Unter "Berufswahlfähigkeit" konnte man bis weit in die siebziger Jahre hinein noch die Fähigkeit verstehen, sich unter genauer Kenntnis seiner Wünsche und Fertigkeiten wie auch des zumeist regionalen betrieblichen Ausbildungsplatzangebots für einen "Lebensberuf" entscheiden zu können. Dieses Bild vom Beruf entspricht heute kaum mehr der Realität und wird morgen erst recht überholt sein. Berufsorientierung erfordert heute mehr als das traditionelle Verständnis von "Berufswahlfähigkeit". Die Berufs-, Tätigkeits- und Qualifikationsstruktur wird weiter tief greifenden Veränderungsprozessen ausgesetzt sein. Die daraus entstehenden immer neuen technologischen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen legen nahe, sich schon möglichst früh auf ein "lebensbegleitendes Lernen" (2) einzustellen. Das bedeutet nicht zuletzt, "das Lernen zu lernen" als Schlüsselqualifikation mit in den Mittelpunkt von Bildungsprozessen zu rücken.

Die Notwendigkeit lebensbegleitenden Lernens wird die Bedeutung der Berufswahl für den Einzelnen kaum mindern. Neben der Bündelung von Arbeitsanforderungen zu marktfähigen Qualifikationen erfüllt der Beruf eine wichtige psychosoziale Funktion. Die Berufsvor- und -ausbildung leistet einen wesentlichen Beitrag für die Integration der Jugendlichen in die Gesellschaft. Über den Beruf werden nicht nur marktfähige Qualifikationen gebündelt, Wertorientierungen und Haltungen vermittelt, gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung erreicht, über den Beruf und die Berufswahl werden "Lebenspläne" entwickelt.

Es gilt also nicht vom Beruf generell Abschied zu nehmen, vielmehr ist eine Veränderung zu konstatieren. Was sich verändert, ist die Bedeutung der einmal in der Ausbildung gelernten Fachqualifikation wie auch die soziale Sicherheit, den Ausbildungsberuf ein ganzes Leben lang, womöglich noch in einem einzigen Betrieb, ausüben zu können. Gleichwohl müssen weiterhin die veränderten und sich rascher wandelnden Qualifikationsanforderungen des Beschäftigungssystems mit den Bildungs-, Arbeits- und Lebensansprüchen der Menschen, insbesondere der Jugendlichen, abgestimmt werden.

Für die Jugendlichen ist das Berufswahlproblem komplexer geworden, seit es den "Lebensberuf" nicht mehr gibt, gleichwohl aber spätestens am Ende der Sekundarstufe I eine entscheidende Weichenstellung für die künftige Bildungs- und Berufsbiografie vorgenommen werden muss. Besonders schwierig gestaltet sich der Übergang vor allem für diejenigen Jugendlichen, die weder schulisch formal qualifiziert sind, noch über neue und zusätzlich geforderte Kompetenzen verfügen. Eine Verstärkung der Bemühungen um eine bessere Berufsorientierung kann dazu beitragen, dass die Jugendlichen eine bewusstere und informiertere Entscheidung treffen und mit einer klareren Perspektive dazu motiviert werden, ihre Schul- und Berufsausbildung erfolgreich abzuschließen.

Aus der Jugendforschung wie auch aus Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (siehe hierzu z.B. Fobe/ Minx 1996 und Schober/Gaworek 1996) ist bekannt, dass für Jugendliche Ausbildung und Beruf nach wie vor eine sehr hohe Priorität haben. Zugleich ist bekannt, dass sich die Berufsbiografie zunehmend von gesellschaftlichen Festlegungen löst und "mehr in die Entscheidung und Verantwortung des einzelnen gelegt wird. Sie wird zunehmend Teil einer individuellen, ganzheitlichen, aber auch riskanten Lebensplanung" (vgl. Rebman/ Tenfelde/ Uhe 1998). Berufswahl ist ein länger andauernder Prozess, der schon mit der Entscheidung für eine bestimmte Schullaufbahn beginnt und als eine "gestufte Abfolge von Bildungs-, Ausbildungs-, Weiterqualifizierungs-, Berufs- und Arbeitsplatzentscheidungen" (vgl. Schober/ Tessaring 1993) zu verstehen ist. Zunehmend werden dabei nicht nur auf den ersten Stufen "Optionswahlen" getroffen, sondern man versucht auf jeder Stufe, Optionen für mehrere berufliche Alternativen zu erlangen.

Entsprechend bedeutet die Befähigung zur beruflichen Orientierung heute, sich für eine "erste Stufe in seiner Berufsbiografie" entscheiden zu können und sich darüber hinaus auf eine permanente Erweiterung und Vertiefung seiner einmal erworbenen fachlichen und überfachlichen Kompetenzen, auf ein lebensbegleitendes Lernen, einzustellen und dafür nachhaltig motiviert und befähigt zu sein.