sowi-online
Veröffentlicht auf sowi-online (https://sowi-online.de)

Startseite > Berufsorientierung > Reader II: Beiträge von bildungspolitischen Akteuren > 1. Übergänge in Ausbildung, Studium und Beruf > Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland: Auszug aus Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz: Dokumentation zur Berufsorientierung an allgemeinbildenden Schulen (Sekundarbereich I und II). > 2. Länderübergreifende Gesamtdarstellung zur Berufsorientierung an Gymnasien und gymnasialen Oberstufen

2. Länderübergreifende Gesamtdarstellung zur Berufsorientierung an Gymnasien und gymnasialen Oberstufen

 

2.1 Erlasse, Verwaltungsvorschriften im Hinblick auf Berufsorientierung

Die Zahl der Erlasse, Verwaltungsvorschriften u. ä. zur Berufsorientierung, die die "Rahmenvereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen Schule und Berufsberatung" bzw. die daraus hervorgegangenen Übereinkommen der Länder mit den Landesarbeitsämtern (2) ergänzen, ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. Einem Land erscheint seine länderspezifische Vereinbarung zur Zusammenarbeit zwischen Schule und Berufsberatung als ausreichend, andere Länder haben Ergänzungen und Konkretisierungen angebracht. Diese beziehen sich z. B. auf die Umsetzungsmöglichkeiten eines fächerübergreifenden Ansatzes zur Berufsorientierung, auf Handreichungen zum Lehrplan mit teilweise erheblichem Umfang oder auf die Durchführung von Betriebserkundungen und Betriebspraktika.

 

2.2 Berufsorientierung in den Fächern und Lernbereichen der Stundentafeln

Berufsorientierung ist zwischenzeitlich zum festen Bestandteil in den Lehrplänen geworden. Dabei ist zu beachten, dass der Begriff "Berufsorientierung" keineswegs einheitlich besetzt ist. Ein eigenständiges Fach "Berufsorientierung" ist in keinem Land vorhanden. In einigen Ländern gibt es kein Fach mit einem deutlichen Schwerpunkt Berufsorientierung (z. B. Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern), einige Länder ordnen Inhalte zur Berufsorientierung nur einem oder wenigen Fächern zu (z. B. Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz, Sachsen), andere Länder realisieren ein fächerübergreifendes Konzept unter Einbeziehung möglichst vieler Fächer (z. B. Bayern, Baden-Württemberg).

Leitfächer bei der Vermittlung von Berufsorientierung sind vorwiegend Fächer aus dem gesellschaftspolitischen Bereich wie

  • Gemeinschaftskunde (z. B. Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen),
  • Wirtschafts- und Rechtslehre (Bayern),
  • Wirtschaft und Recht (Thüringen),
  • Wirtschaft (z. B. Berlin),
  • Wirtschaftslehre (z. B. Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein),
  • Sozialkunde (z. B. Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt),
  • Arbeitslehre (z. B. Brandenburg, Hessen),
  • Politische Bildung (z. B. Brandenburg),
  • Politik,
  • Gemeinschaftskunde/ Rechtserziehung/ Wirtschaft (Sachsen),
  • Wirtschaft-Technik (z. B. Sachsen-Anhalt) und
  • Wirtschaft/ Politik (Schleswig-Holstein).

Außer den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern vermitteln in verschiedenen Ländern auch Fächer wie Deutsch, Religionslehre/ Ethik, Fremdsprachen oder Naturwissenschaften Berufsorientierung.

Neben einer Verankerung berufsorientierender Inhalte in den Lehrplänen bestimmter Fächer gibt es auch Sonderformen wie "Arbeitsgemeinschaft Berufsorientierung" (z. B. Baden-Württemberg) oder Wahlunterricht sowie außerunterrichtliche Veranstaltungen.

Der zeitliche Schwerpunkt liegt meist in den Jahrgangsstufen 9 und 10 sowie in der Oberstufe. Erste Ansätze einer Berufsorientierung gibt es jedoch auch in niedrigeren Jahrgangsstufen.

