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2. Eckpunkte einer zeitgemäßen Berufsorientierung

Im Kontext dieser Veränderungen und Herausforderungen werden Ziele und Aufgaben der schulischen Berufsorientierung neu bestimmt. Ziele und Aufgaben gehen weit über Berufsorientierung als "Berufswahlhilfe und Bewerbungstraining" hinaus. Weil Lernen in der Schule nicht nur eine Frage der Inhalte ist, muss auch gefragt werden, ob die Arbeitsformen noch den Möglichkeiten entsprechen, die z. B. mit den neuen Medien gegeben sind. In den Lernorganisationen einer zeitgemäßen Berufsorientierung müssen Aufgabenverteilung, die Steuerung der Lernprozesse und die entsprechenden Erwartungen und Verpflichtungen auf Seiten der Lernenden und Lehrenden neu bestimmt werden. Eine zeitgemäße schulische Berufsorientierung sollte deshalb insbesondere folgende vier Grundsätze berücksichtigen:

 

2.1 Von der Abschlussorientierung zur Anschlussorientierung

Wenn Handlungspraktiken, Funktionen und Strukturen schulischen Lernens auf ein möglichst gutes Abschlusszeugnis ausgerichtet sind, werden Maßnahmen getroffen und Konzepte umgesetzt, die den Abschluss in den Blick nehmen und darauf bezogen zu bestmöglichen Ergebnissen führen. Die Lehrerinnen und Lehrer werden ihre Kreativität und Energien diesem Ziel entsprechend einsetzen. Die Schülerinnen und Schüler bereiten sich vor allem auf den Abschluss vor. Dabei werden sie zweifelsohne Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben. Von der Abschlussorientierung zur Anschlussorientierung heißt nicht, diese Qualität aufzugeben. Die Entwicklung der Qualifikationsanforderungen zeigt, dass ein hohes Niveau dieser Abschlussleistungen unabdingbar ist. Aber der Abschluss allein reicht nicht aus.

Für den Anschluss stärken ist mehr als auf den Abschluss hinarbeiten. Lernen in der Perspektive der Anschlussfähigkeit heißt den Schwerpunkt verlagern und im Abschluss einen Zwischenschritt zu sehen. Der Abschluss ist ein Meilenstein, aber kein Schlusspunkt. Der Anschluss ist das Ziel und muss gelingen. Damit wird die Wahrnehmung umfassender. Die Vorbereitung der nächsten an die Schule anschließenden Schritte, der erfolgreiche Einstieg und die Bewährung in Ausbildung und Beruf wird handlungsleitend. Rückmeldungen über den erfolgreichen Anschluss der Absolventen werden bei der Arbeit für den Abschluss einbezogen. Berufsorientierung in der Perspektive der Anschlussorientierung unterstützt die Schülerinnen und Schüler bei der Steuerung und Planung des ersten Übergangs (Grundlage für die folgenden Übergänge) und des Weiterlernens. Sie nimmt die Organisation des Übergangs explizit als ihre Aufgabe wahr. [/S. 111:]

Berufsorientierung in der Perspektive der Anschlussorientierung fördert selbst gesteuertes Weiterlernen. Weiterlernen und Integration des an verschiedenen Orten erworbenen Wissens werden entscheidende Grundlagen für die individuelle Berufsbiografie. Bereits heute werden im Rahmen personalorientierter Unternehmensentwicklung neue Arbeitszeitmodelle und Lernzeitkonzepte erprobt. Lernen und Arbeiten gehen neue Verbindungen ein. Qualifizierungsvorteile erzielt, wer auch den Arbeitsplatz als Lernort nutzen kann. Berufsorientierung muss die Schülerinnen und Schüler deshalb mit der Aufgabe konfrontieren, die alltägliche Berufswelt auch als Lernort zu nutzen und Alltagserfahrungen systematisch auszuwerten.

