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Himmelmann, Gerhard: Kooperation in der Arbeitslehre (1980)

Unter Kooperation verstehe ich im folgenden

  • die Zusammenarbeit mehrerer Fächer unter dem Leitgedanken der Arbeitslehre
  • die Integration unterschiedlicher Aspekte und Dimensionen der Arbeitslehre sowie
  • die Zusammenfügung theoretischer und praktischer Anteile im Unterricht der Arbeitslehre.

Die Kooperation mehrerer Fächer sollte stattfinden, gleich ob es im Lehrplan ein eigenständiges Kernfach Arbeitslehre neben anderen Fächern (Wirtschaftslehre, Technik/Werken, Sozialkunde, Textilarbeit u.a.) gibt oder nicht. Die Existenz eines Kernfaches Arbeitslehre ersetzt Kooperation nicht. Sie kann diese Zusammenarbeit allenfalls erleichtern.

Wer sich mit dem Problem der Kooperation in der Arbeitslehre beschäftigt, dringt mitten hinein in die Gesamtproblematik der Arbeitslehre. Die Tatsache ist gegeben, daß sich die Arbeitslehre in der Bundesrepublik unterschiedlich - sowohl als eigenständiges Fach als auch als Lern- bzw. Kooperationsbereich mehrerer Fächer - entwickelt hat.

Die Frage, wie Kooperation stattfinden soll, ist jedoch weitgehend ungeklärt. Die Frage bedrängt natürlicherweise vor allem Vertreter des Lernbereichs- bzw. Kooperationskonzepts der Arbeitslehre und setzt sie unter Legitimationszwang. Allerdings bleibt auch das Konzept der Arbeitslehre als Fach von diesem Problem nicht unberührt. [/S. 64:]

2. Fehlender Wissenschaftsbezug und Legitimationsdruck

Die Arbeitslehre ist ein Produkt der Bildungsreform und zugleich ein Fach auf der Suche nach seiner Bezugswissenschaft. Die Bildungsreform stand schlagwortartig unter den Reformprinzipien:

  • mehr Praxis- und Lebensnähe der Schule
  • mehr Wissenschaftlichkeit des Lehrens und Lernens.

Die Forderung nach mehr Praxis- und Lebensnähe der Schule schien zunächst durch die Einfügung der Arbeitslehre in den Aufgabenkatalog der Schulen und in die Lehrpläne sehr schnell und in relativ großer Übereinstimmung aller Beteiligten erfüllt werden zu können. Manche Lehrpläne zeichneten sich allerdings zunächst noch durch ein sehr diffuses - fast naives - Bild der Arbeitslehre aus. In Niedersachsen z.B. wurde die Arbeitslehre 1967 als Prinzip aller Fächer eingeführt. Die Inhalte waren sehr vielfältig und zunächst relativ unkontrovers.

Die intensivere didaktische und auch politische Diskussion um die Arbeitslehre und die in einigen Ländern vollzogene Weiterentwicklung der Arbeitslehre zu einem eigenständigen Schulfach trugen dazu bei, daß ein manifester didaktischer und politischer Druck in Richtung auf die systematische Begründung der für die Arbeitslehre typischen Inhalte und Lernziele entstand. Welche Strukturen und welche Probleme die wissenschaftlich-technische Industriegesellschaft prägten - und damit z.B. auch Inhalt der Arbeitslehre werden könnten - sollte unter Zuhilfenahme der modernen Wissenschaften geklärt werden. Das hieß: Verstärkte Rezeption der Erkenntnisse der Wissenschaften von der wissenschaftlich-technisch geprägten Industriegesellschaft bzw. zumindest Orientierung der Didaktik der Fächer an dem Stand der Diskussion in den wissenschaftlichen Disziplinen.

Im Falle der Arbeitslehre erwies sich die Forderung nach Wissenschaftsorientierung - und Wissenschaftslegitimation - jedoch als Pferdefuß. Es zeigte sich, daß ein Wissenschaftsbezug für die Arbeitslehre so einfach nicht herzustellen war. Es fehlte eine Bezugswissenschaft und ein fachsystematischer Orientierungspunkt für die Entwicklung von Arbeitslehre-Curricula. Angesichts dieser Situation hat sich ein Rückgriff auf vorhandene Fächer und auf bestehende Wissenschaftsdisziplinen oder zumindest eine Anlehnung an sie angeboten.