 

2.3 Übergeordnete Zielsetzungen und wesentliche Inhalte des Unterrichts

Die übergeordneten Zielsetzungen und die wesentlichen Inhalte des Unterrichts müssen im Zusammenhang mit der Aufgabe der Schule im Gesamtprozess der Berufswahlvorbereitung gesehen werden. Diese sind vor allem durch die Rahmenvereinbarung der Ständigen Konferenz der Kultusminister (KMK) vom 5.02.1971 und den darauf aufbauenden Übereinkommen zwischen der Bundesanstalt für Arbeit und der KMK über die Zusammenarbeit von Schule und Berufsberatung geprägt. Von Bedeutung sind außerdem die länderspezifischen Vereinbarungen. Die Konkretisierungen sind in der Regel im Bildungs- und Erziehungsauftrag der jeweiligen Lehrpläne enthalten. Folgende übergeordnete Zielsetzungen gibt es in vielen Ländern am Gymnasium:

  • Die Schule hat die Aufgabe, auf Arbeitswelt und Beruf vorzubereiten. Dazu sind vielfältige Informationen notwendig.
  • Die Schülerinnen und Schüler sollten sich möglichst selbstständig und aktiv mit dem Problem der Berufs- und Studienwahl auseinander setzen, damit sie eine begründete Entscheidung für ihre Berufswahl treffen können.
  • Die Schülerinnen und Schüler sollen ihre eigenen Fähigkeiten, Vorstellungen und Wünsche erkennen und richtig einschätzen lernen.
  • Der Prozesscharakter der Berufsorientierung wird in allen Ländern betont, d. h., es wird altersstufengerecht und aufbauend vorgegangen.
  • Auch die Bedeutung von Arbeitstugenden, Arbeitshaltungen und Werthaltungen sollen den Schülerinnen und Schülern vor Augen geführt werden.

Folgende wesentlichen Inhalte sind in den meisten Ländern von Bedeutung:

  • Bedeutung von Beruf und Arbeit,
  • schulische und berufliche Bildungsgänge im Überblick,
  • Beratungsangebote,
  • Möglichkeiten der Berufswegplanung,
  • Ablauf des Bewerbungs- und Einstellungsverfahrens,
  • gesamtwirtschaftlicher, regionaler und sektoraler Arbeitsmarkt,
  • gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge wichtige Rechtsgrundlagen (Ausbildungsvertrag, Jugendarbeitsschutzgesetz u. a.),
  • Funktionsgefüge eines Unternehmens,
  • Interessen und Konflikte in der Arbeitswelt,
  • politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und rechtliche Zusammenhänge,
  • Strukturmerkmale der industriellen Gesellschaft,
  • System der sozialen Sicherung und
  • strukturelle Veränderungen in der modernen Arbeitswelt.
 

2.4 Praxis der Einbeziehung der Berufsberatung

Die Praxis der Einbeziehung der Berufsberatung ist in den verschiedenen Ländern inhaltlich weitgehend einheitlich, zeitlich jedoch teilweise unterschiedlich geregelt. Die Berufsberatung ist schwerpunktmäßig in folgenden Jahrgangsstufen tätig:

  • Jahrgangsstufen 9 und/ oder 10 (z. B. Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen),
  • Jahrgangsstufe 11 (z. B. Baden-Württemberg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland),
  • Jahrgangsstufen 11 und 12 (z. B. Sachsen, Thüringen) sowie
  • Jahrgangsstufen 12 und 13 (z. B. Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland).

2.4.1 Formen der Einbeziehung bzw. der Zusammenarbeit

In allen Ländern ist der Berufsberater mit Schulbesprechungen beteiligt, in der Regel in der vorletzten Jahrgangsstufe vor dem mittleren Schulabschluss bzw. vor dem Abitur. Neben den allgemeinen Schulbesprechungen werden Einzelberatungen durchgeführt, außerdem werden spezielle Serviceleistungen angeboten (z. B. Eignungsuntersuchungen). Einen wichtigen Stellenwert nimmt die Einführung der Schülerinnen und Schüler in die Nutzung des Berufsinformationszentrums (BIZ) [1] bzw. des mobilen Berufsinformationszentrums (BIZ-mobil) [2] ein.

Bei entsprechenden Möglichkeiten gibt es beispielsweise noch folgende Ansatzpunkte:

  • Sprechstunden der Berufsberater,
  • berufskundliche Vortragsreihen,
  • Ausstellungen und Filmvorführungen,
  • Seminare der Berufsberatung, z. B. Bewerberseminare,
  • Teilnahme an Berufsinformationsveranstaltungen,
  • Elternveranstaltungen,
  • Hilfestellung bei Betriebserkundungen sowie Betriebspraktika, Durchführung und/ oder Beteiligung an Studientagen, Berufsinformationswochen u. ä.,
  • Hochschulinformationstage,
  • Teilnahme an Fachkonferenzen sowie
  • spezielle Veranstaltungen für Mädchen.