Anschlussorientierung umfasst Anschlussplanung und -steuerung. Ein Anschluss ergibt sich zwar auch deshalb, weil es irgendwie immer weitergeht. Dies ist mit Anschlussplanung und -steuerung jedoch nicht gemeint. Es geht vielmehr darum, die nächsten Schritte bewusst zu planen und deren Realisierung zu sichern. Die Förderung und Entwicklung dieser Planungskompetenz ist explizit Aufgabe einer zeitgemäßen Berufsorientierung. Anschlussplanung und -steuerung werden explizit Lerngegenstand.

Berufsorientierung in der Perspektive der Anschlussorientierung bietet Lernsituationen, in denen die Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer Potenziale und Ziele Umsetzungsschritte planen und den Erfolg auswerten. Sie werden unterstützt, ihr Selbstbild zu klären und ihre Persönlichkeit zu stärken: Was will ich? Was kann ich? Was sind meine Stärken? Wie entwickle ich mein Qualifizierungsprofil? Wie plane ich meine Kompetenzentwicklung?

 

2.2 Eigeninitiative und Selbstverantwortung

Die Schülerinnen und Schüler führen in ihrem Berufsorientierungsprozess selbst Regie. Dies muss ermöglicht und immer wieder verdeutlicht werden. Sie werden dabei jedoch nicht alleine gelassen, sondern von den Lehrerinnen und Lehrern in vielerlei Hinsicht unterstützt und begleitet. Aber sie übernehmen zunehmend mehr Verantwortung für ihren Lernweg und ihr Orientierungssystem. Sie werden als individuell und aktiv Lernende ernst genommen und mit der eigenen bewussten und unbewussten Lernorganisation konfrontiert. Die individuelle Lernorganisation wird zum Gegenstand des Lernens.

Wer Selbstverantwortung übernimmt, muss sich selbst kennen. Berufsorientierung unterstützt die Schülerinnen und Schüler bei der Klärung ihres Selbstbildes, ihrer Interessen, Potenziale und Ziele. In entsprechenden Lernsituationen vergleichen die Schülerinnen und Schüler ihre Selbstwahrnehmung mit der Wahrnehmung der eigenen Person durch andere (Mitschüler, Lehrende, Eltern) und werten den Unterschied aus. Sie reflektieren und korrigieren ihr Selbstbild. Dieser Prozess wird im Rahmen der [/S. 112:] Berufsorientierung mehrmals wiederholt und die Veränderungen werden wahrgenommen. Das Zur-Kenntnis-Nehmen verdeutlicht Entwicklungen. Die Veränderungen und die Wahrnehmung der Veränderung sind wichtige Informationen und Motivation für die Entwicklung der Orientierungskompetenz.

Schülerinnen und Schüler müssen Eigeninitiative entwickeln. Die Lernsituationen müssen dafür Freiraum bieten. Eigeninitiative entwickeln und Lernprozesse selbst steuern bedeutet nicht, unabhängig von den Lehrenden über Inhalte und Lernwege zu entscheiden. Auch für selbst gesteuertes Lernen gelten Rahmenbedingungen, die die Lehrenden setzen und verantworten (vgl. Schiersmann 2001). Diese Rahmenbedingungen sind es aber, die den Unterschied zum traditionellen Lernen ausmachen. Sie werden von den Lehrenden bestimmt und definieren den Raum, in dem die Lernenden ihren Lernprozess selbst planen und realisieren und schließlich Prozess und Ergebnisse auswerten.

Es reicht heute angesichts der dominanten Trends für die Zukunft der Erwerbsarbeit nicht aus, nur lebenslang zu lernen. Das wäre weder neu noch eine Antwort auf die Herausforderungen. Neu an der Forderung nach lebenslangem Lernen ist die Professionalität, mit der der Einzelne sein Lernen organisieren muss und die Verantwortung für die Initiierung des Lernens - beides wird durch selbst gesteuertes Lernen gefördert und gilt für formales wie auch informelles Lernen gleichermaßen. Vorteile im Wettbewerb um Ausbildung und Arbeitsplätze wird erzielen, wer gelernt hat, das eigene Lernen zu optimieren und Lernanlässe, egal an welchen Orten, für sich zu nutzen, d. h. wer

  • seine Stärken erforscht und Ziele entwickelt, die mit den Stärken korrespondieren,
  • seinen Lernprozess organisieren kann, Lernvereinbarungen aufstellt, Lernschritte festlegt und Lernberatung abrufen kann, wer die Zielerreichung überprüft und den Lernprozess und die Lernergebnisse auswertet und schließlich
  • sich seinen individuellen Lern- und Bildungsplan bewusst macht und an den eigenen Zielen orientiert fortschreibt.

