sind, ist ein Prozess, der sowohl durch die widersprüchlichen Anforderungen, Möglichkeiten und Gefährdungen der Berufs- und Arbeitswelt bestimmt ist als auch dadurch, wie Jugendliche die vorgefundene Wirklichkeit wahrnehmen und interpretieren, sich ihr anpassen oder sie ihren Wünschen und Interessen entsprechend zu gestalten suchen. Vergleichen wir den Berufsfindungsprozess von weiblichen und männlichen Jugendlichen, so zeigt sich einerseits eine Angleichung der Geschlechter beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt auch in einer widersprüchlichen Situation. Einerseits führen längere Schul- und Berufsausbildungen, die zunehmende Erwerbstätigkeit der Frauen, die tendenzielle Auflösung traditioneller Frauenbilder sowie Veränderungen "privater" Lebensformen zu einer stärkeren Individualisierung und Ausdifferenzierung weiblicher Lebensläufe. Andererseits aber grenzen die Geschlechterverhältnisse, die grundlegend sind für die Zuweisung von Ressourcen wie "Arbeit" und "Einkommen", noch immer die Möglichkeiten der Mädchen beim Übergang von der [/S. 118:] Schule in die Arbeitswelt ein, beeinträchtigen die Chancen der Frauen in Ausbildung und Beruf und lassen die subjektiven Orientierungen der weiblichen Jugendlichen nicht unberührt.

Zweifellos kann Schule auf die Arbeitswelt nicht direkt verändernd einwirken, wohl aber kann sie den Prozess der Berufsfindung begleiten, Erklärungen anbieten für die widersprüchliche Situation der weiblichen Jugendlichen, und sie kann vor allem den weiblichen Jugendlichen die Möglichkeit bieten, ihre Wahrnehmungen der (Arbeits-) Wirklichkeit zur Diskussion zu stellen, zu überprüfen und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Dass dies notwendig ist und warum trotz aller Einschränkungen der schulischen Berufsorientierung ein hoher Stellenwert beizumessen ist, möchte ich an einigen Interviewauszügen deutlich machen. Die Äußerungen der 13- bis 15jährigen Schülerinnen, die in der Schule in einem "Mädchenprojekt" mit von uns entwickelten Unterrichtsmaterialien arbeiteten, geben auch einen Hinweis darauf, was schulische Berufsorientierung leisten könnte oder sollte.

Zunächst Sonja auf die Frage nach Problemen und Schwierigkeiten weiblicher Auszubildender in männlich dominierten Berufen:

"Weil, wenn man so in einen Betrieb kommt, wo hauptsächlich Männer arbeiten, und dann als einzige Frau da ist, und dann wird schon, also so Blicke kriegt man dann schon mit, und dann wird auch über einen geredet, und das denkt man sich auch alles schon vorher."

Zum gleichen Thema Ilka, eine Hauptschülerin:

"Als Erstes musst du (..) zeigen, was du kannst, und vor allen Dingen musst du nicht nur einmal, sondern mehrere Male musst du beweisen, dass du gut bist, dass man dich genauso respektieren kann wie die Männer auch."

Beate, die ihren Berufswunsch Mechanikerin inzwischen aufgegeben hat: [/S. 119:]

"Ja, weil die Eltern so dagegen sind. Also, mein Vater, der sagt, ich soll so was machen, bloß nicht in ne Firma gehen, da, wo nur Männer sind und so z. B. mit Mechaniker. Ich weiß nicht, ich werkel da gern so rum. Ich nehm mein Radio auseinander oder so, meint er, ich soll das bloß sein lassen, ich kann, ich könnte das sowieso nicht."

Zu einem anderen Thema die Aussage von Dagmar:

"Meine Zukunft? Naja, heiraten, Kinder haben und trotzdem berufstätig bleiben. (...) Och, wenn es nach mir ginge, dann würde ich die ganze Zeit nur im Kindergarten arbeiten, also überhaupt nicht mehr aufhören ... aber das ist eben fast unmöglich."

Oder Tanja, die vehement den Wunsch nach Beruf und Familie vertritt:

"Wenn man also 'ne Arbeit hat, also den ganzen Tag, dann kann man auch kein Kind, keine Familie gründen, zumal wenn man Erfolg haben will auch in dem Beruf und nach oben streben möchte, da kann man sich dann keine Familie leisten. Ich mein, `n Ehemann klar, das kann man immer, aber so Kinder, das ist dann schon schwieriger, dann muss man für die Kinder da sein, das ist eben auch ein Problem ... Ich mein, wenn man Familie gründet, dann bleibt man eigentlich immer zu Hause, und dann hat man Gelegenheitsjobs und so halbtags, und das ist dann auch nicht das Wahre. Das lässt sich nicht ändern."

