgefahren und Massensterben auf den Straßen, historische Veränderung des (Selbst)Transportverhaltens und leibliche Veränderung des Menschen, autozentrierte Entwicklung und Veränderungen in den Bereichen gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion, ökonomische Ausrichtung einer Gesellschaft zum Auto hin etc. Dies bedeutet, daß ein Schüler Experte für ein Thema wird, sich hierauf umfassend bezieht und sowohl gleichzeitig als auch im Nachhinein zum Spezialisten für die Transzendierung des speziellen Gegenstandsbezug wird. Dies meint Ganzheitlichkeit auf der inhaltlichen Ebene. Auf der schülerbezogenen Ebene meint Ganzheitlichkeit die Integration und Wahrnehmung des Menschen als Ganzen (körperlich-geistig-emotional) im Lernprozeß selbst: Stillsitzen und sich bewegen dürfen, spezialisiert und vernetzt denken können, allein arbeiten und mit anderen gemeinsam arbeiten dürfen, gedankliche Abstraktion und emotionales Wahrnehmen, Verarbeiten [/S. 51:] und Äußern einbringen können, angeleitet werden und selbständig suchen dürfen, intellektuelle Leistung entfalten und praktisches Lernen ausprobieren dürfen, Subjektiv-lebensweltliches einbringen und Lebenswelt-übergreifendes thematisieren können, Subjektiv-lebensgeschicht-liches und Interpersonales einfließen lassen dürfen. Also: "Sich richtig mit etwas auskennen" heißt, den Bezug in der konkreten Verdichtung im Detail exemplarisch suchen, die Vielfalt des Details, des Teilhaften erkennen und die Einbindung in das Komplexere herstellen. Eine ganzheitliche Lehrweise heißt in diesem Sinne, in diesem Prozeß des Erkennens den Menschen zu achten und ernst zu nehmen.
Andreas FLITNER (1987) liefert in Zusammenarbeit mit FAUSER/ FINTELMANN eine pädagogische Begründung des praktischen Lernens, die sich aus der Kritik von Gymnasialisierung öffentlicher Schulbildung und deren didaktischer Unausgewogenheit ableitet - so FLITNER (1987, 62): "So wie dem sagenhaften König Midas alles zu Gold geworden sein soll, was er berührte, und er damit einem elenden Hungertod entging, so gerät der Schule alles zum 'Unterricht' und zum Buchwissen, was doch Erfahrung, Deutung des Lebens oder Ausübung praktischen Könnens sein sollte."
Insbesondere die zeitliche Ausdehnung der Schulzeit verhinderte eine Auseinandersetzung von Kindern und Jugendlichen mit den praktischen Tätigkeiten, die sie vorher in ihrem Lebensumfeld ausübten, ohne daß Schule hierfür einen Ersatz schaffen würde. Hierdurch sei dem jungen Menschen eine anthropologisch bedeutsame Entwicklungschance genommen, die im handwerklichen Tun eine Form lernender Auseinandersetzung in ganzheitlicher Hinsicht sah. Über den weitgehenden Verzicht auf das praktische Handeln und auf die auch hiermit verknüpft einhergehenden kognitiven, emotionalen und sozialen Lernprozesse, würde sich die Dominanz eines gymnasial verschulten und verkopften Menschenbildes mehr und mehr durchsetzen. Dies entspreche weder der notwendigen Gegenwehr zu zunehmenden Tendenzen der Erfahrung aus zweiter und dritter Hand, sondern entspreche auch nicht der Lernmotivation der meisten Kinder und Jugendlichen. FLITNER fordert daher eine zentrale Aufnahme praktischer Kompetenzen in das Anforderungsprofil aller Schultypen (auch des Gymnasiums) im Sinne einer möglichst vielfältigen Förderung vorhandener Begabungen. Ebenfalls wie es RUMPF (z.B. 1981 und 1997) immer wieder tat, kritisierte er die Entkörperlichung von Schule, forderte er dementsprechend den Einbezug der Leiblichkeit und der bewußten Körperbildung über das Konzept des praktischen Lernens. Be[/S. 52:]obachtungen spielender und gestaltender Kinder zeigen, wie schulischer Unterricht dies in die Schule hinein verlängern könnte. Jeder, der mit noch gesunden Kindern zu tun hat, weiß wie lange und