Kabarett

Literarische Vorlagen ergänzen

In Arbeitsgruppen sollten bekannte literarische Vorlagen (Gedichte, Lieder) so mit Zwischentexten ergänzt werden, daß ein typischer Sprachstil (z. B. Kirchensprache, Amtssprache) zum Ausdruck kommt.
Zur Einstimmung wurde ein Vortrag von Dieter Hildebrandt vorgespielt:

Dieter Hildebrandt:

Der Mond ist aufgegangen Helmut Kohl spricht Matthias Claudius

Der Mond,
meine Damen und Herren, und
das möchte ich hier in aller Offenheit sagen,
ist aufgegangen!
Und niemand von Ihnen, liebe Freunde, meine Damen und Herren, wird mich daran hindern, hier in aller Entschlossenheit festzustellen:
Die goldnen Sternlein prangen
und wenn Sie mich fragen, meine Freunde, wo, dann sage ich es Ihnen:
am Himmel!
Und zwar, und das sei hier in aller Eindeutigkeit gesagt, so, wie meine Freunde und ich uns immer zu allen Problemen geäußert haben:
hell und klar.
Und ich scheue mich auch nicht, hier an dieser Stelle ganz konkret zu behaupten:
Der Wald steht schwarz und
lassen Sie mich das hinzufügen
und schweiget.
Und hier sind wir doch alle aufgerufen - gemeinsam -, die uns alle tief bewegende Frage an uns gemeinsam zu richten: Wie geht es denn weiter? Und ich habe den Mut und die tiefe Bereitschaft und die Entschlossenheit, hier in allem Freimut und aller Entschiedenheit zu bekennen, daß ich es weiß! Nämlich:
Und aus den Wiesen steiget
das, was meine Reden immer ausgezeichnet hat:
der weiße Nebel wunderbar.

Quelle: "Der Mond ist aufgegangen" aus: Dieter Hildebrandt: Was bleibt mir übrig. © 1986 Kindler Verlag, München. 

 

Ergebnisse aus Seminargruppen

Amtssprache

Hänschen klein,
Sohn der verehelichten und ortsansässigen Bürger Peter
und Martha Klein, geb. Groß
ging allein
unter Mißachtung der elterlichen Aufsichtspflichten von
seinem Wohnort Lonsingen, Richtung Gächingen
in die weite Welt hinein.
Stock und Hut, so die Beschreibung des Vermißten,
stehen ihm gut.
Laut glaubhafter Zeugenaussagen war der zuletzt am
Ortsausgang Lonsingen gesehene Junge froh und wohlgemut.

Aus einem Seminar mit Angestellten des öffentlichen Dienstes.

Kirchensprache

Situation: Abtei in T., 13. 12. 1992, Äbtissinnenweihe. Der Bischof ist da, hält den Ritus und anschließend die Ansprache:

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

ganz besonders darf ich mich an Sie, verehrte Mutter Äbtissin, wenden: Suse, liebe Suse!
Sie schauen heute erwartungsvoll in die Zukunft: Was raschelt im Stroh?
Alle Ihre lieben Mitschwestern sind erwartungsfroh hier versammelt und feiern mit Ihnen diesen hohen Tag - viele Gäste aus nah und fern, Arme und Reiche, unter Ihnen die kleinen Entchen, die haben kein' Schuh.
Dieses Problem wird uns zwar in Zukunft noch sehr beschäftigen, und ich wage zu behaupten: Wir werden die Hände nicht in den Schoß legen! Immer hat die Kirche vertraut auf den Heiligen Geist und den Schuster, denn der hat's Leder!
Aber, liebe Schwestern und Brüder im Glauben: Mit dem Leder allein ist es nicht getan! Der Schuster hat ja kein Leisten dazu!
Aber auch dieses Problem kann uns nicht entmutigen. Im Vertrauen auf Gott und alle Heiligen müssen wir uns in echter Bußgesinnung noch eine Weile gedulden, und so langen gehen halt die kleinen Entchen und haben kein Schuh!
Amen.

Aus einem Seminar mit kirchlichen Mitarbeitern.

Gewerkschaftssprache

Liebe Kollegen und Kollegen!