Nachdem in der frühen Zeit der Arbeitslehre in der Bundesrepublik die Berufspädagogik und die Allgemeine Pädagogik den Ton angaben, drängte gemäß dem Lernbereichskonzept verstärkt Werkdidaktik/Technikdidaktik in den Vordergrund. Dann schalteten sich auch die Wirtschaftspädagogik und schließlich die Politische Bildung ein. Nach einer Phase der Dominanz der Werk- bzw. Technikdidaktik scheint es heute, daß sich die Wirtschaftsdidaktik anschickt, eine zumindest gleichwertige Rolle im Lernbereich der Arbeitslehre zu übernehmen.

Die Auffächerung der Arbeitslehre auf mehrere Fächer und die Orientierung dieser Fächer an einem etablierten Hochschulfach oder an einer Wissenschaftsdisziplin (sei es Technik, Ökonomie oder Politik) hat allerdings deutlich auch dysfunktionale Effekte. [/S. 65:]

Wissenschaftsorientierung bedeutet Verfachlichung und Verfachlichung impliziert Verselbständigung. Die Verselbständigung tendiert ihrerseits zur Abkoppelung bzw. zum Verlust oder zum Verzicht auf die Arbeitslehre-typischen Begründungs- und Organisationszusammenhänge, denn die einzelnen Fächer sind im Prozeß der Selbstlegitimierungen gezwungen, eine eigenständige Fachdidaktik zu entwickeln. Das führt zu Abgrenzungen bis hin zum Abwerfen des Ballasts der Integrations- und Praxisprobleme der Arbeitslehre. Die Partnerfächer im Lernbereich werden im Kampf um Stundenanteile und Personal- und Sachmittel z.T. sogar zu Konkurrenten. Mit dem Rückgriff auf bestehende Fächer bzw. Wissenschaftsdisziplinen wurde m.E. also nicht der Sach- und Fachkanon der Arbeitslehre besser legitimiert, sondern es trat ein Gegeneffekt ein. Die Arbeitslehre scheint mit ihrem Anliegen in der Verfachlichung unterzugehen - oder nur noch in der Durchführung von Betriebserkundungen oder Betriebspraktika oder in einer rudimentären Berufskunde zum Ausdruck zu kommen.

Multidisziplinarität in einem Lernbereich ergibt noch keine Integration der verschiedenen Dimensionen, Situationen oder Aspekte der Arbeitslehre. Multidisziplinarität bedeutet zugleich noch keine schulisch-integrative Verarbeitung des umfassenden Lebens- und Erfahrungsbereichs, den man Arbeits- und Wirtschaftswelt nennt. Diese komplexe Realität läßt sich nicht nur mit einer, die Wirklichkeit nur ausschnitthaft wahrnehmenden und wiedergebenden Wissenschaftsdisziplin bzw. eines entsprechenden Faches erfassen. Auch die bloße Addition und Koppelung verselbständigter Fächer unter einem Lernbereichsdach reicht nicht aus. Zugleich kann keine einzelne Disziplin und kein Einzelfach als maßgeblicher Impulsgeber für die übergreifenden Zielsetzungen der Arbeitslehre fungieren.

Die Verfachlichung und Wissenschaftsorientierung steht m.E. der Forderung nach umfassender, nicht-spezialisierter Praxis- und Lebensnähe der Schule entgegen Es fragt sich, ob die fachwissenschaftliche Orientierung - als erzwunger Umweg zur Absicherung des Kanons der Arbeitslehre - sich nicht insofern als ein zu aufwendiger Umweg oder sogar Irrweg erwiesen hat. Das ist aber nur eine Seite des Problems. Es fragt sich generell, ob der Sach- und Fachkanon von Schulfächern (Technik, Wirtschaftslehre, Sozialkunde etc.) selbst schon aus den entsprechenden Wissenschaften hergeleitet werden kann.

