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Startseite > Lehrer(aus)bildung und ökonomische Bildung > Beiträge 2 - Wirtschaftsdidaktische Beiträge zur Lehrer(aus)bildung > Loerwald, Dirk; Zoerner, Andreas (2006): Standards für die ökonomische Bildung in der gestuften Lehrerausbildung (BA/MA) > 3. Konzeption von Bildungsstandards für die Lehrerausbildung in der ökonomischen Bildung

3. Konzeption von Bildungsstandards für die Lehrerausbildung in der ökonomischen Bildung

 

3.1 Zur Spezifizierung von Standards

Die Literatur zu Bildungsstandards und Kompetenzen ist mittlerweile unübersichtlich geworden, ohne dass bisher allgemein anerkannte Begriffsdefinitionen vorliegen, die eine Identifikation von Abgrenzungen und Überschneidungsbereichen der beiden Begriffe ermöglichen. Mal werden Kompetenzen den Standards untergeordnet (so bspw. bei Maag Merki 2005), mal beziehen sich die Standards auf übergeordnete Kompetenzen (z.B. KMK 2004), mal sind beide Begriffe nahezu austauschbar – etwa wenn "Kompetenzen als Bildungsstandards definiert werden" (Maag Merki 2005, S. 12). Wir folgen in unserem Vorschlag maßgeblichen Vertretern in dieser Diskussion (Klieme; Oelkers; Terhart; KMK) und benennen zunächst Kompetenzen, die durch die Erreichung bestimmter Standards erlangt werden. Kompetenzen sind in diesem Verständnis "berufsbezogene Fähigkeiten einer Lehrerin und eines Lehrers, die im Verlauf der Ausbildung erworben werden." (Oelkers 2005b, S. 10). Standards konkretisieren diese und machen sie überprüfbar.

Allgemein formuliert orientieren sich die in Bildungsprozessen angestrebten Kompetenzen an Bildungszielen. Für die Lehrerbildung lässt sich analog formulieren, dass sich die in den verschiedenen Ausbildungsphasen angestrebten Kompetenzen an den maßgeblichen Ausbildungszielen orientieren. Spricht man im Zusammenhang der Lehrerbildung von Bildungszielen, so sind zwei Zielebenen voneinander zu unterscheiden: Die Ziele, die mit der Ausbildung der Lehrkräfte verfolgt werden, und die Ziele, die mit der Arbeit der Lehrkräfte als mit der Durchführung von Unterricht Betraute – hier im Rahmen der ökonomischen Bildung – verbunden sind, also Ziele von Bildungsprozessen in der Schule. Beide Ebenen sind aufeinander zu beziehen:

Das Bildungsziel der schulischen ökonomischen Bildung weist, cum grano salis, zwei wesentliche Aspekte auf: Zunächst unterliegt die schulische ökonomische Bildung den übergeordneten Bildungszielen der allgemein bildenden Schulen. Ziel von Bildungsprozessen ist der in einer demokratischen Gesellschaft selbst verantwortet und selbstständig handelnde Mensch, der seine eigene Lern– und Entwicklungsfähigkeit (er–)kennt und über ein angemessenes fachliches und wertbesetztes Fundament für Entscheidungen innerhalb seiner Lebenswelt verfügt. Dies ist verwoben mit dem zweiten Aspekt: Ökonomische Bildung soll ihre Adressaten in die Lage versetzen, in ökonomisch geprägten Lebenssituationen sachgerecht und reflektiert zu handeln sowie sachlich und wertebezogen reflektiert an der (Diskussion über die) Gestaltung der Gesellschaft teilzuhaben.(4)

Auch wenn es keinen direkten Ableitungszusammenhang von Schüler- zu Lehrerkompetenzen geben kann, so muss es doch Ziel der Lehrerausbildung im Bereich der ökonomischen Bildung sein, Lehrkräfte zu qualifizieren, den Adressaten schulischer Bildungsprozesse die Erreichung der oben genannten Ziele zu ermöglichen. Am Ende der Lehrerausbildung sollten Lehrkräfte also mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet sein.