konzentriert sie sich beispielsweise einer praktischen Gestaltungsaufgabe mit Schere, Stiften, Kleber und Papier hingeben können, wenn sie hierfür eine zündende Idee haben. Lehrer, die Unterricht in Form kognitiv dominierter Lehrgänge abhalten, beklagen sich jedoch häufig über die Unkonzentriertheit und fehlende Ausdauer der Kinder. Würde man die inhaltlichen Anforderungen und das Wesen praktischen Lernens verstehen, so könnten hiermit auch durchaus sehenswerte kognitive Lernprozesse verbunden werden - so FLITNER (1987, 73): "Die handwerkliche Betätigung trägt ohne Zweifel zur Entwicklung bestimmter grundlegender Denk- und Handlungsformen bei. Noch wichtiger ist vielleicht, daß die Bearbeitung eines Werkstücks, die Planung und Herstellung eines fertigen Gebrauchsgegenstand in allen Phasen seine Möglichkeit birgt, Fehler oder Erfolg der eigenen Arbeit unmittelbar sinnfällig zu erfahren, ohne daß man dabei auf das überlegte Urteil eines Erwachsenen angewiesen wäre. Dieser Aspekt, durch die Sache selbst 'belehrt' zu werden, ihre Widerständigkeit, aber auch ihre Zerbrechlichkeit erfahren zu können, hat in der Jugendzeit gerade dadurch, daß auf diese Weise ein Stück individueller Unabhängigkeit - Unabhängigkeit im Hinblick auf die Maßstäbe von Erfolg und Leistung - geschaffen wird, seine besondere Bedeutung und Berechtigung."
Auch die Tatsache, daß die handwerkliche Tätigkeit in immer weniger Arbeitsbereichen noch eine Rolle spiele, sei kein Argument gegen eine sinnvolle Durchdringung von praktischem und theoretischen Lernen. So verzichte man ja auch nicht seit der Verbreitung des elektronischen Taschenrechners auf die Vermittlung des Kopfrechnens. Hier gehe es also um elementare Bildungsgehalte, von denen ausgehend, sich komplexere Einsichten herleiten lassen.
Auch wenn die hier vorzustellenden Unterrichtsmodelle aufgrund ihrer unterschiedlichen Akzentuierungen nicht durchgehend Bezüge praktischen Lernens aufweisen, sollte mit den vorstehenden Ausführungen die Relevanz des praktischen Lernens im Rahmen eines am Ganzheitlichkeitsanliegen orientierten Konzepts fächerübergreifenden Lernens herausgestellt werden. Insbesondere die energiepolitischen Projekte im Rahmen der vorzustellenden Unterrichtsmodelle enthalten deutliche Elemente praktischen Lernens und können hierüber eigene Aussagen zur Integration dieses Lernaspekts auch unter gymnasialen Verhältnissen ermöglichen. [/S. 53:]
Angesichts der Tendenz zur Ablösung selbständiger Imagination und Vorstellungsbildung durch eine gigantische Vorstellungsindustrie gewinnt das Imaginationsthema für pädagogische Prozesse an Bedeutung. Jede komplexere handwerkliche Leistung und auch das Verstehen einer Konstruktionsanleitung bedarf Imaginationsfähigkeit. Es muß ein Bild des Ganzen vorhanden sein, um das Detail einordnen zu können. Für jedes Theaterstück muß der Zuschauende in der Lage sein, sich auch selbständig Vorstellungen zu bilden. Das Verstehen von literarischen Texten ist auf mentale Bilder und deren emotionale Einfärbung angewiesen. Beziehungsentwürfe von Menschen sind zunächst einmal vorgestellte Beziehungen zwischen Mann und Frau, unter Freunden oder in der Familie. Wenn Kinder und Jugendliche zunehmend von den auf Profitinteressen ausgerichteten Vorgaben der Vorstellungsindustrien im Rahmen von Fernsehen, Kino und Computerspielen abhängig werden, geht ihnen die produktive und kreative Potenz verloren, die u.a. zur späteren Existenzbewältigung und zum erfolgreichen Verhalten, ja vielleicht auch zum erfolgreichen schulischen Lernen erforderlich sind. Schulischer Unterricht könnte hierauf reagieren, indem bewußt Gelegenheiten imaginativen Lernens geschaffen werden. Dies begründet sich nach FAUSER/ IRMERT-MÜLLER (1996, 219 ff.) aus einem