3. Dilemma der Wissenschaftsorientierung

Wissenschaftsdisziplinen verfahren ihrer Struktur und ihrer sozialen Praxis nach selektiv, kontrovers und abstraktmodellhaft. Jede Wissenschaft nimmt Realität nur ausschnitthaft - selektiv - wahr. Sie zerschneidet die Realität angesichts der wissenschaftlichen Arbeitsteilung und Spezialisierung in besser handhabbare Teile. Diese Ausschnitte müssen nicht mit den Ausschnitten identisch sein, die den Schulfächern zugeordnet sind.

Der kontroverse Charakter der Wissenschaft zeigt sich beispielhaft in den unterschiedlichsten Ansätzen, Methoden, Approaches, Modeströmungen und Trends, die jede Wissenschaftsdisziplin prägen: In der politischen Wissen-[/S. 66:]schaft wird modellhaft ein normativ-ontologischer Ansatz, ein empirisch-analytischer Ansatz und ein kritisch-dialektischer Ansatz unterschieden. In der Volkswirtschaftslehre kann man mindestens den neoklassischen, den keynesianischen, den kritisch-alternativen und den marxistischen Ansatz unterscheiden. Die Betriebswirtschaftslehre zerklüftet sich zwischen dem faktorallokationstheoretischen, dem entscheidungsorientierten, dem systemanalytischen und dem arbeitsorientierten Ansatz. Der Positivismusstreit in der Soziologie ist ein Beispiel aus der Soziologie, zu schweigen von der Kontroverse zwischen einer "general theory" und der empirischen Sozialforschung. Jeder Approach in einer Wissenschaftsdisziplin selektiert die Realität ein zweites Mal - über den Ausschnitt hinaus, dem die Einzeldisziplin selbst aus dem komplexen Gebilde der Alltagswirklichkeit herausschneidet.

Angesichts der Fülle der Kontroversen, Theorien, Schulen und Richtungen in den Einzeldisziplinen und angesichts der Fülle der in ihnen zum Ausdruck kommenden Interessen erscheint es äußerst schwierig auszumachen, was der Stand der Wissenschaft ist bzw. was als Orientierungspunkt für eine Fachdidaktik oder als Legitimierungspunkt für die Inhalte eines Schulfaches gelten kann.

Die Wissenschaftsorientierung hat in einigen Fächern zu z.T. lehrreichen Zwischenergebnissen geführt. Im Boom der Fachdidaktiken entstand eine Didaktik nach Maßgabe einer Wissenschaftsorientierung und eine andere nach Maßgabe einer anderen Wissenschaftsrichtung. Der Streit der Wissenschaftsrichtungen führt unweigerlich zu einem Streit der Fachdidaktiker je nachdem, welche Wissenschaftsrichtung sie präferieren. Meist kommt dann noch ein manifester politischer Konflikt nach Maßgabe der förderalistischen Kulturpolitik zwischen den C-Ländern und den S-Ländern hinzu, der sich zur Blockade von Bildungspolitik überhaupt ausweiten kann. Wie der langjährige Streit um die Didaktik der Politischen Bildung/Sozialkunde gezeigt hat, sahen sich Fachdidaktiker zuweilen gezwungen, auf die Wissenschaftstheorie zurückzugreifen, um nach einer Meta-Theorie des Konsensus zu suchen, ein Suchproblem, das sich u.a. durch den ungelösten Theoriestreit in den Fachwissenschaften stellt. Eine Meta-Theorie ist jedoch nicht zu finden, sondern eher unterschiedliche Theorien über die Bildung von Meta-Theorien, als weiteres Spiegelbild des Pluralismus in der Gesellschaft. Oder sie sahen sich gezwungen, auf das Grundgesetz zurückzugreifen, um ihren immanenten oder explizit ausgewiesenen politischen Standort als noch innerhalb des Konsenses des Grundgesetzes zu legitimieren. Ein Fixpunkt ergibt sich allerdings auch hier nur in sehr loser Form, da das Grundgesetz verschiedene Interpretationen zuläßt.