Im Rahmen der Berufsorientierung kann in verschiedener Weise selbst gesteuertes Lernen ermöglicht werden, von der selbst geplanten Betriebserkundung mit Präsentation der Ergebnisse bis hin zur Bearbeitung einer besonderen (betrieblichen) Lernaufgabe, die die Schülerinnen und Schüler selbst konzipieren, mit den Lehrenden vereinbaren und am außerschulischen Lernort erstellen. Derartige "besondere Lernaufgaben" werden im Hamburger Schulversuch "Lernen und Arbeiten in Schule und Betrieb" seit dem Schuljahr 2000/01 entwickelt und erprobt (vgl. BSJB 2001a). An zwei Tagen in der Woche lernen und arbeiten die Schülerinnen und Schüler der letzten [S. 113:] beiden Schuljahre der Hauptschule bzw. im letzten Jahr der Realschule an außerschulischen Lernorten. Sie arbeiten jeweils ein halbes Jahr an einem Lernort, erkunden also vier bzw. zwei verschiedene Ausschnitte betrieblicher Wirklichkeit. Innerhalb der ersten vier Wochen im Betrieb entwickeln die Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer besonderen Interessen und Fähigkeiten eine Lernaufgabe, die mit dem Betrieb in einem Zusammenhang stehen muss. Die besondere Lernaufgabe wird mit den Lehrenden und den betrieblichen Anleitern abgestimmt und schriftlich vereinbart. Die Schülerinnen und Schüler bearbeiten die Lernaufgabe eigenverantwortlich und selbstständig. Dabei werden sie durch die betrieblichen Anleiter und die Lehrkräfte beraten und unterstützt. Die Lernaufgabe wird während der Praktikumszeit angefertigt, schriftlich dokumentiert und präsentiert. Die Lernleistung wird bewertet und geht als eigenständige Note in das Zeugnis ein. Lernaufgaben wie z. B. "Beschreibung des Baus unterschiedlicher Koffer (Cases) für spezifische Anforderungen der Kunden und Fertigung eines eigenen Cases" oder "Eigenständiges Einrichten eines Systems zum Sortieren von Normteilen in einer kleinen Metallwerkstatt" wurden erstellt. Die Schülerinnen und Schüler haben die Erwartungen übererfüllt. Auch leistungsschwache Schülerinnen und Schüler arbeiteten intensiv und erfolgreich an ihren Lernaufgaben. Die erste Auswertung zeigt, dass die Leistungen der Schülerinnen und Schüler insgesamt deutlich gestiegen sind. Selbst gesteuertes Lernen, eingebunden in einen dem jeweiligen Grad der Selbstständigkeit entsprechenden Rahmen, durch den die Anforderungen und Verpflichtungen klar geregelt sind und Bearbeitungsschritte vereinbart werden, motiviert zum Lernen und ermöglicht Erfolg. Die Schülerinnen und Schüler nehmen ihre erbrachte Leistung mit Stolz zur Kenntnis. Diese Erfahrungen unterstützen die Entwicklung der Lernfähigkeit und fördern individuelle Bildungsplanung. Eigeninitiative und Erfolg schaffen Lust auf Zukunft.