Es erscheint sinnvoll, die im Zuge der Lehrerausbildung zu erwerbenden Kompetenzen in zwei Dimensionen zu unterteilen: Zum einen bedarf es überfachlicher Kompetenzen, die auf eine allgemeine professionelle Kompetenz von Lehrkräften abzielen, zum anderen ist eine Definition fachlicher Kompetenzen unabweisbar (vgl. Oelkers 2005b, S. 11). Kompetenzen und Standards im Bereich der ökonomischen Bildung können sich also selbstredend nur auf einen Teilaspekt der Lehrerausbildung beziehen.

Zu den unabweisbaren überfachlichen Kompetenzen von Lehrkräften gehören stets unverzichtbare Fähigkeiten, die nicht allein – und sicherlich auch nicht in erster Linie – durch die Ausbildung im Bereich der ökonomischen Bildung erworben werden können. Beispielhaft werden hier mit Jürgen Oelkers genannt:

  • "Einsichten in bestimmte Grundprobleme der Erziehung und Bildung, die sich sozial, historisch und philosophisch bestimmen lassen
  • Kenntnisse der professionellen Ethik oder Berufsmoral, der rechtlichen Verfassung von Schulen sowie der Bildungspolitik einschließlich der Forderung nach Chancengleichheit;
  • Verständnis, wie Kinder und Jugendliche unter heutigen Bedingungen innerhalb und außerhalb der Schule lernen und sich entwickeln;
  • Verständnis besonderer Begabungen oder Behinderungen;
  • Kenntnisse […] der kulturellen Einflüsse auf Lernprozesse und der Vielfalt in multikulturellen Gesellschaften;
  • Fähigkeiten im Blick auf die sinnvolle Nutzung von neuen Lerntechnologien zum Aufbau von Computer Literacy als vierte Kulturtechnik." (Oelkers 2005a, S. 14).

Die fachlichen Kompetenzen wiederum weisen sowohl eine Wissensdimension als auch eine Vermittlungsdimension auf. Standards, die Kompetenzen für die Lehrerausbildung im Bereich der ökonomischen Bildung operationalisieren, sind für beide Dimensionen zu entwickeln (vgl. Terhart 2002, S. 34 f.). Damit geht unser Vorschlag für Standards der Lehrerbildung im Bereich der ökonomischen Bildung von zwei fachlichen Kompetenzbereichen aus: Dem Kompetenzbereich "Wissen und Verstehen" (Wissensdimension) sowie dem Kompetenzbereich "Lehr–Lern–Prozesse anbahnen" (Vermittlungsdimension).

[1]


Mit diesem Vorschlag möchten wir nicht die Schlüssigkeit anderer Systematiken von Bildungsstandards bestreiten, die sich jedoch i.d.R. (auch) auf überfachliche Kompetenzen beziehen. So erscheint uns die Systematik der KMK mit den Kompetenzbereichen Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Innovieren für die Bildungswissenschaften durchaus sinnfällig, doch sie bezieht sich auf "die ganze Lehrkraft" und meint ausdrücklich nicht Standards für die (Unterrichts–) Fächer (KMK 2004, S. 1).

Die Formulierung von Bildungsstandards mag zu einer aller oben angegebenen Kompetenzdimensionen möglichst vollständig umfassenden Nomenklatur verführen. Angesichts der Knappheiten in der Praxis und der daraus resultierenden Zwänge, eine Auswahl treffen zu müssen, beinhalten solche umfassenden Nomenklaturen immer ein Element von faktischer Beliebigkeit. In der pädagogischen Diskussion zu den Kriterien ‚guter' Bildungsstandards ist hier die Rede von "Fokussierung" (Klieme 2003, S. 24 ff.) oder von "Knappheit" (Böttcher 2005). Wir haben deshalb den nachfolgenden Vorschlag bewusst überschaubar gehalten und auf das konzentriert, was wir für die ökonomische Bildung für originär und unverzichtbar (nicht, was wir insgesamt für wünschbar) halten. Standards beanspruchen, ubiquitär gültige Festlegungen zu sein, die verbindlich, umsetzbar, erreichbar und überprüfbar sind und sich dabei auf das Wesentliche beschränken. Mit dem folgenden Vorschlag haben wir versucht, diesem Anspruch Rechnung zu tragen.