In diesem Betrieb glauben noch alle, alle meine Entchen an die Unternehmerversprechen, wir säßen noch alle in einem Boot. Die betriebliche Realität zeigt uns aber alltäglich, wir schwimmen auf dem See, schwimmen auf dem See.
Und deshalb, liebe Kollegen und Kollegen, laßt uns in die nächsten Tarifverhandlung den Arbeitgebereingriffen solidarisch entgegenstehen, laßt uns jetzt nicht nach der Devise verfahren "Köpfchen in das Wasser", sondern laßt uns die Lehre aus unserer Geschichte ziehen, die da heißt: "Schwänzchen in die Höh".

Glück auf.

Aus einem Seminar mit Gewerkschaftsjugendlichen.


Was darf Kabarett?

1986 wurde eine Folge der Sendereihe Scheibenwischer vom Bayerischen Rundfunk abgesetzt. Unter anderem erzürnte folgender Text von Werner Koczwara die bayerischen Medienwächter:

 

Der verstrahlte Großvater

(Lisa Fitz kommt auf die Bühne, setzt sich ans Telefon und wählt.)

Lisa Fitz:
Ja? Hallo? Ist dort die Strahlenschutzkommission? Ja? Na prima, also es geht um folgendes: Unser Großvater, gestern ist er übrigens 91 geworden, der war neulich draußen im Garten, das heißt, er saß eben draußen in seinem Rollstuhl der macht das übrigens fast jeden Tag, das ist bei dem ganz normal, bloß jetzt war's eben so, daß es auf einmal angefangen hat zu regnen und von uns hat leider keiner dran gedacht, den Großvater reinzuholen, und auf die Art und Weise ist der gute Mann geschlagene vier Stunden im Regen gesessen. Klar, das wär natürlich nicht weiter schlimm, aber wir haben uns jetzt eben gedacht, wegen dem russischen Kernkraftwerk, wissen Sie, da hat's doch geheißen, man soll sich bei Regen möglichst nicht im Freien aufhalten ich mein, wie soll ich sagen, wir befürchten jetzt eben, daß der Großvater schon ordentlich was abgekriegt hat von der Radioaktivität und wie gesagt, gestern ist er 91 geworden, da muß man ja auch jeden Tag mit dem Schlimmsten rechnen und deswegen ich mein, den kann man ja nicht so einfach begraben, am Ende verstrahlt der noch den ganzen Friedhof und jetzt wollt ich eben wissen: Müssen wir unseren Großvater jetzt endlagern? Oder vielleicht muß man ihn ja auch wiederaufbereiten, ich versteh von diesen Dingen ja nichts, aber man macht sich nun mal so seine Gedanken, wo ich doch erst kürzlich in der Zeitung gelesen hab, daß radioaktiv verseuchte Leute nicht normal begraben werden dürfen. Die sind doch praktisch wie sagt man dazu? Sondermüll, richtig. Ja, gut, können Sie mir vielleicht sagen, wie das laufen soll, weil irgend so etwas wie eine Beerdigung muß man einem Menschen ja geben gibt's da vielleicht Richtlinien dafür, zum Beispiel, ob der Pfarrer seine Predigt im Strahlenschutzanzug halten muß? Gibt's nicht, aha aber eine anständige Beerdigung, das ist doch das einzige, worauf sich der Großvater jetzt noch freut, ich meine, vielleicht täte es eine richtig weihevolle Endlagerung ja auch, aber ein bißchen christlich müßte es eben schon zugehen Wieso geht das nicht?! Ach was! Die Halbwertzeit von meinem Großvater interessiert mich nicht! Solche Sachen hätten Sie sich eben überlegen sollen, bevor Sie mit der Atomspalterei angefangen haben, jetzt haben wir den Salat, und der Großvater darf's ausbaden Ja, ebenfalls, wiederhörn.

(Sie legt den Hörer auf.)

Opa lassen wir nicht mehr an die frische Luft. Ab 100 Millirem ist man nämlich kein Christ mehr.

(Lisa Fitz geht ab.)

Scheibenwischer, 22. 5. 86. Zitiert nach: Dieter Hildebrandt: Scheibenwischer Zensur. München 1986, S. 29-32.

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