Zur Unterstützung der Schülerinnen und Schüler auf diesem Weg haben Hamburg und sechs weitere Bundesländer im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung [1] gemeinsam mit den Bundesländern gestalteten Programms "Schule - Wirtschaft/Arbeitsleben" [2]den Berufswahlpass (vgl. Lumpe 2002) entwickelt. Der Berufswahlpass ist ein DIN A4-Ordner und wird den Schülerinnen und Schülern im Jahrgang 7 überreicht. Jeder Schüler und jede Schülerin verwendet den Berufswahlpass eigenverantwortlich zur Gestaltung des Orientierungsprozesses. Der Berufswahlpass unterstützt sie dabei in dreifacher [/S. 114:] Hinsicht: Im ersten Teil stellt die jeweilige Schule ihr Programm zur Berufsorientierung dar und erhöht damit die Transparenz der berufsorientierenden Angebote. Selbstverständlich werden auch Informationen über die Berufsberatung der Arbeitsverwaltung und über die mit der Schule kooperierenden Partner aufgenommen. Die Schülerinnen und Schüler wissen rechtzeitig, was ihre Schule anbietet, wer weitere Angebote zur Verfügung stellen kann und welche Schritte sie individuell planen können. Mit dem ersten Teil des Berufswahlpasses erhalten die Schülerinnen und Schüler Informationen zur eigenverantwortlichen Planung ihrer beruflichen Orientierung. Im zweiten Teil bietet der Berufswahlpass Hinweise und Vorschläge zur Organisation des Lernens. Mit den Hinweisen wird der Berufsorientierungsprozess strukturiert und überschaubar. Die Schülerinnen und Schüler erhalten Anregungen, wann sie welche Schritte planen sollten, wo sie Unterstützung erhalten und wie sie Ergebnisse auswerten können. Erst der dritte Teil ist ein Pass im eigentlichen Sinne und dient der Dokumentation der Leistungen, die für den Übergang in die Berufswelt von besonderer Relevanz sind. Auch hier wird den Schülerinnen und Schülern nur vorgeschlagen, welche erbrachten Leistungen sie selbst beschreiben und dokumentieren sollten und welche Leistungen sie sich bestätigen lassen sollten. Unter anderem wird angeregt, Beschreibungen von besonderen Arbeiten im berufsorientierenden Unterricht oder in Projekten einzuheften. Damit wird Schülerinnen und Schülern auch empfohlen, darüber nachzudenken, mit welchen schulischen Lernereignissen sie die eigene Qualifikation für einen Ausbildungsplatz in besonderer Weise nachweisen können. Darüber hinaus wird empfohlen, Bescheinigungen über ehrenamtliche Tätigkeiten, Jugendgruppenleitungstätigkeiten, über die Teilnahme an Volkshochschulkursen, Auslandsaufenthalten, Zertifikate über Kenntnisse im Bereich der neuen Medien und Bescheinigungen über Jobs aller Art und geleistete Betriebspraktika einzuheften. Die Schülerinnen und Schüler erhalten eine Übersicht, was bedeutsam sein kann und entscheiden selbst, welche Anregung sie aufnehmen oder nicht. Der Berufswahlpass ist noch in der Entwicklungsphase. Die ersten Rückmeldungen bestätigen die Annahme, dass mit diesem Instrument der Berufswahlprozess strukturiert und die Selbstverantwortung der Schülerinnen und Schüler gefördert werden kann.

 

2.3 Vernetzung nach innen und außen

Berufsorientierung nutzt die vorhandenen Potenziale innerhalb und außerhalb der Schule für die Optimierung des Übergangs in den Beruf. Dies gelingt um so mehr, wenn die Ziele allen Beteiligten transparent sind, die einzelnen Aufgaben benannt sind, die Zusammenarbeit geregelt ist, die Erwartungen und Verpflichtungen der Beteiligten klar sind und die Verantwortung für die Aufgabenerfüllung abgesprochen ist. [/S. 115:]