Was von der Forderung nach fachwissenschaftlicher Orientierung bleibt, ist eigentlich die bescheidene Tatsache, daß es über einen Tatbestand verschiedene Meinungen geben kann, daß unterschiedliche Positionen soweit wie möglich ausgewiesen werden müssen, daß unterschiedliche Problemdefinitionen zu unterschiedlichen Problemlösungen führen.

Wenn dies das Ergebnis der fachwissenschaftlichen Orientierung bzw. der jüngeren - auch wissenschaftstheoretisch und wissenschaftspolitisch geführten - Diskussion wäre, könnte es schon als ein überaus wichtiges Ergeb-[/S. 67:]nis gelten. Die Folge ist eine Relativierung und "Entmythologisierung" der Fachwissenschaften - zumal einer einzigen Fachwissenschaft oder einer speziellen Richtung - als den bestimmenden Bezugspunkten von Lehrerausbildungsfächern. Das Ergebnis dieser Entmythologisierung mag die Vertreter der Arbeitslehre allerdings wiederum außerordentlich ermutigen. Können sie nicht froh sein, daß auch andere Fächer Probleme mit ihren Bezugsdisziplinen haben? Die Entmythologisierung führt in gewisser Weise zu einem Lob des "common sense" eines Arbeitslehre-Pädagogen, der nach spezifisch didaktischen, d.h. vor allem formalen Kriterien vorgeht, der seinen Gegenstandsbereich - ohne vorschnelle und strikte Disziplinierung durch die Fachsystematik einer Bezugsdisziplin - als komplexe Alltagswirklichkeit und als komplexes Handlungs- und Entscheidungsfeld akzeptiert, der seinen Gegenstand gemäß der situativen Erfahrung der Schüler aufzufächern und ihn mehrdimensional zu erarbeiten sucht.

Als Folgerung aus dem Dilemma der fachwissenschaftlichen Orientierung und der möglichen doppelten Selektivität der Fachwissenschaften als Bezugswissenschaften läßt sich - überspitzt und verkürzt - formulieren: Die Wissenschaftlichkeit eines Lehrers erweist sich nicht darin, daß er die oft verzwickten und weit verzweigten Verästelungen der Fachtheorien in den Bezugswissenschaften im Griff hat, sondern sie zeigt sich vor allem in der Fähigkeit, wie der Lehrer ein Problem im Unterricht gemäß dem Kenntnis- und Erfahrungsstand der Schüler präsentiert, damit die Schüler einen ihnen gemäßen Lernfortschritt erzielen. Freilich wird ein Lehrer ohne fachwissenschaftliche Grundlagen nicht auskommen. Jedoch gilt, daß ein Lehrer - zumal ein Mehr-Fach-Lehrer - auch mit einem fachwissenschaftlichen Defizit wird leben müssen.

4. Didaktische Kriterien der Kooperation

Kooperation ist eine besondere und zusätzliche Aufgabe der im Lernbereich verbundenen Fächer. Sie steht unter besonderen didaktisch-pädagogischen Prinzipien. Die Kooperation von Fächern im Lernbereich wird nicht aus der Fachsystematik der Einzelfächer heraus erzwungen, sondern aus der spezifischen pädagogischen Intention und der besonderen didaktischen Fragestellung, die zu der Koppelung bestimmter Fächer im Lernbereich Arbeitslehre mit dem Auftrag zur Kooperation geführt haben.

Eine bloße Zusammenfassung von Einzelfächern zur besseren Ergänzung der jeweils fachspezifisch bleibenden, begrenzten Fragestellungen der Einzelfächer oder zur Ausfüllung wahrgenommener fachspezifischer Defizite (ökonomisch-politisches Defizit der Technik, technisch-politisches Defizit der Ökonomie, ökonomisch-technisches Defizit der Sozialkunde) ergäbe allein noch keinen spezifischen Sinn für die Arbeitslehre. Wie die Arbeitslehre als Fach muß auch die Kooperation in einem Lernbereich Arbeitslehre gemäß ihrer pädagogischen Aufgabe nach didaktischen Kriterien eigenständig begründet und organisiert werden.

