Die tief greifenden Veränderungen in der Erwerbsarbeit und im Beruf haben im Bereich der beruflichen und im Bereich der vorberuflichen Bildung recht unterschiedliche Wirkungen und Aktivitäten ausgelöst. Schon seit längerem finden in der Berufsbildung beschleunigt Aktualisierungen der Ausbildungsordnungen statt. Es werden neue Ausbildungsberufe - zumal im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie - geschaffen. Verschiedene Vorschläge zur Reformierung des Berufsbildungssystems in Richtung auf mehr berufliche Flexibilität der Individuen und eine Neuschneidung des Verhältnisses beruflicher Grund- und Zusatzqualifikationen sind in Arbeit. Dagegen ist die wachsende Bedeutung auch einer möglichst frühzeitigen Berufsorientierung in den allgemein bildenden Schulen zwar erkannt, es fehlt hingegen bislang an vergleichbar abgestimmten Konzepten und bildungspolitischen Initiativen, um beim Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft auch hier Schritt halten zu können.

Die Bundesregierung hat seit 1998 den Dialog mit den für Bildung Verantwortlichen intensiviert. Um den Reformprozess in zentralen wirtschafts-, arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitisch bedeutsamen Bereichen voranzubringen, hat die Bundesregierung im November 1998 das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit eingerichtet. In diesem Bündnis haben Vertreter der Bundesregierung, der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften in der Spitzenrunde sowie den verschiedenen themenorientierten Arbeitsgruppen Vorschläge für mehr Beschäftigung und Qualifizierung sowie zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit erörtert und entsprechende (4) Beschlüsse gefasst, die Schritt für Schritt umgesetzt werden.

Die Notwendigkeit, weitreichende Reformen durchzuführen, betrifft dabei alle Teile des Bildungssystems. In dem von der Bundesregierung zusammen mit den Ländern für einen befristeten Zeitraum eingerichteten Forum Bildung wurden insbesondere bildungsbereichsübergreifende Querschnittsthemen wie "Bildungs- und Qualifikationsziele von morgen" erörtert sowie Reformstrategien zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit des deutschen Bildungssystems entwickelt. Die von Bund und Ländern am 4. Dezember 2001 präsentierten zwölf Empfehlungen des Forums konzentrieren sich schwerpunktmäßig auf zwei Bereiche - die grundlegende Verbesserung der Bildungsangebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sowie die Gestaltung von Rahmenbedingungen, die lebenslanges Lernen ermöglichen.

Darüber hinaus ist es auch eine der wesentlichen Aufgaben der allgemein bildenden Schulen insbesondere in der Sekundarstufe I, die für die Aufnahme einer dualen Berufsausbildung erforderliche Ausbildungsreife der Schüler und Schülerinnen sicherzustellen. In den Ländern wurden hierzu in den vergangenen Jahren zahlreiche Maßnahmen (5) ergriffen, die darauf zielen, den Unterricht in den Kernfächern zu stärken sowie die Hinführung zu Wirtschaft und Arbeitswelt zu verbessern. Die Möglichkeit zur vertieften Berufswahlorientierung nach dem Sozialgesetzbuch III wurde durch das "Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente" (Job-AQTIV-Gesetz) deutlich verbessert. Ab dem Jahr 2002 können Arbeitsämter und Länder in der unterrichtsfreien Zeit Berufsorientierungsmaßnahmen von bis zu vier Wochen Dauer anbieten, wenn sich die Länder mindestens zur Hälfte an der Finanzierung beteiligen. Ergänzend zu diesen Angeboten der Bundesanstalt für Arbeit werden die Aktivitäten der Länder zur Verbesserung der Berufswahlorientierung und -entscheidung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit der Förderung innovativer Projekte zur schulischen Berufsorientierung in dem seit 1999 laufenden Programm "Schule - Wirtschaft/ Arbeitsleben" (SWA) unterstützt.

