Angesichts der Tatsache, daß in einer Reihe von Bundesländern daran gedacht wird, benachbarte Fachdidaktiken zu "Bereichsdidaktiken" mit nur einer Professur zusammenzufassen, stellt die KVFF fest,
In den Fächern der Schule und den Wissenschaftsdiziplinen spiegeln sich grundlegende Zugänge des Menschen zur Welt. Erdkunde steht z.B. für das Verhältnis des Menschen zum Raum, Biologie für den Bezug zur lebenden Umwelt, Geschichte für das Verhältnis zur Vergangenheit usw. Daraus ergeben sich die spezifischen Fragestellungen der Fachdidaktiken. Durch sie werden die Verstehensvoraus-setzungen von Heranwachsenden mit den Erkenntniswegen von Wissenschaftsdisziplinen in Verbindung gebracht. In diesem Sinne bedarf jegliche Fachdidaktik fachwissenschaftlicher Bezüge. Das gilt sowohl für die fachdidaktische Lehre als auch für fachdidaktische Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Zwar gibt es spezifische Gemeinsamkeiten verwandter Wissenschaftsdisziplinen, aber nicht im Sinne von systematisch bearbeiteten "Wissenschaftsbereichen", auf die sich eine "Bereichsdidaktik" beziehen könnte. Mit dem Anliegen interdisziplinärer Unterrichtsangebote kann nur gemeint sein, daß Problemkomplexe gemeinsam von kompetenten Fachdidaktikern angegangen werden. Die Fachdidaktiken mit ihren fachwissenschaftlichen Bezügen sind also die notwendigen Elemente, mit denen diese Integration erreicht werden kann. [/S. 28:]
Wenn von den schulischen Lernprozessen her gedacht wird (fachübergreifendes Lernen, Projektlernen, fächerverbindendes Lernen usw.), braucht es für die Lehrerausbildung nicht den globalen "Bereichsdidaktiker", sondern die Vielfalt der Fachdidaktiken mit interdisziplinären Ausrichtungen. Das Verfolgen der Fiktion von "Bereichsdidaktiken" hätte lediglich zur Konsequenz, daß inhaltliche Beliebigkeit in der Ausbildung und letztlich auch im Unterricht an die Stelle konkreter und systematischer Erkenntnis und Wissensvermittlung tritt.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß das Fach Sachunterricht wie auch andere Fächer der Grundschule als "Lernbereich" bezeichnet wird. Vergleichbares gilt für das Fach Arbeitslehre, das ein "Lernfeld" darstellt. Die Stellungnahme der KVFF bezieht sich nicht auf diese Tradition, sondern auf die Vorstellung, Didaktiken verschiedener Fächer zusammenzulegen, und auf die dafür geprägte Wortschöpfung "Bereichsdidaktik".
Fachdidaktik als Wissenschaft ist in ihrem Bemühen um die Aufarbeitung fachwissenschaftlicher Erkenntnisse für den Unterricht und um die Modellierung fachspezifischer Lehr-/Lernprozese im jeweiligen Fach immer schon auf Verbindungen zu pädagogischen und gesellschaftlichen Kontexten hin angelegt. Schon der traditionelle schulische Fachunterricht, erst recht aber das pädagogische Bestreben, die lebensweltlich geprägten, handlungsbezogenen Interessen von Kindern und Jugendlichen aufzugreifen, erfordern von den Fachdidaktikern als Ausbilder zukünftiger Lehrer die Integration von fachlichen, erziehungswissenschaftlichen und fächerverbindenden Kompetenzen.
