Nach vorliegenden Untersuchungsergebnissen orientiert sich der Ausbildungsabbruch in erster Linie am aktuell wahrgenommenen Ausbildungsgeschehen. Dabei spielen neben den zwischenmenschlichen, betriebsklimatischen Problemen auch die berufsinhaltliche Seite und die betrieblichen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle (vgl. Hensge 1984 und 1987). Neben den genannten Gründen für eine mögliche vorzeitige Lösung der Ausbildung sollen deshalb die betrieblichen Ausbildungsbedingungen und -erfahrungen der potenziellen Abbrecher mit denen der anderen Auszubildenden, die nicht an Abbruch denken verglichen werden. Ziel hierbei ist es, herauszuarbeiten, ob es in der Einschätzung des Ausbildungsgeschehens zu unterschiedlichen Bewertungen zwischen den beiden Gruppen kommt.

Das soziale Klima im Betrieb, besonders das Verhältnis zum Vorgesetzten bzw. zum Ausbilder ist ein maßgeblicher Indikator für Ausbildungszufriedenheit und Motivation und hat damit auch Auswirkungen auf die Bereitschaft, eine Ausbildung abzubrechen.

Nach einer Analyse des sozialen Kontextes bei den befragten Auszubildenden zeigt sich, dass von den abbruchgefährdeten Auszubildenden 60 Prozent "häufig oder manchmal" Probleme mit ihren Vorgesetzten/ Ausbildern haben, während dies lediglich von einem Viertel der Vergleichsgruppe angegeben wird. Auch mit Kollegen/ -innen haben sie mehr als doppelt so häufig Schwierigkeiten, als die Vergleichsgruppe. Das soziale Klima der Auszubildenden untereinander wird von den potenziellen Abbrechern ebenfalls doppelt so häufig als belastend empfunden als von der Vergleichsgruppe. [/S. 62:]

 

Abb. 1

Quelle: BIBB Projekt 1.4001 "Ausbildung aus Sicht von Auszubildenden"

 

Wenn Schwierigkeiten mit Vorgesetzten/ Ausbildern auftreten, so wird vor allem das autoritäre Verhalten angeführt sowie die Nichteinhaltung von Regeln und Vorschriften, deretwegen es zu Auseinandersetzungen kommt. Hierzu beispielhaft einige Anmerkungen von Auszubildenden: "Das Lernziel interessiert die Ausbilder fast gar nicht. Hauptsache arbeiten! Am besten alles alleine machen ohne zu fragen! Perfekte Azubis! Habe selbst Ehrgeiz, deshalb gute Noten aber ansonsten herrscht Frust und Desinteresse durch ungerechte Behandlung." (Abiturient, 27 Jahre) oder "Ich fühle mich ausgenutzt von meinem Ausbilder. Wenn man mal etwas falsch gemacht hat, darf man gleich putzen." (Realschülerin, 19 Jahre). Für Probleme sowohl im Kollegenkreis als auch mit den anderen Auszubildenden wird überwiegend unsolidarisches Verhalten verantwortlich gemacht.

Auf die pädagogisch-soziale Gestaltung der Ausbildung bezogen schätzen die potenziellen Abbrecher alle erfragten Bereichen deutlich ungünstiger ein als die Vergleichsgruppe (siehe folgende Grafik). Besonders gravierend sind die Unterschiede in den auf den Arbeitsinhalt bezogenen Aussagen wie: "Verrichtung ausbildungsfremder Tätigkeiten" und Vermittlung eines "umfassenden Überblickes über alle beruflichen Anforderungen". Die potenziellen Abbrecher betonen doppelt so häufig wie die Vergleichsgruppe, dass sie manchmal auch Arbeiten verrichten müssen, die nicht zur Ausbildung gehörten, ein Aspekt, der die Jugendlichen besonders stört: "Es sollte eine Kontrolle geben, dass wirklich ausgebildet und nicht ausgebeutet wird. Zum Kaffeekochen, Müllentsorgen, Blumen gießen etc. brauche ich kein Abitur oder drei Jahre Ausbildung!" (Abiturientin, 21 Jahre) oder "Ich finde gut, dass ich die einzige Auszubildende bin, d. h. im Büro. Dadurch bekomme ich alles mit und muss zum größten Teil selbstständig arbeiten. Ich finde nicht gut, dass ich jetzt alle Putzarbeiten (spülen, Fenster putzen, Regale abwaschen, kehren, Ausstellungsraum putzen und Blumen gießen) machen muss, weil mein Chef unsere Putzfrau geschmissen hat und ich ja billiger bin." (Hauptschülerin, 19 Jahre)

Von den Auszubildenden, die nicht an einen Ausbildungsabbruch denken, sind 78 Prozent der Überzeugung, dass sie einen umfassenden Überblick über alle Anforderungen im Betrieb bekommen. Diese Einschätzung teilen aber nur 55 Prozent der potenziellen Abbrecher. "Ich bin seit 7 Monaten 'in Spüle'. Wenn ich etwas anderes mache, ist es Kartoffeln schälen, Salat putzen, Frühstücksvorbereitung oder ab und zu Kaffeegeschäft. So kann ich die Prüfung nie schaffen. Man lernt nichts!" (Realschülerin, 19 Jahre) [/S. 63:]