Ganzheitlichkeitsverständnis heraus, das Ganzheiten unter den Aspekten von Struktur, Gestalt und Bedeutungshaltigkeit untersucht. Jedes Werkzeug habe in Verbindung mit dem hieran arbeitenden Menschen, der Situation der Arbeitshandlung und der Bedeutungszuordnung durch den Arbeitenden einen ganzheitlichen Bezug. Die Imaginationsfähigkeit des Menschen bewirke, daß nur durch das Wahrnehmen eines kleinen Teils einer Ganzheit sich deren Gestaltqualität offenbare, z.B. beim Erkennen einer Melodie. Viel schwieriger sei es allerdings, neue Gestalten in der Wahrnehmung aufzubauen, dies erfordere mehr Zeit und Anstrengung. Besonders geeignet zum Ausdruck und zum kreativen Aufbau von Wahrnehmungen seien szenische Rollenspiele - so FAUSER/ IRMERT-MÜLLER (1996, 225) mit Bezug auf das Rollenspiel: "Eine für den Einzelnen und die Kultur wesentliche Bedeutung kommt in diesem Kontext dem Spiel zu, das wie keine andere Form menschlicher Lebensäußerung die Vielfalt reproduktiver und produktiver Imaginationen enthält und ein unerschöpfliches Reservoir für den humanen Wandel bildet." Im Rollenspiel werden im Sinne szenischen Lernens Probebühnen geschaffen, in denen sich vorgestellte Situationen ausleben und erfahren lassen, ohne den Schutz des Probehandelns verlassen zu müssen (SCHELLER, 1998, 29). Hierbei gibt es keine fachlichen Grenzen. Imagina[/S. 54]tives Lernen und szenisches Probehandeln sind von sich aus fachübergreifend angelegt. Der kreative Imaginationsprozeß und seine sozialen Konsequenzen im Rollenhandeln lassen sich nicht in den Fächerkanon der Schule einzwängen. Wichtig ist hierbei - soll es sich um pädagogische Prozesse handeln - das Hereinholen der im szenischen Spiel ausgelebten Imagination in die reflektierte Erfahrung. Erst die Verbindung von kreativem Imaginieren, szenischem Ausleben der vorgestellten Rollen und diese Erfahrung hereinholenden Reflektierens in Bezug zu den eigenen Interessen und Wünschen und den gesellschaftlichen Normen und Werten kann eine ganzheitliche Vorgehensweise ermöglichen, um die es im Rahmen des vorliegenden Buches geht.
Pädagogischer Bezugspunkt empirischen Lernens in der Schule ist die soziale Konstruktion von Welt. Jede imaginative Vorstellung von Wirklichkeit ist einerseits subjektiv, also abhängig von den psychischen Strukturen und Verarbeitungsmechanismen des Einzelnen, andererseits auch beeinflußt von den gesellschaftlichen Normen und Werten, die institutionell und informell, öffentlich und privatwirtschaftlich, in Familien und Peer-Groups in die subjektive Vorstellung und Konstruktion von Wirklichkeit hineinreichen. In diesem Sinne macht der konstruktivistische Ansatz in der Erziehungswissenschaft deutlich, daß es keine objektiven Fakten gibt, für die der Lehrer das Informations- und Deutungsmonopol hat. Alle Fakten sind interpretationsbedürftig und interpretationshaltig und auf die Mitarbeit eines lernenden und autonomen Subjekts angewiesen - so WERNING (1998, 40): "Lernen ist nicht die Vermittlung und Lernen ist nicht die Aneignung eines extern vorgegebenen 'objektiven' Zielzustandes, sondern Lehren ist die Anregung des Subjekts, seine Konstruktionen von Wirklichkeit zu hinterfragen, zu überprüfen, weiterzuentwickeln, zu verwerfen, zu bestätigen etc." Anhand empirischen Lernens kann zum einen deutlich werden, wie z.B. Methoden empirischer Sozialforschung an der Konstruktion von Wirklichkeit aufgrund ihrer methodischen Bedingtheit beteiligt sind. Über den unterschiedlichen Methodeneinsatz und die Methodenkritik empirischer Instrumente kann ein Abbau von naiver Wissenschaftsgläubigkeit in einem dekonstruktiven Sinne erfolgen. In diesem Sinne formuliert REICH (1998, 44): "Um zugleich der Beschränkung der eigenen Re-Konstruktionen entgegenzuwirken, hilft allein die