Grundlage einer zeitgemäßen Berufsorientierung ist eine Vernetzung nach innen, d. h. entsprechende Kommunikations- und Kooperationsstrukturen innerhalb der Schule müssen vorhanden sein. Die Beteiligten sind nicht nur die Klassenlehrerinnen und -lehrer und die für Berufsorientierung zuständige Lehrerin bzw. der zuständige Lehrer. Eingebunden sind alle Lehrenden, die Schulleitung und auch die Lernenden selbst. Die für die Berufsorientierung verantwortlichen Personen sichern den Informationsfluss und sind Ansprechpartner für die außerschulischen Kooperationspartner. Sie unterstützen Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler, sie koordinieren einzelne Projekte und übernehmen Verantwortung für die Weiterentwicklung der schuleigenen Konzepte, einschließlich der Planung geeigneter Fortbildungsbedarfe. Die Vernetzung nach innen ist Voraussetzung dafür, dass Berufsorientierung nicht als Aufgabe des Klassenlehrers oder der Klassenlehrerin oder einzelner Fachlehrkräfte missverstanden, sondern als gemeinsame Bildungs- und Erziehungsaufgabe der Schule wahrgenommen werden kann.

Die Vernetzung nach außen ist Grundlage für die Einbeziehung der außerschulischen Partner in die schulische Arbeit. Dabei ist zu bedenken, dass Kooperationen mit Schulen bei vielen Partnern nicht zum Kerngeschäft gehören. Dennoch sind sie bereit, einen Beitrag zu leisten, wenn die Zusammenarbeit erleichtert wird.

Schulen und Unternehmen sind sich näher gekommen und arbeiten in Hamburg in vielfältiger Weise erfolgreich zusammen. Die Zusammenarbeit reicht von gemeinsam vorbereiteten Betriebserkundungen, Angeboten von Praktikumsplätzen für Schülerinnen und Schüler und auch für Lehrerinnen und Lehrer, der Einbeziehung betrieblicher Expertinnen und Experten in den Unterricht, gemeinsamen Arbeitsprojekten, Patenschaften zwischen Auszubildenden und Schülerinnen und Schülern, alljährlich wiederkehrenden Aktionen wie Ausbildungs- und Berufebörsen bis hin zu systematisch organisierter und langfristig angelegter Zusammenarbeit mit Zielvereinbarung und Ergebniskontrolle.

Von besonderer Bedeutung sind in Hamburg kontinuierlich arbeitende Kooperationspartnerschaften. In diesen Kooperationspartnerschaften schließen sich Schulen und Unternehmen zusammen und erarbeiten gemeinsam ein ihren Möglichkeiten und Bedürfnissen entsprechendes Konzept. In Schule und Betrieb sind die für die Kooperation verantwortlichen Personen benannt und Unternehmensleitung und Schulleitung unterstützen die Partnerschaft. Die unterschiedlichen Bedingungen der Schulen und Betriebe gehen in die Kooperationsvereinbarung ein. Die abgesprochenen Vorhaben werden zu Beginn des Schuljahres vereinbart und am Ende ausgewertet. Dies führt zu Verlässlichkeit und zielgerichtetem Handeln. Die [/S. 116:] Kooperationsvereinbarungen unterscheiden sich. Das ist jedoch kein Nachteil, sondern Ausdruck des flexiblen Verfahrens.

Hamburger Schulen haben sich für die Mitwirkung des schulischen Umfelds an der Bildungs- und Erziehungsarbeit geöffnet. Sie werben dafür, dass neben den Betrieben Vereine und Organisationen im Stadtteil an der Gestaltung und Entwicklung des Lernens in der Schule teilhaben (vgl. BSJB 2001b). Die Öffnung ist eine Herausforderung an alle Beteiligten, ihr Verhältnis und ihr Selbstverständnis gegenüber der Schule neu zu bestimmen. In der Kooperation lernen alle Beteiligten von- und miteinander. Die Schulen und ihre Partner werden dabei von vielen Seiten unterstützt: einzelne Unternehmen, Unternehmensverbände, die Landesarbeitsgemeinschaft Schule-Wirtschaft, [3] das Institut für Lehrerfortbildung [4], die Handelskammer und die Handwerkskammer, die Wirtschaftsbehörde und auch die Eltern-, SchülerInnen- und Lehrerkammer.