2.4.2 Ziele und Inhalte von Schulbesprechungen der Berufsberatung

Für die wesentlichen Ziele und Inhalte der Schulbesprechungen scheint bundesweit ein Konsens zu bestehen. Schwerpunkte bei den Inhalten sind beispielsweise:

  • aktuelle Arbeitsmarktdaten,
  • das regionale betriebliche und schulische Ausbildungsangebot,
  • Bewerbungsverfahren (Termine, Ablauf u. a.),
  • Beratungsmöglichkeiten sowie
  • Ausbildungs-, Studien- und Berufsmöglichkeiten nach dem Abitur.

2.4.3 Verwendung von Medien der Berufsberatung in den Lehrplänen bzw. Unterrichtseinheiten

Die Medien, die von der Bundesanstalt für Arbeit [3] den Schulen für die Vermittlung von Berufsorientierung zur Verfügung gestellt werden, werden bundesweit in einem hohen Maß genutzt. Bei den Print-Medien gilt dies insbesondere für die Broschüren "Mach's richtig" [4], "Beruf aktuell", "Studien- und Berufswahl" [5] sowie für das "abi Berufswahl-Magazin" [6].

In den Ländern werden zusätzlich noch Regionalschriften wie z. B. "Kursbuch - Studium, Ausbildung, Beruf" (Baden-Württemberg), "Berufsinformation" (Brandenburg), "Info zur Berufswahl Ausbildung und Studium für Hessen" (Hessen), "Wo?" und "AbiturientenInfo" (Rheinland-Pfalz) von der Berufsberatung entwickelt. Weitere Materialien werden von den Berufsberatern auf örtlicher oder regionaler Basis konzipiert und eingesetzt.

Darüber hinaus werden in den Ländern auch berufskundliche Filme, Videos sowie Computerprogramme verwendet. Das gesamte Medienangebot von BIZ und BIZ-mobil steht allen Schulen zur Verfügung. Dieses wird auch immer stärker genutzt.

In einigen Ländern weisen neuere Lehrpläne ausdrücklich auf Medien der Bundesanstalt für Arbeit bzw. des Landesarbeitsamtes hin.

2.4.4 Einbeziehung der Berufsinformationszentren (BIZ) bzw. Mobilen Berufsinformationszentren (BIZ-mobil)

Das BIZ [1] und BIZ-mobil [2] leisten einen sehr wichtigen Beitrag zur Berufsorientierung. Sie werden in allen Ländern in Anspruch genommen. Viele Schülerinnen und Schüler werden über die Möglichkeiten von BIZ und BIZ-mobil informiert. Teilweise finden auch die Schulbesprechungen im BIZ statt. Die Berufsinformationszentren ermöglichen nach der allgemeinen schulischen Vorstellung individuelle Informationsmöglichkeiten.

 

2.5 Betriebserkundungen und Betriebspraktika

Betriebserkundungen gehören in allen Ländern zum festen Bestandteil der Berufsorientierung. Durchgesetzt hat sich offensichtlich das Konzept der aspektorientierten Betriebserkundung, die offensichtlich die früher weit verbreitete Betriebsbesichtigung abgelöst hat. In einer Reihe von Ländern sind Betriebs- bzw. Arbeitsplatzerkundungen unter berufskundlichem Aspekt in der Vorphase des Betriebspraktikums vorgeschrieben.

Die Durchführung von Betriebserkundungen hängt natürlich vom lokalen bzw. regionalen Angebot ab. Die Unternehmensseite scheint zunehmend zu erkennen, wie wichtig Kontakte zwischen Schule und Wirtschaft für die Vermittlung einer anschaulichen und praxisorientierten Ausbildung sind. Aus diesem Grund gibt es insbesondere in Verdichtungsräumen zunehmend auch Partnerschaften zwischen Gymnasien und Unternehmen.

Betriebserkundungen werden schwerpunktmäßig in den Leitfächern der Berufsorientierung, aber auch verstärkt in anderen Fächern wie Chemie, Physik, Deutsch oder Erdkunde eingeplant.