Enttarnung, d.h. die Dekonstruktion verfestigter Wege, die Kritik der Normalisierung von gewohnten Erkenntnissen und Verhaltensweisen, die Öffnung neuer Perspektiven. Allein eine solche dekonstruktive Einstellung, die gegenüber blinder [/S. 55:] Naivität eines bloßen Machens (Konstruierens) schützt, sichert ein kreatives Lernverständnis." Natürlich können die SchülerInnen andererseits auch selbst in die Lage versetzt werden, empirische Methoden kreativ zu konstruieren, wie z.B. einen Fragebogen oder einen mündlichen Interviewleitfaden, und eigene Forschungsergebnisse zu ermitteln. Gerade hierbei können sie möglicherweise herausbekommen, daß bestimmte Konstruktionen von Wirklichkeit längst überholt sind und nicht mehr ohne weiteres in schulischen Zusammenhängen rekonstruiert werden dürfen. Das Hereinholen empirischen Forschens hat also eine doppelt-kritische Perspektive, indem selbst ermittelte Forschungsergebnisse zur Dekonstruktion von Wirklichkeit eingesetzt werden können, aber auch sich gegen die eigene Untersuchungsmethode in dekonstruktiver Absicht wenden können. Eine Reihe von Unterrichtsversuchen im Rahmen der vorliegenden Arbeit versucht Methoden empirischer Sozialforschung einzubeziehen. Dies begründet sich auch über die Möglichkeiten, über empirisches Forschen den SchülerInnen Chancen zum selbsttätigen Lernen im Sinne des handlungsorientierten Ansatzes zu geben. Ebenfalls ist bereits in der empirischen Sozialforschung über die vorhergehende Theoriebildung und die Analyseverfahren ein fächerübergreifender Bezug gegeben, bei dem zumindestens die Fächer des gesellschaftskundlichen Bereichs (Gemeinschafts- kunde, Sozialkunde, etc.), sowie im Falle quantitativ-statistischer Verfahren die Mathematik, möglicherweise auch die Informatik und im Falle qualitativ-interpretativer Verfahren das Fach Deutsch angesprochen sind. Auch sind Bezüge zum Fach Philosophie hinsichtlich der erkenntnistheoretischen Thematik ohne Schwierigkeiten herstellbar.
Sicherlich ist ein projektorientierter Zugang zur Unterrichtswirklichkeit, der um die Tiefe und Weite des Exemplarischen, des Imaginativen und des leibbezogenen und praktischen Lernens weiß, eine gute Voraussetzung für die Einlösung eines ganzheitlichen Erziehungsverständnisses im angedeuteten Sinne. Hierbei soll die Projektmethode durch Interdisziplinarität, Handlungsorientierung, Schülerorientierung und deutlichem Problembezug gekennzeichnet sein. Dies schließt an Überlegungen an, wie sie bei BASTIAN/ GUDJONS (1986/ 1994 u. 1990/ 1993) wiederholt vorgenommen wurden. Projektlernen ist in diesem Sinne also kein unreflektiertes Basteln oder aktionistisches Exkursionsverhalten, sondern eine planvolle Vorgehensweise, die die Vorzüge der meisten soeben vorgestellten Zugänge zu fächerübergreifenden Lernen in sich vereint. Wichtig wäre mir hierbei noch die Betonung [/S. 56:] des Leiblichen und des Bewegungsaspekts. Insbesondere Projekte ermöglichen ein Sich-Lösen aus der Sitzhaltung, eine Überwindung des Sitzkörpers, zugunsten vielfältigem Bewegungserlebens in Kommunikation, praktischem Arbeiten, sich bewegendem Erkunden und szenischem Darstellen. V.HENTIG (1985/ 1995) hat dies einmal mit folgenden Worten gefordert: "Es ist unvernünftig, ein so elementares, im übrigen erklärbares Bedürfnis der Kinder wie das nach körperlicher Bewegung dem Zweck rationeller Belehrung unterzuordnen - seit die Schule nicht mehr in erster Linie Unterrichtsanstalt, sondern ein Aufenthaltsort für Kinder, 'a place to grow up in' , geworden ist. Es ist umgekehrt vernünftig, aufgeklärt, zu erproben, was passiert, wenn man Bewegung gestattet, und welcher Regeln, Einteilungen, Veränderungen es bedarf, um den verschiedenen Bedürfnissen ihr Recht zu verschaffen." In diesem Sinne soll im Rahmen der jeweiligen nachfolgenden Unterrichtsversuche ein besonderes Augenmerk auf den leiblichen Bildungs- und Verwirklichungsmöglichkeiten liegen, die im Rahmen einer projektorganisierten Unterrichtsphase entstehen können. [/S. 57:]