In mehreren Netzwerken arbeiten Unternehmen mit Schulen zusammen. Mit dem Verband "Deutscher Maschinen und Anlagenbau e.V." (VDMA) [5] wurden Kooperationspartnerschaften zwischen Schulen, Unternehmen und Hochschulen gegründet, mit dem "Hamburger Industriebverband e.V." wurde das "Netzwerk Schule-Industrie" [6] gegründet, in dem 20 Kooperationspartnerschaften vernetzt sind und die "Initiative für Beschäftigung - Netzwerk Hamburg" betreut seit Sommer 2000 das jüngste Netzwerk mit zehn Kooperationspartnerschaften zwischen Unternehmen und Haupt-, Real- und Gesamtschulen zur Stärkung der Hauptschülerinnen und Hauptschüler. In jedem Netzwerk arbeiten die Kooperationsgemeinschaften unter einem bestimmten Schwerpunktthema zusammen (vgl. BSJB 2001a).

Im Netzwerk Schule-Industrie arbeiten jeweils eine Schule und ein Unternehmen zusammen und entwickeln gemeinsam das schulische Berufsorientierungskonzept weiter. Einbezogen sind dabei Patenschaften zwischen Schülerinnen und Schülern und Auszubildenden, die Vermittlung spezifischer Praktika für Lernende und Lehrende bis hin zum gegenseitigen Angebot der Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen.

Im Netzwerk Hamburg der Initiative für Beschäftigung arbeiten Schulen, Berufsberatung und Personalverantwortliche sowie Fachkräfte der Unternehmen nach einem gemeinsam entwickelten Konzept zusammen, das die jeweiligen Kompetenzen der Partner verlässlich in den Berufsorientierungsprozess einbezieht. In dem 3-Säulen-Modell übernimmt jeder Partner Aufgaben entsprechend seiner Kompetenz. Die Schule trägt insbesondere zur Klärung der Interessen und Stärken der Schülerinnen und Schüler bei, die Berufsberatung sorgt für die Beratung und eine den Stärken entsprechende Vermittlung und die Personalfachleute der Partnerunternehmen beraten die [/S. 117:] Schülerinnen und Schüler, geben ihr Feedback zum Stand der Ausbildungsfähigkeit und bescheinigen aus Sicht der Personalfachkraft Chancen und Eignung für den gewünschten Ausbildungsberuf. Die einzelnen Schritte der drei Partner sind abgestimmt, jeder übernimmt einen Part auf dem Weg in die Berufsausbildung. Sie werden dabei unterstützt durch eine Koordinierungsstelle, die die einzelnen Beratungsschritte koordiniert, den Informationsaustausch sicherstellt und über ein Controllingsystem die Anschlussprozesse steuert. Die Schülerinnen und Schüler werden bei der Suche eines Ausbildungsplatzes von den Partnern unterstützt und je nach individuellem Betreuungsbedarf begleitet und gefördert. Die beteiligten Unternehmen haben sich öffentlich verpflichtet, jährlich mindestens 200 Ausbildungsplätze für die Hauptschulabsolventinnen und Absolventen der Partnerschulen zur Verfügung zu stellen. Nach der erfolgreichen Erprobungsphase wird das Modell im Schuljahr 2001/02 auf 30 Partnerschaften und - so die Planung - in den folgenden beiden Jahren um weitere 30 Partnerschaften erweitert.

Im Netzwerk TRANS-JOB [7] (vgl. BSJB 2001a, S. 6 ff.) arbeiten Schulen und Unternehmen ebenfalls langfristig und kontinuierlich zusammen. Auch hier vereinbaren die Schulen und das Partnerunternehmen konkrete Schritte und werten den Erfolg aus. TRANS-JOB ist bundesweit vernetzt und Teil des Programms des Bundesministeriums für Bildung und Forschung [1] "Schule - Wirtschaft/Arbeitsleben" [2] und wird von der Stiftung der deutschen Wirtschaft [8] durchgeführt. In diesem Netzwerk kooperieren Schulen und Unternehmen vor allem mit dem Ziel, Konzepte zur ökonomischen Allgemeinbildung zu entwickeln und zu erproben.