Welches sind also die spezifisch pädagogisch-didaktischen Prinzipien, die erstens Arbeitslehre-typisch sind, die zweitens zu einer Koppelung von [/S. 68:] Einzelfächern unter dem Dach des Lernbereichs Arbeitslehre mit dem Auftrag der Kooperation geführt haben und unter denen sich drittens eine Kooperation didaktisch begründet vollziehen kann?

1. Offensichtlich soll durch die Koppelung spezifischer Fächer in einem Lernbereich ein spezifischer Gegenstandsbereich erschlossen werden. Dieser Gegenstandsbereich ist vorderhand nicht identisch mit dem Sach- und Fachkanon eines oder mehrerer der beteiligten Fächer.

Der spezifische Gegenstandsbereich der Arbeitslehre ergibt sich aus den besonderen Problemen, Erfahrungen und Situationen, denen die Schüler aktuell oder zukünftig in der Arbeits- und Wirtschaftswelt ausgesetzt sind. Für die Arbeitslehre ist dieser Gegenstands- und Problembereich die Arbeit. Bei dieser Gegenstandsdefinition ist eine Überschneidung mit dem Sach- und Fachkanon der anderen Fächer (Technik, Hauswirtschaft, Wirtschaftslehre, Sozialkunde etc.) gegeben oder doch zumindest möglich. Solche Überschneidungen stören nicht, sondern sie bilden sogar das fachlich-inhaltliche Ferment, auf das sich die angestrebte Kooperation der Fächer unter dem Dach des Lernbereichs beziehen kann.

Die Arbeitslehre ist m.E. am besten durch den identitätsstiftenden Begriff der Arbeit charakterisiert. Logische Begründungen dafür gibt es freilich nicht. Als didaktische Kategorie kennzeichnet der Begriff der Arbeit den komplexen sach- und fachspezifischen Bezugspunkt allen Unterrichts in Arbeitslehre.

Arbeit kann nicht nur als das didaktische Zentrum des eigenständigen Faches Arbeitslehre aufgefaßt werden, sondern kann, sofern das Fach selbst nicht besteht, auch als einheitsstiftende Kategosie der Zusammenarbeit verschiedener Fächer in einem Lernbereich gelten. Auf die Erarbeitung dieser komplexen Kategorie hin kann die Kooperation der Fächer des Lernbereichs erfolgen.

Mit dem Begriff der Arbeit und der Ausdifferenzierung seines Bedeutungsgehalts wird eine Theorie des Gegenstands- und Problembereichs der Arbeitslehre konstituiert, sei es, daß die Arbeitslehre als eigenständiges Fach oder als Lernbereich unterschiedlicher Fächer unterrichtet wird.

Durch den didaktisch gerichtet verstandenen Begriff der Arbeit erhält die Kooperation unterschiedlicher Fächer einen eigenständigen Gegenstands- und Aufgabenbereich, der sich im Kern - bei vielfältigen Überschneidungen - von den Gegenstands- und Aufgabenbereichen der beteiligten Fächer unterscheidet, ihnen zugleich aber einen gemeinsamen Orientierungspunkt gibt.

2. Begriffe - zumal didaktische Begriffe - sind sprachliche Netze (Instrumente) zur komprimierten Erfassung der Realität. Der allgemeine Begriff der Arbeit ist noch viel zu abstrakt und vieldeutig, als daß er schon Ansatzpunkt für die Inhaltsauswahl im Rahmen der Kooperation im Lernbereich der Arbeitslehre sein könnte.

Schüler erleben die Alltagswirklichkeit nicht modellhaft oder abstrakt und auch nicht nur sprachlich-begrifflich. Eines der Ergebnisse der Curriculum- Diskussion ist, daß die Schüler die Alltagswirklichkeit situativ erfahren und erleben und später auch in bestimmten Situationen handeln und entscheiden müssen. Für diese Situationen benötigen sie allgemeine Qualifikationen. [/S. 69:]

Den Modell-Platonismus aus der Wirtschaftswissenschaft, die bloße Institutionenkunde aus der früheren Politikwissenschaft oder die system-funktionale Theorie in den Ingenieurwissenschaften zur Grundlage des Unterrichts zu machen, ginge an den Kategorien der Betroffenheit, der Anschaulichkeit und der Erlebnisnähe vorbei. Wir folgen also im Gegensatz zu einem fachsystematischen Ansatz dem situationsorientierten Ansatz in der Didaktik der Arbeitslehre.