Aktuelle gesellschaftliche Probleme sind als Ausgangspunkte für die Förderung fächerverbindender Kompetenzen geeignet. Hier treffen die Interessen der Lernenden mit dem Bedarf an Klärung komplexer Sachverhalte zusammen. Die Bearbeitung derartiger Probleme erfordert Fachdidaktiker mit stark disziplinär gesicherter Kompetenz und [/S. 29:] mit der Bereitschaft zur interdisziplinären Zusammenarbeit. Solche Vernetzungen orientieren sich keineswegs an "bereichsdidaktischen" Grenzziehungen, sondern verlaufen großenteils quer dazu. Beispielsweise erfordert die Bearbeitung von Problemen der Gentechnik im Unterricht der Oberstufe des Gymnasiums die Kooperation von Biologie sowie von Philosophie- bzw. Religionsdidaktikern. Ein anderes Beispiel sind die notwendigen Kooperationen zwischen Didaktikern einzelner Sachfächer und einzelner Fremdsprachen im Rahmen der Ansätze des bilingualen Unterrichts im Primar- und Sekundarbereich. Kooperationen sind also konstitutiv immer schon in fachdidaktisches Selbstverständnis und fachdidaktisches Handeln eingelassen.
Die Einrichtung von "Bereichsdidaktiken" dagegen würde derartige Kooperationen verhindern. Denn sie ist nicht an den eben genannten realen Problemen von Gesellschaft und Erfahrung orientiert, sondern ist auf imaginäre Superwissenschaften als Bezugsrahmen gerichtet, die es so nicht gibt noch geben kann. Fächerübergreifende Probleme und Fragestellungen können und müssen kooperativ, aber doch immer auch von verschiedenen disziplinären Ansätzen der Erkenntnis und der Problemlösung her bearbeitet werden. Andernfalls ginge die Vielfalt der mit den Fächern verbundenen Perspektiven verloren.
Statt gegenstandslose "Bereichsdidaktiken" ins Gespräch zu bringen und damit Fachdidaktiken zu verdrängen, ist es einzig sinnvoll, die Fachdidaktiken in ihren interdisziplinären Bemühungen zu stützen (s. hierzu die Stellungnahme der KVFF "Zur Lehrerbildung an Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen" vom 6.12.1996).
Insbesondere auf inhaltlichem und methodischem Gebiet ist eine innovative Weiterentwicklung des Unterrichts in der Schule durch "Bereichsdidaktiken" nicht zu erwarten. Es ist heute schwer genug, sich einen fundierten Überblick über die Teildisziplinen schon eines [/S. 30:] einzigen Faches zu erarbeiten und zu erhalten. Dies zeigt das Beispiel der Biologie. Zu dieser gehören neben anderen die höchst unterschiedlichen (lehrplanrelevanten) Teilgebiete Biologische Systematik, Neurophysiologie, Soziobiologie, Populationsgenetik, Immunbiologie und Ökophysiologie. Es ist schlechterdings unmöglich, sich einen Überblick über mehrere Fächer zu verschaffen, und Lehrerbildung verträgt keine fachdidaktische Inkompetenz.
Auch die Aufgaben der Fachdidaktik in der Lehrerfortbildung können von "Bereichsdidaktiken" nicht übernommen werden. Dies gilt selbst für den fächerübergreifenden Unterricht, der auf einen fachlichen Standort angewiesen ist, um von dort aus fachübergreifende Perspektiven entwickeln zu können. Ein solcher Unterricht ist aber nur dann legitimierbar, wenn er von mehreren Fächern her wissenschaftlich verantwortet werden kann. Auf diese Weise wird ein Dialog ermöglicht, der fundierter ist und weiter greift, als dies in "Bereichsdidaktiken" geleistet werden könnte.
Die Propagierung von "Bereichsdidaktiken" ist demnach ein rein politisches Manöver. "Bereichsdidaktiken" lassen sich weder sinnvoll in der Wissenschaftsstruktur verankern noch aus der Sache heraus oder wissenschaftstheoretisch begründen. Da die Bildung von "Bereichsdidaktiken" konzeptionell nicht zu leisten ist, bleiben zur Begründung allein finanzpolitische Erwägungen. Mit der Konstruktion von "Bereichsdidaktiken" wird einmal mehr durch Verschlechterung der Lehrerausbildung der Bildung und Qualifizierung der jungen Generation Schaden zugefügt.