Die Entwicklung des Beschäftigungssystems in der Nachkriegszeit der Bundesrepublik Deutschland war durch eine einzigartige Konstellation bestimmt. Der schnell wachsende industriell-marktwirtschaftliche Sektor verdrängte die landwirtschaftliche und handwerkliche Kleinproduktion und absorbierte rasch einen großen Teil der Arbeitskräfte des traditionellen Erwerbssektors. Dieser Prozess wurde flankiert und gefördert durch die Entwicklung des Wohlfahrtsstaats. Keynesianische Wirtschaftspolitik, soziale Umverteilung, der Ausbau der sozialen Versorgungs- und Sicherungssysteme trugen ebenso wie die Entwicklung der industriellen Beziehungen zur Vollbeschäftigung und zur Stabilisierung und relativen Angleichung der Einkommen bei (vgl. Lutz 1984, S. 210 ff.). Es war in dieser Hochzeit des Fordismus (Fließbandfertigung), in der eine bestimmte soziale Beschäftigungsform normativ ausgestaltet und perfektioniert wurde und auch empirisch seine größte Verbreitung fand. Es bildete sich die Figur des "Normalarbeitsverhältnisses" heraus, die nicht nur "Bezugspunkt für juristische Ge- und Verbote sowie Rechtsinterpretationen" (Mückenberger 1985, S. 4), sondern auch Orientierungsrahmen für die Erwartungen und Strategien von Arbeitnehmern und Beschäftigern am Arbeitsmarkt wurde.

Für das Normalarbeitsverhältnis können folgende Elemente als konstitutiv angesehen werden:

  • Abhängige Erwerbsarbeit ist die einzige Einkommens- und Versorgungsquelle. Sie wird in Vollzeit verrichtet und verschafft mindestens ein existenzsicherndes Einkommen. Das Arbeitsverhältnis ist unbefristet, im Prinzip auf Dauer angelegt und in ein engmaschiges Netz von rechtlichen und tariflichen Normen eingewoben, [/S. 14:] die Vertragsbedingungen und soziale Sicherungen regeln. Auch die zeitliche Organisation der Arbeit - Länge und Lage der Arbeitszeit - wird standardisiert.
  • Das Arbeitsverhältnis bildet einen mehr oder weniger langen Abschnitt einer kontinuierlichen Erwerbsbiografie, die allenfalls durch kurze Phasen der Arbeitslosigkeit unterbrochen ist. Alter, Beschäftigungsdauer, vor allem aber Betriebszugehörigkeit drücken sich in zunehmenden Statusrechten und -sicherungen aus. Tatsächlich sind Erwerbsverläufe nicht nur durch den Beruf, sondern auch durch strikte Alters- und Senioritätsnormen strukturiert und nehmen die Form von "Normalbiografien" an, die durch karriereförmige Muster der Stabilisierung oder Verbesserung des beruflichen Status charakterisiert werden (vgl. Osterland 1990, S. 351 ff.).

Es ist dieser Typ von Arbeitsverhältnissen und Erwerbsverläufen, der (nach wie vor) im Zentrum der sozialen Schutzregelungen des Arbeits- und Sozialrechts steht und institutionell gestützt und abgesichert wird. Arbeitsrecht und Kollektivvereinbarungen schränken die Vertragsfreiheit ein, was die zeitliche Befristung und Kündigungen angeht und räumen Alter und Seniorität einen hervorragenden Platz als Kriterien für sozialen Schutz ein. Die Ansprüche an die soziale Sicherung - so Arbeitslosenunterstützung, Rente aus der Sozialversicherung und betriebliche Zusatzrente - sind an die vorherige Erwerbsarbeit gebunden und bemessen sich an Erwerbsdauer, Einkommen und eingezahlten Beiträgen. Nur wer in seinem Erwerbsleben kontinuierlich und in Vollzeit arbeitet, kann demnach eine maximale soziale Absicherung erwarten.

Das Normalarbeitsverhältnis wurde gleichermaßen sozialpolitisches Leitbild, praktischer Orientierungsrahmen am Arbeitsmarkt und auch empirisch vorherrschende Beschäftigungsform in der Nachkriegszeit. Es schloss zwar eine Angleichung von bestimmten Beschäftigungsbedingungen ein, bereits in der normativen Konstruktion wurden aber Formen der Ungleichheit festgeschrieben. Dies drückt sich etwa in Schutzfunktionen aus, die direkt oder indirekt an die Betriebsgröße gekoppelt sind und Beschäftigte in Großbetrieben mit etablierten Mitbestimmungsorganen und kompromissförmigen Personalpolitiken privilegieren. Aber auch faktisch waren große Gruppen von Personen von den sozialen Stabilitäts- und Sicherungsversprechen des Normalarbeitsverhältnisses ausgeschlossen. Das Normalarbeitsverhältnis schien zwar universalistische Maßstäbe zu setzen, unterstellte aber eine Normalität von Lebensverhältnissen, die nur für einen Teil der Bevölkerung galt. Frauen etwa waren von den materiellen und sozialen Sicherungen des Normalarbeitsverhältnisses weitgehend ausgeschlossen, weil sie im Rahmen des herkömmlichen Geschlechterarrangements der "männlichen Versorgerehe bzw. Hausfrauenehe" nicht oder nicht voll kontinuierlich erwerbstätig sein konnten oder wollten. Demnach war der Mann durch kontinuierliche Vollzeit-Erwerbsarbeit für das Familieneinkommen und die soziale Sicherung auch der Frau verantwortlich, während die verheiratete Frau zur Versorgung der Familie und im Normalfall nicht zur Lohnarbeit verpflichtet war; sie bedurfte daher auch nicht der umfassenden Schutzrechte aus dem Normalarbeitsverhältnis (vgl. Hinrichs 1996, S. 104 und Pfau-Effinger 1998, S. 167 ff. und Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung 1998, S. 269 ff.). Insgesamt setzte das traditionelle Familienmodell eine hochgradige Stabilität der Ehen und der Arbeitsteilung zwischen den Ehepartnern, den Verzicht der Frauen auf eine eigenständige Existenzsicherung und ihre Abhängigkeit von den Partnern voraus.

Das Normalarbeitsverhältnis baute so auf Strukturen der sozialen Ungleichheit auf und verfestigte sie. Auch andere Personengruppen - so etwa ausländische Arbeitskräfte, Berufs- und Betriebswechsler - waren dem Risiko ausgesetzt, aus dem Normalarbeitsverhältnis herauszufallen, weil sie nicht kontinuierlich und vollzeitig erwerbstätig sein und nur mindere Ansprüche auf Existenz- und Statussicherung stellen konnten.