Ziel des SWA-Programms ist es, die Jugendlichen ihren Erfahrungen entsprechend und praxisnah auf die Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt vorzubereiten sowie in selbstständiger Auseinandersetzung an berufsorientiertes ökonomisches Denken und Handeln heranzuführen. Über die von den Ländern bereits ergriffenen Maßnahmen hinaus werden innovative Konzepte erprobt, die Schülern und Schülerinnen schulartspezifisch und unter Berücksichtigung des Alters, Entwicklungsstandes und geschlechtsspezifischer Unterschiede den Zugang in die Arbeits- und Berufswelt erleichtern. Gefördert werden unter anderem innovative Projekte, die

  • Selbststeuerung und Dokumentation des Berufsorientierungsprozesses fördern (Berufswahlpass)
  • den Einsatz neuer Medien und moderner Computertechnologie für arbeitsweltbezogenes und selbst gesteuertes Lernen in der Schule vorsehen,
  • Informationsdefizite über neue Berufe und Ausbildungsmöglichkeiten bei Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern, Eltern und Betrieben abbauen helfen,
  • Kooperationen von Schulen, Betrieben und Forschungseinrichtungen auf- und ausbauen, mit dem Ziel, Jugendlichen bereits während der Schulzeit mehr Einblicke in Berufe zu geben und Betriebe für die Ausbildung zu motivieren sowie Projekte, die
  • geeignet sind, die Qualifikation von Ausbildungs- und Lehrkräften zu verbessern.

Durch systematische und kontinuierliche, pädagogisch begleitete Einblicke in das Arbeits- und Wirtschaftsleben können geschlechtsspezifische Orientierungen hinterfragt, die Berufs- und Studienorientierung der Jugendlichen verbessert, Berufswahlentscheidungen erleichtert und damit effektivere Übergänge geschaffen werden. Die Auseinandersetzung mit Themen aus der Arbeitswelt soll Selbstständigkeit beim Wissenserwerb und kritischen Umgang mit Wissen fördern, um so den sich wandelnden Anforderungen besser entsprechen zu können. In den geförderten Projekten geht es zusätzlich um die Bündelung der Aktivitäten und Kräfte, die in der Region, in den verschiedenen Verbänden und Trägerorganisationen im Bereich vorberuflicher Bildung tätig sind. Mit diesem Ansatz schließt das SWA-Programm inhaltlich an andere durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Bildungsprogramme wie "Lernende Regionen" oder "Lebenslanges Lernen" an.

Das Rahmenkonzept für dieses neuartige, auf nachhaltige Veränderungen durch Bundesförderung setzende Programm konnte in kurzer Zeit mit den Ländern abgestimmt werden. Auf Grund eines BLK-Beschlusses wurde ein Lenkungsausschuss eingerichtet, der die mit der Steuerung des Programms zu klärenden Fragen berät. Im Herbst 1999 wurde das Programm gestartet. Seit 2001 wird es mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds kofinanziert. Im Rahmen des SWA-Programms sind bis heute in allen Bundesländern sowie bei den Sozialpartnern 36 Projekte gefördert (Stand April 2003). Bislang sind in den SWA-Projekten etwa 32 000 Schülerinnen und Schüler in 530 Schulen - es handelt sich hierbei um alle Schulformen, von der Hauptschule über die Realschule zum Gymnasium, von der Förderschule zu Schulen für Lernbehinderte - und 2 400 Unternehmen beteiligt.