Spezifische Situationsfelder der Arbeitslehre können sein: Arbeitsplatz, Betrieb, Beruf. Weitere Situationsfelder sind denkbar und möglich. Um eine sinnvolle und übersichtlich-handhabbare, didaktische Strukturierung zu ermöglichen, sollten sie nicht zu vielfältig, d. h., letztlich beliebig sein. Entscheidend ist nicht die Bezeichnung oder die Definition der Situationsfelder, sondern daß der Zentralbegriff der Arbeitslehre situativ verankert wird und daß die Arbeitslehre unter dem didaktischen Zentrum dem Prinzip der Situationsorientierung folgt. Situationsorientierung meint, daß den Schülern die aktuelle und zukünftige Bedeutsamkeit der vermittelten Inhalte und Themen erkennbar wird.

3. Über den Zentralbegriff der Arbeitslehre und über die Situationsfelder kommen eine Fülle von Sachverhalten in das Blickfeld. Es ist ein wichtiges Ergebnis der bisherigen Arbeitslehre-Diskussion, daß die Arbeit realitätsentsprechend und pädagogisch sinnvoll nur mehrdimensional betrachtet werden kann. Jede einseitige, nur technische, nur ökonomische oder nur politisch-soziale Betrachtung der Arbeit verstoße gegen die Schnittpunktlage der Arbeit zwischen Technik, Ökonomie und Politik und würde eine Selektion von möglichen Sachverhalten bedeuten, die im Begriff der Arbeit und in der Situationsorientierung umfassend angelegt sind. Arbeit hat eine individuelle und eine gesellschaftliche Dimension und vollzieht sich in einem technischen, ökonomischen und politisch-sozialen Beziehungsgeflecht. Diese mehrdimensionale Betrachtung (Aspektierung) muß sich neben der Situationsorientierung in einem kooperativ angelegten Arbeitslehre-Unterricht niederschlagen. Die Mehrdimensionalität soll freilich nicht als Zwang verstanden werden, der den Lehrer mehr unter Druck setzen als ihm helfen würde. Mehrdimensionalität ist ein Angebot an die Lehrer zur weiteren Strukturierung des Unterrichts.

Die Kooperation mehrerer Fächer im Lernbereich der Arbeitslehre kann exemplarisch dazu dienen, diese Mehrdimensionalität im Unterricht zu verwirklichen und damit einen besonderen Typus des kooperativen Unterrichts zu verwirklichen. Eine Integration der unterschiedlichen Dimensionen und Aspekte der Arbeitslehre wäre damit das Ziel der Kooperation im Lernbereich Arbeitslehre.

Ein mehrdimensionaler Unterricht kann die komplexe Realität ansatzweise im Unterricht als nicht-verengte und nicht-spezialisierte Realität rekonstruieren. Der mehrdimensionale Unterricht vermeidet, die Wirklichkeit künstlich-fachlich zu verengen oder die lebendige Umwelt zu verkürzen.

Neben einer Theorie des Gegenstands- und Problembereichs der Arbeitslehre und einer Curriculum-Theorie ist damit eine bestimmte Unterrichtstheorie angesprochen. [/S. 70:]

4. Schließlich stützt sich die Arbeitslehre - ganz gleich, ob sie als Fach oder als Lernbereich organisiert ist - auf eine dreifache Lernzielbestimmung, wie sie das Ergebnis der Lerntheorie ist. Kognitives, affektives und instrumentelles Lernen gehören in der Arbeitslehre zusammen. Wo eine dieser Lernzielebenen in einem Fach nicht erreicht werden kann (z.B. das instrumentelle Defizit der Sozialkunde), ist es auf die Kooperation mit anderen Fächern angewiesen.