Und Angela auf die Frage, ob nicht auch der Partner die Kinderversorgung übernehmen könne:

"Wenn`s für mich schon schwer ist, allein zu Hause zu bleiben, dann wird`s dem Mann bestimmt auch genauso schwer sein. Das kann ich ja dann nicht verlangen, wenn ich arbeiten will, dass er zu Hause bleibt."

Und zum Schluss noch einmal Tanja auf die Frage, ob sich für sie durch das Mädchenprojekt etwas geändert hat: [/S. 120:]

"Durch das Mädchenprojekt, also da hat sich schon viel geändert. Früher hab ich immer gedacht: Ach, wenn du Kinder hast, hörst du auf zu arbeiten und du bleibst zu Hause. Und jetzt denke ich eben, och, du gehst auch arbeiten und lässt dich nicht unterdrücken. Das hat sich geändert."

Keine dieser Äußerungen ist repräsentativ, und das "Mädchenprojekt" hat keinen zusätzlichen Ausbildungsplatz geschaffen und auch die realen Bedingungen der Mädchen beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt nicht verändert. Dennoch lassen sich "Erträge" dieser Form und Inhalte schulischer Berufsorientierung festhalten:

  • Das Projekt hat den Mädchen andere Interpretationsmöglichkeiten ihrer widersprüchlichen Situation zwischen Individualisierungsansprüchen und Anpassungszwängen angeboten,
  • es hat über die Analyse des historischen Entwicklungsprozesses der geschlechtlichen Arbeitsteilung gegen die von den Mädchen immer wieder vertretene Ansicht "Das lässt sich nicht ändern" die Gewordenheit und Veränderbarkeit der Geschlechterverhältnisse gesetzt,
  • es hat ihre Erfahrungen und ambivalenten Orientierungen ernst genommen und ihnen über Selbstbehauptungstrainings Verhaltensweisen vermittelt, um gegen "die Blicke, die frau so mitkriegt" etwas zu setzen, und
  • es hat sie nicht zuletzt ermutigt, ihren Anspruch auf Beruf und Familie, auf die Verwirklichung außerhalb der Erwerbsarbeit liegender Interessen offensiv zu vertreten und eine Veränderung der Organisation und Verteilung gesellschaftlicher Arbeit zu fordern.

In der Aufklärung über Strukturen und zentrale Entwicklungstendenzen der Arbeitswelt, in der Diskussion und Überprüfung der Interpretationen gesellschaftlicher Wirklichkeit, in der Unterstützung berechtigter Ansprüche, im Aufzeigen, Diskutieren und Erproben alternativer Handlungsmöglichkeiten jenseits der traditionellen [/S. 121:] weiblichen oder männlichen Verhaltensweisen und Erwerbsbiografien liegen m. E. die Aufgaben und die Möglichkeiten schulischer Berufsorientierung.

Wollen wir die weiblichen Jugendlichen weder an die vorherrschende geschlechtliche Arbeitsteilung und damit verbundene Erwartungen anpassen noch ihnen die männliche Erwerbsbiografie als neue Norm empfehlen, so muss es um die Entwicklung einer kritischen, d. h. einer auf die Veränderung einengender und diskriminierender Bedingungen gerichteten Handlungsfähigkeit gehen. Kritische Handlungsfähigkeit als Ziel schulischer Berufsorientierung, darunter verstehe ich die Motivation und Kompetenz der Mädchen,

  • eigene Erfahrungen und erworbene Orientierungen als vorläufige Interpretationen gesellschaftlicher Bedingungen auf befriedigendere Alternativen hin zu reflektieren;
  • die geschlechtliche Arbeitsteilung und die sie legitimierenden Ideologien und Geschlechtsstereotypen im Hinblick auf einengende und diskriminierende Handlungsbedingungen hin zu überprüfen;
  • Arbeitssituationen interessenbewusst, d. h. im Hinblick auf die Verringerung diskriminierender und inhumaner Restriktionen zu interpretieren und zu gestalten.

Einer solchen kritischen Handlungsfähigkeit stehen die vorherrschende Theorie und Praxis der Berufsorientierung in der Schule entgegen.