POPP (1997) hat in seinem klugen Aufsatz den Begriff der "Spezialisierung auf Zusammenhänge" aufgegriffen. Schüler dürften nicht nur Spezialisten für das Fachliche, für das Teilhafte sein, sondern Schule müsse ebenfalls (und genauso zentral) zur Spezialisierung auf Zusammenhänge qualifizieren. POPP (1997, 141 ff.) unterscheidet hierbei zwischen Verstand und Vernunft (der nach ethischen Prinzipien eingesetzte Verstand). Eine Spezialisierung auf Zusammenhänge müsse eine vernunftorientierte Rationalität zur Voraussetzung haben. Eine fächerübergreifende und an Mäßigung, Verständigung und Selbstbegrenzung bezogene Didaktik müsse u.a. folgende Merkmale aufweisen: Problem- und Handlungsorientierung, Verantwortlichkeit, Lebenswelt-orientierung und Mitbestimmung, Vernetzung, Perspektivität, Gespräch und außerschulische Kommunikation. POPP (1997, 149 f.) unterscheidet in seiner Systematik fächerübergreifenden Unterrichtens in additive und integrative Verfahren. Unter additiven Verfahren faßt er die Versuche, das Fachliche ergänzende Inhalte anderer Fächer ("Thema mit Anschlußstoffen") hinzuzufügen, dasselbe Thema in zwei oder mehreren Fächern fachspezifisch zu unterrichten ("Fächerspezialisierung") oder die Zusammenfassung mehrerer Fächer in Bezug auf ein Thema, z.B. im Rahmen des Team-Teaching ("Fächerkonzentration"). Zu integrativen Verfahren rechnet er das Erkunden, Reflektieren, Reproduzieren und Neustrukturieren ausgewählter Handlungsfelder ("Perspektivischer Unterricht") und die handelnde Erschließung und Bewältigung lebensweltbezogener Handlungsfelder und Phänomene ("Hand- lungsorientierter Unterricht"). Auch zählt er den "ganzheitlichen Unterricht" zu den integrativen Verfahren und ordnet diesem vor allem die Merkmale des Leiblichen und sinnlichen Lernens und das Ausgehen von Erlebnis- und Erfahrungssituationen zu. Hierbei wird allerdings die Trennlinie zu den beiden anderen Formen integrativer Verfahren unscharf, da diese ja auch ohne Schwierigkeiten als ganzheitlicher Unterricht vorstellbar sind.
HUBER (1995) hat in seinem grundlegenden Aufsatz eine Systematik fächerübergreifenden Unterrichts vorgelegt, die sich am (äußerlichen) Kriterium der Art der Unterrichtsorganisation orientiert und in fünf Typen fächerübergreifenden Unterrichts unterscheidet:
Einen anderen Weg schlagen HILLER-KETTERER/ HILLER (1997, 179 ff.) ein, indem sie eine Systematik fächerübergreifenden Unterrichts nicht nach unterrichtsorganisatorischen, sondern nach didaktischen Funktionen entwickeln. Sie entwickeln ebenfalls fünf Typen des fächerübergreifenden Unterrichts:
Beide Ansätze - die Systematiken von HUBER und auch von HILLER-KETTERER/ HILLER - stellen sinnvolle Möglichkeiten dar, die verschiedenen Perspektiven fächerübergreifenden Unterrichtens differenziert darzustellen und in eine Systematik zu bringen. Doch beide Systematiken schaffen zunächst nur Übersichtlichkeit und Zuordnungsmöglichkeiten, stellen aber noch keine ausführlicheren didaktischen Aussagen zur Gestaltung [/S. 60:] fächerübergreifenden Unterrichtens dar. So bemerkt auch HUBER (1995, 168) einschränkend: "Innerhalb dieser Formen kann die inhaltliche Beziehung zwischen den jeweils einbezogenen Fächern noch ganz verschieden akzentuiert sein: komplementär, konzentrisch, kontrastiv bzw. dialogisch oder reflexiv (mit Hilfe anderer Sichtweisen wird die des eigenen Faches reflektiert) - aber das ist Sache einer noch auszuarbeitenden Didaktik des fächerübergreifenden Unterrichts, die hier nicht beiläufig erledigt werden kann."