Auch auf der Ebene der pädagogischen Betreuung fühlt sich diese Gruppe deutlich benachteiligt: Für gute Leistungen werden sie seltener gelobt als die Vergleichsgruppe (41 %, gegenüber 64 %). Außerdem gibt gut jede(r) dritte Auszubildende, die/ der sich mit dem Ausbildungsabbruch beschäftigt, an, dass es niemanden gebe, der sich für seine/ ihre Ausbildung richtig verantwortlich fühle (Vergleichsgruppe: 13 %). "Niemand fühlt sich im Betrieb verantwortlich für mich; jeder gibt mir eher Aufgaben, die überwiegend nicht zu meiner Ausbildung gehören: Die Schuld hierfür liegt beim Chef; der keinen Ausbilder bestimmt hat." (Abiturientin, 20 Jahre)

Wenn sie etwas falsch gemacht haben, erhalten sie seltener eine Rückmeldung durch die Ausbilder und Hinweise, wie man es besser machen könnte, als Auszubildende, die nicht an den Abbruch denken. Dieses Gefühl der unzureichenden Betreuung wird auch noch dadurch unterstrichen, dass die Ausbilder und Betreuer im Schnitt nur 55 Minuten am Tag für sie aufwenden; das sind 25 Minuten weniger als bei der Vergleichsgruppe. Sie haben darüber hinaus seltener die Gelegenheit einzelne Arbeitsschritte und Handgriffe einzuüben bzw. auch mal etwas selbstständig auszuprobieren.

Die abbruchgefährdeten Auszubildenden erhalten seltener eine systematische und planmäßige Ausbildung. Lediglich 32 Prozent betonen, dass sich ihre Ausbildung "voll und ganz" bzw. "weitgehend" am Ausbildungsplan orientiert, gegenüber 55 Prozent bei der Vergleichsgruppe. Sie haben außerdem seltener die Möglichkeit berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten in der Ausbildung zu erwerben, insbesondere auf dem Gebiet moderner Techniken und Organisationsformen. Lediglich beim Kundenumgang und im Bereich Entsorgung und Umweltschutz liegen sie vorne. Nach Einschätzung der potenziellen Abbrecher misst man in ihrem Betrieb den (erfragten) Sozial- und Fachkompetenzen einen geringeren Wert bei als bei der Vergleichsgruppe. Weniger Wert wird bei ihnen vor allem auf Team- und Gruppenarbeit, auf Fremdsprachenkenntnisse, auf Selbstständigkeit und Eigeninitiative sowie auf die Entwicklung eigener Ideen gelegt.

Bei den betrieblichen Unterweisungsformen zeigt sich, dass die unzufriedenen Auszubildenden etwas häufiger noch nach der traditionellen Methode "Zuschauen und Nachmachen" ausgebildet werden, bei über 50 Prozent steht jedoch die selbstständige und eigenverantwortliche Bearbeitung von Arbeitsaufträgen im Vordergrund. Ähnlich wie die Vergleichsgruppe betonen rund 70 Prozent der potenziellen Abbrecher, dass sie in ihrem Ausbildungsalltag auch Tätigkeiten verrichten, die sie "genau so gut und schnell ausführen wie eine Fachkraft". Vor diesem Hintergrund ist u. a. die negative Einschätzung zu werten, wonach 75 Prozent ihre Ausbildungsvergütung, gemessen an ihren Leistungen, als zu niedrig einstufen. Bei der Vergleichsgruppe sind es 62 Prozent. Die größere Unzufriedenheit der potenziellen Abbrecher mit ihrer Vergütung dürfte verstärkt auch darauf zurückzuführen sein, dass sie, wie bereits dargestellt, wesentlich häufiger aus Berufen kommen, in denen niedrigere Ausbildungsvergütungen bezahlt werden. "Es macht Spaß! Nur viel zu wenig Vergütung. Wir arbeiten genauso viel wie Gesellen und haben zusätzlich noch viele Kosten wegen der Ausbildung (z. B. Tickets, Lernmaterial, Schulmaterial)." (Realschülerin, 17 Jahre)

Insgesamt wird deutlich, dass der betriebliche Background bei denjenigen Auszubildenden, die an den Abbruch ihrer Ausbildung denken, sich deutlich ungünstiger darstellt als bei der Vergleichsgruppe. Sowohl was die sozialen und zwischenmenschlichen Aspekte, aber auch betriebliche Rahmenbedingungen und Qualität der Ausbildung selbst anbelangt, fühlt sich diese Gruppe mit erheblich mehr Mängeln und Problemen konfrontiert, die das Ausbildungsverhältnis belasten. [/S. 64:]

 

Abb. 2

 

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