Im "Service-Netzwerk-Beratung" (vgl. BSJB 2001a, S. 22 f.), ein Netzwerk, in das auch die Hochschulen eingebunden sind, arbeiten Teams, bestehend aus jeweils einer Schule, einer Hochschule und einem Unternehmen, bildungsbereichsübergreifend und kontinuierlich zusammen. Die Teams entwickeln Lernarrangements zur Förderung selbst gesteuerten Lernens. Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Studierende bearbeiten gemeinsam komplexe Aufgabenstellungen, lernen dabei die jeweils andere Arbeitsumgebung und das Berufsfeld kennen und optimieren in der Zusammenarbeit die eigenen Lernstrategien. Das Projekt ist in das BLK-Programm "Lebenslanges Lernen" [9] eingebunden und beginnt im Schuljahr 2001/02 mit der Umsetzungsphase.

Die beschriebenen Partnerschaften sind Beispiele für Vernetzungen und verdeutlichen den an eine Vernetzung gestellten Anspruch. Grundlage der Vernetzung sind die jeweils verfügbaren Leistungen der Partner. Diese werden nicht als einmalige Aktionen in das schulische Curriculum einbezogen, sondern systematisch und langfristig. Die konkreten Handlungsschritte werden gemeinsam geplant, vereinbart und ausgewertet. [/S. 118:]

Die Erfahrungen der Kooperationspartnerschaften bestätigen das Konzept der Kontinuität und Verlässlichkeit. Die Verantwortlichen im Unternehmen und in der Schule treffen sich rechtzeitig. Die Schule trägt vor, wobei sie Unterstützung durch das Unternehmen benötigt. Das Unternehmen berichtet über die bestehenden Möglichkeiten. Oft ergeben sich schon bei diesem Gespräch Kooperationsmöglichkeiten, die keiner der Partner vorhergesehen hatte. Die vorgetragenen Wünsche werden zu konkreten Vereinbarungen mit festen Zeitplänen. Mit der Vereinbarung verpflichten sich die Partner nicht im rechtlichen Sinne, sondern dokumentieren und kommunizieren den jeweiligen Einsatz und die Erwartungen. Mit ihr wird die Ernsthaftigkeit ausgewiesen und sie dient als Maßstab für die Bewertung der Zielerreichung am Ende des Schuljahres. Erfolgreiche Kooperationen werten den Erfolg aus. Sie überprüfen die Planung, nehmen die Ergebnisse ihrer Arbeit zur Kenntnis und freuen sich auch über den gemeinsamen Erfolg.

In den verschiedenen Netzwerken ist die Berufsberatung der Arbeitsverwaltung in unterschiedlichen Formen Kooperationspartner. Berufsorientierung in der Schule ist ohne Kooperation mit den Berufsberaterinnen und Berufsberatern nicht denkbar. Ihre Arbeit an den Schulen ist unentbehrlich (vgl. Strijewski 2002a, 2002b). Im Rahmen der Berufsorientierung übernimmt die Berufsberatung die zentrale Aufgabe der allgemeinen Berufsorientierung und der individuellen Beratung.

Die wichtigsten Partner der Jugendlichen bei ihrer beruflichen Orientierung sind die Eltern. Untersuchungen zeigen, dass die Berufswahl der Jugendlichen zu einem großen Teil auf dem Einfluss der Eltern und des häuslichen Umfeldes beruht (vgl. Hoose/ Vorholt 1996). Eine Schule, die ihr Angebot zur beruflichen Orientierung optimieren möchte, widmet daher der Zusammenarbeit mit den Eltern ganz besondere Aufmerksamkeit (vgl. Buck/ Nastaly 2002). Die Entwicklung neuer Konzepte zur Zusammenarbeit mit den Eltern und dem häuslichen Umfeld unterstützt die Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung [10] mit besonderen Projekten. Einzelne Schulen erarbeiten und erproben gemeinsam mit den Eltern verschiedene Modelle von Elterntreffen zu berufsorientierenden Themen über besondere Elternabende, Fortbildung für Elternvertreter und -vertreterinnen, Mitwirkung der Eltern im Unterricht oder bei besonderen Veranstaltungen bis hin zum Aufbau einer Datenbank durch Eltern, Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler zu Fragen der Berufsorientierung.