[S. 214-220]
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Angesichts der Tatsache, daß in einer Reihe von Bundesländern daran gedacht wird, benachbarte Fachdidaktiken zu "Bereichsdidaktiken" mit nur einer Professur zusammenzufassen, stellt die KVFF fest,
In den Fächern der Schule und den Wissenschaftsdiziplinen spiegeln sich grundlegende Zugänge des Menschen zur Welt. Erdkunde steht z.B. für das Verhältnis des Menschen zum Raum, Biologie für den Bezug zur lebenden Umwelt, Geschichte für das Verhältnis zur Vergangenheit usw. Daraus ergeben sich die spezifischen Fragestellungen der Fachdidaktiken. Durch sie werden die Verstehensvoraus-setzungen von Heranwachsenden mit den Erkenntniswegen von Wissenschaftsdisziplinen in Verbindung gebracht. In diesem Sinne bedarf jegliche Fachdidaktik fachwissenschaftlicher Bezüge. Das gilt sowohl für die fachdidaktische Lehre als auch für fachdidaktische Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Zwar gibt es spezifische Gemeinsamkeiten verwandter Wissenschaftsdisziplinen, aber nicht im Sinne von systematisch bearbeiteten "Wissenschaftsbereichen", auf die sich eine "Bereichsdidaktik" beziehen könnte. Mit dem Anliegen interdisziplinärer Unterrichtsangebote kann nur gemeint sein, daß Problemkomplexe gemeinsam von kompetenten Fachdidaktikern angegangen werden. Die Fachdidaktiken mit ihren fachwissenschaftlichen Bezügen sind also die notwendigen Elemente, mit denen diese Integration erreicht werden kann. [/S. 28:]
Wenn von den schulischen Lernprozessen her gedacht wird (fachübergreifendes Lernen, Projektlernen, fächerverbindendes Lernen usw.), braucht es für die Lehrerausbildung nicht den globalen "Bereichsdidaktiker", sondern die Vielfalt der Fachdidaktiken mit interdisziplinären Ausrichtungen. Das Verfolgen der Fiktion von "Bereichsdidaktiken" hätte lediglich zur Konsequenz, daß inhaltliche Beliebigkeit in der Ausbildung und letztlich auch im Unterricht an die Stelle konkreter und systematischer Erkenntnis und Wissensvermittlung tritt.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß das Fach Sachunterricht wie auch andere Fächer der Grundschule als "Lernbereich" bezeichnet wird. Vergleichbares gilt für das Fach Arbeitslehre, das ein "Lernfeld" darstellt. Die Stellungnahme der KVFF bezieht sich nicht auf diese Tradition, sondern auf die Vorstellung, Didaktiken verschiedener Fächer zusammenzulegen, und auf die dafür geprägte Wortschöpfung "Bereichsdidaktik".
Fachdidaktik als Wissenschaft ist in ihrem Bemühen um die Aufarbeitung fachwissenschaftlicher Erkenntnisse für den Unterricht und um die Modellierung fachspezifischer Lehr-/Lernprozese im jeweiligen Fach immer schon auf Verbindungen zu pädagogischen und gesellschaftlichen Kontexten hin angelegt. Schon der traditionelle schulische Fachunterricht, erst recht aber das pädagogische Bestreben, die lebensweltlich geprägten, handlungsbezogenen Interessen von Kindern und Jugendlichen aufzugreifen, erfordern von den Fachdidaktikern als Ausbilder zukünftiger Lehrer die Integration von fachlichen, erziehungswissenschaftlichen und fächerverbindenden Kompetenzen.