Mit vier Leitideen lässt sich das Programm "Schule - Wirtschaft/ Arbeitsleben" überschreiben. Sie könnten allesamt mit "Schule macht Ernst" charakterisiert werden, weil sie zwar bereits bisher vereinzelt in der Schullandschaft Berücksichtigung fanden, aber sich noch nicht systematisch und dauerhaft durchsetzen konnten:

  1. Schule macht Ernst mit der Wahrnehmung von Schülerinnen und Schülern als "handelnden Subjekten", indem hier die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer und andere Akteure zunehmend in die Rolle von Moderatorinnen und Moderatoren schlüpfen. Sie sind durch Anwendung neuer Lehr- und Lernmethoden bei ersten betrieblichen Arbeitserfahrungen sowie bei der Entwicklung eines eigenen Zukunftskonzepts von Arbeit und Beruf unterstützend tätig.
  2. Schule macht Ernst mit dem Erlernen von Selbstständigkeit und Eigenverantwortung als den heute vielleicht wichtigsten Schlüsselkompetenzen im Arbeitsleben. Diese Schlüsselkompetenzen müssen nicht nur in Ausbildung und Beruf, sondern können und müssen bereits in der allgemein bildenden Schule angeeignet werden (vgl. Feldhoff/ Jacke/ Simoleit 1995). Ansätze hierzu finden sich in einer Reihe von Projekten des Programms "Schule - Wirtschaft/ Arbeitsleben". In der Organisation aufgabenbezogener Betriebspraktika, über die Arbeit an realen betrieblichen Problemstellungen bis hin zur Existenzgründung wird in vielen Projekten das Arbeitshandeln in einen strategischen Zusammenhang mit der betrieblichen Wertschöpfung gestellt. Sie wird - unabhängig von ihrer Form, sei es als Werkstück, Werbeidee oder Software - als Beitrag zur betrieblichen Leistung erkannt und anerkannt.
  3. Schule macht Ernst mit der "Berufswahl als Prozess", indem sie den Übergang an der "ersten Schwelle" zum Arbeitsmarkt nicht "punktualisiert" sondern "flexibilisiert", indem sie beispielsweise die bisherige Stundentafel auflöst, individuelle Orientierung und Lernplanung ermöglicht und die einzelnen Schritte in die Ausbildung mit einem Berufswahlpass dokumentiert bzw. zertifiziert. Die Flexibilisierung der Übergangsphase erhöht insbesondere die Chancen für die so genannten Benachteiligten, deren Integration in das Erwerbsleben sich ohnehin nur als sozialpädagogisch und unterrichtsfachlich begleiteter Prozess vorstellen lässt.
  4. Schule macht Ernst mit der Kooperation aller an der Berufsorientierung Beteiligten und Verantwortlichen, indem sie sich mit Betrieben, Verbänden, Arbeitsverwaltung und anderen Akteuren in regionalen Netzwerken zusammenschließt und dadurch, im Zuge der systematischen personellen und organisatorischen Abstimmung, Kompetenzen bündelt und außerschulische Lernerfahrungen ermöglicht.

Mit dieser Ausrichtung greift das Programm bereits frühzeitig schulpädagogische Leitlinien auf, die später von dem Forum Bildung in seinen zwölf Empfehlungen für Reformen im deutschen Bildungswesen (vgl. Arbeitsstab Forum Bildung 2001) als bildungspolitischer Konsens zwischen Bund, Ländern und Sozialpartnern entwickelt wurden.

Im Programm "Schule - Wirtschaft/ Arbeitsleben" wird sichtbar, dass hier eine länder- und institutionenübergreifende Aufgabe erwachsen und anerkannt ist, zu der in gemeinsamer Anstrengung von Schulen, Betrieben, Kammern, Gewerkschaften, Hochschulen und Kultusministerien Antworten gesucht werden sollen. Das Engagement des Bundes kann insofern als eine Initialzündung für eine schulform- und länderübergreifende Suche und Förderung nach neuen Wegen des Übergangs von der Schule ins Arbeits- und Berufsleben angesehen werden, die von unterschiedlichen Institutionen (Schulen, Hochschulen, Lehrerfortbildungseinrichtungen) ihren Ausgangspunkt nehmen und sich auf verschiedene "Gegenstände" wie beispielsweise stärkere Einbeziehung betrieblicher Experten, Kooperation Schule - Wirtschaft - Hochschule oder neuer Unterrichtsmaterialien mit multimedialer Nutzung beziehen kann.