 

3.2 Vorschlag für Standards der Lehrerbildung im Bereich der ökonomischen Bildung

Kompetenzbereich I: "Wissen und Verstehen" – Wissensdimension

Kompetenz 1.1: Lehrkräfte verstehen Struktur, und zentrale Konzepte der Wirtschaftswissenschaft

  • Lehrkräfte unterscheiden den Gegenstandsbereich ‚Wirtschaft' von der ‚Ökonomik' als einen Denkansatz der Beschreibung und Analyse grundlegender Probleme.
  • Lehrkräfte können angemessen mit dem ökonomischen Denkansatz (homo oeconomicus) umgehen, kennen also dessen Erklärungspotenzial und dessen Grenzen.
  • Lehrkräfte unterscheiden eine einzel– von einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtungsweise und wissen in diesem Zusammenhang um die allgegenwärtige Gefahr des Trugschlusses von Verallgemeinerungen.
  • Lehrkräfte wissen um das besondere Integrationspotenzial des ökonomischen Denkansatzes und können dies disziplinübergreifend nutzen.

Kompetenz 1.2 Lehrkräfte können wesentliche einzel- und gesamtwirtschaftliche Strukturen und Zusammenhänge entdecken, beschreiben, analysieren und darstellen

  • Lehrkräfte können mit Kreislaufdarstellungen und Wirkungsdiagrammen arbeiten.
  • Lehrkräfte kennen die Bedeutung von Anreiz– und Dilemmastrukturen und können einen Bezug zu grundlegenden Prinzipien der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung (einschließlich ihrer Gestaltungsbedürftigkeit) herstellen.
  • Lehrkräfte unterscheiden kurz– von langfristigen Wirkungen sowie statische Zustände von dynamischen Prozessen.
  • Lehrkräfte kennen verschiedene in der Fachdiskussion vorherrschende Theorien.
  • Bei der Behandlung gesellschaftlicher Fragen und Problemstellungen unterscheiden Lehrkräfte eine vorgelagerte Bereitstellungsperspektive von einer nachgelagerten Verteilungsperspektive, können diese aufeinander beziehen und gegenseitige Rückwirkungen erkennen.

Kompetenz 1.3: Lehrkräfte können Darstellungen und Veröffentlichungen zu ökonomischen Sachverhalten kompetent und angemessen einordnen

  • Lehrkräfte halten sich durch Fortbildungen auf dem Stand der wissenschaftlichen Diskussion
  • Lehrkräfte sind dem Stand der wissenschaftlichen Forschung verpflichtet und können den "main stream" von Minderheiten– oder gar exotischen Meinungen unterscheiden.
  • Lehrkräfte können in Veröffentlichungen zu ökonomischen Sachverhalten unterschiedliche ökonomische Denkschulen, Traditionen und Perspektiven erkennen.
Kompetenzbereich II: "Lehr-Lern-Prozesse anbahnen" – Vermittlungsdimension

Kompetenz 2.1: Lehrkräfte planen Unterricht fach– und sachgerecht und führen ihn sachlich und fachlich korrekt durch.

  • Lehrkräfte können zukunftsrelevante und gegenwartsbedeutsame Unterrichtsinhalte identifizieren.
  • Lehrkräfte wissen um typische Verständnisschwierigkeiten, Vorbehalte und Abwehrreaktionen bei Schülerinnen und Schülern gegenüber ökonomischen Denkstrukturen und –figuren und können angemessen auf diese reagieren.
  • Lehrkräfte stellen nicht alle (denkbaren) Positionen als gleichwertig dar, sondern unterscheiden Mehrheits- und Minderheitenmeinungen für sich sowie gegenüber Schülerinnen und Schülern.
  • Lehrkräfte rücken bei der Bearbeitung gesellschaftlicher Frage– und Problemstellungen die Bedeutung von aus institutionellen Faktoren resultierenden Anreizkonstellationen in den Blick und können Schülerinnen und Schüler in geeigneter Weise zu entsprechenden Fragestellungen anleiten.