In Einzelfällen können Betriebspraktika auch im europäischen Ausland durchgeführt werden (z. B. Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein). Sie haben vor allem zum Ziel, Schülerinnen und Schüler mit der Praxis von Berufsausbildung und Berufstätigkeit in Ländern der Europäischen Union vertraut zu machen. Eine Sonderform stellt auch das mit Schulen aus Großbritannien mögliche "work-experience" im Rahmen eines internationalen Schüleraustausches dar.

Betriebspraktika werden in fast allen Ländern angeboten. In diesen gibt es aus juristischen und versicherungsrechtlichen Gründen in der Regel ausführliche Richtlinien. Sie enthalten meist auch Hinweise zur organisatorischen und unterrichtlichen Vorbereitung.

Betriebspraktika dauern in Abhängigkeit von den länderspezifischen Bestimmungen in der Regel zwischen einer Woche und drei Wochen (z. B. Hamburg). Meist sind auch Zeitbereiche angegeben, z. B. "mindestens fünf, höchstens zehn Arbeitstage" (z. B. Mecklenburg-Vorpommern).

Eine verbindliche Einführung ist in verschiedenen Ländern nicht vorgesehen, da einerseits auf lokale Gegebenheiten, andererseits auch auf andere Schularten Rücksicht genommen werden muss. Insbesondere in den neuen Ländern beeinträchtigt offensichtlich die Wirtschaftsstruktur die Möglichkeit einer Durchführung. In verschiedenen Ländern sind auch ausführliche Handreichungen zum Betriebspraktikum veröffentlicht (z. B. Niedersachsen) bzw. in Vorbereitung.

 

2.6 Besondere Maßnahmen, Modellversuche, außerunterrichtliche Aktivitäten, Einbeziehung der Informationstechnischen Grundbildung, Europaorientierung

In den Ländern gibt es verschiedenartige besondere Ansätze zur Unterstützung und Weiterentwicklung der Berufsorientierung. Hierzu gehören z. B.

  • eine Zusammenarbeit zwischen allgemein bildenden und beruflichen Schulen,
  • Partnerschaften zwischen Gymnasien und Unternehmen,
  • fächerübergreifender Unterricht, z. B. im Rahmen von Studientagen in Bayern,
  • Projektunterricht und Projekttage,
  • Werkstattunterricht,
  • Facharbeiten in der Oberstufe des Gymnasiums,
  • Veranstaltungen unter Einbeziehung der Hochschule, z. B. Studientage in Baden-Württemberg,
  • Berufsinformationsveranstaltungen für Schüler und/ oder Eltern,
  • besondere Veranstaltungen für Mädchen wie "Berufsorientierung für Mädchen" (z. B. Berlin), "Mädchen und Technik" (z. B. Bremen), "Mädchen in Männerberufen" und "Andere Berufe für Mädchen" in Schleswig-Holstein,
  • Wirtschaftswochen mit computerunterstützten Planspielen (z. B. "WIWAG-Management-Games" in Hessen, "Marketing-Information-Game" in Schleswig-Holstein, "play-the-market" in Bayern),
  • Projekt "Zeitung in der Schule" oder
  • Ausstellungen und Lehrstellenbörsen (z. B. Bremen).

Diese besonderen Maßnahmen werden teilweise in Zusammenarbeit mit Kammern, Verbänden, Unternehmen, beruflichen Schulen, Hochschulen und überbetrieblichen Einrichtungen realisiert. Deutliche Schwerpunkte scheinen derzeit bei den mädchenspezifischen Berufswahlproblemen sowie bei der facherübergreifenden Umsetzung der Berufsorientierung (z. B. Baden-Württemberg, Bayern) zu liegen. Für die Mädchen gibt es derzeit auch die meisten Modellversuche. Wertvolle Anregungen hierzu enthalten die "Handreichungen zur beruflichen Orientierung am Gymnasium" in Bayern. Eine umfangreiche Broschüre zur "Studien- und Berufswahlvorbereitung am Gymnasium" bietet auch Nordrhein-Westfalen an. Auch in Niedersachsen steht eine entsprechende Handreichung zur Verfügung.

Informationstechnische Grundbildung (ITG)

In allen Ländern wird der ITG große Aufmerksamkeit geschenkt. Ausgehend von einem einheitlichen Rahmenplan werden vor allem gesellschaftspolitische Lerninhalte wie moderne Arbeitswelt, Auswirkungen der neuen Techniken in den verschiedensten Fächern, meist in ausgewählten Leitfächern umgesetzt. Die ITG dient nicht unmittelbar der Berufsorientierung, enthält aber vielfältige Ansätze zur Information über die moderne Arbeits- und Berufswelt und gibt somit indirekte Orientierungshilfen.