Welches die zu erreichenden Qualifikationen sind, die in konkrete Lernziele umgesetzt werden, oder welches das erkenntnisleitende didaktische Interesse ist, kann allenfalls formal entschieden werden (Selbstbestimmung. Urteilsfähigkeit, Handlungsfähigkeit). Ansonsten unterliegt die Bestimmung der Lernziele in besonderer Weise der politisch verantwortlichen Entscheidung. Jedoch gerade die Praxis- und Lebensnähe der Arbeitslehre weist der dritten Lernzielebene eine besondere Bedeutung zu, wobei die handelnde Auseinandersetzung, das problemlösende Denken und das entscheidungsorientierte Urteilen von entscheidendem Gewicht sind.

5. Aus der Methodik des Unterrichts haben sich für die Arbeitslehre typische Unterrichtsverfahren herausgebildet, die nicht minder zum klassischen Bestand der Didaktik der Arbeitslehre zählen können. Es sind dies die Werkarbeit der Schule, die Simulation, das Planspiel, die Erkundung, das Praktikum, das Expertengespräch u.a.

Diese für die Arbeitslehre typischen Methoden sollen die Anschaulichkeit des Unterrichts unterstützen. Sie sollen den Schülern Gelegenheit geben, eigene Erfahrungen zu sammeln, sich Urteile zu bilden, eigene Entscheidungen zu treffen und deren Folgen abzuschätzen sowie evtl. eine Urteils- und Entscheidungskorrektur zu vollziehen.

Die Kooperation im Lernbereich stützt sich auf diese Methoden, sie erschöpft sich allerdings auch nicht nur in der Anwendung dieser Methoden. Wir fassen zusammen:

Die Andeutungen eines Konzepts der Kooperation im Lernbereich Arbeitslehre gründen sich auf eine bestimmte Theorie des Gegenstandes der Arbeitslehre, auf eine Theorie des Curriculums, eine Theorie des Unterrichts und eine Theorie der Lernziele sowie auf eine bestimmte Methodik. Die Kooperation im Lernbereich der Arbeitslehre erscheint sinnvoll und notwendig, um folgende Gesichtspunkte zum Tragen zu bringen:

  • Erarbeitung des didaktischen Zentrums der Arbeitslehre,
  • Situationsorientierung bei der Inhaltsauswahl,
  • Integration der Dimensionen und Aspekte der Arbeitslehre,
  • Realisierung der drei Lernzielebenen, insbesondere der praktischen und
  • Realisierung der Arbeitslehre-typischen Methoden.

Je nach der Intensität, mit der die im Lernbereich zusammengeschlossenen Fächer selbst schon diesen Kriterien folgen oder ihnen nahekommen, bestimmt sich der Umfang und die Intensität, mit der die Abstimmung unter den Fächern und die unterrichtliche Zusammenarbeit betrieben werden muß. Der Umfang und die Intensität der Zusammenarbeit hängt nicht zuletzt davon ab, ob es neben den Kooperationsfächern selbst noch ein Kernfach Arbeitslehre gibt oder nicht. [/S. 71:]

Das hier vertretene Konzept einer Didaktik der Kooperation im Rahmen des Fächerverbundes der Arbeitslehre anerkennt die beteiligten Fächer als selbständig und eigenständig. Es folgt keinem "Fächerimperialismus", einer Strategie der Verdrängung bestehender Fächer zugunsten eines neuen Faches. Die Lernbereichsdidaktik gibt lediglich Hinweise, unter welchen Prinzipien sich die Kooperation im Lernbereich vollziehen kann. Es scheint, daß auf der Grundlage einer solchen Lernbereichsdidaktik die konkreten Formen der Kooperation leichter zu diskutieren sind als ohne ein solches Konzept.

Anmerkung

(1) Vortrag, gehalten anläßlich der Jahrestagung der "Gesellschaft für Arbeit, Technik, Wirtschaft im Unterricht" 29.-31.10.1979 in Oberursel. Eingangsdatum: 15.03.1980. Anschrift des Verfassers: Dr. Gerhard Himmelmann, Bäckerplatz 8, 3151 Rietze.

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