In das Zentrum kontroverser Diskussionen sind die Vorschläge zur Ausweitung des Niedriglohnsektors gerückt, die auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze für Personen mit niedrigen Qualifikationen vor allem im Dienstleistungssektor setzen. Ihnen liegt die Annahme zugrunde, dass das hohe Niveau tariflicher und sozialpolitischer Regulierung und die vergleichsweise geringe Lohnspreizung in Deutschland einfache Tätigkeiten, gemessen an ihrer Produktivität, zu teuer mache und den Aufbau von Arbeitsplätzen mit niedriger Produktivität behindere; Potenziale zusätzlicher Beschäftigung, die im Dienstleistungssektor und vor allem im Bereich der personalen und sozialen Dienstleistungen ausgemacht werden, könnten nicht ausgeschöpft werden. Von der Erweiterung des Niedriglohnbereichs wird eine massive Expansion der Beschäftigung für Arbeitskräfte mit niedrigen Qualifikationen in arbeitsintensiven Dienstleistungsbereichen erwartet.

Es lässt sich dabei die neoliberale, marktorientierte Konzeption, wie sie von der bayrisch-sächsischen Kommission für Zukunftsfragen vorgestellt wurde, von eher institutionalistischen Konzeptionen unterscheiden, [/S. 19:] die eine Umorientierung von Arbeitsmarktpolitik und eine Re-Regulierung des Arbeitsmarkts verlangen; zu Letzteren ist der Vorschlag zu zählen, den Rolf Heinze und Wolfgang Streeck jüngst im Rahmen des Bündnisses für Arbeit vorgelegt haben. Die bayrisch-sächsische Kommission schlägt eine Radikalkur vor, die wie Claus Offe und Susanne Fuchs kritisch vermerken, "drei Dinge methodisch miteinander verbindet: das unbedingte Vertrauen auf die wissenschaftliche Lehre (nämlich der Marktökonomie); die Missachtung von bestehenden Institutionen und die heroische Zuversicht in die Mechanismen eines kontrollierten Bewusstseinswandels" (Fuchs/ Offe 1998, S. 297). Sie plädiert für eine radikale Deregulierung, die Aufhebung bisheriger sozialstaatlicher oder tariflicher Mindeststandards und insbesondere eine Öffnung des Lohnsystems nach unten, die eine produktivitätsorientierte Entlohnung einfacher Dienste möglich machen und nach Vorbild des US-amerikanischen "Job-Wunders" die Schaffung einer großen Zahl von zusätzlichen Arbeitsplätzen - bis zu vier Millionen - für Niedrigqualifizierte ermöglichen soll (vgl. Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen 1997, Bd. III, S. 19). Es wird ausdrücklich in Kauf genommen, dass die erhoffte Integration über den Markt mit zunehmender sozialer Ungleichheit verbunden ist (zur Kritik auch Bergmann 1998, S. 319 ff. und Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen 1998).

Heinze und Streeck setzen dagegen stärker auf eine Verbindung von Marktmechanismen mit staatlichen Regulierungs- und Umverteilungspolitiken, so vor allem eine degressive Subventionierung der Sozialversicherungsbeiträge für Niedrigeinkommen, die durch weitere Maßnahmen flankiert werden sollen. Sie erwarten, dass dadurch Angebot wie auch Nachfrage im Bereich einfacher Dienstleistungstätigkeiten belebt, die hohe Arbeitslosigkeit von niedrigqualifizierten Arbeitskräften vermindert und sozial kaum geschützte geringfügige Beschäftigung sowie Schwarzarbeit in den ersten, regulierten Arbeitsmarkt überführt werden könnten.

Die Vorschläge zur Einrichtung eines Niedriglohnsektors sind auf breite Kritik aus unterschiedlichen Quellen gestoßen. Zentrale Annahmen werden in Zweifel gezogen. Von besonderem Gewicht ist der Einwand, dass soziale und personenbezogene Dienstleistungen qualifizierten Personals bedürfen, eine stärkere Lohnspreizung daher kaum zu einer Ausweitung der Dienstleistungen, etwa im Gesundheits- und Ausbildungsbereich, führen würden (vgl. Bosch 1999). Weiterhin werden die hohen Kosten einer allgemeinen Subventionierung von Niedriglohntätigkeiten angeführt und Zweifel an den erwarteten Beschäftigungseffekten, zumal für die besonders von Arbeitslosigkeit betroffene Gruppe der Niedrigqualifizierten, erhoben (vgl. Schupp u. a. 1999 und Bender u. a. 1999). Schließlich gelten die Befürchtungen dem möglichen Missbrauch und Mitnahmeeffekten, die dazu beitragen könnten, Sozialstandards in einen Abwärtssog zu ziehen und das institutionelle System industrieller Beziehungen auszuhöhlen (vgl. Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen 1998, S. 135 ff. und Engelen-Kefer 1999, S. 1 ff.).