Europaorientierung

Europaorientierung ist in vielen Fächern verankert. Ansatzpunkte zur Berufsorientierung gibt es in den modernen Fremdsprachen (landeskundliche Themen) sowie in Fächern wie Erdkunde, Wirtschafts- und Rechtslehre, Gemeinschaftskunde, Sozialkunde und Geschichte. Europaorientierung wird in neueren Lehrplänen meist fächerübergreifend (z. B. Bayern) vermittelt. Ziel ist die Verbesserung der gegenseitigen Verständigung und Zusammenarbeit in einem vereinten Europa.

Teilweise gibt es bereits Kooperationsprojekte mit Schulen des europäischen Auslandes (z. B. Hamburg). Im BLK-Modellversuch in Nordrhein-Westfalen "Lernen für Europa" werden Schülerbetriebspraktika in Kooperation mit ausländischen Schulen in einem "Tandem-Modell" erprobt. Ein Schüler aus einer deutschen Schule und ein Partner aus einer Schule im Ausland absolvieren gemeinsam ein Praktikum sowohl im Ausland als auch in Deutschland.

 

2.7 Voraussetzungen in der Lehreraus- und -fortbildung

Lehrerausbildung

In der ersten und zweiten Phase der Lehrerausbildung sind Inhalte der Berufsorientierung meist Bestandteil des Studiums und der Seminare des Referendariats jener Fächer, die nach den Lehrplänen der einzelnen Länder schwerpunktmäßig Berufsorientierung vermitteln. Für Studierende dieser Fächer ist ggf. auch ein Betriebspraktikum vorgesehen (z. B. ein halbjähriges Praktikum für Lehramtsstudenten des Faches Wirtschafts- und Rechtslehre am Gymnasium in Bayern).

In den Studienordnungen der neuen Länder wird derzeit ein Konzept für die Umsetzung von Berufsorientierung in der ersten Phase der Lehrerausbildung erarbeitet.

Lehrerfortbildung

Zur Beseitigung von Defiziten liegt der Schwerpunkt derzeit im Bereich der Lehrerfortbildung. Für Gymnasiallehrer, die mit Fragen der Berufsorientierung beschäftigt sind, werden häufig Fortbildungsveranstaltungen mit derartigen Inhalten im Rahmen der schulinternen, regionalen und zentralen Lehrerfortbildung angeboten. Dabei wird in vielen Fällen die Berufsberatung als Kooperationspartner einbezogen. Berufsorientierende Veranstaltungen werden vor allem unter Einbeziehung von Wirtschaftsverbänden, Kammern, Bildungswerken der Wirtschaft, Arbeits- und Studienkreisen Schule und Wirtschaft, Gewerkschaften sowie Unternehmen durchgeführt. Praxisorientierung spielt dabei eine wichtige Rolle. So werden z. B. für Lehrkräfte aspektorientierte Betriebserkundungen, wie zum Teil auch Betriebspraktika (z. B. Niedersachsen) angeboten. In einigen Ländern gibt es spezielle Zeitschriften mit Hinweisen auf neuere Entwicklungen und Angebote (z. B. der "Intern" in Baden-Württemberg).

Berufsorientierung ist auch eine besondere Aufgabe der Lehrerfortbildung in den neuen Ländern. Dazu werden teilweise umfangreiche Materialien zur Verfügung gestellt.

 

2.8 Hinweise zur weiteren Entwicklung

Bei den Tendenzen zur weiteren Entwicklung der Berufsorientierung muss zwischen den alten und neuen Ländern unterschieden werden.

In den alten Ländern sind folgende Entwicklungen feststellbar:

  • Die bisher erprobten und bewährten Konzepte, Maßnahmen und Inhalte werden fortgeführt und nach Bedarf modifiziert und erweitert.
  • Die Verankerung von Berufsorientierung in einem Leitfach oder in mehreren Leitfächern scheint weitgehend realisiert zu sein. In einigen Ländern sind darüber hinaus erfreulicherweise bereits abgestimmte fächerübergreifende Ansätze realisiert, die ihren deutlichen Niederschlag in Lehrplänen und Handreichungen gefunden haben. Schwerpunkte der Umsetzung liegen nach wie vor bei einzelnen Leitfächern, die jedoch immer mehr auch durch weitere Fächer bei der Vermittlung von Berufsorientierung unterstützt werden.
  • Am Gymnasium hat Berufsorientierung in den vergangenen Jahren vor allem in der Mittelstufe verstärkt Einzug gehalten. Sie scheint in Zukunft auch in der Oberstufe noch stärker verankert zu werden.
  • Für die geschlechtsspezifische Berufsorientierung von Mädchen dürfte noch ein stärkerer Handlungsspielraum bestehen.
  • Die Europäisierung der Berufsorientierung wird an Bedeutung gewinnen.
  • Die sog. Schlüsselqualifikationen, vernetztes Denken sowie teambezogene Arbeitsweisen werden auch bei der Berufsorientierung an Bedeutung gewinnen.
  • Projektorientiertes Arbeiten und handlungsorientierter Unterricht dürften bei der Vermittlung von Berufsorientierung einen hohen Stellenwert einnehmen.
  • An einzelnen Schulen werden schulinterne Beratungsverbunde unter Einbeziehung der Berufsberatung und der Praxis an Bedeutung gewinnen. Dabei sind Kooperationen mit Unternehmen, Verbänden u. a. wichtig. Außerunterrichtlichte Aktivitäten werden einen noch größeren Stellenwert als bisher einnehmen.
  • Die Berufsorientierung wird in der ersten und zweiten Phase der Lehrerausbildung immer mehr verankert. Die Lehrerfortbildung wird sich verstärkt der fächerübergreifenden Umsetzung widmen. Damit wird Berufsorientierung erfreulicherweise auf eine breitere Basis gestellt.
  • Betriebserkundungen und Betriebspraktika auch für Lehrkräfte scheinen an Bedeutung zu gewinnen.
  • Die Kooperationsbereitschaft zwischen allgemein bildenden und beruflichen Schulen scheint zuzunehmen, damit auch die Fachkompetenz und die Möglichkeiten der Fachpraxisräume stärker genutzt werden können.

Die Bedingungen der Berufswahl und Berufsorientierungen haben sich in den neuen Ländern innerhalb kürzester Zeit grundlegend geändert. Dies erfordert besondere Anstrengungen. In den neuen Ländern zeichnen sich folgende Entwicklungen ab:

  • Die Notwendigkeit der Vermittlung von Berufsorientierung ist in allen Ländern erkannt und wird zunehmend auch konsequent umgesetzt.
  • Das Konzept der Berufsorientierung in der Lehrerausbildung wird derzeit entwickelt. Die Konzepte dürften bald erstellt sein.
  • Eine zentrale Rolle wird auch in Zukunft die Lehrerfortbildung spielen (z. B. Brandenburg). Die Inhalte der Rahmenpläne erfordern bei den Lehrkräften Kenntnisse und Fähigkeiten, auf die die Lehrkräfte meist noch nicht ausreichend vorbereitet sind. Auch die Qualifizierung der Beratungslehrer erfolgt stufenweise durch berufsbegleitende Fortbildungsmaßnahmen (z. B. Sachsen). Nach der Vorbereitung der Lehrer der Sekundarstufe I werden auch für Lehrer des Gymnasiums entsprechende Kurse eingerichtet werden (z. B. Sachsen-Anhalt).
  • Es werden zunehmend Handreichungen erarbeitet bzw. veröffentlicht (z. B. Brandenburg).
  • Die meist vorläufigen Lehrpläne werden in den nächsten Jahren revidiert und veröffentlicht sein (z. B. Thüringen 1998), so dass die bisherigen Erfahrungen mit Berufsorientierung in die Überlegungen mit eingehen können. Generelle Aussagen über mögliche Entwicklungen können derzeit noch nicht gemacht werden.
  • Eine Verankerung von Berufsorientierung in der Oberstufe des Gymnasiums ist z. T. bereits gegeben (z. B. Hessen, Niedersachsen) bzw. zeichnet sich ab (z. B. Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen).
  • Die Entwicklung von Kooperation mit Unternehmen, Kommunen, Verbänden, Studienkreisen, Berufsberatung u. a. wird weiter intensiviert (z. B. Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen).
  • Spezifische Probleme des Arbeitsmarktes in verschiedenen neuen Ländern werden ihren Niederschlag in der Konzeption Berufsorientierung finden (z. B. Sachsen).
  • Aufbauend auf Erfahrungen und Entwicklungen in den alten Ländern dürften auch die oben aufgezeigten Entwicklungen in den neuen Ländern zumindest teilweise Berücksichtigung finden.
 