Kompetenz 2.2: Lehrkräfte wissen um den Beitrag der ökonomischen Bildung zu Fragen der Dauerhaftigkeit und Gültigkeit von Werten und können diesen bei wertbehafteten Konflikten im Rahmen der Wertebildung von Schülerinnen und Schülern nutzen.

  • Lehrkräfte können im Unterricht angemessen mit Dilemmastrukturen umgehen.
  • Lehrkräfte unterscheiden im Unterricht bei der Analyse von ökonomisch geprägten Handlungssituationen zwischen personalen und situativen Merkmalen.

Kompetenz 2.3: Lehrkräfte können ein breites Spektrum von Unterrichtsmethoden anwenden und reflektieren und beherrschen adressatenbezogene Vermittlungstechniken.

  • Lehrkräfte können die neuen Informations- und Kommunikationstechniken adressaten– und sachgerecht einsetzen.
  • Lehrkräfte können die ökonomische Bildung durch die Öffnung von Schule um eine "Praxiserdung" bereichern, ohne dem Trugschluss von Verallgemeinerungen zu erliegen.
  • Lehrkräfte wissen um Potenziale und Grenzen handlungsorientierter Lehr–Lern–Methoden und können solche Methoden fachdidaktisch reflektiert einsetzen.

Kompetenz 2.4: Lehrkräfte fördern die Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern zum selbstständigen Lernen und Arbeiten.

  • Lehrkräfte sind in der Lage, selbst bestimmtes Urteilen und Handeln von Schülerinnen und Schülern zu fördern.
  • Lehrkräfte sind in der Lage, Schülerinnen und Schüler auf den verschiedenen Stufen des selbstständigen Lernens (selbsttätiges, selbstorganisiertes und selbstbestimmtes Lernen) zu fördern.
  • Lehrkräfte können verschiedenen Formen kooperativen Lernens (sowohl innerhalb der Lerngruppe als auch mit außerschulischen Partnern) sach–, fach– und adressatengerecht einsetzen.

Kompetenz 2.5: Lehrkräfte sollten mit Hilfe der ökonomischen Bildung einen Beitrag zur Berufswahl von Schülerinnen und Schülern leisten können.

  • Lehrkräfte kennen verschiedene Möglichkeiten der Informationsbeschaffung zur Berufswahl, Ausbildung und Studium.
  • Lehrkräfte reflektieren mit ihren Schülerinnen und Schülern die Bedeutung von Ausbildungs- und Berufswahlentscheidungen.
 

3.3 Offene Fragen

Dieser Katalog von anzustrebenden Kompetenzen und konkretisierenden Standards kann zunächst nur Vorschlagscharakter haben. Offen sind für uns u.a. noch die Fragen,

  • ob die Standards – um ein Bild zu wählen – nur "digital" gelten können, also entweder erreicht oder verfehlt werden, oder ob sich ein "analoges" Verständnis denken ließe, in dem die Standards gestuft darstellbar sind und Aussagen über erreichte Kompetenzstufen über die Erhebung der Standards möglich sein können;
  • was die Möglichkeiten der Überprüfung und Evaluation dieser Standards sein können. Dies betrifft sowohl die Frage der Kompetenzüberprüfung bei den (zukünftigen) Lehrkräften nach der ersten Phase der Lehrerausbildung als auch die Evaluation der Ausbildungsstätten selbst;
  • an welche Voraussetzungen die Umsetzung dieser Standards an den Hochschulen und Universitäten gebunden ist. Zu bedenken sind hier vor allem die nach Bundesland verschiedenen Organisationsformen der Lehrerbildung und selbstverständlich auch
  • ob und wo dieser Katalog von Standards der weiteren Ergänzung bedarf.
 
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Quell-URL (modified on 14/01/2013 - 15:15): https://sowi-online.de/node/342

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