 

2.4 Systemenergien nutzen, Lernchancen erhöhen

Weiterentwicklung beginnt meist mit der Bilanzierung der Praxis, mit der Auswertung der Ergebnisse. Was weiß eine Schule aber systematisch über [/S. 119:] das Ergebnis, d. h. den Verbleib ihrer Schülerinnen und Schüler? Mit welchen systematisch erhobenen Informationen verschaffen sich die Lehrerinnen und Lehrer ein Bild über den Stand der Anschlussplanung ihres Schülers oder ihrer Schülerin? Sind die Informationen für alle Lehrerinnen und Lehrer des Schülers bzw. der Schülerin zugänglich? Welche Informationen haben die Schulen über Ausbildungsabbrüche und deren Gründe und welche Informationen haben die Schulen über die Entwicklung dieser Größen? Diese Fragen führen zur dahinter liegenden Frage nach den Chancen der Lehrerinnen und Lehrer, aus diesen Informationen lernen und Konsequenzen für die Weiterentwicklung der Lernsituationen ziehen zu können. Fehlende Informationen verhindern Lernmöglichkeiten. Solange die einzelnen Lehrerinnen und Lehrer einer Lerngruppe über keine Informationen zum Stand der Anschlussplanung der einzelnen Schülerinnen und Schüler verfügen, können sie nicht zur Optimierung des Anschlusses beitragen. Der Schüler oder die Schülerin entwickelt in diesem Falle seine bzw. ihre Orientierungskompetenz in Lernkontexten, die nicht auf die Entwicklung der Orientierungskompetenz abgestimmt sind.

Damit die Schule ihr Konzept an der Realität orientiert weiterentwickeln kann, muss sie Informationen über den Verbleib ihrer Schülerinnen und Schüler erheben und die Lehrerinnen und Lehrer einer Klasse müssen über den jeweiligen Stand der individuellen Anschlussplanung ihrer Schülerinnen und Schüler informiert sein. Dies ist Voraussetzung, um den Schüler bzw. die Schülerin zielgerichtet und abgestimmt auf den individuellen Bedarf beraten und ihn bzw. sie bei der Entwicklung der Orientierungskompetenz unterstützen zu können.

Über den Stand der jeweiligen Anschlussplanung können sich die Lehrerinnen und Lehrer durch verschiedene Instrumente, vom einfachen Planungsbogen über ein individuell mit dem Schüler oder der Schülerin aufgestelltes Lernprogramm mit Lernvereinbarung bis hin zu einem speziellen Lerntagebuch, in dem der Prozess der Berufsorientierung vorstrukturiert sein kann, informieren. Gemeinsam ist den verschiedenen Instrumenten, dass mit ihrer Hilfe die Anschlussplanung zum Thema des Unterrichts wird. Mit den Instrumenten kann auf die konkreten individuellen Bedürfnisse des einzelnen Schülers bzw. der einzelnen Schülerin bezogen die Anschlussplanung strukturiert und je nach dem Grad der Selbstständigkeit von den Lehrenden gesteuert und kontrolliert werden. Der Berufswahlpass unterstützt diese Anschlussplanung. Die Lehrenden können darin ihr Begleitkonzept (systematisierte Ablaufplanung mit definierten Meilensteinen, Hinweise auf schulische und außerschulische Unterstützungssysteme, Angebote besonderer Lernbausteine zum Abbau individueller Lerndefizite, Anschlussplanung unter Einbeziehung der Eltern, Lernvereinbarung zur Anschlusssteuerung u. a. m.) [/S. 120:] vorstellen und gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern geeignete Wege entwickeln.

 
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[8] http://www.sdw.org/SDW/SDWCMS.nsf/framesets/Start
[9] http://www.blk-lll.de/LLL/programm.htm
[10] http://fhh.hamburg.de/stadt/Aktuell/behoerden/soziales-familie/jugend-und-familie/start.html