2.9 Zusammenfassung

In allen Ländern nimmt Berufsorientierung zwischenzeitlich innerhalb des Bildungs- und Erziehungsauftrags einen hohen Stellenwert ein. Sie wird überall als eine wichtige gemeinsame Aufgabe von Schule und Berufsberatung gesehen. Im Vergleich zum Stand der letzten Teildokumentation Gymnasium (1985) sind deutliche Verbesserungen feststellbar. Diese beziehen sich vor allem auf folgende Entwicklungen:

  • Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Berufsberatung wurde in vielen Ländern konkretisiert. Auch in den neuen Ländern nimmt sie einen hohen Stellenwert ein. Die Formen der Zusammenarbeit haben sich, unter Einbeziehung von BIZ und BIZ-mobil, eingespielt.
  • Bei der Vermittlung von Berufsorientierung engagieren sich verstärkt Verbände, Kammern, Arbeitskreise, Unternehmen, Gewerkschaften u. a., damit die außerunterrichtlichen Aktivitäten sinnvoll gefördert werden können.
  • Zur Verbesserung der Praxisorientierung sind Betriebserkundungen und -praktika zwischenzeitlich weitgehend fester Bestandteil in allen Ländern geworden.
  • Damit die Umsetzung des Ziels Berufsorientierung in der Schulpraxis funktioniert, werden immer mehr Handreichungen, Materialien u. a. für die Unterrichtspraxis erstellt.
  • Die Verankerung der Berufsorientierung in den Lehrplänen, zumindest im jeweiligen Leitfach bzw. in den jeweiligen Leitfächern, ist zwischenzeitlich weitgehend realisiert. Zunehmend wird Berufsorientierung als ein fächerübergreifendes Bildungs- und Erziehungsziel betrachtet. Teilweise gibt es bereits eine über alle Fächer abgestimmte Konzeption.
  • Es zeichnet sich im Rahmen eines internationalen Schüleraustausches ansatzweise eine Europäisierung der Berufsorientierung ab.
  • Handlungsorientierte Ansätze sowie Projektorientierung gewinnen bei der Berufsorientierung zwischenzeitlich an Bedeutung. Es soll dadurch u. a. erreicht werden, dass die Schülerinnen und Schüler selbstständig an dieses Thema herangehen.
  • Im Hinblick auf den Entwicklungsstand der Berufsorientierung besteht aus verständlichen Gründen ein Unterschied zwischen den alten und neuen Ländern. In den neuen Ländern haben sich die Bedingungen der Berufswahl in kurzer Zeit grundlegend geändert. Berufsorientierung an Gymnasien wird mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung realisiert, da zunächst bei anderen Schulformen Prioritäten gesetzt wurden. Eine Einbeziehung der Oberstufe des Gymnasiums wird in Zukunft jedoch bewusst angestrebt.
  • Die Zusammenarbeit mit Verbänden, Unternehmen u. a. kann sich wegen der schwierigeren wirtschaftlichen Verhältnisse nur schrittweise einspielen. Lehrerfortbildung hat in den neuen Ländern einen hohen Stellenwert. Die Unterstützung durch die Berufsberatung wird unter Einbeziehung der BIZ als sehr hilfreich empfunden. Dadurch dürfte die zukünftige Entwicklung entscheidend vorangetrieben werden.
  • In allen Ländern ist aufmerksam zur Kenntnis genommen worden, dass sich auch für Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums die Bedingungen der Berufs- und Studienwahl in den vergangenen Jahren verändert haben. Zu erwähnen ist hier beispielsweise die veränderte Situation auf dem Arbeitsmarkt. Eine intensive Information und Beratung ist aus diesen Gründen auch für das Gymnasium wichtig.
 
© Copyright 2016 by Sowi-Online e.V.. All Rights Reserved.
  • Impressum
  • Datenschutz
  • Kontakt

Quell-URL (modified on 14/01/2013 - 15:15): https://sowi-online.de/node/570

Links
[1] http://www.arbeitsamt.de/hst/services/bsw/biz/
[2] http://www.arbeitsamt.de/hst/services/bsw/biz/biz_mobil.html
[3] http://www.arbeitsamt.de/
[4] http://www.machs-richtig.de/
[5] http://www.studienwahl.de/
[6] http://www.abimagazin.de/