Aktuelle gesellschaftliche Probleme sind als Ausgangspunkte für die Förderung fächerverbindender Kompetenzen geeignet. Hier treffen die Interessen der Lernenden mit dem Bedarf an Klärung komplexer Sachverhalte zusammen. Die Bearbeitung derartiger Probleme erfordert Fachdidaktiker mit stark disziplinär gesicherter Kompetenz und [/S. 29:] mit der Bereitschaft zur interdisziplinären Zusammenarbeit. Solche Vernetzungen orientieren sich keineswegs an "bereichsdidaktischen" Grenzziehungen, sondern verlaufen großenteils quer dazu. Beispielsweise erfordert die Bearbeitung von Problemen der Gentechnik im Unterricht der Oberstufe des Gymnasiums die Kooperation von Biologie sowie von Philosophie- bzw. Religionsdidaktikern. Ein anderes Beispiel sind die notwendigen Kooperationen zwischen Didaktikern einzelner Sachfächer und einzelner Fremdsprachen im Rahmen der Ansätze des bilingualen Unterrichts im Primar- und Sekundarbereich. Kooperationen sind also konstitutiv immer schon in fachdidaktisches Selbstverständnis und fachdidaktisches Handeln eingelassen.
Die Einrichtung von "Bereichsdidaktiken" dagegen würde derartige Kooperationen verhindern. Denn sie ist nicht an den eben genannten realen Problemen von Gesellschaft und Erfahrung orientiert, sondern ist auf imaginäre Superwissenschaften als Bezugsrahmen gerichtet, die es so nicht gibt noch geben kann. Fächerübergreifende Probleme und Fragestellungen können und müssen kooperativ, aber doch immer auch von verschiedenen disziplinären Ansätzen der Erkenntnis und der Problemlösung her bearbeitet werden. Andernfalls ginge die Vielfalt der mit den Fächern verbundenen Perspektiven verloren.
Statt gegenstandslose "Bereichsdidaktiken" ins Gespräch zu bringen und damit Fachdidaktiken zu verdrängen, ist es einzig sinnvoll, die Fachdidaktiken in ihren interdisziplinären Bemühungen zu stützen (s. hierzu die Stellungnahme der KVFF "Zur Lehrerbildung an Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen" vom 6.12.1996).
Insbesondere auf inhaltlichem und methodischem Gebiet ist eine innovative Weiterentwicklung des Unterrichts in der Schule durch "Bereichsdidaktiken" nicht zu erwarten. Es ist heute schwer genug, sich einen fundierten Überblick über die Teildisziplinen schon eines [/S. 30:] einzigen Faches zu erarbeiten und zu erhalten. Dies zeigt das Beispiel der Biologie. Zu dieser gehören neben anderen die höchst unterschiedlichen (lehrplanrelevanten) Teilgebiete Biologische Systematik, Neurophysiologie, Soziobiologie, Populationsgenetik, Immunbiologie und Ökophysiologie. Es ist schlechterdings unmöglich, sich einen Überblick über mehrere Fächer zu verschaffen, und Lehrerbildung verträgt keine fachdidaktische Inkompetenz.
Auch die Aufgaben der Fachdidaktik in der Lehrerfortbildung können von "Bereichsdidaktiken" nicht übernommen werden. Dies gilt selbst für den fächerübergreifenden Unterricht, der auf einen fachlichen Standort angewiesen ist, um von dort aus fachübergreifende Perspektiven entwickeln zu können. Ein solcher Unterricht ist aber nur dann legitimierbar, wenn er von mehreren Fächern her wissenschaftlich verantwortet werden kann. Auf diese Weise wird ein Dialog ermöglicht, der fundierter ist und weiter greift, als dies in "Bereichsdidaktiken" geleistet werden könnte.
Die Propagierung von "Bereichsdidaktiken" ist demnach ein rein politisches Manöver. "Bereichsdidaktiken" lassen sich weder sinnvoll in der Wissenschaftsstruktur verankern noch aus der Sache heraus oder wissenschaftstheoretisch begründen. Da die Bildung von "Bereichsdidaktiken" konzeptionell nicht zu leisten ist, bleiben zur Begründung allein finanzpolitische Erwägungen. Mit der Konstruktion von "Bereichsdidaktiken" wird einmal mehr durch Verschlechterung der Lehrerausbildung der Bildung und Qualifizierung der jungen Generation Schaden zugefügt.
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